7.6.23

Brot und Liebe

Was ja mega ist: Wir haben bei uns eine Bäckerei, die dänisches Weißbrot backt und verkauft. Immer ein um den anderen Tag. Ich weiß nicht wirklich, wieso dänisches Weißbrot so anders und so besonders ist, aber es ist anders und besonders. Weich, mit einem anderen Geschmack und einem anderen Geruch.

Brot ist ja ohnehin etwas, das regional super unterschiedlich und total interessant ist, finde ich. Für mich ist dieses dänische Weißbrot aber mehr. Es ist für mich das Gefühl von Urlaub. Denn zu Hause, in meiner Ursprungsfamilie, gab es quasi nur Schwarzbrot und Vollkornbrot, weil meine Mutter unsere Ernährung ja Anfang der 70er Jahre auf Vollwertkost umgestellt hat.

Das war lange, bevor es überall Bio und Naturkostläden gab, bevor die Reformhäuser diesen Trend mitmachten. Aber das ist noch mal eine andere Geschichte.

Ein- bis zweimal im Jahr sind wir aber für eine Woche oder so nach Dänemark gefahren. Und damals(tm) gab es dort in den Bäckereien an Brötchen nur die dänischen Brötchen, diese fluffigen, gerollten, die ich auch bis heute gerne esse (und die lustigerweise hier bei uns eine andere Bäckerei im Programm hat als die mit dem dänischen Weißbrot, aber auch das ist noch mal eine andere Geschichte, wie überhaupt diese Bäckerei). Und eben Fransbrød, das dänische Weißbrot. Dazu den Dansk Honning. Oder die Gammeldags Marmelade. Das war und ist bis heute mein Urlaubs-Frühstück.

Und darum macht mich ein Frühstück mit dänischem Weißbrot bis heute glücklich, glaube ich. Nein, ich kaufe nicht jeden zweiten Tag dieses Brot. Aber dass ich es könnte, ist allein schon wunderbar. Manchmal muss es dann sein, dafür setze ich mich gerne aufs Rad und fahre in die Kleinstadt. Und freue mich den ganzen Abend und die ganze Nacht auf das Frühstück am nächsten Morgen. Mit etwas Zeit. Daumendicke Scheiben, gesalzene Butter, Honig und selbstgekochte Marmelade. Und Kaffee. 



Ein Tag, der so beginnt, ist ein guter Tag.

6.6.23

Kotzen

Tatsächlich bin ich sehr traurig und sehr wütend. Meine Reaktion auf die Ohnmacht, die dieses Video auslöst, zumindest bei mir.

Und bitte: Seht dieses Video nur, wenn ihr sicher seid, es ertragen zu können. Weil von Vergewaltigung die Rede ist und davon, wie Menschen unter Drogen gesetzt werden, manipuliert (Social Engineering) werden, misshandelt werden. 

Was für ein Mut dazu gehört, diese gute halbe Stunden aufzunehmen und online zu stellen, kann ich nicht mal wirklich erahnen. Aber weil ich weiß, dass nur die größtmögliche Öffentlichkeit diese Frau schützt, dass jede Person, die das Video sieht, hilft, dass Kayla Shyx nichts passiert (oder nicht noch mehr passiert), finde ich es wichtig, dass ihr es seht, wenn ihr könnt.

Teil dessen, was mich so wütend macht, ist, dass ich in Familie und Umfeld so viele Menschen kenne, die diese Band toll finden und an ihrem Blut- und Stahl-Rock (oder wie auch immer du so was nennen willst) weder etwas rechtes noch etwas anderswie schlimmes sehen können. Ja, ich war wahrscheinlich die gesamte Woche über bereit, den Frauen zu glauben, die von ihren "Erlebnissen" erzählen, weil ich auch die Musik und die Ästhetik so ekelhaft finde. Aber inzwischen ist es keine Geschmacksache mehr.

Und noch ein nur slightly related Detail: Ich hoffe sehr, dass eine meiner Regionalzeitungen, der Ostholsteiner Anzeiger, Teil des Schleswig-Holsteiner Zeitungsverlags, sich sehr, sehr, sehr schämt, dass sie gestern (!!!) diesen ekelhaften, den Täter verteidigenden, ganzseitigen Artikel aus der NZZ nachgedruckt hat. Mitsamt dem Verbrechen schönredenden Titel "Rammsteins Auserwählte". Ihr seid so ekelhaft. Von der NZZ hätte ich nichts anderes erwartet, denn die müssen Rammstein an sich ja gut finden, aus politischen Gründen. Aber dass ihr es nachdruckt, ist wirklich unterirdisch. Ich hoffe sehr, dass die Menschen, die ich dort in der Redaktion schätze, etwas dazu sagen werden...

5.6.23

Ausflug

Und dann hatte eine unserer Einstellerinnen die Idee, am Sonntag einen gemeinsamen Ausritt zu machen. Also sind wir mit sieben Pferden und Reiter*innen losgezogen zu einem Hofausflug. Gemeinsam durchs Dorf, durch die Felder und um Moor und Mühle herum. 

Schön war es und hat Spaß gemacht. Inklusive einem Spiel und unserer schönsten Aussicht vom Hügel über die Weiten unseres Teils von Ostholstein. Hach.

Wir haben ja nicht viele Einstellerinnen am Hof, weil wir mit Heidhörn vor allem auf die Aufzucht von Jungpferden spezialisiert sind und unsere meisten Einsteller*innen Jung- und Zuchtpferde bei uns haben und einige wenige Oldies, die sich in diesen Herden aus Jungtieren super gut machen. Aber einmal mit diesen wenigen was zusammen zu machen (und nicht nur die gemeinschaftlichen Arbeiten, die immer mal anstehen), war eine tolle Idee. Machen wir mal wieder.  

2.6.23

Zug

Gedanken sortieren, Gedanken schweifen lassen, etwas langsamer erreichbar sein, jede Menge White Noise um mich herum. Es gibt ja Menschen, die Zugfahren nicht mögen. Zu denen gehöre ich nicht. Mein Zugoffice ist mir sehr angenehm. Im Grunde wie ein Coworking-Space, nur eben wie früher auf dem Land, also mit eindeutig zu wenig Internet.

WLAN ist sowohl in den Regionalzügen als auch im Fernverkehr deutlich besser geworden. Selbst auf der notorisch unterversorgten Strecke nach Berlin. Es reicht nicht für Streaming oder Videokonferenzen, aber für das Arbeiten in der Cloud und für Mail reicht es (mir). Und so nutze ich Bahnfahrten für längere Texte, für genaueres Überlegen, für assoziatives Denken.

Und ein Vorteil am Bahnfahren ist ohnehin nicht zu unterschätzen: es führt dazu, Menschen zu sehen und das gemeinsame "Körpergedächtnis" aufzufüllen, denn ich fahre ja nicht einfach nur aus Spaß mit der Bahn sondern zurzeit nur mit einem Ziel. Denen sich bin ich sehr gerne auf dem Land. Gerade jetzt mit den Fohlen.

Grundsätzlich kann ich das Gejammer über virtuelles Zusammenarbeiten nicht verstehen. 80% meiner Arbeit ist ja Kreativarbeit – und vielleicht liegt es an mir und daran, wie ich virtuell mit anderen arbeite, aber sehr oft ist das gemeinsame kreative Arbeiten an Dokumenten (wie früher beim Arbeiten an Postern, beschreibbaren Wänden, Ausdrucken) viel besser und kreativer und überraschender als es früher war. Zumindest wenn ab und zu (aber nein, nicht jede Woche) auch ein gemeinsames Erlebnis in einem Raum dazukommt. Weil es zumindest mir wichtig ist, zu Stimmen und Bildern auch Körper der Menschen zu erinnern, mit denen ich zusammen denke und ausdenke.

Und hin und wieder bin ich gerne in Städten. Sogar in Frankfurt oder Berlin. Auch wenn es da nicht so süße Fohlen gibt, sagte ich das schon?



31.5.23

Gerste

Jetzt ist ein bisschen Ruhe vor dem Sturm. Die ersten Silageschnitte sind drin, das erste Pferdeheu ebenfalls. Der Raps ist verblüht, die Ackerbohnen und selbst der Mais machen die letzten Flächen langsam grün. Und das Wintergetreide dominiert das Bild. 

In dieser Zeit, im Übergang von Frühling und Frühsommer, liebe ich vor allem die Gerstenfelder. Bei der Fahrt übers Land kann ich mich daran kaum sattsehen. Da liegen sie mit ihrem weichen Pelz, der sich im Wind leicht bewegt und die Fläche fast glitzern lässt. Noch ist alles in einem frischen hellen Grün, fast sinnlich, vor allem, wenn ich aus einem Stück Buchenwald komme, diesem warmen, lichten, halbschattigen Ort der Kühle, dann in die flirrende offene Landschaft, wo es wogt und changiert. 

Das Herz will fast zerspringen vor Freude über das Leben. Für einen Moment ist alles vergessen, was Ärger macht oder traurig, wo Arbeit wartet und der Rücken schmerzt. 

Jedes Jahr am Anfang, wenn der Raps in voller Blüte steht, denke ich, es kann nicht mehr schöner werden. Und dann kommt diese Zeit mit der Gerste. 

Hach. 

29.5.23

Sport

Diese Saison bin ich nicht als Turniertrottel unterwegs. Oder Groom, wie es im offiziellen Turniersprech heißt. Quarta macht Abitur, da passen die aufwändigen Campingwochenenden mit Pferd nicht so gut rein. Dafür haben wir gestern den Tag genutzt, um zu dem großen Spitzensport in Norddeutschland zu fahren, auf den Kronshof direkt südlich der Elbe. 

