26.2.16

Wie Twitter unseren Hund rettete

Dramatik, Tiere, Kinder, Wildnis, ein Happy End. Alles, was eine gute Geschichte braucht. Passiert im Sommer 2014 im Kattegat. Die Geschichte zur Abschlussgala der Social Media Week Hamburg heute Abend: #140Geschichte – und der Abend selbst ist ja auch mitgeschnitten worden, unten ist das Video eingebunden...

Ein Tweet und seine Geschichte
Wir waren im Heidegebiet zwischen Dünen und Wald mit den Kindern und dem Hund wandern. Oder spazieren gehen wohl eher. Schönes Wetter, hin und wieder war das Meer zu sehen. Wir spielten mit dem Hund, der vor uns her auf dem Pfad durch die Heide und die dichter werdenden Büsche lief.

Monty geht mit uns spazieren
Wir haben einen tollen Hund. Ein kleiner Mini Australian Shepherd, gerade für einen Rüden wirklich sehr klein. Er bleibt bei uns, weil er ein Hütehund ist – und weil er auch ein bisschen ängstlich ist, ehrlich gesagt...

Als wir um eine Ecke bogen, lief er etwas vor uns her und steckte seine Nase ins Unterholz, als er irre laut aufjaulte und einen Riesensatz nach hinten sprang. Er klemmte den Schwanz ein und versteckte sich zitternd hinter uns. Zwar ist er ängstlich, aber so was hatten wir wirklich noch nie erlebt.

Was dann passierte, veränderte unser Leben
Wir dachten an einen spitzen Stein oder so was. Ich ging ein paar Schritte vor und guckte auf die Stelle, von der er weggesprungen war. Und hörte nicht nur ein (wenn man es aus heutiger Sicht betrachtet wirklich unerhört) lautes Zischen. Sondern sah auch eine sich hoch aufrichtenden Schlange. So was hatte ich noch nie gesehen, die liegen sonst immer träge in der Sonne, wenn man sie mal zu sehen bekommt. Diese hatte den Kopf erhoben, das Maul leicht geöffnet, die Zunge rausgestreckt. Sehr aufgeregt.

unsere Kreuzotter
Die Frau wusste sofort was es war (ich übrigens nicht, denn ich kenne mich mit so was nicht aus). Vorsichtshalber machte ich ein Foto, weil ich ihr nicht glaubte. Und später, als wir wieder richtiges Internet hatten, kontrollierte ich, misstrauisch wie ich bin, auf Wikipedia, ob es stimmt. Was es selbstverständlich tat, was mir auch klar war, irgendwie.

Ja, es war eine Kreuzotter. Und das einzige, was wir sicher wussten, war, dass die echt giftig sind. Wie giftig, wussten wir nicht. Klein war sie ja, diese Kreuzotter. Unser Hund allerdings auch.

Was wir empfanden, alle vier – Tertius und Quarta waren dabei, die beiden großen Kinder waren nicht mitgekommen in diesen Ferien – war schlicht und einfach Panik. Zumal wir weit weg vom Parkplatz waren, wo unser Auto stand. Was auf Læsø, der Insel im Kattegat, auf der wir Urlaub machten, auch hieß, dass wir quasi keinen Telefon- und quasi keinen Internetempfang hatten. Zum Googlen reichte es nicht jedenfalls. Und während die Frau versuchte, unseren Tierarzt daheim anzurufen (wo gerade Mittagspause war), kam ich auf die Idee, auszuprobieren, ob zumindest Tweets durchgehen, wenn schon keine Websites aufgerufen werden können und sich WhatsApp nicht verband. Und er ging durch:
Damals nutzte ich noch Facebook, so dass ich dieses #fb einfügte, damit es auch auf Facebook erscheint. Aber die Antworten kamen auf Twitter. Und die Hilfe auch.

Klar gab es die üblichen Schlauberger, die mir vorwarfen, zu twittern anstatt zu helfen oder einen Tierarzt zu rufen (für wie blöd hielten die mich eigentlich?). Die anderen aber sagten es weiter und Menschen, die ich kannte, ebenso wie Menschen, die ich nicht kannte, antworteten und recherchierten und – sogar das, und das rührte mich besonders – riefen ihre Tierärztin an, um sich zu erkundigen.

