Obwohl ich von ihm nur auf einer Sommerakademie der Studienstiftung lernen konnte und er für mich ja sozusagen fachfremd ist, gehört Werner Durth zu meinen wichtigsten Lehrerinnen. Vor allem über Kontinuitäten in Lebensläufen und so weiter habe ich viel von ihm gelernt. Andere Geschichte. Und darüber, warum Diktaturen für Architekten großartig sind. Weil sie Spielräume schaffen. Germania planen zu dürfen, war für viele der späteren Stars der 50er sehr aufregend.
"Entwickler lieben Apple", sagte einer neulich zu mir, der sich mit einer kleinen Anwendung rumschlagen musste, die auf iPhone und Android funktionieren sollte. Alles sei klar geregelt und einheitlich. Das, was ich immer "Cuba" nenne: eine Diktatur, in der die Sonne scheint. In der ich mich wohlfühlen kann, wenn ich mich hinreichend anpasse. Apple ist Cuba.
Und die Technokratie Merkel'scher Prägung hat irgendwie auch was von Cuba. Und bringt merkwürdige Kinder hervor, die sich durch einen irritierenden Technik- oder Wissenschaftspositivismus auszeichnen. Was schließlich doch noch die Kurve kriegt zur "Alternative für Deutschland", über die ich eigentlich gar nicht schreiben wollte. An deren verstörenden Plakaten ich aber vorbei laufe jeden Tag.
Was mich rund um diese Hochschulprofessoren, die eine unscharf profilierte Expertenpartei gegründet haben, die gesamte Zeit umtreibt, ist etwas Ähnliches wie bei den Piraten (ja, wilde Umleitung, löst sich gleich auf, versprochen). Als jemand, dem intellektuelle Demut auch selbst sehr fremd ist, kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, wie jemand auf die Idee kommen kann, man müsse nur mal die richtigen, die schlauen Leute ranlassen, so richtige Expertinnen, und dann würde alles flutschen. Geht mir dauernd so.
Aber im Kern ist dies Technokratie oder Expertokratie. Und das Gegenteil von Demokratie. Ja, man kann sehr unglücklich werden angesichts von Demokratie. Ich auch, wenn ich sehe, dass die Massen mehr Angst vor einem Veggie-Day haben als vor der Abschaffung der Demokratie und Freiheit.
Das, was die "Alternative für Deutschland" mit den "Piraten" gemeinsam auszeichnet, ist doch gerade dieser Anspruch der Technokratie. Die Vorstellung, es gebe eine objektive, geradezu "naturgesetzliche" Wahrheit und einen richtigen Weg, der nur umgesetzt werden müsse. Lasst die Techniker oder die Wirtschaftswissenschaftlerinnen ran - und alles flutscht. Eine geradezu katholische Haltung, obwohl die auch schon ein bisschen von ihren naturrechtlichen Ansätzen abgerückt sind, wenn ich das richtig übersehe.
Das Interessante ist aus meiner Sicht, dass beide im Kern unpolitischen Protestparteien dabei gleichzeitig (1) die Sehnsucht vieler Menschen in meiner Umgebung nach mehr Kompetenz bedienen und (2) voll auf der Linie Merkels sind, die nahezu perfekt die Mischung aus asymmetrischer Demobilisierung und technokratisch-wissenschaftlich begründeter scheinbarer Alternativlosigkeit beherrscht.
So betrachtet sind Piraten und AfD beide "Merkels Kinder". Geprägt und politisiert von der Erfahrung unter ihrer Kanzlerinnenschaft, beide weitgehend ohne Gestaltungsanspruch, beide mit der Vorstellung, es gebe einen objektiv richtigen Weg. Also beide genau so, wie Merkel agiert und regiert. Ja, beide in unterschiedlicher Ausprägung, so unterschiedlich sogar, dass es schwer fällt, sie auch nur gemeinsam zu nennen - aber ich finde die Gemeinsamkeiten verblüffend. Zumal sie noch etwas gemeinsam haben: Ich finde es schwer erträglich, wie sie die Technokratie oder Expertokratie der Demokratie vorziehen. Und ich finde sie gleich unwählbar.
Eine Vorliebe für Cuba ist keine Frage des Alters. Und Pubertät auch nicht.
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7.8.13
16.1.13
Manipulation
Nur ein kurzer Zwischenruf. Ich dachte, dass auch dieses Thema, ähnlich wie so viele feministische, seit den 80ern fertig ausdiskutiert wäre und wir uns der Arbeit zuwenden können. Aber das stimmt leider nicht. Seufz. Aber vielleicht ist es die Aufgabe von uns Alten, es nicht nur an unsere Kinder weiterzugeben sondern auch immer und immer wieder denen zu erzählen, die damals diese Diskurse nicht mitbekommen haben oder zu jung waren, sozusagen die Zwischengeneration.
Denn wir, die wir damals geprägt wurden und die Diskurse und Argumente mitbekamen, haben uns um euch nicht gekümmert, wie das immer so ist. Vielleicht hätten wir es tun sollen, dann müsstet ihr euch jetzt nicht in so positivistischen Bewegungen wie den Piraten oder so sammeln. Denn vor dem Positivismus und dem Affirmatismus (so will ich es mal nennen) hilft vor allem eine solide Unterrichtung im kritisch-materialistischen Diskurs. Dies mit der Herrschaft, you know. Dass es keine Nicht-Herrschaft gibt, dass es wichtig ist, zu gucken, welches Argument eher (positivistisch) die eigentlich als verbesserungsfähig erkannten Realitäten stützt. Und welches sie zu verändern hilft.
Genug der Vorrede. Es soll um eines der irresten und irre erfolgreichen Manipulationsinstrumente gehen, das der Affirmatismus (also die positivistisch auf die Erhaltung des Existierenden ausgerichtete Haltung) in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Das scheinemanzipatorische oder scheinfortschrittliche Zeigen auf Das Große Ganze. Was ist welches Problem schon, verglichen mit Hungesnöten im Suden oder Hodenkrebs (um mal ein Filmzitat aus einem meiner Lieblingsfilme zu erwähnen, das dort nicht umsonst ein masturbierender Waliser sagt, aber das ist eine andere Geschichte).
Willkürlich herausgegriffen dieser Tweet von der geschätzten (wirklich!) Kollegin Nina Galla, bestimmt aus purem Zufall an dem Tag, an dem der Kommentar über den Sexismus der Piraten, über den seit Sonnabend diskutiert wurde, online war.
Die eine oder andere kritisiert mich ja, wenn ich diesen manipulierten Stil als "pubertär" beschimpfe. Aber wer sich einmal mit Emos (was ja nur die radikale Variante ist) oder auch nur mit normalen sensiblen und sich links (im Sinne von: gegen Ungerechtigkeit und die Schlechtigkeit der Welt eingenommen) fühlenden Jugendlichen unterhält, wird feststellen, dass es ein hartes Stück Arbeit ist, aus der Verzweiflung über Das Große Ganze, die einen lähmt, in die Aktion für einen Teilaspekt zu kommen. Das würde ich (vielleicht etwas unfair) als den Übergang von einer pubertären zu einer erwachsen werdenden Haltung bezeichnen.
Am Ende ist die Haltung, die Nina da twittert, vor allem eines: ein Vorwurf an die, die sich auf ein Problem konzentrieren. Also gegen die, die an einer Stelle etwas ändern. Und nicht zuerst Hodenkrebs besiegen und den Hunger im Sudan. Sondern sich erdreisten, die Hälfte des Himmels zu fordern. Und das hier auf der Erde.
Der Marxismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat denen, die sich einer Unterdrückung widmeten, oft Partikularismus vorgeworfen. Aber der Totalitarismus hat bisher immer nur denen genutzt, die nichts ändern wollten, oder zumindest nichts zum besseren ändern. Und wenn der Totalitarismus noch nicht mal aus einem geschlossenen Weltbild kommt, ist er nur noch ein Zerrbild seiner selbst. Und nutzt und hilft nur denen, die nichts ändern wollen. Und damit ist er auf deren Manipulation hereingefallen.
Dass die Rechte Gramsci intensiver gelesen und besser verstanden hat als die Linke, ist nicht neu. Besser macht es das nicht. Und wer sich in diesem Sinne aus einer emanzipatorischen Haltung heraus, die in der Pubertät stecken blieb, vor ihren Karren spannen lässt, mit der werde ich mich ganz lange streiten. Wenn ich sie nicht aufgeben will.
(ganz und gar nicht feministischer Lesetipp: Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch)
Denn wir, die wir damals geprägt wurden und die Diskurse und Argumente mitbekamen, haben uns um euch nicht gekümmert, wie das immer so ist. Vielleicht hätten wir es tun sollen, dann müsstet ihr euch jetzt nicht in so positivistischen Bewegungen wie den Piraten oder so sammeln. Denn vor dem Positivismus und dem Affirmatismus (so will ich es mal nennen) hilft vor allem eine solide Unterrichtung im kritisch-materialistischen Diskurs. Dies mit der Herrschaft, you know. Dass es keine Nicht-Herrschaft gibt, dass es wichtig ist, zu gucken, welches Argument eher (positivistisch) die eigentlich als verbesserungsfähig erkannten Realitäten stützt. Und welches sie zu verändern hilft.
Genug der Vorrede. Es soll um eines der irresten und irre erfolgreichen Manipulationsinstrumente gehen, das der Affirmatismus (also die positivistisch auf die Erhaltung des Existierenden ausgerichtete Haltung) in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Das scheinemanzipatorische oder scheinfortschrittliche Zeigen auf Das Große Ganze. Was ist welches Problem schon, verglichen mit Hungesnöten im Suden oder Hodenkrebs (um mal ein Filmzitat aus einem meiner Lieblingsfilme zu erwähnen, das dort nicht umsonst ein masturbierender Waliser sagt, aber das ist eine andere Geschichte).
Willkürlich herausgegriffen dieser Tweet von der geschätzten (wirklich!) Kollegin Nina Galla, bestimmt aus purem Zufall an dem Tag, an dem der Kommentar über den Sexismus der Piraten, über den seit Sonnabend diskutiert wurde, online war.
