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25.6.23

Kindheitssommer

Als ich heute früh durch das trockene, noch halbwegs hohe Gras ging, rüber auf die Weiden, auf denen die Zucht- und Aufzuchtherden stehen, nervten mich einige Fliegen sehr heftig. Die um meinen Kopf schwirrten, immer wieder in Sturzflügen auf meinen schon um halb acht verschwitzten Nacken sausten, an den Ohren haarscharf vorbei. 


31.5.23

Gerste

Jetzt ist ein bisschen Ruhe vor dem Sturm. Die ersten Silageschnitte sind drin, das erste Pferdeheu ebenfalls. Der Raps ist verblüht, die Ackerbohnen und selbst der Mais machen die letzten Flächen langsam grün. Und das Wintergetreide dominiert das Bild. 

In dieser Zeit, im Übergang von Frühling und Frühsommer, liebe ich vor allem die Gerstenfelder. Bei der Fahrt übers Land kann ich mich daran kaum sattsehen. Da liegen sie mit ihrem weichen Pelz, der sich im Wind leicht bewegt und die Fläche fast glitzern lässt. Noch ist alles in einem frischen hellen Grün, fast sinnlich, vor allem, wenn ich aus einem Stück Buchenwald komme, diesem warmen, lichten, halbschattigen Ort der Kühle, dann in die flirrende offene Landschaft, wo es wogt und changiert. 

Das Herz will fast zerspringen vor Freude über das Leben. Für einen Moment ist alles vergessen, was Ärger macht oder traurig, wo Arbeit wartet und der Rücken schmerzt. 

Jedes Jahr am Anfang, wenn der Raps in voller Blüte steht, denke ich, es kann nicht mehr schöner werden. Und dann kommt diese Zeit mit der Gerste. 

Hach. 

25.5.23

Glück

Wenn du nach drei Tagen Bahnfahren, Workshops und Kreativarbeit zurück aufs Land kommst – und drei Fohlen auf der Weide spielen. Und du dich auf die Bank setzt, die du da aufgestellt hast, das Gesicht in die Abendsonne hältst, die Füße baumeln lässt. Wenn dann die Fohlen erschöpft ausruhen und ihre Mütter entspannt grasen. Wenn drüben im Haus die Sauna aufheizt und die Hunde unter der Bank liegen. 

Dann denke ich wieder, wie gut die Entscheidung war, aufs Land zu gehen. Wie es mich immer wieder in schnellster Zeit auftankt und besser macht. Wie sehr sich die knappe Stunde lohnt, die sich eine Fahrt seitdem verlängert. 

Dann merke ich, was für Glück ich habe. 

20.9.22

Lasst uns Landmenschen da raus

Ich bin es so satt. Immer, wenn es um Veränderungen im Öffentlichen Verkehr (Bus, Bahn etc.) geht oder um ein preiswertes Ticket wie aktuell, werden wir Menschen auf dem Land in Geiselhaft genommen von denen, die möglichst nichts daran ändern wollen, dass unsere gesamte Infrastruktur für eine Kostenloskultur und Gratismentalität rund ums private Auto ausgelegt ist. 

Das war schon beim Einstieg in die E-Mobilität so, und da ging es ja sogar noch um private Autos. Dass die Fossilfetischist*innen Elektroautos als Stadtautos positioniert haben, war ein genialer PR-Coup für die verschlafene deutsche Autoindustrie (was ich als PR-Kreativer durchaus anerkennen kann), aber eben nicht mehr als das. Denn hier auf dem Land, wo wir alle ein Grundstück um unser Haus haben und eine Steckdose neben der Stelle, wo wir unser Auto abstellen, ist eine öffentliche Ladeinfrastruktur nicht mal wirklich nötig, um ein Elektroauto zu fahren. Das braucht ihr in den Städten vielleicht oder dann, wenn ihr aufs Land zu uns fahrt. Wir aber nicht. Aber das nur am Rande. Geht ja eigentlich um eure Geiselnahme in der aktuellen 9-Euro-Ticket-Nachfolge-Diskussion.

Also noch mal von vorn.

