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12.6.24

Wie ihre Eltern

In meiner Umgebung hat das Wahlverhalten der jungen Menschen die größte Erschütterung ausgelöst. Mir macht das auch Angst, obwohl es mich weder überrascht noch erschüttert. Aber die Angst kommt von ganz anderen Beobachtungen. Und bezieht sich dann auch wiederum fast mehr auf deren Eltern als auf sie selbst.

Beobachtungen ist dabei das Stichwort. Euphemistisch nenne ich diese anekdotische Evidenz ja gerne Privatempirie. Und ich überschätze sie nicht. Allerdings habe ich in den letzten Jahren gemerkt, dass mich genau dieses Beobachten, diese Privatempirie, nicht so selten schon früher etwas hat erkennen lassen, das dann deutlich später auch echt empirisch gemessen werden konnte oder sich in (Wahl-) Ergebnissen niederschlug. Seitdem bin ich da etwas hellhöriger und lasse mich auch nicht mehr vom Vorwurf, ich würde das alles zu schwarz sehen, irritieren. War bei der US-Wahl 2016 und beim Brexit ja auch nicht zu schwarz sondern leider richtig.

7.3.24

2028

Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht grün
 
Als sie der Bürgermeisterin die Scheibe einwarfen
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht in der Kommunalpolitik

Als sie die Arbeitslosen in Zwangsarbeit schickten
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht arbeitslos

6.7.23

Ja, selbstverständlich

Darf man das, zitiert Gabriele Fischer heute früh einen jungen Mann, dem sie auf einer Veranstaltung begegnete. Darf ich fröhlich sein, darf ich ausgelassen feiern, angesichts des Zustands der Welt und der Situation so vieler anderer Menschen, war seine Frage, wenn ich das richtig verstanden habe. Und tatsächlich ist diese Frage ja nicht neu. Ganz und gar nicht. Am Beginn meines Studiums, rund um den Jahreswechsel 1990 und auch in den Jahren danach haben das sehr viele Menschen, die ich kannte, genau so gefragt.

NoFutureHauk

16.5.23

Es geht los

Das erste Fohlen ist da, drei sollen es dieses Jahr werden, wenn alles losgeht. Passend am ersten Tag, der nicht mehr schön und warm war, wollte es also raus. Naja. Wir freuen uns trotzdem. Es ist ein Falbe und ein Hengst. Auch, wenn ich erst dachte, es werde ein Braunfalbe sein, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass es ein Mausefalbe ist. Zumal seine Mutter wahrscheinlich auch mausfalben ist. 

Herzlich Willkommen, kleiner Áli. Mehr Fotos im Pferdeblog.

Áli von Heidhörn mit seiner MutterÁli von Heidhörn mit seiner MutterÁli von Heidhörn mit seiner Mutter



24.2.20

Warum es ein gutes Zeichen ist, dass die Prognose bei der AfD so daneben lag

Nun sind die Faschisten doch drin geblieben in Hamburg bei der Bürgerschaftswahl. Und das, obwohl beide 18-Uhr-Prognosen sich ziemlich sicher waren, dass Hamburg sie rausgewählt hat. Das ist doof, denn das Signal, dass der Spuk zu Ende gehen könnte, wäre schon schön gewesen. Aber es ist auch nicht dramatisch, denn sie haben verloren. Und über 70% der Hamburgerinnen haben Parteien gewählt, die stabil und ohne zu zucken gegen Faschisten stehen und standen.

Dennoch finde ich es bemerkenswert, wie stark die Prognose daneben lag – ganz anders als bei den anderen Parteien. Zur ersten Prognose waren sich die Forscherinnen recht sicher, dass es nicht reichen wird. Um zu verstehen, wieso das ein gutes Zeichen ist, genügt ein Blick auf das Instrument Prognose:

Die 18-Uhr-Prognosen entsteht ja aus so genannten Nachwahlbefragungen. Da werden also noch keine ersten Stimmzettel angeguckt – sondern es werden Wählerinnen in einigen Wahllokalen nach ihrer Wahl befragt, wen sie gewählt haben. Als ich noch in Hamburg wohnte, war das beispielsweise in einem Wahlbezirk in unserem Wahllokal am Stadtrand der Fall. Mit den Ergebnissen dieser Befragung schätzen die Forscherinnen dann das Ergebnis. Und diese Schätzung ist traditionell recht gut. Bei den letzten Wahlen (im Osten vor allem) auch bei den Faschisten.

Wer sich mit Befragungen beschäftigt, weiß, dass es Dinge gibt, die Menschen auch in einer relativ geschützten Umgebung nicht gerne zugeben. Es gibt dann immer welche, die auf so genanntes sozial erwünschtes Verhalten zurückgreifen. Sprich: einfach die Unwahrheit sagen. Die Wahl von Faschisten gehört zu den Dingen, die viele nicht zugeben mögen. Darum werden die Zahlen bei der Prognose eben nicht eins zu eins übernommen – sondern mit Erfahrungswerten modelliert.

Offenbar haben in Hamburg so wenige Leute zugegeben, die Faschisten gewählt zu haben, dass selbst die Korrektur noch nahelegte, dass sie unter 5% bleiben. Heißt also: anders als im Osten und anders als bei den letzten Wahlen in Hamburg haben sie sich deutlich mehr geschämt und wussten deutlich besser, wen und was sie da wählen.

Es waren also zu einem großen Teil eben keine Protestwählenden mehr, sondern echte Rechtsradikale, die wissen, dass rechtsradikal sein nicht als normal und akzeptabel gilt.

Ausgrenzung wirkt! 

Denn nicht zugeben zu mögen, dass ich Faschisten toll finde, ist der erste Schritt. Rechtsradikale Meinungen sind so lange kein "Problem", so lange sie nicht zur Wahl von Faschisten führen (also klar sind sie ein Problem, aber wir können mehr oder weniger damit leben, haben wir ja auch in den 80ern und 90ern, als diese Leute überwiegend nicht wählten oder eben eine der beiden großen Parteien, wofür ich immer dankbar war).

Offenbar ist in Hamburg gelungen, was die AfD ja auch am Abend in jedes Mikrofon klagte: sie auszugrenzen. Und während schon länger klar war, dass "mit Nazis reden" oder "die Sorgen Ernst nehmen" als Konzept gescheitert war, hat Hamburg gezeigt, dass Ausgrenzen funktioniert. Weniger als jemals seit ihrem Aufstieg wurden die Faschisten gewählt. Erstmal haben sie keinen Zuwachs erzielt sondern verloren. Und erstmals haben sich die Menschen geschämt, die sie gewählt haben. Sie sind wahrscheinlich unverbesserlich. Aber alle die, die dazu gehören wollen, denen wichtig ist, dass ihre Nachbarinnen und Familien sie für "noch ok" halten, die sich als Mitte der Gesellschaft erleben - alle diese wählten diesmal keine Faschisten (mehr). Und das ist ein wirklich, wirklich gutes Zeichen.

