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10.5.22

Schreiben wie Sprechen

Als ich ab Mitte der 90er Jahre Radio gelernt und dann gemacht habe, hat sich meine Sprache verändert. Ich kam aus dem Studium ins Studio. Und von einer leicht vernerdeten, ziemlich arrogant-überkandidelten Sprache zu einer, die einfach, klar und verständlich ist. Witzigerweise hat es mich nachhaltig für die Langform verdorben, dass ich Geschichten in maximal 90 Sekunden erzählen musste. So lang war damals ein BmE, Beitrag mit Einspieler.

Das eigentlich Besondere aber an der Sprache, die ich im und für das Studio lernte, war, dass sie direkt und persönlich wurde. Mit relativ viel Druck, mit Rhythmus, mit Klarheit. Gesprochene Sprache schreiben, heißt diese Disziplin. Und in meinem speziellen Fall kam noch etwas dazu: als einer, der im Privatradio, also im auf Unterhaltung optimierten Sprachprogramm von Musiksendern, für die A-Themen zuständig war (Arme, Ausländer*innen, Arbeitslose, Afrika und so weiter), eine (An-) Sprache zu finden, die einerseits sensibel genug war, um unsere Themen zu tragen – und andererseits in den Gesamtduktus der Sender passte, in denen wir unsere Sendungen via Drittsenderecht hatten. Ich machte ja Kirchenfunk, bezahlt und verantwortet von der evangelischen Kirche, aber im Konsens mit Sendern wie RSH und Radio Hamburg.

Es ist eine erzählende Sprache, die so entsteht. Eine, die jeweils eine einzelne Hörerin in den Blick nimmt. Darum ist Radio auch so anders als andere Medien. Und darum bereitet Radio so gut vor auf Sprechen und Schreiben in Social Media und in dieser Zeit gerade, die von direkter und persönlicher Ansprache lebt.

Mirkofon in einem Radiostudio

Inspiriert von dieser Radio-Sprache ist eine Sprache für Vorträge und für Texte entstanden, die nicht schreit, aber dennoch Druck entwickelt; die nicht predigt, aber dennoch verändern will; die nicht die Vielen anspricht sondern jede einzelne*n – so eine Sprache kann berühren und kann Menschen bewegen. Und: so eine Sprache verändert auch die Inhalte und die Haltung, mit der ich spreche. Weil der Druck und das Direkte eben auch verhindern, dass ich mit Worten und Sprache verschleiere, was ich sagen müsste. Wenn ich geradeaus spreche, habe ich eine sehr viel größere Klarheit. Wenn ich nicht doziere sondern mich unterhalte, habe ich fast automagisch einen Hang zu differenzieren.

Schon als Robert Habeck das erste Mal Landesminister wurde, war ich ob seiner Sprache und seinem Sprechen sehr aufgeregt. Fand ihn nicht nur intellektuell unglaublich anregend (so sehr wie seit Engholm niemanden mehr in der Politik), sondern auch neu. Und in den letzten Monaten erleben wir das auf der großen Bühne. Ich denke, dass Habeck so anders wirkt, so viel Zustimmung für seine Art der Kommunikation bekommt, hängt mit genau dieser Sprache zusammen. Und das, obwohl ich am Beginn der Corona-Pandemie mit ihren virtuellen Parteitagen und so weiter sehr den Eindruck hatte, dass ihm "Radio" schwer fällt, also das Sprechen mit einer Einzelnen, ohne Reaktion aus dem Publikum. Das hat er inzwischen unglaublich gut gelernt.

Habecks schnörkellose Sprache, verbunden mit dem rhythmisch-poetischen Sprechen, seine direkt zu erlebende Suche nach der richtigen Formulierung, sein lautes Nachdenken – all das prägt einen neuen Stil. Und ich bin davon überzeugt, dass es auch einen neuen Stil für andere prägen wird, die professionell schreiben und sprechen. Ich nenne das "Schreiben wie Sprechen". Gesprochene Schriftsprache. Oder geschriebene gesprochene Sprache. Es ist eine Kunstform, die mir vielleicht so auffällt, weil ich mich daran – anders als Habeck, logisch – ebenfalls seit vielen Jahren versuche.

Ich höre von Menschen, für die ich Texte schreibe und Geschichten erzähle, dass sie genau dieses gerade suchen und wollen: eine Sprache und ein Sprechen und Schreiben, das davon inspiriert ist, wie Habeck Dinge erklärt und Menschen mitnimmt. Und ich höre von vielen anderen, die für ihre Kund*innen schreiben, dass das überall gefragt wird. Das finde ich toll. Denn es ändert so viel in der Kommunikation, wenn sich immer mehr Menschen darum bemühen, Jargon und stereotype Sprachbilder zu vermeiden. Geradeaus zu schreiben und zu sprechen. Schreiben und Sprechen dichter zusammenzurücken. Eben zu schreiben wie sie sprechen. Und auch so zu sprechen.

Wenn Robert Habeck die schreibende Kommunikationszunft zu besserer Sprache inspiriert: ist das nicht wunderbar?


 

18.1.21

Ich liebe Radio

Radio

Ich wollte nie zum Fernsehen. Weil ich immer Radio liebte. Nur mit der Stimme, sehr direkt, sehr intim – und trotzdem für alle zu hören, die zufällig oder bewusst einschalten. Die Zeit als Kirchenfunker im Privatradio war sehr cool, bis hin zu den Experimenten, on air zu beten.

Radio ist aber vor allem auch flüchtig. Weshalb ich noch die Generation Mix-Tapes bin, die Lieder aus dem Radio auf Kassette aufgenommen hat und am Doppelkassettendeck neu zusammenstellte.

Ich mag auch Podcasts und Hörbücher, sehr sogar. Die höre ich beispielsweise bei der Hofarbeit, beim Pferdescheißeschaufeln, beim Zäunebauen, beim Kochen.

Ephemeral Media

Und ich mochte schon immer Ephemeral Media. Damit habe ich mich damals, vor sechs Jahren, als es losging mit Ephemeral Media, intensiv beschäftigt und viel drüber geschrieben und Vorträge gehalten. Das Flüchtige als Antwort auf die unangenehme Erfahrung, dass "das Web nicht vergisst", hat mich die gesamte Zeit fasziniert. Ebenso übrigens, wie dann dieses Flüchtige für uns doch permanent sein sollte - wie die Highlights auf Insta, die eigentlich ephemere Storys haltbar machen.

Radio ist eigentlich auch Ephemeral Media, immer schon. Sogar noch radikaler, weil es eben nur im Moment funktioniert und nicht mal die sonst üblichen 24 Stunden.

Clubhouse

Und nun also Clubhouse. Dieses Wochenende ist es so richtig offiziell in Deutschland angekommen, es sieht so aus, als ob es tatsächlich für fast alle, die ein iPhone haben, geöffnet wird. Clubhouse machte seit rund einem Jahr ein bisschen Furore, vor allem in Nordamerika, weil es zunächst nur für kleine exklusive Zirkel zugänglich war, um auszuprobieren, was da geht und was nicht. 

In aller Kürze: Nur Audio, kein Video, kein Text, keine Bilder. Nur live, nur im Moment. Wer einen Raum öffnet, kann sprechen und entscheiden, wer mit sprechen darf, andere können zuhören und darum bitten, mitsprechen zu dürfen. Also im Grunde eine Mischung aus Talkradio und Open Mic.

Hype oder nachhaltig?

Im Grund ist es egal, ob es "nur" ein Hype ist oder ob da ein neues, nachhaltiges Netzwerk entsteht. Für Hype spricht, dass ich von Freund:innen, die es vor Monaten anfingen zu nutzen und anfangs hell begeistert waren, höre, dass das schnell wieder abflaute und sie noch ein, zwei Mal in der Woche oder sogar nur im Monat die App öffnen. Das scheinen auch andere zu hören. Und es ist auch allzu sehr männlich und weiß und teilweise offenbar auch echt kakke.

Aber: es ist, gerade für einen alten Radiomenschen wie mich, auch irgendwie super aufregend, wie dort eine Community versucht, im Grunde die Brecht'sche Vision vom Radio zum Leben zu erwecken. Und da steckt etwas drin. Ich denke, dass da auch die Nachhaltigkeit liegt.

Erste Überlegungen eines Kommunikationsmenschen 

1. Ask Me Anything
Gerade für Top-Executives kann es eine Umgebung sein (und ist es bisher, als es noch kuschelig war, auch gewesen), in der sie live und "intim", flüchtig, erzählen und Fragen beantworten können. Das haben wir von Leuten aus der Start-Up-Szene gesehen, von einigen wenigen Politiker:innen, das könnten wir auch für andere sehen.

2. Formatierung
Eines der wichtigsten Erfolgsrezepte von Radio ist die Formatierung. Dass ich also weiß, was mich wann erwartet: Von 18 Uhr bis 18.40 Uhr beispielsweise die abendliche Aktuell-Sendung, und dann von 18.40 Uhr bis 19.00 Uhr ein ausführlicher Hintergrund (im Beispiel Deutschlandfunk). Flüchtige Live-Medien werden Formate brauchen. Erste gibt es schon auf Clubhouse. Und hier sehe ich tatsächlich große Chancen. Sowohl für Profis als auch für Marken.

3. Talkradio
In Deutschland gibt es wenig bis kein echtes Talkradio. Anders als in vielen anderen Ländern. Clubhouse könnte diese Lücke schließen. Es könnte sich zu einem Talkradio entwickeln. Und damit wäre auch alles, was in Talkradios, vor allem live, denkbar ist, hier denkbar. Da lohnt es sich wahrscheinlich, kreativ zu werden. Muss ja nicht alles wie Domian sein.

Erste Erfahrungen
Was mir auffällt: anders als die meisten anderen Formen von Ephemeral Media muss zumindest ich mich auf die Gespräche in den Räumen von Clubhouse konzentrieren. Das geht nicht einfach so nebenbei oder aus dem Augenwinkel. Und während ich Twitter wunderbar neben Filmen, TV-Events oder Wahlberichterstattung nutzen kann und nutze, kann ich das mit diesem Talkradio nicht. Also ich zumindest kann das nicht. Ich muss mir also bewusst und echt Zeit nehmen, um eine Sendung auf Clubhouse zu hören oder an einer Diskussion teilzunehmen. Zumal es eben nicht asynchron ist, was ich beispielsweise an Twitter oder an Messengern sehr mag. Auch das spricht übrigens für Formate, denn dann kann ich mich darauf einstellen.

Kleiner Nebeneffekt – aber ich glaube, das ist super wichtig und kann einer der Treiber sein, dass Clubhouse (oder so was) bleibt – sind darüberhinaus die Zufallsbegegnungen. Menschen, die sich in Gespräche einklinken und die mich begeistern. Andere, die ich nicht kannte, lerne ich kennen, folge ihnen, sehe mehr von ihnen. 

Weil ich Radio so liebe, gebe ich Clubhouse eine Chance. Und habe ihm trotzdem nicht Zugriff auf mein Adressbuch gegeben. Es funktioniert dennoch, übrigens.

[Und auf LinkedIn habe ich noch einen englischen Artikel über Clubhouse geschrieben, etwas anderer Schwerpunkt, aber die Gedanken hier weiterführend.]