Ja, bei uns im Dorf fährt kein Bus. Jedenfalls nicht sinnvoll. Ein bisschen für die Schulkinder, wenn er denn fährt und es mal genug Busfahrer*innen gibt, was nicht so oft der Fall ist, wie es sein sollte. Und ja, selbstverständlich haben wir im Dorf quasi alle ein Auto (viele, immer mehr, auch von den vermeintlich Konservativen, ein Elektroauto, siehe oben). Das wird auch so bleiben. Das ist auch nicht schlimm. 

Im letzten Sommer standen viele dieser Autos tagsüber auf einmal auf den großen Parkplätzen an den Bahnhöfen. Viele zum ersten Mal. Denn was einige bei uns im Dorf festgestellt haben: wenn sie nach Lübeck wollen, beispielsweise, lohnt es sich total, zum Bahnhof zu fahren (kostenfreie Gratismentalitäts-Parkplätze gibt es da ja) und dann mit dem Zug, der alle halbe Stunde fährt, in die Stadt. Diese Fahrt dauert ungefähr so lange, wie ich sonst mit dem Auto vom Ortsschild Lübeck bis zum Parkhaus in der Stadt brauche, also eine halbe Stunde. Von der Zeit her spare ich also etwa 20 Minuten.

Im letzten Sommer haben das viele Leute aus unseren Dörfern zum ersten Mal gemacht. Vorher haben sie mir das nicht geglaubt, dass das so ist. Aber schon einmal hin und zurück war billiger als Sprit und Parkgebühr in der Stadt (denn da ist Gratismentalität nur bei der Straße, nicht beim Parken, immerhin). Also haben sie dann auch noch mal ausprobiert, wie es denn mit Kiel wäre, kostete ja nix mehr extra. 

Bushaltestelle in Hammer, ziemlich runtergekommen
Von Leschek Jeschke - Eigene, CC BY-SA 3.0, Link

Ob ein Bus in unserem Dorf fährt, ist für ein preiswertes Nahverkehrsticket egal. Wer behauptet, wir auf dem Land hätten ja nix davon und müssten für die fiesen grünen Städter mitbezahlen, lügt. Ganz einfach. Hier im Dorf hatten fast alle das 9-Euro-Ticket. Weil es für uns auf dem Land total sinnvoll war – denn jeder Zug, der bei uns in der Kleinstadt in der Nähe unseres Dorfes hält und nach Lübeck oder Kiel fährt, ist ein Nahverkehrszug. De facto konnten wir jeden Zug nutzen, der bei uns fuhr. Viel besser als in der Stadt.

Vielleicht wäre es toll, wenn es hier auch einen Bus gäbe. Aber ganz ehrlich? Den würden wir erstmal ganz ganz viele Jahre lang nicht nutzen. Und viele hier bei uns fragen sich auch, wieso hier Busse fahren, die leer sind. Ganz selten sitzt mal eine*r drin, außer der Fahrer*in jetzt. Da wäre ein Dörpsmobil oder eine Mitfahrbank fast besser, gibt es auch in einigen Dörfern.

Um es mal ganz ganz deutlich zu sagen: Ob ein preiswertes ÖPNV-Ticket für uns auf dem Land sinnvoll ist oder nicht, hängt eben nicht davon ab, ob hier ein Bus fährt. Sondern wie weit es zum nächsten Bahnhof ist und wie oft dort der Zug fährt. Ich beispielsweise bin in 12 Minuten mit dem Rad am Bahnhof, wo alle halbe Stunde jeweils ein Zug nach Lübeck und nach Kiel fährt. Andere aus anderen Dörfern fahren knapp 10 Minuten mit dem Auto dahin. Das ist voll ok. Selbst wenn hier ein Bus führe, würden wir den nicht nutzen, weil er länger braucht und ich dann noch 10 Minuten zur Bushaltestelle laufe.

Glaubt niemandem, dass es erst mehr Busse braucht, bevor ein Ticket für uns sinnvoll ist. Das ist gelogen. Jedenfalls in Bundesländern, die nicht von der CSU regiert werden.

