29.5.19

Was Kommunikation kann. Und was nicht.

Tagsüber bin ich ja Kommunikationsmensch. Das heißt, dass ich andere Menschen dazu berate und dabei begleite, ihre Themen rüberzubringen. Und Menschen zu bewegen. Teil dieses Berufes ist es auch, zu gucken, was Kommunikation kann. Und was nicht. Spoiler: Seriöse Kommunikation kann nur aus dem was machen, das ist. Also dem realen Produkt, der echten Leistung, der beweisbaren Position. Ich nenne das immer mal und sehr gerne Groundtruthing, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich berate keine Politik. Manchmal aber, privat, im Ehrenamt und aus Freundschaft, Menschen, die Politik machen. Das vorweg. Und: ich bin, seit ich fünfzehn bin, politisch aktiv.

Kommen wir zur Diskussion der letzten drei Tage. Ich las, gerade heute wieder über irgendsoein Camp der CDU in NRW oder so, immer wieder die Analyse, „man“ müsse besser und schneller und so kommunizieren. So wie die ganzen letzten Jahre, wenn vor allem die SPD damit haderte, dass sie ihre Themen nicht kommuniziert bekomme.

Und darum müsst ihr jetzt sehr stark sein. Denn das hier sage ich euch ganz ungefragt:

Nein, CDU und SPD. Das Problem ist nicht Kommunikation. Das Problem ist: Politik. Die wählen euch ganz in echt wegen eurer Politik nicht! Das heißt auch, dass ihr nicht mit Kommunikation (“schneller, besser, digitaler” my ass) was daran ändern könnt. Sondern nur mit Politik. Das, was für uns Kommunikationsleute und euch Politikerinnen wahrscheinlich am schwersten zu begreifen ist: dass es echt egal ist, wie kommuniziert wird. Sondern dass ihr echt nur an der echten Politik gemessen werdet.

Huch!

27.5.19

Paralleluniversum


Einige unvollständige kurze Gedanken am Tag nach der Europawahl.

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Ich lebe ja in einem kleinen Dorf am Rande einer Kleinstadt. Unser Wahllokal (rund 500 Wahlberechtigte) umfasst drei Dörfer und eine Siedlung. Zusammen mit den Briefwahlen haben davon gut über 60% auch gewählt. Bei den Stimmen vor Ort haben CDU und Grüne ungefähr gleich viele Stimmen bekommen. Spannend war, bei der Auszählung die CDU-Bauern (Dorfvorsteher und Fraktionschef im Gemeinderat und so) zu erleben, die immer blasser wurden. Das war für die ein echter Schock und ganz ehrlich nicht erwartet. "Kein Wunder bei der Wahlmanipulation diese Woche", war – ganz ohne Schaum und ganz ohne bösen Hintergedanken ausgesprochen – der Satz eines dieser Funktionäre, der mich gestern lange beschäftigt hat. Denn in was für einem Paralleluniversum muss jemand leben, der eine (ok, vorher unerlebte) Meinungsäußerung eines Einzelnen als Manipulation einer Wahl empfindet? Wobei das ja kein Bauern- oder CDU-Ding ist. In der Nacht vor der Wahl twitterte ein Agenturgeschäftsführer aus meinem Landkreis (Ostholstein) aus einer erhitzten Situation heraus die Frage, ob Rezos Video von den Grünen bezahlt sei. Der Mann ist in der SPD übrigens. Auch so ein Paralleluniversum offenbar.
[Tweet inzwischen gelöscht, ebenso der Tweet mit dem Link auf ein rechtes Verschwörungsblog.]

Interessanterweise unterhielten sich ein jüngerer und ein älterer Bauer dann noch darüber, ob sie lieber auch auf Bio umstellen sollten. Und philosophierten über Kretschmann als Kanzler. Habeck hassen sie ja.

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Zur fantasievollen Idee, die Grünen würden halt eine Welle reiten, hatte ich ja gestern kurz was geschrieben, wollte ich extra vor der Wahl machen, nicht, dass es wie Nachtreten aussieht. Wie sehr aber viele überrascht hat, wenn ich den Ausschnitt von Armin Laschet in einer Talkshow richtig verstehe, dass Klimapolitik das Killerthema der Wahl wurde, klingt irgendwie auch nach Paralleluniversum.


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Mit Mecklenburg muss ich mich noch mal beschäftigen, denn während die erste Nazi-Siedlungswelle direkt ab 1990 besonders in Mecklenburg stattfand, sieht es so aus, als ob das Bundesland sich nicht dem ostdeutschen Paralleluniversum anschließt, in dem eine radikale Partei mit Naziverhalten mal wieder stärkste Partei wird.

Bei aller Freude über das bundesweite Ergebnis der Wahl (nur gut 10% Nazis, Grüne bei allen unter 60 stärkste Partei) - wie sähe es aus, wenn dieses Paralleluniversum nicht existierte? Wie viel schneller ginge alles?

Und: Was können die Konsequenzen aus so einer Entwicklung sein? So was wie für Ungarn vorgeschlagen ist - also dass Fördergelder nicht mehr in die Regie des Landes gegeben werden sondern vom Bund direkt verteilt? Oder dass die Bundesländer als gescheitert betrachtet und zwangsverwaltet werden? Oder hat "Die Partei" mit ihrer alten Forderung doch Recht? Es ist zum Verzweifeln, man braucht schon einen guten Magen, um die Sammlung der Ergebnisse ostdeutscher Kreise anzusehen.