Dieses Turnier ist immer etwas Besonderes. Nicht nur, weil tatsächlich internationale Weltklasse-Reiter*innen und -Pferde am Start sind, sondern weil es zugleich auch ein riesiges Breitensportfestival ist im Grunde. Wir normalen Familien zelten neben den Teams der großen Höfe, auf den zwei Ovalbahnen gibt es Prüfungen jeder Klasse, rund 600 Paarungen starten und super viele unserer Freund*innen sind da. Dieses Jahr wie gesagt auch wir nur als Zuschauer*innen. 

Und weil es das einzige Turnier außerhalb der Weltmeisterschaft und außerhalb Dänemarks ist, an dem auch viele Reiter*innen aus Schweden und eben Dänemark teilnehmen hier bei uns in der Nähe, ist es toll, viele von denen reiten zu sehen, die wir seit Jahren, oft seit sie Jugendliche waren, beispielsweise auf dem großen Indoor-Festival in Herning gesehen haben, zu dem wir gerne fahren. Das macht Spaß. Und hebt das Niveau des Sports in der Breite. 

Ein wunderbarer Tag in der Sonne war das. Und die Tribünen an den Bahnen sind ganz original isländisch: ein Wall aus dem Aushub des Bahnbaus. Wo wir auf dem Boden oder mit unseren mitgebrachten Campingstühlen sitzen. Familiär eben. Und für Pferdesport eher rustikal. Wie wir ja auch.



26.5.23

Gewaltlosigkeit ist Gewalt

Bei all den überaus absurden rhetorischen Verrenkungen der letzten Wochen, in denen die Gesetzesbrecher*innen innerhalb der Regierung und von der parlamentarischen Opposition, all diese Radikalen, die wider jedes Wissen sagen, dass wir mit dem Umbau, der Wärmewende, der Dekarbonisierung noch Zeit haben, in denen diese also behaupten, gewaltfreier Widerstand sei Gewalt und Opposition sei organisiertes Verbrechen, musste ich öfter an die radikalen Äußerungen der CSU-, CDU-, vieler SPD- und FDP-Leute während der Auseinandersetzungen in den 80ern um Pershings, Startbahn West, Brokdorf, Kalkar und Wackersdorf denken.

Die Irren unserer Zeit stehen dabei ja wirklich in der Tradition von Friedrich Zimmermann, der mir auch das Vorbild von Olaf Scholz zu sein schien, als der Innensenator in Hamburg war. Zu Zimmermann hat Heinz Rudolf Kunze damals ja ein tolles Lied geschrieben. Aus Mastodon fischte ich dann gestern den Hinweis auf einen anderen intensiven Text von ihm. Damals war er einfach ein wirklich guter Texter. 1984 schrieb und performte er seine Variationen über einen Satz des Bundesinnenministers aus dem Monat Juli des Jahres 1983. Und dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Mutloses Abwinken
ist Mut
Tatenloses Zusehen
ist Tat
Rechtloser Zustand
ist Recht
Hoffnungslose Anpassung
ist Hoffnung
Rettungslose Verzweiflung
ist Rettung
Skrupelloser Zynismus
ist Skrupel
Schonungslose Ausrottung
ist Schonung
Erbarmungsloses Dreinschlagen
ist Erbarmen
Gnadenlose Zukunftsvernichtung
ist Gnade
So hätten sie's gern
gewaltloser Widerstand
ist Gewalt
widerstandslose Gewalt aber
Ist nur Widerstand
gegen die Gewalt der Gewaltlosen

Und ein ärmelloses Hemd
ist ein Norwegerpullover
Und George Orwell
ist Walt Disney


25.5.23

Glück

Wenn du nach drei Tagen Bahnfahren, Workshops und Kreativarbeit zurück aufs Land kommst – und drei Fohlen auf der Weide spielen. Und du dich auf die Bank setzt, die du da aufgestellt hast, das Gesicht in die Abendsonne hältst, die Füße baumeln lässt. Wenn dann die Fohlen erschöpft ausruhen und ihre Mütter entspannt grasen. Wenn drüben im Haus die Sauna aufheizt und die Hunde unter der Bank liegen. 

Dann denke ich wieder, wie gut die Entscheidung war, aufs Land zu gehen. Wie es mich immer wieder in schnellster Zeit auftankt und besser macht. Wie sehr sich die knappe Stunde lohnt, die sich eine Fahrt seitdem verlängert. 

Dann merke ich, was für Glück ich habe. 

24.5.23

Orban gefällt das

Vor allem in frühen Phasen ist ein Terrorregime schwer zu erkennen. Aber zu den untrüglichen Signalen gehört wohl, dass es seine Gegner*innen als Terroristen bezeichnet. Dann sollten wir hellhörig werden. Ein weiteres untrügliches Zeichen ist eine geduldete, schleichende Aushöhlung der Gewaltenteilung, so wenn die Exekutive agiert, als wenn beispielsweise eine Verhaftung bereits ein Schuldspruch sei. Oder wenn Regierungsmitglieder von ihren Gegner*innen sprechen, als wären sie verurteilte Straftäter*innen. Wenn sie den Versuch unternehmen, Gerichten Entscheidungen zu diktieren. 

Am Ende der frühen Phase eines Terrorregimes wird es dann deutlicher. Regierungsmitglieder schlagen dem Parlament nicht mehr vor, Gesetze zu ändern, sondern ignorieren sie einfach. Der Übergang in die Zustimmungsdiktatur wird dann davon begleitet, Entscheidungen mit Umfrageergebnissen zu begründen. Dann ist Widerstand nicht nur legitim sondern geboten. Dann ist das Terrorregime etabliert. 

Oder, wie Orban sagen würde: eine illiberale Demokratie. 

21.5.23

Die Deutsche Religion

Die deutscheste aller Religionen ist ja wohl der Spargelkult. Ich bin ein Anhänger dieses Glaubens. Aber nach Jahren einer geradezu zelotischen Richtung bin ich in die etwas lockerere, synkretistische Denomination gewechselt.

Und so haben wir eine Vielzahl großartiger Gerichte entdeckt. Aktuell mein liebstes gab es gestern. 

Für diese Quiche nehmen wir einen Blätterteig, der auf ein mit Olivenöl gefettetes Email-Blech gelegt wird und vorgebacken. Danach sehr reichlich ein Orval Trappist, den besten butterkäseartigen Käse, den ich kenne. Und darauf grünen Spargel, den ich vorher sechs Minuten im Dampfgarer hatte. Etwas Olivenöl, etwas Læsø-Salz, etwas Pfeffer, fertig. Gut 10min fertigbacken. 

Die bei uns, die Fleisch essen, dekorieren die Quiche noch mit etwas gekochtem Schinken, aber das muss nicht. Dass es aber so flexibel ist, macht es uns leichter. 

20.5.23

Musik und Menschen

Vor sehr viele Jahren waren wir ein paar Mal bei den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker, damals das interessanteste Kammermusikfest im Norden Deutschlands, inspiriert von Donaueschingen im Grunde. Letztes Jahr hat Constantin Stahlberg mit seiner Stiftung und seinem Kultur Gut Hasselburg ein neues Kammermusikfest gegründet, dessentwegen wir in den Freundeskreis eingetreten sind – und das dieses Wochenende seine zweite Auflage erlebt.

Gestern waren wir den Tag da, haben zwei Konzerte des Eliot Quartetts erlebt, die ganz wundervoll waren. Die Entdeckung des Abends war dabei für mich der "Langsame Satz" von Anton von Webern, der als eine Kompositionsübung entstanden ist und aus der Anfangszeit seiner Studien bei Schönberg stammt. Noch ganz in der Hochromantik angesiedelt, aber ohne die Schwülstigkeit.

Die andere Entdeckung des Abends war für mich, dass ich immer noch nicht mit Brahms warm werde. Auch das große Klavierquintett langweilt mich wie bisher fast alles, was ich von ihm gehört habe. Das ist ungewöhnlich vielleicht, weil ja so viele Menschen ihn verehren. Darum höre ich auch immer wieder hin, war hochmotiviert, es toll zu finden. Klappte aber nicht. Anders als Schumanns Klavierquintett im ersten Konzert, das ich ganz wunderbar fand und empfand. Und das so anders klang als letztes Jahr mit dem Notos Quartett, das am gleichen Ort ebenfalls dieses Stück spielte (aber in der Reetscheune, also mit einer super trockenen Akustik ohne Hall, dieses Mal im Barocksaal des Herrenhauses).

Was für eine Bereicherung ist dieses Kammermusikfest für unsere Gegend hier. Auf diesem inspirierenden Gut, in familiärer Atmosphäre, locker, trotzdem gediegen. Womit wir beim zweiten Teil der Überschrift sind.

Denn das Besondere an Kammermusik hier auf dem Land und in Reichweite zu Hamburg ist das Publikum. Neben einigen jungen Menschen und wenigen in unserem Alter sind die meisten Männer zwanzig Jahre älter als ich und die Hälfte ihrer Frauen ebenfalls, die andere ist in meinem Alter. Viel altes Bürgertum aus Hamburg, das sich durch große Kultiviertheit bei geringem Protz auszeichnet. Etwas, das ich schon immer sehr mochte, auch wenn wir da logischerweise nicht zugehören, denn wir stammen ja nicht von altem Geld ab. Aber es sind Menschen, mit denen wir leicht ins Gespräch kommen – denn das ist Teil des Festes: zwischen den beiden Konzerten ist ein Imbiss inbegriffen in der Scheune und auf dem Rasen, um genau das zu tun. Gespräche zu führen miteinander und mit den Künstler*innen – und mit denen es unterhaltsam und anregend ist. Kleidung zwischen britisch und Landadel, auch wenn einige Anzüge inzwischen etwas schlottern.