29.12.19

Unter Bauern

Seit drei Jahren lebe ich nun unter Bäuerinnen. Und lerne alte kennen, welche in meinem Alter – und auch junge, akademisch ausgebildete, die gerade nach und nach die Höfe ihrer Familien bei uns übernehmen. Ich habe gelernt, mit dem Wetter und dem Klima zu leben. Dieses Jahr haben wir einen Trecker gekauft und Land dazu gepachtet, damit wir etwas mehr züchten können. Pferde, also Hobby, nicht Nahrung.

In meinem Bekannten- und Freundinnenkreis sind ganz klassische Bäuerinnen, welche, die auf großen Gütern angestellt sind, welche, die gerade auf Bio umstellen (aus rein wirtschaftlichen Überlegungen), sehr kleine und wirklich sehr arme, und welche, die bei der Kammer oder dem Verband arbeiten oder als Lehrerinnen an der Landwirtschaftsschule. Und wie in allen Berufen ist da eine sehr große Bandbreite.

Das, was wir in den Medien und auf der Straße erleben, sind nur einige sehr wenige von diesen. Nur die radikalisierten. Die allermeisten (auch da wie bei allen Menschen und Berufsgruppen) versuchen einfach nur, über die Runden zu kommen oder ein Unternehmen zu führen.

Darum bin ich auch ein bisschen traurig, dass sich dieses Jahr immer mehr eine Frontstellung entwickelt hat – und dass sich auch hier eine so große Sprachlosigkeit ausbreitet. Zum ersten Mal sehr deutlich geworden ist mir das, als ich bei der Europawahl abends zum Stimmenauszählen mit in unser Wahllokal kam. Zum ersten Mal waren in unseren drei winzigen Dörfern die Grünen stärker als die CDU (wenn auch nur eine Stimme). Das hat die Bauern, die da waren (und die alle mehr oder weniger aktiv in der CDU sind), schockiert und entsetzt. Mehr als das doch überraschend gute Abschneiden der AfD (die zwar immer noch deutlich unter 10% waren, aber leicht über den Schnitt für unser Bundesland). Und viel mehr als der Untergang der SPD bei uns auf den Dörfern.

Und dann erlebe ich bei den Bäuerinnen um die 30 ein wachsendes Selbstbewusstsein und eine wachsende Neigung, das auch kontrovers zu formulieren. "No Farmer, no Food" haben sie auf ihren Autos stehen. "Die in der Stadt" und die Umweltschützerinnen wurden über das Jahr mehr und mehr als Verrückte und latent als feindlich wahrgenommen. Das wiederum irritiert mich auch darum, weil ich zwar Fragen stelle und nicht alles kritiklos toll finde, was sie machen – aber sie doch als Partnerinnen sehe, mit denen gemeinsam die Landwirtschaftswende gestaltet werden könnte. Und unglaublich viel von ihnen lerne.

Im letzten halben Jahr habe ich dann etwas erlebt, das ähnlich schon vor ein paar Jahren mit der Milchwirtschaft passiert war: die Verbände und Funktionärinnen hetzen die Bäuerinnen auf, um von ihrem politischen Versagen abzulenken. Denn es waren die Verbände und Kammern, die damals Bäuerinnen dahin beraten haben, massiv auf Milch zu setzen - und heute haben die die wenigsten Probleme, die sich dem verweigert haben. Es waren die Verbände und Kammern zusammen mit der großen Koalition, die jahrelang aktiv dagegen gekämpft haben, europäisches Recht nach und nach umzusetzen – und damit jetzt zu verantworten haben, dass die Umstellung dessen, was mit Gülle passieren darf, plötzlich und schmerzhaft ist. Und nicht langsam und schlau (wie es gewesen wäre, wenn die Verbände sich rechtzeitig dafür stark gemacht hätten). Kleine, dezentrale Biogasanlagen für die Gülle könnten heute schon Realität sein, stattdessen gibt es große Anlagen, für die extra Biomasse angebaut wird.

Ich weiß, wie hart, auch wirtschaftlich hart, der Beruf ist. Wenn 150 EUR weniger Jahresertrag auf einem Hektar den Unterschied macht, ob eine Bäuerin in Hartz IV rutscht, dann ist damit nicht zu spaßen. Und darum ist es meines Erachtens auch richtig, dass die Bäuerinnen einen großen Teil ihres Einkommens von der Gesellschaft bekommen, in Form von Prämien und Subventionen. Da bin ich für. Ganz klar.

