Noch nicht heute, auch nicht morgen oder übermorgen. Aber es wird sterben. Und bevor das eine Binsenweisheit wird, etwas konkreter: Während Twitter und Google+ überleben werden, wird Facebook das nicht.
I.
Die drei größeren Stream-Services nicht nicht vergleichbar. Sie haben völlig verschiedene Konzepte des Nachrichtenstroms und der Öffentlichkeit. Aber sie bilden eine wichtige neue Infrastrukturidee ab - neben dem lokalen Betriebssystem, dem mobilen und dem Browser. Und bereits heute kann man drei große Blöcke sehen, die mehr und mehr integriert werden (also nicht miteinander sondern jeweils ihre Elemente).
Da ist Microsoft, das noch den Markt der lokalen Betriebssysteme dominiert, das dabei ist, mit Nokia einen Hersteller für sein mobiles Betriebssystem zu kaufen, und das eine strategische Partnerschaft mit Facebook hat.
Da ist Apple, das selbst mobile und stationär bedient, beides immer mehr zusammenwachsen lässt - und Twitter immer tiefer integrieren wird, ich denke, auch irgendwann kauft.
Und da ist Google, das gerade mindestens ein großes Patentportfolio rund um mobiles Internet gekauft hat, das ein anderes Betriebssystemkonzept verfolgt und mit Google+ nun einen Stream-Service rausgebracht hat, der tief in sein Ökosystem integriert ist.
II.
Wir werden also in den nächsten Jahren einen Dreikampf im Konsumentenmarkt erleben. Microsoft mit Facebook gegen Apple mit Twitter gegen Google. Noch - und sicher noch für längere Zeit - werden die Stream-Services Brücken zwischen diesen Welten bilden. Aber nicht für immer. Und bereits jetzt zeichnet sich eine sehr interessante Parallelität der Entwicklungen der Stream-Services und ihrer Häfen ab.
Twitter war immer (und wird immer sein) ein Service, der vor allem von einer digitalen Elite genutzt wird und von denen, die sich im Medienzirkus tummeln. Interessanterweise zu einem großen Teil die Gruppen, die Apple (jenseits des Massenmarktes Musik, den Google aber nun auch angreift) gezielt anspricht. Itunes und Twitter sind offen für andere Systeme, aber im Grund zielt all dies auf ein geschlossenes System von Multiplikatoren. Apple ist kein Massenmarkt, trotz iPhone und Co.
Facebook ist Mainstream. Und nahezu unbedienbar. Beides hat es (man denke nur an die Screenshots vom neuen Dateiexplorer von Windows 8) mit Microsoft gemeinsam. Und beiden gemeinsam ist, dass sie den de-facto Standard definieren. Noch. Denn Facebook wird - obwohl zurzeit noch mit einer etwas höheren Anpassungsfähigkeit ausgestattet - gemeinsam mit Microsoft untergehen.
Google kam als Parasit, nistete sich erst auf dem Wirt Microsoft ein und breitete sich von dort aus, bis es allein lebensfähig wurde. Nicht umsonst wird es von Microsoft heute als der wichtigste Konkurrent gesehen. Anders als Apple zielt Google immer auf den Massenmarkt. Und dort - wenn man sich beispielsweise mobile Betriebssysteme ansieht - auch auf den unteren Rand. Es ist ja durchaus ein spannendes Phänomen, dass es Google zurzeit gelingt, einen Teil der digitalen Elite (vor allem den mit technischem Verständnis) anzusprechen und den Massenmarkt. Ich denke, dass das nicht ewig so sein wird, aber im Massenmarkt wird es Microsoft massiv und immer massiver gefährlich. Auch Google+ zielt meines Erachtens (ich habe es neulich geschrieben) auf den Massenmarkt, auch wenn zurzeit noch die digitalen Vorreiter es bevölkern.
III.
Während Google+ tief in das Gesamtsystem Google integriert ist und Twitter mehr und mehr in Apples System verankert wird, geht es Microsoft wie immer: Sie haben Schwierigkeiten, ihre Teile sinnvoll zu verzahnen. Das ist schon mit der Xbox so gewesen, das wird mit Facebook so sein, auch mit Nokia und Windows Mobile. Dazu kommt, dass Facebook und Microsoft die größten Bruchkanten rund um Sicherheit und Privacy haben, wo sie zurzeit noch sehr unterschiedlich agieren. Es ist, wie schon bei der Allianz mit Nokia, also ein Zusammenschluss von trudelnden, schlecht integrierten Teilen.
Und darum bin ich überzeugt, dass Facebook ebenso wenig wie Microsoft überleben wird in diesem Dreikampf. Es ist noch für einige Zeit Platz für alle drei. Aber nicht ewig.
Facebook wird mit Microsoft untergehen, wenn der de-facto Standard Windows zu Ende geht. Google wird den Massenmarkt bedienen und einsammeln, das bereiten sie über Google+ und damit über massenhaft zunehmende Google-Konten vor. Die dann am Ende komplett ins Ökosystem zu ziehen, wird die leichtere der Übungen, die anstehen. Und Apple wird das dominierende Ökosystem einer jenseits von Smalltalk intensiv kommunizierenden Elite sein, die sich dann nicht nur gesellschaftlich sondern auch im Web weitgehend von der Masse abkapselt - und sie majorisiert über die Meinungsmacht und Publizistik und Unterhaltungsindustrie.
IV.
All das kann auch ganz anders kommen, klar. Aber es scheint mir als Szenario plausibel zu sein. Es passt zu den letzten Schritten, die die drei großen gegangen sind. Einer fehlt hier, das ist klar: Amazon. Der de-facto Standard für E-Commerce im Konsumentenmarkt.
V.
Und noch ein kleiner Nebenaspekt. Denn irgendwo wird ja die nächste Disruption herkommen. Ich denke, dass derjenige sowohl der Niedergang von Facebook und Microsoft beschleunigen als auch die nächste Infrastrukturidee über die bestehenden drei Systeme legen wird, der es als erstes oder als bestes, massentauglichstes schafft, einen Meta-Reputationslayer über die Streams zu legen. Also die relevanten Beziehungsmuster zu erkennen und für mich handhabbar zu machen. Dem traue ich eine ähnliche wirtschaftliche Disruptionskraft zu wie dem Auslagern der Rubrikenanzeigen auf spezielle Services Mitte der 90er.
Denn auffällig ist, dass die beiden überlebenden Stream-Services ja keine "Freundschaften", also gegenseitigen Beziehungen kennen, sondern sich darin ähneln, dass der individuelle Stream eher durch einseitiges "abonnieren" denn durch gemeinsames Einverständnis entsteht. Was im Übrigen ein weiterer, diesmal inhaltlicher Grund ist, warum Facebook sterben wird.
30.8.11
Was im Internet toll ist
26.8.11
Unsere Kyra ist gestorben
Darüber sind wir sehr traurig. Aber wir haben schöne Erinnerungen. Und einige auch als Bild.
22.8.11
Liebe Yakamoz Karakurt,
du (in der 9. Klasse darf ich noch du sagen, oder? Ich bin da etwas altmodisch und Sieze ältere Schülerinnen gerne) hast in der "Zeit" 34/2011 einen Beitrag ("Mein Kopf ist voll") geschrieben, wie sehr es dich belastet, wie deine Schule organisiert ist. Leider ist der nicht online, so dass ich hoffe, dass ich deinen Namen richtig geschrieben habe. Denn ich habe deinen Artikel nur gehört, im Audiomagazin der "Zeit". Update 23.8.2011 Inzwischen ist dein Artikel hier online. Und diese Antwort wird ist auch bei Zeitonline erscheinen, wie es aussieht... /Update
Warum schreibe ich dir? Weil ich glaube, ziemlich genau zu wissen, was du meinst. Denn ich habe einen Sohn in der 10. Klasse eines Hamburger Gymnasiums und einen in der 9. Klasse einer Stadtteilschule - und bei meinem dritten Sohn steht dieses Schuljahr die Entscheidung an, wo er auf die weiterführende Schule soll oder will.
Und ja, ich kann dich verstehen. Ich kenne Jugendliche wie dich. Nicht allen geht es so, mein Sohn hat das Glück, dass er Sport und Freunde und Hobbys und Job parallel hinbekommt und trotzdem gute Noten schreibt - aber ich weiß, was du meinst. Und ich finde, dass du Recht hast: So geht es nicht.
Nur verstehe ich nicht, warum du die Antwort, die dir die Schulbehörde gab (sinngemäß: "Es gibt ja auch noch die Stadtteilschule"), so brüsk abtust. Weißt du, mein Zweiter, der war auch erst auf dem Gymnasium. Ich gebe zu, das lag vor allem daran, dass wir (also wir Eltern) nicht nachgedacht hatten. Aber darum haben wir dann irgendwann die Notbremse gezogen - und ihm ermöglicht, das Tempo etwas rauszunehmen und trotzdem das Abitur anzustreben. Heute ist er so gut in der Schule wie noch nie, weiß, was er schaffen und werden will - und hat Spaß an der Schule.