28.10.16

Blockchain-Kommunikation

Der nächste Level im Content Marketing


Verglichen mit dem, wo Kommunikation über die letzten Jahre schon war, ist Content Marketing eigentlich ein Rückschritt gewesen. Was mindestens zum Teil auch erklärt, warum es solche Begeisterung unter Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ausgelöst hat: versprach Content Marketing doch eine Rückkehr zum Wasserfallprinzip in der Kommunikation; zur vermeintlichen (wenn auch nur scheinbaren) Kontrollierbarkeit von Kommunikation.
Im Grunde war Content Marketing für einige Zeit eine gute Antwort auf die Frage, wie klassische „Reklame“ unter den Bedingungen aussehen kann, die der massive Medienwandel geschaffen hat, der vor etwa zehn Jahren stattfand.
Allerdings hat sich seit diesem Wandel die Welt ja weitergedreht, hat der (weitere) technologische Wandel auch vor der Medien- und Kommunikationslandschaft nicht halt gemacht. Stichworte sind unter anderem die Inflation der Daten – schon rein mengenmäßig –, die beginnende künstliche Intelligenz oder auch die Verknüpfung von immer mehr Datenpunkten und Geräten, die wir unter dem gleichzeitig über- und unterschätzten Thema Internet of Things diskutieren. Und als aktuelles „heißer-Scheiß“-Thema eben die Blockchain.

Und während Medien unter dem Stichwort „Homeless Media“ eine Antwort auf diese Veränderungen suchen (sehr gut, radikal und bisher auch ziemlich überzeugend setzt dies in Deutschland vor allem „Funk“, der neue Jugend“kanal“ von ARD und ZDF um), müssen sich Kommunikatorinnen, vor allem aber Agenturen, meines Erachtens endlich mit den Möglichkeiten beschäftigen, die sich konzeptionell aus eben dieser Blockchain ergeben – auch wenn das zurzeit noch vor allem Entwicklerinnen aus Start-up- und Fintech-Umfeldern umtreibt, die aber nicht weniger als die nächste große Revolution im Internet bedeutet.

Was ist eine Blockchain?

Einmal nur als Kommunikator auf die Blockchain geguckt und nicht unter technischen Gesichtspunkten, geht es bei einer Blockchain darum, dass Einzelteile („Blocks“) fest und untrennbar (und am Ende quasi nicht oder kaum manipulierbar) zu einer Kette („Chain“) verbunden sind. Im Fintech-Bereich ist die Blockchain darum so spannend, weil sie Transaktionen nachvollziehbar macht und auch Kleinstbeträge sinnvoll abbilden kann, weil Vertrauen in die Richtigkeit eines Blocks aus der Kette entsteht und nicht daraus, dass eine Institution für die Richtigkeit garantiert. Es ist die recht radikale Anwendung der Ideen von Open Source – offener, nachvollziehbarer, transparenter Quellen – auf alle anderen Bereiche, in denen außer bei Software ebenfalls Vertrauen in die Richtigkeit, Vollständigkeit und Nicht-Korrumpierbarkeit wichtig ist.


Was bedeutet das Konzept Blockchain für die Kommunikation?

Die Frage, wie eigentlich Themen gesetzt und Geschichten erzählt werden können, ohne dass sie von Anfang an durchgeplant sind und nach einem Drehbuch abgearbeitet werden können, ist eine, die moderne Kommunikation seit langer Zeit umtreibt. Wir nennen das PR. Oder neudeutsch Influencer Relations (oder, wenn wir nicht so direkt aus der PR kommen: Influencer Marketing).

Der Gedanke einer Blockchain bringt nun noch einen weiteren Aspekt in diese Fragestellung: Wie können wir eine Geschichte erzählen, ein Thema setzen, ein Gespräch oder eine Bewegung abbilden, wenn die einzelnen Teile eine wirkliche, vielleicht sogar nicht-lineare Kette bilden? Wie kann aus dieser Verbindung Vertrauen entstehen, ohne dass wir jedes Einzelteil kennen oder jede handelnde Person mögen oder ihr vertrauen? Wie kann die Blockchain selbst eine tragende Rolle spielen, sozusagen systemisch?

Ohne eine Blockchain zu eng als Technologie zu verstehen, können wir an vielen Orten und in vielen Systemen bereits den Grundgedanken sehen: dass Vertrauen und Verlässlichkeit durch das System an sich entsteht, selbst, wenn wir einzelne in diesem System doof finden oder dumm oder unzuverlässig. Aber durch die feste Verknüpfung bekommen die Einzelteile einen Ort, werden vertrauenswürdig und verlässlich, verständlich und sinnvoll. Parteien sind solche Systeme, die Rotary-Gesellschaften auch. Nur dass beide erst einmal nur ein Art Blockchain nach Innen bilden, für die Mitglieder.

Blockchain-Kommunikation ist die PR-Variante von Content Marketing

Wenn wir die wesentlichen Punkte einer Blockchain ansehen – die untrennbare Kette der Einzelteile, die ohne zentralen Ort nur über das Internet so fest verbunden werden; das nicht-lineare Wachstum, mit dem an jedem Einzelteil neue Teile angekettet werden können; den Open Source-Aufbau, der keinem von irgendwem erdachten Bauplan und keinem Wasserfall folgt –, dann wird schnell klar, dass eine Übertragung dieser Prinzipien auf Kommunikation etwas ist, für das wir in der PR gerüstet scheinen. Wenn wir denn wollen.

Wie kann aber Content Marketing aussehen, das diesen Prinzipien folgt? Beispielsweise, indem wir mit verschiedenen Multiplikatorinnen ein Thema jeweils individuell entwickeln, zugleich diese Themen in eine größere Erzählung einbetten und aus den Einzelgeschichten eine Bewegung formen. Indem wir in der engen Arbeit mit ihnen die Verknüpfungen herstellen, die Querverweise optimieren, Autorinnen und Influencer miteinander bekannt machen. Oder indem wir Content nicht zentral entwickeln und verteilen, vermarkten – sondern dezentral und je nach Bedarf variieren.
Eine Blockchain-Kampagne wird also nicht „orchestriert“ oder „ausgespielt“, sondern in das Internet über viele Medien hinweg eingewebt. 
Ihre Kraft wird eine solche Kampagne entfalten, wenn wir sie loslassen und den einzelnen Teilen, „blocks“, erlauben, sich neue Anknüpfungspunkte zu suchen, ihre Themen und Motive weiterzuentwickeln.

Unsere ersten eigenen Umsetzungen einer Blockchain-Kommunikation haben wir dieses Jahr beispielsweise für die Kampagne „nur wenn ich es will“ für ellaOne, die führende Pille Danach, gezeigt. Dabei haben wir mit unterschiedlichen Bloggerinnen und YouTuberinnen zusammengearbeitet, die einerseits ihre eigenen Geschichten erzählt haben – und andererseits sich zum einen aufeinander bezogen haben, beispielsweise durch Verlinkungen, und zum anderen bei einander in Diskussionen und Kommentaren eingegriffen haben, weil es ja durchaus um kontroverse Themen wie Verhütungspannen und eben die Pille danach ging. Vor allem aber war es eine Kampagne, die gerade nicht fertig geplant war sondern sich fast komplett aus dem Verlauf der Kampagne ergab. Auch die Bloggerinnen und YouTuberinnen sind erst im Verlauf der Kampagne dazugekommen, nachdem die ersten in eine Zusammenarbeit eingestiegen waren.

Das ist also etwas Anderes als die alten „user generated content“ Kampagnen, bei denen viele Inhalte ohne inneren Zusammenhang (außer beispielsweise einem call to action oder einem Thema) erzeugt wurden. Eher schon könnten wir einige wenige gute Hashtag-Kampagnen als erste Versuche einer Blockchain ansehen. Woran wir aber weiter arbeiten müssen, damit wir das Vertrauenspotenzial heben können, das eine Blockchain bietet, ist die Festigkeit der Verbindungen, die „chain“.
Ich schätze, dass dies unsere hauptsächliche Aufgabe im Management von Blockchain-Kommunikation sein könnte: weniger der Content als eher die Beziehungen der einzelnen Blöcke untereinander, zueinander, zur großen Erzählung.

24.4.16

Sexy und sexistisch

So ganz grundsätzlich bin ich komplett gegen Verbote, Regelungen, Gesetze. Weil ich so naiv bin, zu glauben hoffen, dass selbst mittelalte, mittelkreative Männer irgendwann in der Lage wären, zu reflektieren. Ich dachte ja echt, wir haben 2016. Ach lassen wir das.



Wahrscheinlich ist es nur meiner Filterblase geschuldet, dass ich quasi nur ebendiese, nämlich mittelalte und mittelkreative Jungs, gesehen habe, die angesichts der Diskussion, ob Menschen zu Objekten degradierende Werbung verboten werden sollte, nichts anderes zu tun haben als den Untergang der freien Welt zu vermuten.

Eigentlich wollte ich ja nix dazu sagen. Aber erstens muss ich mal wieder was in dieses Blog schreiben. Und zweitens hat es mich dann doch sehr beschäftigt. Denn dicht am Untergang unserer Zivilisation und noch mehr unserer Branche (also der PR- und Werbebranche) ist ja eigentlich eher, dass es überhaupt einen Anlass gibt, zu diskutieren, ob und wie wir Werbung los werden könnten, die nicht nur extrem unkreativ ist sondern eben auch Menschen zu Objekten degradiert. Exemplarisch diskutiert an der sexistischen Objektifizierung von Frauen.

Sexy
Sexy ist toll, finde ich. Selbstbewusste Sinnlichkeit, Aktivität, Schönheit. Da ist so viel Potenzial für Kreativität drin. So viel Intelligenz möglich. Allerdings auch – und das ist dann nach meiner Erfahrung mit den mittelalten mittelkreativen Jungs Teil des Problems – nötig.

Sexistisch
Ich persönlich finde ja sexistische Bilder oder überhaupt sexistisches Verhalten das Gegenteil von sexy. Ist aber logischerweise eine persönliche Sichtweise. Der Vorteil an Sexismus ist unbestritten, dass auch bei nur geringer Begabung schnell effektvolle Dinge in der Kommunikation möglich sein. Platt geht halt immer, wenn ich dann noch schnell eine zu meinen mittelguten und wenig kreativen Ideen passende und wohlklingende Strategie zimmere, kann ich eventuell sogar einen Kunden überzeugen, wenn der an den gleichen Beschränkungen leidet wie ich.

Insofern kann ich den Aufschrei in gewisser Weise verstehen – denn es hat ja auch seine Gründe, warum es Agenturen allzu oft nicht gelingt, auf der Suche nach Sinnlichkeit und Sexyness Sexismus aus dem Weg zu gehen. Es ist einfach echt mühsam und erfordert ein gerüttet Maß an Selbstreflexion und – sic! – Kreativität. Oder zumindest Humor.

Persönlich brauche ich keine gesetzlichen Regeln, die vorschreiben, dass Menschen als Subjekte und nicht als Objekte anzusehen und zu zeigen sind. Wer sexistische Kakkscheiße produziert und das Werbung nennt, ist eh nicht satisfaktionsfähig. Nur haben wir ja inzwischen 2016. Und zwanzig Jahre Diskussion über dieses Thema und unzählige Rügen und noch mehr Beschwerden beim Werberat haben immer noch nicht dazu geführt, dass es weniger geworden wäre.
Werbung hat ein reales Sexismusproblem in Deutschland

Es ist wohl deutlich naiver, anzunehmen, "der Markt" werde es alleine richten, als anzunehmen, Menschen seien lernfähig. Obwohl schon letzteres allzu naiv ist, wie sich rausstellt. Zwanzig Jahre Diskussion, ohne dass sich etwas ändert, ist ein Marktversagen, das dann eben eventuell ein Eingreifen der Gesellschaft (in diesem Fall in Form des Gesetzgebers) nach sich zieht. Jammern oder großes Zensurgeschrei helfen dann eher nicht. Und sind dazu auch noch lächerlich, wenn nur schwer kaschiert werden kann, dass es um die eigene, offen gelebte sexistische Agenda geht. Denn Knotentänze von Geschäftsführern mit sexy jungen Auszubildenden sind schließlich auch ein Menschenrecht.