Morgen sind wir noch einmal zum Abschlusstag mit jungen Künstler*innen und sehr abwechslungsreichem phantasievollen Programm. Eher eine Martinée. Darauf freue ich mich sehr.

17.5.23

Beobachtungen (Kommunalwahl)

 Mit zwei Tagen Abstand doch noch ein paar Überlegungen zur Kommunalwahl in Schleswig-Holstein und ganz konkret bei mir auf dem Land. Denn ich finde es fast etwas schade, dass diese Wahl so wenig im medialen Fokus ist außerhalb unserer Lokalmedien – lassen sich doch einige Dinge daraus lernen für die aktuellen Debatten und Strategien auch über die kommunale Ebene hinaus.

Lokal ist lokal ist lokal

Eine Binse, aber es zeigt sich neben allen Trends, die durchschlagen, dass immer dann, wenn ein lokales Thema oder lokale Menschen sichtbar sind, diese auch die Wahl dominieren. In meiner direkten Nachbarschaft zeigte es sich an zwei Stellen: In der Kleinstadt bei mir, Eutin, gewinnen die Grünen richtig, richtig deutlich und weit über dem Trend – weil der (neue) grüne Bürgermeister beliebt ist und frischen Wind bringt und Menschen ihm offenbar den Rücken stärken wollen. In der Dörfer-Gemeinde auf der anderen Seite dieser Kleinstadt gewinnen zwei Gruppen sehr deutlich, die sich in den letzten Jahren klar gegen die bisherige Mehrheit positioniert hatten, die klare Änderungen versprochen haben und denen es gelingt, den nicht-populistischen Unmut der Menschen zu bündeln. CDU und eine neue Wähler*innen-Gemeinschaft gewinnen weit über den Trend hinaus. 

Und auch im ganz kleinen lässt es sich sehen, an den genauen Stimmen im Wahllokal - weil wir hier die Besonderheit haben, dass "nur" Personen gewählt werden, auch wenn sie den Parteien zugeordnet sind. Viele wählen darum alle drei Personen einer Partei, aber, wie das Bild hier zeigt, eben nicht alle (abgebildet sind die Stimmen in "meinem" Wahlkreis, in dem es zwei Wahllokale gibt). Und die, die in den Dörfern des Wahllokals wohnen, bekommen mehr Stimmen als die anderen. Das schwankt etwas. Nicht so stark, wie ich hoffte und dachte, aber doch messbar.

Stadt und Land driften immer mehr auseinander

Viel auffälliger als erwartet ist der radikale Unterschied zwischen Stadt und Land bei dieser Kommunalwahl. Noch extremer als bei der Landtagswahl und bei der Bundestagswahl. Konkret dominieren die Grünen in den (ja nun hier wirklich nicht riesigen) Großstädten. Und die CDU auf dem Land. Auch da gibt es Unterschiede, klar. An unserer Ostküste sind die Grünen immer noch stärker als an der Westküste. Und in meiner besonders ländlichen Gemeinde (immerhin 15 Dörfer mit zusammen rund 3.000 Einwohner*innen, das kleinste Dorf hat gerade mal 14 Haushalte) haben wir mit einem winzigen Team und wenig Sichtbarkeit das beste aller dörflichen Ergebnisse in unserem Landkreis erzielt, über dem Landesschnitt.

Die Radikalisierung der Bundes-CDU stärkt die Nazis

Bis zum Beginn der Kampagnenoffensive von Friedrich Merz in den letzten Wochen lag die CDU in den Umfragen zur Kommunalwahl mit Zuwächsen weit, weit vorn. Und unser Ministerpräsident ist ja auch ein Linksabweichler innerhalb der CDU. Genosse Günther nennen sie ihn spöttisch. Am Ende aber blieb die CDU unter ihren Zielen – und da, wo die AfD antrat, also vor allem in den Kreistagswahlen, hat sie enorm zugelegt und ist die eigentlich größte Gewinnerin der Wahl. Merz' Strategie geht komplett nach hinten los, das kann man recht deutlich sehen. Sein Glück, wenn man es so nennen will, ist, dass dieses Ergebnis kaum bundesweite Beachtung findet. Ihm und der CDU wäre zu wünschen, dass sie es sich noch mal genauer ansehen.

Das widerspricht ein bisschen dem ersten Punkt - und es schlägt auch nur da durch, wo eben die direkte Nähe nicht so eine Rolle spielt, beispielsweise bei der Kreiswahl. Es ist da durchaus auffällig, wie sehr Kreis- und Gemeindeergebnisse voneinander abweichen. Und vor Ort ist die CDU auch nicht so radikalisiert wie im Bund. 

16.5.23

Es geht los

Das erste Fohlen ist da, drei sollen es dieses Jahr werden, wenn alles losgeht. Passend am ersten Tag, der nicht mehr schön und warm war, wollte es also raus. Naja. Wir freuen uns trotzdem. Es ist ein Falbe und ein Hengst. Auch, wenn ich erst dachte, es werde ein Braunfalbe sein, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass es ein Mausefalbe ist. Zumal seine Mutter wahrscheinlich auch mausfalben ist. 

Herzlich Willkommen, kleiner Áli. Mehr Fotos im Pferdeblog.

Áli von Heidhörn mit seiner MutterÁli von Heidhörn mit seiner MutterÁli von Heidhörn mit seiner Mutter



13.5.23

Erstaunlich

… finde ich, wenn eigentlich vernunftbegabte Menschen, die ein gerüttelt Maß an Haltung haben, all dies über Bord werfen, wenn ihnen ein billig-effektvoller Text über den Weg läuft, der ihr Gruppenunbehagen halbwegs elegant formuliert. 

Zumindest vermute ich, dass es darum geht, wenn sie einen Link auf dieser facebookigen Plattform drüben teilen, in dem es offenbar um diese Plattform geht. Große Selbstbefriedigungsvermutung. 

Aber was weiß ich. Ich klicke nicht. Nicht mal, wenn ihr alle sagt, das sei ein toller Text. Wenn ihn jemand auf einer demokratiezersetzenden Plattform eines ehemaligen Verlages publiziert, dann ist mir das egal. Denn dafür hat sie sich ja entschieden. Sie ist ja bewusst Ressortleiterin einer Hetz- und Desinformationsseite. Dann können wir dies eine sprichwörtliche Korn auch aussortieren, das sie vielleicht gefunden haben könnte. Wenn wir einen Kompass zur Hand haben, werden wir das sicher tun, oder?

12.5.23

Parallelgesellschaft

Am meisten fasziniert mich in den letzten Wochen, wie sehr quasi alle journalistischen Medien mitsamt einem Teil "der Politik" nur noch eine Parallelgesellschaft abbilden – und wie verschwindend deren Relevanz in der Breite zu sein scheint. Aufgefallen ist mir das als Medienextremnutzer inklusive Diskussionsmedien im Kommunalwahlkampf auf dem Land in einer CDU-Hochburg.

Beispielsweise spielte die Desinformationskampagne der CDU über privates Heizen exakt keine Rolle in Gesprächen. Und wenn jemand das Thema ansprach, war es ganz anders als erwartet – eher ein "Ist irgendwie doof für mich, aber muss ja sein". Selbstverständlich haben einige CDU-Kandidaten hier auf den Dörfern in ihren alten Häusern in den letzten Jahren Photovoltaik und Wärmepumpen eingebaut. Was zum Teil auch daran liegt, dass eine bestimmte soziale Schicht für die kandidiert, klar. Selbstverständlich waren nur drei CDU-Gemeindevertreter als befangen rausgegangen, als das Konzept für die PV-Freiflächenanlagen in der Gemeinde beraten wurde. Weil sie nämlich schon mal ihren Bedarf angemeldet haben. So wie die meisten Landwirt*innen.

Mir ist völlig schleierhaft, wie die CDU und die von Fossilenergieinvestorinnen finanzierten Medienhäuser eine Masse jenseits der für Verschwörungserzählungen offenen Gruppen erreichen wollen, wenn sie ihre Kampagnen gegen die Vernunft, die nahezu alle Hausbesitzer*innen hier auf dem Land gerade an den Tag legen, fortsetzen.

Und mir ist völlig schleierhaft, wie die Hysterie weitergehen soll, die bis in die Medien hinein herrscht, die ich konsumiere. Quasi kein Mensch, mit denen ich sprach in den letzten Wochen hier auf dem Land, hatte irgendwas davon so gelesen, dass es einen Eindruck hinterlassen hatte. Und in den Lokalteilen der Medien spielt das Thema auch keine Rolle - außer rund um die Diskussion, was denn die Stadtwerke an Nahwärme und Wärmenetzen gerade umsetzen. Also nur den Positivteil der Diskussion. Und beobachtet mal die Menschen, die noch Zeitungen kaufen: meistens nehmen sie sich direkt das "zweite Buch" vor, also den Lokalteil. 

11.5.23

Gold

Ich finde wenig so schwer in Worte zu fassen wie Düfte. Vielleicht habe ich darum auch nicht so gute Dufterinnerungen. Ja klar, wenn ich etwas wiederrieche, erinnere ich mich. Aber wenn ich im Winter an Raps denke, habe ich nur Honig in der Nase, weil das die völlig unzureichende Beschreibung ist, die ich dafür kannte. 

Ist das eigentlich normal, im Sinne von: geht das vielen so, dass sie Gerüche nicht imaginieren können?

Jedenfalls Raps, unser Gold. In diesen Wochen ist es nicht nur wunderschön anzusehen - sondern jeder Schritt vor die Tür, jedes Öffnen eines Fensters bringt den ganz besonderen Duft heran. Für mich riecht es gelbgold. So riecht gelbgold. So intensiv wie englische Rosen, aber eben nicht zartrot sondern massivgelb.

