30.10.10

Die peinliche Woche für die Berater

Es ist schon witzig. Die meisten, die Unternehmen und Marken zu Social Media beraten, sind sich einig: das Wichtigste ist zunächst das Zuhören. Aber einige scheinen das zu vergessen, wenn sie die Chance zu einem Scoop wittern. Das kann auch nach hinten losgehen und im Ernstfall sogar massiv die eigene Reputation beschädigen. Ich denke, genau das ist einigen in den vergangenen beiden Wochen passiert.

Auf der einen Seite sind da die Berater, die nicht aus der Praxis kommen, sondern vor allem mit Vorträgen und Workshops glänzen (was absolut ok ist, kein Problem damit). Denen kann und will ich nicht vorwerfen, dass sie nicht erkennen, was die Deutsche Bahn mit dem Chefticket will, was Sinn und Unsinn davon war - und dass sie dann zu dem übereilten Schluss kommen, es sei ein PR-Gau oder so was oder komme von Anjatanjas. Dass gerade deren Blogs von Journalisten gerne gelesen werden, führt dann halt auch mal zu absurden, recherchefreien Artikeln wie dem bei heute.de oder dessen lauwarmen Aufguss bei kress.de (den ich vor lauter Fremdschämen nicht mal verlinken mag).

Und dann ist da der tragische Fall des PR-Bloggers, der so fest mit dem Namen des Kollegen Klaus Eck verknüpft ist, dass der unterirdische Schnellschuss seines Gastautors Jochen Hencke sogar geeignet ist, Klaus' Reputation zu beschädigen (was doppelt ironisch ist angesichts seines Tätigkeitsfeldes Reputationsmanagement).

Ernsthaft bestürzt war ich von Anfang an darüber, dass viele, viele aus dem so genannten "Berater-Mob" (nicht mein Wort, es fiel in diesem Zusammenhang mehrfach auf der Social Media Conference in München) von einem Zwang zum Dialog faselten, davon, dass hier eine Krise sei oder so was. Dass die Lautsprecher sich nicht die Mühe machten, mal zu gucken, ob das vielleicht einkalkuliert war, vielleicht sogar unter Kontrolle, oder - oh Schreck - bewusst provoziert. Sondern dann hektische Was-die-Bahn-jetzt-machen-muss-Artikel gebloggt haben oder mit E-Mails um sich warfen.

Diese Woche nun, also die Woche, in der die Verkaufsaktion für das Chefticket begann,hat gezeigt, dass alle die Recht hatten, die schon von Anfang an den Kopf über die Schreihälse geschüttelt hatten. Denn auf einmal geht auch die Kampagne los, beispielsweise mit einigem Media-Aufwand, beispielsweise mit einem Wallpaper auf bild.de:

Werbung für das Chefticket

Im besten Fall wird den Beratern, die sich allzu schnell zu allzu voreiliger Kritik haben verleiten lassen, das Ganze peinlich sein. Im schlechtesten rennen sie unter Absehung der Fakten noch ein paar Monate über Konferenzen und haben das Chefticket als Negativbeispiel dabei (wie diese Woche beim Social Media Club Hamburg und bei der Social Media Conference München). Im realistischen und nicht minder absurden Fall werden sie das Ganze so drehen, dass sie Recht hatten und es trotzdem ein Erfolg war. Viel Spaß.

Ich denke, dass einige von den "Beratern" deshalb so verschreckt auf die Chefticket-Aktion reagiert haben, weil sie Social Media bisher fast ausschließlich durch die PR-Brille betrachtet haben. Es waren ja auch vor allem Leute aus der PR oder dem Journalismus, die so geschrieen haben. Und für viele PR-Leute ist ja merkwürdigerweise "Dialog" immer noch die Monstranz ihrer Arbeit und für einige sogar immer noch ein Ziel. Was sie nicht erkennen, ist, dass Dialog immer nur ein Instrument zu einem wichtigeren Ziel ist, so wie PR immer nur ein (oft kleines, weshalb die Budgets auch so klein sind) Instrumentenfeld innerhalb der Gesamtkommunikation und vor allem innerhalb von Marketing und/oder Vertrieb ist.

