Das vorweg geschickt also.
Was es nicht besser macht.
Armbrüster konstatiert gleich zu Anfang:
Überall hört man den Ruf nach Authentizität. ... Er ist ein Irrweg der Personal- und Führungskräfteentwicklung und kann zu einem Mangel an Professionalität und Integrität führen.Und das ist im Kern das, was er dann länglich ausführt.
Und das halte ich für totalen Unsinn.
Im Grunde könnte ich auf meinen Blogpost vom Februar 2009 verweisen, in dem das meiste zum Missverständnis rund um Authentizität bereits gesagt ist. Kernsatz damals war - und stimmt meines Erachtens bis heute:
Ich denke, dass oft Authentizität mit Unmittelbarkeit verwechselt wird.Was Armbrüster im Verlauf seines komplett polemischen Textes fast glossenartig ausführt, beruht auf einer mich bei ihm wirklich sehr überraschenden Fehleinschätzung, was denn authentisch, was denn Authentizität sei.
Ich teile seine Polemik gegen die Scharlatane der Beratungsbranche,
die mit eben derselben Verwechslung sehr viel Schaden bei unbedarften Menschen anrichten, die führen wollen/sollen/müssen und ihre Hilfe suchen. Nur: "sei authentisch" heißt eben nicht "sag immer direkt, was du denkst". Es heißt nicht einmal "sei ganz du selbst" oder referenzierte gar auf einen (ja, da hat Armbrüster Recht, absurden) "inneren Wesenskern". Das ist Vulgärbiologismus, ja.
Ich kann es nur noch einmal betonen: Authentizität hat sehr viel mit Kultur und sehr wenig mit Natur zu tun. So wie Professionalität und Integrität. Wikipedia ist sicher in einer kulturphilosophischen Debatte nicht die seligmachende Quelle, aber dennoch lohnt ein Blick auf den Artikel zur Authentizität, um deutlich zu machen, wie sehr und wie ideologisch Armbrüster den Begriff für seine Bedürfnisse verbiegt und manipuliert.
Ich halte das, was und wie Armbrüster argumentiert, für unredlich, wirklich - und darum ärgert es mich so. Er zeichnet ein Zerrbild von Authentizität, das, wäre es richtig, ja auch tatsächlich grauenvoll wäre. Und begründet damit, warum es aus dem Vokabular von Führung getilgt gehörte. Dabei gehörte nur das Zerrbild, nur die Scharlatanie getilgt, denke ich.
Vielleicht bin ich deshalb so emotional in dieser Frage, weil ich in den letzten Jahren eher die angelsächsische Diskussion verfolgt und mitgestaltet habe. Als wir Edelman Digital aufbauten, nannten wir unser Blog Authenticities (gibt es nicht mehr). Bei Cohn & Wolfe, deren Geschäft ich in Deutschland führe, haben wir eine groß angelegte Untersuchung und Position zu Authentic Brands. Interessanterweise habe ich wenige der Verzerrungen, die Armbrüster einerseits kritisiert und andererseits fortschreibt, in der englischen Diskussion gesehen bisher.
Mir ist Authentizität gerade in der Führung wichtig.
Wiederum ebenso wie Professionalität und Integrität - ich kann da, wenn Authentizität richtig verstanden wird und nicht mit Unmittelbarkeit verwechselt, keinen Widerspruch sehen. Sicher - ich kenne auch authentische Führungskräfte, die nicht professionell sind (oh ja) oder/und nicht integer. Allerdings sind selbst die besser zu ertragen, wenn sie wenigstens authentisch sind.
Im Bereich Führung - anders vielleicht als im Bereich Marketing/Kommunikation - scheint mir Authentizität einer der Schlüssel für Berechenbarkeit zu sein und dafür, dass ich als Führungskraft von denen, die ich führe, "gelesen" werden kann. Was beispielsweise nicht geht, wenn ich unmittelbar bin, weil das oft - logischerweise - erratisch ist. Wenn bei einer Führungskraft eine Linie zu erkennen ist, hängt das nach meiner Erfahrung sehr oft damit zusammen, dass sie authentisch handelt.
Authentisch kann nur sein, wer ein Werte- und Haltungssystem für sich entwickelt hat, wer eine Linie gefunden hat. Siehe im oben verlinkten Blogpost meine These, dass Kinder nicht authentisch sind sondern eben nur unmittelbar. Authentisch sein, heißt nicht, alles rauszulassen, was mir in den Kopf kommt oder auf der Leber liegt, sondern ein konsistentes Bild von mir zu schaffen, das mit meinen Werten und meiner Haltung zu tun hat. Darum können auch Arschlöcher authentisch sein. Auch, wenn das dann nicht professionell ist. Und darum gehört zu professionellem Führungsverhalten immer auch Authentizität. Im Gegensatz zu Armbrüster formuliere ich also (und in Anlehnung an seine Polemik auch etwas polemisch) -
Wer glaubt, ohne Authentizität und ohne Arbeit an authentischem Handeln
professionell führen zu können, irrt.
Und scheitert als Führungskraft.
Total.
(Allerdings ich bin ja auch nur Praktiker und nicht Theoretiker oder Berater in diesen Fragen...)