Massiv, weil es irgendwie schwer riecht. Schwer, blumig, auch etwas nach Honig, nach Nektar, ein bisschen wie der Geschmack, wenn wir als Kinder an den Blüten der Taubnesseln lutschten. Aber immer noch bleibt es ungelenk beschrieben.

Eines aber ist toll damit: in diesen Tagen riecht es überall, im ganzen Landkreis, immerzu danach.

Der Kopf meines Pferdes vor einem Rapsfeld, aus dem Sattel aufgenommen


10.5.23

Nicht woke

Ach ja. Ich weiß es wirklich nicht. Hatte ja gerade ein, ja, leicht geschwätziges, aber sehr gutes und amüsantes Buch zu dem Thema gelesen gehört, fühle mich also nicht so direkt angesprochen, wenn die Frage aufkommt, wieso erst ein mittelalter Mann ein Buch über #metoo schreiben muss, damit das alle lesen wollen. Mich interessierte es auch und vor allem, weil ich in dem Laden da ja Leute kenne, weil ich nah genug am Medienzirkus bin, weil ich die Berichterstattung über den Chefredakteur relativ intensiv verfolgt habe, weil ich „den Freund“ von früher kenne, aus seiner Hamburger Zeit.

Und es hat mir, ich bin gestern endlich fertig geworden, auch Spaß gemacht, es zu lesen hören. Vor allem mag ich den lakonischen Stil, auch wenn mir die Gen-Z-Pseudotonalität des Boomerautors etwas auf die Nerven ging und er echt nur ein mittelguter Sprecher ist. 

Die Tristesse und Ambivalenz gefällt mir, vieles ist wunderbar leiselustig, zumindest wenn ich die Muster der Protagonist*innen kenne. 

Lese-/Höremfehlung? So mittel. Für „uns“ Medienbubble mit Berlin-Connection sicher. Für all die Menschen in meinem Leben, die nicht mal davon gehört haben, dass dies Buch erschienen ist (was quasi alle sind, die ich außerhalb des Berufs kenne) – eher nicht. 

Was mich allerdings vollkommen irritiert hat die gesamte Zeit des Hörens: dass es extrem albern und doof ist, das Ganze in einen TV-Sender zu verlegen und die Bild immer wieder Thema sein zu lassen. Zum einen passt die Weltherrschafts-Attitüde des Döpfner-Klons nicht zum Setting Sender. Und zum anderen ist es ohnehin so, dass Döpfner und Reichelt so präzise beschrieben sind (bis hin zur kahl werdenden Stelle auf dem Kopf bei Reichelt, wenn er den Kopf nach vorne neigt), dass zumindest ich sie die gesamte Zeit sah. Also ihr Bild vor mir sah. 

Was ich extrem gelungen finde: das (abrupte) Ende. Das ist toll. 

9.5.23

Gefahr

Ungefähr drei Wochen, bevor die Kampagne losging, die zumindest für mich erst im Laufe der Zeit und mit der plötzlichen Erinnerung an dieses drei Wochen vorher als Kampagne wirklich erkennbar wurde; mit ungefähr diesem Vorlauf hörte ich die ersten Gerüchte und „Fragen“ aus dem Umfeld einiger Verbände. 

Interessanterweise als erstes über die Finanzierung des Think Tanks oder wie immer man das bezeichnete. Erstmal nur Geraune über amerikanische Philanthropen und so was. Wahrscheinlich testweise, ob es nicht eine gute Vaterlandslosegesellengeschichte werden könnte. 

Und wahrscheinlich war es auch Zufall, dass dieses Raunen in diesen Umfeldern ungefähr zu einem ähnlichen Zeitpunkt begann, aber nie irgendeinen Zusammenhang damit hatte, als erstmals seit dem Regierungswechsel ein Entwurf einer Normsetzung vor der Abstimmung in den Expert*innen- und Ministerienkreisen auftauchte.

Ich stell nur Fragen. 

Als Kommunikator und jemand, der selbst vor allem als Kreativer Kampagnen entwickelt hat und um die Schönheit einer scheinbar zufälligen Gleichzeitigkeit von zunächst unverbundenen Elementen einer perfekten Orchestrierung weiß, stehe ich voller Bewunderung vor dem Beginn der Kampagne, der so perfekt war. Denn auch ich sprach irgendwann mit Menschen darüber, dass ich mich frage, ob sich ein persönliches Problem zusammenbraue, da ging es noch um etwas anderes allerdings, aber auch um ihn. Der Effekt war dabei, dass ein erster Zweifel gesät war, der das große Bild zu verschleiern half. 

Ich stell nur Fragen. 

Verständlich wird die Kampagne ja nur, wenn klar ist, wieso er. Und wieso jetzt. Wieso er so eine große Gefahr ist. Was damit zusammenhängt, dass diese Gefahr für die, die nicht konkret bedroht sind, so unspezifisch und erst unsichtbar war. 

Denn so wie vielen anderen war auch mir vor der Kampagne nicht klar, wieso sie sich so auf ihn fokussieren würden: weil jemand, der nach zehn Jahren leitend in einem Ministerium neun Jahre Zeit hatte, sich auf diesen Job im Detail vorzubereiten, eben mehr durcheinander bringen kann als jemand, die sich erst einarbeiten müssen. Und Expertise und Vorbereitung gefährlich sind. Weil sie etwas zu verändern drohen. 

Aber ich stell ja nur Fragen. 

8.5.23

Gutes Wetter

Und fällt immer wieder auf, wie sehr sich unsere Vorstellung von „gutem Wetter“ verändert hat, seit wir in Weidewirtschaft machen. Ja, so was wie Sonnabend mit 7 Grad und Feuchtigkeit, Regen war es dann ja irgendwie nicht mehr, finden wir auch nicht so cool. Das gleiche Wetter bei 10-15 Grad aber nennen wir „gutes Wetter“. Jedenfalls eher als 20 Grad mit leichtem Wind und null Regen über Tage im Frühjahr. Das ist kein gutes Wetter. Da wächst dann zu wenig, da vertrocknet zu viel. 

Darum sind auch unsere Emotionen dem Wetter gegenüber oft andere als die im Radio. Das sind ja meistens Menschen aus der Stadt, die sich über wochenlange Trockenheit bei strahlender Sonne freuen. Glücklicherweise finden unsere Pferde übrigens Regen und auch Kälte sehr viel besser als Sommer und Staub. Passen wir halbwegs zusammen. Und wenn wir sie zur Ausbildung ans Haus holen, können wir sie bei so mittelgutem Wetter durchs Fenster beobachten. 

Zwei Pferde im Garten durch das Fenster fotografiert


6.5.23

Irre oder dumm?

Tatsächlich frage ich mich in der letzten Zeit immer häufiger, ob unser Finanzminister irre, politisch panisch oder dumm ist. Jüngstes Beispiel ist diese Äußerung (zwar als "Team Lindner" gelabelt, aber in Varianten immer wieder gesagt, ich vermute, dass es auch hier eine Art Mitschrift einer Rede von ihm ist):

Tweet von Christian Lindner: "Bevor wir über soziale und ökologische Ziele in dieser Gesellschaft diskutieren, müssen wir uns vergewissern, dass unser wirtschaftliches Fundament funktioniert und dauerhaft stabil ist. Erst kommt das Erwirtschaften, danach kommt das politische Verteilen. TL #Dialogtour #JETZT"

Vorsichtshalber als Screenshot eingebaut, hier ist der Tweet zurzeit online. Was mich so irritiert an dieser Äußerung, ist, dass sie in sich komplett irre ist. 

Denn zum einen konstruiert sie einen Widerspruch, der keiner ist. Sie behauptet eine zeitliche Abfolge ("bevor"), die es nicht gibt – weil, einmal etwas verkürzt ausgedrückt, gerade so soziale und ökologische Ziele einer Gesellschaft ein dauerhaft stabiles wirtschaftliches (und politisches) Fundament schaffen. Mindestens aber hängen beide Dinge (wenn ich sie als getrennte Dinge betrachten will) doch direkt zusammen.

Und zum anderen hat das Mantra des zweiten Satzes exakt gar nichts mit dem ersten Satz zu tun - tut aber so, als ob es entweder den ersten Satz begründet oder ausführt, das ist etwas unklar sprachlich. Tatsächlich aber hat eine gesellschaftliche Verständigung über soziale und ökologische Ziele nichts (in Worten: gar nichts) mit "politischem Verteilen" zu tun. Sondern die Diskussion über gesellschaftliche Ziele kommt gerade VOR jeder Form von politischer Verteilung, da diese sich ja an jenen Zielen orientieren müsste, wenn sie nicht korrupt oder willkürlich ist. Sowohl wie wir etwas erwirtschaften als auch wie wir etwas verteilen, hängt doch gerade davon ab, wie wir uns als Gesellschaft organisieren (wollen), also welche "sozialen und ökologischen Ziele" wir uns geben.

Mal abgesehen davon, dass "Erwirtschaften" und "politisches (!) Verteilen" auch irgendwie logisch nicht wirklich zusammenpassen, offenbart die gesamte "Argumentation" (wenn ich so nett sein will, anzunehmen, hier hätten wir eine Argumentation) die logische Schwäche und ökonomische Inkompetenz von Lindner, die ihm ja seit Jahren von Wirtschaftsnobelpreisträgern immer wieder bescheinigt wird

Anzunehmen, Wirtschaften passiere im politisch luftleeren Raum und eine Gesellschaft könne sich ausschließlich unter dem Primat "der" Wirtschaft organisieren und Ziele geben, ist nicht nur in unserem Land verfassungswidrig – sondern auch der (akademische) Sonderweg einer kleinen Gruppe quasi ausschließlich deutscher Ökonom*innen. Außerhalb autoritärer und libertärer Außenseiter*innen in der internationalen Diskussion wird dieses ja außerhalb Deutschlands so gut wie nicht mehr vertreten. Das an sich wäre bereits irre. 