Die Reaktion der PR-Social-Media-Blase auf das Chefticket zeigt mir: Auch wenn der kritikfeste Dialog, die Heimat der PR, vor allem in den ersten Jahren ein sehr hilfreiches Instrument war, um in den Social Media zu bestehen, so ist er eben immer noch notwendig - aber längst nicht mehr hinreichend. Die guten und erfolgreichen Social-Media-Projekte kommen immer weniger aus der PR und immer mehr aus anderen Bereichen (siehe Chefticket, siehe "Telekom_hilft", siehe 1&1, siehe - jaja, pro domo, weil unsere Projekte - Hornbach und Carlsen). Und weil vor allem die Social-Media-Spezis, die aus der PR kommen, sich auch immer noch so schwer tun mit der Frage nach dem ROI (Return on Investment) schon ihrer Herkunftsdisziplin und erst Recht ihrer Social-Media-Maßnahmen, weil es ihnen so schwer fällt, zu benennen, was "bottom line" rauskommt, werden sie - das ist meine Prognose - auch dieses Feld wieder an andere verlieren. Und zwar im kommenden Jahr. Hear my words.

Zu meiner Einschätzung des Chefticket bisher habe ich mit Alex Wunschel übrigens auch den jüngsten Brouhaha aufgenommen. Und wenn ich es mal so unbescheiden sagen darf: Ich finde, es ist einer der besten, die wir bisher gemacht haben.





Download MP3 (24:27; 22.6MB)


[disclosure: Ich leite den Bereich "digitale Strategie" bei achtung! und einer unserer größten Kunden ist die Deutsche Bahn AG. Wir haben mit dieser Kampagne nichts zu tun, waren nicht involviert und nicht betroffen. Aber ich kenne den einen und die andere, die damit zu tun hatten. Das habe ich übrigens mit einigen der heftigen Kritiker dieser Kampagne gemeinsam, von denen sogar welche zum engeren Zirkel gehörten, die diese Aktion geplant hatten.]

27.10.10

Süßes abgreifen

Was mir gerade einfiel: Eigentlich könnten meine Kinder ja dieses Jahr mal jede Süßigkeitenabgreiftradition aufgreifen, die wir haben.

Dieses Wochenende geht es los mit dem heidnischen (jaja, ich weiß, ich weiß, Irland, Allerheiligen und so, trotzdem) Helloween-Kommerz-Dingens. Das werden sie sich eh nicht ausreden lassen, da haben wir gegen die Übermacht der Umgebung verloren.

Aber meine Süße könnte verlangen, dass sie dann auch gripschen gehen an St. Martin, wie es da gemacht wird (wurde?), wo sie herkommt (im Prinzip das gleiche, von Haus zu Haus, abgreifen eben).

Und ich, dass sie dann auch noch rummeln, also an Silvester noch mal das gleiche machen, wie es bei uns hier in Hamburg üblich war damals (und Silvester geht es dann darum, die Weihnachtsreste, also vor allem das, was man nicht mag, elegant an die Kinder zu verfüttern).

Zwei Monate, drei Säcke voller Süßigkeiten, würde unseren Wocheneinkauf reduzieren.

Happy Birthday Kyra - ein Jahr Hund

Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet ich, der so ein Angst vor Hunden hatte. Immer schon. Wer weiß, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich gewusst hätte, dass die Familie meiner heutigen Frau einen Hund hatte. Und nun ist unser eigener Hund heute ein Jahr alt geworden. Und tatsächlich ist es wunderschön mit ihr.

Herzlichen Glückwunsch, Kyra.

19.10.10

Kulturzusammenstoß

Ich bin selbst eher empfindlich, was Bilder (von mir oder beispielsweise meinen Kindern) angeht, die von Schulen, Kindergärten etc. ins Web gestellt werden. Und ich habe mich mit den rechtlichen Aspekten und auch einigen kulturellen recht viel beschäftigt. Insofern kann ich Leute verstehen, die da insgesamt noch zurückhaltender sind als ich.