Wenn ich mal ganz offen bin: Die, auf die du wirklich böse sein solltest, sind deine Eltern. Denn die haben dich auf einem Gynmasium angemeldet, obwohl auch jede andere Schule (oder damals: jede Gesamtschule) zum Abitur führt, das überall gleich viel Wert ist, weil es ein Zentralabitur ist. Ich weiß nicht, ob das auf deine Eltern zutrifft, aber ich sehe viele, viele Eltern bei uns in der Umgebung, die aus falschem Ehrgeiz oder Unwissenheit ihre Kinder in das Schnellabitur zwingen. Euch, die ihr die Leidtragenden seid, bedauere ich sehr. Und zwar wirklich. Geht auf die Barrikaden: Gegen falsche Bildungspolitik, vor allem aber gegen eure Eltern, die euch auf die falsche Schule geschickt haben. Wechsele jetzt die Schule, jetzt geht es noch!
Denn aus der Erfahrung mit einer Stadtteilschule (woanders heißen die Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule) weiß ich: Vieles von dem, was du möchtest, wie du dir Unterricht und Wissen vorstellst, was du da in deinem Artikel für die "Zeit" aufschreibst, findest du an einer Stadtteilschule. Einige von denen sind Ganztagesschulen ohne häusliche Hausaufgaben, einige, beispielsweise die, auf die mein Sohn geht, die Stadtteilschule Walddörfer in Volksdorf, sind Halbtagsschulen.
Ich hoffe für dich, dass du einen Weg findest zu leben neben der Schule. Und eine gute Schule findest. Und wenn du mal genau hinsiehst, wirst du merken, dass mehr und mehr gute ehemalige Gymnasiastinnen auf die Stadtteilschulen wechseln. Meine Erfahrung die letzten Jahre - und als Elternrat am Gymnasium bekomme ich ja eine Menge mit - ist diese: Wer am Ende von Klasse 4 in allen "Lernfächern" (also Deutsch, Englisch, Mathe, Natur) mindestens eine 2 hat, in zweien davon auch eine 1. Also in allen, nicht im Schnitt. Der oder die wird ohne massives Lernen durchs Gymnasium kommen, wenn sie oder er nicht in der Pubertät mal den Anschluss verliert.
Wer aber auch nur in einem dieser Fächer schlechter als eine glatte 2 ist und nicht in zweien eine 1 hat, wird nicht mehr wirklich leben können, wenn die Gymnasien in Klasse 6 und 8 das Tempo anziehen. Das sind Kinder, die gut Abitur machen können. Auf der Stadtteilschule. Die ohnehin für eigentlich fast alle Kinder viel besser ist, auch weil sie ein besseres Konzept, Unterrichtskonzept und Lebenskonzept hat, mehr Praktika, interessantere Fächer und so weiter.
Liebe Yakamoz, ich hoffe, dass du die Kurve kriegst. Und wünsche dir ein schönes Schuljahr. Frag mal bei der Stadtteilschule in der deiner Nähe an, vielleicht nehmen die dich ja nach den Herbstferien. Die sind ja bald...
Herzliche Grüße
dein Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach
Warum schreibe ich dir? Weil ich glaube, ziemlich genau zu wissen, was du meinst. Denn ich habe einen Sohn in der 10. Klasse eines Hamburger Gymnasiums und einen in der 9. Klasse einer Stadtteilschule - und bei meinem dritten Sohn steht dieses Schuljahr die Entscheidung an, wo er auf die weiterführende Schule soll oder will.
Und ja, ich kann dich verstehen. Ich kenne Jugendliche wie dich. Nicht allen geht es so, mein Sohn hat das Glück, dass er Sport und Freunde und Hobbys und Job parallel hinbekommt und trotzdem gute Noten schreibt - aber ich weiß, was du meinst. Und ich finde, dass du Recht hast: So geht es nicht.
Nur verstehe ich nicht, warum du die Antwort, die dir die Schulbehörde gab (sinngemäß: "Es gibt ja auch noch die Stadtteilschule"), so brüsk abtust. Weißt du, mein Zweiter, der war auch erst auf dem Gymnasium. Ich gebe zu, das lag vor allem daran, dass wir (also wir Eltern) nicht nachgedacht hatten. Aber darum haben wir dann irgendwann die Notbremse gezogen - und ihm ermöglicht, das Tempo etwas rauszunehmen und trotzdem das Abitur anzustreben. Heute ist er so gut in der Schule wie noch nie, weiß, was er schaffen und werden will - und hat Spaß an der Schule.
Wenn ich mal ganz offen bin: Die, auf die du wirklich böse sein solltest, sind deine Eltern. Denn die haben dich auf einem Gynmasium angemeldet, obwohl auch jede andere Schule (oder damals: jede Gesamtschule) zum Abitur führt, das überall gleich viel Wert ist, weil es ein Zentralabitur ist. Ich weiß nicht, ob das auf deine Eltern zutrifft, aber ich sehe viele, viele Eltern bei uns in der Umgebung, die aus falschem Ehrgeiz oder Unwissenheit ihre Kinder in das Schnellabitur zwingen. Euch, die ihr die Leidtragenden seid, bedauere ich sehr. Und zwar wirklich. Geht auf die Barrikaden: Gegen falsche Bildungspolitik, vor allem aber gegen eure Eltern, die euch auf die falsche Schule geschickt haben. Wechsele jetzt die Schule, jetzt geht es noch!
Denn aus der Erfahrung mit einer Stadtteilschule (woanders heißen die Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule) weiß ich: Vieles von dem, was du möchtest, wie du dir Unterricht und Wissen vorstellst, was du da in deinem Artikel für die "Zeit" aufschreibst, findest du an einer Stadtteilschule. Einige von denen sind Ganztagesschulen ohne häusliche Hausaufgaben, einige, beispielsweise die, auf die mein Sohn geht, die Stadtteilschule Walddörfer in Volksdorf, sind Halbtagsschulen.
Ich hoffe für dich, dass du einen Weg findest zu leben neben der Schule. Und eine gute Schule findest. Und wenn du mal genau hinsiehst, wirst du merken, dass mehr und mehr gute ehemalige Gymnasiastinnen auf die Stadtteilschulen wechseln. Meine Erfahrung die letzten Jahre - und als Elternrat am Gymnasium bekomme ich ja eine Menge mit - ist diese: Wer am Ende von Klasse 4 in allen "Lernfächern" (also Deutsch, Englisch, Mathe, Natur) mindestens eine 2 hat, in zweien davon auch eine 1. Also in allen, nicht im Schnitt. Der oder die wird ohne massives Lernen durchs Gymnasium kommen, wenn sie oder er nicht in der Pubertät mal den Anschluss verliert.
Wer aber auch nur in einem dieser Fächer schlechter als eine glatte 2 ist und nicht in zweien eine 1 hat, wird nicht mehr wirklich leben können, wenn die Gymnasien in Klasse 6 und 8 das Tempo anziehen. Das sind Kinder, die gut Abitur machen können. Auf der Stadtteilschule. Die ohnehin für eigentlich fast alle Kinder viel besser ist, auch weil sie ein besseres Konzept, Unterrichtskonzept und Lebenskonzept hat, mehr Praktika, interessantere Fächer und so weiter.
Liebe Yakamoz, ich hoffe, dass du die Kurve kriegst. Und wünsche dir ein schönes Schuljahr. Frag mal bei der Stadtteilschule in der deiner Nähe an, vielleicht nehmen die dich ja nach den Herbstferien. Die sind ja bald...
Herzliche Grüße
dein Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach
19.8.11
Kurz zur Datenschutzdiskussion rund um Facebook
Heute hat das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schläfrigeswig-Holstein den ersten richtigen Pflock gegen Facebook eingehauen und die lange schon bekannten Datenschutzbedenken mit einer Handlungsanweisung relevant gemacht. Unternehmen aus Schleswig-Holstein (so verstehe ich es) dürfen keine Facebook-Funktionen mehr auf ihren Websites einbinden und keine so genannten "Fanpages", also Profile, auf Facebook mehr betreiben.
Was ich an der Social-Media-Szene übrigens in diesem Zusammenhang schräg finde, ist, dass unendlich viele Leute die Meldung auf Twitter, Facebook, Googleplus weiter gereicht haben - aber kaum eine Meinung oder Einschätzung dazu. Eine der wenigen und auch gleich interessanten kam eben von Till Westermayer, die ich aber nur teilweise teile, siehe unten.
Ich kann einen Teil des Geschreis nicht verstehen, das sich nun gegen das Landeszentrum erhebt. Sicher, die Idee, es gäbe aktuell Alternativen zu Facebook, ist denkbar naiv und wirklichkeitsfern. Aber richtig ist der Hinweis, dass Nutzern von Facebook bewusst sein sollte, dass sie ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht zu einem guten Teil (für das Internet) abgeben, wenn sie Facebook nutzen. Die Stelle, an der Weichert und seine Behörde meiner Meinung nach irren, ist die Annahme, den Nutzern sei das egal oder nicht bekannt - ist es nicht eher so, dass viele mit dieser Aufgabe ihrer Rechte den Komfort bezahlen, den ihnen Facebook bietet? Dass eben die Nutzung zwar kostenfrei aber eben nicht ohne Kosten ist?
