27.3.12

Claudia Roth und Jürgen Trittin sind der neue Helmut Schmidt

Bei den Grünen gibt es (nicht nur intern) Diskussionen, wer die Partei in den Bundestagswahlkampf anführen soll. Und auch wenn das die meisten, die mich kennen, überraschen wird: Ich denke, das sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin sein. Dringend. Am liebsten mit Renate Künast, aber sonst auch gerne ohne sie.

Kaum jemand (mal abgesehen von Ursula von der Leyen) ist stärker verantwortlich zu machen für das Hauptproblem der Grünen als die beiden. Und darum sollen sie die erste wichtige Wahlkonsequenz auch verantwortlich tragen: das erwartbar nur mittelgute Abschneiden bei der Bundestagswahl und den Einzug der Piraten ins Parlament.

Denn so wie Helmut Schmidt der wichtigste Geburtshelfer der Grünen war, weil er für viele moderne Linke und eine sich über die Anti-Atom- und Friedensbewegung politisierende Generation habituell und auch inhaltlich altbacken und unwählbar daher kam, so gilt dieses heute für Claudia Roth und Jürgen Trittin (und mit ihnen für die allermeisten führenden Grünen). Sie stehen so sehr für die alten Grünen der 90er und 0er Jahre, sie sind in Politikstil, Habitus und ihren inhaltlichen Schwerpunkten so sehr der Grund, warum jene Menschen nicht den Weg zu den Grünen fanden, die sich angesichts der Zerstörungsversuche von Frau von der Leyen im Lebensraum unserer Generation politisiert haben. Nicht einmal die, die inhaltlich passen würden (was ja nun beileibe nicht für alle, vielleicht nicht einmal für die meisten Piraten gilt).

Nessy fasst das in ihrem Blog unter dem Titel Liebe Generation meiner Eltern wunderbar zusammen. Ich denke, und schrob das ja auch bereits, genau so können wir verstehen, was da passiert. Wer immer glaubt, die Piraten und ihre Erfolge inhaltlich begründen oder inhaltlich "bekämpfen" zu können, sollte Nessys Text dringend lesen. Denn wer auch nur einmal mit Piraten zu tun hatte, weiß, dass ihr Erfolg nichts, aber auch gar nichts mit Netzpolitik zu tun hat. Und das, obwohl (ja, das klingt komisch, aber so ist es) der Anlass der Politisierung und auch der ursprüngliche Grund, sich die Piraten überhaupt mal anzusehen, für die meisten mit Netzpolitik zu tun hat.

Claudia Roth ist bei den Grünen sehr beliebt. Aber Grüne haben schon mit ihren Wählerinnen kaum etwas gemeinsam – geschweige dann mit neuen Gruppen, die lebensweltlich ganz anders verortet sind. Jürgen Trittin ist einer der Stars des selbstreferenziellen Resonanzraums der klassischen Medien (TV, Zeitungen). Eines Raumes, der keine Relevanz mehr hat für Menschen, deren wesentlicher Heimatraum „das Internet“ ist. Beide können – gemeinsam oder alleine – die bestehende Basis und Wählerinnenschaft der Grünen mobilisieren. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Und das sollten sie noch einmal tun – um auszuloten und aufzuzeigen, wie groß die Basis für Grüne in diesem Land ist, wenn sie sich nicht weiter entwickeln.

Mit „weiterentwickeln“ meine ich nicht programmatisch – denn da sind sie genau dazu in der Lage. Wer sich für Inhalte interessiert, wird zugeben, dass auf dem Papier die Grünen heute in den Bereichen Urheberrecht, Netzpolitik und Demokratie nicht nur weiter und überzeugender auf die Fragen der Netzbewohnerinnen antworten als jede andere Partei, einschließlich der Piraten.

Grüne haben nicht programmatisch die Anschlussfähigkeit an Gruppen jenseits ihrer seit Jahren stabilen Stammwählerinnenschaft und ihres (bürgerlichen, akademischen, etablierten, recht uniformen) Milieus verloren, sondern lebensweltlich und habituell. Um es einmal zugespitzt zu formulieren: ein Malte Spitz reicht nicht.