An einer Stelle ist es nun neulich zu einem Zusammenstoß von Kulturen gekommen, den ich aber dann doch sehr interessant finde - und bei dem ich mir nicht sicher bin, wie ich zu dem Thema insgesamt stehen soll und will. Darum stelle ich es hier einmal vor und zur Diskussion.

Denn im Prinzip bin ich sehr optimistisch, was vor allem die nachwachsende Generation bei diesem Thema angeht. Wenn ich Jugendlichen beispielsweise zuhöre, unterhalten die sich viel über diese Fragen - also ob und welche Bilder jemand von ihnen online stellt. Und online heißt ja auch nicht "für alle sichtbar", denn dafür muss es auffindbar sein und erkennbar beispielsweise, aber das ist noch mal ein anderes Thema.

Neulich habe ich von einer Veranstaltung mit Kindern, die an einem öffentlichen und öffentlich zugänglichen Platz stattfand, live mit dem mobilen Internetzugangsgerät ein Video gemacht, um es Familienmitgliedern und Freunden, die nicht dabei sein konnten, zu zeigen. Dieses Video ist auch in meinen YouTube-Kanal gelaufen. Der Ort, an dem es aufgenommen wurde, ist in der Videobeschreibung, also durch Suche auffindbar. Da das iPhone keine gute Kamera hat und der Ort keine gute Internetverbindung waren die Bilder verwackelt und unscharf, aber es waren Menschen, auch Kinder zu erkennen.

Jemand hat mich gebeten, das Video zu löschen (was ich gerne gemacht habe), und darauf hingewiesen, dass er es befremdlich und schlecht finde, wenn man nicht mal mehr bei solchen Veranstaltungen sicher sein könne, dass nichts im Internet auftauche.

Wie gesagt - einerseits kann ich es verstehen, auch wenn die rechtliche Situation unbedenklich ist. Andererseits bin ich mir immer weniger sicher, ob es richtig war, dem Wunsch nachzugeben, je länger ich nachdenke.

Zum Zeitpunkt, da ich es löschte, hatte das Video 14 Aufrufe. Niemand war namentlich erwähnt oder mehr als zufällig durchs Bild laufend zu sehen. Überspitzt frage ich mich, ob es tatsächlich (oder eben nur durch kulturelles Lernen bzw. Fremdheit) einen Unterschied macht, ob jemand seinen Freunden und seiner Familie (im Zweifelsfalle mehr als 14 Leuten) seine Bilder und Videos auf dem Computer zeigt, auf denen ich zu sehen bin, ohne es zu wissen - oder ob ich es meinen Freunden und meiner Familie online zeige, wie es in meinem Umfeld üblich ist.

Ich sehe den Punkt, dass es theoretisch einen Unterschied machen könnte, ob ein Bild oder Video online und damit prinzipiell auch für mehr Leute verfügbar ist. Aber ist das nciht der gleiche Trugschluss wie 1997, als der Bäcker um die Ecke dachte, er würde jetzt weltweit Brötchen verkaufen, weil er im Weltweitweb war? Wie soll jemand ein Video finden, das nicht einschlägig suchbar ist - außer wenn er oder sie mich kennt und gezielt meine Videos sucht (also außer wenn es genau für ihn oder sie online gestellt wurde)?

Mich hat das Gespräch verunsichert. Und ich merke, wie sehr unsere Lebenswelten und -wirklichkeiten auseinanderklaffen inzwischen.