Aber zum eigentlichen Punkt: Wer jetzt überrascht ist oder schreit, muss die letzten zwei Jahre unter einem Stein gelebt haben. Wer ein Facebook-Plugin auf seiner Seite eingebaut hat (wie ich auch hier), weiß (oder sollte wissen oder könnte wissen, wenn er jemanden gefragt oder beauftragt hätte, der was davon versteht), dass das gegen jede gute Sitte im Datenschutz verstößt und in Deutschland unter Datenschutzgesichtspunkten illegal ist. Warum wohl machen das beispielsweise die Markenartikler wohl nicht, die unter besonderer Beobachtung der Datenschützer stehen? An diesem Punkt zieht das Landeszentrum nur die notwendige Konsequenz, mit der ich schon lange gerechnet habe. Seriöse Berater haben schon von Anfang an ihre Kunden auf dieses Problem hingewiesen und darauf bestanden, dass der Kunde - wenn er es macht - sich bewusst für diesen Rechtsbruch entscheidet und nicht aus Unwissenheit aus Versehen.
Anders empfinde ich als Nicht-Jurist das Thema bei Facebook-Seiten. Hier laden ja Unternehmen und Marken zunächst lediglich diejenigen ihrer Kunden oder Fans ein, die ohnehin schon ihre Rechte aufgegeben haben. Warum sollen sie das nicht dürfen? Da verstehe ich tatsächlich nicht die Argumentation.
Update 16:18 Uhr
Siehe auch die (verständliche) juristische Einschätzung von Carsten Ulbricht.
/Update
Ein Wort noch zu Facebook: Ich nutze es, auch mit großer Freude, meine Kinder nutzen es, ich rate meinen Kunden, es zu nutzen. Das heißt aber nicht, dass ich es nicht an sich und im Prinzip ablehne. Ich weiß durchaus, was da schief läuft. Und ich entscheide mich bewusst dafür, es trotzdem zu nutzen. Kann aber jede verstehen, die es nicht tut.
Was ich an der Social-Media-Szene übrigens in diesem Zusammenhang schräg finde, ist, dass unendlich viele Leute die Meldung auf Twitter, Facebook, Googleplus weiter gereicht haben - aber kaum eine Meinung oder Einschätzung dazu. Eine der wenigen und auch gleich interessanten kam eben von Till Westermayer, die ich aber nur teilweise teile, siehe unten.
Ich kann einen Teil des Geschreis nicht verstehen, das sich nun gegen das Landeszentrum erhebt. Sicher, die Idee, es gäbe aktuell Alternativen zu Facebook, ist denkbar naiv und wirklichkeitsfern. Aber richtig ist der Hinweis, dass Nutzern von Facebook bewusst sein sollte, dass sie ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht zu einem guten Teil (für das Internet) abgeben, wenn sie Facebook nutzen. Die Stelle, an der Weichert und seine Behörde meiner Meinung nach irren, ist die Annahme, den Nutzern sei das egal oder nicht bekannt - ist es nicht eher so, dass viele mit dieser Aufgabe ihrer Rechte den Komfort bezahlen, den ihnen Facebook bietet? Dass eben die Nutzung zwar kostenfrei aber eben nicht ohne Kosten ist?
Aber zum eigentlichen Punkt: Wer jetzt überrascht ist oder schreit, muss die letzten zwei Jahre unter einem Stein gelebt haben. Wer ein Facebook-Plugin auf seiner Seite eingebaut hat (wie ich auch hier), weiß (oder sollte wissen oder könnte wissen, wenn er jemanden gefragt oder beauftragt hätte, der was davon versteht), dass das gegen jede gute Sitte im Datenschutz verstößt und in Deutschland unter Datenschutzgesichtspunkten illegal ist. Warum wohl machen das beispielsweise die Markenartikler wohl nicht, die unter besonderer Beobachtung der Datenschützer stehen? An diesem Punkt zieht das Landeszentrum nur die notwendige Konsequenz, mit der ich schon lange gerechnet habe. Seriöse Berater haben schon von Anfang an ihre Kunden auf dieses Problem hingewiesen und darauf bestanden, dass der Kunde - wenn er es macht - sich bewusst für diesen Rechtsbruch entscheidet und nicht aus Unwissenheit aus Versehen.
Anders empfinde ich als Nicht-Jurist das Thema bei Facebook-Seiten. Hier laden ja Unternehmen und Marken zunächst lediglich diejenigen ihrer Kunden oder Fans ein, die ohnehin schon ihre Rechte aufgegeben haben. Warum sollen sie das nicht dürfen? Da verstehe ich tatsächlich nicht die Argumentation.
Update 16:18 Uhr
Siehe auch die (verständliche) juristische Einschätzung von Carsten Ulbricht.
/Update
Ein Wort noch zu Facebook: Ich nutze es, auch mit großer Freude, meine Kinder nutzen es, ich rate meinen Kunden, es zu nutzen. Das heißt aber nicht, dass ich es nicht an sich und im Prinzip ablehne. Ich weiß durchaus, was da schief läuft. Und ich entscheide mich bewusst dafür, es trotzdem zu nutzen. Kann aber jede verstehen, die es nicht tut.
17.8.11
Und es ist doch wichtig, das mit Boetticher
Mein erster Reflex war: So what. Geht mich nichts an. Soll er doch eine 16-jährige Freundin haben.
Mein zweiter Reflex war: Die CDU ist gewohnt bigott - macht erst einen Ehebrecher zum Bundespräsidenten und schmeißt dann einen raus, der eine von der Normalität abweichende Beziehung führte.
Das hab ich auch gesagt, beispielsweise auf Twitter und so. Und bei aller persönlichen Sattelfestigkeit in moralischen Fragen rund um Beziehungen und Sexualität, die ich mir selbst bescheinigen würde, wäre die Tatsache, dass Boetticher das anders sieht, kein Grund, ihn abzulehnen. Ja, mir sind Schröder und Fischer mit ihrem nicht ausschließlich serienmonogamen Frauenverschleiß mehr als suspekt (und ich bin sogar davon überzeugt, dass ein großer Teil dessen, was ich weder politisch noch inhaltlich noch menschlich an ihnen ausstehen kann, mit ihrem skurrilen moralischen Kompass zusammen hängt). Aber ich trenne das irgendwie trotzdem.
Und dann dachte ich nach und las das eine oder andere (nein, nicht in Medien, da war nur abstrus von "Affäre" die Rede, was ich immer für eine Umschreibung von Bigamie hielt). Und hörte dies und das von Leuten, die in Schläfrig-Holstein besser vernetzt sind als ich, was mich erschaudern ließ. Und dann war ich erstmal still.
Aber dann las ich diesen abstrusen Beitrag von Richard Herzinger auf Welt Online, der von der üblichen betroffenheitsbesoffenen Clique weiter gereicht wurde, bis er auch bei mir ankam. Und da ist mir der Kragen geplatzt.
Denn trotz allem geht es hier nicht um Moral. Dachte ich auch erst, stimmt aber nicht. Es geht um Reife und um Persönlichkeit und um Haltung. Leider weiß ich nicht mehr, wer es war, der mich (auf Facebook) auf den Gedanken brachte, aber er stimmt. Ich habe ihn offline ausgetestet, er stimmt. Und darum schreibe ich ihn auf:
Ich habe jugendliche Söhne. Ich kenne 16-jährige Mädchen, weil die Jungs mit solchen rumhängen. Ich bin ungefähr so alt wie von Boetticher. Und ja, es kann passieren, dass da Mädchen sind, die flirten, sogar mit mir. Die sind 16, Hallo! Es wäre sogar denkbar, dass sie denken würden, sie wären in mich verliebt (ist mir nicht passiert, so weit ich weiß, aber das wäre rein theoretisch denkbar, wenn man mal von meinem Übergewicht absieht und davon, dass ich komisch bin).
Wie verquer müsste ich sein, wenn ich darin etwas anderes vermuten würde als jugendliche Experiementierlust und Schwärmerei?
Wie weit müssten mein Selbst- und mein Fremdbild auseinanderklaffen? Wie verantwortungslos müsste ich sein? Wie bekloppt sind die, die behaupten, ein Mann in meinem Alter und ein Mädchen im Alter meiner Kinder würden eine gleichberechtigte, symmetrische Beziehung führen können (denn das wäre sie, wenn es Liebe ist, Liebe geht nicht asymmetrisch)?
Meine Frage an von Boetticher ist keine moralische. Es ist eine nach seiner Reife. Und seiner Eignung zu einer Führungsaufgabe. Darum geht die Parallele mit Müntefering oder Kohl oder Seehofer oder sogar Wulff auch fehl. Ja, der eine oder andere mag viel älter sein oder moralisch viel verkommener. Aber außer Ole von Beust ist mir kein Fall bekannt (was nicht viel heißen soll), in der eine derart asymmetrische sexuelle Beziehung öffentlich wurde.
Und asymmetrisch meint hier: Der Erwachsene muss in einer Beziehung zu einem Kind oder Jugendlichen (und zwar in jeder Beziehung, ob wie hier in einer sexuellen oder unter normalen Umständen in einer lehrenden, erziehenden, arbeitenden) immer mehr Verantwortung für die Beziehung übernehmen als das Kind oder die Jugendliche. Selbst in einer auf Partnerschaftlichkeit angelegten Beziehung übernehme ich als (im Idealfall reiferer) Erwachsener ein Mehr an Verantwortung. Alles andere wäre unreif und schädlich.