1.4.19

Wut

C.Suthorn, Frida Eddy Prober 2019 / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

Ich bin ganz fasziniert, dass die Kinder lachen, wenn ich die Bilder von Freitagsdemos sehe. Denn eigentlich hätten sie allen Grund sauwütend zu sein. Ich mein, ich bin ja froh, dass sie es nicht sind. Denn Wut und Angst sind anti-politisch. Und wahrscheinlich unterscheidet das die nächste Generation von den ekligen Krakeelbratzen meiner Generation, die vor einigen Jahren anfingen, montags ostdeutsche Städte mit ihrer Wut zu zerstören. Dass sie, also die Kinder, politisch sind. Und dann auch noch weit politischer als die meisten, die Politik als Beruf haben. Wie beispielsweise den Kasper:

Abgesehen davon, dass sie ja noch was unterscheidet von den Krakeelbratzen: dass sie nicht Ernst genommen werden. Dass ihre Proteste keine Konsequenzen haben. Vielleicht müssen sie erst wütend werden. Könnte ich auch verstehen. Ebenso wie ich verstehen könnte, wenn sie in den Widerstand gingen und die Zukunft selbst durchzusetzen versuchten.

***

Als ich an den letzten Märztagen dann ein bisschen reinguckte in den Kongress, auf dem die Grünen über ihr neues Programm nachdachten, ist mir noch etwas aufgefallen. Von dem ich mir nicht ganz sicher bin, was ich davon halten soll – das aber im Grunde tatsächlich meine Erfahrung der letzten Jahrzehnte widerspiegelt. Ausgangspunkt war die Erkenntnis: Die beiden Vorsitzenden der Grünen haben Kinder.

Für mich war das, was Annalena Baerbock von ihrer Zeit in Paris mit dem Säugling erzählte, sehr berührend. Und Augen öffnend. Und kann der Kontrast zu den Handelnden der Regierung und zum Kasper vielleicht wirklich sein, dass sie Kinder hat?

Die ersten Jahre, die ich Kinder hatte, war mein Eindruck ja immer, dass Kinder pragmatisch machen. Dass auf einmal auch ganz praktische Überlebensfragen in den Mittelpunkt rücken und nicht nur die großen Widersprüche der Welt.

Ich denke, dass zwei Dinge vor allem Menschen mit Kindern am Esstisch unterscheiden von denen, die keinen Alltag mit Kindern und Jugendlichen haben: Zum einen, dass mir klar wurde, wie rasend schnell sich Dinge verändern und verändern lassen. Und zum anderen, wie wichtig die nächsten zehn, zwanzig Jahre sind. Und heute, wo die ersten beiden der vier Kinder ihren Weg gehen und in die Städte gegangen sind oder in der Stadt geblieben sind, wo sie ihr Leben beginnen, noch viel mehr.

***

Toleranz endet mit z, sagt meine Liebste immer. Schon immer. Und damit hat sie schon immer Recht, denn sie ist recht weise. Zumal sie es von ihrem Vater hat, der recht weise ist.

Meine Toleranz jedenfalls endet. Ich bin nicht mehr bereit, die Nachlässigkeit oder den Kasperkram zu tolerieren. Im Grunde nicht einmal mehr, darüber mit denen zu diskutieren, die beispielsweise SPD, CDU oder FDP für wählbar halten. Mit ein oder zwei dieser Parteien werden die Grünen koalieren müssen auf absehbare Zeit, das ja. Aber das heißt nicht, dass ihre Politikverweigerung und ihre kinder- und empathielosen Ansätze toleriert werden müssen. Lustigerweise schrieb ich ja schon vor fast zehn Jahren darüber, dass meines Erachtens die beiden Hauptkonkurrentinnen um die Macht Grüne und CDU sein werden.

***

Und dann fällt den Leuten vom Fernsehen (das ist dies, was wie kaputtes Netflix ist) nicht mal auf, was sie für ein hübsches Symbol für ihre Verachtung der Kinder geschaffen haben, als sie nach Thunberg die nächste junge Frau mit einem SUV beglücken.

 Würde es irgendjemanden wundern, wenn die Kinder doch noch wütend werden?





22.11.18

Ungefragt

Neulich bereitete ich mich auf ein Interview mit zwei Studentinnen vor, die über Berufseinstiege in Agenturen sprechen wollten. Zu den Fragen, die sie stellten, gehörten auch welche, die meinen eigenen Berufsweg betrafen. Fand ich spannend, denn so fiel mir auf, dass ich keine einzige Aufgabe in meinem bisherigen Leben über eine klassische Bewerbung übernommen habe. Wirklich nicht eine. Und eine Verabredung mit einer künftigen Arbeitgeberin habe ich sogar auf einer Serviette beim gemeinsamen Mittagessen getroffen, mit allen Konditionen und dem ganzen Drum und Dran.

Und weil sie das anregten, habe ich drei Tipps (und einen Bonus Tipp) für den Anfang der Berufstätigkeit gegeben. Die ich hier ungefragt noch einmal aufschreibe.

1.  Durchhalten

Die ersten Jahre sind nicht einfach. Ihr werdet denken, dass ihr nichts könnt. Das macht nichts. Das geht allen so. Und auch mir bis heute immer wieder. 

2. Fragen, fragen, fragen

Nur wer fragt, bekommt Antworten. Kommunikation in Firmen ist de facto eine Holschuld. Wer nicht fragt, wird als Arbeitsbiene eingesetzt. Wer neugierig ist, kann schnell wachsen. Wer Verantwortung übernimmt, macht Karriere. Fragen zu stellen, ist der erste Schritt, um Verantwortung zu übernehmen. Und Verantwortung zu übernehmen, ist der Schlüssel.

3. Dies ist kein Job, dies ist Leidenschaft

Lest, geht ins Museum, schaut Serien (mein Tipp für alle, die Kommunikation machen: Mr. Robot, die beste Fortbildung sozusagen, und eher The Bold Type als Mad Men), redet mit Menschen, engagiert euch in Vereinen, Parteien. Kreativität und Beratung sind eher eine Frage der Haltung als der Ausbildung. Denn die spannenden Unternehmen und Agenturen stellen mehr und mehr nach Haltung ein und nicht nach "Skills".

Bonus Tipp:

Wenn ihr irgendwann mal Führungsverantwortung übernehmen wollt, lernt reiten. Alles, was ich über Führung weiß, habe ich von meinem Pferd gelernt. Und ich bin mir sehr, sehr sicher: wer es schafft, mit Pferden umzugehen und zu reiten, kann auch führen.


12.6.17

Betrügt die Deutsche Telekom die Landbevölkerung?

