26.7.13

Das Ende der Mangelmedien

Diese Woche wird uns später als die Woche in Erinnerung bleiben, in der das Ende der Medien offensichtlich wurde, deren Modell darauf beruhte, dass Raum oder Zeit knapp und ein Mangel war. Offensichtlich auch für die, die sich bisher nicht so intensiv damit beschäftigt haben.

Erst stellt Google ein USB-Stick-großes Dingens vor. Und dann verkaufte (oder präzise: versucht zu verkaufen) Axel Springer fast alle seine Print-Titel. Letzteres mit enormem Echo in meinem mediennahen Resonanzraum und initialer Schockstarre bei fast allen Journalistinnen oder Ex-Journalistinnen in meinem Umfeld. Ersteres, so scheint mir, noch fast unter dem Radar.

Warum soll dies das Ende der alten Medien sein?
Mehr noch als den Abschied Springers von Print (dazu gleich) stellt meines Erachtens das kleine, billige Gerätchen, das an den HDMI-Anschluss des großen wohnzimmerdominierenden Bildschirms gedongelt werden kann, den größten Schritt zur Veränderung der Mediennutzung dar seit der massenweisen Einführung von Kameras, die dauernd online sind (Smartphones). Denn damit wird nun endlich für viele Menschen dieser große Bildschirm von seiner Abhängigkeit vom Zeitmangel befreit.

Lineares TV (also bewegte Bilder, die an einem vom Sender definierten Zeitpunkt übermittelt werden, we called this früher "Fernsehen". Früher, als man fett noch mit o geschrieben hat*) überlebte die letzten Jahre trotz seiner eigentlich absurden Eigenschaften vor allem deshalb, weil die allermeisten Leute nicht in der Lage waren, die Inhalte auf den zentralen Bildschirm ihrer Wohnung zu bekommen, die sie wirklich interessieren. Einige von uns experimentierten mit Apple-TV, aber eigentlich ist das doof - denn es geht nur mit Apple. Und nur mit iTunes. Und iTunes ist inzwischen doof, weil es nicht mehr wirklich mit Medienservern zusammenarbeitet und so weiter. Technikgedöns. Am Ende hat bisher nur die Bequemlichkeit ein an sich kaputtes Medienkonzept gerettet. Denn logisch ist es schon lange nicht mehr.

Wenn dieses HDMI-Dongel von Google tatsächlich kann, was sie behaupten, wäre dies der Einstieg darein, dass der große Bildschirm nicht mehr von Mangel bestimmt wird (dem herausragenden Merkmal linearen TVs - limitierte Sendezeit, limitierte Sender, limitierte DVD-Sammlung) sondern von der Fülle des prinzipiell unendlich großen Speicherraumes Internet.

Für Deutschland heißt das schon in sehr naher Zukunft (also noch dieses Jahr) aus meiner Sicht, dass die ohnehin schon gigantische Reichweite der neuen Sender, die aus dem Zusammenschluss von Künstlerinnen auf YouTube entstanden sind (Ponk, Magnolia etc), weiter explodieren - und vor allem den zentralen Bildschirm der Wohnung erobern wird. Heute schon haben diese neuen Sender eine höhere Reichweite als die klassischen TV-Sender-Familien. Und das bisher noch ohne den großen Bildschirm.

Die linearen TV-Anbieter haben sich ja darauf schon lange eingestellt, indem sie sich auf die einzige Systemstärke ihres Modells zurück besonnen haben: Dass es auf elegante Weise ermöglicht, "fern" zu "sehen". Event-Fernsehen (Livesport, Liveshows etc) sehe ich als einzige echte Chance und Nische dieser Sender.

Und was ist mit Tee?
Einen Tag später dann verabschiedet sich Springer von Print. Und behält nur die Print-Titel, die sie mehr oder weniger erfolgreich zu multimedialen Marken ausgebaut haben. Der Kaufpreis, der dem zehnfachen Gewinn dieses Bereichs entspricht, legt nahe, dass Springer Print keine zehn Jahre mehr gibt.

Nun ist Print an sich nicht tot. Im Gegenteil. Aber der Teil von Print, der sein Modell auf Mangel (an Zeit, an Papier etc) aufbaute, ist irrelevant geworden. Warum eine Auswahl alter Nachrichten auf Papier? Wofür sollen wir mittelfristig noch Zeitschriften brauchen, die durch lineares TV navigieren (siehe oben)? Was soll eine veraltete Auswahl statischer Abbildungen von Entertrainment-Inhalten, die von den Stars vor mehreren Tagen selbst via Tumblr, Instagram, Facebook und Co veröffentlicht worden sind?