Kaum etwas illustriert den Widerspruch grüner Rituale und grünen Spitzenpersonals zu der Lebenswelt von Piraten und ihren Wählerinnen mehr als die für viele überraschenden Personen, die bei den Piraten in Spitzenämter gewählt werden – und wie das geschieht.

Denn nicht etwa schillernde Personen wie Lauer (Berlin) oder Weisband (Bundesgeschäftsführerin) sondern – sorry für die Formulierung – langweilige Spießer wie Baum (Berlin), Nerz (Bund) oder Paul (NRW) gelangen an die Spitze. Eben eher ein Malte Spitz, der als einziges Mitglied des grünen Bundesvorstandes kaum bekannt ist, als eine Claudia Roth. Inhaltliche und persönliche Kompetenz anstatt Eloquenz und Medientauglichkeit.

Ja, das liegt an den „Akzeptanzwahlen“ der Piraten, und an die habe ich durchaus auch sehr ernste Anfragen. Aber diese den Grünen fremde Art der Basisdemokratie, die ja nichts mit Inhalten zu tun hat sondern mit Politikstil und mit einer anderen als unserer Vorstellung von Partizipation, macht einen gewaltigen Unterschied in der Haltung zu Politik und zu Mehrheiten und zur Meinungsentwicklung aus. Übrigens eine Haltung, auf die die Grünen nach dem Ende der Flügel ja durchaus auch hätten kommen können. Aber nicht kamen (was keine Kritik ist, sondern nur feststellt, wo habituelle Unterschiede liegen).

Ein weiterer Punkt, der viele ältere Grüne verstören wird, ist der Befund, dass die Piraten erstaunlich wenig ironisch sind und sehr viel ernsthafter und ernster an Politik herangehen als Grüne. Renate Künasts Ausflug in die Westerwelle’sche Spaßparteirhetorik („Piraten resozialisieren“) illustriert das hervorragend. Wer im Internet zu Hause ist, weiß, dass Humor als Humor gekennzeichnet werden muss und dass Ironie nicht funktioniert. Anders als ihre Vorurteile diejenigen vermuten lassen, die soziale Medien von außen beobachten oder – wie Bärbel Höhn – „Internet gucken“, führt die kontinuierliche Interaktion (und nicht das Senden, die es grüne Spitzen gut und erfolgreich beherrschen) eher zu einer tieferen und ernsthafteren Beschäftigung mit Themen als die Konsumption von Politik über die klassischen Medien.

Je mehr Grüne auf die Piraten einschlagen oder sie gar zu den Hauptgegnern der Wahlkämpfe machen, wie es Sylvia Löhrmann für NRW in gnadenloser Hilflosigkeit getan hat (um dann auch noch in Höhn’scher Manier das „wir haben einen jungen Abgeordneten“ nachzuschieben), sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin, die Taufpaten der Piratenpartei, auch die Grünen in den Wahlkampf führen.

26.3.12

Neben dem selbstreferenziellen Resonanzraum der ehemaligen Leitmedien

Ich war auf einem Kolloquium der Stiftung der Arbeitgeberverbände, das sich - sehr spannend - mit den Auswirkungen des partizipativen Netzes auf Politik, Gesellschaft und Demokratie befasst hat. Neben sehr vielen sehr guten Gesprächen, für mich neuen Impulsen und Kontakten hatte ich auch die Freude, eines der Impulsreferate zu halten und mich der ausführlichen Diskussion zu stellen. Was mit vielen Professoren am Tisch eine Herausforderung ist, weil deren Sendungsbewusstsein tendenziell mit meinem locker mithält... Meine Session hatte ich gemeinsam mit Jimmy Schulz, MdB dieser Partei, wie heißt die noch? Wir waren uns erstaunlich oft einig.