Ja, dass Deutschland Internet-Entwicklungsland ist, wussten wir, als wir aufs Land gezogen sind. Aber einerseits hatten wir in der Villenneubausiedlung am Hamburger Stadtrand auch nur 3MBit. Oder, wenn es sehr gut lief, auch mal 6MBit. Und andererseits sind wir ja nicht auf den Kopf gefallen - und haben, als es nicht möglich war, das Hybrid-Internet der Telekom zu bekommen, deren sauteuren 200 EUR-Vertrag abgeschlossen, der ungedrosseltes LTE anbietet, also keine Volumenbegrenzung hat.
(Denn vorher haben wir, auch mit Vodafone, mit "normalen" LTE-Verträgen experimentiert, aber die 30GB waren bei einer ganz normalen Familie mit ganz normalem Medienkonsum nach 2-3 Tagen aufgebraucht.)

Das ging einige Zeit sehr gut - wir hatten akzeptable Downloadraten und gute Uploadraten. Hybrid geht bei uns nicht, weil sich die Telekom weigert, unsere analoge Leitung auf IP-Technologie umzustellen (was übrigens dazu führen wird, dass sie uns sehr absehbar komplett abklemmen werden, geht langsam los damit auf dem Land, höre ich).

Symbolbild: moderne Internettechnologie aus der Sicht der Telekom. Oder so.

Mal abgesehen vom Preis ist das so lange eine ganz gute Lösung, wie die Infrastruktur ausreicht und nicht zu viele Nachbarinnen LTE nutzen. Und hier liegt das Problem. Ein Problem, das die technische Planung und der Support der Telekom kennen, uns mehrfach bestätigt haben, das aber der Vertrieb der Telekom offenbar ignoriert. Und das durch die Vertriebsstrategie der Deutschen Telekom zumindest in unserem Landkreis in den letzten vier Monaten massiv verstärkt wurde. Die ersten meiner Nachbarinnen nennen das bereits Betrug.

Denn etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem die Breitbandinitiative unseres Landkreises erste sichtbare Ergebnisse zeigte (Ausschreibung fertig, die Anbieter werden ausgesucht), berichten die Nachbarinnen in unseren Dörfern, dass sie von der Telekom aktiv auf ihr Hybrid-Internet hingewiesen werden und es ihnen aktiv verkauft wird. Die Hoffnung vor allem der älteren Nachbarinnen: dass dieser Tarif ihnen reicht und sie auf das Glasfaser nicht angewiesen sind.
(Was übrigens neben allem anderen etwas ist, das ich der Telekom wirklich übel nehme, wenn sie tatsächlich ihre Vertriebsaktivitäten bei uns auf diese Zielgruppe ausgeweitet hat - dass sie damit nicht nur die Internetverbindung des gesamten Dorfes faktisch zerstört sondern auch noch aktiv den Ausbau der Infrastruktur verhindern würde.)

Der Mast, der für unser Dorf zuständig ist, steht in Eutin-Neudorf und ist mit 50MBit Leistung ohnehin nur zweite Wahl. Seit vier Monaten nun nimmt zu den Zeiten, zu denen Freizeit-Onlinerinnen online sind, die individuelle Leistung für alle Kundinnen zuerst kontinuierlich, dann rapide ab. Zurzeit haben wir nachmittags und abends (bis ca. 22 Uhr) keinen Tag, an dem wir auch nur an die 1MBit Download rankommen. Da wäre ja mein analoges DSL schneller.

Die erste erstaunte Frage, ob eine Störung am Mast vorliege, wurde vom Service der Telekom noch bearbeitet - und festgestellt, dass inzwischen doppelt so viele Nutzerinnen auf dem Mast hängen wie noch zum Jahreswechsel. Und die technische Planung der Telekom hat festgelegt, dass der Mast nicht ausgebaut wird, obwohl ja heute ein 100MBit-Mast eigentlich normal wäre.

Nach meinen Recherchen ist dieses passiert: die meisten Haushalte in unserem Dorf kommen gerade so auf die DSL-Leistung, bei der die Telekom den Hybrid-Tarif zulässt (uns haben sie den nicht verkauft). Ohne Rücksicht auf die örtliche LTE-Kapazität werden diese Hybrid-Tarife nun verkauft. Da die Bedingungen der Verträge so windelweich sind, liegt formal auch kein Betrug vor, meint die Telekom – denn sie garantieren ja keinerlei Bandbreite. Und die Regelungen, nach denen ein dauerhaftes Unterschreiten der beworbenen Bandbreite mit Sanktionen belegt werden könnte, werden ja nicht umgesetzt. Sollte es aber stimmen – und die Berichte meiner Nachbarinnen deuten zumindest darauf hin –, dass die Telekom aktiv Verträge verkauft, von denen andere Abteilungen im Unternehmen wissen (und uns gesagt haben), dass sie faktisch nutzlos sind (weil der "Hybrid-Turbo" effektiv keine wahrnehmbare Verbesserung gegenüber einer reinen Kupferleitung bringt), fände ich es durchaus angemessen, dieses Betrug zu nennen, oder?

Am Ende jedenfalls kann ich wahrscheinlich nur froh sein, dass die Telekom wenigstens keine Kupferertüchtigung bei uns vorbereitet, weil in dem Dorf in unserer Gemeinde, das dieses Pseudointernet hat, das die Telekom schnell nennt, kein Glasfaserausbau stattfinden darf, um die Telekom nicht wirtschaftlich zu schädigen. So dass die Nachbarinnen in Hutzfeld zwar jetzt gerade weniger Ärger mit ihren Kindern haben (meine Kinder können beispielsweise nicht mehr mit ihren Freundinnen und Freunden spielen oder Serien gucken) –  aber Ende 2019 eben auch kein ausreichendes Internet mehr, wenn ich spätestens Glasfaser habe soll (falls die Vertriebsaktivitäten der Telekom nicht dazu führen, dass wir die 60%-Quote Vorverträge nicht erreichen, siehe oben).

Bis dahin gilt aber: Einige meiner Nachbarinnen fühlen sich von der Telekom betrogen. Und die Kombination aus Infrastruktur- und Vertriebspolitik der Deutschen Telekom kommt mir mehr und mehr wie die wichtigste Bremse in der Zukunftsentwicklung des ländlichen Raumes vor. Mal abgesehen davon, dass ich 200 EUR im Monat für einen für mich faktisch sinnfreien Internet-Vertrag bezahle, aber das ist noch mal eine andere Geschichte.

3.2.17

Murmeln

Zuerst hielt ich es für etwas albern, aber habe trotzdem mitgemacht, denn es passte andererseits in die Situation. Inzwischen freue ich mich jeden Tag daran.

Weihnachten hatten wir es endlich einmal geschafft, in die sehr schöne Kirche bei uns in Eutin zu gehen. Der Propst predigte und der wunderbare Kirchenmusiker leitete seine erstaunlich jung klingende Kantorei. Was tolle Musik doch für einen Unterschied macht in einem Gottesdienst, vor allem die Orgelvorspiele von Martin West (der, kaum dass wir ihn entdeckten, in den Ruhestand ging, Pech), die mich an die inspirierende Zeit von Klaus Vetter in Bramfeld erinnerten.