Und darum bin ich nach einer knappen Woche nun doch der Meinung, dass es mehr als richtig ist, dass von Boetticher keine Führungsaufgabe mehr übernimmt. Weil sein Verhalten uns zeigt, dass er unreif ist, keine Verantwortung übernimmt, sich nicht von außen betrachten kann. Alles Eigenschaften, die mir persönlich wichtig sind bei einem, der das Amt anstrebt, das er anstrebte. Bei aller Leichtigkeit des Seins ist ein bisschen Ernsthaftigkeit nie schädlich. Und ein Kompass auch.
Sonst wird es so wie bei Schröder, Fischer oder von Beust. Das aber wäre eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden könnte...
Mein zweiter Reflex war: Die CDU ist gewohnt bigott - macht erst einen Ehebrecher zum Bundespräsidenten und schmeißt dann einen raus, der eine von der Normalität abweichende Beziehung führte.
Das hab ich auch gesagt, beispielsweise auf Twitter und so. Und bei aller persönlichen Sattelfestigkeit in moralischen Fragen rund um Beziehungen und Sexualität, die ich mir selbst bescheinigen würde, wäre die Tatsache, dass Boetticher das anders sieht, kein Grund, ihn abzulehnen. Ja, mir sind Schröder und Fischer mit ihrem nicht ausschließlich serienmonogamen Frauenverschleiß mehr als suspekt (und ich bin sogar davon überzeugt, dass ein großer Teil dessen, was ich weder politisch noch inhaltlich noch menschlich an ihnen ausstehen kann, mit ihrem skurrilen moralischen Kompass zusammen hängt). Aber ich trenne das irgendwie trotzdem.
Und dann dachte ich nach und las das eine oder andere (nein, nicht in Medien, da war nur abstrus von "Affäre" die Rede, was ich immer für eine Umschreibung von Bigamie hielt). Und hörte dies und das von Leuten, die in Schläfrig-Holstein besser vernetzt sind als ich, was mich erschaudern ließ. Und dann war ich erstmal still.
Aber dann las ich diesen abstrusen Beitrag von Richard Herzinger auf Welt Online, der von der üblichen betroffenheitsbesoffenen Clique weiter gereicht wurde, bis er auch bei mir ankam. Und da ist mir der Kragen geplatzt.
Denn trotz allem geht es hier nicht um Moral. Dachte ich auch erst, stimmt aber nicht. Es geht um Reife und um Persönlichkeit und um Haltung. Leider weiß ich nicht mehr, wer es war, der mich (auf Facebook) auf den Gedanken brachte, aber er stimmt. Ich habe ihn offline ausgetestet, er stimmt. Und darum schreibe ich ihn auf:
Ich habe jugendliche Söhne. Ich kenne 16-jährige Mädchen, weil die Jungs mit solchen rumhängen. Ich bin ungefähr so alt wie von Boetticher. Und ja, es kann passieren, dass da Mädchen sind, die flirten, sogar mit mir. Die sind 16, Hallo! Es wäre sogar denkbar, dass sie denken würden, sie wären in mich verliebt (ist mir nicht passiert, so weit ich weiß, aber das wäre rein theoretisch denkbar, wenn man mal von meinem Übergewicht absieht und davon, dass ich komisch bin).
Wie verquer müsste ich sein, wenn ich darin etwas anderes vermuten würde als jugendliche Experiementierlust und Schwärmerei?
Wie weit müssten mein Selbst- und mein Fremdbild auseinanderklaffen? Wie verantwortungslos müsste ich sein? Wie bekloppt sind die, die behaupten, ein Mann in meinem Alter und ein Mädchen im Alter meiner Kinder würden eine gleichberechtigte, symmetrische Beziehung führen können (denn das wäre sie, wenn es Liebe ist, Liebe geht nicht asymmetrisch)?
Meine Frage an von Boetticher ist keine moralische. Es ist eine nach seiner Reife. Und seiner Eignung zu einer Führungsaufgabe. Darum geht die Parallele mit Müntefering oder Kohl oder Seehofer oder sogar Wulff auch fehl. Ja, der eine oder andere mag viel älter sein oder moralisch viel verkommener. Aber außer Ole von Beust ist mir kein Fall bekannt (was nicht viel heißen soll), in der eine derart asymmetrische sexuelle Beziehung öffentlich wurde.
Und asymmetrisch meint hier: Der Erwachsene muss in einer Beziehung zu einem Kind oder Jugendlichen (und zwar in jeder Beziehung, ob wie hier in einer sexuellen oder unter normalen Umständen in einer lehrenden, erziehenden, arbeitenden) immer mehr Verantwortung für die Beziehung übernehmen als das Kind oder die Jugendliche. Selbst in einer auf Partnerschaftlichkeit angelegten Beziehung übernehme ich als (im Idealfall reiferer) Erwachsener ein Mehr an Verantwortung. Alles andere wäre unreif und schädlich.
Und darum bin ich nach einer knappen Woche nun doch der Meinung, dass es mehr als richtig ist, dass von Boetticher keine Führungsaufgabe mehr übernimmt. Weil sein Verhalten uns zeigt, dass er unreif ist, keine Verantwortung übernimmt, sich nicht von außen betrachten kann. Alles Eigenschaften, die mir persönlich wichtig sind bei einem, der das Amt anstrebt, das er anstrebte. Bei aller Leichtigkeit des Seins ist ein bisschen Ernsthaftigkeit nie schädlich. Und ein Kompass auch.
Sonst wird es so wie bei Schröder, Fischer oder von Beust. Das aber wäre eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden könnte...
12.8.11
Haltet den Dieb
Vor einigen Jahren, die FDP war gerade in einem Trendaufwind, rief bei mir ein Callcenter an. Ein Wahlkampf stand kurz bevor. Umfrage war die Tarnung. "Guten Tag, wir wollen gerne wissen, ob Sie finden, dass Sie zu viele Steuern bezahlen". - "Nein", sagte ich, "finde ich nicht, ich finde, dass ich genau richtig Steuern bezahle, denn ich verdiene gut und zahle gerne Steuern." - Schweigen, nur noch das Gemurmel im Hintergrund war zu hören von den anderen Telefonplätzen oder so. - "Äh, ja, äh, Sie meinen doch sicher, dass Sie zu viele Steuern zahlen?", war die hilflose Frage. Ich hatte sein Script durcheinander gebracht. Die Folgefragen wollten nicht mehr passen.
Selbstverständlich finde ich es doof, dass wir immer durch alle Raster fallen. Den Höchstsatz im Kindergarten zahlen, gerade nicht mehr dies oder selbstverständlich nicht mehr das bekommen. Dass Steuerminimierer um uns herum von ihren Immobilien erzählen und Selbstständige von diesem und jenem.
Selbstverständlich habe ich für viele Dinge, für die meine Steuern ausgegeben werden, andere Ideen, finde manches überflüssig und anderes falsch. Würde massiv - nicht zuletzt dank der vier Kinder - von Steuermodellideen wie denen von Kirchhof profitieren.
Wenn aber nicht diejenigen als Räuber dargestellt werden, die mit einfachen Parolen Steuern weiter senken wollen, um Geld weiter von unten nach oben umzuverteilen, sondern die, die ernsthaft diskutieren, wer welchen Teil schultern soll, um das, was politisch als notwendig beschlossen wurde, zu finanzieren, dann sind die moralischen Koordinaten der Eliten aus den Fugen geraten.
***
Ich gehöre nicht zu denen, die jeden Aufstand, jedes Randalieren gleich mit "den Zuständen" entschuldigen. Die jeden Kriminellen gleich für ein Opfer der Gesellschaft halten. Die die Aufstände von London als eine selbstverständliche Folge von was auch immer interpretieren. Aber ich gehöre zu denen, die einfachen Lösungen misstrauen. Und zu denen, die empfindlich sind, wenn jemand von anderen etwas verlangt, was er oder sie selbst nicht zu tun bereit ist.
Von meinen Kindern zu verlangen, dass sie ihre Jacken aufhängen, aber selbst meine nach dem Reinkommen in die Ecke zu werfen? Keine gute Idee. Von meinen Schülerinnen zu verlangen, ihre Hausaufgaben zu machen, aber selbst Arbeiten erst nach drei Wochen zurück zugeben? Auch keine gute Idee. Und einen privaten 8000-Pfund-Fernseher als Ausgabe beim Parlament einzureichen, aber einen vergleichbaren Diebstahl wortreich anzuprangern, wenn er in Tottenham passiert?
Der Chefkommentator des Telegraph, Peter Osborne, schreibt in seinem Stück The moral decay of our society is as bad at the top as the bottom unter anderem:
Also genau da, wo er bereits steht.
Selbstverständlich finde ich es doof, dass wir immer durch alle Raster fallen. Den Höchstsatz im Kindergarten zahlen, gerade nicht mehr dies oder selbstverständlich nicht mehr das bekommen. Dass Steuerminimierer um uns herum von ihren Immobilien erzählen und Selbstständige von diesem und jenem.