Neben aktuellen Mobilisierungskampagnen und der Gesprächskultur (und meinem Lieblingsthema, dem "Digital Divide") habe ich den Impuls mit fünf Thesen eröffnet, die ich hier schon einmal weiter gebe. Der gesamte Impuls wird später sicher im Tagungsband sein. Und diese Thesen sind für einige andere mit aufsteigender Intensität irritierend.
  1. Hyperlinks untergraben Hierarchien. Das ist nicht neu. Das wissen alle, die schon einmal einen Hyperlink genutzt haben. Also einen Link, der Hintergrundinformationen zu einer Behauptung liefert, von dem ich zu einer anderen Seite komme, auf der noch mal erklärt wird, was gemeint sein könnte (oder was die Fakten sind), wenn jemand „von oben“ etwas sagt.
  2. Über das Internet und vor allem über das, was wir Social Media nennen, findet gerade die Politisierung nicht nur einer Generation sondern mehrerer Generationen statt, wie es sie seit den 80ern mit ihren großen Themen (Nachrüstung, Atom) nicht mehr gegeben hat. Und das europaweit.
  3. Durch Facebook und noch viel mehr durch Twitter bekommen ganz normale politisch interessierte Menschen auf einmal einen direkten Zugang zu Spitzenfunktionärinnen im Politikbetrieb. Asynchron und nachhaltig.
  4. Simplifizierung in Mobilisierungskampagnen heißt nicht mehr, dass die Mobilisierten simpel sind oder simpel denken. Trotz Simplifizierung wächst das Wissen der Basis und übersteigt das der Expertinnen massiv.
  5. Ehemalige Eliten, die sich im selbstreferenziellen Resonanzraum der so genannten Leitmedien über ihre reale Bedeutung täuschen, sind für die Entwicklung von Haltungen und Meinungen der Menschen weitgehend irrelevant geworden. So wie die Bild-Zeitung und die FAZ.
Auf zur Diskussion.

23.3.12

Das Hirn eines Penners

Und dann ist hier noch der völlig unkorrekte aber großartige Kurzfilm, den mein Freund Marco vor rund 20 Jahren gedreht und nun endlich ins Internetz gestellt hat. Und den ich euch nicht vorenthalten will, weil er (erwähnte ich das?) großartig ist.

Der Ekel vor dem s

Jede hat ihren blinden Fleck. Etwas, das, gegen alle vermeintliche Vernunft, den Kragen platzen lässt und wo, wie meine Frau es formulieren würde, Toleranz eben mit z endet. Bei mir sind es drei Kleinigkeiten, über die ich schwer bis nicht hinwegsehen kann: falsche Kommata, der falsche Gebrauch von Fremdwörtern - und das Lispeln.

Es ist nicht so, dass ich froh darüber bin, denn es ist schmerzhaft, weil es dir überall begegnet. Aber mich ekelt Lispeln, es löst bei mir tatsächlich körperliche Schmerzen aus. Vielleicht, weil ich mein Leben lang gesungen habe und eine Sprechausbildung genießen durfte, vielleicht, weil ich mit Dagmar Ponto eine wirklich sehr, sehr gute Sprechtrainerin hatte (deren größter beruflicher Erfolg wohl diese eine bauernschlaue lispelnde Ikone der 90er ist, die sie bildschirmtauglich gemacht hat). Vielleicht, weil meine Frau Sprachheilpädagogin ist und ich schon früh wusste, dass kaum ein Sprechfehler so einfach und erfolgreich therapierbar ist wie eben das Lispeln. Ich kann schon Ulrich Wickert nicht zuhören, bei dem viele andere noch nicht mal hören, dass er lispelt.

Meine These ist, dass es eine Zumutung ist, jemanden mit diesem mit etwas persönlicher Anstrengung so gut behebbaren Sprechfehler ins Fernsehen zu lassen. Dass selbst eine mögliche thematische oder gar intellektuelle Brillanz nicht rechtfertigt, jemanden Lispelndes auf ein Podium zu holen oder einen Vortrag halten zu lassen. Sollen die schreiben oder eben eine Sprechtherapie oder Sprechausbildung machen, wenn sie unbedingt öffentlich reden wollen.

Ein weiteres Problem ist entstanden mit Tonabspielgeräten mittlerer Qualität, bei denen s-Laute, die noch nicht gelispelt sind aber unsauber und mit mehr Zischen als üblich versehen, zu einem Lispeln werden in den Ohren der Zuhörerin. Das werde ich wohl ertragen müssen, auch wenn es mich quält.