Wir müssen auf alle diskriminierungen achten. Unabhängig von geschlechtern.Innerhalb von 15 Minuten 6 Retweets und 4 Favs, bestimmt inzwischen mehr. Und das Perfide an dieser Manipulation, der Nina da methodisch aufgesessen ist, ist ja gerade, dass dieser Satz prinzipisch stimmt. Stünde er nicht im Zusammenhang mit einer kurzen, heftigen Diskussion, zu der dieser Satz gehört (und Nina ist ja, auch als sie noch bei den Grünen war, eine glühende Gegnerin quotierter Redelisten etc gewesen, was sie auch öffentlich bekannte, weshalb es sicher erlaubt ist, dieses hier in den Kontext zu stellen) -
— Nina Galla (@neina_hh) January 16, 2013
@luebue ich glaube, es geht nur um machterhalt, nicht um Geschlecht. Feminismus ist gesellschaftl irrtum, da frauen häufiger betroffen sindDas Problem ist, dass sich die Vertreterinnen des Affirmatismus ins Fäustchen lachen. Denn wenn ich beispielsweise eine Redeliste ablehne, die strukturelle Machtverhältnisse korrigieren will, indem sie streng quotiert ist, mit dem Argument, es müsse darum gehen, "auf alle Diskriminierungen (zu) achten", wird keine Diskriminierung bekämpft. Wunderbar für die, die es nicht ändern wollen. Und übrigens der strategische Fehler des organisierten Marxismus bis in die späten 70er hinein, der die "Frauenfrage" als "Nebenwiderspruch" verunglimpfte, um die Machtstrukturen zu erhalten, die so bequem waren. Denn, so postulierte es der Marxismus, und so postulieren es heute die Piraten in der gleichen totalitären (im Sinne von "die Situation total erklären") Art des Denkens, eigentlich sei die Frauenfrage ja zusammen mit der Frage des Privateigentums (Marxismus) oder der Basisdemokratie (Piraten) gelöst.
— Nina Galla (@neina_hh) January 16, 2013
Die eine oder andere kritisiert mich ja, wenn ich diesen manipulierten Stil als "pubertär" beschimpfe. Aber wer sich einmal mit Emos (was ja nur die radikale Variante ist) oder auch nur mit normalen sensiblen und sich links (im Sinne von: gegen Ungerechtigkeit und die Schlechtigkeit der Welt eingenommen) fühlenden Jugendlichen unterhält, wird feststellen, dass es ein hartes Stück Arbeit ist, aus der Verzweiflung über Das Große Ganze, die einen lähmt, in die Aktion für einen Teilaspekt zu kommen. Das würde ich (vielleicht etwas unfair) als den Übergang von einer pubertären zu einer erwachsen werdenden Haltung bezeichnen.
Am Ende ist die Haltung, die Nina da twittert, vor allem eines: ein Vorwurf an die, die sich auf ein Problem konzentrieren. Also gegen die, die an einer Stelle etwas ändern. Und nicht zuerst Hodenkrebs besiegen und den Hunger im Sudan. Sondern sich erdreisten, die Hälfte des Himmels zu fordern. Und das hier auf der Erde.
Der Marxismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat denen, die sich einer Unterdrückung widmeten, oft Partikularismus vorgeworfen. Aber der Totalitarismus hat bisher immer nur denen genutzt, die nichts ändern wollten, oder zumindest nichts zum besseren ändern. Und wenn der Totalitarismus noch nicht mal aus einem geschlossenen Weltbild kommt, ist er nur noch ein Zerrbild seiner selbst. Und nutzt und hilft nur denen, die nichts ändern wollen. Und damit ist er auf deren Manipulation hereingefallen.
Dass die Rechte Gramsci intensiver gelesen und besser verstanden hat als die Linke, ist nicht neu. Besser macht es das nicht. Und wer sich in diesem Sinne aus einer emanzipatorischen Haltung heraus, die in der Pubertät stecken blieb, vor ihren Karren spannen lässt, mit der werde ich mich ganz lange streiten. Wenn ich sie nicht aufgeben will.
(ganz und gar nicht feministischer Lesetipp: Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch)
21.9.12
Die letztgültige Erklärung des Julia-Schramm-Problems
Aus meiner Sicht ist das Problem rund um die Zugänglichkeit von Julia Schramms Schulhofprosa (ich habe reingelesen, das war das erste, was mir dazu einfiel, vielleicht lese ich noch mal weiter, weiß ich noch nicht, ich habe lange genug gebraucht, um zu lernen, dass ich Bücher nicht weiterlesen muss, wenn ich sie nicht mag, war echt schwer) "Klick mich" nicht etwa, dass sie bigott wäre oder so was. Dazu hat Stefan Niggemeier detailreich etwas gesagt, das in der Frage gipfelt:
Dass Frau Schramm nicht mal versucht hat (oder dass es ihr nicht gelungen ist, etwas entsprechendes durchzusetzen, was ich aber unwahrscheinlich finde, da sie das bestimmt gesagt hätte irgendwo), anlässlich ihres eigenen Buches eine Lösung zu finden, wie immaterielles Teilen ihres Textes und der Wunsch, es auch auf Papier gegen Geld zu teilen, austariert werden können. Nichts. Keine Idee, keine Experimente, keine Anstrengung.
Dass ich weder Frau Schramm noch andere Piraten, die ich bisher kennen lernte oder mit denen ich arbeitete, politisch ernst nehmen kann (abgesehen davon, dass ich sie - und das schrieb ich ja auch schon oft in diesem Blog - mit ihren Fragen und Anregungen und ihrem Kulturbruch sehr ernst nehme), hängt eben genau damit zusammen. Ich empfinde das als Kindergartenniveau. Vorpubertär.
Etwas zugespitzt geht die Geschichte ja so: Ich finde, es muss sich was ändern rund um Urheberrecht und immaterielle Güter. Wir merken ja alle, dass es so nicht geht, vor allem werden Nutzerinnen zu Unrecht kriminalisiert. Aber huch, ich habe gar keine Idee, was man da machen könnte. Also schade, naja, dann eben nicht, dann muss mein Buch wohl einfach nach den Spielregeln erscheinen, die ich so doof finde. Doof, aber Pech.
Ihr seht: Mir geht es nicht um Bigotterie. Und ich finde auch, wenn jemand Frau Schramm viel Geld gibt für dieses Manuskript, soll sie das tun. Gönne ich Frau Schramm übrigens. Und bin mir sicher, dass es genug ängstliche Menschen über 45 gibt, die es kaufen werden.
Das Problem ist vielmehr - so sehe ich es -, dass sie unernsthaft ist und kindisch. Warum gibt es kein offizielles PDF oder - vielleicht noch charmanter - eine reine html-Variante des Buchs? Oder in Blogform. So dass es geteilt werden kann, wie es Frau Schramm und die Piraten - und ich auch, da stimme ich ihnen zu - sinnvoll fänden für Gedanken und Ideen und Texte und so weiter. Und daneben ein preiswertes E-Book. Und ein gedrucktes Buch für den hohen Preis, den der Verlag kalkuliert hat.
Die These von uns allen, die wir etwas ändern wollen in diesem Bereich, ist doch, dass es eben nicht stimme, dass das Verschenken von Inhalten und unterschiedliche Preise je nach "Hardware" des Buchs beispielsweise zu einem Zusammenbruch der kommerziellen Kulturproduktion führen werden. Frau Schramm hätte hier den Beweis (oder zumindest das Experiment) antreten können. Macht sie aber nicht. Und das nenne ich kindisch und vorpubertär (und hey, damit will ich keine Kinder beleidigen, sondern im Zuge ihrer Entwicklung kommt Biss und Konsequenz nun mal erst später, ich weiß das, denn einige meiner Kinder machen diese Phase gerade durch). Und dazu ist es nicht nur politisch kindisch - sondern auch politisch dumm. Denn jetzt haben die Verfechterinnen des Status Quo wie meine mir unerträgliche Parteifreundin Krummwiede ein tolles Scheinargument an der Hand: Seht, nicht mal die Piratin Schramm meint das Ernst. Es geht einfach nicht, was ihr naiven Utopistinnen euch vorstellt.
Darum bin ich auch ernsthaft böse auf Frau Schramm.
Die letztgültige Erklärung des Julia-Schramm-Problems ist also eine, die mir wirklich Sorgen macht: Sie wird einfach nicht erwachsen. So wie ihre Mitpiraten auch nicht, so weit ich es sehen kann. Kommt nach den Berufsjugendlichen der Generationen von Schröder/Trittin bis Gabriel nun eine politische Generation von Kindern?
Worin soll nun der Widerspruch zwischen diesen Äußerungen vorher und dem aktuellen Vorgehen von ihr und ihrem Verlag bestehen? Was genau ist die Heuchelei?Witzigerweise weist er zwar schön nach, wie so genannten Journalistinnen durch ihren Hass auf Piraten blind für das Thema werden - scheint mir aber durch seinen Hass auf so genannte Journalistinnen (ok, etwas überspitzt der Pointe wegen) blind zu sein für das, was ich als das tatsächliche Problem empfinde. Und was zugleich aus meiner Sicht ein grundsätzliches Problem der Piraten ist, das immer und immer wieder durchkommt.
Dass Frau Schramm nicht mal versucht hat (oder dass es ihr nicht gelungen ist, etwas entsprechendes durchzusetzen, was ich aber unwahrscheinlich finde, da sie das bestimmt gesagt hätte irgendwo), anlässlich ihres eigenen Buches eine Lösung zu finden, wie immaterielles Teilen ihres Textes und der Wunsch, es auch auf Papier gegen Geld zu teilen, austariert werden können. Nichts. Keine Idee, keine Experimente, keine Anstrengung.
Dass ich weder Frau Schramm noch andere Piraten, die ich bisher kennen lernte oder mit denen ich arbeitete, politisch ernst nehmen kann (abgesehen davon, dass ich sie - und das schrieb ich ja auch schon oft in diesem Blog - mit ihren Fragen und Anregungen und ihrem Kulturbruch sehr ernst nehme), hängt eben genau damit zusammen. Ich empfinde das als Kindergartenniveau. Vorpubertär.
Etwas zugespitzt geht die Geschichte ja so: Ich finde, es muss sich was ändern rund um Urheberrecht und immaterielle Güter. Wir merken ja alle, dass es so nicht geht, vor allem werden Nutzerinnen zu Unrecht kriminalisiert. Aber huch, ich habe gar keine Idee, was man da machen könnte. Also schade, naja, dann eben nicht, dann muss mein Buch wohl einfach nach den Spielregeln erscheinen, die ich so doof finde. Doof, aber Pech.
Ihr seht: Mir geht es nicht um Bigotterie. Und ich finde auch, wenn jemand Frau Schramm viel Geld gibt für dieses Manuskript, soll sie das tun. Gönne ich Frau Schramm übrigens. Und bin mir sicher, dass es genug ängstliche Menschen über 45 gibt, die es kaufen werden.