Man muss Springer nicht mögen, um anzuerkennen, dass sie dort nicht dumm sind. Ich bin unsicher, ob sie erfolgreich sein können mit dem, was sie da versuchen - aber sie haben erkannt, dass sie jetzt die Reißleine ziehen müssen. Und allen anderen deutlich gemacht, dass Medien in Zukunft nicht auf dem Modell "Mangel" werden basieren können.


tl;dr
Lineares TV und Print haben weitere Sargnägel verpasst bekommen. Und Springer weiß das.


* komplett ohne einen tieferen Sinn. Ich liebe diesen Spruch, den meine Schwiegermutter von ihrer Großmutter, Pfarrfrau in Hessen, hat.

25.7.13

Freundschaft anders erleben – wie unsere Kinder sich die Onlinewelt erobern

Für die kleine Zeitschrift "Blickpunkt Pflegekinder" habe ich einen kleinen Beitrag geschrieben über Kinder, Eltern und das Internetzdingens. Und weil er, wie ich finde, ganz gut zu meinen Themen hier passt, kommt er hier ins Blog auch rein. Das Heft handelt insgesamt vom Thema Freundschaft. Und es wird herausgegeben von PFIFF, die sich um Pflegeeltern und ihre Pflegekinder kümmern. Eine Arbeit, die ich toll finde, zumal es in meiner Familie Tradition ist, Pflegekinder aufzunehmen. Am Ende des Beitrags habe ich auch den Originalaufsatz eingebunden, er kann auch bei Scribt runtergeladen werden.

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Ob wir es wollen oder nicht – unsere Kinder sind online, spätestens wenn sie in die Schule kommen. In vielen Fällen nutzen sie auch zu Hause Computer, die im Internet sind. Wir sollten nicht vergessen: Für unsere Kinder sind Computer, die nicht online sind, „kaputt“, sie kennen gar keine Zeit mehr, in der es eine Offline-Nutzung von Programmen und Anwendungen auf PCs gab.

Spätestens wenn sie ihr erstes Smartphone haben (was rein statistisch auf mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen ab 13 Jahren zutrifft), koppelt sich ihre Onlinenutzung von der unseren ab, nutzen sie „das Internet“ anders als Erwachsene. Auch ohne Datenflatrate wird das Smartphone für immer mehr Kinder zum Tor zur Welt. Zuhause, in der Schule, bei Freundinnen und Freunden: wo immer sie Zugang zu einem WLAN haben, gehen sie mit ihren Geräten online. Und sei es zur Not mit der Spielekonsole.

Dadurch ändert sich die Mediennutzung dramatisch. Sie definiert sich für viele unserer Kinder neu und wird als Qualitätszeit empfunden. Parallel zum Fernsehen mit Freundinnen und Freunden zu chatten, ist die Norm. Gespräche, die auf dem Schulhof beginnen, werden per SMS (bei denen, die noch nicht immer online sind und also keine preiswertere Variante wie WhatsApp nutzen können) fortgesetzt und dann zu Hause als Chat in Facebook und Co intensiviert. Grob gesagt ist der Onlinezugang für Kinder und Jugendliche heute das, was für die meisten Erwachsenen der Elterngeneration das Telefon war: Der Zugang zu den anderen. Und so, wie es in den 70ern und 80ern Eltern gab, die das Telefon für ihre Kinder stark reglementiert haben, versuchen es heute auch viele Eltern mit dem Internet.

Grundsätzlich stimme ich dabei zu, dass es zu unserer Erziehungsaufgabe gehört, unsere Kinder in diesen Kommunikationsraum Internet zu begleiten und Grenzen und Leitplanken zu setzen. Ich erlebe nur leider sehr oft, dass genau dieses nicht geschieht – interessanterweise vor allem bei denen, die „dieses Internet“ eher ablehnen und mit ihm wenig bis nichts anfangen können. Das mündet oft in Verbote, die von den Kindern umgangen werden. Oder in eine fappierende Gleichgültigkeit, die ein Zeichen von Resignation ist. Ironischerweise ist der Internetzugang und die Nutzung des Internets als Raum, um mit Freundinnen und Freunden in Kontakt zu sein, in den Familien sehr viel stärker kontrolliert und reglementiert, die Facebook und YouTube offen gegenüber stehen. Wahrscheinlich, weil sie wissen, was zu tun ist – und die Kinder tatsächlich begleiten können.

Wer Kinder hat und sich nicht mit Facebook (bei den etwas älteren Kindern) und YouTube (bei allen Kindern) beschäftigt, nicht mit Minecraft oder Onlinespielen, kann sie nicht begleiten und erziehen und – um es mal sehr hart zu formulieren – versagt als Eltern in der heutigen Zeit. Wer seine Kinder damit vor der Onlinewelt beschützen will, dass sie ihnen verboten und versperrt bleibt, macht seine Kinder (bewusst oder unbewusst) zu Außenseitern. Ähnlich wie in meiner Grundschulzeit in den späten 70ern die Kinder nachmittags außen vor blieben, die noch kein Telefon hatten.