Zu Beginn der Weihnachtspredigt ließ der Propst den Klingelbeutel rumgehen – und jede Besucherin sollte sich eine Murmel rausnehmen und gut festhalten. Irritation in den Kirchenbänken war garantiert.

Sinngemäß sagte er: "Nehmen Sie die Murmel mit. Stecken Sie die in die Tasche. Und wenn Sie darauf treffen in den nächsten Tagen, erinnern Sie sich daran, wie es war, ein Kind zu sein, das Leben und die Welt mit Kinderaugen zu betrachten." So ungefähr jedenfalls. Es ging ihm nicht um Weltflucht, im Gegenteil. Sondern um die Freude und das Staunen von Kindern gegenüber der Welt. Und das Vertrauen. Und den Lebensmut und die Hoffnung und Zukunftserwartung, wenn man so will (auch wenn Kinder es nicht so nennen würden).

Seit Heiligabend trage ich die Murmel tatsächlich in der rechten Hosentasche mit mir herum, packe sie ganz gewissenhaft aus und wieder ein, in Jeans, in Anzughosen, sogar in Reithosen. Und spüre ihr nach über den Tag hinweg. Und jedes Mal, wenn ich die Murmel anfasse, erinnert sich etwas in mir daran, was sie mir sagen will.

eine Murmel auf meiner Hand
Das Verrückte ist, dass es funktioniert. Ich weiß, ich werde sie irgendwann verlieren, werde sie mit Kleingeld, das ich in der gleichen Hosentasche mit mir rumtrage, herausziehen und fallen lassen, sie wird unter einen Schrank rollen oder in einen Gulli. Bis dahin aber passe ich auf sie auf. Und erinnere mich daran, was Gott Noah versprochen hat. Und dass es sich lohnt zu leben und zu arbeiten. 

Ich hätte nicht damit gerechnet, dass eine Kleinigkeit wie diese Murmel wertvoll für die ersten Wochen dieses Jahres, für die Weihnachtszeit, die gestern zu Ende ging, sein könnte. Dass sie einen Gedanken weiterträgt in mein Leben, den jemand in einer Situation in mich gepflanzt hat, in der ich dafür aufnahmebereit war. Und dafür bin ich dankbar.

Und werde versuchen, die Murmel, so lange es irgendwie geht, eben gerade nicht zu verlieren.


24.6.16

Die Ernte der Disruptionspredigten

Ich interessiere mich schon sehr lange für die Kontinuitäten in den Umbrüchen und Veränderungen. Kurz gesagt (und ja, etwas zu holzschnittartig) für das Leben, das weitergeht und sich für die allermeisten Menschen gar nicht so radikal und schon gar nicht so schnell verändert, wie es einerseits die Predigten des Untergangs und der Veränderung behaupten und wie es andererseits in der historischen Rückschau oft scheint. 2004 deutete ich dieses Thema das erste Mal hier im Blog an. Stichworte sind Werner Durth und Otto Baumgarten. Aber das nur am Rande.

Vielleicht ist es aber diesem Interesse, das aus dem Studium in den frühen 90ern herrührt, geschuldet, dass ich immer gegen die Profetinnen* des Untergangs, der Wandels, der Disruption immun war. Dass ich meine gesamte berufliche Beschäftigung mit Social Media über beispielsweise eher die Dinge betont habe, die gleich bleiben in der PR, bei denen es nur um eine neue Arena aber nicht um ein neues Paradigma ging.

Das aber nur vorab, um ein bisschen Kontext zu schaffen für das, was mich in den letzten Monaten so oder so umtreibt. Und wo ich Ursachen, nicht Anlässe für die krassen Bruchkanten in unseren (europäischen) Gesellschaften sehe.
Das macht mich unruhig. Und mit diesem Text schließe ich an meine Überlegungen zu den Autoritären (wer dazu was wissen will, kurz dem Link folgen) an, versuche ich, die Gedanken dazu zu ordnen, wieso die ängstlichen Autoritären so stark geworden sind.

Disruptionsrhetorik
Denn ich bin mir recht sicher, dass die Disruptionsrhetorik, die auch viele Menschen in meiner Ecke des Internets, die ich sehr schätze, in der Feder führen, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat. Dieser profetische Impetus, den ich im Grunde sogar verstehen kann, wenn es einfach nicht voran geht, wenn es mal wieder alles langsam zu langsam ist, wenn mal wieder die Falschen das Falsche beschließen. Die Idee, dass alles ganz anders sein oder werden muss und das auch bittesehr ganz ganz schnell, weil wir sonst alle sterben werden. Oder zumindest unsere Wirtschaft. Oder das Internetz.

Die durchweg positive Sichtweise auf Disruption, die sich im Zuge der neoliberalen Revolution bis hinein in ehemals linke oder emanzipatorische Kreise durchgesetzt hat, ist ja ironischerweise im Kern ein totalitäres Konzept, das philosophisch auf Nietzsche und ökonomisch auf Schumpeter zurück geht, der ein recht radikaler Verteidiger des Kapitalismus war.

Im Rahmen einer Wirtschaftsweise, die alle anderen gesellschaftlichen Ziele der Kapitalmaximierung unterordnet (also im Rahmen eines nicht durch gesellschaftliche Regeln, beispielsweise die Soziale Marktwirtschaft, begrenzten freien Kapitalismus), ist die Idee, dass Disruption durchweg gut ist, auch vernünftig. Absurd wird sie nur, wenn sie sich verselbstständigt, wenn sie gesellschaftlichen Fortschritt postuliert – oder wenn sie ein Ziel um ihrer selbst willen wird.

Denn die Disruptionsrhetorik, die vor allem bei digitalen Pionieren oder Netzaktivistinnen gerne genutzt wird, hat in letzter Konsequenz vor allem das eine Ziel, das Disruption selbst ja auch hat: Die Akzeptanz für technokratische, eindimensionale, angeblich alternativlose und quasi vulgär-naturwissenschaftliche Behauptungen über die Zukunft zu schaffen.

Alternativlosigkeit
Ähnlich scheint es sich meiner Meinung nach mit der Rhetorik der Alternativlosigkeit zu verhalten. Hier noch etwas offensichtlicher in den Folgen, denn der Aufstand der ängstlichen Autoritären gegen die unpolitische Behauptung der Alternativlosigkeit führt als Partei ja gerade das Wort "Alternative" im Namen.

Das Problem ist nur: sowohl die Disruptionsrhetorik als auch das Reden von der Alternativlosigkeit widersprechen der täglichen Erfahrung nahezu aller Menschen. Fast immer habe ich im Alltag Alternativen. Und fast nie ist meine Wirklichkeit total von Disruption geprägt. Von Unsicherheiten und auch von Anpassungsschmerzen, ja – aber eben nicht von der Radikalität beider Behauptungen.