Nur dass die Funktionärinnen und auch die (jungen) Bäuerinnen, die darauf bestehen, dass die Gesellschaft ihnen nicht oder weniger reinreden soll, wie sie ihr Land bestellen und Lebensmittel oder Energie produzieren, es mir schwer machen, zu dieser Position zu stehen. Denn wer wesentlich von der Gesellschaft bezahlt wird, muss auch damit leben, dass diese Gesellschaft mitredet. Ich kann nicht gleichzeitig wesentlich von Subventionen leben und nach der Freiheit des Marktes rufen. Wenn und solange wir als Gesellschaft Bäuerinnen unterstützen (und das sollten wir, davon bin ich überzeugt, denn die Alternative wäre eine Agrarindustrie, die nur noch aus Großbetrieben und aus Gütern besteht), setzen wir als Gesellschaft auch die Rahmenbedingungen.

Im Kern wollen also Bäuerinnen, die keine oder weniger Einmischung "der Städter" oder "der Umweltschützer" fordern, dass wir als Gesellschaft die Prämien und Subventionen streichen oder zurückfahren. Denn sie können nicht beides haben: von der Gesellschaft unterstützt werden und die Wünsche dieser Gesellschaft ignorieren.

Manchmal wünsche ich mir, dass ich mich traue, bei Festen und Versammlungen deutlicher zu widersprechen. Und manchmal wünsche ich mir, dass mehr Bäuerinnen mich nicht als ihren Feind empfinden, wenn ich es tue. Wie so oft geht das im persönlichen, privaten Gespräch fast immer. Und quasi nie, wenn mehr als zwei oder drei zusammen sind.

Vielleicht wird es erst möglich sein, wenn die Verbände und Funktionärinnen entmachtet sind, die es gerade zulassen, dass sie von Rechtsradikalen unterwandert werden, die mehr und mehr die "freien" Proteste der letzten Monate organisiert haben. Und vielleicht muss auch dieser Konflikt wie der Generationenkonflikt erst hart und brutal ausgetragen werden, bevor es besser wird. 2020 wird hart.

31.12.18

Wie rauchen

Als ich ein Kind war, gab es "Brot statt Böller". Das wurde ganz in der Nähe von unserem Zuhause erfunden, in Bargteheide, 1981. Fand ich gut, denn schon als ich vier war, habe ich, als meine Eltern mich weckten, damit ich das Feuerwerk sehen konnte, nur gemurmelt, "will kein Feuer sehen".

Ich mag Feuerwerk. Sehr sogar. Wenn jemand eines choreographiert, das elegant ist und eine Geschichte erzählt. Was ich noch nie mochte, war mir sinnlos erscheinendes Werfen von lauten Dingen, die explodieren. Ebenfalls als ich Kind war, haben wir Silvester immer mit einer Familie gefeiert, die in der Stadt wohnte. Auf dem Weg wurden wir schon damals von Jugendlichen mit Donnerschlägen beworfen, die am Auto explodierten oder vor unsere Füße kullerten.  Nicht so direkt witzig.

Neulich, als wir uns fragten, ob wir zu intolerant sind inzwischen, weil wir tatsächlich gar kein Verständnis mehr haben für Menschen, die Böller oder Raketen kaufen und ballern, fiel mir die Analogie zum Rauchen ein – die mir passender vorkommt, je näher Silvester rückt. Denn im Grund ist Böllern ja wie Rauchen. Und meine Haltung zu Leuten, die böllern, ähnlich verständnislos wie zu Leuten, die rauchen.

Absurd wird es, wenn Menschen, die Tiere halten oder mit Tieren leben, böllern. Denn die könnten, wenn sie auch nur mit geringen Mengen Empathie ausgestattet wären, sehen, was es bei denen anrichtet. Wer einmal eine Pferdeherde in Panik im Kreis hat laufen sehen, weil um sie herum kriegsähnliche Zustände herrschen, ist wahrscheinlich für alle Zeit kuriert. Wer einmal demente alte Menschen erlebt, die sich in die Bombennächte in Hamburg zurück versetzt fühlen und vor Angst schreien, weil alles wieder hochkommt, verliert jedes Verständnis vor denen, die daran Spaß haben.