Und viele dieser Antworten kamen auch durch zu mir, in Schwüngen, wie das so ist mit zwei Balken wackeligem Edge. Die Frau erreichte Primus, der es weiter in unserer Tierarztpraxis versuchte. Und erreichte ihre Schwägerin, die auf dem Land lebt und ihre Landtierärztin zu erreichen versuchte. Primus verfolgte die Antworten auf Twitter, um auf dem Laufenden zu sein – und um Ideen und Hinweise an unseren Tierarzt weiterzugeben, der noch nie einen Kreuzotterbiss hatte.

Was wir durch die vielen Menschen, die sich mit wirklichen Tipps äußerten, schnell raushatten, war, was wir als erstes tun müssen: den Hund tragen, damit er sich nicht anstrengt. Denn, auch das bekamen wir recht schnell raus, für einen so kleinen Hund ist eine Kreuzotter tatsächlich lebensgefährlich. Es ist faszinierend, was wir so nach und nach über Kreuzottern lernten in diesem Zusammenhang. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das zweite war: Zu versuchen, das Gift aus der Nase des Hundes, in der der Biss der Otter war, zu saugen. An einer Hundenase zu saugen, ist nun alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Aber ich fand es notwendig. Und das im Laufen, denn wir wollten schnell zum Auto, vielleicht hätte wenigstens die Menschenpraxis noch auf, wo es schon keine Tierärztin auf der Insel gibt.

Was wir unter anderem lernten durch die Menschen, die an besserem Internet saßen, während wir durch die Heide eilten: Dass Kreuzottern meistens gar kein Gift spritzen, wenn sie beißen. Weil sie dann tendenziell verhungern, wenn kein Gift mehr für ihr Essen da ist. Und dass der Hund innerhalb kurzer Zeit apathisch würde, wenn er vergiftet wäre. Wodurch wir zwischen Hoffen und Bangen schwebten, während wir – wie gesagt – durch die Heide eilten.

Auf dem Parkplatz trafen wir ein Paar mit zwei Hunden, das gut deutsch sprach. Er Luxemburger, die aus Læsø, die den Sommer wie immer auf der Insel verbrachten. Und die, weil sie ja alle hier kennen, versuchten, den pensionierten Tierarzt zu erreichen (der nur dänisch spricht). Dem Hund ging es nicht schlechter. Er war nur immer noch sehr verängstigt, was durch das Tragen und Laufen auch nicht besser geworden war.

Das Paar war mit Freunden auf der Insel von denen einer ein Arzt war. Die einzige Praxis der Insel, auf die wir unsere Hoffnung gerichtet hatten, war für heute, wie wir von ihnen erfuhren, selbstverständlich schon geschlossen. Und der diensthabende Arzt wahrscheinlich aufs Festland rüber gefahren. Wir fuhren gemeinsam zu ihrem Haus, unten in Vesterø, am Meer. Der Arzt hatte schon recherchiert und die von unserer allerdings auch unerfahrenen Tierärztin empfohlene Kortison-Therapie als veraltet entlarvt. Stattdessen bekam unser Hund ein Antihistamin. Und ihm ging es zum Glück auch immer noch nicht schlechter.

Am Ende hatten wir Glück. Sehr viel Glück. Der kleine Hund war offenbar für die Kreuzotter nicht so bedrohlich, dass sie ihm das Gift spritzte. Wir sind alle zusammen mit dem Schrecken davon gekommen. Vor allem aber habe ich wieder einmal festgestellt:

Und hier die gesamte Gala, meine Geschichte kommt fast am Ende:

18.2.16

¡No pasaran!

Foto von Thierry Ehrmann, cc-by-2.0    

Wir Menschen in der PR stehen ja nicht ganz zu Unrecht im Ruf einer recht großen – sagen wir mal – ethischen Flexibilität. Das ist auch ganz ok, weil es die für Beratung auch braucht. Umso wichtiger finde ich es, mich mit meinen Mitarbeiterinnen zusammen immer mal wieder der Grenzen dieser Flexibilität zu versichern. Beispielsweise würde ich nicht für Waffenhersteller oder -händler arbeiten und nicht für die Tabakindustrie. Wobei letzteres für eine Agentur, die einen großen Schwerpunkt im Bereich Gesundheit und Pharma hat, ja eh ausgeschlossen ist.

Zugleich gibt es für mich Grenzen dessen, was ich an Positionen und Meinungen akzeptabel finde. Das Leugnen des Klimawandels gehört dazu. Auf Verschwörungstheorien beruhende Impfgegnerschaft auch. Und Roland Tichy. Womit wir beim Thema wären. Nach nur zwei Absätzen.