Nun ernten wir die Früchte dieses Alarmismus
Was allerdings beide an sich von der Alltagserfahrung nicht gedeckten rhetorischen Herrschaftsinstrumente geschafft haben, ist eine massiv zunehmende Verunsicherung. Das jahrelange Sperrfeuer, dass auch das Leben meiner Großeltern sich radikal ändern müsse, weil es alternativlos sei, dass sie sich mit der Disruption beschäftigen, führt dazu, dass sie die zornigen Disruptionsprofeten ebenso zornig spiegeln.

Das Auseinanderfallen der Gesellschaft in Alte und Nichtalte (wie beim Brexit), in Männer und Nichtmänner (wie in Österreich), in Autoritäre und Nichtautoritäre (wie überall in Europa und Nordamerika) – dieses Auseinanderfallen ist selbstverständlich nicht die "Schuld" des Silicon-Valley-Kults oder der Technokratie als faktische Regierungsform allein. Aber die Früchte von beiden haben zur Vergiftung massiv beigetragen. Zum Rausch, der zum letzten Aufbäumen der verzagten und ängstlichen Autoritären führt.

Die Opfer sind meine Kinder
Selten ist so klar und eindeutig zu sehen, wie sehr dieses auch ein Krieg der Generationen ist, wie beim Brexit. Was immer an Veränderungen kommt, was immer an Zerstörung, ob kreativ oder nicht, passiert, ist für die Generation meiner Eltern und Großeltern egal. Denn trotz aller Rhetorik ist es ein langsamer Prozess. Für meine Generation ist es undramatisch, denn wir sind jung genug, um uns noch anzupassen, und alt genug, um schon eine Zugehörigkeit zu entweder der Gesellschaft oder einer Klasse zu haben. Aber die Generation meiner Kinder ist es, der ihr das Leben sauer macht, die ihr Angst habt oder Angst verbreitet, die ihr Autoritäre seid oder selbsterklärte Revolutionäre, die ihr eure eigene Agenda betreibt, weil ihr euch nicht ändern wollt oder weil ihr euren Markt vergrößern wollt. Dafür verachte ich euch. Und darum werde ich euch bekämpfen. Beide.

Kontinuitäten
Womit ich wieder am Anfang angekommen bin, bei den Lebenslinien, die über Umbrüche und Veränderungen hinaus zeigen. Für die meisten von uns geht das Leben weiter. Dafür brauche ich keine albernen und falschen Autosuggestionen, dass der Brexit eine Chance sei für Reformen, dass Zerstörung kreativ sei, oder wie auch immer. Dafür brauche ich eher die Zuversicht und den Lebensmut, die Demut und die Hoffnung, die Erfahrung und das Vertrauen, also das, was mir das Leben bisher beschert hat.

Kontinuität in Zeiten des Umbruchs ist etwas Gutes, finde ich. Und Zerstörung, die Erfahrung habe ich zumindest gemacht in den letzten 46 Jahren, ist nicht gut. Und schon gar nicht kreativ. Disruption ist ein zutiefst konservatives, oft sogar reaktionäres Konzept. Denn die Trümmer werfen uns zurück in die Vergangenheit, in die Zeit vor der Zeit, in der das, was wir zerstört haben, notwendig schien. Wer Disruption fordert oder propagiert, ist im eigentlichen Wortsinne asozial, denn sie hat nur ihre eigenen Interessen im Blick, denen das, was zerstört werden soll, im Wege steht.

Kreativität und Fortschritt dagegen, das zeigt ein Blick beispielsweise in die Musikgeschichte, entsteht oft aus dem Überschreiten von Grenzen, nicht aus der Zerstörung der Ordnung. Jeder Akt, eine Grenze zu überschreiten, ist ein Akt der Kreativität und der Befreiung. Was etwas anderes ist als Zerstörung.

* Dass ich Profetinnen mit f schreibe, ist eine lebenslängliche Hommage an den großen Alttestamentler Klaus Koch, der der Meinung ist, dass ein einzelner Buchstabe im griechischen und hebräischen nicht mit zwei Buchstaben im deutschen transkribiert werden sollte. Als er emeritiert wurde, titelte unsere Fachschaftszeitung: "Er wird eine schwer zu phüllende Lücke hinterlassen"... (schrieb ich schon häufiger in dies Blog rein, muss aber immer wieder sein)

31.3.15

Snapchat und Periscope

Dies ist - in guter Tradition - die letzte Mail, die ich an die lieben Kolleginnen von achtung! geschrieben habe. Eben gerade. Denn nun gibt es noch Cremant und Abba - und dann bin ich da weg.
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Ihr Lieben,

dies ist die letzte E-Mail, die ihr von mir bekommt (von dieser Adresse aus zumindest). Denn nach fünfeinhalb Jahren (wirklich fünfeinhalb, manchmal kommt es mir viel kürzer vor) blicke ich auf eine erfüllte und erfolgreiche Zeit zurück, die wir gemeinsam hier verbracht haben – die aber für mich jetzt zu Ende ist.

In den letzten Wochen habe ich oft an vieles von dem denken müssen, was wir gemeinsam geschafft und geschaffen haben. Wie wir diese tolle Agentur in eine der führenden Agenturen verwandelt haben, die aus der PR kommt und digital "kann". Nicht weil sie tolle Expertinnen hat (das auch), sondern weil sie digital tatsächlich lebt. Das ist und bleibt besonders an achtung!

Als ich damals (tm) anfing, war die Idee, aus einer Stabsstelle heraus die Kolleginnen weiterzubilden und das Thema – damals vor allem Social Media – in der Breite der Agentur zu verankern. Daraus wurde schnell ein Team, dann eine Unit, heute das LAB. Rasant und immer aus dem (wachsenden) Geschäft heraus.

Was mich immer beeindruckt hat und weiter beeindruckt, ist, wie wir gemeinsam und mit den verschiedenen Kernkompetenzen Ideen, Strategien und Umsetzungen geschaffen haben, die neu und anders waren als das, was der Markt normalerweise macht. Unsere Projekte haben immer wieder gezeigt, dass wir #Neuland betreten haben. Und zwar tatsächlich. Gab es eine Kundin, auf der wir nicht gemeinsam gearbeitet haben?

Und: Ohne euch hätte ich nie so eine große Resonanz "draußen" erzielen können mit Thesen und Prognosen, die ungewöhnlich oft eingetreten sind – was weniger an mir lag als mehr daran, dass es uns gelungen ist, Beobachtungen, Erfahrungen und Wissen zusammen zu führen, die ihr auf den Kunden und im Web gesammelt habt. Dafür bin ich euch dankbar. Sehr.