12.10.10

Keine Gleichstellung des Islam

Im Nachgang zu Wulffs Feiertagsrede ist einiges in dieser komischen Integrationsdebatte durcheinander gekommen (auch wenn es vorher nicht viel besser war). Die Solidaritätsbekundungen und Staatsverträge für "den" Islam sprießen aus dem Boden. Zeit für ein bisschen Sortierung. Das beste, was ich zu dem Thema bisher gehört (ich konsumiere die "Zeit" ja seit ein paar Jahren als Audiomagazin) oder gelesen habe, stand in der "Zeit" vom letzten Donnerstag. Ulrich Greiner schreibt profund über die Unterschiede zwischen Juden- und Christentum einerseits und Islam andererseits im Hinblick auf personale Freiheit (die der Islam theologisch so nicht kennt) und Säkularismus - politisch vor allem wichtig wegen des Primats der Politik gegenüber der Religion und wegen der Gewaltenteilung. Und Greiner hat Recht, wenn er schreibt:
Diese Gewaltenteilung geht zurück auf das Alte Testament, in dem die Propheten als Sprecher Gottes den weltlichen jüdischen Herrschern oftmals in den Arm fallen. Sie gipfelt in dem Satz von Jesus: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Sie findet ihre Ausarbeitung bei Augustinus und seiner Lehre von den zwei Reichen. Es war der Augustinermönch Luther, der diesen Gedanken gegen eine Kirche stark machte, die ihn vergessen und die politische Gewalt usurpiert hatte.
(Integration: Unser Islam? | Politik | ZEIT ONLINE)
Das Problem geht aber noch tiefer. Und das hängt mit diesem Punkt dann doch auch zusammen. Während die Gründungsurkunden von Judentum und Christentum selbst in der orthodoxesten Auslegung (und hey, ich bin selbst theologisch nahe an der lutherischen Orthodoxie) eben gerade kein über dem säkularen Staat stehendes religiös begründetes Rechtssystem kennen, ist es beim Islam anders. Die Scharia ist für den Islam ewig und unverhandelbar, wie beispielsweise sogar der liberale Vorzeigereformer Großmufti Ceric aus Bosnien betont. Und die Scharia steht immer über jedem anderen (weltlichen) Gesetz. Darum bin ich skeptisch, was die Hoffnung oder Forderung nach einer "islamischen Aufklärung" angeht. Ein Säkularismus hat im Islam keinen theologischen Anker - anders als die Aufklärung, die historisch den modernen Säkularismus in Europa begründet und die aus der Mitte der spätmittelalterlichen jüdischen und christlichen Theologie stammte. Meine Befürchtung ist, dass der Islam an einer Aufklärung zerbräche, die er bräuchte, um "zu Deutschland" (oder zu Europa) zu gehören. Vor allem, wenn man sich ansieht, wie sehr die (europäische) Aufklärung selbst das Christentum zerlegt hat.

Wenn nun beispielsweise in Hamburg ein Staatsvertrag mit "den Moslems" geschlossen werden soll nach dem Vorbild der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde (obwohl auch diese Verträge gerade in Hamburg erst kürzlich zustande kamen), dann wird das die Nagelprobe für beide Seiten sein: Denn ein halbwegs freiheitlicher Staat, der mit Organisationen Verträge schließt, die sich nicht vorbehaltlos und innerlich zu Gewaltenteilung und dem Primat der staatlichen Gewalt und Organe gegenüber den religiösen bekennt, gibt sich auf. Und ein Islam, der sich zu genau diesem Primat bekennt, beerdigt die Scharia - und läuft Gefahr, sich damit selbst zu verlieren.

Der Islam ist - egal wie groß die Zahl der Menschen in einem Land ist, die sich zu ihm als Religion zählen - in Europa nicht Juden- und Christentum gleichzustellen. Das heißt nicht, dass Moslems nicht "gute Europäer" sein können und überwiegend sind. Das heißt auch nicht, dass Wulff nicht auch ihr Präsident ist, wenn sie denn Deutsche sind (obwohl, ist er mein Präsident? In mehr als einem formalen Sinne?). Das heißt nur, dass ein freiheitliches Rechtssystem, in dem ich leben mag, eben aus den Wurzeln unserer antiken und jüdischen und christlichen Geschichte kommt, die eng miteinander verwoben sind, und nicht aus den Wurzeln des Islam. Denn auch, wenn ich persönlich mein Leben überwiegend an meinem Glauben orientiere, bin ich heilfroh, dass der Staat das nicht tut, sondern positive und negative Religionsfreiheit garantiert. Damit kann ein Islam nicht leben, der sich selbst ernst nimmt. Und darum kann es keine Gleichstellung des Islam in diesem Land geben.


Update 13.10.
Weil Djure fragt, was denn meine Schlussfolgerung wäre, hier noch ein, zwei Sätze dazu.