Ich bin ab sofort nicht mehr Kolumnist für das PR Magazin –
weil Redaktion und Verlag lieber Roland Tichy als Kolumnisten behalten wollen. Das ist ok, das sagt ja auch was aus. Deswegen habe ich sie ja auch gefragt. Es sagt nicht nur, dass er ein bekannter Ex-Journalist ist und ich nur das Deutschlandgeschäft einer mittelgroßen Agentur leite. Sondern auch, dass die "Positionen", die Tichy seit seiner massiven Radikalisierung vertritt, für Redaktion und Verlag noch zum Akzeptablen gehören.

Zu Tichy und dem, was er an Propaganda und Hetze auf seinem Blog verbreitet und - noch radikaler - von anderen verbreiten lässt, kann sich jede durch Lektüre der Seite eine Meinung bilden. Selbst Journalistinnen konservativer Publikationen wie der FAZ erscheint Tichy obskur und rechts. Dabei werden die Frankfurter  von dem unbestritten Konservativen Bernd Ziesemer (den ich seit 15 Jahren sehr schätze, seit wir zusammen auf Podien saßen) gerade als allzusehr mit dem Reaktionären liebäugelnd bezeichnet. Lesenswert finde ich auch die unaufgeregte Analyse bei uebermedien.de.

Ich persönlich finde es tragisch und mehr als nur bedauerlich, wie einige frühere Konservative dem Trend der weinerlichen Selbstviktimisierung aufsitzen und ins radikale Lager abwandern. Zusammen mit der wird-man-ja-wohl-sagen-dürfen-Attitüde, die bei erfolgreichen Journalisten, die gar als Chefredakteur Blätter gemacht haben, auch doppelt lächerlich wirkt. Und zusammen mit Verschwörungstheorien, die von einer behaupteten Diktatur (Merkel-Regime) bis zu einer Instrumentalisierung des Wetters (Karneval) gehen. Alle diese Positionen finden sich bei Autorinnen in Tichys Blog reichlich, besonders feiert er selbst ja auf Twitter immer die Artikel von David Berger. (Genau, jenem Ex-Journalisten, der von seinem Verleger als Chefredakteur entlassen wurde, nachdem er nach etlicher Kritik, er sei islamophob, einen Ausschwitz relativierenden Artikel in einen Kanal des Blattes gehoben hatte.)

Auch an den Kolumnen, die Tichy für das PR Magazin schreibt, lässt sich die Entwicklung erkennen – sie begannen als "normale" konservative Wirtschafts- und Politikkommentare. Und sind inzwischen bei radikaler, mit Verschwörungstheorien gespickter Hetze angekommen, die sich raunend im Gleichsetzen von Pegida mit der DDR-Bürgerbewegung von 1989 ergeht.
Dass er bei kritischen Nachfragen und Diskussionsversuchen den Nazi-Mob unter seinen Lesern und Twitterfans auf mich hetzt, ist da nur noch eine Petitesse. Dass er das mit Falschzitaten in seinem Blog macht, schon nicht mehr ganz.

Ich bin nicht so schnell damit, Entscheidungen und Schnitte zu verlangen. Und ich liebe harte und klare Auseinandersetzungen, habe nicht mal etwas dagegen, wenn es dabei hoch her geht oder auch mal jemand verletzt wird. Oft finden sich Lösungen gerade durch diese Diskussionen. Als jemand, der selbst ein konservativer Gogarten'scher Lutheraner ist, habe ich auch immer eine gewisse intellektuelle Lust an der "konservativen Revolution" gehabt, was ich ein bisschen beschämt zugebe. Nur ist mein Anspruch dabei ein Mindestmaß eben an Intellektualität und Argumentation.

Ich kann und werde nicht auf einer Plattform schreiben, die Roland Tichy Raum als Kolumnisten gibt.
Ähnlich wie viele in meinem Umfeld ihre Premium-Mitgliedschaft bei Xing kündigen, weil sie ihn nicht finanzieren wollen. Wer sich gemein macht mit dem neurechten Geraune eines Tichy, kann das gerne tun. Ich empfinde das für mich als eine Beschädigung meiner Person und meiner Integrität. Aber ich habe ja ein Blog, es gibt LinkedIn und andere Fachzeitschriften.


Alles Gute.