Das Problem ist vielmehr - so sehe ich es -, dass sie unernsthaft ist und kindisch. Warum gibt es kein offizielles PDF oder - vielleicht noch charmanter - eine reine html-Variante des Buchs? Oder in Blogform. So dass es geteilt werden kann, wie es Frau Schramm und die Piraten - und ich auch, da stimme ich ihnen zu - sinnvoll fänden für Gedanken und Ideen und Texte und so weiter. Und daneben ein preiswertes E-Book. Und ein gedrucktes Buch für den hohen Preis, den der Verlag kalkuliert hat.
Die These von uns allen, die wir etwas ändern wollen in diesem Bereich, ist doch, dass es eben nicht stimme, dass das Verschenken von Inhalten und unterschiedliche Preise je nach "Hardware" des Buchs beispielsweise zu einem Zusammenbruch der kommerziellen Kulturproduktion führen werden. Frau Schramm hätte hier den Beweis (oder zumindest das Experiment) antreten können. Macht sie aber nicht. Und das nenne ich kindisch und vorpubertär (und hey, damit will ich keine Kinder beleidigen, sondern im Zuge ihrer Entwicklung kommt Biss und Konsequenz nun mal erst später, ich weiß das, denn einige meiner Kinder machen diese Phase gerade durch). Und dazu ist es nicht nur politisch kindisch - sondern auch politisch dumm. Denn jetzt haben die Verfechterinnen des Status Quo wie meine mir unerträgliche Parteifreundin Krummwiede ein tolles Scheinargument an der Hand: Seht, nicht mal die Piratin Schramm meint das Ernst. Es geht einfach nicht, was ihr naiven Utopistinnen euch vorstellt.
Darum bin ich auch ernsthaft böse auf Frau Schramm.
Die letztgültige Erklärung des Julia-Schramm-Problems ist also eine, die mir wirklich Sorgen macht: Sie wird einfach nicht erwachsen. So wie ihre Mitpiraten auch nicht, so weit ich es sehen kann. Kommt nach den Berufsjugendlichen der Generationen von Schröder/Trittin bis Gabriel nun eine politische Generation von Kindern?
11.5.12
Vom naturalistischen Fehlschluss. Oder: Warum die Piraten eine gefährliche totalitäre Partei sind
Für jede, die sich mit Denken, Philosophie, Ethik oder Politik beschäftigt, kommt irgendwann der Schritt aus einer (nenne ich mal so, erkläre ich gleich) pubertären Phase in eine erwachsene. Spannend ist zu sehen, dass sehr viele einzelne Menschen dabei den Schritt nachvollziehen, den auch die europäische Denktradition in der Moderne vollzogen hat: von einer totalitären, simplifizierenden, positivistischen Erklärungsweise der Welt hin zu einer, die anerkennt, dass es (subjektive) ethische Prämissen gibt.
Typisches Kennzeichen vormodernen und totalitären Denkens (nicht zu verwechseln bitte im ersten Schritt mit totalitärer Politik) ist dabei der so genannte "naturalistische Fehlschluss"*. Dies meint: Ich beobachte etwas, beschreibe dieses "Sein" - und schließe daraus (das ist der Fehlschluss), dass es (deshalb) auch so sein soll. Oder postuliere, dass etwas sein soll (also: gut ist), weil es ist.
Dieses Denken ist pubertär oder sogar vorpubertär, weil mit Abschluss der Pubertät in der Regel die Fähigkeit zu transzendentem Denken einsetzt, also die Fähigkeit, vom aktuellen "Sein" abzusehen, wenn es darum geht, gut und böse zu bestimmen. Erst die im Zuge der Pubertät in der Regel einsetzende Auflehnung gegen die Realität/das "Sein", philosophisch gesprochen, ermöglicht ja die Erkenntnis, dass dieses "Sein" in gewisser Weise kontingent ist, also vor allem geändert werden kann - oder zumindest, dass ein anderer Zustand des "Seins" gedacht werden kann.
Naturalistische Fehlschlüsse sind vor allem deshalb totalitär, weil sie Objektivität postulieren, wo es keine Objektivität gibt. Sie leugnen ethische Prämissen, indem sie ihre Sollens-Behauptungen aus der Beobachtung der vorhandenen Realität ableiten. Ein Denken, das aber dieses tut, nennt man - so ist es quasi definiert - totalitär.
Die moderne Spielart totalitären Denkens ist der Technikpositivismus, wie er bis heute teilweise in trivialwissenschaftlichen Zusammenhängen vorkommt (also bereits da, wo Menschen "Naturgesetz" sagen und annehmen, dass damit objektive, ewige Gesetzmäßigkeiten gemeint seien, obwohl es weitgehend unumstritten ist, dass das Wort "Naturgesetz" eigentlich falsch und irreführend ist). Alles, was geht, ist gut? Eigentlich eine Position, die wir in Europa seit den 1970er Jahren für überwunden hielten. Das hat zwar teilweise zu so konservativen bis reaktionären Philosophien wie der von Hans Jonas geführt, aber der reine Positivismus (und mit ihm glücklicherweise der Utilitarimus) war weitgehend tot unter denkenden Menschen auf diesem Kontinent.
Was mich erschreckt, ist, wie er sich nun unter Menschen, die ich für denkende Menschen hielt, wieder Bahn bricht. Und selbst wenn ich Christoph Lauer für nicht immer in dieser Kategorie richtig angesiedelt hielte, kommt es mir so vor, als ob es symptomatisch für die totalitäre, technikpositivistische und vor allem von naturalistischen Fehlschlüssen irregeleitete Piratenpartei steht, wenn er im Spiegelinterview von den Gesetzen des Internet faselt, die "wie Naturgesetze stehen". Und aus denen seine Partei viele Forderungen ableite.
Der eine oder die andere mag das für pubertäres Gequatsche halten, was es vielleicht sogar sein mag. Aber es offenbart eben eine totalitäre Haltung, die auch aus anderen Äußerungen atmet: Eine im Denken digital geprägte Gruppe von Menschen nimmt an, dass sich das, was sein soll, objektiv feststellen lässt. Weshalb es auch logisch ist, dass die Führungsleute es ernst meinen und nicht etwa lächerlich finden, wenn sie zu Fragen, zu denen das digitale Denksystem (also das in Nullen und Einsen sortierte Denken) noch keine letztgültige Position hochgespült hat, nichts sagen können. Wo es nur richtig und falsch gibt, kann es zwar individuelle Meinungen geben, aber die Partei kann nur die objektiv richtige Position vertreten.
Das aber ist zutiefst totalitär. Und naiv. Und - das meine ich so, wie ich es sage, auch wenn ich intelligente und denkende Piratinnen kenne - gefährlich.
Es ist noch nie möglich gewesen, aus dem, was ist, abzuleiten, was sein soll. Außer du bist die katholische Kirche. Oder Lukatschenko. Oder die Piratenpartei.
_____
* Ob der Sein-Sollen-Fehlschluss als naturalistischer Fehlschluss oder als Humes Gesetz bezeichnet werden soll, ist umstritten, ebenso, ob das zwei verschiedene Dinge sind. In der Denktradition liberaler evangelischer Theologie, in der ich groß geworden bin (Stichworte: Rawls, Niebuhr, Tillich) wird dieser Begriff so verwendet, wie ich es hier tue. Und ich mag ihn sehr.
Typisches Kennzeichen vormodernen und totalitären Denkens (nicht zu verwechseln bitte im ersten Schritt mit totalitärer Politik) ist dabei der so genannte "naturalistische Fehlschluss"*. Dies meint: Ich beobachte etwas, beschreibe dieses "Sein" - und schließe daraus (das ist der Fehlschluss), dass es (deshalb) auch so sein soll. Oder postuliere, dass etwas sein soll (also: gut ist), weil es ist.
Dieses Denken ist pubertär oder sogar vorpubertär, weil mit Abschluss der Pubertät in der Regel die Fähigkeit zu transzendentem Denken einsetzt, also die Fähigkeit, vom aktuellen "Sein" abzusehen, wenn es darum geht, gut und böse zu bestimmen. Erst die im Zuge der Pubertät in der Regel einsetzende Auflehnung gegen die Realität/das "Sein", philosophisch gesprochen, ermöglicht ja die Erkenntnis, dass dieses "Sein" in gewisser Weise kontingent ist, also vor allem geändert werden kann - oder zumindest, dass ein anderer Zustand des "Seins" gedacht werden kann.
Naturalistische Fehlschlüsse sind vor allem deshalb totalitär, weil sie Objektivität postulieren, wo es keine Objektivität gibt. Sie leugnen ethische Prämissen, indem sie ihre Sollens-Behauptungen aus der Beobachtung der vorhandenen Realität ableiten. Ein Denken, das aber dieses tut, nennt man - so ist es quasi definiert - totalitär.
Die moderne Spielart totalitären Denkens ist der Technikpositivismus, wie er bis heute teilweise in trivialwissenschaftlichen Zusammenhängen vorkommt (also bereits da, wo Menschen "Naturgesetz" sagen und annehmen, dass damit objektive, ewige Gesetzmäßigkeiten gemeint seien, obwohl es weitgehend unumstritten ist, dass das Wort "Naturgesetz" eigentlich falsch und irreführend ist). Alles, was geht, ist gut? Eigentlich eine Position, die wir in Europa seit den 1970er Jahren für überwunden hielten. Das hat zwar teilweise zu so konservativen bis reaktionären Philosophien wie der von Hans Jonas geführt, aber der reine Positivismus (und mit ihm glücklicherweise der Utilitarimus) war weitgehend tot unter denkenden Menschen auf diesem Kontinent.
Was mich erschreckt, ist, wie er sich nun unter Menschen, die ich für denkende Menschen hielt, wieder Bahn bricht. Und selbst wenn ich Christoph Lauer für nicht immer in dieser Kategorie richtig angesiedelt hielte, kommt es mir so vor, als ob es symptomatisch für die totalitäre, technikpositivistische und vor allem von naturalistischen Fehlschlüssen irregeleitete Piratenpartei steht, wenn er im Spiegelinterview von den Gesetzen des Internet faselt, die "wie Naturgesetze stehen". Und aus denen seine Partei viele Forderungen ableite.
