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23.12.12

Da sagt die Schröder einmal was richtiges...

und schon ist das Geschrei von allen Seiten groß. Nach dem Interview, das sie der "Zeit" gab zu Gott und der Welt und dem Vorlesen.

Ich bin ja nun wirklich unverdächtig, Kristina Schröder gut zu finden. Aber die Kritik an ihr in diesem Fall reicht von scheinlinken Onlinerinnen bis hin zu reaktionären Unionistinnen. Und das finde ich in beiden Fällen grotesk.

Mal ehrlich: Ich kennen niemanden, die halbwegs regelmäßig Kindern vorliest, die nicht immer wieder Worte abändert - sei es, weil sie nicht verständlich sind heutzutage, sei es, dass man das, was da bezeichnet wird, heute einfach anders bezeichnet. Ich mache das andauernd. ich mache das sogar bei Christine Nöstlinger, die ja nun eher keine rassistischen oder sexistischen Texte schrieb - weil die österreichischen Worte für meine Kinder nicht verständlich sind.

Kann es sein, dass hier ein reiner Beißreflex vorliegt? Oder ein realitätsfreier Pseudopuritanismus in Bezug auf in unseren Familien lebendigen und eben nicht literarisierten Texten? Ich persönlich finde Frau Schröder unmöglich und schwer bis nicht erträglich, ich halte sie für eine krasse Fehlbesetzung in ihrem Amt - aber wenn eine so reaktionäre junge Frau so selbstverständlich mit Texten und mit Gott umgeht und auch so beiläufig darüber redet, dann finde ich das größtartigst.

Denn das heißt, dass die letzten dreißig Jahre Diskussion in der Theologie, in den Kirchen (in Bezug auf Gott) und in feministischen und pädagogischen Diskursen (in Bezug auf beknackte Worte) nicht umsonst waren. Dass sich wirklich etwas geändert hat in diesem Land und bei seinen Menschen. und zwar mehr, als den alten Männern und den intelligenzfernen Postgenderdödeln bewusst oder recht wäre.

Und darum spricht Frau Schröder in dem Interview einfach nur das aus, was viele Menschen nicht nur in meiner Umgebung jeden Tag tun und denken. Sie ist eine ganz normale Frau und eine ganz normale Mutter in dieser Zeit. Verkopft - das ist ja einer der Vorwürfe aus ihrer Partei an sie - sind eher die, die sie jetzt kritisieren. Oder es sind eben Leute, die noch nie Kindern vorgelesen haben oder mit Kindern über Gott sprachen. Ich jedenfalls kann ihr zustimmen.

Zumal in fast allen (evangelischen) Gemeinden, die ich kenne, dauernd von "Gott, der uns Vater und Mutter ist" die Rede ist. Und mehr als eine Pastorin und sehr viele Pastoren sprechen beim Segen:
Gott segne dich und behüte dich, sie lasse das Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig, er erhebe das Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

9.3.09

Der Vorleser revisited

Ich hab damals, schon 1995 wahrscheinlich, Schlinks Vorleser gelesen. Ich erinnere mich kaum daran, wenn ich ehrlich bin, nur dass es bei uns Theologinnen eine Art Pflichtlektüre war, dass es mich seltsam unberührt gelassen hat. Rund um die Verfilmung lerne ich jetzt von einer Kontroverse um das Buch, die mir damals völlig entgangen war - die ich aber sehr interessant finde.