Selbstverständlich habe ich für viele Dinge, für die meine Steuern ausgegeben werden, andere Ideen, finde manches überflüssig und anderes falsch. Würde massiv - nicht zuletzt dank der vier Kinder - von Steuermodellideen wie denen von Kirchhof profitieren.
Wenn aber nicht diejenigen als Räuber dargestellt werden, die mit einfachen Parolen Steuern weiter senken wollen, um Geld weiter von unten nach oben umzuverteilen, sondern die, die ernsthaft diskutieren, wer welchen Teil schultern soll, um das, was politisch als notwendig beschlossen wurde, zu finanzieren, dann sind die moralischen Koordinaten der Eliten aus den Fugen geraten.
***
Ich gehöre nicht zu denen, die jeden Aufstand, jedes Randalieren gleich mit "den Zuständen" entschuldigen. Die jeden Kriminellen gleich für ein Opfer der Gesellschaft halten. Die die Aufstände von London als eine selbstverständliche Folge von was auch immer interpretieren. Aber ich gehöre zu denen, die einfachen Lösungen misstrauen. Und zu denen, die empfindlich sind, wenn jemand von anderen etwas verlangt, was er oder sie selbst nicht zu tun bereit ist.
Von meinen Kindern zu verlangen, dass sie ihre Jacken aufhängen, aber selbst meine nach dem Reinkommen in die Ecke zu werfen? Keine gute Idee. Von meinen Schülerinnen zu verlangen, ihre Hausaufgaben zu machen, aber selbst Arbeiten erst nach drei Wochen zurück zugeben? Auch keine gute Idee. Und einen privaten 8000-Pfund-Fernseher als Ausgabe beim Parlament einzureichen, aber einen vergleichbaren Diebstahl wortreich anzuprangern, wenn er in Tottenham passiert?
Der Chefkommentator des Telegraph, Peter Osborne, schreibt in seinem Stück The moral decay of our society is as bad at the top as the bottom unter anderem:
...take the Salford MP Hazel Blears, who has been loudly calling for draconian action against the looters. I find it very hard to make any kind of ethical distinction between Blears’s expense cheating and tax avoidance, and the straight robbery carried out by the looters.Bert Brecht fragte in der Dreigroschenoper: "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" In jedem Fall aber hängt vieles mit vielem zusammen. Und wer publizistisch und politisch immer wieder die Selbstbedienungsmentalität beschwört (ob nun positiv oder negativ), ist immerhin konsequent, wenn er die, die sie fälschlicherweise auf sich beziehen, außerhalb der Gesellschaft sieht.
The Prime Minister showed no sign that he understood that something stank about yesterday’s Commons debate. He spoke of morality, but only as something which applies to the very poor
Also genau da, wo er bereits steht.
11.8.11
Einfache Lösungen für komplexe Probleme sind immer falsch. Per definitionem
Seit ein paar Tagen ist ein längerer Artikel aus dem Tagesanzeiger Diskussionsstoff im politischen Teil meines Umfeldes. Und er lohnt sich tatsächlich, nicht nur in historischer Perspektive, sondern auch, um ihn zu einem Ausgangspunkt eigener Überlegungen zu machen. Unter der Überschrift Der rechte Abschied von der Politik zeichnet Constantin Seibt eine Entwicklung nach, die uns in Deutschland etwas fremd ist, weil wir - anders als die USA mit der Tea Party und Großbritannien mit den Torys - keine (in seinen Worten) "revolutionäre Rechte" haben, die bisher massive Wirkung entfalten konnte. Sondern bei uns ist dieser revolutionäre Politikansatz in seiner radikalen Form in der um die 5% pendelnden FDP eingehegt ist, in CDU (und mit Abstrichen Grünen und SPD) sind es nur kleine radikale Minderheiten, die von diesem Virus infiziert wurden.
Es lohnt sich, die Analyse von Seibt zu lesen, weil er seine Schlussfolgerungen ausführlich herleitet, die da sind:
Wenn es in Spanien, Frankreich, England sehr unterschiedliche aber doch Aufstände gibt? Wenn zunehmende Gruppen in zerfallenden Gesellschaften, die in den letzten 20 Jahren von der revolutionären Rechten umgebaut wurden, einen anderen Weg als den der Resignation gehen? Wenn diejenigen, die erleben, dass genau die Wege, zu denen die Staatsmacht, die Eliten und Medien sie auffordern (friedliche Proteste), eben nicht dazu führen, dass ihnen zugehört wird, den neurechten Jargon von der Alternativlosigkeit aufgreifen und nutzen. Wer keine Perspektive sieht, für den ist die "Härte des Gesetzes" keine Abschreckung.
Das heißt nicht, dass ich Sympathie oder Verständnis für die Aufstände habe. Das heißt aber, dass ich nicht sehe, wie mit dem bisherigen Politikmodell, das überwiegend im neurechten Jargon gefangen ist (denn auch bei denen, die nicht rechts sind, ist angeblich alternativlose Simplizität en vogue), Aufstände verhindert werden sollen.
Ich denke, dass der Kampf um die Zukunft aktuell zwischen denen geführt wird, die von der Simplifizierung profitieren und sie strategisch im nahezu gramschischen Sinne einsetzen - und denen, die sich genau dieser Simplifizierung widersetzen. Es ist das Wesen revolutionärer (und meiner Meinung nach auch nur revolutionärer) Politikkonzepte, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu haben. Das macht den Charme revolutionärer Ideen ja auch gerade aus.
Falls sich die bürgerlichen Teile der Gesellschaft im ersten Schritt darauf einigen könnten, dass einfache Lösungen für komplexe Probleme immer falsch sind, wäre schon viel gewonnen. Da bin ich übrigens nicht ohne Hoffnung. Dass die FDP in den letzten Monaten hier bei uns in Deutschland so abgeschmiert ist, hängt meines Erachtens genau damit zusammen - dass Menschen ihr das Simplifizierungskonzept nicht mehr abnehmen (und genau wie die FDP, nur um mal die Einwände gleich mit aufzunehmen, ist auch die revolutionäre Rechte in den USA ja nicht traditionell rechts im europäischen Sinne, sondern hat durchaus libertäre Bestandteile, die wir in Europa traditionell liberal nennen). Auch dass Gerhard Schröder damals mit seinem Simplifizierungskonzept so krachend gescheitert ist, war ein gutes Signal. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es in Deutschland eben noch keine Aufstände gibt bisher.
Vielleicht läuft die Linie, an der sich Zerfall oder Integration der Gesellschaft entscheiden wird, tatsächlich entlang der Simplifizierungsfrage. Denn die Simplifizierung der Politik (das zeigt der historische Abriss in Seibts Artikel schön) führt(e) in die Probleme, schuf sie also, auf die vor allem die Opfer dieser Politik mit dem Wunsch nach simplen Antworten reagieren. Ein Wiederlesen von Marcuses eindimensionalem Mensch sei denen empfohlen, die dieser Analyse nicht trauen. Und die Alternative wird dann wohl sein, keine (simplen) Antworten zu geben, sondern sich der Mühe des Prozesses und der "agilen" Antwortfindung zu unterziehen.
Ich will nicht ausschließen, dass ich selbst Opfer des rote-Auto-Syndorms bin. Aber mir scheint, dass es ein weiteres Argument für meine Idee der Volkspartei neuen Typs ist, die ein agiles Politikkonzept hat und Veränderungen moderiert und managet - anstatt auf einfache Antworten zu setzen und damit die Simplifizierung der Politik fortzuschreiben.
Vielleicht ist es schon zu spät und auch wir werden - beispielsweise wenn die Simplifizierer der FDP und die simplifizierenden, also radikalen Teile der CDU auch in 12 Monaten noch (mit)regieren sollten - auch hier mit Aufständen werden leben lernen. Vielleicht aber haben wir eine Alternative. Und ist es nicht faszinierend, dass die Partei, in der dieser neue Politikansatz zumindest gerade diskutiert und an einzelnen Punkten ausprobiert wird, immer mit dem Adjektiv alternativ beschrieben wurde - und genau in dem Moment, da sie wirklich eine Alternative formuliert, dem medialen Vorwurf ausgesetzt ist, eben gerade keine Alternative mehr zu sein?
Es lohnt sich, die Analyse von Seibt zu lesen, weil er seine Schlussfolgerungen ausführlich herleitet, die da sind:
Die neue Rechte wird aus der Krise gestärkt hervorgehen: Sie werden gewählt und befeuert von der Angst und dem Hass der Verlierer, die ihre Politik schafft. Es bleibt kein Weg, die neurechte Wir-oder-Ihr-Position zu vermeiden. Es wird ein langer, harter, zäher, frucht- und freudloser Kampf.Nur was ist zu tun?
Das was sich tun lässt, ist den Kopf dabei nicht zu verlieren. Genau hinzusehen und das allgemeine Gerede nicht einfach zu kopieren. Wie nie zuvor regiert die Ökonomie die Welt und ihre Entscheidungen. Und trotzdem besteht sie fast nur aus Jargon. Wenn verhandelt wird, dann fast nur in Schlagworten, die als Universalrezepte verstanden werden. Meist fällt, irgendwie verlängert, der Jahrhundertsatz, den einst Margaret Thatcher erfand: «There is no alternative!»