Der eine oder die andere mag das für pubertäres Gequatsche halten, was es vielleicht sogar sein mag. Aber es offenbart eben eine totalitäre Haltung, die auch aus anderen Äußerungen atmet: Eine im Denken digital geprägte Gruppe von Menschen nimmt an, dass sich das, was sein soll, objektiv feststellen lässt. Weshalb es auch logisch ist, dass die Führungsleute es ernst meinen und nicht etwa lächerlich finden, wenn sie zu Fragen, zu denen das digitale Denksystem (also das in Nullen und Einsen sortierte Denken) noch keine letztgültige Position hochgespült hat, nichts sagen können. Wo es nur richtig und falsch gibt, kann es zwar individuelle Meinungen geben, aber die Partei kann nur die objektiv richtige Position vertreten.
Das aber ist zutiefst totalitär. Und naiv. Und - das meine ich so, wie ich es sage, auch wenn ich intelligente und denkende Piratinnen kenne - gefährlich.
Es ist noch nie möglich gewesen, aus dem, was ist, abzuleiten, was sein soll. Außer du bist die katholische Kirche. Oder Lukatschenko. Oder die Piratenpartei.
_____
* Ob der Sein-Sollen-Fehlschluss als naturalistischer Fehlschluss oder als Humes Gesetz bezeichnet werden soll, ist umstritten, ebenso, ob das zwei verschiedene Dinge sind. In der Denktradition liberaler evangelischer Theologie, in der ich groß geworden bin (Stichworte: Rawls, Niebuhr, Tillich) wird dieser Begriff so verwendet, wie ich es hier tue. Und ich mag ihn sehr.
16.4.12
Damit ist dann alles zur Urheberinnen- und Kulturdebatte gesagt
Ich mag Johnny Haeusler sehr und schätze ihn nicht nur online sondern auch als nachdenklichen und sehr auf der Erde gebliebenen Gesprächspartner (und einen der "digitalen Väter", mit denen ich mich am liebsten austausche, weshalb ich mich auf Tanjas und sein Buch sehr freue).
Und besser als alle anderen hat er nun den endgültigen Text zur Debatte um das Urheberrecht geschrieben, nach dem wir vielleicht mal anfangen können, über Inhalte anstatt über die Debatte zu sprechen. Außer dass ich keine Musik mache, trifft jeder Satz auf mich zu, teile ich seine Erfahrungen und seine Einschätzung so komplett, dass ich am liebsten nicht nur diesen Absatz zitieren sondern den Text komplett übernehmen würde:
Denn was mich einfach so erschüttert an der aktuellen Debatte, ist neben einigen Positionen, die einige wenige Piraten vertreten, noch sehr viel mehr die aggressive Polemik vieler Kreativer und ihrer Verbände. Die übrigens tendenziell den ohnehin schon länger bestehenden Verdacht nährt, dass einfach echt schlecht informiert ist, wer in erster Linie seine Infos und sein Wissen aus den klassischen Medien bezieht.
Und besser als alle anderen hat er nun den endgültigen Text zur Debatte um das Urheberrecht geschrieben, nach dem wir vielleicht mal anfangen können, über Inhalte anstatt über die Debatte zu sprechen. Außer dass ich keine Musik mache, trifft jeder Satz auf mich zu, teile ich seine Erfahrungen und seine Einschätzung so komplett, dass ich am liebsten nicht nur diesen Absatz zitieren sondern den Text komplett übernehmen würde:
Ich schüttle selbst oft genug den Kopf ob einiger Aussagen der Piratenpartei und teile viele der von dort wiedergegebenen Statements zum Thema genau: gar nicht. Doch selten war ich so erschüttert von der Qualität angeblicher Journalismus-Profis, wie in diesen Zeiten der Debatten ums Urheberrecht. (Ich heb dann mal ur | Spreeblick)Aber noch lieber schicke ich euch einmal rüber zu seinem Text. Alle, die nicht sicher sind, ob die Verwerterinnen und einige der Urheberinnen, die sich in letzter Zeit kritisch zur Kritik am bestehenden Urheber- und Verwertungsrecht geäußert haben, nicht doch Recht haben, bitte ich, diesen Text einmal zu lesen. Sehr gerne möchte ich mit euch diskutieren. Mein Eindruck wäre, dass das Niveau mit Johnnys Text etwas angehoben werden könnte.
Denn was mich einfach so erschüttert an der aktuellen Debatte, ist neben einigen Positionen, die einige wenige Piraten vertreten, noch sehr viel mehr die aggressive Polemik vieler Kreativer und ihrer Verbände. Die übrigens tendenziell den ohnehin schon länger bestehenden Verdacht nährt, dass einfach echt schlecht informiert ist, wer in erster Linie seine Infos und sein Wissen aus den klassischen Medien bezieht.
4.4.12
Transparenz, Prozess und Positionen
Zwei sehr unterschiedliche Beiträge zu Piraten und vorher schon bestehenden Parteien haben mich nachdenklich gemacht. Und mir geholfen, einen Punkt noch einmal besser zu verstehen, der mich an den Piraten fasziniert und an meiner Partei befremdet und an den Ex-Volksparteien völlig vorbei zu gehen scheint: Die unterschiedlichen Vorstellungen, was unter Transparenz zu verstehen sei und wie ein politischer Prozess aussehen sollte.
Nahezu entlarvend ist diese Passage in Björn Böhnings (SPD-Funktionär, Chef der Senatskanzlei in Berlin) an sich lesenswerter Polemik gegen die Parlamentsarbeit der Berliner Piraten:
Transparenz und Informationsfreiheit sind so verstanden ein Mittel, um politische Entscheidungen besser nachvollziehen zu können und Bürger und Bürgerinnen zur Partizipation zu befähigen. Sie sind kein Allheilmittel oder gar ein Selbstzweck zur Bewertung politischer Vorgänge. Alles nur Polemik | Bjoern-Boehning.deJa, es wäre schon mal ein Schritt nach vorne (zu dem die SPD, auch und gerade in Berlin, auch noch getragen werden muss), wenn immerhin Entscheidungen nachvollziehbar wären. Aber bereits den Entscheidungsprozess transparent zu machen, ist etwas anderes. Wie es meine Hamburger Parteifreundin und Kollegin Nina Galla neulich (auch sehr, sehr lesenswert) schrob:
Weiterhin bedeutet die von den Großen meist missverstandene „Transparenz“ nicht, Dokumente und Protokolle der Vergangenheit online zu stellen, sondern die Menschen schon während des Prozesses der Entscheidungsfindung einzubeziehen, mindestens aber, ihnen vorab mitzuteilen, dass es Überlegungen gibt, eine Entscheidung zu treffen. Nur so hat der politisch interessierte Mensch überhaupt die Chance, sich einzubringen und zu partizipieren. Danke, Piraten! - Nina GallaIn eine ähnliche Richtung habe ich vor rund einem Jahr, als wir in Hamburg die Wahlniederlage bei der Bürgerschaftswahl "aufarbeiteten", schon mal geschrieben und gedacht, was ich im Rückblick ganz spannend finde. Politik als Prozess verstehen hatte ich damals überschrieben. Und ironischerweise klingt es, heute wiedergelesen, beinahe wie eine Antwort auf Piratenerfolge, die es damals noch nicht gab (und es gehört in meine Volkspartei-Überlegungen hinein).
Die Hinweise von Björn und anderen darauf, dass der Prozess der Piraten schön und gut sei aber Inhalte nicht ersetze, sind richtig. Und tatsächlich ist das für mich ein wichtiger Punkt und ein wichtiger Unterschied beispielsweise zu den Grünen.
In einer idealen Welt, in der ich mir meine Wunschpartei backen könnte, wären Piraten und Grüne eines. Im Grunde das, was ich damals bereits beschrieb und woran Grüne meines Erachtens arbeiten sollten und können:
Aus einer Haltung heraus, die Politikangebote formulieren kann, einen partizipativen Politikprozess anstoßen. Transparenz in Piratenmanier vom ersten Tag an - was nicht heißt, auch nicht bei den Piraten, dass es nicht auch vertrauliche Runden und Gespräche gibt. Aber ohne die hilflose Antwort, ich könne nichts sagen zu einem Thema, weil es dazu keinen Meinungsprozess gegeben habe. Ein Grundkonsens auf der Haltungsebene hilft, auch neue Fragen so zu beantworten, dass die meisten mit der Antwort werden leben können, wenn sie Parteimitglied sind.
Was diejenigen in den bisherigen Parteien, die Vorbehalte haben, vergessen, wenn wir grüne oder rote Piratinnen auf die Prozesse und Ideen und Transparenz aufmerksam machen und auf den anderen Stil: Dass wir nicht etwa die inhaltliche Leere der Piraten bewundern - sonst wären wir ja da - sondern dass uns ihr Stil, ihr Lebensraum und ihr Kommunikationsmuster mit ihnen eint. Wir (also zumindest ich) stehen zu den inhaltlichen Angeboten meiner Partei, zumindest im großen und ganzen. Nur nicht zum Volksbeglückungsstil ihrer Politik. Und ich sehe das Transparenzthema wie Nina.
27.3.12
Claudia Roth und Jürgen Trittin sind der neue Helmut Schmidt
Bei den Grünen gibt es (nicht nur intern) Diskussionen, wer die Partei in den Bundestagswahlkampf anführen soll. Und auch wenn das die meisten, die mich kennen, überraschen wird: Ich denke, das sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin sein. Dringend. Am liebsten mit Renate Künast, aber sonst auch gerne ohne sie.
Claudia Roth ist bei den Grünen sehr beliebt. Aber Grüne haben schon mit ihren Wählerinnen kaum etwas gemeinsam – geschweige dann mit neuen Gruppen, die lebensweltlich ganz anders verortet sind. Jürgen Trittin ist einer der Stars des selbstreferenziellen Resonanzraums der klassischen Medien (TV, Zeitungen). Eines Raumes, der keine Relevanz mehr hat für Menschen, deren wesentlicher Heimatraum „das Internet“ ist. Beide können – gemeinsam oder alleine – die bestehende Basis und Wählerinnenschaft der Grünen mobilisieren. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Und das sollten sie noch einmal tun – um auszuloten und aufzuzeigen, wie groß die Basis für Grüne in diesem Land ist, wenn sie sich nicht weiter entwickeln.
Mit „weiterentwickeln“ meine ich nicht programmatisch – denn da sind sie genau dazu in der Lage. Wer sich für Inhalte interessiert, wird zugeben, dass auf dem Papier die Grünen heute in den Bereichen Urheberrecht, Netzpolitik und Demokratie nicht nur weiter und überzeugender auf die Fragen der Netzbewohnerinnen antworten als jede andere Partei, einschließlich der Piraten.