Auf individueller Ebene halte ich es für gut möglich, dass Moslems sich zum Primat des Staates bekennen können. Auf institutioneller Ebene bin ich da sehr skeptisch. Und mich ärgert sehr, wie in Hamburg der Stand der Verhandlungen zum Staatsvertrag ist: Der Staat billigt dem Islam jede Menge Dinge zu, ohne auch nur eine Gegenleistung zu verlangen. Inzwischen ist es so weit, dass ein führender Vertreter des Islam in Hamburg öffentlich jubilieren kann, Deutschland sei das islamischste Land, das er kenne, er könne hier seine Religion freier ausüben als in der Türkei. Hier ein Videodokument einer entsprechenden Verhandlungstaktik aus dem Sender Phönix.

9.10.10

Handelskammer: Menschenrechte? Interessieren uns nicht

Der Friedensnobelpreis an Liu Xiaobo wird von der Handelskammer kritisiert. Anders kann ich die Äußerungen einer ihrer Geschäftsführerinnen nicht verstehen. Und darum gehört die entlassen, denke ich.

Aber von vorne.

Dass die Zwangsmitgliedschaft aller Unternehmen und Unternehmer in der Handelskammer (woanders als in Hamburg: Industrie- und Handelskammer, IHK) abgeschafft gehört, ist ja nicht neu. Dass die Handelskammer sich immer wieder einseitig und keinesfalls mit einem Mandat ihrer Zwangsmitglieder versehen zu politischen Fragen äußert, ebenso. Und das ist ebenso doof wie die Zwangsmitgliedschaft an sich (sagte ich das schon?). Aber irgendwie konnte ich damit immer halbwegs leben, selbst in der Zeit, in der ich auch ein Zwangsmitglied war. Ärgern und zur Tagesordnung übergehen.

Heute kann und will ich das aber nicht tun, also das zur Tagesordnung übergehen. Denn heute wird die für den Bereich GVIII International zuständige Geschäftsführerin der Handelskammer, Corinna Nienstedt (Kontakt und Organigramm hier online), im Hamburger Abendblatt mit einer meiner Meinung nach derart zynischen und menschenverachtenden Äußerung zitiert, dass ich sie für in dieser Stadt in dieser Kammer nicht mehr tragbar halte. Frau Nienstedt gehört meines Erachtens sofort entlassen, wenn sie (was ich nicht annehme aber auch nicht ausschließen kann) nicht sinnentstellend zitiert wurde.

Lt. Hamburger Abendblatt von heute morgen (S. 6) hat sie gesagt (und die Formulierung legt ein offizielles Handelskammer-Statement nahe):
Wir [Anm. WLR: sic!] gehen nicht davon aus, dass die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo negativ auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Deutschland auswirken wird. Eine Beeinträchtigung dieser engen wirtschaftlichen Verflechtungen ist weder im Interesse der Volksrepublik noch in unserem Interesse
Wie verquer muss man eigentlich im Kopf sein, um sich nicht zu freuen, dass das Nobelkommitee nach einigen Griffen ins Klo (siehe nur den absurden Preis an Obama letztes Jahr) einen mutigen und überfälligen Preis vergibt? Dass es in einer Zeit, in der China und dessen barbarisches Regime überall hofiert wird und - sicher nicht zu Unrecht - als wichtigste kommende Macht dieser Welt gilt, dem totalitären und menschenverachtenden Partei- und Polizeiapparat vor den Karren fährt.

In so einer Situation hat die Handelskammer in Person einer Geschäftsführerin nichts besseres zu tun, als der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, es werde sich nichts ändern?

Pfui. Ich ekele mich vor dieser Äußerung.

1.10.10

Schwarz-Grün ist am Ende

Es gibt in diesem Land zurzeit drei Parteien, die politisch interessant sind: Die CDU, die Linke und die Grünen. Die letzten Monate war das spannend zu beobachten. Die Linke als Partei der Modernisierungsverlierer hat einen in sich relativ geschlossenen Politikansatz, der sie faktisch aus der Diskussion ausschließt - und CDU und Grüne haben jeweils halbwegs konsistente Programme, die sie, gebremst von ihren populistischen und schlingernden Partnern, versuchen oder versucht haben umzusetzen. Dass ich das eine besser finde als das andere, ändert nichts an der Analyse, dass es die beiden konkurrierenden politischen Ideen sind, die zurzeit in Deutschland existieren. Die letzten Umfragen bringen das nur an die Oberfläche.