Als ich damals kam, schrieb ich an die "alten" Kolleginnen, dass wir uns bestimmt bei Foursquare wieder sehen werden, weil das damals ganz neu war. Heute, wo Facebook dem Ende entgegengeht als sozialer Kanal, lohnt es sich bestimmt, wenn wir uns auf Snapchat und Periscope wieder sehen, behaltet die beiden bloß im Auge ;)

Ach was, genug, ich werde euch vermissen. Gerade auch noch mal nach heute noch mehr. Und das, obwohl ich mich sehr doll auf das freue, was vor mir liegt.

Facebook oder Xing sind, wie ihr wisst, nicht der optimale Weg, mit mir in Kontakt zu bleiben, aber Twitter, Instagram, Snapchat, LinkedIn gehen ja auch. Oder ganz klassisch per Mail oder so, ich bin ja schon älter.

Morgen bin ich dann als Managing Director bei Cohn & Wolfe.

Wir sehen uns wieder, ganz bestimmt. Und nicht nur in Pitches, hoffe ich. Hihi.
In diesem Sinne: Pfffft.


Liebe Grüße
Wolfgang
@luebue


P.S.: Und denkt immer daran: Never ever (NEVER!) call an icelandic horse pony.


26.3.15

Die Medienrevolution und die Kirche

Als Ende letzten Jahres in meiner Kirche neue Beauftragte für das Internet eingeführt wurden, durfte ich ein paar Gedanken mit auf den Weg geben. Das habe ich gemacht. Es war eine kurze Ansprache. Etwas überarbeitet, kann es aber auch ein Blogpost sein...
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HansLufftWer sich heute beruflich für ein Unternehmen, eine Institution oder einen Verein mit "dem Internet" und der digitalen Transformation beschäftigt, ist aus meiner Sicht so etwas wie eine Pfadfinderin in eine Gegenwart, die wir in einigen Jahrzehnten als eine ähnlich revolutionäre Zeit betrachten werden wie die Reformation. Dann, in diesen paar Jahrzehnten, werden die meisten unsere Namen nicht mehr kennen, so wie Hans Lufft heute nur noch einigen wenigen Expertinnen geläufig ist. Aber wenn wir  unsere Arbeit gut machen und unsere Unternehmen und Institutionen uns unsere Arbeit gut machen lassen, wird diese Arbeit uns überdauern, so wie wir heute noch davon profitieren, dass Hans Lufft 1534 die erste Bibel Luthers druckte und viele seiner Schriften.

Wir befinden uns ja zurzeit an der Kreuzung zweier Wege.
Zum einen mitten in der erst dritten richtigen Medienrevolution der Menschheit. Und zum anderen am Ende des kurzzeitigen Irrwegs der Massenmedien. Und wir Internetpeople haben die undankbare und großartige Aufgabe, unsere Leute über diese Kreuzung zu führen, damit sie sich in dieser unübersichtlichen Zeit nicht verlaufen oder gar, wie es manchmal ja noch aussieht, aus Versehen oder Ignoranz einfach zurück gehen oder stehen bleiben und weinen.

Die eine Straße, auf der wir an der Kreuzung stehen, ist die der Medienrevolutionen.
Die umfassende Digitalisierung aller medialen Äußerungen der Menschen setzt eine Entwicklung fort, die die gesamte Geschichte durchzieht und die sich an den beiden anderen Medienrevolutionen exemplarisch zeigen lässt - die Entgrenzung von Gedanken, Erlebnissen, Worten, Bildern, Tönen. Die Überwindung von Zeit und Raum, der die gesamte Medienentwicklung der Menschheit gewidmet ist.

  • Mit der Erfindung (und vor allem: Verbreitung) der Schrift überdauerten Gedanken und Erfahrungen erstmals halbwegs zuverlässig die Menschen, die ihre Urheberinnen waren. 
  • Mit der Erfindung der beweglichen Lettern für den Druck erreichte das Kopieren und die Verbreitung von Geschriebenem eine neue Dimension, gigantische Skalierungseffekte waren die Folge.
  • Mit der Digitalisierung überwinden wir nun den Mangel an Zeit, Raum und Transportmitteln. 

Bundesarchiv Bild 183-1988-0512-007, Dresden, Bibeldruck von Hans Lufft


Unendlicher Platz, unendliche parallele Sendezeit, weltweite (und theoretisch auch darüber hinaus) gleichzeitige Verfügbarkeit – was mit der Schrift begann, findet seinen aktuellen Höhepunkt. Der Menschheitstraum wird wahr. Raum und Zeit sind keine Begrenzungen mehr für unsere medialen Äußerungen.

Die andere Straße, die die dritte Medienrevolution gerade kreuzt, ist die auf der das Ende der Massenmedien passiert.
Zurzeit geht eine nur rund 170 Jahre lange Sonderphase in der Geschichte der Medien zu Ende. Wir sollten nicht vergessen, dass die Medienwelt, die für die älteren von uns die Normalität darstellte, eigentlich nur ein Unfall und Zufall der Geschichte war.

Erst 1843 mit der Gründung der New York Sun hat es das erste auf Massenverbreitung setzende Medium gegeben. Rundfunk – erst Radio, dann Fernsehen – ist ein Kind dieser Epoche. Alle Medien vorher waren faktisch soziale Medien, die entlang von sozialen Beziehungen von Menschen verteilt und weitergeleitet wurden. Und alle Medien danach werden es wieder sein.

Jetzt, wo die Frage, was wie veröffentlicht und verteilt wird, nicht mehr von Mangel geprägt ist – sei es der Mangel an Papier, an Verkaufsstellen, an Anzeigen oder an Sendezeit nach der künstlichen Verknappung der Frequenzen durch die Regierungen, denen der freie Rundfunk suspekt war, jetzt wo dieser Mangel endet, enden auch die Medienmodelle, die auf diesem Mangel beruhten. Wir finden gerade wieder zurück in die mediale Normalität nach dieser Ausnahmesituation, in die Normalität, die 2000 Jahre herrschte, bevor gerade einmal 170 Jahre lang die Mangelmedien die Szenerie bestimmten. Doof für die von uns, die ihr Unternehmen auf diese Sondersituation gebaut haben, aber nicht zu ändern.

Diese beiden Wege treffen sich heute an der Kreuzung, die Zurück in die Zukunft führt.
Eine spannende Gegenwart, in der wir leben und arbeiten, finde ich. Mitten in der dritten Medienrevolution, die mitzugestalten wir die Chance haben, wenn wir sie annehmen. Und am Anfang der Rückkehr zur medialen Normalität der Menschheit.

Für mich ist dabei übrigens Ansporn und Anspruch, wie meine Kirche und ihre Vorläuferinnen mit solchen Situationen umgegangen sind. Denn sie haben jede Medienrevolution genutzt und umarmt. Immerhin ist die hebräische Bibel die Grundlage einer der ersten Schriftreligionen überhaupt. Immerhin wäre die Reformation ohne den neuen Druck weder denkbar noch möglich gewesen.