Zusätzlich ignoriert es aber auch den größten Teil der politischen und ökonomischen Diskussion seit Lindners Geburt. Und das klingt dann eher nach Panik oder Dummheit. Wobei ich nicht genau weiß, welche Erklärung ich mir eigentlich wünschen sollte.

Aber inhaltliche doch auch noch was zum ersten Satz, gerade weil er in seiner Logik so irre ist: Denn selbstverständlich brauche ich als Unternehmer ein "dauerhaft stabiles" Fundament für meine Entscheidungen und für die Chance, meinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Darum engagieren sich ja so viele Unternehmen und Unternehmer*innen für eine demokratische, befriedete Gesellschaft, die reale Zukunftschancen hat. Darum werden sie aktiv, nutzen ihre Reichweite, ihre Einkaufsmacht, ihre Entscheidungsmacht, um etwas dazu beizutragen, wie die Gesellschaft über soziale und ökologische Ziele diskutiert. Nicht umsonst sehen sich immer weniger Unternehmer*innen von ihren Verbänden und der FDP vertreten, deren ideologische Panik und ökonomische Dummheit ihnen real und jeden Tag schadet.

5.5.23

Freizeitstress

So ein Landleben hat genau so einen Freizeitstress wie das Leben in der Stadt. Diese Woche beispielsweise, diese kurze, werden wir nicht einen Abend zusammen verbracht haben. Dienstag war Männerstammtisch. Mittwoch Feuerwehr. Gestern Frauenstammtisch. Heute Vorstand des Kulturvereins. Und nächste Woche geht es weiter: erst Gemeindevertretung, später noch Ortsverbandsmitgliederversammlung der Partei. 

Wie Mrs Bennett so empört feststellt in Stolz und Vorurteil: Eintönig? Das Leben auf dem Land ist doch nicht eintönig. 

Das stimmt. 

Gestern habe ich Spagetti mit Kartoffeln und Pilzen gekocht. Heute wird es ein Pilzrisotto geben. Und letztes Wochenende lag erstmals nur ein Stück Fleisch auf dem Grill. Sonst Käse und Veggiburger und so. Auch alles wie in der Stadt. Nur ohne den anderen Stress der Stadt. Nämlich. 

4.5.23

Morgengang

Ich mag jede Jahreszeit. Seit ich aber mit Klima, Wetter und dem Land lebe, seit ich jeden Morgen nicht nur die Tiere versorge, sondern die Herden kontrolliere, seit mein Morgengang drei Kilometer über die Wiesen ist - seitdem liebe ich am Frühling, dass jeder Morgen anders ist. 

Den einen Tag beginne ich mit einer Sonne, die schon Kraft hat. Den nächsten mit Wolken vorm Mund und eisigen Fingern. Am einen Morgen zieht der Nebel durchs Moor. Den anderen liegen die Junghengste entspannt auf dem Heu. Und am dritten sind die Weiden weiß vor Raureif. Da ist der Tag, an dem es Bindfäden regnet und nicht richtig hell ist. Und der, an dem es nach Sommer riecht. 

Und an der Senke, wo sich dieser natürliche Teich bildet, riecht es immer nach Fuchs. Wie gut, dass die Hühner eine Wohngemeinschaft mit den Ziegen bilden. 

Unsere Weiden im Morgennebel


3.5.23

Korruption

Es gibt ja zwei Gelegenheiten, zu denen ich alles über Korruption, Vermeidung von Korruption und Vermeidung des Anscheins von Korruption gelernt habe. Ob es noch andere gibt, weiß ich nicht. Aber beides sind Dinge, die (denke ich, zumindest für die, die nicht an sich Böse sind) künftige Korruption und vor allem die Grauzonen wie so genannte Vetternwirtschaft (gibt es dafür eigentlich ein modernes, für jüngere Menschen verständliches Wort?) relativ zuverlässig verhindern. Und wenn ich beide Gelegenheiten nicht hatte, ist das vor allem in den Naivität geschuldeten Fällen wahrscheinlich ein echtes Problem.

Das eine ist die Arbeit in einem internationalen Unternehmen, das seine Ethik-Standards aus den USA bezieht. Denn während viele Menschen, die sich gerne unwidersprochen widerlich benehmen wollen, oft sagen, Deutschland sei ja so schlimm und korrekt und so was, ist das nichts – in Worten: nichts – im Vergleich zu Kulturen, die von Achtsamkeit oder von hohen Strafen für widerliches Verhalten geprägt sind. In jedem US-Unternehmen, in dem ich war, sind ausführliche, jährliche Ethiktrainings und Antikorruptionstrainings Pflicht für alle Mitarbeiter*innen. Und vor allem in den Antikorruptionstrainings lernen Deutsche dann, dass vieles, was wir als völlig normales Verhalten empfinden, eigentlich schon mindestens auf halbem Weg in die Korruption ist. So wie auch nur befreundet zu sein oder mal zusammen Handball gespielt zu haben, angezeigt werden muss, wenn ich mit jemandem als Lieferant*in oder so was zusammenarbeiten will. Sonst ist das Korruption. Lernten wir alle in den Trainings dieser Unternehmen.

Das andere ist Kommunalpolitik. Weil direkt und unmittelbar vor Ort jede jeden kennt irgendwie, achten alle gemeinsam sehr darauf, dass niemand über irgendwas bestimmt, das dann zu eng an ihnen dran ist. Verwandt (was ja auch sehr oft der Fall ist auf dem Land) geht gar nicht. Bei sehr vielen Entscheidungen in kommunalpolitischen Gremien, Ausschüssen etc. ist immer irgendjemand befangen und geht raus und diskutiert nicht mit. Auch kommunalpolitisches Engagement ist also eine gute Schule dafür, nicht einfach durch Nicht-Nachdenken und Freundlichkeit auf abschüssige Pfade zu kommen.

Wenn ich beide Gelegenheiten nicht hatte, muss ich wahrscheinlich irgendwie anders an so Trainings kommen. Denn der "normale" (jaja, geht gar nicht das Wort) "gesunde" (auch das geht gar nicht, ich weiß) Menschenverstand reicht in unserer traditionell von Abhängigkeiten und Gefälligkeiten geprägten Kultur eben gerade nicht aus, um hier die richtigen Leitplanken für das eigene Verhalten zu finden. Finde ich interessant.

Aber zum Schluss noch was Schönes. Islandpferdeparadies sozusagen.

unser Hund vor der Stutenherde auf der hügeligen Weide in der Morgensonne


2.5.23

Sonne

Ich hatte mir so fest vorgenommen, dass ich keine Sonnenbrände mehr bekomme. Dass ich mich immer richtig eincreme. Und doch habe ich es an den ersten Tagen, an denen die Sonne richtig Kraft hat, wieder geschafft. Ich glaube, es ist der Wind.

Denn ja, es war richtig warm am langen Wochenende. Und ja, ich konnte endlich im T-Shirt auf den Weiden arbeiten, den Zaun fertig stellen, die Stromversorgung aufbauen, die Pferde umweiden, die Deckweide einrichten, die Zuchtstuten auf die Sommerweide treiben. Und so weiter. Und wieder habe ich nicht gemerkt, wie stark die Sonne ist, weil es schön, warm aber nicht zu warm war. Und der leichte Wind, der bei uns an jeder Stelle geht, die Haut wunderbar gestreichelt und gekühlt hat. 

Also sehe ich jetzt aus wie früher nach den ersten Tagen Strandurlaub, als ich so was noch machte. Oups. Nicht gut. Ab zweiter Tageshälfte Sonntag war ich dann mit der tollen Anti-Aging-50er-Sonnendings der Liebsten eingecremt. Viel besser.

Beschweren will ich mich aber nicht. Die Sonne tut ansonsten wirklich gut. Uns allen hier. Und nächstes Jahr denke ich bestimmt auch am ersten Tag dran. 

30.4.23

Haustür

Guten Tag, ich möchte mit Ihnen gerne über Politik sprechen.

Wenn andere Menschen von der Idee des Haustürwahlkampfes hören, denken sie sofort an die Zeugen Jehovas. Für euch getestet. Und das Ungebetene, Überfallartige ist ja auch ähnlich. Selbst wenn die Forschung sagt, dass es das Erfolgreichste in Wahlkämpfen überhaupt ist. Zwei bis drei Prozentpunkte Unterschied kann es machen in einer Gegend. 

Trotzdem trauen sich das die Wenigsten. Es ist unangenehm. Mir auch. Aber in so personalisierten Wahlen wie der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, wo ich keine Parteien wähle, sondern drei Personen im Wahlkreis, wobei die Stimmen dann den Parteien zugeordnet werden, in so personalisierten Wahlen also ist es dennoch wichtig, dass die Menschen einen kennenlernen. 

Gestern wollte ich also an Haustüren. Und merkte, dass ich es doch übergriffig finde, einfach zu klingeln. Die Mischung aus leicht introvertiert und norddeutsch steht mir da im Weg. Aber: bei schönem Wetter in Dörfern unterwegs zu sein, heißt dann auch: viele sind im Garten/auf dem Hof. Habe also trotzdem mit vielen Wähler*innen geredet. Das war total schön, finde ich. Und in den anderen Häusern „meiner“ sieben Dörfer unser Programm und meine Vorstellung eingeworfen. Erstaunlich wenige haben hier glücklicherweise ein Werbeverbotsschild am Briefkasten.