Ein Raum voller Chancen und voller Gefahren
In den Gesprächen unter Eltern dreht es sich beim Internet meistens um die Gefahren. Und diese stehen auch in den klassischen Medien im Mittelpunkt. Dass wir unsere Kinder auf diese Gefahren vorbereiten und sie zu schützen suchen, ist auch richtig und wichtig – schließlich bringen wir ihnen auch bei, nicht einfach auf die Straße zu rennen oder bei irgendwem ins Auto zu steigen. Zugleich aber erklären wir ihnen da auch die Chancen: Dass es gut ist, zur Schule zu laufen oder zu fahren, dass es richtig ist, sich den Straßenraum der Umgebung zu erobern und mit den Freundinnen und Freunden umherzustreifen – das ist unter den meisten Eltern unumstritten. Diesen Konsens auf die Onlinewelt zu übertragen, ist überfällig.

Wir wissen und haben gelernt, dass Kinder und Jugendliche, die sich sicher auf der Straße bewegen, besser vor den Gefahren des Straßenverkehrs geschützt sind. Die gleiche Erfahrung machen Eltern, die ihre Kinder die Onlinewelt erobern lassen, auch dort: Dass ihre Kinder mit den Gefahren je besser umgehen können, desto mehr sie die Chancen kennen und erleben.

Für Jugendliche ist heute Facebook (noch) einer der wichtigsten Orte, um mit ihren Freundinnen und Freunden zu sprechen, um sich selbst darzustellen, um auf Ideen zu kommen. Für Kinder und Jugendliche ist YouTube heute der wichtigste TV-Kanal mit seinen unzähligen Möglichkeiten, mir mein Programm selbst zu gestalten. Wo wir Erwachsenen zu Telefon oder zur E-Mail greifen, nutzen unsere Kinder WhatsApp und Facebook, manche auch die Chatprogramme, die zu ihrem Onlinespiel gehören. Das ist zunächst einfach einmal Fakt und weder gut noch schlecht. Schlecht wird es erst durch unsere Zuschreibung – aber wer sagt denn, dass wir auf alle Zeit Recht haben damit, dass Qualitätszeit bedeuten muss, ein Buch zu lesen? Dass es nicht auch Qualitätszeit sein kann, gemeinsam mit Freundinnen und Freunden zu blödeln (via Facebook und WhatsApp) oder komplizierte Gebäude zu errichten (in Minecraft oder League of Legend).

Nur wenn wir als Eltern die Kommunikations- und Entertainmentbedürfnisse der Kinder ernstnehmen, werden sie uns mit unseren Regeln und Grenzen ernstnehmen. Denn die müssen wir ihnen setzen.

Erlaubnisse und Grenzen
Beispielsweise erlauben wir unseren Kindern YouTube und Facebook. Aber wir setzen die Grenze bei Chatrooms wie Knuddels und Co. Wir erlauben Räume mit hoher sozialer Kontrolle – und setzen Grenzen bei Räumen, die sich der Kontrolle vollständig entziehen. Wir haben eine klare Regel für Gespräche: sie dürfen niemals den Ort verlassen, an dem sie begonnen wurden (also nicht beispielsweise auf Skype oder WhatsApp ausweichen), wenn sie die Menschen, mit denen die Kinder reden, nicht aus der Schule oder aus einem anderen Bezug kennen. Unsere Kinder wissen und lernen jeden Tag mehr darüber, dass die Profile, die sie in sozialen Netzen oder auf Skype und Co sehen, nicht echt sein müssen, dass niemand weiß, wer dahinter steckt, wenn ich die Person nicht selbst kenne.

Hier gibt es also Grenzen, ebenso wie es zeitliche Grenzen gibt. Aber diese Grenzen funktionieren nur, weil sie in ein großes Erlaubnis eingebettet sind – und weil uns interessiert, was unsere Kinder nutzen und wie sie das tun. Weil wir ihnen nicht etwas nur deshalb verbieten, weil wir es doof finden oder nicht kennen. Weil sie erlebt haben, dass wir uns stundenlang über unsere Lieblingsfilme auf YouTube unterhalten können. Wir zeigen ihnen unsere (teilweise aus unserer Kindheit), sie zeigen uns ihre. Ohne dass wir laut sagen, wie schlimm wir das finden, was sie lieben.