FDP und SPD, die früher einmal politische Parteien zu sein pflegten, sind in den letzten Jahren (SPD) oder Monaten (FDP) vollkommen von der ernstzunehmenden Bühne verschwunden, insbesondere die SPD schlingert tragisch und traurig vor sich hin (was wohl nicht mal explizit daran liegt, dass ihr Popularkulturlismusbeauftragter Vorsitzender ist. In Hamburg und Baden-Württemberg zeigt sich das ganze Drama in den grotesken Pirouetten rund um Familien- und Schulpolitik (Hamburg) und Stuttgart 21 (BaWü). Es kann kein Zufall sein, dass die Auseinandersetzung um Atomkraft, Hartz IV und Stuttgart eher CDU und Grüne als die eigentlichen Kontrahenten sieht, als die politischen Gegenpole, als die beiden Gruppen, die in diesen Fragen tatsächlich Vorschläge anzubieten haben, die sich nicht an Umfragewerten sondern an Programmarbeit und Überzeugungen orientieren.

In naher Zukunft halte ich es für möglich und wahrscheinlich, dass CDU udn Grüne die jeweils tragende Kraft von Regierungsbündnissen werden - und sich den zum jeweiligen Zeitpunkt halbwegs passenden Partner aus den anderen Parteien suchen, der sie am wenigsten behindert. Deshalb hat sich auch in vielen Politikbereichen so wenig geändert, als die SPD im Bund durch die FDP ersetzt wurde.

Und damit sind wir bei Schwarz-Grün. Ich war ein Anhänger dieses Bündnisses und halte es weiterhin für gut, dass wir es in Hamburg haben. Nicht nur, weil es Optionen erweitert hat, sondern vor allem, weil sich zeigt, dass eine programmatisch halbwegs kosistente Partei tatsächlich in einem Zweckbündnis einfache ist als eine populistische Schlingergemeinschaft. Die berühmte vertrauensvolle Stimmung, you know.

Aber Schwarz-Grün funktioniert nicht. Denn mit einer unsicheren, vor allem unpolitischen Partei zu regieren, ist dann trotz allem denkbarer als mit einer anderen sicheren, wertegetriebenen Partei, die tatsächlich ein politisches Ziel verfolgt. Während die so genannte Große Koalition funktionierte im Bund, weil es eben keine auf Augenhöhe war, leidet Schwarz-Grün faktisch am Große-Koalition-Syndrom - und kann nur ein Übergang sein.

Gerade die beiden politischen Antagonisten für die nächsten Jahre, eben CDU und Grüne, die bereits jetzt die politische Diskussion treiben, werden nur im Notfall koalieren können. Sicher: Hamburg ist genau dieser Notfall, da die Linke eine (wenn auch konsistente) Fundamentalopposition ist und die SPD, gerade hier in der Stadt, vollkommen regierungsunfähig, sowohl personell als auch programmatisch.

Es wird spannend werden: CDU und Grüne werden mehr und mehr um die gleichen Wähler buhlen - den Teil der Bevölkerung, der politisch interessiert ist und dem wichtig ist, dass Politik mit einer Haltung (sic!) und einer Position verbunden ist, die sich nicht alle drei Wochen ändert. Und beide werden sich für eine Regierung um Partner bemühen, die sie möglichst wenig behindern (und hier ist für die Grünen das eigentliche Dilemma, denn die SPD, die unser "natürlicher" Partner wäre, wird sich mit ihrer neuen Rolle a la FDP nicht so leicht abfinden). Ein Weg könnte sein, weiterhin auf den Regierungschef zu verzichten - und die an sich unsinnige Tradition (die ein deutscher Sonderweg ist) zu beenden, dass die größte Partei oder die inhaltiche führende diesen Posten besetzen muss.