Auf der einen Seite sind da die Berater, die nicht aus der Praxis kommen, sondern vor allem mit Vorträgen und Workshops glänzen (was absolut ok ist, kein Problem damit). Denen kann und will ich nicht vorwerfen, dass sie nicht erkennen, was die Deutsche Bahn mit dem Chefticket will, was Sinn und Unsinn davon war - und dass sie dann zu dem übereilten Schluss kommen, es sei ein PR-Gau oder so was oder komme von Anjatanjas. Dass gerade deren Blogs von Journalisten gerne gelesen werden, führt dann halt auch mal zu absurden, recherchefreien Artikeln wie dem bei heute.de oder dessen lauwarmen Aufguss bei kress.de (den ich vor lauter Fremdschämen nicht mal verlinken mag).
Und dann ist da der tragische Fall des PR-Bloggers, der so fest mit dem Namen des Kollegen Klaus Eck verknüpft ist, dass der unterirdische Schnellschuss seines Gastautors Jochen Hencke sogar geeignet ist, Klaus' Reputation zu beschädigen (was doppelt ironisch ist angesichts seines Tätigkeitsfeldes Reputationsmanagement).
Ernsthaft bestürzt war ich von Anfang an darüber, dass viele, viele aus dem so genannten "Berater-Mob" (nicht mein Wort, es fiel in diesem Zusammenhang mehrfach auf der Social Media Conference in München) von einem Zwang zum Dialog faselten, davon, dass hier eine Krise sei oder so was. Dass die Lautsprecher sich nicht die Mühe machten, mal zu gucken, ob das vielleicht einkalkuliert war, vielleicht sogar unter Kontrolle, oder - oh Schreck - bewusst provoziert. Sondern dann hektische Was-die-Bahn-jetzt-machen-muss-Artikel gebloggt haben oder mit E-Mails um sich warfen.
Diese Woche nun, also die Woche, in der die Verkaufsaktion für das Chefticket begann,hat gezeigt, dass alle die Recht hatten, die schon von Anfang an den Kopf über die Schreihälse geschüttelt hatten. Denn auf einmal geht auch die Kampagne los, beispielsweise mit einigem Media-Aufwand, beispielsweise mit einem Wallpaper auf bild.de:
Im besten Fall wird den Beratern, die sich allzu schnell zu allzu voreiliger Kritik haben verleiten lassen, das Ganze peinlich sein. Im schlechtesten rennen sie unter Absehung der Fakten noch ein paar Monate über Konferenzen und haben das Chefticket als Negativbeispiel dabei (wie diese Woche beim Social Media Club Hamburg und bei der Social Media Conference München). Im realistischen und nicht minder absurden Fall werden sie das Ganze so drehen, dass sie Recht hatten und es trotzdem ein Erfolg war. Viel Spaß.
Ich denke, dass einige von den "Beratern" deshalb so verschreckt auf die Chefticket-Aktion reagiert haben, weil sie Social Media bisher fast ausschließlich durch die PR-Brille betrachtet haben. Es waren ja auch vor allem Leute aus der PR oder dem Journalismus, die so geschrieen haben. Und für viele PR-Leute ist ja merkwürdigerweise "Dialog" immer noch die Monstranz ihrer Arbeit und für einige sogar immer noch ein Ziel. Was sie nicht erkennen, ist, dass Dialog immer nur ein Instrument zu einem wichtigeren Ziel ist, so wie PR immer nur ein (oft kleines, weshalb die Budgets auch so klein sind) Instrumentenfeld innerhalb der Gesamtkommunikation und vor allem innerhalb von Marketing und/oder Vertrieb ist.
Die Reaktion der PR-Social-Media-Blase auf das Chefticket zeigt mir: Auch wenn der kritikfeste Dialog, die Heimat der PR, vor allem in den ersten Jahren ein sehr hilfreiches Instrument war, um in den Social Media zu bestehen, so ist er eben immer noch notwendig - aber längst nicht mehr hinreichend. Die guten und erfolgreichen Social-Media-Projekte kommen immer weniger aus der PR und immer mehr aus anderen Bereichen (siehe Chefticket, siehe "Telekom_hilft", siehe 1&1, siehe - jaja, pro domo, weil unsere Projekte - Hornbach und Carlsen). Und weil vor allem die Social-Media-Spezis, die aus der PR kommen, sich auch immer noch so schwer tun mit der Frage nach dem ROI (Return on Investment) schon ihrer Herkunftsdisziplin und erst Recht ihrer Social-Media-Maßnahmen, weil es ihnen so schwer fällt, zu benennen, was "bottom line" rauskommt, werden sie - das ist meine Prognose - auch dieses Feld wieder an andere verlieren. Und zwar im kommenden Jahr. Hear my words.
Zu meiner Einschätzung des Chefticket bisher habe ich mit Alex Wunschel übrigens auch den jüngsten Brouhaha aufgenommen. Und wenn ich es mal so unbescheiden sagen darf: Ich finde, es ist einer der besten, die wir bisher gemacht haben.
Download MP3 (24:27; 22.6MB)
[disclosure: Ich leite den Bereich "digitale Strategie" bei achtung! und einer unserer größten Kunden ist die Deutsche Bahn AG. Wir haben mit dieser Kampagne nichts zu tun, waren nicht involviert und nicht betroffen. Aber ich kenne den einen und die andere, die damit zu tun hatten. Das habe ich übrigens mit einigen der heftigen Kritiker dieser Kampagne gemeinsam, von denen sogar welche zum engeren Zirkel gehörten, die diese Aktion geplant hatten.]