Tatsächlich frage ich mich in der letzten Zeit immer häufiger, ob unser Finanzminister irre, politisch panisch oder dumm ist. Jüngstes Beispiel ist diese Äußerung (zwar als "Team Lindner" gelabelt, aber in Varianten immer wieder gesagt, ich vermute, dass es auch hier eine Art Mitschrift einer Rede von ihm ist):
Vorsichtshalber als Screenshot eingebaut, hier ist der Tweet zurzeit online. Was mich so irritiert an dieser Äußerung, ist, dass sie in sich komplett irre ist.
Denn zum einen konstruiert sie einen Widerspruch, der keiner ist. Sie behauptet eine zeitliche Abfolge ("bevor"), die es nicht gibt – weil, einmal etwas verkürzt ausgedrückt, gerade so soziale und ökologische Ziele einer Gesellschaft ein dauerhaft stabiles wirtschaftliches (und politisches) Fundament schaffen. Mindestens aber hängen beide Dinge (wenn ich sie als getrennte Dinge betrachten will) doch direkt zusammen.
Und zum anderen hat das Mantra des zweiten Satzes exakt gar nichts mit dem ersten Satz zu tun - tut aber so, als ob es entweder den ersten Satz begründet oder ausführt, das ist etwas unklar sprachlich. Tatsächlich aber hat eine gesellschaftliche Verständigung über soziale und ökologische Ziele nichts (in Worten: gar nichts) mit "politischem Verteilen" zu tun. Sondern die Diskussion über gesellschaftliche Ziele kommt gerade VOR jeder Form von politischer Verteilung, da diese sich ja an jenen Zielen orientieren müsste, wenn sie nicht korrupt oder willkürlich ist. Sowohl wie wir etwas erwirtschaften als auch wie wir etwas verteilen, hängt doch gerade davon ab, wie wir uns als Gesellschaft organisieren (wollen), also welche "sozialen und ökologischen Ziele" wir uns geben.
Mal abgesehen davon, dass "Erwirtschaften" und "politisches (!) Verteilen" auch irgendwie logisch nicht wirklich zusammenpassen, offenbart die gesamte "Argumentation" (wenn ich so nett sein will, anzunehmen, hier hätten wir eine Argumentation) die logische Schwäche und ökonomische Inkompetenz von Lindner, die ihm ja seit Jahren von Wirtschaftsnobelpreisträgern immer wieder bescheinigt wird.
Anzunehmen, Wirtschaften passiere im politisch luftleeren Raum und eine Gesellschaft könne sich ausschließlich unter dem Primat "der" Wirtschaft organisieren und Ziele geben, ist nicht nur in unserem Land verfassungswidrig – sondern auch der (akademische) Sonderweg einer kleinen Gruppe quasi ausschließlich deutscher Ökonom*innen. Außerhalb autoritärer und libertärer Außenseiter*innen in der internationalen Diskussion wird dieses ja außerhalb Deutschlands so gut wie nicht mehr vertreten. Das an sich wäre bereits irre.
Zusätzlich ignoriert es aber auch den größten Teil der politischen und ökonomischen Diskussion seit Lindners Geburt. Und das klingt dann eher nach Panik oder Dummheit. Wobei ich nicht genau weiß, welche Erklärung ich mir eigentlich wünschen sollte.
Aber inhaltliche doch auch noch was zum ersten Satz, gerade weil er in seiner Logik so irre ist: Denn selbstverständlich brauche ich als Unternehmer ein "dauerhaft stabiles" Fundament für meine Entscheidungen und für die Chance, meinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Darum engagieren sich ja so viele Unternehmen und Unternehmer*innen für eine demokratische, befriedete Gesellschaft, die reale Zukunftschancen hat. Darum werden sie aktiv, nutzen ihre Reichweite, ihre Einkaufsmacht, ihre Entscheidungsmacht, um etwas dazu beizutragen, wie die Gesellschaft über soziale und ökologische Ziele diskutiert. Nicht umsonst sehen sich immer weniger Unternehmer*innen von ihren Verbänden und der FDP vertreten, deren ideologische Panik und ökonomische Dummheit ihnen real und jeden Tag schadet.
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