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Hintergrund: 
Ich bin seit längerer Zeit schon Kolumnist für das PR Magazin. "Der Netzwelterklärer", geht, logo, um Online dadrin. Am Dienstag, den 9.2., wies das PR Magazin mit einem Tweet auf eine Kolumne von Roland Tichy hin, die auf prmagazin.de erschienen sei. Am gleichen Abend schrieb ich den Redakteurinnen eine längere Nachricht, in der unter anderem hieß:
Ich kann und werde nicht auf der gleichen Plattform wie Herr Tichy publizieren. Eine Kolumnistentätigkeit für eine Zeitschrift, die einem Mann wie Tichy ebenfalls als Raum gibt, kann ich nicht verantworten.
In der Nachricht habe ich das auch ausführlich begründet. Daran schloss sich ein längerer Dialog an. In dieser Woche hat die Redaktion mir angeboten, dass ich – statt aufzuhören – doch meine Kolumne nutzen könne, um eine Gegenposition zu schreiben. Allerdings würden sie in jedem Fall an Tichy als Autoren festhalten. Wir einigten uns dann im Gespräch, dass ich die Gründe in einem Artikel darlege, warum ich nicht auf einer Plattform als Kolumnist tätig sein werde, die an Roland Tichy festhält, nachdem der sich so radikalisiert hat. Diesen Text möchte das PR Magazin nun nicht veröffentlichen, darum steht er hier.

Das finde ich nicht problematisch. Ja, es zeigt, wie ernst gemeint das Diskursangebot war -– aber es ist ok. Mir ist nur wichtig, es hier zu erläutern, weil der Text oben, den ich auch auf LinkedIn veröffentliche, kein Nachtreten ist. Ich habe ihn für das PR Magazin geschrieben, veröffentliche ihn nun hier – und stelle mich damit der Diskussion.

15.2.16

Deine Schuld, wenn sie so bleibt

Quarta, 10, ist genervt, wenn dieses Liedchen im Radio läuft. Das singen auch ganz viele in der Schule immer, vor allem die Jungs, sagt sie, ich finde das aber doof.



Sie vergleicht es mit ihrem Lieblingslied. Dem hier.



Und dabei kommt sie zu dem Schluss, dass die Ärzte Mut machen. Beide reden darüber, was schief läuft in der Welt, was auch die Tochter schlecht findet. Aber während die einen eben Mut machen, daran etwas zu ändern, wollen die anderen fliehen. Das ist doch bescheuert, um mal eines ihrer Worte dafür zu nutzen.

Wir fuhren im Auto, als sie sich gar nicht wieder einkriegen konnte. Weglaufen ist doch keine Lösung, sagt sie. Das finde ich so toll an den Ärzten, dass sie mir Mut machen. Ich kann doch was ändern. Und muss das auch tun.
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Mich fasziniert ja, wie sehr die Ärzte jedes meiner Kinder wieder neu ansprechen. Und ungefähr in diesem Alter. Secundus ist dann irgendwann zu richtigem deutschen Punk weiter gezogen, Tertius war vor allem vom stummen Schrei nach Liebe angetan, das er mit seinem besten Freund des ganzen Tag grölen konnte.

Und mich macht glücklich, dass die Kinder nicht einfach nur deprimiert auf die Welt gucken, sondern sicher sind, dass sie in dieser Welt eine Aufgabe haben. Dass wir also offenbar nicht alles falsch gemacht haben.

8.2.16

Vater sein dagegen sehr

Ich reibe mir verwundert die Augen. Dinge, über die ich nicht mal reden würde, sind auf einmal "feministische Vaterschaft" (unbedingt die Kommentare ansehen, das ist sehr, sehr traurig). Witzigerweise habe ich mir tatsächlich noch nie Gedanken über so etwas wie feministische Vaterschaft gemacht. Und auch noch nie über die Dinge, die in dem verlinkten Artikel beschrieben werden. Darum war ich zuerst auch so perplex und habe den Text angesichts der Überschrift als "blöd" bezeichnet.
Das ist aber eigentlich ja unfair. Denn der Text ist, wenn man es genau betrachtet, nicht blöd, er hat nur die falsche Überschrift. Was Jochen König beschreibt, sind Selbstverständlichkeiten, die offenbar nicht selbstverständlich sind. So wie es auch immer noch die Arschlöcher unter den Vätern gibt, die sich als "neue Väter" feiern, weil sie die zwei Monate Elternzeit für eine Weltreise mit Frau und Kleinkind nutzen oder weil sie hin und wieder ihr Kind vom Kindergarten abholen, wenn die böse Mutter sie lässt (alles fein, aber "neue Väter"? Haaalllloooo?). Ich übertreibe unfair, ja, aber ihr glaubt gar nicht, was man so alles erlebt, wenn man mit Leuten zusammen trifft, die sich "neue Väter" nennen oder welche sein wollen oder so. Aber hin und wieder liest man ja auch mal gutes zu dem Thema und nicht nur so einen Blödsinn wie neulich in diesem Spiegeldingens.