Thomas Assheuers Rezension des Films in der Zeit von letzter Woche hatte ich gehört und sie hat mich zum Nachdenken gebracht. Denn seine Punkte leuchten mir ein, ohne dass ich das Buch mehr als oberflächlich in Erinnerung habe:
Es ist die Behauptung, deutscher Geist und deutsche Kultur seien sauber geblieben und hätten mit dem Faschismus nichts zu schaffen. Hanna, die SS-Frau mit dem jüdischen Namen, konnte nicht lesen, sie war ein unbeschriebenes Blatt und hat dieses mit ihren Taten nicht befleckt. Das heißt: Mit einem scharfen Schnitt trennt der Vorleser den Nationalsozialismus von seiner geistigen Vorgeschichte ab. Die kulturelle, irgendwie griechisch-christliche Substanz der Deutschen ist unschuldig und nicht zu belangen. Vermutlich soll niemand auf falsche Gedanken kommen und fragen, warum »abendländische« Eliten dem Nationalsozialismus zur Macht verhalfen, warum Goethes Weimar Hitlers Buchenwald nicht verhindert hat. Und niemand soll fragen, warum eine Nation, die sich dem »Griechentum« am nächsten fühlte, einen historisch präzedenzlosen Massenmord begangen hat. (...)

Am Schluss fährt Michael zu einer überlebenden, natürlich sehr reichen, ganz in Weiß gekleideten Jüdin nach New York. Die Szene folgt dem Muster, das der Literaturwissenschaftler Matthias Lorenz bei Schlink (und Martin Walser) vielfach nachgewiesen hat: Das Leidensgedächtnis jüdischer Figuren wird abgespalten und zu einer Art Gruppenerinnerung erklärt, die Nichtjuden verschlossen bleibt, ja: kaum etwas angeht. Und prompt fällt der Satz, auf den im Film alles zuläuft. Die Deutschen, sagt die Überlebende, sollten endlich aufhören, ständig an die Lager zu denken.
Kino: Stephen Daldry verfilmt »Der Vorleser«
Darüber bin ich in eine Diskussion gekommen, in der ich auf eine widersprechende Rezension im Deutschlandradio gestoßen wurde. Ich lese sie bis in die Wortwahl hinein als eine Erwiderung auf Assheuer, die überwiegend den Widerspruch nur postuliert, bis sie auf einen Punkt doch näher eingeht:
Die Debatte zeigt, dass wir uns immer noch schwer tun, die Geschichte des Holocaust anders als aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Aber um den Massenmord zu verstehen und in Zukunft zu verhindern, müssen wir auch etwas über die Täter wissen, müssen wir verstehen, wie oft ganz normale Bürger zu Mitläufern und Mördern werden. Und wir müssen verstehen, wie der Virus der Schuld sich von Generation zu Generation fortpflanzt. Es ist das Verdienst von Bernhard Schlink, den Finger in diese Wunden zu legen, zu zeigen, wie die Liebe eines unschuldigen Jungen zu einer Täterin das Leben des Jungen für immer verändert. Und es ist Schlinks Verdienst, zu zeigen, dass eine Täterin nicht als Monster geboren wird, sondern auch - aufgrund von Naivität, Dummheit oder eines Makels - sich nicht gegen die Verlockungen des Bösen wehren kann, sie aber zumindest bereit ist, im Prozess nicht - wie ihre Mitangeklagten - zu leugnen, sondern Schuld und Sühne als gerecht anzunehmen.
Zum Wiederlesen empfohlen: Der Vorleser
Mir persönlich ist auf den ersten Blick Assheuers Bewertung plausibler. Vor allem das Argument, es werde (bewusst?) im Rahmen einer abstrus konstruierten Geschichte eine Täterin thematisiert, die eben nichts mit der deutschen Kultur zu tun hat, ist schwer zu widerlegen, scheint mir.

Dennoch bin und bleibe ich unsicher. Das beginnt schon mit dem Einschub, Hanna, die SS-Frau mit dem jüdischen Namen: Denn Hanna ist ja gar kein jüdischer Name, sondern ein biblischer, der in beiden Religionen, die die hebräische Bibel als heiliges Buch haben, sehr verbreitet ist - und erst von Antisemiten und dann vor allem den Nazis zu einem jüdischen Namen erklärt wurde.

Ich werde das Buch wieder lesen, denke ich, und es darauf einmal hellhörig beobachten. Oder auch den FIlm sehen?