Grüne haben nicht programmatisch die Anschlussfähigkeit an Gruppen jenseits ihrer seit Jahren stabilen Stammwählerinnenschaft und ihres (bürgerlichen, akademischen, etablierten, recht uniformen) Milieus verloren, sondern lebensweltlich und habituell. Um es einmal zugespitzt zu formulieren: ein Malte Spitz reicht nicht.
Kaum etwas illustriert den Widerspruch grüner Rituale und grünen Spitzenpersonals zu der Lebenswelt von Piraten und ihren Wählerinnen mehr als die für viele überraschenden Personen, die bei den Piraten in Spitzenämter gewählt werden – und wie das geschieht.
Denn nicht etwa schillernde Personen wie Lauer (Berlin) oder Weisband (Bundesgeschäftsführerin) sondern – sorry für die Formulierung – langweilige Spießer wie Baum (Berlin), Nerz (Bund) oder Paul (NRW) gelangen an die Spitze. Eben eher ein Malte Spitz, der als einziges Mitglied des grünen Bundesvorstandes kaum bekannt ist, als eine Claudia Roth. Inhaltliche und persönliche Kompetenz anstatt Eloquenz und Medientauglichkeit.
Ja, das liegt an den „Akzeptanzwahlen“ der Piraten, und an die habe ich durchaus auch sehr ernste Anfragen. Aber diese den Grünen fremde Art der Basisdemokratie, die ja nichts mit Inhalten zu tun hat sondern mit Politikstil und mit einer anderen als unserer Vorstellung von Partizipation, macht einen gewaltigen Unterschied in der Haltung zu Politik und zu Mehrheiten und zur Meinungsentwicklung aus. Übrigens eine Haltung, auf die die Grünen nach dem Ende der Flügel ja durchaus auch hätten kommen können. Aber nicht kamen (was keine Kritik ist, sondern nur feststellt, wo habituelle Unterschiede liegen).
Ein weiterer Punkt, der viele ältere Grüne verstören wird, ist der Befund, dass die Piraten erstaunlich wenig ironisch sind und sehr viel ernsthafter und ernster an Politik herangehen als Grüne. Renate Künasts Ausflug in die Westerwelle’sche Spaßparteirhetorik („Piraten resozialisieren“) illustriert das hervorragend. Wer im Internet zu Hause ist, weiß, dass Humor als Humor gekennzeichnet werden muss und dass Ironie nicht funktioniert. Anders als ihre Vorurteile diejenigen vermuten lassen, die soziale Medien von außen beobachten oder – wie Bärbel Höhn – „Internet gucken“, führt die kontinuierliche Interaktion (und nicht das Senden, die es grüne Spitzen gut und erfolgreich beherrschen) eher zu einer tieferen und ernsthafteren Beschäftigung mit Themen als die Konsumption von Politik über die klassischen Medien.
Je mehr Grüne auf die Piraten einschlagen oder sie gar zu den Hauptgegnern der Wahlkämpfe machen, wie es Sylvia Löhrmann für NRW in gnadenloser Hilflosigkeit getan hat (um dann auch noch in Höhn’scher Manier das „wir haben einen jungen Abgeordneten“ nachzuschieben), sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin, die Taufpaten der Piratenpartei, auch die Grünen in den Wahlkampf führen.
Kaum jemand (mal abgesehen von Ursula von der Leyen) ist stärker verantwortlich zu machen für das Hauptproblem der Grünen als die beiden. Und darum sollen sie die erste wichtige Wahlkonsequenz auch verantwortlich tragen: das erwartbar nur mittelgute Abschneiden bei der Bundestagswahl und den Einzug der Piraten ins Parlament.
Denn so wie Helmut Schmidt der wichtigste Geburtshelfer der Grünen war, weil er für viele moderne Linke und eine sich über die Anti-Atom- und Friedensbewegung politisierende Generation habituell und auch inhaltlich altbacken und unwählbar daher kam, so gilt dieses heute für Claudia Roth und Jürgen Trittin (und mit ihnen für die allermeisten führenden Grünen). Sie stehen so sehr für die alten Grünen der 90er und 0er Jahre, sie sind in Politikstil, Habitus und ihren inhaltlichen Schwerpunkten so sehr der Grund, warum jene Menschen nicht den Weg zu den Grünen fanden, die sich angesichts der Zerstörungsversuche von Frau von der Leyen im Lebensraum unserer Generation politisiert haben. Nicht einmal die, die inhaltlich passen würden (was ja nun beileibe nicht für alle, vielleicht nicht einmal für die meisten Piraten gilt).
Nessy fasst das in ihrem Blog unter dem Titel Liebe Generation meiner Eltern wunderbar zusammen. Ich denke, und schrob das ja auch bereits, genau so können wir verstehen, was da passiert. Wer immer glaubt, die Piraten und ihre Erfolge inhaltlich begründen oder inhaltlich "bekämpfen" zu können, sollte Nessys Text dringend lesen. Denn wer auch nur einmal mit Piraten zu tun hatte, weiß, dass ihr Erfolg nichts, aber auch gar nichts mit Netzpolitik zu tun hat. Und das, obwohl (ja, das klingt komisch, aber so ist es) der Anlass der Politisierung und auch der ursprüngliche Grund, sich die Piraten überhaupt mal anzusehen, für die meisten mit Netzpolitik zu tun hat.
Claudia Roth ist bei den Grünen sehr beliebt. Aber Grüne haben schon mit ihren Wählerinnen kaum etwas gemeinsam – geschweige dann mit neuen Gruppen, die lebensweltlich ganz anders verortet sind. Jürgen Trittin ist einer der Stars des selbstreferenziellen Resonanzraums der klassischen Medien (TV, Zeitungen). Eines Raumes, der keine Relevanz mehr hat für Menschen, deren wesentlicher Heimatraum „das Internet“ ist. Beide können – gemeinsam oder alleine – die bestehende Basis und Wählerinnenschaft der Grünen mobilisieren. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Und das sollten sie noch einmal tun – um auszuloten und aufzuzeigen, wie groß die Basis für Grüne in diesem Land ist, wenn sie sich nicht weiter entwickeln.
Mit „weiterentwickeln“ meine ich nicht programmatisch – denn da sind sie genau dazu in der Lage. Wer sich für Inhalte interessiert, wird zugeben, dass auf dem Papier die Grünen heute in den Bereichen Urheberrecht, Netzpolitik und Demokratie nicht nur weiter und überzeugender auf die Fragen der Netzbewohnerinnen antworten als jede andere Partei, einschließlich der Piraten.
Grüne haben nicht programmatisch die Anschlussfähigkeit an Gruppen jenseits ihrer seit Jahren stabilen Stammwählerinnenschaft und ihres (bürgerlichen, akademischen, etablierten, recht uniformen) Milieus verloren, sondern lebensweltlich und habituell. Um es einmal zugespitzt zu formulieren: ein Malte Spitz reicht nicht.
Kaum etwas illustriert den Widerspruch grüner Rituale und grünen Spitzenpersonals zu der Lebenswelt von Piraten und ihren Wählerinnen mehr als die für viele überraschenden Personen, die bei den Piraten in Spitzenämter gewählt werden – und wie das geschieht.
Denn nicht etwa schillernde Personen wie Lauer (Berlin) oder Weisband (Bundesgeschäftsführerin) sondern – sorry für die Formulierung – langweilige Spießer wie Baum (Berlin), Nerz (Bund) oder Paul (NRW) gelangen an die Spitze. Eben eher ein Malte Spitz, der als einziges Mitglied des grünen Bundesvorstandes kaum bekannt ist, als eine Claudia Roth. Inhaltliche und persönliche Kompetenz anstatt Eloquenz und Medientauglichkeit.
Ja, das liegt an den „Akzeptanzwahlen“ der Piraten, und an die habe ich durchaus auch sehr ernste Anfragen. Aber diese den Grünen fremde Art der Basisdemokratie, die ja nichts mit Inhalten zu tun hat sondern mit Politikstil und mit einer anderen als unserer Vorstellung von Partizipation, macht einen gewaltigen Unterschied in der Haltung zu Politik und zu Mehrheiten und zur Meinungsentwicklung aus. Übrigens eine Haltung, auf die die Grünen nach dem Ende der Flügel ja durchaus auch hätten kommen können. Aber nicht kamen (was keine Kritik ist, sondern nur feststellt, wo habituelle Unterschiede liegen).
Ein weiterer Punkt, der viele ältere Grüne verstören wird, ist der Befund, dass die Piraten erstaunlich wenig ironisch sind und sehr viel ernsthafter und ernster an Politik herangehen als Grüne. Renate Künasts Ausflug in die Westerwelle’sche Spaßparteirhetorik („Piraten resozialisieren“) illustriert das hervorragend. Wer im Internet zu Hause ist, weiß, dass Humor als Humor gekennzeichnet werden muss und dass Ironie nicht funktioniert. Anders als ihre Vorurteile diejenigen vermuten lassen, die soziale Medien von außen beobachten oder – wie Bärbel Höhn – „Internet gucken“, führt die kontinuierliche Interaktion (und nicht das Senden, die es grüne Spitzen gut und erfolgreich beherrschen) eher zu einer tieferen und ernsthafteren Beschäftigung mit Themen als die Konsumption von Politik über die klassischen Medien.
Je mehr Grüne auf die Piraten einschlagen oder sie gar zu den Hauptgegnern der Wahlkämpfe machen, wie es Sylvia Löhrmann für NRW in gnadenloser Hilflosigkeit getan hat (um dann auch noch in Höhn’scher Manier das „wir haben einen jungen Abgeordneten“ nachzuschieben), sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin, die Taufpaten der Piratenpartei, auch die Grünen in den Wahlkampf führen.
26.3.12
Neben dem selbstreferenziellen Resonanzraum der ehemaligen Leitmedien
Ich war auf einem Kolloquium der Stiftung der Arbeitgeberverbände, das sich - sehr spannend - mit den Auswirkungen des partizipativen Netzes auf Politik, Gesellschaft und Demokratie befasst hat. Neben sehr vielen sehr guten Gesprächen, für mich neuen Impulsen und Kontakten hatte ich auch die Freude, eines der Impulsreferate zu halten und mich der ausführlichen Diskussion zu stellen. Was mit vielen Professoren am Tisch eine Herausforderung ist, weil deren Sendungsbewusstsein tendenziell mit meinem locker mithält... Meine Session hatte ich gemeinsam mit Jimmy Schulz, MdB dieser Partei, wie heißt die noch? Wir waren uns erstaunlich oft einig.