Feministische Vaterschaft?
Was sollte das eigentlich sein? Und: worauf sollte Mann da stolz sein? Ich selbst habe auch erst in der allerletzten Zeit angefangen, mich als Feministen zu bezeichnen. Das kam mir vorher immer eher albern vor. Mein eigenes Aufwachsen, das ich teilweise immer mal wieder hier im Blog beschrieb, war so selbstverständlich feministisch geprägt, dass ich auch wirklich erst auf die Idee kam, ich sei Feminist, als ich die feministische Subkultur verließ, in der ich aufwuchs. Das war ein Schock.

Lustigerweise kam er zeitlich ungefähr zu der Zeit, als ich das erste Mal Vater wurde (eigentlich sogar noch später, aber im Erleben dessen, wie ich Vater war, und dem, wie andere Vater waren, entstanden die ersten Risse). Ich habe beispielsweise nie ein Gewese um das gemacht, wie wir als Paar Eltern waren und wie wir gemeinsam anfingen, eine Familie zu sein, darum findet sich auch in meinen Texten und meinem Blog so wenig darüber. Erst später lernte ich, das Erstaunen (und bei den Freundinnen der Frau die Begeisterung) anderer einzuschätzen, wenn wir über unser Leben und unsere Familienarbeit sprachen.

Dies hat übrigens nichts, aber auch gar nichts mit der Frage zu tun, wer wie viel der Familienarbeit verrichtet. Das mag einige überraschen - aber auch die Beispiele, die Jochen König anführt, haben nichts zu tun mit der Aufteilung der Arbeiten zwischen den Eltern (also der Verteilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit). Jochen schreibt - und nennt dies Fragen auf dem Weg zu einer feministischen Vaterschaft:
Wer bleibt zuhause, wenn das Kind krank ist? Wer wird vom Kindergarten angerufen, wenn es dem Kind nicht gut geht? Wer hat im Blick, wann die nächste Impfung oder Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin ansteht und ob sich noch genügend passende Klamotten im Kinderkleiderschrank befinden? Wer geht mit dem Kind neue Schuhe (auch Hausschuhe für die Kita) kaufen? Wer besorgt das Geburtstagsgeschenk für den Kindergeburtstag? Und wer fordert immer wieder Gespräche darüber ein, wie das Ganze aufzuteilen ist?
Ich könnte alle diese Fragen für mich beantworten, wahrscheinlich überwiegend so, dass der Eindruck entstünde, ich kümmerte mich um die Familienarbeit - und trotzdem mache ich viel weniger konkrete Familienarbeit als die Frau, die dafür weniger Zeit mit Erwerbsarbeit zubringt als ich. Woraus ich schließe, dass dies nur sehr wenig mit Feminismus zu tun hat - sondern eher damit, kein Arschloch zu sein. Oder zumindest halbwegs achtsam. Denn was Jochen hier als "unsichtbare Arbeit" beschreibt, ist doch eigentlich "nur" eine Frage der Achtsamkeit, nicht aber der Haltung zur Machtfrage in dieser Welt (was Feminismus meiner Meinung nach immer auch ist).

Wo sich Feminismus eher zeigt
Ich denke, dass die Themen, die Jochen König anspricht, alle wichtig sind. Aber nicht feministisch. Sondern wichtige Fragen von Herzensbildung, Achtsamkeit und Gerechtigkeit. Ich weiß, dass auch in diesen Fragen bei uns in der Familie keine "Gleichverteilung" herrscht, aber dass die Richtung stimmt. Ich bin überzeugt, dass es in einer feministischen Familie nicht entscheidend ist, wer welche Arbeit macht - sondern wer das entscheidet und wieso es so ist. Wie also die Machtfrage gestellt und beantwortet wird.