Dieses Jahr habe ich mal drauf geachtet, wer da an den Grabbeltischen stand und Böller in den Einkaufswagen lud. Und selbst das eine oder andere Vorurteil ein bisschen weglassend, war der Vergleich mit Rauchen wieder passend. Es ist geradezu beruhigend, dass Böllern wie Rauchen mehr und mehr etwas ist, das nur noch in bildungsfernen und unterbürgerlichen Schichten unreflektiert verbreitet ist. Zumindest bei uns.

Und dass dieses Jahr der Terror der Idioten erst heute, am Silvestertag, begann und nicht wie in den letzten Jahren am 28.12., macht mich optimistisch. Dass es irgendwann, zu einem Zeitpunkt, den ich noch erlebe, nur noch zentrale, wunderschöne Feuerwerke geben wird. Und sich dumm vorkommt, wer der Zeit hinterhertrauert, in der sie Feuerwerk im Supermarkt kaufen konnte.

12.6.17

Betrügt die Deutsche Telekom die Landbevölkerung?

Ja, dass Deutschland Internet-Entwicklungsland ist, wussten wir, als wir aufs Land gezogen sind. Aber einerseits hatten wir in der Villenneubausiedlung am Hamburger Stadtrand auch nur 3MBit. Oder, wenn es sehr gut lief, auch mal 6MBit. Und andererseits sind wir ja nicht auf den Kopf gefallen - und haben, als es nicht möglich war, das Hybrid-Internet der Telekom zu bekommen, deren sauteuren 200 EUR-Vertrag abgeschlossen, der ungedrosseltes LTE anbietet, also keine Volumenbegrenzung hat.
(Denn vorher haben wir, auch mit Vodafone, mit "normalen" LTE-Verträgen experimentiert, aber die 30GB waren bei einer ganz normalen Familie mit ganz normalem Medienkonsum nach 2-3 Tagen aufgebraucht.)

Das ging einige Zeit sehr gut - wir hatten akzeptable Downloadraten und gute Uploadraten. Hybrid geht bei uns nicht, weil sich die Telekom weigert, unsere analoge Leitung auf IP-Technologie umzustellen (was übrigens dazu führen wird, dass sie uns sehr absehbar komplett abklemmen werden, geht langsam los damit auf dem Land, höre ich).

Symbolbild: moderne Internettechnologie aus der Sicht der Telekom. Oder so.

Mal abgesehen vom Preis ist das so lange eine ganz gute Lösung, wie die Infrastruktur ausreicht und nicht zu viele Nachbarinnen LTE nutzen. Und hier liegt das Problem. Ein Problem, das die technische Planung und der Support der Telekom kennen, uns mehrfach bestätigt haben, das aber der Vertrieb der Telekom offenbar ignoriert. Und das durch die Vertriebsstrategie der Deutschen Telekom zumindest in unserem Landkreis in den letzten vier Monaten massiv verstärkt wurde. Die ersten meiner Nachbarinnen nennen das bereits Betrug.

Denn etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem die Breitbandinitiative unseres Landkreises erste sichtbare Ergebnisse zeigte (Ausschreibung fertig, die Anbieter werden ausgesucht), berichten die Nachbarinnen in unseren Dörfern, dass sie von der Telekom aktiv auf ihr Hybrid-Internet hingewiesen werden und es ihnen aktiv verkauft wird. Die Hoffnung vor allem der älteren Nachbarinnen: dass dieser Tarif ihnen reicht und sie auf das Glasfaser nicht angewiesen sind.
(Was übrigens neben allem anderen etwas ist, das ich der Telekom wirklich übel nehme, wenn sie tatsächlich ihre Vertriebsaktivitäten bei uns auf diese Zielgruppe ausgeweitet hat - dass sie damit nicht nur die Internetverbindung des gesamten Dorfes faktisch zerstört sondern auch noch aktiv den Ausbau der Infrastruktur verhindern würde.)