Und immer wurden die neuesten Methoden zur Medienverbreitung genutzt, sobald sie in Mode kamen. Immerhin haben Paulus und die anderen Anführer der jungen Gemeinden das damals gerade neue und aktuelle Briefsystem der römischen Elite raffiniert und mit großem Erfolg verwendet. Und unsere Kirchen haben sich immer dafür eingesetzt, die neuen und neuesten Medien dann auch aktiv und für alle zu nutzen:

  • Die ersten Gemeinden haben Menschen ermutigt, lesen und schreiben zu lernen. 
  • Die Bibel für alle (durch die Übersetzung und den Buchdruck) führte zu einer beispiellosen Alphabetisierungskampagne in der Neuzeit. 
  • Die Missionskirchen nutzten die internationale Post und Telegrafie, um ein Netzwerk, ein soziales Netzwerk übrigens, zu bauen. 
  • Bis heute sind die Kirchen fast (oder sogar ganz?) die einzigen, die das Drittsenderecht im Privatfunk nutzen. 

Es gibt keine Tradition der Zurückhaltung gegenüber Medien in meiner Kirche. Und die Bedenkenträgerinnen hat sie immer schnell zum Verstummen gebracht. Die aktuelle Bildungsoffensive ist eine, die positiv mit der Digitalisierung umgeht. Oder, wie die Synode der EKD neulich sagte:
Ein besseres Verständnis von Digitalisierung, Daten und Netzwerken liefert Grundlagen für Freiheit und Teilhabe. Die evangelische Kirche hat die Aufgabe, digitale Bildungsprozesse aus christlicher Perspektive neu zu denken. Evangelische Kirche tritt grundsätzlich dafür ein, dass Teilhabe für alle möglich wird, unabhängig von Alter, Herkunft, Wohnort und Einkommen.
Für diesen Weg und diesen Optimismus haben wir mit unseren Altvorderen tolle Vorbilder:
Anders als Plato, der zwar eifrig schrieb, aber doch sehr große Sorgen hatte, dass Schreiben zum Verlust des Gedächtnisses führe (und dass auch weniger schlaue Leute als er ihre unwichtigen Gedanken aufschreiben könnten), haben die Vorläufer unserer Kirchen das Schreiben geliebt.

Anders als Erasmus, der die Drucktechnik eifrig nutzte, aber doch sehr große Sorgen hatte, dass dümmere Menschen als er dumme Dinge schreiben könnten, die dann gedruckt würden, dass es gar Romane oder ähnliches geben könnte, die Menschen dumm machen, haben unsere Kirchen dem Druck ihre Existenz zu verdanken und Luther nicht nur Dinge drucken lassen, die heute die theologische Kammer passieren würden.

Anders als die Mediziner, die in der Eisenbahn eine Gefahr für das Gehirn sahen, sind unsere Missionare mit ihr bis ans Ende der Welt gefahren, um die frohe Botschaft weiterzutragen, selbst, wenn sie noch nicht sicher wussten, ob die Mediziner nicht Recht haben könnten.

Anders als Manfred Spitzer oder Jaron Lanier, die das Internet eifrig nutzen, aber doch sehr große Sorgen haben, dass auch Menschen es nutzen, die anders leben und andere Erfahrungen haben als sie und sogar in der Lage sind, ihre falschen Fakten zu dekonstruieren, sammeln unsere Kirchen Menschen und sehen die Chancen dieser spannenden Zeit.

Hans Lufft hat damals nicht gefragt, was die Obrigkeit zum Druck sagt, was die Landesdatenschützerinnen oder die Stilpolizei anzumerken haben. Er hat eine neue Infrastruktur, eine neue Medientechnik, hat Skalierungseffekte zu nutzen gewusst, um die frohe Botschaft unter die Leute zu bringen. Er war der Diener der Reformation. Und als Kollateralnutzen wurde er auch noch reich, aber das ist eine andere Geschichte.

12.2.15

Dies ist die Stunde der PR

(english summary below as a tl;dr)

In der Tat. Der Gedanke hinter native advertising ist charmant. Und richtig. Ebenso der Gedanke hinter Content Marketing. Der Gedanke, dass es doch möglich sein müsste, (Marketing-, Werbe-) Botschaften so in Apps, Games, Medienangeboten, Netzwerken unterzubringen, dass sie quasi "natürlich" daher kommen (was eigentlich ein beknacktes Wort ist, weil es suggeriert, menschengemachte Technik sei der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten ähnlich, was ja auch kein Wunder ist, wenn ich den Kontext bedenke, aus dem das Wort stammt, aber das ist eine andere Geschichte). Dass sie sich, um es präziser zu formulieren, so in ihre Umgebung einfügen, dass sie von den Nutzerinnen als Teil des Angebots wahrgenommen werden und nicht als Störenfriede.

Nun haben wir ungefähr ein Jahr Experimente mit so was hinter uns.
Und die sind sehr ernüchternd. Ehrlich gesagt, war ich tatsächlich gespannt, was den Kolleginnen so einfällt rund um native advertising. Und raus kam entweder das, was wir früher Schleichwerbung genannt haben (und was nicht funktioniert, mal die rechtlichen und/oder ethischen Fragen außen vor) - oder schlecht kaschierte Advertorials, die ihre Wirt beschädigen. Trauriges Beispiel ist die Computerwoche mit ihrem Business Expert Circle. Auf der Startseite ist noch nicht mal das minikleine Wort Anzeige zu sehen, das auf der Detailseite im Header steht aber kaum als dazu verbunden wahrgenommen wird. Native eben. Problem ist (neben allem anderen), dass die Qualität - sprachlich, argumentativ etc - teilweise so schwach ist, dass die native advertising-Artikel tatsächlich nicht etwa als natürlich im redaktionellen Content eingebunden daher kommen. Sondern so stark abfallen (aber nicht als Fremdcontent erkennbar sind), dass die geneigte Leserin am Verstand der Redaktion zu zweifeln beginnt. So zerstört der Parasit den Wirt, um in der Naturmetapher zu bleiben. Die Implosion von YouTube-Vermarktungsnetzwerken wie Mediakraft ist da nur ein weiteres Symptom.

Oder Magazine wie Curved (E-Plus) oder Featured (Vodafone), die versuchen, mit einer Art Wohlfühljournalismussimulation native daher zu kommen, offenbar auch Traffic ziehen durch sehr gute Performance in Suchmaschinen (zumindest bei Curved, Featured ist dafür noch zu jung) und einer gelungenen Vermarktung des Contents (weshalb sie getrost als Beispiel für Content Marketing herhalten dürfen), aber doch so glaubwürdig sind wie es andere Wohlfühljournalismussimulationen schon immer waren.