Das ist Lüge: Ökonomie ist keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Wer hinsieht, weiss: Es gibt keine Situation ohne Alternativen. Und damit beginnt jede Politik. Es ist Zeit, die selbstverschuldete ökonomische Unmündigkeit hinter sich zu lassen.
... Es lohnt sich, gegen die neue Rechte anzutreten: Sie sind keine konservative Partei, sondern eine revolutionäre. Sie sind eine Gefahr für die Wirtschaft. Sie sind Totengräber der Mittelklasse. Und Verbündete einer neuen Oligarchie des Geldes. Sie sind die Feinde der Zivilisation.
Wenn es in Spanien, Frankreich, England sehr unterschiedliche aber doch Aufstände gibt? Wenn zunehmende Gruppen in zerfallenden Gesellschaften, die in den letzten 20 Jahren von der revolutionären Rechten umgebaut wurden, einen anderen Weg als den der Resignation gehen? Wenn diejenigen, die erleben, dass genau die Wege, zu denen die Staatsmacht, die Eliten und Medien sie auffordern (friedliche Proteste), eben nicht dazu führen, dass ihnen zugehört wird, den neurechten Jargon von der Alternativlosigkeit aufgreifen und nutzen. Wer keine Perspektive sieht, für den ist die "Härte des Gesetzes" keine Abschreckung.
Das heißt nicht, dass ich Sympathie oder Verständnis für die Aufstände habe. Das heißt aber, dass ich nicht sehe, wie mit dem bisherigen Politikmodell, das überwiegend im neurechten Jargon gefangen ist (denn auch bei denen, die nicht rechts sind, ist angeblich alternativlose Simplizität en vogue), Aufstände verhindert werden sollen.
Ich denke, dass der Kampf um die Zukunft aktuell zwischen denen geführt wird, die von der Simplifizierung profitieren und sie strategisch im nahezu gramschischen Sinne einsetzen - und denen, die sich genau dieser Simplifizierung widersetzen. Es ist das Wesen revolutionärer (und meiner Meinung nach auch nur revolutionärer) Politikkonzepte, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu haben. Das macht den Charme revolutionärer Ideen ja auch gerade aus.
Falls sich die bürgerlichen Teile der Gesellschaft im ersten Schritt darauf einigen könnten, dass einfache Lösungen für komplexe Probleme immer falsch sind, wäre schon viel gewonnen. Da bin ich übrigens nicht ohne Hoffnung. Dass die FDP in den letzten Monaten hier bei uns in Deutschland so abgeschmiert ist, hängt meines Erachtens genau damit zusammen - dass Menschen ihr das Simplifizierungskonzept nicht mehr abnehmen (und genau wie die FDP, nur um mal die Einwände gleich mit aufzunehmen, ist auch die revolutionäre Rechte in den USA ja nicht traditionell rechts im europäischen Sinne, sondern hat durchaus libertäre Bestandteile, die wir in Europa traditionell liberal nennen). Auch dass Gerhard Schröder damals mit seinem Simplifizierungskonzept so krachend gescheitert ist, war ein gutes Signal. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es in Deutschland eben noch keine Aufstände gibt bisher.
Vielleicht läuft die Linie, an der sich Zerfall oder Integration der Gesellschaft entscheiden wird, tatsächlich entlang der Simplifizierungsfrage. Denn die Simplifizierung der Politik (das zeigt der historische Abriss in Seibts Artikel schön) führt(e) in die Probleme, schuf sie also, auf die vor allem die Opfer dieser Politik mit dem Wunsch nach simplen Antworten reagieren. Ein Wiederlesen von Marcuses eindimensionalem Mensch sei denen empfohlen, die dieser Analyse nicht trauen. Und die Alternative wird dann wohl sein, keine (simplen) Antworten zu geben, sondern sich der Mühe des Prozesses und der "agilen" Antwortfindung zu unterziehen.
Ich will nicht ausschließen, dass ich selbst Opfer des rote-Auto-Syndorms bin. Aber mir scheint, dass es ein weiteres Argument für meine Idee der Volkspartei neuen Typs ist, die ein agiles Politikkonzept hat und Veränderungen moderiert und managet - anstatt auf einfache Antworten zu setzen und damit die Simplifizierung der Politik fortzuschreiben.
Vielleicht ist es schon zu spät und auch wir werden - beispielsweise wenn die Simplifizierer der FDP und die simplifizierenden, also radikalen Teile der CDU auch in 12 Monaten noch (mit)regieren sollten - auch hier mit Aufständen werden leben lernen. Vielleicht aber haben wir eine Alternative. Und ist es nicht faszinierend, dass die Partei, in der dieser neue Politikansatz zumindest gerade diskutiert und an einzelnen Punkten ausprobiert wird, immer mit dem Adjektiv alternativ beschrieben wurde - und genau in dem Moment, da sie wirklich eine Alternative formuliert, dem medialen Vorwurf ausgesetzt ist, eben gerade keine Alternative mehr zu sein?
9.8.11
Die Neue Volkspartei erleben und ausprobieren
Als ich das Promovideo von Metaio zur Wahlkampf-App der Berliner Grünen sah, war ich sehr aufgeregt. Und das liegt nur zum Teil an dem Video und der sehr gut umgesetzten Mitmachidee, seht selbst:
Noch mehr liegt es daran, dass zusammen mit der Website diese App ein Symbol für einen neuen Politikansatz ist. Ehrlich gesagt, wäre ich mir nicht sicher, ob die Berliner Grünen sich wirklich bewusst sind, was da passiert. Die Diskussionsansätze, die dieses Dingens im internen Forum meines Landesverbands ausgelöst hat, zeigen mir, wie sehr Website und App tatsächlich für das stehen, was ich Neue Volkspartei oder Volkspartei neuen Typs nenne (meine gesammelten Ergüsse dazu hier im Blog unter dem Label "grüne").
Denn tatsächlich war die erwartbare (interne) Kritik die nach den eigenen Inhalten und Positionen und den "Mühen der Ebene". Tatsächlich ist der Charme und das Elektrisierende dieser Mitsprachestadt nicht mehr in den - jetzt mal bös überzeichnet - Weltbeglückungsansätzen traditioneller grüner Politik erklärbar. Wahrscheinlich kann auch wirklich nicht begreifen, was da passiert, wer grüne Politik als die Durchsetzung von Positionen begreift.
Mit einer Position und Haltung zu den Problemen der Stadt (das ja!) geht ein solches neues Konzept den Weg, Menschen zu beteiligen, ihre Wünsche zu moderieren, politische Beteiligung zu managen. Das ist nicht sexy und führt vielleicht nicht dazu, dass 150% überzeugte Grüne zufrieden sein werden - aber es trifft den Geist der neuen Bürgerlichkeit, des neuen Engagierens und der Rationalität aus dem Gefühl heraus. (Und im Übrigens ist dies wohl auch mittelfristig der einzige Weg, Gewalteruptionen vielleicht zu verhindern, London grüßt.)
Tatsächlich ist die "Neue Politische Kultur", die Renate Künast ausgerufen hat, weit radikaler als es uns heute auf der Oberfläche erscheint. Und sie lässt sich auch nicht kaputt machen durch so dummerhaftige Anfängerfehler, wie sie Andreas gemacht hat (den ich mag und mit dem ich zusammen gearbeitet habe).
Grüne haben die Chance, die echte Alternative zu werden, die sie so lange im Namen und als Monstranz vor sich her getragen haben. Ironischerweise gerade jetzt, wo ihnen vorgeworfen wird, sie seien so bürgerlich geworden und hätten ihre Wurzeln oder so was verraten, lösen sie erstmals mit einem echten alternativen Politikansatz ein, was sie versprochen haben: eben andere Politik.
Dieses, was ich hier sehe, ist sehr umstritten. Mir wird in der Partei vorgeworfen, es sei inhaltsfrei oder beliebig, wenn es mir um einen anderen politischen Prozess und eine Haltung zu Politik an sich geht, die die Neue Volkspartei ausmachen. Aber das mag daran liegen, dass mir der Bündnis 90 Teil eh immer näher lag als der Grüne. Grüne Volkspartei bedient ein emanzipatorisches Lebensgefühl und ein bürgerliches Engagement, das dazu führen kann, diese Republik radikaler zu verändern als es jede Projektorientierung der Grünen bisher vermocht hat.
Das finde ich so aufregend gerade.
(disclosure: Ich bin funktionsloses Mitglied bei den Grünen in Hamburg. Und ich mag metaio und habe bei zwei Kundenprojekten mit ihnen zusammen gearbeitet.)
Noch mehr liegt es daran, dass zusammen mit der Website diese App ein Symbol für einen neuen Politikansatz ist. Ehrlich gesagt, wäre ich mir nicht sicher, ob die Berliner Grünen sich wirklich bewusst sind, was da passiert. Die Diskussionsansätze, die dieses Dingens im internen Forum meines Landesverbands ausgelöst hat, zeigen mir, wie sehr Website und App tatsächlich für das stehen, was ich Neue Volkspartei oder Volkspartei neuen Typs nenne (meine gesammelten Ergüsse dazu hier im Blog unter dem Label "grüne").