Heute morgen begann ich voller Vorfreude das Audiomagazin der aktuellen Ausgabe der "Zeit" - unter anderem, weil die "Zeit", ganz anders als die "brand eins" in der Audioversion, die grausame Pausen in den Sprechfluss geschnitten hat, normalerweise wirklich gut gesprochen und gut produziert ist. Und dann wird schon das Inhaltsverzeichnis von einer neuen, recht jungen Stimme gesprochen, die unerträglich lispelt. Der Schock war körperlich. Und das hektische Wechseln der Kopfhörer und der Einstellungen des im iPhone eingebauten Equalizers (jaja, ich weiß) halfen nichts.

Und selbst bei Kindern ist lispeln nicht niedlich. Übrigens.

21.3.12

Glück gehabt?

Wer immer bereits Social Media in sein Unternehmen eingeführt haben sollte, muss jetzt sehr genau gucken, ob das auch richtig so war. Den das Deutsche Institut für Normung, allseits bekannt für seine Industrie- und Dingsnormen wie DIN A4 oder DIN C6 oder so, hat eine Spezifikation vorgelegt, die sich jede dringend für 48,10 EUR kaufen sollte. Endlich wird darin festgelegt, wie Social Media bombensicher gelingt und optimal und bürokratinnensicher (und Bürokratinnen gibt es in jedem Unternehmen, das ich bisher kennen lernen durfte) eingeführt werden kann. Da heißt es unter anderem (und das zitiere ich zur Sicherheit wörtlich) -
In sieben Schritten ins Web 2.0
Die sieben Phasen der Web 2.0-Einführung beschreibt die DIN SPEC 91253 wie folgt:
1. Sensibilisierung
2. Analyse
3. Strategieentwicklung
4. Konzeption
5. Implementierung
6. Nutzung
7. Controlling
Damit ist nun alles klar für alle und für alle Zeit. Hoffentlich. Und Pech für alle, die es möglicherweise anders gemacht haben. Also vor allem die 66%, die noch keine durch DIN normierte oder spezifizierte Strategie haben. Oh-oh. Wenn das man keinen Ärger gibt. Fliegen sie jetzt aus den IHKn? Oder werden vom ULD abgemahnt?

13.3.12

Ja, die Grünen sind alt - na und?

In vielen Kommentaren und Gesprächen in der letzten Zeit hörte ich, die Grünen seien so alt und so etabliert geworden. Und würden den Anschluss an junge Leute verlieren, das Lebensgefühl einer anderen Generation widerspiegeln.

Dazu habe ich zwei Kommentare (tl;dr)
- Na und?
- Stimmt nicht.

Aber im Ernst:
Ja, die Grünen haben - anders als vor 20 Jahren - keinen Alleinvertretungsanspruch der jungen Generation (oder zumindest ihres nicht völlig vergreisten Teils) mehr. Wer viel mit Jugendlichen zu tun hat, die sich für Politik mindestens am Rande interessieren (da bin ich in der glücklichen Lage, dies sogar zu Hause zu haben und in den Freundschaften, die meine Jugendlichen pflegen), sieht schon, dass die Piraten einen Teil der Jugendlichen emotional und vom Lebensgefühl abholen - und die Grünen einen anderen. Und dass viele dazwischen schwanken: Lebensgefühl Piraten, Politik grün, salopp formuliert.

Meine (zugegebenermaßen privatempirische) Beobachtung ist darüber hinaus, dass Jugendliche, die sich politisch von ihren Eltern massiv abgrenzen (wollen oder müssen), eher zu den Piraten neigen - und solche, denen die Abgrenzung nicht so wichtig ist, eher in Richtung grün tendieren. Was ich auch recht spannend finde. Und was mich zur wesentlichen These dieses Eintrags führt. Also zu der Überschrift.

Ja, die Grünen sind alt und unmodern und etabliert und irgendwie Mainstream (was für viele, die sich für rebellisch halten, alles das selbe ist). Und nein, das stört nicht. Im Gegenteil.