18.2.16

¡No pasaran!

Foto von Thierry Ehrmann, cc-by-2.0    

Wir Menschen in der PR stehen ja nicht ganz zu Unrecht im Ruf einer recht großen – sagen wir mal – ethischen Flexibilität. Das ist auch ganz ok, weil es die für Beratung auch braucht. Umso wichtiger finde ich es, mich mit meinen Mitarbeiterinnen zusammen immer mal wieder der Grenzen dieser Flexibilität zu versichern. Beispielsweise würde ich nicht für Waffenhersteller oder -händler arbeiten und nicht für die Tabakindustrie. Wobei letzteres für eine Agentur, die einen großen Schwerpunkt im Bereich Gesundheit und Pharma hat, ja eh ausgeschlossen ist.

Zugleich gibt es für mich Grenzen dessen, was ich an Positionen und Meinungen akzeptabel finde. Das Leugnen des Klimawandels gehört dazu. Auf Verschwörungstheorien beruhende Impfgegnerschaft auch. Und Roland Tichy. Womit wir beim Thema wären. Nach nur zwei Absätzen.

Ich bin ab sofort nicht mehr Kolumnist für das PR Magazin –
weil Redaktion und Verlag lieber Roland Tichy als Kolumnisten behalten wollen. Das ist ok, das sagt ja auch was aus. Deswegen habe ich sie ja auch gefragt. Es sagt nicht nur, dass er ein bekannter Ex-Journalist ist und ich nur das Deutschlandgeschäft einer mittelgroßen Agentur leite. Sondern auch, dass die "Positionen", die Tichy seit seiner massiven Radikalisierung vertritt, für Redaktion und Verlag noch zum Akzeptablen gehören.

Zu Tichy und dem, was er an Propaganda und Hetze auf seinem Blog verbreitet und - noch radikaler - von anderen verbreiten lässt, kann sich jede durch Lektüre der Seite eine Meinung bilden. Selbst Journalistinnen konservativer Publikationen wie der FAZ erscheint Tichy obskur und rechts. Dabei werden die Frankfurter  von dem unbestritten Konservativen Bernd Ziesemer (den ich seit 15 Jahren sehr schätze, seit wir zusammen auf Podien saßen) gerade als allzusehr mit dem Reaktionären liebäugelnd bezeichnet. Lesenswert finde ich auch die unaufgeregte Analyse bei uebermedien.de.

Ich persönlich finde es tragisch und mehr als nur bedauerlich, wie einige frühere Konservative dem Trend der weinerlichen Selbstviktimisierung aufsitzen und ins radikale Lager abwandern. Zusammen mit der wird-man-ja-wohl-sagen-dürfen-Attitüde, die bei erfolgreichen Journalisten, die gar als Chefredakteur Blätter gemacht haben, auch doppelt lächerlich wirkt. Und zusammen mit Verschwörungstheorien, die von einer behaupteten Diktatur (Merkel-Regime) bis zu einer Instrumentalisierung des Wetters (Karneval) gehen. Alle diese Positionen finden sich bei Autorinnen in Tichys Blog reichlich, besonders feiert er selbst ja auf Twitter immer die Artikel von David Berger. (Genau, jenem Ex-Journalisten, der von seinem Verleger als Chefredakteur entlassen wurde, nachdem er nach etlicher Kritik, er sei islamophob, einen Ausschwitz relativierenden Artikel in einen Kanal des Blattes gehoben hatte.)

Auch an den Kolumnen, die Tichy für das PR Magazin schreibt, lässt sich die Entwicklung erkennen – sie begannen als "normale" konservative Wirtschafts- und Politikkommentare. Und sind inzwischen bei radikaler, mit Verschwörungstheorien gespickter Hetze angekommen, die sich raunend im Gleichsetzen von Pegida mit der DDR-Bürgerbewegung von 1989 ergeht.
Dass er bei kritischen Nachfragen und Diskussionsversuchen den Nazi-Mob unter seinen Lesern und Twitterfans auf mich hetzt, ist da nur noch eine Petitesse. Dass er das mit Falschzitaten in seinem Blog macht, schon nicht mehr ganz.

Ich bin nicht so schnell damit, Entscheidungen und Schnitte zu verlangen. Und ich liebe harte und klare Auseinandersetzungen, habe nicht mal etwas dagegen, wenn es dabei hoch her geht oder auch mal jemand verletzt wird. Oft finden sich Lösungen gerade durch diese Diskussionen. Als jemand, der selbst ein konservativer Gogarten'scher Lutheraner ist, habe ich auch immer eine gewisse intellektuelle Lust an der "konservativen Revolution" gehabt, was ich ein bisschen beschämt zugebe. Nur ist mein Anspruch dabei ein Mindestmaß eben an Intellektualität und Argumentation.

Ich kann und werde nicht auf einer Plattform schreiben, die Roland Tichy Raum als Kolumnisten gibt.
Ähnlich wie viele in meinem Umfeld ihre Premium-Mitgliedschaft bei Xing kündigen, weil sie ihn nicht finanzieren wollen. Wer sich gemein macht mit dem neurechten Geraune eines Tichy, kann das gerne tun. Ich empfinde das für mich als eine Beschädigung meiner Person und meiner Integrität. Aber ich habe ja ein Blog, es gibt LinkedIn und andere Fachzeitschriften.


Alles Gute.

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Hintergrund: 
Ich bin seit längerer Zeit schon Kolumnist für das PR Magazin. "Der Netzwelterklärer", geht, logo, um Online dadrin. Am Dienstag, den 9.2., wies das PR Magazin mit einem Tweet auf eine Kolumne von Roland Tichy hin, die auf prmagazin.de erschienen sei. Am gleichen Abend schrieb ich den Redakteurinnen eine längere Nachricht, in der unter anderem hieß:
Ich kann und werde nicht auf der gleichen Plattform wie Herr Tichy publizieren. Eine Kolumnistentätigkeit für eine Zeitschrift, die einem Mann wie Tichy ebenfalls als Raum gibt, kann ich nicht verantworten.
In der Nachricht habe ich das auch ausführlich begründet. Daran schloss sich ein längerer Dialog an. In dieser Woche hat die Redaktion mir angeboten, dass ich – statt aufzuhören – doch meine Kolumne nutzen könne, um eine Gegenposition zu schreiben. Allerdings würden sie in jedem Fall an Tichy als Autoren festhalten. Wir einigten uns dann im Gespräch, dass ich die Gründe in einem Artikel darlege, warum ich nicht auf einer Plattform als Kolumnist tätig sein werde, die an Roland Tichy festhält, nachdem der sich so radikalisiert hat. Diesen Text möchte das PR Magazin nun nicht veröffentlichen, darum steht er hier.

Das finde ich nicht problematisch. Ja, es zeigt, wie ernst gemeint das Diskursangebot war -– aber es ist ok. Mir ist nur wichtig, es hier zu erläutern, weil der Text oben, den ich auch auf LinkedIn veröffentliche, kein Nachtreten ist. Ich habe ihn für das PR Magazin geschrieben, veröffentliche ihn nun hier – und stelle mich damit der Diskussion.

26.11.15

Vor die Wand

Das Olympiareferendum in Hamburg endet erst am Sonntag. Insofern ist es zu früh, zu spekulieren, ob die Menschen in meiner Stadt mehrheitlich dafür oder dagegen sind, dass sich die Stadt um die Spiele bewirbt. Andererseits wäre eine Grundsatzkritik an der PR-Strategie der Bewerbung wohlfeil, brachte ich sie erst vor, falls die Bewerbung in der Bevölkerung schon gescheitert sein sollte. Insofern - ich weiß nicht, ob es die mindestens 60% Zustimmung geben wird, deren Unterschreitung in der Politik als Katastrophe beschworen wird. Falls es gelingt, diese Zustimmung zu erreichen, lag es nicht an der Kampagne. Und mein Risiko mit diesem Text ist halt, dass es sein kann, dass es trotzdem eine überwältigende Zustimmung zur Bewerbung geben wird.

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Senat, Bürgerschaft, Institutionen, Verbände - dass olympische Spiele 2024 (oder 2028) nach Hamburg müssen, ist unter den offiziellen Meinungshabenden dieser Stadt unumstritten. Dass es eine Kampagne gibt, um die Menschen in dieser Stadt dazu zu bewegen, bis Sonntag mit Ja zu stimmen, ist normal und ok. Über die Werbekampagne will ich nicht sagen, die spricht mich zwar nicht an, aber das ist Geschmacksache. Aber falls es eine Strategie für eine PR-Kampagne gibt (das weiß ich nicht wirklich) und diese erfolgreich sein sollte (also sich in dem niederschlägt, was in Medien und öffentlichen Diskussionen passiert), dann wäre die auf vielen Ebenen falsch. Zumindest ist das, was medial und in der Öffentlichkeit passiert, dem Ziel eher abträglich.

Was wir seit einigen Wochen in Hamburg erleben, fasste die Süddeutsche die Tage als "Werbeblätter für die Spiele" zusammen. So ist es tatsächlich, bis runter auf die Ebene der Wochenblätter und anderen Gratiszeitungen, die in den Briefkästen landen. Nur dem letzten Absatz kann ich nicht zustimmen:
Großer Seufzer. Hanseatische Bescheidenheit ist wohl doch ein Mythos; und das Abendblatt versteht was von PR.
Nein, das Abendblatt versteht nichts von PR. Es versteht nicht mal etwas davon, wie Medien heute funktionieren, offenbar.

Zu glauben, dass heute ein medialer Gleichklang, eine Berichterstattung ohne Nuancen von Kritik, wirklich ein sinnvolles Ziel einer PR-Strategie sein kann, ist dumm. So einfach ist das. In einer Zeit, in der Misstrauen gegenüber dem, was in Medien zu finden ist, nicht mehr nur ein Thema für Expertinnen ist (das war es schon immer, denn wer sich mit einem Thema wirklich auskennt, merkt ja immer gleich, dass in Medien dieses Thema eher - positiv formuliert - oberflächlich behandelt wird), sondern Allgemeingut - in so einer Zeit gibt es nur eines, das schädlicher ist als eine einhellig jubelnde "Berichterstattung", die automatisch dem Verdacht, es sei eigentlich Propaganda, ausgesetzt ist. Und dem auch nicht viel entgegenzusetzen hat. Schädlicher ist nur noch eine einhellig negative Berichterstattung.

Es wird ja viel diskutiert über Verschwörungen und Hass, die in sozialen Medien fröhlich Urständ feiern. Kann man machen. Was übersieht, wer so argumentiert, ist die Mechanik dahinter, wieso Menschen mit Meinungen sichtbar werden, die die meisten von uns für abseitig gehalten hätten. Das, was da passiert, nenne ich gerne die "Synchronisation von Meinungen". Und das ist - zunächst ganz neutral - das Phänomen, dass durch neue Medientechnik Menschen, die eine von der vermuteten Normalität abweichende Meinung haben, merken, dass sie nicht die einzigen sind - und darum mutiger werden, diese Meinung auch offen zu vertreten. Das war so beispielsweise während der Reformation, als daraus, dass Luthers Schriften immer überall ausverkauft waren, von seinen Anhängerinnen geschlossen werden konnte, dass sie viele seien. Das ist so heute mit Facebook, wo noch die abseitigste originellste Meinung auf andere trifft, die es auch so sehen.