Der Mast, der für unser Dorf zuständig ist, steht in Eutin-Neudorf und ist mit 50MBit Leistung ohnehin nur zweite Wahl. Seit vier Monaten nun nimmt zu den Zeiten, zu denen Freizeit-Onlinerinnen online sind, die individuelle Leistung für alle Kundinnen zuerst kontinuierlich, dann rapide ab. Zurzeit haben wir nachmittags und abends (bis ca. 22 Uhr) keinen Tag, an dem wir auch nur an die 1MBit Download rankommen. Da wäre ja mein analoges DSL schneller.

Die erste erstaunte Frage, ob eine Störung am Mast vorliege, wurde vom Service der Telekom noch bearbeitet - und festgestellt, dass inzwischen doppelt so viele Nutzerinnen auf dem Mast hängen wie noch zum Jahreswechsel. Und die technische Planung der Telekom hat festgelegt, dass der Mast nicht ausgebaut wird, obwohl ja heute ein 100MBit-Mast eigentlich normal wäre.

Nach meinen Recherchen ist dieses passiert: die meisten Haushalte in unserem Dorf kommen gerade so auf die DSL-Leistung, bei der die Telekom den Hybrid-Tarif zulässt (uns haben sie den nicht verkauft). Ohne Rücksicht auf die örtliche LTE-Kapazität werden diese Hybrid-Tarife nun verkauft. Da die Bedingungen der Verträge so windelweich sind, liegt formal auch kein Betrug vor, meint die Telekom – denn sie garantieren ja keinerlei Bandbreite. Und die Regelungen, nach denen ein dauerhaftes Unterschreiten der beworbenen Bandbreite mit Sanktionen belegt werden könnte, werden ja nicht umgesetzt. Sollte es aber stimmen – und die Berichte meiner Nachbarinnen deuten zumindest darauf hin –, dass die Telekom aktiv Verträge verkauft, von denen andere Abteilungen im Unternehmen wissen (und uns gesagt haben), dass sie faktisch nutzlos sind (weil der "Hybrid-Turbo" effektiv keine wahrnehmbare Verbesserung gegenüber einer reinen Kupferleitung bringt), fände ich es durchaus angemessen, dieses Betrug zu nennen, oder?

Am Ende jedenfalls kann ich wahrscheinlich nur froh sein, dass die Telekom wenigstens keine Kupferertüchtigung bei uns vorbereitet, weil in dem Dorf in unserer Gemeinde, das dieses Pseudointernet hat, das die Telekom schnell nennt, kein Glasfaserausbau stattfinden darf, um die Telekom nicht wirtschaftlich zu schädigen. So dass die Nachbarinnen in Hutzfeld zwar jetzt gerade weniger Ärger mit ihren Kindern haben (meine Kinder können beispielsweise nicht mehr mit ihren Freundinnen und Freunden spielen oder Serien gucken) –  aber Ende 2019 eben auch kein ausreichendes Internet mehr, wenn ich spätestens Glasfaser habe soll (falls die Vertriebsaktivitäten der Telekom nicht dazu führen, dass wir die 60%-Quote Vorverträge nicht erreichen, siehe oben).

Bis dahin gilt aber: Einige meiner Nachbarinnen fühlen sich von der Telekom betrogen. Und die Kombination aus Infrastruktur- und Vertriebspolitik der Deutschen Telekom kommt mir mehr und mehr wie die wichtigste Bremse in der Zukunftsentwicklung des ländlichen Raumes vor. Mal abgesehen davon, dass ich 200 EUR im Monat für einen für mich faktisch sinnfreien Internet-Vertrag bezahle, aber das ist noch mal eine andere Geschichte.

6.9.16

Sehr geehrter Herr Höttges,

ich bin im Prinzip ein großes Fan der Telekom, nachdem ich damals zu den ersten gehörte, die weg gingen - ich komme immer wieder. Das liegt vor allem an zwei Dingen: zum einen an der Stabilität der Services und dem eher konservativen Leistungsversprechen, das die Telekom jeweils gibt. Und zum anderen am Kundenservice.