Screenshot der Wahlkampfapp der Grünen: Karte, auf der ich die Haustüren eintragen kann.
Was ich zum ersten Mal beim Verteilen und Sprechen genutzt habe, ist die Wahlkampfapp meiner Partei. Inklusive Gamification-Ansatz. Zumindest theoretisch, wenn nicht immer noch Mecklenburg angezeigt würde. Naja. Aber ich kann die offenen und geschlossenen Türen dokumentieren, die ich aufsuchte. Da kamen einige zusammen. 

Jedenfalls habe ich einige gute Gespräche geführt und das eine oder andere Mal auch diskutiert. Über Tempo 30. Über Heizung. Und viel Freundlichkeit erlebt. Und heute Abend gab es dann Spargel von einem meiner potenziellen Wähler. Mit Kartoffeln von einem Konkurrenten für die Gemeindevertretung. Lecker.

28.4.23

Antwort auf einen offenen Brief (Kommunalwahl)

Am letzten Wochenende hatten drei Familien aus unserer Gemeinde einen offenen Brief an Gemeindevertreter*innen, Bürgermeister und Medien geschrieben, in der sie ihrer (wie ich finde: verständlichen) Enttäuschung Luft machten, wie fahrlässig unsere Gemeinde damit umgegangen ist, dass es erheblich zu wenige Kindergartenplätze gibt – während gleichzeitig immer mehr Grundstücke für Familien verkauft und dann bebaut werden. Weil ich im Ausschuss war, in dem das Problem mal wieder nicht gelöst wurde, habe ich den Familien offen geantwortet. Hier einmal dokumentiert.

27.4.23

Zwischen den Welten

Ich würde nie so weit gehen zu behaupten, dass ich mich mit Digitalisierung auskenne. Mit digitaler Kommunikation bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich ja. Damit, was ein digitaler Lebensstil und eine Freude an digitalem Experimentieren und Erzählen für Kreativität bringt, sicher. Aber auch ohne Digitales wirklich zu verstehen, empfinde ich eine fast kindliche Freude, wenn meine verschiedenen Lebenswelten zusammenfinden: Mein Faible für Digitales, mein jahrzehntelanges Eintreten für die Energiewende – und mein ländliches Leben und Arbeiten als (inzwischen nebenberuflicher und nicht nur Hobby-) Landwirt und Pferdezüchter. 

Gerade rund um neue Energien kommt da viel zusammen. Seien es virtuelle Kraftwerke, mit denen ich mich beruflich beschäftige. Das Verstehen von Strom und Speichern durch jetzt jahrelange Erfahrung mit E-Mobilität. Oder die Planungs- und Rahmensetzungsfragen, mit denen ich in der Gemeindevertretung meiner Dörfer konfrontiert bin. Besonders faszinierend finde ich, wie immer mehr Sensorik und Internet-of-Things-Dinge bei meinen Nachbar*innen in ihren Alltag als Landwirt*innen einziehen. Oder wie immer mehr Nachbar*innen "Landwirtschaft" anders verstehen, nicht mehr nur als Lebensmittelproduktion, sondern auch als Klimaresilienzarbeit und als Energieernte. 

große Landmaschine (Mähdrescher) unter Solaranlage auf Stelzen

Mit denen kann ich über so tolle Ideen wie Agrivoltaic sprechen. Und sie verstehen sofort alle Teile davon, mehr als ich. Guckt euch das mal an, was ich da verlinkt hab, super. Ja, so weit sind wir hier noch nicht, vor allem des Baurechts wegen (wovon ich im Außenbereich ein Lied singen kann), aber wegen so was macht es Spaß, auf dem Land politisch aktiv zu sein. Da kannste wirklich noch was ändern und bewegen. 

26.4.23

Ein Ende nach über zwanzig Jahren

Quarta bei der Einschulung

Gestern war der letzte richtige Schultag, den ich als Vater miterlebt habe. Nach über zwanzig Jahren geht Schule zu Ende. Quarta hat das Pech, dass es immer sie trifft. Das Ende der Kindergartenzeit. Das Ende der Grundschule für alle. Und jetzt das Ende der Schule (also der Schule, die mich als Eltern betrifft, denn die Berufsschule war bei Secundus und Primus irgendwie anders und wird bei Quarta auch anders sein).

Fast jeden Schultag die letzten über zwanzig Jahre habe ich Schulbrote geschmiert, das war nicht nur meine Aufgabe, sondern das habe ich auch wirklich gerne gemacht. Ja, ich habe immer wieder mit den retournierten Pausenbroten gehadert (wo ist eigentlich das Tumblr-Blog hin??), aber ich habe es treu gemacht. Und seit jenem Blogtext, ich glaube von Frau Antonmann, als es das Blog noch gab, seit jenem Blogtext auch gerne, in dem sie davon erzählte, dass sie sich noch immer gerne daran erinnert, wie ihr Vater ihr jeden Tag stoisch das Pausenbrot gemacht hat und es sie darum heute mit ebensolcher Stoik macht. So wie ich seit dem Tag. Was haben wir experimentiert, damit häufiger mal was gegessen wird davon. Oft hat das auch geklappt, irgendwie.

Jedenfalls eine absurde Situation. Heute die zweite schriftliche Prüfung, dann eine Woche später noch eine, dann nur noch einmal die Woche zwei Stunden im Fach der mündlichen Prüfung, es trudelt irgendwie so aus, komischerweise. Aber es ist vorbei. In diesen Minuten beginnt Quarta, die Prüfung zu schreiben. Drücken wir ihr die Daumen.

Wahrscheinlich bin ich jetzt offiziell alt. Und ein bisschen wehmütig bin ich auch. Tatsächlich. Denn es hat den Tagesanfang so schön strukturiert. Und es hat dem Leben und dem Jahr einen Rhythmus gegeben. Und nun haben wir alle vier Kinder durch die Schule gebracht, die haben es überlebt, mehr oder weniger gut, wir haben es überlebt, ziemlich gut. Kein Elternabend mehr für mich. Wie soll ich Twitter jetzt ertragen?

25.4.23

Es geht los

Dies ist die Zeit im Jahr. Wenn es gerade anfängt. Und die ersten leichten Aromen wie Honig an der einen oder anderen Stelle überraschend herwehen. Ein paar Tage noch – dann ist das Gold des Nordens da. 

Eine erste Rapsblüte im grünen Feld

Und dann fahre ich mit dem Rad in die Kleinstadt und ein leichter warmer Hauch vom ersten Raps streift mich. Meistens ist der Wind stärker, aber wenn er ein paar Sekunden pausiert, ahnen wir schon den Mai, diesen wunderbaren Monat hier bei uns in der Nähe der Ostsee. 

24.4.23

Erster Sonnenbrand

Meine Beine und Füße und ein Teil des Strandkorbs und der Blick auf den noch nicht so grünen Garten.

Wenn nicht der Wind gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich gemerkt, wie groß die Kraft der Sonne bereits war. So hatte ich vergessen, Sonnencreme aufzulegen, als sie im Laufe des Tages richtig rauskam. Viel geschafft, viel gegrillt (einige neue Sorten Grillkäse ausprobiert), viel geritten, ein bisschen Rad gefahren.

Und im Strandkorb gesessen. Auch, wenn die Kirsche über mir es trotz Sonne immer noch nicht geschafft hat.

Kirschbaum, der über mir ist, aber die Blüten sind immer noch nicht ganz geöffnet.



22.4.23

Ich verstehe es wirklich nicht

Auf einmal, zum ersten Mal, versucht Politik zur CO2-Reduktion etwas, das ganz direkt mit Menschen und ihrem Leben zu tun hat. Insofern kann ich taktisch nachvollziehen, wieso die Opposition innerhalb der Regierung hier eine Kampagne begonnen hat. Und nenne es naiv, dass andere davon überrascht wurden. So weit, so klar. 

Was ich nicht verstehe – und ich bin mit allgemeiner Medienschelte eher nicht so schnell –, ist, wieso es fast allen Medien so schwer fällt, von dieser Kampagne wieder zurück zur faktenbasierten Kommentierung zu kommen. Verstehe ich wirklich nicht. 

Morgens bei der Hofarbeit höre ich ja meistens Deutschlandfunk. Und finde die Presseschau total hilfreich. Erschreckt hat mich, als diese Woche immer wieder (und ja, es kann natürlich sein, dass es an den Redakteur*innen des DLF lag, die nur so was rausgesucht hatten) die gleichen Fakesorgen wiederholt wurden, die in der Zwischenzeit von Handwerksinnungen, -kammern und so weiter widerlegt worden waren. 

Sehr lustige Interviews dazu gab es auch, wo die Moderatorin davon ausging, dass ihr Gesprächspartner aus Handwerk oder Industrie ihr sagen wird, dass das alles gar nicht geht mit den Wärmepumpen – und das nicht passierte. Ähnlich wie, ebenfalls diese Woche, als der Betriebsratschef der größten Stahlherstellerin partout nicht sagen wollte, dass das Ende der Atomkraft ein Problem sei. 

Wie kommt diese unglaubliche Lust am vorauseilenden Scheitern? Oder diese falschen Behauptungen auch jenseits der Hetzmedien, worum es beim Gebäudeenergiegesetz geht? Was ist so schwer daran zu verstehen, dass nach asbesthaltigen Heizungen jetzt eben rein fossile Heizungen nicht mehr angeschafft werden dürfen?

Wie kommt diese unglaubliche Lust am faktenaversen Horror? Wie die wahrheitswidrige Behauptung, Heizungsanlagen müssten komplett umgebaut werden? Es könnten die alten Anlagen mit hoher Vorlauftemperatur nicht mit Wärmepumpen genutzt werden? Das stimmt einfach nicht, guckt mal nach Schweden oder Norwegen. 