Denn tatsächlich war die erwartbare (interne) Kritik die nach den eigenen Inhalten und Positionen und den "Mühen der Ebene". Tatsächlich ist der Charme und das Elektrisierende dieser Mitsprachestadt nicht mehr in den - jetzt mal bös überzeichnet - Weltbeglückungsansätzen traditioneller grüner Politik erklärbar. Wahrscheinlich kann auch wirklich nicht begreifen, was da passiert, wer grüne Politik als die Durchsetzung von Positionen begreift.
Mit einer Position und Haltung zu den Problemen der Stadt (das ja!) geht ein solches neues Konzept den Weg, Menschen zu beteiligen, ihre Wünsche zu moderieren, politische Beteiligung zu managen. Das ist nicht sexy und führt vielleicht nicht dazu, dass 150% überzeugte Grüne zufrieden sein werden - aber es trifft den Geist der neuen Bürgerlichkeit, des neuen Engagierens und der Rationalität aus dem Gefühl heraus. (Und im Übrigens ist dies wohl auch mittelfristig der einzige Weg, Gewalteruptionen vielleicht zu verhindern, London grüßt.)
Tatsächlich ist die "Neue Politische Kultur", die Renate Künast ausgerufen hat, weit radikaler als es uns heute auf der Oberfläche erscheint. Und sie lässt sich auch nicht kaputt machen durch so dummerhaftige Anfängerfehler, wie sie Andreas gemacht hat (den ich mag und mit dem ich zusammen gearbeitet habe).
Grüne haben die Chance, die echte Alternative zu werden, die sie so lange im Namen und als Monstranz vor sich her getragen haben. Ironischerweise gerade jetzt, wo ihnen vorgeworfen wird, sie seien so bürgerlich geworden und hätten ihre Wurzeln oder so was verraten, lösen sie erstmals mit einem echten alternativen Politikansatz ein, was sie versprochen haben: eben andere Politik.
Dieses, was ich hier sehe, ist sehr umstritten. Mir wird in der Partei vorgeworfen, es sei inhaltsfrei oder beliebig, wenn es mir um einen anderen politischen Prozess und eine Haltung zu Politik an sich geht, die die Neue Volkspartei ausmachen. Aber das mag daran liegen, dass mir der Bündnis 90 Teil eh immer näher lag als der Grüne. Grüne Volkspartei bedient ein emanzipatorisches Lebensgefühl und ein bürgerliches Engagement, das dazu führen kann, diese Republik radikaler zu verändern als es jede Projektorientierung der Grünen bisher vermocht hat.
Das finde ich so aufregend gerade.
(disclosure: Ich bin funktionsloses Mitglied bei den Grünen in Hamburg. Und ich mag metaio und habe bei zwei Kundenprojekten mit ihnen zusammen gearbeitet.)
6.8.11
Ein bewundertes Vorbild ist tot: Alfred Schulz
Vor zwei Jahren rief er mich an. Und obwohl ich ihn da schon rund zehn Jahre nicht mehr gesehen hatte, habe ich seine Stimme gleich erkannt. Auch wenn sie alt und brüchig geworden war. Er rief an, weil er gehört hatte, dass rund ein Jahr vorher meine Mutter gestorben war. Die beiden kannten sich aus der gemeinsamen ehrenamtlichen Arbeit im Kirchenkreis. So hatte ich ihn auch kennen gelernt: Wir waren gemeinsam in der Nordelbischen Synode und in der Kirchenkreissynode Stormarn.
Alfred Schulz war damals schon alt. Äußerlich. Seine Haltung und sein Geist habe ich immer als sehr jung empfunden. Er hat mich - so habe ich es dankbar erlebt - ein bisschen unter seine Fittiche genommen, als ich, gerade aus der Schule raus, als Jüngster (und Linkester) in das Landesparlament unserer Kirche einzog. Er war einer der wenigen, die nicht gelacht haben, wenn ich die ersten Jahre in diesem Parlament ganz konsequent (und meistens als einer von zwei oder drei) den Haushalt komplett abgelehnt habe, was ich (bestimmt gibt es das noch als Wortprotokoll, muss ich mal suchen) immer ausführlich begründet habe - und immer mit der grundsätzlichen kapitalistischen Ausrichtung der Finanzen (vor allem Kredite und Zinsen).
Sehr gerne hätte ich Alfred damals zu den Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten geholt, deren Bundessprecher ich war. Er war auch ein paar Mal da, mit uns in vielem einig, aber wollte nicht mehr ein weiteres Feld bestellen. Seine intensive Arbeit mit und für Sinti (oder Roma?) hat ihn neben all den anderen Dingen sehr ausgefüllt.
Ich selbst war gerade aus unserer gemeinsamen Partei, über die wir so viel sprachen und an der wir so sehr litten, ausgetreten, weil unser Schleswig-Holsteiner Bundesvorsitzende Engholm in der Flüchtlingsfrage umgekippt war. Jedenfalls sprachen wir über Linke und die SPD. Alfred sagte, dass er als gerade erst ehemaliger Spitzenfunktionär (er war Vizepräseident des Landtages gewesen, bis er 1992 nicht mehr angetreten war) nicht austreten könne und wolle. Und dass er erst ginge, wenn ein USPD-Projekt mit wirklicher Aussicht auf Erfolg möglich sei. Das hat mich beeindruckt und überzeugt - ich war später noch einmal in der SPD, bevor mich mein Weg zu den Grünen führte. Er blieb auch in der SPD, als es eine USPD gab. So wie ich ihn erlebt habe, wird er mit den Genossen, die im Westen die Linke gegründet haben, nicht viel angefangen können haben.
Es gibt nur wenige Menschen, die mich politisch so geprägt haben wie Alfred und dabei menschlich so beeindruckt. Dorothee Sölle, Reinhard Gaede und vielleicht noch ein oder zwei weitere. Er aber wird immer einen Platz in meiner Erinnerung haben. Denn ich bin ihm dankbar, was er für mich getan hat, wie er mich auch als sehr jungen Menschen immer ernst genommen hat - und wie er sich immer wieder an mich erinnerte.
Schade, dass ich erst die heute im Abendblatt veröffentlichten Traueranzeigen sah, ich wäre gerne auf seinem letzten Weg dabei gewesen.
Alfred Schulz war damals schon alt. Äußerlich. Seine Haltung und sein Geist habe ich immer als sehr jung empfunden. Er hat mich - so habe ich es dankbar erlebt - ein bisschen unter seine Fittiche genommen, als ich, gerade aus der Schule raus, als Jüngster (und Linkester) in das Landesparlament unserer Kirche einzog. Er war einer der wenigen, die nicht gelacht haben, wenn ich die ersten Jahre in diesem Parlament ganz konsequent (und meistens als einer von zwei oder drei) den Haushalt komplett abgelehnt habe, was ich (bestimmt gibt es das noch als Wortprotokoll, muss ich mal suchen) immer ausführlich begründet habe - und immer mit der grundsätzlichen kapitalistischen Ausrichtung der Finanzen (vor allem Kredite und Zinsen).
Sehr gerne hätte ich Alfred damals zu den Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten geholt, deren Bundessprecher ich war. Er war auch ein paar Mal da, mit uns in vielem einig, aber wollte nicht mehr ein weiteres Feld bestellen. Seine intensive Arbeit mit und für Sinti (oder Roma?) hat ihn neben all den anderen Dingen sehr ausgefüllt.
Ich selbst war gerade aus unserer gemeinsamen Partei, über die wir so viel sprachen und an der wir so sehr litten, ausgetreten, weil unser Schleswig-Holsteiner Bundesvorsitzende Engholm in der Flüchtlingsfrage umgekippt war. Jedenfalls sprachen wir über Linke und die SPD. Alfred sagte, dass er als gerade erst ehemaliger Spitzenfunktionär (er war Vizepräseident des Landtages gewesen, bis er 1992 nicht mehr angetreten war) nicht austreten könne und wolle. Und dass er erst ginge, wenn ein USPD-Projekt mit wirklicher Aussicht auf Erfolg möglich sei. Das hat mich beeindruckt und überzeugt - ich war später noch einmal in der SPD, bevor mich mein Weg zu den Grünen führte. Er blieb auch in der SPD, als es eine USPD gab. So wie ich ihn erlebt habe, wird er mit den Genossen, die im Westen die Linke gegründet haben, nicht viel angefangen können haben.
Es gibt nur wenige Menschen, die mich politisch so geprägt haben wie Alfred und dabei menschlich so beeindruckt. Dorothee Sölle, Reinhard Gaede und vielleicht noch ein oder zwei weitere. Er aber wird immer einen Platz in meiner Erinnerung haben. Denn ich bin ihm dankbar, was er für mich getan hat, wie er mich auch als sehr jungen Menschen immer ernst genommen hat - und wie er sich immer wieder an mich erinnerte.
Schade, dass ich erst die heute im Abendblatt veröffentlichten Traueranzeigen sah, ich wäre gerne auf seinem letzten Weg dabei gewesen.
2.8.11
Wenn es einen Sinn haben soll
Heute wäre meine Mutter 65 Jahre jung geworden. Und auch wenn hätte, würde, sollte immer doof ist, hätte sie das schaffen können, wenn sie nicht so große Angst vor der Krankheit gehabt hätte, die sie so früh in die Nacht geführt hat.