Tatsächlich habe ich auch in meinen aktuellen Fall am Kundenservice selbst nichts auszusetzen - die vielen, vielen Stunden, mit denen sich der Kundenservice mit großer Geduld mit mir um die Frage gekümmert hat, wie ich halbwegs akzeptables Internet auf dem Land bekomme, finde ich beeindruckend. Gemeinsam mit dem Kundenservice bin ich aber nun an eine Grenze gestoßen, die wahrscheinlich nur von Ihnen und Ihrer Kollegin und Ihren Kollegen im Vorstand gelöst werden kann.

Dieses ist das Problem:
Im Grunde haben Sie eine ganz gute Lösung für den ländlichen Raum entwickelt – das Hybridinternet, bei dem eine (digitale) Leitung mit LTE kombiniert wird zu einem Produkt, das allen Anforderungen an eine normale Internetnutzung genügt (wir wollen gar nichts Besonderes). Einzige Voraussetzung dafür ist, dass eine ganz, ganz kleine DSL-Leitung liegt und dass die mit Annex J ausgestattet ist, also ein IP-Anschluss ist.

Und hier kommt unser Problem: von den beiden Leitungen, die in unseren Hof führen, ist eine kaputt (von einem Baum zerstört, wenn wir den Techniker, der das gemessen hat, richtig verstanden haben). Und die andere noch analog. Und weder die Planungsabteilung noch die Technikabteilung bei uns in Schleswig-Holstein scheinen die digital machen zu wollen. Wobei wir da immer wieder widersprüchliche Aussagen bekommen - mal heißt es, die Leitung sei zu lang (die Dämpfung zu groß - obwohl genau das ja mit Annex J "bekämpft" werden soll), mal heißt es, es sei im Verteiler kein Port mehr frei, um die die Annex J Karte zu stecken. Either way: wir bekommen keinen digitalen Anschluss.

Uns ist dabei bewusst, dass unsere Leitung grenzwertig lang ist, weil die Telekom den letzten Verteiler in unserem Dorf beim intensiven Ausbau in unserer Region (wir sind nahe Eutin) ausgelassen hat und nicht plant, ihn einzubeziehen. Und uns ist bewusst, dass die Telekom zögert, eine lange Leitung IP-fähig zu machen, weil darunter die Verlässlichkeit und Qualität von Telefonie leiden könnte. So weit unser Verständnis.

Nun haben wir aber echt viele Vorschläge gemacht. Von einer Flatrate für LTE (wir probieren gerade mit dem 30GB-LTE-Internet rum, aber das ist echt gar nichts. Nach zwei bis vier Tagen ist das verbraucht, obwohl wir den Kindern Video und 3D-Games gesperrt haben) bis hin zum Angebot, Ihnen rechtssicher zu versichern, dass wir nicht telefonieren werden (denn hey, wir wollen nur Internet, wer braucht heute schon noch Festnetz?). Alles ginge nicht, letzteres nicht, weil sich die Telekom an ihre AGB gebunden sieht.

Wir sind echt keine Exoten, glaube ich. Ich arbeite hin und wieder von zu Hause, leite als Geschäftsführer eine Agentur. Meine Frau ist Lehrerin, nur noch zwei unserer vier Kinder sind zu Hause, die wollen zwar gerne das Internet so nutzen wie ihre Freundinnen und Freunde, sind aber bereit, auf ein normales Leben zu verzichten, wenn wir irgendwie halbwegs normales Internet bekämen. Aber selbst mit diesem Verzicht reicht das maximale LTE-Paket vorne und hinten nicht.

Ja, es ist unsere eigene Entscheidung gewesen, aufs Land zu ziehen. Allerdings haben wir bei Ihnen vor dem Kauf des Hofes nachgefragt, welche Internetoptionen es konkret an dieser Adresse gibt - und uns wurde Hybrid fest zugesagt. Ob wir den Hof sonst gekauft hätten, bin ich mir nicht ganz sicher.

Können Sie uns helfen, ein normales Leben zu führen? Und uns Internet geben, das uns nicht 8 EUR am Tag kostet?

Herzlichen Dank und freundliche Grüße

Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach

(PS: der Versuch, Ihnen dieses per E-Mail zuzuschicken, ist bisher gescheitert, das hätte ich sonst sehr gerne gemacht)