Während für Feministinnen im Patriarchat so etwas wie ein Fuck Off Fund eine wichtige und gute Idee ist und darum die Frage, wie das Geldverdienen in einer Beziehung, in einer Familie geregelt wird, tatsächlich entscheidend ist, muss eine ungleiche Verteilung des Familieneinkommens nicht zwingend ein Problem sein - wenn, ja wenn die Familie ein feministisches Modell ist [zu einer weiteren wichtigen Voraussetzung, dass das bei uns klappt, zwei Absätze weiter]. Wenn wir eine feministische Gemeinschaft bilden, die - wiederum ähnlich wie das, was unsere Eltern exemplarisch in den 70ern und 80ern gemacht haben - die Utopie praktisch werden lässt.

Ich mag die Idee einer "feministischen Vaterschaft" nicht. Aber wenn, dann äußert sie sich nach meiner Überzeugung eher in einem inklusiven und feministischen Lebensmodell der Familie. In der es biologisch Mama und Papa gibt, aber keine Rollenzuschreibungen und keine Mama- oder Papa-Aufgaben. In der Männer weinen und Frauen brüllen, um es mal ganz plastisch am Familienalltag entlang auszudrücken. In der beispielsweise nicht für immer klar ist, wer zu Hause bleibt, wenn das Kind krank ist, sondern dieses jedes Mal anhand der jeweils konkreten Situation in der Erwerbsarbeit abgestimmt wird.

Dass die Frau, unsere Kinder und ich diese Utopie zu leben versuchen können, hängt allerdings mit einem Punkt zusammen, den wir nicht bei anderen voraussetzen können und den die eine oder andere wahrscheinlich auch schräg oder inakzeptabel findet. Für uns ist klar (aus verschiedenen Gründen), dass unser Familienmodell nur funktioniert, wenn es für immer ist. Wenn es kein Sicherheitsnetz, eben keinen Fuck Off Fund gibt. Wenn Scheitern keine Option ist. Vielleicht spreche ich auch deshalb von gelebter Utopie. Aber tatsächlich ist dieses Fehlen von Angst an dieser einen Stelle etwas, das uns die Machtfrage aktiv angehen lässt. Das uns ermöglicht, die ungleiche Verteilung des Einkommens nicht zu einer Machtfrage werden zu lassen - sondern die Einkommensteile aus Erwerbsarbeit zusammen zu betrachten, ebenso wie die Gesamtheit der Arbeit und der Freude und der Liebe und des Stresses.

Die feministische Familie strahlt aus
Die ersten unserer Kinder sind gerade an der Schwelle zum Erwachsensein. Und es macht mich glücklich, dass sie unser feministisches Modell von Familie teilen und leben. Da beginnt es schon auszustrahlen.

Der andere Punkt ist in der Erwerbsarbeit tatsächlich sichtbar. Und hier sehe ich den wesentlichen Unterschied zu Jochen König (vielleicht jedenfalls, er spricht ja faktisch über diesen Teil nicht in seinem kurzen Text, der nur über die Basics redet). Denn was die Frau und ich jeweils beruflich machen, wie wir uns da organisieren, welche Gespräche wir mit unseren (potenziellen) Arbeitgeberinnen führen, hängt wesentlich mit unserem Familienmodell zusammen.

Als Feminist bin ich im Beruf viel eher zu sehen als in der Familie. Weil ich voraussetze, dass ich mit den Kindern zu Lernentwicklungsgesprächen mitten am Tag in ihre Schule gehe(n darf). Weil ich auch im Büro als Vater sichtbar bin. Weil ich zeigen kann, dass ein feministischer Lebensentwurf trotzdem zu einer Karriere führen kann, die bis in die Geschäftsführung führt.