Nur so werden wir mitbekommen, wo sie sich ihre Räume für sich und ihre Freundinnen und Freunde suchen. Sei es (aktuell angesagt) SnapChat, sei es neuerdings Twitter, sei es, was immer jetzt kommen mag, wenn sie anfangen, Facebook langweilig zu finden. Nur eine Sache ändert sich nicht seit Generationen: Freundschaft hat mit Menschen zu tun und mit Nähe. Und wo die Onlinenutzung nicht pathologisch wird, hat Freundschaft auch immer damit zu tun, sich in der Kohlenstoffwelt (also dem, was nicht online ist) zu treffen. Alle Erfahrungen der letzten Jahre sprechen dafür, dass Kommunikation in sozialen Netzwerken nichts daran ändert, wie Freundschaft funktioniert. Ja, unsere Kinder nutzen das Wort anders als wir (offener, mehr wie in USA), aber das Phänomen, das wir Freundschaft nennen, kennen sie auch. Nur das Telefon nicht mehr. Und den Brief.

3.7.13

Ich bin ein romantischer Idealist

Ich weiß. Nennt mich naiv. Aber ich glaube an Demokratie. So richtig. Ich glaube auch heute noch, dass es richtig war von der SPD, den Frauen in Deutschland das Wahlrecht zu geben - obwohl die dann mehrheitlich konservativ wählten. Ist das Idealismus? Vielleicht. Ist es richtig? Ja.
Vielleicht liegt es daran, dass ich in einer Zeit aufwuchs, in der die Welt noch einfach schien und es gut und böse gab in meiner Filterblase. In der klar war, dass ein Militärputsch, sei es in Chile, in Argentinien, in Griechenland, in der Türkei und überall sonst schlecht sei. Zumal es in fast allen Fällen ja die Guten traf, die aus dem Amt geputscht wurden.

Dabei war es schon damals so, dass die Welt nicht so einfach war. Viele fanden beispielsweise den Putsch in Chile richtig, als Hilfe gegen den fortschreitenden Kommunismus. So wie heute wieder viele begeistert klatschen, wenn in Ägypten das Militär gegen einen anderen -ismus einschreitet, der durch demokratische Wahlen einen seiner Vertreter in das Präsidialamt gebracht hat. Ob es Islamismus ist? Ob Allende den Kommunismus eingeführt hat? Hängt wahrscheinlich wesentlich vom eigenen Standpunkt ab.

Wenn ich etwas in meinen Kämpfen der 80er und 90er gelernt habe, in denen ich mich unter anderem an einem Anführer einer von uns damals so empfundenen rechtsradikalen "Menschenrechts"gruppe abarbeitete, der heute sehr einflussreich ist und dauernd zwischen führenden Jobs im Journalismus und der PR hin und her wechselt (aber das ist eine andere Geschichte), dann dies: Während wir uns streiten können, ob etwas gut oder böse sei, ist eines unverhandelbar. Selbst wenn ich weiß, dass ich selbst niemals (jedenfalls kann ich mir beim besten Willen ein Szenario vorstellen, in dem es anders wäre) zu denen gehören werde, die davon tatsächlich politisch profitieren: In einer Demokratie herrscht Demokratie. Und wenn die Falschen von der Mehrheit gewählt werden, dann werde ich, wie bisher, protestieren. Und ich werde mich an der einen oder anderen Stelle verweigern. Aber - anders als ich persönlich noch in den frühen 90ern*: Ich werde nicht nach dem Militär rufen, dass sie mich in einer Revolution unterstützen.

Tatsächlich bin ich sehr unsicher, was die Situation in Ägypten oder der Türkei heute angeht (heute, am Tag des Militärputsches in Ägypten gegen den gewählten islamistischen Präsidenten). Ich fühle mich inhaltlich und politisch und menschlich und intellektuell den urbanen Prostestgruppen verbunden. Aber ich weiß auch, dass sie nicht die Mehrheit der Menschen in diesen Ländern darstellen. Herrschaft der Volkes oder Herrschaft einer urbanen, gebildeten Elite? Das antik-griechische Modell der Demokratie? Oder das neuzeitliche?

Kann es da wirklich eine Frage geben? Ist das wirklich romantisch? Oder idealistisch? Oder fehlt denen, die jetzt über einen Militärputsch jubeln, ihr Gedächtnis oder ihr (ethischer? politischer?) Kompass?

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* kleine, lustige Anekdote aus den frühen 90ern: Beim Vorbereitungstreffen zum Kirchentag habe ich als damaliger Bundesvorsitzender einer sozialistischen christlichen Vereinigung genau damit dafür argumentiert, in unserem Bereich auf dem Markt der Möglichkeiten auch Nicht-Pazifistinnen zuzulassen. Schließlich würden wir ggf. die Armee während der Revolution brauchen.