Vielleicht mal ein Beispiel aus unserer Planung: wir bewohnen ja ein Bauernhaus von vor 1900. Seit wir einen Teil umbauten, haben wir für den Teil eine Isolierung, die Standard für Um- und Neubau ist, aber das Haus wurde nie energetisch saniert. Es hat eine klassische Heizungsanlage mit einer so genannten Feststoffheizung und Pufferspeichern aus Ende der 90er. Wir verbrennen also Holz. Nicht geil. 

Die Planung sieht nun genau das vor, was auch vor GEG angestrebt wird: eine Mischung. Also für die meisten Tage eine Wärmepumpe (für maximal 60 Grad Vorlauf, eher etwas weniger). Und für die wenigen Tage, die richtig kalt sind, eine Unterstützung durch die bestehende Holzscheitheizung. Alternativ hätten wir auch mit zwei Wärmepumpen arbeiten können. Aber das könnten wir nicht wirklich bezahlen. Vor allem aber können wir – wie quasi alle – die alten Leitungen und Heizkörper weiter nutzen. Dämmung wäre irgendwann sinnvoll, ist aber keine Voraussetzung für irgendwas. Die CO2-Reduktion ist deutlich größer, wenn wir erst die Heizung umstellen und später dämmen als andersrum. War uns auch nicht klar. 

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es nicht halb so kompliziert ist, wie die meisten denken. Und ob wir eine Wärmepumpe wollen oder eine andere Leistung unseres Handwerksbetriebs, macht keinen Unterschied. Zeit haben die so oder so nicht sofort. 

21.4.23

Inspiration

Tatsächlich bekomme ich ja aus sehr vielen Quellen Inspiration. Da eine meiner Superkräfte ist, auf Anforderung große Ideen zu haben, bekomme ich relativ oft die Frage, wo die herkommen. Und die Antwort darauf ist gleichzeitig simpel und kompliziert. Darum kommt jetzt auch keine (ganze). 

Sondern nur ein Teil. Der damit zu tun hat, dass ich gestern in der großen Stadt war. Und die Fahrt für konzentriertes Schreiben an einem Konzept genutzt hab, bevor ich Menschen traf, die mich anregen. 

Denn es ist wirklich so, dass Gespräche, für die ich mir mehr Zeit nehme und die vordergründig keinem Ziel dienen, beim Sprechen und beim Nachhallen sehr viele Verknüpfungen in meinem Hirn aktivieren, die es für Ideen braucht. Mund und Hirn und ein Tischtuch sind bei mir eng verbunden. 

Ist das schon Flow? Weiß ich nicht. Vor allem ist es Inspiration. Denn ein Teil meiner Inspiration kommt von Menschen. Und ein anderer von harter körperlicher Arbeit auf unserem Hof. Und den morgendlichen Gängen zu den Pferden. 

Blick auf einige Weiden und unsere zwei Aufzuchtherden

20.4.23

Solidarität

Ich gehöre ja noch zu einer Generation, in der Solidarität wichtig war. Politisch heißt das, auch solidarisch zu sein, wenn ich persönlich beispielsweise eine Protestform nicht richtig finde oder – weit häufiger – nicht selbst machen würde. So wird es von mir keine "Distanzierungen" von robusteren Gruppen in solchen widerständigen Demonstrationen geben, deren Anliegen ich teile. Oder aktuell von der Letzten Generation. 

Wobei das sogar ein Grenzfall für diese Haltung ist, weil ich etliche der Protestformen dieser Gruppe für sinnvoll und zielführend halte, aber darum soll es jetzt gerade einmal nicht gehen von mir aus. Sondern darum, dass ich dadurch sehr schlecht beurteilen kann, ob sie in dem, wie sie erklären, was sie tun, gut sind oder nicht. 

So ging es mir gestern früh mit dem Interview mit Clara Hinrichs im Deutschlandfunk (ich wollte das hier einbetten, aber entweder da geht nicht mehr beim DLF oder ich bin zu blöd, den Einbettcode zu finden, müsst ihr also dem Link folgen, falls ihr es hören wollt). Mich haben das, wie Hinrichs da argumentiert, und die Emotionalität bei den persönlichen Fragen beeindruckt. Das fand ich überzeugend, und da waren auch für mich gute Argumente für kommende Diskussionen über die Letzte Generation.

Aber was ich mich frage: Geht das auch Menschen so, dass die Aktionsformen der Letzten Generation deutlich kritischer sehen oder ablehnen? Ich erlebe ja durchaus, wie Menschen, die auch politisch für Klimapolitik einstehen, auch für "richtige" Klimapolitik, dennoch mehr als irritiert sind von der Letzten Generation. Also nicht die, die aggressiv werden oder mit Tritten und Schlägen und Knast drohen, sondern "unsere" Leute, die das ablehnen. Überzeugt euch das Interview? Oder findet ihr es zumindest bedenkenswert? Oder abstrus?

Politisch bin ich in dieser Frage ja eher bei Friedemann Karig und seiner Einschätzung, dass es kommunikativ hilfreich ist, wie und was die Letzte Generation macht. Und darum auch überproportional offen für ihre Argumente. Und ohnehin solidarisch. Wie geht euch das?

19.4.23

Neues Leben

Die Fohlen brauchen noch ein paar Wochen. Anfang Mai ist die erste Stute dran, die anderen beiden werden im Laufe des Mai folgen. Wobei das bei Pferden ja immer so eine Sache ist. Letztes Jahr war es zum Termin, zu dem das Fohlen "fertig" sein sollte, so kalt, dass sie gemeinsam noch vier Wochen gewartet haben. War vielleicht auch gut, die beiden sind groß und kräftig, für Jährlinge wirklich.

Aber es geht trotzdem los mit dem neuen Leben auf dem Hof. Die Henne, die die letzten Wochen überwiegend verschwunden war (weshalb ich mir schon dachte, dass sie irgendwo gut versteckt brütet) kam nun mit neun Küken um die Ecke. Mal sehen, wie viele sie davon durchbringt.

Es sind nicht neun Küken zu sehen, sondern einige verstecken sich. Aber jedenfalls die Glucke mit ihren Kükem im Unkraut.


18.4.23

Grünes Bosau (Kommunalwahl)

Bisher habe ich mich ja vor allem in Eutin, also in der Kleinstadt, in deren Nähe ich wohne, politisch engagiert und dort bin ich auch Mitglied der Grünen vor Ort. Vor allem, weil mir die Offenheit gefällt und wie wir dort gemeinsam Politik und Wahlkämpfe gestalten. Den erfolgreichen Wahlkampf für den tollen grünen Bürgermeister Sven Radestock im letzten Sommer zu entwickeln und zu gestalten, hat irre Spaß gemacht.

Bei der Kommunalwahl am 14. Mai 2023 kandidiere ich aber in meiner Heimatgemeinde Bosau, zu der das Dorf gehört, in dem wir leben, auch, wenn es viel dichter an Eutin ist als an den anderen Dörfern der Gemeinde. Es sind einige "neue" dabei, so wie ich auch, vor allem unsere Spitzenkandidatin ist mega. 

Wir sind angetreten, in unserer Partei echt was zu ändern hier vor Ort, so dass es wieder Spaß macht, dabei zu sein. Und wir können auch in den Dörfern unserer Gemeinde was bewegen. Weil endlich Menschen mitmachen, die was bewegen wollen. Darum habe ich auch am Wahlprogramm für unsere Gemeinde mitgeschrieben und mache in meinen Dörfern Wahlkampf. Das hier ist das Programm:

 

Wahlprogramm: Grünes Bosau

Kommunalwahl in Schleswig-Holstein funktioniert so, dass es zwar Listen der Parteien gibt, aber zu wählen eigentlich Personen in den Wahlkreisen sind. Für uns kleinere Parteien (bisher war nur die CDU eine große Partei) heißt das dennoch, dass die Plätze in der Gemeindevertretung vor allem über die Liste vergeben werden. Aber in "meinem" Wahlkreis will ich es dennoch versuchen, eines der Direktmandate zu bekommen. Dafür legen wir in dem, was wir an den Haustüren verteilen werden, ein Extrablatt bei (in den anderen Wahlkreisen auch, wenn die Kandidat*innen das wollen). Das hier:

Bewerbung Wahlkreis 3 in de...

17.4.23

Umschlagplatz

Es hat gar nicht so lange gedauert, bis ich fester Bestandteil des Marktes in der Kleinstadt wurde. Schon nach wenigen Wochen hatte ich Kredit am Käsestand, aber da lasse ich auch ziemlich viel Geld, jede Woche. 

Als wir aufs Land gegangen sind, habe ich meinen Wunsch seit fast dreißig Jahren wahrgemacht, wieder sonnabends auf den Markt zu gehen. Das war als Kind und Jugendlicher meine Aufgabe, aber das ist noch mal eine andere Geschichte. 

Seit ich politisch aktiv bin (ich hab ja den Bürgermeisterwahlkampf in der Stadt dort entwickelt und gestaltet, und bin jetzt in der Gemeinde rund um die Stadt dort in der Gemeindevertretung, noch bis Mitte Mai), ist der Markt aber noch mehr geworden. Weil ich mehr Leute kenne. Endlich erlebe ich Markt so, wie er eigentlich gehört: als Umschlagplatz für Informationen, Ideen, Gerüchte, Entschuldigungen, alles. 

Jede Woche einen Snack mit den beiden Marktbeschickern, die in meiner Gemeinde auch politisch aktiv sind. Mit gemeinsamem Stöhnen über die Alten und Verhärteten in unseren jeweiligen Parteien. Mit Ideen, die wir unverbindlich austauschen. Und Fragen, die wir uns stellen, einmal abseits der Gremien, eben auf dem Markt. 

Jede Woche ein kurzer Austausch mit ein oder zwei, die in Stadt und Kreis aktiv sind. Einmal wenigstens wissend zunicken mit der Reporterin der Lokalzeitung. Einmal fachsimpeln mit einem der anderen Landwirte. 