Neben aktuellen Mobilisierungskampagnen und der Gesprächskultur (und meinem Lieblingsthema, dem "Digital Divide") habe ich den Impuls mit fünf Thesen eröffnet, die ich hier schon einmal weiter gebe. Der gesamte Impuls wird später sicher im Tagungsband sein. Und diese Thesen sind für einige andere mit aufsteigender Intensität irritierend.
- Hyperlinks untergraben Hierarchien. Das ist nicht neu. Das wissen alle, die schon einmal einen Hyperlink genutzt haben. Also einen Link, der Hintergrundinformationen zu einer Behauptung liefert, von dem ich zu einer anderen Seite komme, auf der noch mal erklärt wird, was gemeint sein könnte (oder was die Fakten sind), wenn jemand „von oben“ etwas sagt.
- Über das Internet und vor allem über das, was wir Social Media nennen, findet gerade die Politisierung nicht nur einer Generation sondern mehrerer Generationen statt, wie es sie seit den 80ern mit ihren großen Themen (Nachrüstung, Atom) nicht mehr gegeben hat. Und das europaweit.
- Durch Facebook und noch viel mehr durch Twitter bekommen ganz normale politisch interessierte Menschen auf einmal einen direkten Zugang zu Spitzenfunktionärinnen im Politikbetrieb. Asynchron und nachhaltig.
- Simplifizierung in Mobilisierungskampagnen heißt nicht mehr, dass die Mobilisierten simpel sind oder simpel denken. Trotz Simplifizierung wächst das Wissen der Basis und übersteigt das der Expertinnen massiv.
- Ehemalige Eliten, die sich im selbstreferenziellen Resonanzraum der so genannten Leitmedien über ihre reale Bedeutung täuschen, sind für die Entwicklung von Haltungen und Meinungen der Menschen weitgehend irrelevant geworden. So wie die Bild-Zeitung und die FAZ.
Auf zur Diskussion.
13.3.12
Ja, die Grünen sind alt - na und?
In vielen Kommentaren und Gesprächen in der letzten Zeit hörte ich, die Grünen seien so alt und so etabliert geworden. Und würden den Anschluss an junge Leute verlieren, das Lebensgefühl einer anderen Generation widerspiegeln.
Dazu habe ich zwei Kommentare (tl;dr)
- Na und?
- Stimmt nicht.
Aber im Ernst:
Ja, die Grünen haben - anders als vor 20 Jahren - keinen Alleinvertretungsanspruch der jungen Generation (oder zumindest ihres nicht völlig vergreisten Teils) mehr. Wer viel mit Jugendlichen zu tun hat, die sich für Politik mindestens am Rande interessieren (da bin ich in der glücklichen Lage, dies sogar zu Hause zu haben und in den Freundschaften, die meine Jugendlichen pflegen), sieht schon, dass die Piraten einen Teil der Jugendlichen emotional und vom Lebensgefühl abholen - und die Grünen einen anderen. Und dass viele dazwischen schwanken: Lebensgefühl Piraten, Politik grün, salopp formuliert.
Meine (zugegebenermaßen privatempirische) Beobachtung ist darüber hinaus, dass Jugendliche, die sich politisch von ihren Eltern massiv abgrenzen (wollen oder müssen), eher zu den Piraten neigen - und solche, denen die Abgrenzung nicht so wichtig ist, eher in Richtung grün tendieren. Was ich auch recht spannend finde. Und was mich zur wesentlichen These dieses Eintrags führt. Also zu der Überschrift.
Ja, die Grünen sind alt und unmodern und etabliert und irgendwie Mainstream (was für viele, die sich für rebellisch halten, alles das selbe ist). Und nein, das stört nicht. Im Gegenteil.
Der gängige Vorwurf, die Grünen seien so verdammt bürgerlich - und zwar sowohl in Haltungs- als auch in Lebensumständefragen - geht ja genau am Kern vorbei. Ist für jemanden wie mich, der in materialistischer Analyse geschult wurde, sogar logisch und nicht als Vorwurf zu verstehen. Denn der eigentliche "Markenkern" (wie ich dieses Wort im politischen Bereich hasse, aber dazu ein anderes Mal mehr) grüns ist ja nur schwer kompatibel mit anderen Schichten als einer bourgeoisen. Wie schon Brecht erkannte. Und ebenso logisch ist doch, dass eine Partei, die aus einem studentischen Milieu stammt, 30 Jahre später mehr Gutverdienende hat als andere Parteien.
Insofern sind die Grünen heute lebensweltlich in einem konservativen Bereich angekommen. Sie hecheln nicht jeder neuen Entwicklung und Idee hinterher (auch wenn ich mir an der einen oder anderen Stelle eine höhere Geschwindigkeit wünschte). Das Spannende daran ist aus meiner Sicht, dass eine konservative Sicht auf die Welt nicht zwingend zu einer konservativen politischen Haltung führt. Dass sogar die bisherigen Experimente, die beiden konservativen Lebenswelten in einer Koalition zusammen zu bringen, so grandios gescheitert sind. Dass also ähnliche Lebenswelten am Ende doch nicht ausreichen, um gemeinsam Politik zu machen.
Witzigerweise habe ich ja damals im Oktober 2010 bereits über dieses Thema geschrieben. Und als ich es eben noch mal las, staunte ich beinahe, wie ähnlich meine Gedanken damals waren zu dem, was ich aktuell wieder denke.
Im bürgerlichen Teil, im konservativen, alten Teil der Bevölkerung haben die Grünen ihre (Macht-) Basis. Von hier aus machen sie Angebote, die idealerweise ausstrahlen. Aber genau das funktioniert im Grunde. Ein Lebensgefühl der Vorsicht und der Rücksicht teilen viele Konservative. Daraus ein politisches Programm zu entwickeln, das nicht rechts ist, haben - in Deutschland - bisher nur die Grünen geschafft.
Was die angebliche Ähnlichkeit der Piraten mit den Grünen angeht: lebensweltlich kommen die kaum zusammen. Ja, auch ich kenne einige Piraten, die überlegt hatten, grün zu werden statt Pirat. Aber dass sie es nicht wurden (sondern Pirat) hängt - so meine Beobachtung - eben nicht so sehr mit den Inhalten als mit dem Lebensgefühl zusammen, das wir jeweils ausstrahlen und repräsentieren. Das beginnt bei den Instrumenten der politischen Partizipation (Quote beispielsweise) und endet nicht bei den Stadtvierteln, in denen wir jeweils leben. Und während damals in den 80ern die SDAJ bei uns in den Walddörfern eine Rolle spielte an den Schulen (und an der Schule Ole von Beusts ein Jahrzehnt lang die Schulsprecherinnen stellte), finden die Piraten (bisher) nicht statt. Anders als in städtischeren Teilen von Hamburg beispielsweise.
In den 80ern war ich in der SPD. Und die Sprüche damals gegen die Grünen ("Fleisch vom Fleische") ähneln erschreckend denen, die heute bei den Grünen über Piraten zu hören sind. Und gemeinsam ist beiden Diskursen das Unverständnis für das jeweilige Lebensgefühl der "neuen". Dass es eben nicht um Inhalte geht. Sondern um die Haltung. Und den Stil.
Was heißt das?
Dass die Grünen alt werden oder schon sind. Dass es junge Leute gibt, die sie dennoch gut finden. Dass das eher junge Leute sind, die keine Rebellinnen sind. Die vielleicht vor 30 Jahren in der Jungen Union gewesen wären, wer weiß (und Emos natürlich - sozusagen die konservative, brave Variante dessen, was mal Punk war - klar, des Weltschmerzes wegen, den sie mit den Alt-Grünen und Kirchen-Grünen teilen).
Und dass die Piraten stabil eine (Macht-) Basis bei Menschen gefunden haben, die ein anderes Lebensgefühl teilen. Selbst wenn sie zu ähnlichen politischen Schlüssen kommen sollten wie viele Grüne.
Und dass die Piraten mindestens mittelfristig helfen werden, die strukturelle Mehrheit links von der CDU politisch zu festigen. Wenn Grüne (und SPD übrigens) nicht den gleichen Fehler machen wie die SPD in den 80ern. Die interessante Nachricht wäre ja: aus drei sehr, sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen und Haltungen, Lebenswelten und Stilen lässt sich eine Schnittmenge bilden, die genug hergibt, um zu regieren.
Dazu habe ich zwei Kommentare (tl;dr)
- Na und?
- Stimmt nicht.
Aber im Ernst:
Ja, die Grünen haben - anders als vor 20 Jahren - keinen Alleinvertretungsanspruch der jungen Generation (oder zumindest ihres nicht völlig vergreisten Teils) mehr. Wer viel mit Jugendlichen zu tun hat, die sich für Politik mindestens am Rande interessieren (da bin ich in der glücklichen Lage, dies sogar zu Hause zu haben und in den Freundschaften, die meine Jugendlichen pflegen), sieht schon, dass die Piraten einen Teil der Jugendlichen emotional und vom Lebensgefühl abholen - und die Grünen einen anderen. Und dass viele dazwischen schwanken: Lebensgefühl Piraten, Politik grün, salopp formuliert.
Meine (zugegebenermaßen privatempirische) Beobachtung ist darüber hinaus, dass Jugendliche, die sich politisch von ihren Eltern massiv abgrenzen (wollen oder müssen), eher zu den Piraten neigen - und solche, denen die Abgrenzung nicht so wichtig ist, eher in Richtung grün tendieren. Was ich auch recht spannend finde. Und was mich zur wesentlichen These dieses Eintrags führt. Also zu der Überschrift.
Ja, die Grünen sind alt und unmodern und etabliert und irgendwie Mainstream (was für viele, die sich für rebellisch halten, alles das selbe ist). Und nein, das stört nicht. Im Gegenteil.
Der gängige Vorwurf, die Grünen seien so verdammt bürgerlich - und zwar sowohl in Haltungs- als auch in Lebensumständefragen - geht ja genau am Kern vorbei. Ist für jemanden wie mich, der in materialistischer Analyse geschult wurde, sogar logisch und nicht als Vorwurf zu verstehen. Denn der eigentliche "Markenkern" (wie ich dieses Wort im politischen Bereich hasse, aber dazu ein anderes Mal mehr) grüns ist ja nur schwer kompatibel mit anderen Schichten als einer bourgeoisen. Wie schon Brecht erkannte. Und ebenso logisch ist doch, dass eine Partei, die aus einem studentischen Milieu stammt, 30 Jahre später mehr Gutverdienende hat als andere Parteien.