Denn meine Mutter hatte Alzheimer. Die frühe Form, die vor allem bei Frauen vorkommt, familiär gehäuft (also möglicherweise mit einer Disposition verbunden ist), und ähnlich schlecht behandelbar wie alle diese Demenzerkrankungen. Oder eben ähnlich gut.
Was so tragisch war: Wir haben recht früh schon mit ihr über unseren Verdacht gesprochen, haben sie gebeten, Alzheimer ausschließen zu lassen. Das hat sie sehr verletzt. Denn so lange sie noch sprechen konnte, ist dieses Wort nicht über ihre Lippen gekommen. Gegen Ende ist sie immer in Tränen ausgebrochen, wenn wir es benutzt haben. Jahre, nachdem sie erstmals beim Neurologen war, vor allem um das andere, was als Drohung im Raum stand, einen Tumor, auszuschließen, ist es erst diagnostiziert worden. Nach dem ersten Gang zum Facharzt ist sie nicht mehr hingegangen, hat sie MRT- oder Röntgenbilder nicht mit ihm besprochen. Als sie dann wieder hinging, unfreiwillig, mehrere Jahre später, und der Arzt die Bilder von damals sah, wurde er blass. Denn da sah man schon, was am Entstehen gewesen war. Jahre vorher. Es sei ihm damals durchgerutscht. Und sie sei ja nicht gekommen.
Das Tragische an Demenzerkrankungen ist, dass die Patienten als erstes merken, dass etwas nicht stimmt. Dass die sich mehr als sonst anstrengen müssen, um dabei zu sein, um weiterhin ansprechbar zu bleiben, um sie selbst zu sein. Und sicher nicht nur für meine Mutter war es etwas, das sie nicht wahrhaben wollte. Denn sie hat ihr ganzes Leben dafür gekämpft, unabhängig zu sein. Hat immer damit gehadert, dass sie nicht Abitur machen durfte, nicht das lernen durfte, was sie wollte, nicht berufstätig war, nicht eigentlich unabhängig. Sie hat sich durch ihre Intelligenz definiert, durch ihre Ehrenämter, teilweise, denke ich, durch meine Erfolge in der Schule. Aber gerade die Intelligenz ging verloren. Das war eine Verletzung, der sie sich nicht stellen konnte, für die ihre Kraft nicht reichte.
Wenn, wenn, wenn.
Aber dennoch: Wenn sie damals, als sie es merkte, oder wenigstens damals, als wir anfingen, es zu merken und Fragen zu stellen, gegen gesteuert hätte, mit Training, mit Medikamenten, dann könnte sie noch leben. So weit sind wir heute immerhin.
Ich habe mir vorgenommen, achtsamer mit so etwas zu sein. Mich der Angst zu stellen, wenn es sein muss. Ob mir das gelingen wird, weiß ich nicht, denn ich gehe auch nicht gern zum Arzt. Wer tut das schon.
Und ich habe einen sehr, sehr großen Respekt vor einem Menschen in meinem Umfeld, der sich, ohne allzu offensichtliche Symptome bisher, der Frage gestellt hat, ob er Parkinson hat. Und nun, nach der sehr frühen Diagnose, gegensteuert.
Das Schicksal meiner Mutter, das wäre mir wichtig, sollte andere ermutigen, genau dieses zu tun. Es hilft ihr nicht mehr. Und es hilft auch uns nicht, dass wir uns fragen, ob wir sie damals mehr hätten bedrängen sollen. Sie war schon so wahnsinnig verletzt über das, was ich zu ihr gesagt habe, wie ich später in Notizen von ihr gelesen habe.
Heute wäre sie 65 Jahre jung geworden. Sie war nur wenige Jahre älter als ich heute, als es bei ihr losging mit Alzheimer. Ich vermisse sie immer noch.
Denn meine Mutter hatte Alzheimer. Die frühe Form, die vor allem bei Frauen vorkommt, familiär gehäuft (also möglicherweise mit einer Disposition verbunden ist), und ähnlich schlecht behandelbar wie alle diese Demenzerkrankungen. Oder eben ähnlich gut.
Was so tragisch war: Wir haben recht früh schon mit ihr über unseren Verdacht gesprochen, haben sie gebeten, Alzheimer ausschließen zu lassen. Das hat sie sehr verletzt. Denn so lange sie noch sprechen konnte, ist dieses Wort nicht über ihre Lippen gekommen. Gegen Ende ist sie immer in Tränen ausgebrochen, wenn wir es benutzt haben. Jahre, nachdem sie erstmals beim Neurologen war, vor allem um das andere, was als Drohung im Raum stand, einen Tumor, auszuschließen, ist es erst diagnostiziert worden. Nach dem ersten Gang zum Facharzt ist sie nicht mehr hingegangen, hat sie MRT- oder Röntgenbilder nicht mit ihm besprochen. Als sie dann wieder hinging, unfreiwillig, mehrere Jahre später, und der Arzt die Bilder von damals sah, wurde er blass. Denn da sah man schon, was am Entstehen gewesen war. Jahre vorher. Es sei ihm damals durchgerutscht. Und sie sei ja nicht gekommen.
Das Tragische an Demenzerkrankungen ist, dass die Patienten als erstes merken, dass etwas nicht stimmt. Dass die sich mehr als sonst anstrengen müssen, um dabei zu sein, um weiterhin ansprechbar zu bleiben, um sie selbst zu sein. Und sicher nicht nur für meine Mutter war es etwas, das sie nicht wahrhaben wollte. Denn sie hat ihr ganzes Leben dafür gekämpft, unabhängig zu sein. Hat immer damit gehadert, dass sie nicht Abitur machen durfte, nicht das lernen durfte, was sie wollte, nicht berufstätig war, nicht eigentlich unabhängig. Sie hat sich durch ihre Intelligenz definiert, durch ihre Ehrenämter, teilweise, denke ich, durch meine Erfolge in der Schule. Aber gerade die Intelligenz ging verloren. Das war eine Verletzung, der sie sich nicht stellen konnte, für die ihre Kraft nicht reichte.
Wenn, wenn, wenn.
Aber dennoch: Wenn sie damals, als sie es merkte, oder wenigstens damals, als wir anfingen, es zu merken und Fragen zu stellen, gegen gesteuert hätte, mit Training, mit Medikamenten, dann könnte sie noch leben. So weit sind wir heute immerhin.
Ich habe mir vorgenommen, achtsamer mit so etwas zu sein. Mich der Angst zu stellen, wenn es sein muss. Ob mir das gelingen wird, weiß ich nicht, denn ich gehe auch nicht gern zum Arzt. Wer tut das schon.
Und ich habe einen sehr, sehr großen Respekt vor einem Menschen in meinem Umfeld, der sich, ohne allzu offensichtliche Symptome bisher, der Frage gestellt hat, ob er Parkinson hat. Und nun, nach der sehr frühen Diagnose, gegensteuert.
Das Schicksal meiner Mutter, das wäre mir wichtig, sollte andere ermutigen, genau dieses zu tun. Es hilft ihr nicht mehr. Und es hilft auch uns nicht, dass wir uns fragen, ob wir sie damals mehr hätten bedrängen sollen. Sie war schon so wahnsinnig verletzt über das, was ich zu ihr gesagt habe, wie ich später in Notizen von ihr gelesen habe.
Heute wäre sie 65 Jahre jung geworden. Sie war nur wenige Jahre älter als ich heute, als es bei ihr losging mit Alzheimer. Ich vermisse sie immer noch.
1.8.11
Das pralle Leben
In einem kleinen Blogeintrag voller Polemik schreibt Konstantin Klein etwas auf, was zu den Dingen gehört, die ich in meinen Basisvorträgen und Seminaren und Schulungen und Dingens immer und immer wieder sage, oft zum Erstaunen der Zuhörer, die es aber, einmal gehört und bedacht, nahezu immer auch so sehen, weil es eben, ob man es glaubt oder nicht, erstaunlich offensichtlich ist:
Das Internet ist nicht nur keine fremde Welt, es ist überhaupt keine. Das Netz ist das Abbild der realen Welt mit medialen Mitteln, genauso wie es Bilder sind (die nicht auf Flickr zu finden sein müssen), Videos (die nicht auf YouTube laufen), Texte, die nicht nur als HTML-Dateien vorkommen, sondern als gedruckte Texte in Zeitungen, Zeitschriften und – Achtung, Achtung! – Büchern, als gesprochene Texte in der Diskussion am Stammtisch genauso wie in der Feierstunde in Schloss Bellevue, Ideen, wie sie in unser aller Köpfen (von Ausnahmen abgesehen) entstehen und sich den Weg in eine Art von Öffentlichkeit bahnen. Dass dieses Abbild sich manchmal etwas bunter und chaotischer darstellt, als ihr verknusen könnt, liegt daran, dass die Welt etwas bunter und chaotischer ist, als ihr euch vorstellen wollt.Wer das einmal für sich verstanden hat, hat keine Angst mehr vor dem Internetz. Manch eine bekommt dann allerdings Angst vor dem Leben. Das aber wiederum steht auf einem ganz anderen Blatt.
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