Und dann schnell zum Frühstück nach Hause. 

15.4.23

Erste Farben

Ich mag jede Jahreszeit. Aber die ersten Farben auf dem Hof, die mag ich besonders. Hier im Norden regnet es ja gerade nicht durch. Der Vorteil des leichten Windes. Und lustigerweise ziehen auch die Regengebiete zumindest tagsüber oft an uns vorbei. Die Seen, zwischen denen wir liegen, tun uns gut. Nachts regnet es auch gerade genug. 

Jedenfalls Farben. Wunderbar. 




14.4.23

Sauna is ready

Jedes Haus haben wir um die Sauna herum gebaut. Auch das allererste, sehr kleine, als wir noch richtig jung waren. Denn zu unserem großen Glück lieben wir beide die Sauna. Und kannten schon als Kinder dieses Baden aus unseren Herkunftsfamilien, so unterschiedlich die sonst auch waren. 

Als ich damals, wahrscheinlich 2007, mit Twitter anfing, habe ich auch angefangen, zu sagen, wenn ich in die Sauna ging. Es war und ist Teil meines Living Out Loud. Die Chefin unseres italienischen Teams wusste nun immer, wenn ich in die Sauna ging. Das fand sie lustig. 

Dann checkte ich immer ein in der Sauna. Und seit sehr vielen Jahren bekomme ich immer von der gleichen ein Like dafür. Und ich like ihr Einchecken auf der Laufstrecke. Ist das schon Freundschaft?

Das Steuerelement meiner Sauna. 89 Grad heiß.

Heute schreibe ich es weiter in mein Living Out Loud. Das ist nur nicht mehr bei Twitter, weil die Umweltzerstörung dort zu weit fortgeschritten ist. Fediverse is it. Vielleicht auch irgendwann Substack. 

Gestern war ich in der Sauna. Aber das wisst ihr ja schon. 

13.4.23

Ratten

Also eigentlich ist der Titel dieses Textes brutal falsch und mies und ich distanziere mich ausdrücklich von ihm. Darum habe ich ihn gewählt. Denn es war ein wichtiger Teil dessen, wie die Nazis in den späten 20ern und den frühen 30ern die Zustimmung der konservativen Mehrheit der Deutschen organisierten. Indem sie von Ratten und Läusen und Asozialen und Arbeitsscheuen fabulierten. Also unter anderem. 

Diese Woche war ich in unserem Dorf in einem Vortrag in unserem Kulturverein, in dem der Leiter der Gedenkstätte Ahrensbök über die frühen Jahre der "Zustimmungsdiktatur" hier im Landkreis erzählte. Denn was ich nicht wusste: Hier, im Landesteil Lübeck des Fürstentums Oldenburg (was unsere Gegend bis zum Großhamburggesetz 1937 war), hatte die NSDAP die absolute Mehrheit in Wahlen gewonnen, lange bevor die Konservativen sie in die Reichsregierung brachten. Hier wurde mit dem ersten Nazi-Regierungspräsidenten, der aus meinem Dorf stammte, schon mal die kommende Diktatur eingeübt, schon 1932 die SA zu Hilfspolizisten gemacht, ausgetestet, wie weit sie gehen konnten, ohne die Zustimmung der Menschen zu verlieren. Ergebnis: sehr weit. 

Was, wie wir heute recht genau wissen, zu der großen Zustimmung geführt hat und dazu, dass die ersten frühen Konzentrationslager mitten in den Kleinstädten unter den Augen der Menschen eingerichtet werden konnten, von denen alle wussten, war, dass die Nazis eben an die Mehrheitsmeinung ("das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen") mit ihren Ängsten und Hoffnungen anknüpfen konnten. Und weil es quasi keine organisierte Arbeiter*innen-Bewegung gab hier im bäuerlich und handwerklich geprägten Land, gab es auch keine Widerstände. Der örtliche Frauenarzt war der Chef der NSDAP, die Kirche hart antisemitisch und chauvinistisch, die Intellektuellen für die harte Hand gegen – eben – die Ratten, Läuse, Arbeitsscheuen, Asozialen. Hier bei uns brauchten die Nazis die Konservativen nicht als Koalitionspartner*innen. Hier wählten die Konservativen die Nazis direkt. Und stimmte die überwiegende Mehrheit der Menschen dem Kurs von "Latten-Böhmcker" zu und war von ihm begeistert.

Daran musste ich heute denken, als ich über die in der "Zeit" dokumentierten politischen Positionen von Springer-Chef und -Mitbesitzer Matthias Döpfner las (Text hinter der Paywall. Auszüge hat der Spiegel abgeschrieben und ebenfalls hinter seine Paywall gestellt, was schon ein ziemlich rattiges Verhalten ist, weshalb ich es nicht verlinke). Nichts davon überrascht jemanden, die sich mit der Zustimmung der konservativen Mehrheit zu den Nazis beschäftigt haben. Weshalb die Forschung ja von den 30ern als Zustimmungsdiktatur in Deutschland spricht.

Wer einmal mit Menschen aus der Schicht von Döpfner in einer Form zusammen war, in der sie dachten, unter sich zu sein, wird nie wieder überrascht sein, nur entsetzt und verängstigt, wenn mal wieder so was wie die wirkliche Überzeugung dokumentiert wird. So ging es mir mehrfach seit 2015. Seid nicht so naiv, zu glauben, dass ein signifikanter Teil der akademisch gebildeten ökonomischen Führungselite dieses Landes bereit wäre, die liberale Demokratie zu verteidigen, wenn ein autoritäres System ihren Interessen dient. Denn darum findet Döpfner ja den Klimawandel prima. Er nutzt ihm.

12.4.23

Einkaufen

Es ist ja wirklich witzig. Seit ich wieder im dem Bloggen beginne, lese ich auch wieder mehr Blogs, also gezielt und nicht nur zufällig, weil der Link durch den Stream bei Mastodon rauscht, und kommentieren wieder mehr Menschen hier und ich bei ihnen. Und inspirieren mich deren Geschichten.  

So wie gestern beim Herrn Buddenbohm. Was mich wiederum dazu bringt, die Geschichte mit Holtex auch hier einmal zu erzählen, die ich dort kommentierte. Denn für Anzüge für den Sohn zu seiner Hochzeit und die Tochter zu ihrem Abitur fahre ich zwar in Herrn Buddenbohms Stadtteil zu Policke. Wird im Mai so weit sein. Aber nachdem mal wieder ein Händler die Bestellung storniert hat, weil er den Wollmantel partout nicht an meine Hausnummer schicken wollte, weil er die weder fand noch glaubte, aber das ist noch mal eine andere Geschichte, muss ich wohl mal wieder offline einkaufen, obwohl unser kleines lokales Kaufhaus seit einiger Zeit zu hat, weil es, anders als die anderen kleinen Kaufhäuser in unserer Gegend, über Jahre unbedingt die gleichen Fehler machen musste wie die großen in den Städten.

Holtex also. Ein Laden, der so aussieht, wie er heißt. Im runtergerockten Betonklotz hinter dem Parkplatz am Rande dessen, was in Eutin „Innenstadt“ heißt. Die ersten Jahre bin ich nicht rein, weil schon die Auslage so hinreißend uninspirierend ist. Um für meine Großmutter, als sie im Pflegeheim war, etwas einzukaufen, kam er uns dann irgendwie richtig vor, so von der Anmutung. Seitdem bin ich da oft.

Denn der Laden ist mega und völlig überraschend. Zunächst schon, weil ich mich sofort an meine Kindheit erinnere. Hin und wieder waren wir im C&A in Wandsbek, da auf der Ecke Brauhausstraße, schon lange weg. Meine irre silberne Übergangsjacke war von dort, die ich mit vollem Köperflüssigkeits- und Lautstärkeeinsatz bei meiner Mutter durchsetzte. Und Holtex, vielleicht ist das allerdings unfair und es stimmt nicht, aber so fühlt es sich für mich an, Holtex präsentiert seine Waren so, wie ich es von C&A in den 70ern zu erinnern glaube. Da liegt sogar noch Teppich, kurzer Flor. Es riecht sogar irgendwie genau so, bilde ich mir ein.

Am besten ist aber, dass ich da wirklich Dinge finde, die ich suche. Gar nicht nur Omamode. Wobei Omas heute ja auch keine Omamode tragen. Aber das ist eine andere Geschichte. Hemden, Jeans, Anzüge, Wäsche, sogar Nachthemden, die für Männer ja wirklich nicht leicht zu bekommen sind. Neben dem Zahnradaufzug, an dem die Anzüge auf dem Bügel durch das Loch von oben nach unten zur Kasse transportiert werden, und den ich so auch seit Jahren sonst nicht mehr gesehen habe, sind es vor allem die vielen Menschen, die dort arbeiten. Die jüngsten in meinem Alter, alle mit viel Erfahrung. Das ist sehr angenehm. Auch, weil sie nicht dumm rumschnacken. Und weil Anzüge bei Anzügen hängen und Hosen bei Hosen, nicht dieses alberne, völlig dysfunktionale Sortieren nach Farben oder Marken oder so, das mich zwingt, mich jedes Mal in einem Laden neu zu orientieren. Das ist übrigens bei C&A auch bis heute noch so, was ich sehr gut finde und was mich diesen Laden hat wiederentdecken lassen neben der Bio- und fairen Baumwolle und den Jeans mit Recyclinganteilen. 

Jedenfalls hoffe ich sehr, dass die Menschen, die sich trauen zu Holtex reinzugehen, nicht alle bald sterben und dass es auch andere junge Leute wie ich ausprobieren, denn es wäre doch sehr schade, wenn es die noch zu meinen Lebzeiten nicht mehr geben würde.