In so einer Zeit, in der es einfach ist, schnell Meinungen zu synchronisieren, zu glauben, dass eine einheitliche mediale Tonalität einer Sache helfen kann, ist im besten Fall unüberlegt.

Jede Kampagne rund um eine monothematische Befragung muss und wird sich an die Unentschlossenen richten. Denn wer klar für Ja ist oder klar für Nein, ist ohnehin nicht wirklich zu überzeugen, diese Haltung zu ändern. Und in Vor-Internet-Zeiten haben Kampagnen mit einheitlicher Medientonalität auch durchaus funktioniert. Denn zu zeigen, dass eigentlich alle dafür sind, dass eine Außenseiterin ist, wer davon abweicht, ist rational und emotional richtig gewesen. So wurde damals die Synchronisierung von Meinungen simuliert, die es in Zeiten der Mangelmedien, der Massenmedien so nicht wirklich gab.

Heute aber funktioniert diese Mechanik der 60er bis 80er Jahre nicht mehr. Gerade die Unentschlossenen werden durch diese PR-Strategie vor den Kopf gestoßen und verloren. Ich bin mir sehr sicher, dass die Zustimmung zur Bewerbung Hamburgs vor Beginn der Kampagne größer war als jetzt an ihrem Ende.

Das Problem ist ja, dass im Grunde alle Gruppen unter den Unentschlossenen verprellt werden: Die Intellektuellen, weil sie durchschauen, dass hier nur eine Position dargestellt wird. Die Verschwörungsfans, weil sie hier den Beweis für die Verschwörung sehen, wenn ja doch alle nur eine Position veröffentlichen. Die Skeptischen, weil sie hinter der Massivität der Kampagne vermuten, dass jemand etwas zu verbergen oder Angst habe. Die Rebellischen, weil sie gegen die Mehrheit sind. Und so fort.

Moderne Kampagnen agieren komplett anders als die Hamburger Bewerbung. Zum einen bestärken sie mit Werbung die Überzeugten (was ja auch die Funktion der viel belächelten Plakate in politischen Kampagnen ist). Und zum anderen adressieren sie mit PR die Unentschlossenen. Diskursiv. Und wenn es darum geht, positive Stimmung und positive Meinungen zu synchronisieren, wird eine moderne Kampagne dies da machen, wo diese Synchronisierung heute stattfindet - online, vor allem in sozialen Medien.

So aber fährt die PR-Strategie der Hamburger Bewerbung das gesamte Projekt vor die Wand. Wahrscheinlich kann die Kampagnen-Macherinnen dabei nur trösten, dass die Gegnerinnen von Olympia in Hamburg genauso beknackt agieren.

12.2.15

Dies ist die Stunde der PR

(english summary below as a tl;dr)

In der Tat. Der Gedanke hinter native advertising ist charmant. Und richtig. Ebenso der Gedanke hinter Content Marketing. Der Gedanke, dass es doch möglich sein müsste, (Marketing-, Werbe-) Botschaften so in Apps, Games, Medienangeboten, Netzwerken unterzubringen, dass sie quasi "natürlich" daher kommen (was eigentlich ein beknacktes Wort ist, weil es suggeriert, menschengemachte Technik sei der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten ähnlich, was ja auch kein Wunder ist, wenn ich den Kontext bedenke, aus dem das Wort stammt, aber das ist eine andere Geschichte). Dass sie sich, um es präziser zu formulieren, so in ihre Umgebung einfügen, dass sie von den Nutzerinnen als Teil des Angebots wahrgenommen werden und nicht als Störenfriede.

Nun haben wir ungefähr ein Jahr Experimente mit so was hinter uns.
Und die sind sehr ernüchternd. Ehrlich gesagt, war ich tatsächlich gespannt, was den Kolleginnen so einfällt rund um native advertising. Und raus kam entweder das, was wir früher Schleichwerbung genannt haben (und was nicht funktioniert, mal die rechtlichen und/oder ethischen Fragen außen vor) - oder schlecht kaschierte Advertorials, die ihre Wirt beschädigen. Trauriges Beispiel ist die Computerwoche mit ihrem Business Expert Circle. Auf der Startseite ist noch nicht mal das minikleine Wort Anzeige zu sehen, das auf der Detailseite im Header steht aber kaum als dazu verbunden wahrgenommen wird. Native eben. Problem ist (neben allem anderen), dass die Qualität - sprachlich, argumentativ etc - teilweise so schwach ist, dass die native advertising-Artikel tatsächlich nicht etwa als natürlich im redaktionellen Content eingebunden daher kommen. Sondern so stark abfallen (aber nicht als Fremdcontent erkennbar sind), dass die geneigte Leserin am Verstand der Redaktion zu zweifeln beginnt. So zerstört der Parasit den Wirt, um in der Naturmetapher zu bleiben. Die Implosion von YouTube-Vermarktungsnetzwerken wie Mediakraft ist da nur ein weiteres Symptom.

Oder Magazine wie Curved (E-Plus) oder Featured (Vodafone), die versuchen, mit einer Art Wohlfühljournalismussimulation native daher zu kommen, offenbar auch Traffic ziehen durch sehr gute Performance in Suchmaschinen (zumindest bei Curved, Featured ist dafür noch zu jung) und einer gelungenen Vermarktung des Contents (weshalb sie getrost als Beispiel für Content Marketing herhalten dürfen), aber doch so glaubwürdig sind wie es andere Wohlfühljournalismussimulationen schon immer waren.

Beide Ansätze sind bestimmt kurzfristig erfolgreich, wenn ich die richtigen Key Performance Indikatoren zu Grunde lege. Dass sie beim Brand Building (also Marketing) helfen, bezweifele ich.

Dabei finde ich es richtig - um das klar zu sagen -, dass Kommunikatorinnen versuchen, das Problem zu lösen, dass ihre Botschaften und die Art, wie sie präsentiert werden, als störend und irrelevant empfunden werden von zu vielen, die sie erreichen wollen mit eben diesen Botschaften.

Und darum: Ich teile die Idee hinter Native Advertising und Content Marketing.
Aber ich glaube an eine andere Lösung für das Problem. Call me naiv, aber ich glaube an mehr Intelligenz und Substanz. Ich glaube an Argumente und nicht an Relevanzsimulation. Und darum gehe ich zurück in die PR.

Denn moderne, zeitgemäße PR ist die richtige und nachhaltige Lösung für die Herausforderungen des Marketings in der Zeit nach der kurzen, knapp 175 Jahre langen Zwischenepisode der Massenmediendominanz. Etwas holzschnittartig geht es eben nicht darum, Geschichten zu erzählen oder zu tun - sondern in den Geschichten der Menschen vorzukommen.

Wer nur Botschaften weniger störend, mehr native, präsentieren will, wer nur diese Botschaften über eigenen Content besser vermarkten will, hat das, denke ich, nicht verstanden.

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tl;dr Native Advertising sucks. Content Marketing fails. PR is it.


10.1.15

2015: Das sind die großen Trends in der Kommunikation

I. Wenn PR und Unternehmenskommunikation sich schlau anstellen, werden sie 2015 das Thema "digitale Transformation" in den Unternehmen treiben können. Das Thema liegt da, es muss nur aufgesammelt werden.
2014 war „digitale Transformation“ in aller Munde und in allen Blättern. Jetzt wird es Zeit, dieses Thema in den Unternehmen strategisch und praktisch zu treiben. Neben den Prozessen und dem, was unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ diskutiert wird, ist die Kommunikation dabei entscheidend. Interne und externe Kommunikation werden entscheiden, ob die digitale Transformation gelingt. Die PR bekommt dabei eine entscheidende Rolle und kann die Aktivitäten zusammen binden.

Erfolgreich werden die Abteilungen und Agenturen sein, die hier mit Selbstbewusstsein und Kompetenz vorgehen und zeigen können, dass sie das Thema und die Anforderungen der digitalen Transformation verstanden haben.

II. Im Content Marketing wird das Pendel wieder etwas zurück schlagen zu Medien, die dichter an den Marken und Unternehmen sind. Turn-on und Curved sind soooo 2014. Spitzere, klarere, transparentere Magazine werden der Trend sein.
In der Anfangseuphorie von Content Marketing sind viele Ansätze entstanden, die wenig sinnvoll erscheinen und bei denen niemand zeigen kann, was sie auf die Kommunikations- oder gar Unternehmensziele einzahlen. 2015 wird das Jahr sein, in dem eine Idee nicht allein deshalb gekauft wird, weil Content Marketing draufsteht.

Im Gegenteil: eine Rückbesinnung auf klare Botschaften und klare Kommunikationsziele wird einsetzen. Die Inhalte und Onlinemagazine werden sich weiter ausdifferenzieren. Mehr vom Gleichen ist einfach kein erfolgversprechendes Konzept. Und einfach nur neues Inventar zu schaffen, in dem ich mich dann selbst vermarkte (anstatt das in bestehendem Inventar zu tun), wirkt auch nicht wirklich wie ein wirtschaftlich überzeugendes Konzept.

III. Die PR wird wieder journalistischer werden, während die Werbung stärker auf PR-Mechaniken setzt. Beides getrieben durch die jetzt abgeschlossene Digitalisierung der Kommunikation.
Seien wir ehrlich: die Digitalisierung der Kommunikation ist durch. Darüber müssen wir nicht mehr reden. Ja, es gibt noch ein bisschen Übergangsschmerzen bei der einen oder anderen, aber im Grunde wissen wir alle, wo es lang geht. Und während sich in der Übergangszeit alle Kommunikationsdisziplinen einander annäherten, werden sie 2015 beginnen, sich wieder auszudifferenzieren.

PR wird wieder erkennbarer werden und sich wieder auf ihre Stärken besinnen, die sie im Kommunikationsmix einzubringen hat – so wie sich Performance-Marketing und Community Engagement wieder auf ihre eigentlichen Stärken besinnen werden. Auf eine Zeit der Konvergenz in den Disziplinen folgt jetzt eine Zeit der Zusammenarbeit, in der wir Kommunikatorinnen und Kommunikatoren zwar Hand in Hand arbeiten, aber unsere jeweiligen besonderen Expertisen besser einzubringen wissen. Das Hauen und Stechen um das „Digitale“, das die letzten Jahre bestimmte, ist vorbei. Denn es ist in allem.

IV. Wearables werden der große Flop 2015 sein, 3D-Drucker der große Hit. Wir werden die ersten Kampagnen sehen, die damit arbeiten, dass in den Haushalten mehr und mehr 3D-Drucker stehen.
Google Glass war der größte Flop des Jahres 2014. Im kommenden Jahr wird der gesamte Bereich der Wearables durch sein. Zwar werden immer mehr Elemente unserer Kleidung und unserer „Körperperipherie“ miteinander digital kommunizieren – aber die Hoffnung auf neue Userinterfaces mit dem Netz, die eine Erweiterung des Körpers darstellen, trügt. Es ist kein Zufall, dass die Wearables wie die Inkarnation von Science Fiction Visionen der 60er wirken. Und darum auch kein Zufall, dass sie jetzt, wo es geht, ausprobiert wurden. Sie werden aber floppen.

Die Kommunikation ist gut beraten, statt auf Spielkram und Wearables zu setzen, den Trend zu umarmen, dass 2015 3D-Drucker den Massenmarkt erreichen. Noch lange bevor sie wirtschaftlich produktiv sind, bieten sie schon jetzt spannende Ideen für Kommunikation und Interaktion von Menschen mit Marken und Produkten.