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Leute aus der Union weisen ja immer wieder darauf hin, dass die JU die weitaus größte politische Jugendorganisation sei. Dass also die Union durchaus mit jungen Leuten könne. Schade nur, wenn alle, die die Union in dieser Gruppe auch wählen würden, diese Mitglieder sind. Oder so ähnlich. Und sich in einem Paralleluniversum bewegen. Alles also wie immer. Erinnert ihr euch noch an die JU-Mitglieder in eurer Schulzeit? Ja, eben, genau.

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In Kiel sind die Grünen stärker als CDU und SPD zusammen. In Kiel! Nicht nur in Freiburg oder in Altona.

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Immer wieder freue ich mich über Reisende zwischen den Paralleluniversen. Heute morgen beispielsweise Hansjörg Schmidt, mit dem ich nur selten wirklich inhaltlich übereinstimme, aber der schon lange zu denen gehört, die sich wirklich um den Dialog und die Sprechfähigkeit verdient machen, denke ich. Und weil ich ja emotional irgendwie an der SPD hänge und irgendwie auch an Hamburg, wäre es so toll, wenn die Partei ihn weiter nach vorne stellen würde...

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Und dann ist da noch Kretschmer. Kopf -> Tisch.


25.5.19

Ein Lauf? Oder Einlauf?

Ja, höre ich von Konservativen* gerade immer mal, die Grünen haben einen Lauf. So als Antwort, wenn ich erzähle, dass sie in den Provinzschulen bei uns in Schläfrig-Holstein in Schulklassen bei Wahl-o-mat-Stunden und Testwahlen über alle Altersstufen hinweg bei ungefähr 90% landen. Aber ich denke, diese „Analyse“ geht fehl. Das ist kein Lauf der Grünen. Das ist ein Einlauf für CDU und SPD. Wobei ich am Bemerkenswertesten finde, wie (nicht nur bei Jugendlichen) „CDU und SPD“ verwendet wird: wie früher „CDU/CSU“. Kein Unterschied**.

Zwei Dinge fallen mir auf. Und als jemand, der seit mehr als 20 Jahren überzeugter Grüner ist, freut mich das.

Zum einen, dass immer mehr Menschen, junge vor allem, aber längst nicht nur, sich klar für ein Thema entscheiden (können), das für sie Priorität hat. Das sozusagen das Killerthema ist, das alle anderen überlagert. Ich höre sehr viel – und auch das faszinierende YouTube-Statement von nun wirklich nicht nur linken oder liberalen Stimmen zeigt das –, dass egal wie sehr jemand in anderen Fragen mit einer Partei übereinstimmt, die Frage des radikalen und kurzfristigen Klimaschutzes, der nicht mit anderen Fragen „verrechnet“ oder verhandelt wird, zur klaren Nicht-Wahl führt.



 Es ist also nur noch die Frage, ob beispielsweise die Grünen in den anderen Politikfragen akzeptable Antworten haben. Und nicht mehr, ob ich da ziemlich doll zustimme. Das heißt aber eben auch, dass SPD und CDU so viel auf ihre (guten) Konzepte in der Sozial- oder Steuerpolitik oder sonstwo hinweisen können, wie die wollen – ihre praktischen Entscheidungen gegen schnellen Klimaschutz überlagern alles. Das ist kein Gedöns mehr. Sondern, ähnlich wie für Faschisten die Flüchtlingsfrage, die Existenzfrage. Und damit ist es dann eben kein „Lauf“ der Grünen mehr. Sondern ein Einlauf für SPD und CDU.

Und zum anderen erlebe ich bei vielen Konservativen*, wie sie vor allem von Robert Habeck fasziniert und angetan sind. Während für viele Linkere und Grüne Annalena Baerbock immer wichtiger und immer mehr Identifikationsfigur wird, greift Habeck weit über das alte Milieu hinaus. Weil, so kommt es mir vor, eben Stil und sprachliche Schönheit nicht so unwichtig sind, wie es lange schien. Weil er so wirkt, als würde er zuhören. Und wäre fehlbar. Weil er eben nie so selbstgerecht oder dummdreist auf die radikale Kritik reagieren würde wie klassische Vertreterinnen von SPD und CDU. Auf diese Kritik hier:



Dass die Grünen seit etwa 2012 anfingen, kulturell aus ihrer angestammten Szene herauszutreten und anschlussfähig zu werden als Lebensstil-Partei, hat seit damals das Parteiengefüge geöffnet für eine neue Sortierung. Dass sie es dann nach 2015 geschafft haben, sich als einzige Partei eindeutig als Heimat aller zu positionieren, die Nazis und Autoritäre ablehnen, hat das beschleunigt. Dass sie vor 40 Jahren das Thema als Schlüssel- und Killerthema erkannt haben, das nun gerade für immer mehr Menschen zu ebendiesem wird – all das zahlt sich aus. Hoffentlich.

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* also SPD- und CDU-Mitgliedern, die (noch) ihre Parteien verteidigen.
** persönlich denke ich ja, dass das in der Breite unfair ist. Aber insofern verdient, als die SPD ja Scholz und Schulze freiwillig nach vorne stellt.