4.2.16

Arabischer Frühling, deutscher Winter

Nein, vor fünf Jahren, das war keine "Facebook-Revolution". Und nein, gerade finden keine "Facebook-Pogrome" statt. Aber es fällt doch auf, wie sehr Social Media mit Veränderungen in der Gesellschaft zu tun haben. So sehr, dass der hellsichtige und intelligente Christian Buggisch sogar von Facebook als Propaganda-Maschine spricht. Und so sehr ich ihm beim Unbehagen zustimme, denke ich, er irrt mit dieser Einschätzung. Oder zumindest mit diesem Wort. Und das hängt mit der Überschrift dieses Textes zusammen, damit, dass ich Gemeinsamkeiten erkenne, auch weit über diese beiden Themen hinaus.
Ein kurzer Einschub zu Literatur, die meinem Denken und meiner Analyse zugrunde liegt. Auf drei Bücher sei verwiesen, die mich heute prägen in diesem Zusammenhang. Drei Bücher übrigens, die ich jenseits der wenigen Worte dieses Textes sehr allen denen empfehle, die sich mit Kommunikation und Gesellschaft beschäftigen. Also mindestens allen Menschen, die mit Marketing und PR zu tun haben (wollen): 
  • Zum einen Marcuses wirkmächtiges Buch Der eindimensionale Mensch, das vielleicht das wichtigste philosophische Buch des 20. Jahrhunderts war und ohne das meines Erachtens fast nichts zu verstehen ist, was wir heute vorfinden. Brillante Analyse. 
  • Zum anderen, auch schon älter, das wichtiges Basiswerk zu Open Source, Raymonds Die Kathedrale und der Basar, das mich seit fast zwanzig Jahren inspiriert. 
  • Und zum dritten, das jüngste in dieser Runde, Writing on the Wall von Tom Standage. Dies letzte ist schnell gelesen, macht das unbedingt, sehr erhellend, um Linien zu sehen, wo ihr noch keine seht.
Soziale Medien vs lineare Medien
Nach meiner Beobachtung sehen wir in der Zusammenrottung von Menschen, die eine Pogromstimmung erzeugen, ein Phänomen, das - zunächst einmal wertneutral betrachtet - typisch ist für Umbruchsituationen und für neue Medienformen. Wenn es soziale Medien sind, also Medien, die entlang von sozialen Signalen verbreitet werden (wie Briefe, Flugschriften, Facebook/Twitter), dann ist das meines Erachtens übrigens tatsächlich das Gegenteil von Propaganda, für das die Macht lineare Medien braucht (wie Plakate, TV, Radio). Soziale Medien haben in politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen exakt den gegenteiligen Effekt von Propaganda - nämlich das Sichtbarmachen von Haltungen und Meinungen, die vom vermeintlichen Mainstream abweichen. Was übrigens ja weder gut noch schlecht ist, was diese Meinungen vor allem nicht besser macht als andere. Denn es kann zu Umstürzen in Diktaturen führen (1989, 2011) oder eben zu Pogromen (2016). Was aber passiert durch soziale Medien - und was wir auch in Deutschland gerade erleben - ist das, was ich "Synchronisation von Meinungen" nenne.

Deutscher Winter
Was wir das gesamte letzte Jahr erlebt haben und gerade aktuell auch für die meisten sichtbar wird, die kaum Menschen in ihren Netzwerken hatten, die sich an der Pogromstimmung beteiligen, ist aus meiner Sicht genau diese "Synchronisierung von Meinungen". Das ist nicht die "Schuld" von sozialen Medien (darum auch meine These, dass es eben nicht "Facebook-Pogrome" oder "Facebook-Faschismus" seien), denn die Meinungen sind ja unabhängig von sozialen Medien da. Aber soziale Medien - und heute eben vor allem Facebook - spielen eine entscheidende Rolle. Und die Stimmung, die wir erleben, die ich bis in Bekanntenkreise und Nachbarschaft hinein erlebe, wäre ohne Facebook so weder entstanden noch möglich.

Der Deutsche Winter, den wir gerade erleben, bringt Haltungen und Meinungen an die Oberfläche, die schon seit Jahren da sind. Diejenigen, die sich mit dem verfestigten rechtsextremen Weltbild schon länger beschäftigen, das ein erschreckend großer Teil der Menschen (überwiegend Männer) in Deutschland hat, sind davon nicht überrascht sondern höchstens ein bisschen betrübt, weil sie die letzten zwanzig Jahre nicht Ernst genommen wurden. Ein Blick auf die journalistische Arbeit von Toralf Staud beispielsweise kann da Augen öffnen.

Facebooks Rolle ist nach meiner Einschätzung nicht die einer Propaganda-Maschine - sondern die eines affirmativen Resonanzraums. Das ist es ja auch, was Facebook für Marken und Politik im Prinzip so attraktiv macht. Die gesamte Grundstruktur moderner sozialer Medien ist eben affirmativ - ich werde vor allem mit Zustimmung konfrontiert und merke sehr schnell, dass ich mit einer Haltung und Meinung nicht allein bin, dass es viele andere gibt, die diese Meinung und Haltung teilen. So wird mir bestätigt, was ich ahne aber noch nicht wusste - dass meine Meinung eigentlich "normal" ist, dass es an der "Gleichschaltung" der linearen Medien liegt, dass ich einen anderen Eindruck hatte bisher, weil diese Meinungen unterdrücken - denn ich sehe ja in meinem affirmativen Resonanzraum, dass eigentlich fast alle so denken wie ich.