V. Ephemeral Media werden DAS große Trendthema in der digitalen Kommunikation sein (Yo, Snapchat und Co).
Die mit großem Abstand spannendsten neuen Interaktionskonzepte sind in den letzten Jahren im Bereich von Ephemeral Media (flüchtige Medien) entstanden. Schrieb ich gerade was zu. Yo und Snapchat haben massiv in Funktionen investiert und bilden ein neues Ökosystem für die Kommunikation mit jungen, mobilen Zielgruppen. Musik, Informationen, Lokalisierungsdienste – all das kombiniert mit der Flüchtigkeit der Äußerungen stellt die Kommunikation vor neue Herausforderungen. Gerade der Schritt von Snapchat in Bezahlfunktionen, Musikservices und Co zeigt, wo das Potenzial von nicht in der Suchmaschine indizierten Inhalten liegen kann.

Mit Ephemeral Media entsteht nach dem Such-Web und dem Facebook-Web der dritte Kosmos digitaler Onlinekommunikation. Wer in Ephemeral Media 2015 punktet, ist innovativ und vorne dabei. Darum werden sich Agenturen überschlagen mit kreativen und abgedrehten Ideen für dieses neue Spielfeld.

29.12.14

Was ich 2014 beruflich bemerkenswert fand

Neben dem Blick in die Glaskugel (mal sehen, ob ich den auch noch mal auf deutsch mache), finde ich es ja um dieses Jahreszeit ganz spannend, zu gucken, was mich (beruflich) dieses zu Ende gehende Jahr beeindruckt hat. Darum hier meine fünf ganz spontanen, subjektiven, unvollständigen Dinge, die ich für einen Kommunikationsmenschen mit Schwerpunkt im Digitalen wichtig fand.


I. Facebook veränderte sich von Social Media zu einem Performance Channel.
2014 war Facebook zumindest für die professionelle Kommunikation kein Social Media mehr. Dass die Reichweite massiv zurück geht, war ja schon in der zweiten Jahreshälfte 2013 so und für 2014 mehr als nur absehbar. In diesem Jahr noch irgendwas auf Facebook zu starten, ohne auch Mediabudget in die Hand zu nehmen, war Quark. Hat auch kaum jemand versucht. Und wenn, dann aus anderen Gründen als Reichweite, Sichtbarkeit oder Markenkommunikation. Beispielsweise, um einen Blitzableiter für Krisen an der Hand zu haben. Aber das ist noch mal eine andere Geschichte.

Bild bei Thomas Hutter im Blog

Dafür hat sich herausgestellt, dass Facebook ein sinnvoller und effizienter (im Sinne von Mitteleinsatz) Kanal für Performance Marketing und andere Programme sein kann, die auf Performance setzen. War es im Jahr davor eher für Branding, also Markenbildung etc. zu gebrauchen, ist der Performanceaspekt immer wichtiger geworden und war 2014 wirklich sehr dominant.

Das ist auch kein Problem. Wer über zurück gehende Reichweiten jammerte oder ernsthaft glaubte, dass es stimmen kann, dass es allein um guten Content gehe, hatte eh selbst Schuld...


II. Wearables sind vollkommen gefloppt.
Was waren viele aufgeregt angesichts Google Glass und Co. Und haben sich damit überschlagen, diese Brille einmal aufzusetzen und cool zu finden. Im Nachhinein, jetzt, wo wir wissen, dass dies alles gefloppt ist, ist es etwas billig, darauf hinzuweisen, dass ich das absehbar fand. Mache ich darum nicht.

Aber das Konzept, den Körper und seine Peripherie als Zugangsmodule zum WWW zu nutzen, ist doof. Und das haben die allermeisten auch gemerkt. Ich bin gespannt, wie viele so genannte Expertinnen die peinlichen Bilder und Posts mit Google Glass heimlich gelöscht haben werden.

Dass Kleidung und Körperteile mit dem Internet verbunden werden, ist auch mir klar. An der einen oder anderen Stelle ist das auch sinnvoll (naja, zumindest mit einem erkennbaren Mehrwert verbunden). Aber nicht mit dem WWW, also dem Teil des Internets, der für Menschen zur Interaktion und Kommunikation da ist.


III. 3D-Drucker sind in den Massenmarkt eingedrungen und haben das kreative Denken verändert.
Die Geschwindigkeit, in der 3D-Drucker dieses Jahr erschwinglich wurden - selbst Tchibo hatte jetzt einen im Angebot - war schon enorm. Ich finde spannend, wie sehr das schon die kreativen Überlegungen in unserer Branche beeinflusst hat. Und wie viel weiter wir sind, als die Idee 1972 in Tim und der Haifischsee war - siehe ab 19:30 min...




IV. Die Schockwellen von Snowden haben – fast unbemerkt von Politik und Öffentlichkeit – den Markt für Cloud-Anwendungen durcheinandergewirbelt.
Während ist es fast erstaunlich und zumindest betrüblich finde, wie wenig die Totalüberwachung des Internets bei den meisten Menschen ausgelöst hat (obwohl ich mich aktuell frage, ob nicht auch die ressentimentgetriebenen Verschwörungsanhängerinnen, die seit ein paar Wochen in Deutschland montags auf den Straßen rumlungern, wenigstens teilweise eine Katalyse durch diesen Schock erfahren haben), hat dies bei Unternehmen und bei denen, die Investitionsentscheidungen in der IT treffen, durchaus Folgen.

Zumindest habe ich den Eindruck, dass das Cloud-Thema seitdem in professionellen Zusammenhängen anders diskutiert wird. Und dass die Frage, wo physikalisch Daten gelagert werden und welches Rechtssystem dort herrscht, eine größere Rolle spielt. Finde ich auch eher gut, ehrlich gesagt.


V. Mobiles Internet war zum ersten Mal ein gesamtes Jahr lang dominanter als TV, was die Nutzungszeit angeht.
Mich fasziniert, dass es immer noch viele Menschen überrascht, dass und wie sich die Internetnutzung verändert hat. Und das, obwohl dieselben, die erst einmal überrascht sind, bei näherem Überlegen feststellen, dass es bei ihnen - privat - genau so ist. Witzig. Ähnlich wie damals am Beginn von Social Media fiel es dieses Jahr vielen Kommunikationsverantwortlichen noch schwer, von ihrer eigenen privaten Erfahrung als Verbraucherinnen und Internetnutzerinnen für ihre beruflichen Entscheidungen zu profitieren.

Aber dass dieses Jahr das erste Jahr war, in dem mobiles Internet (im Sinne von: Internet auf Geräten mit so genannten mobilen Betriebssystemen wie iOS oder Android und meistens mit Touchsteuerung) täglich eine höhere Verweildauer hatte als TV, dass also - gerade weil in den meisten Altergruppen TV nicht zurück ging von der Nutzungszeit - die parallele Nutzung mehrerer Medien massiv zugenommen hat, ist schon etwas, das Kommunikation durcheinander gewirbelt hat.

19.12.14

Am Weihnachtsgottesdienst hängt die Zukunft unserer Kirche

Es sind die großen Geschichten, die faszinieren, die wir immer wieder hören können, die uns bewegen – zu Tränen, zum Lachen, zu tief empfundenem Glück. Und es sind die großen Ideen, die uns sofort ansprechen, die uns dazu bringen, innezuhalten, aufzubrechen, zu kommen.

Weihnachten hat alles, was eine große Geschichte braucht – Gut gegen Böse, Überraschung, einen Helden, dem niemand das Heldsein zutraut, die Rettung der Welt oder der Menschheit. Alles süßliche, wunderbare, überfrachtete Brauchtum könnte den Erfolg von Weihnachten nicht erklären, wenn es keine große Geschichte wäre.

Wenn wir als Werberinnen und Kommunikationsfachleute etwas bewegen wollen, sind wir immer auf der Suche nach so etwas wie Weihnachten. Einer großen Geschichte, hinter der eine große Idee steht, aus der die gesamte Kampagne fließt und sich entwickelt.

Wir brauchen große Ideen, um zu bewegen. Und eine große Idee ist eigentlich ganz einfach an drei Punkten zu erkennen (und das wiederum hilft, zu verstehen, wieso Weihnachten so irre erfolgreich ist):

Herrnhuter Weihnachtssterne
(1) Sie muss nicht erklärt werden, sondern leuchtet sofort ein. (2) Aus ihr folgt sofort und quasi wie von selbst, was ich daraus machen kann, wie ich sie umsetze in eine Kampagne. Und sie beruht (3) auf einem Insight, wie wir in verschwurbeltem Agentursprech dazu sagen – was meint, dass sie eine tiefe, emotionale, menschliche Wahrheit anspricht, die sich so anfühlt, als würde ich sie schon immer kennen, selbst, wenn ich sie das erste Mal höre oder erlebe.

All dies trifft auf Weihnachten zu. Auf die Idee und die Geschichte. Und dass dann auch noch die Idee von Weihnachten auf eines der größten und etabliertesten Feste gelegt wurde, die es schon gab, war ein genialer Schachzug, der nur den besten Werbern einfällt. Denn es ist die hohe Kunst der Kommunikation, mit der eigenen Geschichte und Idee nicht etwa eine Welle anzustoßen sondern eine bereits große Welle zu surfen.

Mit der Idee, dass die Welt und vor allem wir Menschen gerettet seien, ausgerechnet an den Tagen um die Ecke zu kommen, an denen wir aufzuatmen beginnen, weil die deprimierenden dunklen Tage langsam wieder heller und länger werden, ist genial. Denn das haben wir aus der Forschung gelernt, wie Werbung wirksam sein kann: Auch die beste und größte Idee und Geschichte muss auf fruchtbaren Boden fallen, um Resonanz auszulösen. Sonst wäre das alles ja viel besser planbar als es ist, sonst wären die großen sogenannten viralen Wellen nicht so sehr von Zufällen abhängig. Und die Wintersonnenwende ist genau das Umfeld, in dem die Hoffnung und der Traum von Weihnachten sofort einleuchtet.

Gegen allen Kitsch, gegen alles moderne Schimpfen auf den falschen Schein von Friede-Freude-Eierkuchen, gegen jede der Statistiken, die über Weihnachten besonders viel Streit in den Familien behaupten, gegen all dies steht die Idee und die Geschichte von dem kleinen, verletzlichen Kind im Stall, das unvorstellbar groß ist und eine so radikale Veränderung bedeutet. Und trifft auf eine tiefe Sehnsucht und eine tiefe emotionale Wahrheit. Die Wahrheit davon, dass es anders sein kann als im hektischen Alltag. Und dass es möglich ist, in dieser Welt bereits anders zu leben. Die Sehnsucht nach Frieden und Veränderung und – ja, auch – Erlösung.

Deutsche und britische Soldaten am 26.12.1914
Jedes irgendwie gelingende Weihnachtsfest ist ja tatsächlich ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes. So klein es uns scheinen mag. Und so wenig substanziell es daher kommt. Wie oft hat es wirklich den Weihnachtsfrieden gegeben? Wir mögen ihn vergessen im Stress des Geschenkejagens und Essenkochens. Aber gerade in diesem Jahr, in dem sich der Beginn der großen europäischen Katastrophe des ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal gejährt hat, lohnt es sich, auf die Geschichten vom Weihnachtsfest über den Gräben der Front in Frankreich zu hören, um zu erahnen, was Weihnachten sein kann.