Der gängige Vorwurf, die Grünen seien so verdammt bürgerlich - und zwar sowohl in Haltungs- als auch in Lebensumständefragen - geht ja genau am Kern vorbei. Ist für jemanden wie mich, der in materialistischer Analyse geschult wurde, sogar logisch und nicht als Vorwurf zu verstehen. Denn der eigentliche "Markenkern" (wie ich dieses Wort im politischen Bereich hasse, aber dazu ein anderes Mal mehr) grüns ist ja nur schwer kompatibel mit anderen Schichten als einer bourgeoisen. Wie schon Brecht erkannte. Und ebenso logisch ist doch, dass eine Partei, die aus einem studentischen Milieu stammt, 30 Jahre später mehr Gutverdienende hat als andere Parteien.

Insofern sind die Grünen heute lebensweltlich in einem konservativen Bereich angekommen. Sie hecheln nicht jeder neuen Entwicklung und Idee hinterher (auch wenn ich mir an der einen oder anderen Stelle eine höhere Geschwindigkeit wünschte). Das Spannende daran ist aus meiner Sicht, dass eine konservative Sicht auf die Welt nicht zwingend zu einer konservativen politischen Haltung führt. Dass sogar die bisherigen Experimente, die beiden konservativen Lebenswelten in einer Koalition zusammen zu bringen, so grandios gescheitert sind. Dass also ähnliche Lebenswelten am Ende doch nicht ausreichen, um gemeinsam Politik zu machen.

Witzigerweise habe ich ja damals im Oktober 2010 bereits über dieses Thema geschrieben. Und als ich es eben noch mal las, staunte ich beinahe, wie ähnlich meine Gedanken damals waren zu dem, was ich aktuell wieder denke.

Im bürgerlichen Teil, im konservativen, alten Teil der Bevölkerung haben die Grünen ihre (Macht-) Basis. Von hier aus machen sie Angebote, die idealerweise ausstrahlen. Aber genau das funktioniert im Grunde. Ein Lebensgefühl der Vorsicht und der Rücksicht teilen viele Konservative. Daraus ein politisches Programm zu entwickeln, das nicht rechts ist, haben - in Deutschland - bisher nur die Grünen geschafft.

Was die angebliche Ähnlichkeit der Piraten mit den Grünen angeht: lebensweltlich kommen die kaum zusammen. Ja, auch ich kenne einige Piraten, die überlegt hatten, grün zu werden statt Pirat. Aber dass sie es nicht wurden (sondern Pirat) hängt - so meine Beobachtung - eben nicht so sehr mit den Inhalten als mit dem Lebensgefühl zusammen, das wir jeweils ausstrahlen und repräsentieren. Das beginnt bei den Instrumenten der politischen Partizipation (Quote beispielsweise) und endet nicht bei den Stadtvierteln, in denen wir jeweils leben. Und während damals in den 80ern die SDAJ bei uns in den Walddörfern eine Rolle spielte an den Schulen (und an der Schule Ole von Beusts ein Jahrzehnt lang die Schulsprecherinnen stellte), finden die Piraten (bisher) nicht statt. Anders als in städtischeren Teilen von Hamburg beispielsweise.

In den 80ern war ich in der SPD. Und die Sprüche damals gegen die Grünen ("Fleisch vom Fleische") ähneln erschreckend denen, die heute bei den Grünen über Piraten zu hören sind. Und gemeinsam ist beiden Diskursen das Unverständnis für das jeweilige Lebensgefühl der "neuen". Dass es eben nicht um Inhalte geht. Sondern um die Haltung. Und den Stil.

Was heißt das?
Dass die Grünen alt werden oder schon sind. Dass es junge Leute gibt, die sie dennoch gut finden. Dass das eher junge Leute sind, die keine Rebellinnen sind. Die vielleicht vor 30 Jahren in der Jungen Union gewesen wären, wer weiß (und Emos natürlich - sozusagen die konservative, brave Variante dessen, was mal Punk war - klar, des Weltschmerzes wegen, den sie mit den Alt-Grünen und Kirchen-Grünen teilen).

Und dass die Piraten stabil eine (Macht-) Basis bei Menschen gefunden haben, die ein anderes Lebensgefühl teilen. Selbst wenn sie zu ähnlichen politischen Schlüssen kommen sollten wie viele Grüne.

Und dass die Piraten mindestens mittelfristig helfen werden, die strukturelle Mehrheit links von der CDU politisch zu festigen. Wenn Grüne (und SPD übrigens) nicht den gleichen Fehler machen wie die SPD in den 80ern. Die interessante Nachricht wäre ja: aus drei sehr, sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen und Haltungen, Lebenswelten und Stilen lässt sich eine Schnittmenge bilden, die genug hergibt, um zu regieren.