Revolution und Aktion
Und so ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur Aktion. Wenn Luthers Schriften in meiner Stadt ausverkauft sind, wann immer ich danach frage, müssen es viele sein, die seiner Lehre anhängen, bin ich nicht allein. Wenn ich auf Twitter und Facebook sehe, dass viele zum Tahrir gehen, gehe ich auch, denn ich bin nicht allein. Wenn ich sehe, dass eigentlich alle Leute, die ich zu kennen glaube, mit mir der Meinung sind, dass die "Merkeldiktatur" weg muss, dann bastele ich einen Galgen und kaufe mir eine Waffe.

Was den Deutschen Winter vom Deutschen Herbst unterscheidet, scheint mir vor allem seine Wurzel im affirmativen Resonanzraum sozialer Medien zu sein. Lichtenhagen führte nicht zu einem echten (bewaffneten) Aufstand, weil die große Menge Menschen, die eine mehr oder weniger klammheimliche Freude daran hatte, sich nicht gegenseitig sah. Die vor allem in Norddeutschland messbare grundsätzliche Zustimmung einer relativ großen Menge von Menschen zum von ihr so empfundenen "Widerstand" der RAF konnte nicht in Aktionen führen, weil kaum welchen klar war, dass es so viele sind, die dieses so empfanden.

Die Logik sozialer Medien
Darum greifen auch die Forderungen, Facebook möge entschiedener gegen Hetze vorgehen, ebenso zu kurz wie die hilflosen Versuche der Plattformen, eine Haltung zu entwickeln und sich an Demokratieinitiativen zu beteiligen. Darum haben meines Erachtens diejenigen Recht, die sagen, dass "wir" einen Kampf um die Plattformen führen müssen.

Die Logik sozialer Medien (und wie Tom Standage überzeugend zeigt, gab es vor der Zeit der linearen Massenmedien immer wieder schon soziale Medien, ist es also kein wirklich neues Phänomen, das ich hier beschreibe) ist die Synchronisation von Meinungen. Das ist ihre eigentliche Kraft. Nicht der Diskurs, die Offenheit, die Demokratisierung von Medien. Das haben viele von uns, die sich seit zehn Jahren mit den heutigen sozialen Medien beschäftigen, zunächst gedacht - denn das war es, wofür wir sie genutzt haben. Aber auch schon in diesen ersten Jahren waren sie, damals halt für uns, im Grunde ein affirmativer Resonanzraum, der unsere Meinungen synchronisiert hat.

Gefahr oder Chance?
Ich bin ja eher Zukunft- und technikoptimistisch. Und das, obwohl ich seit vielen Jahren über die Gefahr des massenhaft verbreiteten rechtsextremen Weltbildes rede. Ich bin auch mit der Analyse von sozialen Medien als affirmativem Resonanzraum nicht pessimistisch sondern weiterhin optimistisch.

Nur dass ich nicht daran glaube, dass die Pogromstimmung, der aktuelle Terrorismus oder die aktuelle Bewaffnung mit bisherigen Mitteln der politischen Auseinandersetzung, der Überwachung oder der Kraft der linearen Medien bekämpft werden können. Darum ist es mir so wichtig, dass wir Resonanzräume für die anderen schaffen innerhalb diese Medien. Darum gehe ich immer wieder in die Konfrontation mit den Vertreterinnen des Deutschen Winters, so wie neulich, als Roland Tichy seinen Mob auf mich gehetzt hat. Darum glaube ich an die harte Auseinandersetzung und die klare, zuspitzende Positionierung.

Ich bin nicht optimistisch, dass wir die Situation in Deutschland und in Europa ohne Gewalt und harte Auseinandersetzungen werden auflösen können. Dafür haben diejenigen, die für Demokratie und Zivilisation stehen, zu spät erkannt, dass sich in den sozialen Medien die Menschen gefunden haben, die vorher über zwanzig Jahre ihre Meinung und Haltung als von der Mehrheit abweichend erlebt und gebildet haben. Dass sie diese Meinungen jetzt synchronisieren, sich in ihrem Resonanzraum bestätigt finden.

tl;dr
Im affirmativen Resonanzraum sozialer Medien synchronisieren sich radikale Meinungen, bis es zur Aktion kommt. Nicht Facebook ist böse. Die bösen Menschen sind es. Das sollten wir nie vergessen.