Tief in uns schlummern diese Geschichten und Erinnerungen. Sonnenlauf, Kindheitserinnerungen, kollektive Erlebnisse – all das bildet den Resonanzraum für die erfolgreichste Mobilisierungskampagne des Jahres, die unsere Kirchen zu bieten haben: Weihnachten wird in der Krippe entschieden.

So kommen Menschen über unsere Kirchentüren. Getrieben von einer Mischung aus Erwartung, Tradition und tiefen Sehnsüchten. Sie haben sich vorbereitet, wie man sich auf ein Fest vorbereitet – geschmückt mit ihrer besten Kleidung, die Wohnung geputzt, das Essen geplant, die Familie zusammen getrommelt. Voll freudiger Erwartung.

Mein Kommunikatorenherz schlägt schneller, wenn ich an diese Chance denke. Menschen, die bereit sind, zuzuhören, aufzunehmen, zu fühlen. Die wissen und erwarten, dass etwas passiert, das nicht wirklich und voll in diese Welt und Gegenwart passt. Offen für die Magie der großen Geschichte. Für das Heilige. Bereit für die Begegnung.

Aus Sicht eines Christen, der in Werbung und Kommunikation arbeitet und Ideen und Kampagnen entwickelt, ist Weihnachten ein Geschenk. Im Grunde so etwas wie der Elfmeterpfiff – es legt uns den Ball auf den Punkt, wir, die Kirche, die Gemeinde, die Pastorinnen, müssen ihn nur noch reinmachen. Die beste Werbung sind gute Produkte, das wissen wir. Was wir mit Kampagnen und Ideen machen, ist, Menschen dazu zu bringen, sie auszuprobieren. Wir stellen die Menschen sozusagen an die Rampe. Danach muss das Produkt überzeugen, mehr kann eine gute Geschichte, eine große Idee nicht leisten.

Weihnachten bringt so viele Menschen wie nie über die Schwelle der Kirchentür. Danach muss Kirche, muss das Bodenpersonal überzeugen und begeistern. Nur dann hat die große Geschichte einen Sinn. In der großen Kampagne, die wir Mission nennen könnten, ist Weihnachten der wichtigste Baustein, dicht gefolgt von Hochzeiten und Taufen. Sie sind die großen Leuchtturmprojekte der Kampagne. Und sind doch nur so viel Wert, wie das, was wir mit unserem „Produkt“ daraus machen.

Gelingt es uns, die Menschen, die so offen zu uns kommen, anzurühren? Mit dem etwas widerständigen, aus der Zeit gefallenen, irgendwie etwas von der Ewigkeit erzählenden Erleben und Hören und Singen im Gottesdienst? Es ist alles bereitet. Und doch erkennen so viele dieser Menschen nicht, sehen nicht, schmecken nicht, fühlen nicht, wie freundlich und anders und quer zum Alltag Gott ist.

Mein Kommunikatorenherz blutet, wenn ich in den Gottesdiensten, zu denen die Menschen durch die großen, ewigen Geschichten von Liebe, Freude, Hoffnung und Frieden kommen, geistliche Armut erlebe oder eine Nachlässigkeit aus Arroganz oder Langeweile. Oder wenn eine Predigt vergessen wird. Oder ich ohne geistliche Nahrung nach Hause geschickt werde. Oder es nur modern, schick oder feierlich war.

erste Seite des Weihnachtsoratoriums
Ich habe den Traum, dass ich nach der Christvesper aufstehe, nach oben sehe, tief Atem hole und sicher bin, etwas Besonderes erlebt zu haben. Etwas, das mir in den nächsten Wochen etwas bedeutet und mir etwas mitgegeben hat auf meinem Weg, auf den mich der Segen geschickt hat. Das mich trägt und in mir den Funken und die Sehnsucht nach mehr und mehr richtigem Leben entzündet. Und mich früher als Ostern oder das nächste Weihnachten wieder hier hin zieht.

Oft fühlt es sich an, als wäre der Weihnachtsgottesdienst für die, die mich doch eingeladen haben, eine lästige Pflicht. Oft machen Ablauf und Predigt, wenn es denn überhaupt eine gibt, den Eindruck, als wäre dieser Gottesdienst nicht wirklich mit Herzblut vorbereitet. Dabei müsste es doch derjenige sein, der die meiste, frischeste, aufmerksamste Arbeit des gesamten Jahres bedeutet. Denn die große Geschichte, die Kampagne von der Rettung der Welt durch dieses kleine Kind, hat so viele offene Menschen wie sonst nie zu uns gebracht. Hier brauchen wir unsere besten Predigerinnen und Sänger, die begnadetsten Menschenfischer. Denn hier, einmal im Jahr, entscheidet sich, ob wir als Kirche eine Zukunft haben, ob uns die Menschen zutrauen, ihnen das zu geben, was sie suchen und brauchen und was Gott ihnen versprochen hat: Save Our Souls.

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Eine gekürzte Version dieses Textes erscheint in der aktuellen Ausgabe der Evangelische Zeitung, der Kirchenzeitung für Norddeutschland. Ich bin gespannt auf die Reaktionen. Die Christvesper werden wir wahrscheinlich in Volksdorf mitfeiern.

7.7.14

Innovation egal. Hauptsache immer mal den Job wechseln

Das ist alarmierend. Nehmen wir mal an, dass ein Top-Gehalt etwas über die Bedeutung aussagt, die jemand für eine Organisation, ein Unternehmen hat. Gerade im Vergleich zu anderen. Ja, das ist ein kleines bisschen zu holzschnittartig, aber als Denkmodell nicht völlig abwegig.

Und betrachten wir mal, dass bei der Umfrage von news aktuell zwar nicht so unendlich viele Kolleginnen mitgemacht haben, aber doch einige. Von denen rund 70% nicht zu denen mit dem Top-Gehalt gehören (wie ein Blick in die Hierarchiezusammensetzung der Teilnehmerinnen der Befragung zeigt). Dass es also zu einem großen Teil die Wahrnehmung der normalen Professionals auf die mit den Top-Gehältern ist. Denn dann ist es noch alarmierender. Und sagt unglaublich viel über die Branche der PR-Leute aus.

Denn was ich zum Aufstieg nach ganz oben und in die richtig gut bezahlte Liga brauche, ist  - so weit so normal - Erfolg, den ich mir ans Revers heften kann. Aber aus Sicht der Kolleginnen zeichnen sich die Top-Verdienerinnen ansonsten vor allem durch Netzwerken, Verhandlungsgeschick und (häufigere) Arbeitsgeberinnenwechsel aus. Während Leute, die ein Unternehmen oder eine Agentur voranbringen wollen (Loyalität) und innovativ sind (First Mover), eher schlechtere Chancen haben. Jedenfalls sind das Faktoren, die nach Meinung der Befragten kaum eine Rolle spielen, wenn es um ein Top-Gehalt geht. Besonders dramatisch: beide Zahlen sind für Agenturen noch niedriger (Loyalität 5%, First Mover 6%) als für Unternehmen - und das, obwohl Agenturen noch stärker von ihren Leuten leben und davon, ihren Kundinnen ein, zwei Schritte voraus zu sein.

Selbst Schlüsselfähigkeiten, die aus meiner Sicht einen sehr großen Teil des "Wertes" einer Mitarbeiterin in der Kommunikation ausmachen und also auch ein höheres Gehalt rechtfertigen könnten, werden von den Befragten erstaunlich gering gewichtet. Auch hier ist es bei den Agenturen skurril: Nur 15% denken, dass besondere Stärken in der Konzeption zu den wichtigsten drei Faktoren für ein hohes Gehalt gehören. Nur Ideen spielen in Agenturen eine geringfügig größere Rolle als in Unternehmen.

Infografik obs/news aktuell GmbH/Sebastian Könnicke

Ganz ehrlich? Ich finde das Ergebnis schlimm. Und es illustriert vielleicht trotzdem gerade deshalb, in welcher Krise sich die PR-Branche befindet. Was eigentlich absurd ist, weil die Methoden der PR in der Kommunikation eine immer größere Rolle spielen. Und das disziplinenübergreifend. Aber wenn es wirklich mehr darauf ankommen sollte, wie häufig ich den Job wechsele und wie gut ich vernetzt in der Branche bin, als darauf, wie ich mein Unternehmen nach vorne bringe und wie sehr ich strategisch stark und innovativ in Denken und Handeln bin. Mehr wie sehr ich mein eigenes Fortkommen in den Fokus nehme als wie ich schlaue und gute Arbeit mache. Dann irritiert mich das schon, um es mal zahm zu formulieren.

Vielleicht ist es ja nicht wirklich so dramatisch, denn trotz allem liegen die Zahlen ja dicht beieinander und ist die Grundgesamtheit - äh - überschaubar. Und immerhin scheint es Konsens zu sein, dass es um Erfolge geht. Aber Erfolge sind rückwärtsgewandt. First Mover sein, ist vorwärts gewandt. Und nicht karriererelevant nach Meinung derer, die eine Karriere zum großen Teil noch vor sich haben. Doof das.

disclosure: (1) Ich würde wohl nach Branchendings irgendwo in der Nähe von Top-Gehalt rangieren und bin in der Hierarchie schon ziemlich weit oben, habe viel Berufserfahrung. Das mag den Blickwinkel verzerren. Macht mich aber nicht optimistischer. (2) Ich war von 1999 bis 2005 bei news aktuell, die die Studie durchgeführt haben, angestellt, kenne da noch viele Leute, mag viele, bin mit einigen sogar befreundet.

22.3.13

Polarisierung

Mir scheint, dass zunehmende Polarisierungen ein Zeichen für Zeiten des Umbruchs sind. Vor allem, wenn Polarisierungen nicht mehr entlang der erwartbaren Linien verlaufen, sondern ich heute laut und stark mit welchen auf einer Seite der Linie stehe - und morgen mit anderen zusammen auf einer Seite einer anderen Linie.

Jahrelang habe ich mich geweigert, in die radikale Rhetorik vieler Beraterinnen, die Social Media für sich entdeckten, einzustimmen. Denn die ersten zehn Jahre haben neue (und eigentlich sehr alte, geradezu retroartige) Plattformen und Netzwerke keinen wirklichen Umbruch in der Kommunikation oder gar der Gesellschaft bedeutet.

Denn ich bin vollkommen beim großartigen Clay Shirky, der sagt: "Revolution doesn't happen when society adopts new tools. It happens when society adopts new behaviors". Und genau das passiert jetzt.


An zwei kleinen Geschichten wurde mir deutlich, wie sehr auch im Kommunikations- und Medienzirkus auf einmal alte Linien zerreißen und alte Reihen durcheinander gewirbelt werden. Niveas Stresstest. Und Katja Riemanns TV-Auftritt.

Beide Geschichten haben in meinem Umfeld massiv polarisiert. In beiden Fällen gab es wenige, die ruhig blieben. Und in beiden Fällen verlief die Polarisierung quer zu den üblichen Seilschaften, Freundschaften, Übereinstimmungen.

Die einen fanden den Nivea Stresstest großartig und genial und super passend für die Marke.
Die anderen peinlich und übergriffig und vollkommen unpassend für die Marke.
Und sagten das jeweils sehr laut und bestimmt.



Die einen fanden die Riemann unmöglich, peinlich und zickig.
Die anderen den Moderator überfordert, unmöglich.
Und sagten das jeweils sehr laut und bestimmt.



Und in beiden Fällen fanden sich in beiden "Lagern" Leute, die ich sehr schätze und für professionell, schlau, geschmackvoll, kreativ und so weiter halte.