8.3.12

Powerpointdadaismus zum Privacy Divide

Wenn ich Gäule sehen will, gehe ich in den Zoo, twitterte jemand. Und das Tolle war: Die Frau hat mir ihren zweiten Tweet ever gewidmet. Es hat also funktioniert. Anfang der Woche war ich bei den Digital Days 2012 der "Horizont" in der Trendzone mit einem Vortrag zum Privacy Divide. Und anstatt einfach Symbolbilder zum Vortrag zu zeigen, habe ich einmal Powerpointdadaismus praktiziert, um die Konditionierung von Auditorien auszutesten - und ob dieses konkrete Auditorium in der Lage ist, einem Vortrag zu folgen trotz Powerpoint.

Aber weil die Folien nicht selbsterklärend sind, habe ich dann mal einen so genannten screencast bei Slideshare gemacht - und das Manuskript, das es auch online zu lesen gibt, eingesprochen. Hier:



Das Thema ist mir übrigens tatsächlich wichtig. Und ich bin mir sicher, dass dieser Privacy Divide unser Leben und unser Arbeiten als Kommunikatorinnen bestimmen wird...

2.3.12

Erste Gedanken zur Chronik für Marken auf Facebook

Da habe ich nun mal etwas abgewartet und mir erstmal die Seiten von Kundinnen und anderen mit der neuen Chronik angeguckt, bevor ich was dazu sage. Und auch nach ein paar Tagen intensivem Test bin ich bei einigen Dingen noch hin- und hergerissen. Darum nur erste kleine Gedanken:

(1) Facebook wird Brandbook?
Nein. Nicht wirklich. Zwar werden die Einträge der Nutzerinnen aus der Pinnwand raussortiert. Aber: in den meisten anderen Sprachmärkten ist es so, wie auch auf immer mehr deutschen Seiten, dass ohnehin die Beiträge der Besucherinnen erst nach einem Klick auf "alle Beiträge" sichtbar werden. Insofern werden die durch die Chronik faktisch sogar besser auffindbar.

(2) Apps sind am Ende?
Im Gegenteil. Auch wenn Facebook zunächst so klingt, als würde es das so sehen, werden drei (!) Apps pro Seite prominenter als bisher sein und durch ein großes Teaserbild auch attraktiver. Was allerdings nichts daran ändert, dass 90% der Interaktion im Newsstream der Nutzerinnen stattfinden. Also jetzt bereits.

(3) Stärkerer Fokus auf der Kontakten der Fans
Eine Verbesserung sowohl für die Marken als auch für die Privatpersonen ist aus meiner Sicht der starke Fokus auf "meine Freunde" auf Seiten von Marken, die ich aufrufe. Sofort und "überm Bruch", also vor dem Scrollen, sehe ich, wie viele meiner (!) Kontakte die Seite gut finden. Und ein (offenbar wechselnder) Beitrag eines Kontaktes wird mir angezeigt. So wird die mögliche soziale Relevanz der Seite auf einen Blick deutlich.

(4) Facebook wird mich zuspammen mit Werbung?
Noch wissen wir nicht, was die Reichweitensteigerung von 16% auf 75% meint. Denn wir können es noch nicht ausprobieren in Europa. Wenn wir Kommunikatorinnen damit aber unsere Nutzerinnen nerven, ent-folgen sie uns schneller, als wir gucken können. Die Echtzeitstatistiken, die Facebook uns versprochen hat, werden uns helfen, das schnell festzustellen. Im Idealfall werden wir als Seiten also besser und relevanter, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen.

Noch wissen wir über zu viel zu wenig. Vor allem zu wenig aus der Praxis. Aber es spricht alles dafür, dass die Chronik dann gut für beide Seiten sein wird, wenn wir Seitenbetreiberinnen es behutsam, mutig und sinnvoll zu nutzen verstehen, was Facebook uns hier an die Hand gibt. Die ersten Schritte, die mein Team und unsere Kundinnen gegangen sind, finde ich bisher eher ermutigend.