Insofern sind die Grünen heute lebensweltlich in einem konservativen Bereich angekommen. Sie hecheln nicht jeder neuen Entwicklung und Idee hinterher (auch wenn ich mir an der einen oder anderen Stelle eine höhere Geschwindigkeit wünschte). Das Spannende daran ist aus meiner Sicht, dass eine konservative Sicht auf die Welt nicht zwingend zu einer konservativen politischen Haltung führt. Dass sogar die bisherigen Experimente, die beiden konservativen Lebenswelten in einer Koalition zusammen zu bringen, so grandios gescheitert sind. Dass also ähnliche Lebenswelten am Ende doch nicht ausreichen, um gemeinsam Politik zu machen.
Witzigerweise habe ich ja damals im Oktober 2010 bereits über dieses Thema geschrieben. Und als ich es eben noch mal las, staunte ich beinahe, wie ähnlich meine Gedanken damals waren zu dem, was ich aktuell wieder denke.
Im bürgerlichen Teil, im konservativen, alten Teil der Bevölkerung haben die Grünen ihre (Macht-) Basis. Von hier aus machen sie Angebote, die idealerweise ausstrahlen. Aber genau das funktioniert im Grunde. Ein Lebensgefühl der Vorsicht und der Rücksicht teilen viele Konservative. Daraus ein politisches Programm zu entwickeln, das nicht rechts ist, haben - in Deutschland - bisher nur die Grünen geschafft.
Was die angebliche Ähnlichkeit der Piraten mit den Grünen angeht: lebensweltlich kommen die kaum zusammen. Ja, auch ich kenne einige Piraten, die überlegt hatten, grün zu werden statt Pirat. Aber dass sie es nicht wurden (sondern Pirat) hängt - so meine Beobachtung - eben nicht so sehr mit den Inhalten als mit dem Lebensgefühl zusammen, das wir jeweils ausstrahlen und repräsentieren. Das beginnt bei den Instrumenten der politischen Partizipation (Quote beispielsweise) und endet nicht bei den Stadtvierteln, in denen wir jeweils leben. Und während damals in den 80ern die SDAJ bei uns in den Walddörfern eine Rolle spielte an den Schulen (und an der Schule Ole von Beusts ein Jahrzehnt lang die Schulsprecherinnen stellte), finden die Piraten (bisher) nicht statt. Anders als in städtischeren Teilen von Hamburg beispielsweise.
In den 80ern war ich in der SPD. Und die Sprüche damals gegen die Grünen ("Fleisch vom Fleische") ähneln erschreckend denen, die heute bei den Grünen über Piraten zu hören sind. Und gemeinsam ist beiden Diskursen das Unverständnis für das jeweilige Lebensgefühl der "neuen". Dass es eben nicht um Inhalte geht. Sondern um die Haltung. Und den Stil.
Was heißt das?
Dass die Grünen alt werden oder schon sind. Dass es junge Leute gibt, die sie dennoch gut finden. Dass das eher junge Leute sind, die keine Rebellinnen sind. Die vielleicht vor 30 Jahren in der Jungen Union gewesen wären, wer weiß (und Emos natürlich - sozusagen die konservative, brave Variante dessen, was mal Punk war - klar, des Weltschmerzes wegen, den sie mit den Alt-Grünen und Kirchen-Grünen teilen).
Und dass die Piraten stabil eine (Macht-) Basis bei Menschen gefunden haben, die ein anderes Lebensgefühl teilen. Selbst wenn sie zu ähnlichen politischen Schlüssen kommen sollten wie viele Grüne.
Und dass die Piraten mindestens mittelfristig helfen werden, die strukturelle Mehrheit links von der CDU politisch zu festigen. Wenn Grüne (und SPD übrigens) nicht den gleichen Fehler machen wie die SPD in den 80ern. Die interessante Nachricht wäre ja: aus drei sehr, sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen und Haltungen, Lebenswelten und Stilen lässt sich eine Schnittmenge bilden, die genug hergibt, um zu regieren.
14.2.12
Wider die Vulgarisierung der Diskussion um Urheberrechte durch die Piraten und den Boulevard
Friedrich Küppersbusch bringt es gestern in der taz auf den Punkt. Am ersten Werktag nach den ACTA-Demos und dem ersten Tag, nachdem der versammelte Boulevard von Focus über Spiegel bis Tagesschau (ok, die etwas weniger vulgär) das Thema ebenso verfehlt hat wie die meisten Piraten. Es geht nicht gegen das Urheberrecht. Es geht gegen das (industrielle) Verwertungsrecht.
Jan Philipp Albrecht, Abgeordneter im Europaparlament, hat das am Sonnabend in Hamburg ebenso wie Küppersbusch gut zusammengefasst:
Erst wenn es gelingt, die vulgäre Interpretation des Themas durch viele Piraten und den Boulevard, die sich absurderweise ja gleichen wie ein Ei dem anderen, hinter uns zu lassen, werden wir es schaffen, den kulturellen Bruch zu kitten. Den Bruch, der dadurch entsteht, dass Menschen, die sehr viel und sehr "natürlich" das Internet nutzen, merken, dass die von der Verwertungsindustrie versuchte Kriminalisierung aller Begeisterung für kreative Erzeugnisse mit ihrer Welt kollidiert - obwohl sie weiterhin auch Musik und Filme und Bücher kaufen, in Konzerte und ins Kino gehen und so weiter. Keiner einzigen Kreativen und keinem einzigen Werk ist damit gedient, dass sich die Verwertungsindustrie immer weiter von der Lebenswirklichkeit von rund 110% der unter 30-jährigen und rund 75% der 30- bis 50-jährigen abkoppelt.
Solange Kreative auf die vulgäre Propaganda der Verwerter hereinfallen und Konsumentinnen auf die ebenso vulgäre der Piraten - so lange werden wir nicht weiter kommen, denke ich. Mut macht mir dabei, dass ich keine Jugendliche kenne (und ja, ich kenne viele, wenn auch nur einen kleinen Ausschnitt von überwiegend Vorortjugendlichen aus Bildungsschichten), die eine der beiden vulgären Positionen überzeugend findet.
* Der Deppenbindestrich steht im Schreiben des DKV, in dem er erklärt, auch für die Dichterinnen zu sprechen. Für den kann ich also nix.
** Ob die Stellungnahme online vorliegt, weiß ich nicht, ich habe sie als pdf geschickt bekommen und daraus hier zitiert. Sie ist ohne Datum versehen und es steht Jörg Evers drunter. Die Echtheit habe ich nicht hart verifiziert.
[Frage:] Das Urheberrechtsabkommen ACTA treibt Menschen auf die Straße. Am Samstag wurde europaweit gegen das Abkommen demonstriert. Haben Sie verstanden, warum?Es ist extrem schwer, einer sinnvollen Position zurzeit Gehör zu verschaffen, weil abstrus überzogene Positionen einerseits und aggressiv kurz gedachte Engführungen von Urheber- und Verwertungsrechten andererseits aufeinander einprügeln. Besonders betrübt es mich dabei, wenn Verbände von Kreativen wie der Deutsche Komponistenverband (gemeinsam mit dem Deutschen Textdichter-Verband*) Formulierungen wählen wie, es würden "Existenzgrundlagen der Kreativen und Kulturschaffenden geopfert und angegriffen, und zwar zugunsten eines Konsumenten–Schlaraffenlands, das sich dem Götzen einer „innovativen“ Netz-Gratis-Mentalität anbiedert und nicht gewahr wird, dass mit den Daten der Konsumenten der eigentliche Profit an anderer Stelle in einem unverhältnismäßig großem Ausmaß gemacht wird"** - so in seiner verschwurbelten Stellungnahme zum langen Parteitagsbeschluss der Grünen zu dem Thema (Link geht auf das pdf), der nun wirklich nicht radikal oder weitgehend ist.
[F.K.:] Weil es kein Urheber-, sondern ein Verwertungsrechtsabkommen ist. Ein Beispiel: Die Süddeutsche Zeitung druckte Interviews und Texte über Produktionen meiner Firma. Wir stellten es - stolz, na klar - auf unsere Homepage. Eine Anwaltskanzlei mahnt uns ab, und wir zahlen der Süddeutschen jedes Mal 500 Euro für Content, der auf unserer Urheberei beruht. Anderes Beispiel: Der Westdeutsche Rundfunk hat im großen Verlegerbeschwichtigen der WAZ-Gruppe seine Archive geöffnet. Ergebnis : Wenn ich einen alten Beitrag von mir herzeigte, kann mich sowohl die Westdeutsche Allgemeine Zeitung wie auch der WDR verklagen; der Einzige, der definitiv keine Rechte an seinem Werk hat, bin ich - der Urheber. ACTA verstärkt die Macht der Vermarkter gegen Verbraucher und Urheber entscheidend weiter; es ist ein Selbstmordversuch für ideengetriebene Volkswirtschaften. Der Furor vieler Piraten, bei der Gelegenheit das Urheberrecht gleich mit abzuräumen, macht es schwer mitzudemonstrieren.
Küppersbusch in der taz
Jan Philipp Albrecht, Abgeordneter im Europaparlament, hat das am Sonnabend in Hamburg ebenso wie Küppersbusch gut zusammengefasst:
Erst wenn es gelingt, die vulgäre Interpretation des Themas durch viele Piraten und den Boulevard, die sich absurderweise ja gleichen wie ein Ei dem anderen, hinter uns zu lassen, werden wir es schaffen, den kulturellen Bruch zu kitten. Den Bruch, der dadurch entsteht, dass Menschen, die sehr viel und sehr "natürlich" das Internet nutzen, merken, dass die von der Verwertungsindustrie versuchte Kriminalisierung aller Begeisterung für kreative Erzeugnisse mit ihrer Welt kollidiert - obwohl sie weiterhin auch Musik und Filme und Bücher kaufen, in Konzerte und ins Kino gehen und so weiter. Keiner einzigen Kreativen und keinem einzigen Werk ist damit gedient, dass sich die Verwertungsindustrie immer weiter von der Lebenswirklichkeit von rund 110% der unter 30-jährigen und rund 75% der 30- bis 50-jährigen abkoppelt.