Vielleicht gab es und gibt es das auch schon vorher immer wieder, vielleicht bin ich in meiner Resonanzblase gefangen - aber so extrem ist es mir lange nicht aufgefallen. Dass ich nicht vorhersagen konnte, wie geschätzte Kolleginnen etwas sehen, zu dem auch ich eine starke und polarisierende Meinung und Haltung entwickelte.

Wenn alte Lager sich auflösen und noch keine neuen entstehen, dann ist eine Zeit des Umbruchs.

10.2.13

It's strategy, stupid

Strategische Beratung. Ein Traum für viele jüngere Kolleginnen, mit denen ich zu tun habe im Berufsalltag. Und das zu Recht: denn Kommunikationsstrategien oder Strategien für Social Media zu entwickeln, gehört zu den schönen Dingen im Kommunikationsberuf. Um so überraschter bin ich, was oft als "Strategie" durchgeht. Sowohl, wenn ich beispielsweise von Unternehmen dazu geholt werde, um eine bestehende Strategie zu überarbeiten oder weiterzuentwickeln. Als auch, wenn ich höre oder erlebe, was hin und wieder die eine oder andere unter Strategie versteht.

Etwas holzschnittartig und leicht angeschärft (denn das hier soll anonymisiert sein, denn mir geht es nicht darum, ob und wie ich Arbeit von anderen kritisiere, sondern darum, einmal wieder darauf hinzuweisen, was Strategie wäre und was eher nicht), erlebe ich sehr oft, dass Leute etwas als "Strategie" bezeichnen oder als "strategisch", das eher einem bunten Strauß mehr oder weniger kreativer Ideen gepaart mit ein paar lehrbuchartigen Allgemeinplätzen entspricht.

Besonders absurd wird es, wenn - beispielsweise in einem Strategiepitch - jemand als quasi ersten Input zu einem strategischen Prozess ein Ergebnis vorstellt oder Maßnahmen oder Kreationen. (Und glaubt mal nicht, dass das so selten vorkommt.)

Auch, wenn dies ebenfalls selbst ein Allgemeinplatz ist: Strategie hat sehr viel mit Analyse und sehr wenig von vorgefertigten Positionen zu tun. It's strategy, stupid.

Rund um die Entwicklung von Kommunikation habe ich vor Jahren schon (und ja, das ist auch nur mitteloriginell, ich weiß, das postulieren manche und ja, alle, die mit Software zu tun haben, kennen das Modell zur Genüge, aber ihr glaubt nicht, wie oft es trotzdem immer noch und immer wieder Menschen überrascht und neu für sie ist, weil sie bisher überwiegend mit Kommunkatorinnen zu tun hatten, die nicht so arbeiten, darum verzeiht bitte, dass ich es noch mal vorzeige hier) das Modell des "agile development" übertragen, das in etwa so funktioniert:


Nun lässt sich Kommunikation auch anders entwickeln. Strategie aber nur sehr selten, das ist meine Erfahrung zumindest aus den letzten acht Jahren Strategieentwicklung für Social Media. Kommunikation und noch mehr Strategieentwicklung ist ein agiler iterativer Prozess, den ich als Berater, als Agentur steuere - aber nicht alleine gestalte.

Weshalb - auch wieder etwas holzschnittartig - strategische Empfehlungen auch nie ohne eine gemeinsame Arbeit mit der Kundin an einem konkreten Thema ausgesprochen werden können. Vielleicht ist das sogar der eigentliche Test, ob etwas strategisch ist oder nur taktisch oder gar komplette Scharlatanie: Ist es aus der Arbeit, aus dem Gespräch mit der Kundin entstanden? Oder nur aufgrund eigenen Nachdenkens? Kommt jemand "aus dem Off" mit einer Strategie? Oder leitet sie die Kundin durch einen Prozess, in dem diese zu einem guten Teil selbst entdeckt, was die Strategie sein mag, flankiert mit etwas "outside in", also mit der Erfahrung aus anderen Strategieprojekten?

Das irre ist: strategische Beratung ist von allen Beratungsjobs der mit dem meisten Kontakt zu Menschen. Nur wer Menschen mag und gerne direkt mit ihnen arbeitet, kann strategisch beraten. Autistinnen mit einem Faible für die Schriftform haben nicht mal die Chance, gute strategische Beraterinnen zu werden, denke ich. Strategie ist Erotik.

Aus der Kritik des Ist-Zustandes zu "strategischen Empfehlungen" zu kommen, ist nahezu nie möglich. Außer ich arbeite seit Jahren mit der Kundin und bin ohnehin in einem ständigen Arbeitsaustausch. Stattdessen führt nach meiner Erfahrung ein agiler Prozess sehr effizient (und damit auch zeiteffizient) zu guten und operationalisierbaren Strategien.

Was heißt das konkret, beispielsweise für eine Social-Media-Strategie?
  • Analyse und Briefing: Alles anlesen, was geht. Von der Kommunikationsstrategie über die Unternehmensstrategie (wo möglich), die Mediastrategie, die Zielgruppenanalyse bis zu den Erfahrungen und Ergebnissen der bisherigen Arbeit.
  • Workshop: Nicht nur einmal. Und teilweise in großer Besetzung, mit Teilnehmerinnen aus allen auch nur entfernt relevanten Bereichen, am besten zusammen mit denen, die das gesamte Thema irgendwann stoppen könnten. Ziele, die in solchen Runden entwickelt werden, sind aller Erfahrung nach robust genug, um die Basis einer Strategie zu werden. Und auch die Vision und die Haltung lassen sich aus den Workshops meistens gut extrahieren.
  • Gemeinsame Arbeit: Im Kämmerlein (jetzt erstmals!), mit Feedbackschleifen, mit Input von außen und von innen. Das ist anstrengend. Echt. Aber das lohnt sich.
So kommen wir in den allermeisten Fällen zu einer tragfähigen Strategie übrigens. Und das macht Spaß. Da kann ich jede verstehen, die das als Traumjob empfindet. 

4.1.13

Willkommen 2013

Dass ich keine Prognosen für 2013 schreiben werde, habe ich ja letztes Jahr schon gesagt. Aber das heißt ja nicht, dass ein Jahresanfang nicht ein guter Zeitpunkt ist, um einmal darüber nachzudenken, was wir bedenken sollten, wenn wir über Kommunikation und Onlinedingens nachdenken.

Darum war "Lead Digital" so freundlich, schon vor Weihnachten einen kleinen Essay von mir zu den Megatrends und den Onlinetrends zu veröffentlichen, die zwar nicht speziell für 2013 gelten, aber eben aus meiner Sicht da sind und zu denen wir uns verhalten müssen.

Seitdem habe ich die fünf Onlinetrends noch um einen erweitert, den ich im Eifer des Endjahresdings damals, letztes Jahr, nicht mit aufgenommen hatte. Und habe die drei Megatrends und die sechs Onlinetrends in eine schnuckelige zweisprachige Präsentation eingebaut. Hier:



Kann ich auch mal was zu erzählen, gerne.

21.12.12

Mein Weihnachtsgeschenk für euch

Nachdem heute wie versprochen kein Ausblick auf 2013 von mir erschienen ist sondern was anderes drüben bei LEAD digital, trage ich noch den Teil nach, den ich aus dem Text wieder rausgekürzt hatte, weil er da irgendwie nicht reingehörte. Nämlich dies:

Immer wieder habe ich in den letzten Jahren recht unspezifisch vor den Scharlatanen der Social-Media-Beratungs-Branche gewarnt und dabei gehofft, dass klar ist, wer gut ist im Gegensatz dazu. Trotzdem werde ich immer wieder gefragt, wen ich denn empfehlen könne. Da zierte ich mich. Denn zum einen ist das unfair den guten Leuten gegenüber, die ich nicht kenne oder nicht erwähne – und zum anderen wird dadurch ja noch deutlicher, von wem ich eher nicht so viel halte. Und ich will – das stimmt tatsächlich – niemandem von letzteren schaden.

Teilweise bewundere ich sogar den einen oder die andere für das Geschick, aus den Ängsten potenzieller Kundinnen Kapital zu schlagen und sich selbst ins Gespräch zu bringen und zu vermarkten. Nicht so schön ist, wenn wir anderen dann hinter ihnen aufräumen müssen, aber das ist eine andere Geschichte.

Aber weil Weihnachten naht und alle milde gestimmt sind, will ich endlich ein paar alte und langjährige Weggefährten und eine solche Weggefährtin erwähnen, die ich mehr als nur schätze. Fachlich, menschlich und in manch anderer Weise. Ich erbitte die Verzeihung derer, die aus Versehen nicht genannt sind – und die Nachsicht derer, die bewusst nicht genannt sind.

Da ist zum einen die alte Hamburger Gang von 2004. +KP Frahm+Mark Pohlmann+Björn Ognibeni seien genannt. Wir waren der harte Kern einer Gruppe, die damals kommunikativ mit dem, was wir „Web 2.0“ nannten, arbeitete und es heute noch tut. Und ein paar Leute aus Berlin und München wie +Michael Domsalla+Klaus Eck, die Kaltmamsell oder +Sascha Lobo waren auch damals schon schlau und seriös beim Thema.

Dann war da 2006 unser legendärer Mörfelder Kreis, aus dem +Kai Hattendorf  und Markus Pfeiffer besonders zu nennen sind.

Und in der zweiten Generation haben ein paar von den guten Leuten Agenturen gegründet. +Christoph Bornschein+Tapio Liller+Christian Henne+Lars Brücher.






(Nein, ich weiß auch nicht, warum das bis auf die Kaltmamsell alles Männer sind.)

16.11.12

Von Pubertät und Podien

Ich hatte es zunächst nicht verfolgt, weil November und Dezember in einer Agentur schlechte Monate nicht nur für Konferenzen sondern für alles sind, was nicht direkt mit Kundinnen zu tun hat - denn es ist die Zeit, in der am meisten Konzepte, Projekte, Etats und Neuprojekte kommen. So auch hier, danke, das ist an sich schön.

Und ich war aus mehreren Gründen nicht interessiert an den Social Media Economy Days 2012 vor einiger Zeit in Hamburg. Vor allem, weil mir die Referenten ganz überwiegend nicht zusagten. Von einigen Ausnahmen abgesehen weder von den Themen noch von der Erfahrung/Kompetenz her. Macht ja auch nichts, es spricht ja zunächst weder für noch gegen eine Veranstaltung, dass sie mich nicht lockt.

Auch den Ausruf von Agnieszka von den #DMW dazu, dass es keine Frauen auf den Podien gab, habe ich nur aus dem Augenwinkel gesehen, von den Kolleginnen in meinem Team ein bisschen was dazu gehört, aber nicht weiter verfolgt. Hätte ich aber vielleicht, wenn ich mir nun manche Affendiskussion rund um dieses Thema ansehe, die ich in den letzten Tagen dann doch noch mitbekam.

Der eine oder die andere wird wissen, wie meine Haltung zu diesem Thema sozusagen ganz grundsätzlich ist. Ich habe zu Herrschaftsstrukturen und zu Quoten (da eher im politischen Kontext) und zu Sprache ja immer wieder was gesagt.
Falls jemand mit mir diesen kurzen Artikel hier diskutieren will, bitte ich darum, diese Texte einmal mindestens querzulesen, ok? Würde vielleicht das eine oder andere erleichtern.

Um es klar zu sagen: Ich halte es für eine Veranstaltung für schädlich, wenn sie an einem Format festhält (also vor allem Vorträge, Vorträge, Vorträge, dieses pubertäre Format), das systemimmanent nicht nur überwiegend uninteressant ist sondern auch viele Frauen, die ich kenne und für gute Lehrerinnen und Erzählerinnen halte, ausschließt.

An solchen Tagungen, die zusätzlich auch noch mich selbst langweilen, werde ich nicht mehr teilnehmen. Weder als Sprecher noch als Teilnehmer. Und das, obwohl ich mich sehr gerne reden höre.

Dass es anders geht, zeigen Tage wie die Foren von Kongressmedia (mit all ihren anderen Problemen, ja) oder die Fachtagung Social Media Relations jetzt gerade, die ich kurzfristig absagen musste, weil ein Kind krank war und ich zu Hause gebraucht wurde - was aber nicht soo viel machte, weil meine großartige Kollegin Jette den Workshop auch allein hinbekam. Was niemanden überraschen wird.

Was gar nicht geht, ist das mangelnde Problembewusstsein, das ich aus manchen "Diskussionen" rund um den offenen Brief heraus hörte. Ich bin fest davon überzeugt, dass der diesjährige Höhepunkt an misogyner Konferenzgestaltung wesentlich durch eine Mischung aus antiaufklärerischer Postgender-Haltung ("Frauen haben doch genau die gleichen Chancen, warum melden sie sich nicht mit guten Themen?") und einem veralteten und unattraktiven Tagungsformat (eben Vorträge von Rampensäuen) passieren konnte.

Damit sich etwas ändert, müssen Männer, die immer wieder angefragt werden für die Rampe - und in der zweiten oder dritten Reihe gehöre ich ja auch dazu, dies richtet sich also auch an mich, nicht nur an andere -, meines Erachtens eine Zeit lang etwas von dieser Rampe zurück treten. Nur durch den eigenen Verzicht wird sich etwas ändern. Wer nicht auch verzichtet, kann nicht behaupten, dass alles gut sei - sondern zementiert den status quo ante. So lange es eine faktische Ungleichheit gibt (und bevor ihr über diese Tatsache diskutieren wollt: das haben wir in den 80ern und 90ern ausführlich getan, wer das anders sieht, muss imho unter einem Stein gelebt haben oder bösartig oder intellektuell beschränkt sein, sorry), müssen die bisher durch die Asymmetrie Bevorzugten freiwillig oder unfreiwillig zurück treten, muss es eine Ungleichbehandlung geben.

Ich werde 2013 darum meine Teilnahme an Konferenzen und Tagungen (vor allem und in erster Linie als Beitragender) von diesen drei Punkten abhängig machen und ich fordere Männer, die viel auf Podien stehen, auf, es mir gleich oder ähnlich zu tun:
  1. Wie ist der Anteil der Frauen, die Programmpunkte leiten/gestalten? Ist der kleiner als 35%, werde ich nicht teilnehmen.
  2. Welche partizipativen und erwachsenenpädagogisch zeitgemäßen Formate hat die Tagung, die Konferenz? Keine? Nur Vorträge? Ohne mich.
  3. Ist die (in der Regel ja obligatorische) Diskussionsrunde mit mindestens 40% Frauen besetzt? Dann komme ich gerne.

7.11.12

Was haben wir gelacht

Nein, ich verlinke das nicht. Aber in Wellen geistern immer wieder mehr oder weniger sehr peinliche, meistens mit Sprechgesang schlechterer Ausprägung, fast immer mit hölzernen selbstgemachten Texten versehene Videos durch das Internetz, in denen meist junge Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten, zeigen, wie geil es da ist, wo sie arbeiten.

Sei es der legendäre Praktikumsrap eines Münchner Autoschraubers, seien es Trainees einer lokalen Bank in einem von vielen eh als mittelpeinlich eingeschätzten Bundesland, seien es irgendwelche Klöpsebrater.

Ja, ich gebe zu: einige dieser Videos konnte ich nicht länger als - sagen wir mal - fünfzehn Sekunden ansehen, bevor ich es nicht mehr ertrug. Und ja, über das eine oder andere habe ich (schadenfroh) gelacht. Und manche bekommen auch Preise der Onliner für besonders unterirdische Performance.

Die Fachwelt ist sich fast immer sofort einig: Das geht gar nicht, das ist schlimm, das schadet den Unternehmen. Ich bin da nicht (mehr) so sicher.

Denn was wir Onliner gerne vergessen, ist, dass wir mit diesen Videos gar nicht adressiert werden, dass es nicht um uns geht (huch, obwohl die online sind!). Sicher gibt es unter den unterirdischen Ergüssen solche, die wirklich schlecht sind - aber nicht jedes Video, das wir lächerlich finden, ist schlecht. Zumindest schlecht in dem Sinne, dass es seine Ziele verfehlt.

Eines der berühmteren Videos beispielsweise hat - obwohl verlacht und beschimpft und oberpeinlich - tatsächlich in der Zielgruppe, um die es ging, eine ganz andere Reaktion hervorgerufen: Die Anzahl der Bewerbungen junger Leute, vor allem der passenden und qualifizierten, ging in den Wochen nach dem Erscheinen des Videos deutlich nach oben. Und bei jeder Welle, die das Video seitdem wieder auslöst (denn dauernd entdecken es neue Experten), ist es das gleiche: Bewerbungen nehmen zu.

Dieses Video ist also extrem erfolgreich und - anders als wir dachten - ein "best case", allen Negativpreisen zum Trotz.

Mein Eindruck ist, dass die "Erwachsenen", die über grauenvolle Videos beispielsweise von Azubis zu Recruitingzwecken anderer Azubis lachen, eigentlich eine erstaunlich mangelnde Medienkompetenz an den Tag legen. Und das Format Video und wie es bei der nächsten Generation funktioniert, tatsächlich nicht verstehen. YouTube vielleicht sogar vor allem für eine Plattform halten, auf der man als Unternehmen oder Marke Videos einstellen kann. Und nicht für einen Videokommunikationsraum einer anderen Generation, für die lineare Fernsehen zu einem Nebenbeimedium geworden ist. Die Acta-Mobilisierung lässt grüßen.

Was ich mir manchmal wünsche (und - das muss ich fairerweise sagen - vornehme), ist etwas mehr Demut in der Aburteilung von Kommunikation, die uns alten Leuten nicht gefällt und absurd vorkommt. Und etwas mehr Staunen vor dem, was unsere Kinder machen, wie sie reden, was sie lustig finden - und wie ihre Aufmerksamkeit funktioniert, wie sie ihre Sympathien verteilen und was sie dazu bringt, aktiv zu werden. Und sei es, sich für ein Praktikum zu bewerben.

22.5.12

Mein Klout-Score ist 356. Ich bin ein toller Hecht

Wer Klout & Co für ein sinnvolles Instrument dafür hält, Einfluss oder Reputation zu messen, verschickt auch Pressemitteilungen mit der Gießkanne. Und wer bei Einstellungen oder Vorstellungen nach dem Klout-Score fragt oder ihn gar ungefragt erwähnt, sollte sich was schämen.
(Sozusagen das tl;dr mal vorweg)

Im Prinzip sind Indizes eine super Sache. Sie vereinfachen das Leben, schaffen Übersichtlichkeit, lassen uns elegant Posterioritäten von Prioritäten unterscheiden. Das Problem entsteht immer dann, wenn aus der Vereinfachung ein Erklärungsmodell wird, das nur noch wenig mit der Realität zu tun hat.

Wenn dann (zunächst noch aus den USA, aber als Diskussionspunkt mehr und mehr auch in Europa) Meldungen durch die Fachmedien schwappen, dass Unternehmen bei der Einstellung ihrer Mitarbeiter auf deren Klout-Score achten, wenn Menschen mit hohem Klout-Score direkt in den Second-Level-Support umgeleitet werden, wenn die ersten Leute anfangen, ihre Onlineaktivitäten auf einen „guten“ Klout-Score auszurichten – wenn so etwas passiert, dann ist es Zeit, einmal die Relationen richtig zu stellen.

Klout misst Resonanz in der eigenen Echokammer und bildet ab, wie ich relativ zu meinen Kumpels online ankomme. Nicht einmal das stimmt, aber lassen wir es der Einfachheit halber einmal bei dieser holzschnittartigen Beschreibung. Und als Ersteindruck ist das auch nicht absurd. Seit 2006 habe ich selbst immer wieder an solchen Projekten mitgearbeitet – seien es Bloggerinnenlisten zusammen mit Technorati, sei es damals der „Tweetlevel“ gewesen, alles Versuche, einen chaotischen Resonanzraum von Kommunikation übersichtlicher zu machen. Auch Klout habe ich darum von Anfang an verfolgt und sehe durchaus den Sinn und das Bedürfnis. Selbst wenn ich heute weiß, dass es nicht funktioniert.

Mein bevorzugter Monitoringdienst für Social Media nutzt Klout, um aus den Treffern die voraussichtlich wichtigsten herauszufiltern. Das finde ich gut. Nur: Mehr als dieses kann Klout nicht. Klout und ein Klout-Score sagt nichts (und damit meine ich tatsächlich: nichts) darüber aus, ob jemand für das, was ich zu sagen habe, wichtig ist. Für die Marke, für das Unternehmen, für die Gruppe von Menschen. Dafür muss ich tiefer graben.

Klout & Co sind wie Massen-E-Mails: Sie scheinen zu funktionieren für die, die darauf ihr Geschäftsmodell aufbauen, dass sie es schaffen, gefälschte Viagra an 0,001‱ der Empfänger zu verkaufen. Aber im Grunde nerven sie nur und sind sinnbefreit und zeugen von einem erschreckenden Mangel sowohl an Intelligenz als auch Phantasie. Klout ist für manche moderne Fließband-Agentur das, was ots* damals für Andreas Dripke und sein Team war.

So wenig wie die Ausschüttungen der VG Wort über die Relevanz einer Journalistin für mein Thema aussagen, so wenig relevant ist Klout für die Frage, welche Onlinemultiplikatorinnen mir helfen, meine Ziel zu erreichen. Denn oft ist es diese eine nur Insiderinnen bekannte Person, die dazu noch alle ihre Daten vor Klout versteckt hat und gar nicht von Klout vermessen werden kann, die aber alle Großmultiplikatorinnen und Meinungsmacherinnen lesen und zitieren. Das finde ich aber nur heraus, wenn ich mich auskenne, wenn ich mich mit meinem Thema beschäftige. Klout ist die Ausrede der Ahnungslosen für ihre Faulheit.

Und wer berät oder Kommunikation macht, sollte gar keinen Klout-Score haben, jedenfalls bin ich immer sehr peinlich berührt, wenn ich eine entdecke, die über ihren redet oder ihren kennt. Denn unsere Aufgabe ist es, unsere Unternehmen und Marken nach vorne zu stellen – und nicht uns. Wenn dieses Thema überhaupt eines sein soll, dann wohl eher so: wer einen zu hohen Klout-Score hat, ist nicht geeignet für die Kommunikationsberufe. Weil sie sich kommuniziert. Und nicht die groß macht, um die es geht.

Update
* Ich lege Wert auf die Feststellung (und der Kommentar meines früheren Kollegen kp, mit dem ich auch befreundet bin, macht das noch mal deutlich), dass damit nicht gemeint ist, dass ots wie Viagra-Spam sei. Sondern dass ots als sozusagen industrieller Prozess bestimmte Geschäftsmodelle der Pressearbeit damals erst möglich machte - wie heute Klout & Co bestimmte Geschäftsmodelle der Social-Media-Arbeit. Sollte das missverständlich gewesen sein, tut mir das leid und ich gelobe Besserung. Ich liebe euch.