Solange Kreative auf die vulgäre Propaganda der Verwerter hereinfallen und Konsumentinnen auf die ebenso vulgäre der Piraten - so lange werden wir nicht weiter kommen, denke ich. Mut macht mir dabei, dass ich keine Jugendliche kenne (und ja, ich kenne viele, wenn auch nur einen kleinen Ausschnitt von überwiegend Vorortjugendlichen aus Bildungsschichten), die eine der beiden vulgären Positionen überzeugend findet.
* Der Deppenbindestrich steht im Schreiben des DKV, in dem er erklärt, auch für die Dichterinnen zu sprechen. Für den kann ich also nix.
** Ob die Stellungnahme online vorliegt, weiß ich nicht, ich habe sie als pdf geschickt bekommen und daraus hier zitiert. Sie ist ohne Datum versehen und es steht Jörg Evers drunter. Die Echtheit habe ich nicht hart verifiziert.
14.10.11
So sollte Netzpolitik in Deutschland aussehen, ja.
Hin und wieder verzweifele ich an "meiner Partei". Wenn Bärbel Höhn im TV auftritt. Oder wenn einige der evangelisch-kirchlichen Bundestagsabgeordneten auf von der Leyens brutale (und geschickte) Zensurbegründungen reinfallen. Oder Fraktionsvorsitzende in Zwergbundesländern Blödsinn reden. Oder bei manchen Diskussion rund um asynchrone Beteiligung und Transparenz in meinem Landesverband.
Die sehr konkreten Punkte, auf die wir Grüne uns selbst verpflichten wollen (wenn der Antrag durchgeht in Kiel), sind über den gesamten Antrag hinweg verstreut. Und nicht immer sind sie mit Handlungsempfehlungen versehen, da muss also noch das eine oder andere operationalisiert werden. Aber wenn wir uns darauf schon mal einigen können, sind wir um Jahre weiter als alle anderen Parteien. Inklusive der Piraten übrigens.
Aber dann bin ich auch immer wieder glücklich, dass ich bei den Grünen aktiv und politisch beheimatet bin (obwohl meine Herzensheimat ja immer die SPD war, bis die Verzweiflung jedes positive Erlebnis überwog). So wie gerade jetzt mit dem Antrag des Bundesvorstandes zur Netzpolitik für den Novemberparteitag. Maßgeblich vorangetrieben von Malte Spitz, bei dem ich ohnehin sehr froh bin, dass wir ihn haben.
Sehe ich einmal von den etwas verschwurbelten Formulierungen und einzelnen Inkonsistenzen ab, die dadurch zustande kommen, dass da verschiedene Steckenpferde offenbar noch nachträglich eingearbeitet werden mussten, ist er sehr, sehr gut geworden und - trotz seiner Länge - das so ziemlich beste netzpolitische Papier, das ich in Deutschland bisher gelesen habe. Vor allem aber macht dieser Antrag, der zumindest meiner Meinung nach sehr gut die grüne Position beschreibt, deutlich, was die wichtigsten Unterschiede zu den Piraten sind - auf der inhaltlichen Ebene (von der ich auch weiß, dass sie für den Erfolg der Piraten nicht wirklich relevant ist, ja, weil es ein Kulturthema ist und kein politisches, wunderbar illustriert durch ein Detail beim Politbarometer).
Die großen und argumentativ ausführlichen Passagen zu Privatsphäre, Urheberrecht und Infrastrukturpolitik dürften zu einem großen Teil eine andere Position widerspiegeln als Piraten sie haben (was ja auch gut ist) - und sind aus meiner Sicht wichtig und richtig.
Die Schlüsselpassage aber findet sich ziemlich weit hinten im netzpolitischen Leitantrag des grünen Bundesvorstandes, auf Seite 15 von 16:
Dies ist mir auch persönlich sehr wichtig. Darum bin ich weiterhin skeptisch, was Netzpolitik als Bereich angeht. Darum ist mir netzpolitisches Engagement bei dem, was wir Grüne "Fachpolitikerin" nennen, so wichtig: Leute, die bei uns für Medienpolitik, Schulpolitik, Wirtschaftspolitik, Kulturpolitik, Rechtspolitik und so weiter stehen, gucke ich mir auch immer unter dem Aspekt ihrer Kenntnisse des Netzes und ihrer Positionen in der Netzpolitik an. Denn mir ist es wichtiger, dass unsere Wirtschaftspolitikerinnen netzpolitisch zuverlässig sind - als dass wir einen tollen Netzhecht im Parlament haben. Mal etwas holzschnittartig (weshalb ich bei meiner Bewerbung auch nicht so sehr auf das Thema Netzpolitik abgehoben habe als auch das Thema Demokratie).Netzpolitik tangiert nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft und Politikfelder, Wissenschafts- wie Kulturpolitik, Rechts- wie Innenpolitik, Kinder- wie Jugendpolitik, Wirtschafts- und Verbraucher, Umwelt- wie Arbeitsmarktpolitik – die Aufzählung ließe sich für alle Ressorts durchdeklinieren. Die Netzpolitik ist das große Querschnittsthema unserer Zeit. Das Internet selbst ist für uns nicht nur ein technisches Instrument, sondern eine sozialer Ort, den es für mehr demokratische Mitbestimmung zu nutzen gilt. (Netzpolitischer Antrag)
Die sehr konkreten Punkte, auf die wir Grüne uns selbst verpflichten wollen (wenn der Antrag durchgeht in Kiel), sind über den gesamten Antrag hinweg verstreut. Und nicht immer sind sie mit Handlungsempfehlungen versehen, da muss also noch das eine oder andere operationalisiert werden. Aber wenn wir uns darauf schon mal einigen können, sind wir um Jahre weiter als alle anderen Parteien. Inklusive der Piraten übrigens.
19.9.11
Die gehen nicht weg, die Piraten
Die Piraten, da stimme ich anderen ersten Analysen zu, werden nicht wieder verschwinden. Und wir Grünen haben zu ihrem Erstarken wesentlich beigetragen
Rund um die Internet-Stopp-Schilder (kontraproduktives Minderheitenvotum aus der Bundestags-Fraktion), JMStV (totales Schlafen aller Regierungsfraktionen in den Ländern, vor allem HH und NRW) und Vorratsdatenspeicherung (keine über Insider hinaus wahrnehmbare Stimme oder Position) haben Grüne in den letzten Jahren Terrain verloren, ohne dass das nötig gewesen wäre. So wie ja auch die SPD. Weiterhin begegnen die "Piraten in den Grünen" vor allem kulturellen Vorbehalten - ablesbar an internen Diskussionen um Politikstil und transparente Kommunikation, bei denen grüne Piraten es nicht schaffen, mit den alten Bürgerinnenbewegten eine gemeinsame Linie zu finden.
Ohne den Piraten hinterher laufen zu wollen, ist aus meiner Sicht für Großstadtgrüne jetzt zweierlei nötig, um gerüstet zu sein, eine neu politisierte Gruppe von Menschen abzuholen, wenn sie sich von den Piraten wieder abwendet - oder ihnen auch vorher bereits ein alternatives Angebot zu machen. Dabei geht es nicht um flippige oder hippe Anmutung, sondern darum, die tiefe Enttäuschung, die uns nahestehende Gruppen empfinden, wenn sie unser Handeln und unsere Kommunikation analysieren, durch eine Veränderung zu überwinden.
- durch extrem große Unsicherheit unserer medial wahrnehmbaren Vertreterinnen in allen Fragen des Internets
- durch gute theoretische Programme, die sich in der politischen Praxis nicht glaubwürdig widerspiegeln, also nicht eingelöst werden
- durch die relative Blindheit (kulturell und im politischen Handeln, nicht so sehr in der Programmatik) gegenüber den beiden Kernthemen der Piraten (Freiheit der Rede und Open Government)
Rund um die Internet-Stopp-Schilder (kontraproduktives Minderheitenvotum aus der Bundestags-Fraktion), JMStV (totales Schlafen aller Regierungsfraktionen in den Ländern, vor allem HH und NRW) und Vorratsdatenspeicherung (keine über Insider hinaus wahrnehmbare Stimme oder Position) haben Grüne in den letzten Jahren Terrain verloren, ohne dass das nötig gewesen wäre. So wie ja auch die SPD. Weiterhin begegnen die "Piraten in den Grünen" vor allem kulturellen Vorbehalten - ablesbar an internen Diskussionen um Politikstil und transparente Kommunikation, bei denen grüne Piraten es nicht schaffen, mit den alten Bürgerinnenbewegten eine gemeinsame Linie zu finden.
Ohne den Piraten hinterher laufen zu wollen, ist aus meiner Sicht für Großstadtgrüne jetzt zweierlei nötig, um gerüstet zu sein, eine neu politisierte Gruppe von Menschen abzuholen, wenn sie sich von den Piraten wieder abwendet - oder ihnen auch vorher bereits ein alternatives Angebot zu machen. Dabei geht es nicht um flippige oder hippe Anmutung, sondern darum, die tiefe Enttäuschung, die uns nahestehende Gruppen empfinden, wenn sie unser Handeln und unsere Kommunikation analysieren, durch eine Veränderung zu überwinden.
- Wir müssen Mechanismen finden, die verhindern, dass insbesondere Abgeordnete auf jeder Ebene, aber auch andere auffindbare Grüne, sich aus Unwissenheit oder Ignoranz entgegen unseren im Prinzip weitgehend akzeptablen Programmbeschlüssen äußern (passiert dauernd). Wir gelten als im Zweifelsfall unzuverlässig (oder - im Idealfall - inkompetent).
- Wir sollten die zumindest in Hamburg (wie ist es eigentlich anderswo?) im Sande verlaufenen Ideen einer hochgradig transparenten internen Diskussion noch einmal aufgreifen und den Politikstil der Transparenz und die Debattenkultur noch einmal auf eine potenzielle Akzeptanz bei Piraten abklopfen. Und einen offensiven Kompromiss zwischen den sehr unterschiedlichen Gesprächskulturen suchen und versuchen, der mehr ist als ein kleinster gemeinsamer Nenner.
- Ob es uns gelingt, Politik als Prozess der Partizipation zu verstehen und nicht als Volksbeglückungsprogramm, wird darüber entscheiden, ob wir mehr als ein Zwei-Generationen-Projekt einer spießigen oberen Mittelschicht sein können.
Update: An die Piraten, die hier vorbeisegeln -
lest unbedingt auch meinen letzten Blogpost über eure Generation:
Die arme Generation ;)
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