Beide Ansätze sind bestimmt kurzfristig erfolgreich, wenn ich die richtigen Key Performance Indikatoren zu Grunde lege. Dass sie beim Brand Building (also Marketing) helfen, bezweifele ich.

Dabei finde ich es richtig - um das klar zu sagen -, dass Kommunikatorinnen versuchen, das Problem zu lösen, dass ihre Botschaften und die Art, wie sie präsentiert werden, als störend und irrelevant empfunden werden von zu vielen, die sie erreichen wollen mit eben diesen Botschaften.

Und darum: Ich teile die Idee hinter Native Advertising und Content Marketing.
Aber ich glaube an eine andere Lösung für das Problem. Call me naiv, aber ich glaube an mehr Intelligenz und Substanz. Ich glaube an Argumente und nicht an Relevanzsimulation. Und darum gehe ich zurück in die PR.

Denn moderne, zeitgemäße PR ist die richtige und nachhaltige Lösung für die Herausforderungen des Marketings in der Zeit nach der kurzen, knapp 175 Jahre langen Zwischenepisode der Massenmediendominanz. Etwas holzschnittartig geht es eben nicht darum, Geschichten zu erzählen oder zu tun - sondern in den Geschichten der Menschen vorzukommen.

Wer nur Botschaften weniger störend, mehr native, präsentieren will, wer nur diese Botschaften über eigenen Content besser vermarkten will, hat das, denke ich, nicht verstanden.

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tl;dr Native Advertising sucks. Content Marketing fails. PR is it.


1.8.14

Teilhabe in der digitalen Gesellschaft

Ich bin ja vor einiger Zeit in den Vorbereitungsausschuss der Synode (Parlament) der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen worden, weil sie sich im Herbst mit dem Thema Kommunikation* des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft beschäftigen wird. Dabei habe ich mich wieder mehr mit ethischen und kirchlich-praktischen Fragen beschäftigt, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Ein paar Gedanken bringe ich jetzt ein - wenn es darum geht, meine Kirche in dieser Frage zu positionieren. Hier seien sie einmal etwas unsortiert und unvollständig geteilt. Der etwas pathetisch-appellative Ton ist dem geschuldet, dass es Entwurfssätze für eine Stellungnahme, ein Papier sind. Mal sehen, was von diesen Gedanken die nächsten Monate und Runden überdauert, bis die Synode im November zusammen kommt und was sagt.

* [Update 20.8.] hier stand zuerst "Verkündigung". Das ist aber falsch und auch irreführend, weil wir zwischen Kommunikation (multidirektional in Worten, Bildern, Taten) und Verkündigung unterscheiden.
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Kirche und digitale Räume

Für eine evangelische Kirche als einer Kirche des Wortes und der Kommunikation ist es notwendig, da aktiv und ansprechbar zu sein, wo Menschen zusammen kommen, um miteinander zu sprechen und zu kommunizieren. Die fortschreitende Digitalisierung von Kommunikation, Texten, Bildern und anderen Medien hat einen neuen Raum geschaffen, in dem Menschen dieses tun.

Kirche hat sich in Verkündigung und Kommunikation in ihrer Geschichte immer schon der jeweils innovativsten Mittel und Orte bedient. Bereits Jesus war mehr unterwegs als es zu seiner Zeit üblich war. Paulus und die frühen Gemeinden nutzten das bis dahin fast nur der römischen Politik vorbehaltene System der Briefe und Kopien. Ohne die revolutionäre Technologie des Druckens wäre die Reformation nicht möglich gewesen. Radio und Fernsehen wurden von missionarischen Kirchen seit ihrer Erfindung eingesetzt. Die Chancen der Digitalisierung und der digitalen Netzwerke und des Internet mit Kraft und Überzeugung zu nutzen, steht in einer guten Tradition und ist für evangelische Kirchen alternativlos.

Eine Herausforderung in jeder Medienrevolution ist es, die richtigen Räume und Sprachen zu finden, um das Evangelium weiterhin kommunizieren zu können. Insbesondere die Ent-Räumlichung von Nähe ist dabei eine Rahmenbedingung, auf die evangelische Kirche noch keine Antwort gefunden hat: Wie können unter der Bedingung der Digitalisierung virtuelle und anfassbare Räume und Orte geschaffen werden, an und in denen sich Gemeinde bilden kann und Kirche und Christinnen und Christen sich finden lassen können? Was ist der Kirchturm in digitalen Welten, die zunehmend Teil der Lebenswirklichkeit der Menschen sind?

Die Digitalisierung schreibt die Entwicklung fort, die seit Erfindung der Schrift begonnen hat: Sie macht Kommunikation unabhängiger von Raum und Zeit. Mit der Digitalisierung ändert sich vor allem die Geschwindigkeit dieser Entwicklung. Eine kirchliche Praxis, die Menschen in der digitalen Gesellschaft erreichen will, muss ihren Erwartungen an Verfügbarkeit und Geschwindigkeit entsprechen. Vor allem die Chance, sich in digitalen Räumen finden lassen zu können, kann nur ergreifen, wer in ihnen präsent ist und ihre Medienregeln beachtet.

Die Digitalisierung von Inhalten und Beziehungen hat diese durchsuchbar und auffindbar gemacht. Nur wenn Verkündigung und Kommunikation digital vorliegt oder digital übersetzt ist, wird Kirche weiterhin Teil der Gesellschaft und des Alltags der Menschen sein können. Im neu entstandenen Bereich zwischen "privat" und "öffentlich" ist eine Form der Zugänglichkeit entstanden, den die kirchliche und gemeindliche Praxis nutzen wird.

Christin und Christ in der Welt kann ja nur sein, wer in der Welt lebt. Wenn digitale Räume und Netze für immer mehr Menschen aller Generationen fester Bestandteil ihrer Welt sind, muss es kirchliche Verkündigung und christliches Zeugnis in diesen Räumen und Netzen geben. Ohne aktiv in diese Welt zu gehen, scheitert kirchliche Praxis. Unabhängig von der je eigenen Befindlichkeit und Meinung zu ihnen, ist die Ansprechbarkeit in digitalen Räumen und Netzen auf das eigene christliche Bekenntnis für alle notwendig, die sich der Kommunikation des Evangeliums widmen.

Die Digitalisierung der Gesellschaft hat die Entwicklung beschleunigt, dass es neben der Parochie andere, gewählte Gemeindeformen gibt. Das ist nicht neu, sondern schon durch die Urbanisierung und Globalisierung entstanden. Umgemeindungen waren hier ein Instrument und eine Antwort. Jetzt entsteht durch die Ent-Räumlichung von Heimat und Beziehungen das Bedürfnis nach ent-räumlichten Gemeinden. Für Menschen, die Nähe ohne räumliche Nähe suchen und finden, muss und wird evangelische Kirche Gemeinden (er)finden und Gemeinschaft schaffen müssen, die anderen Menschen fremd sind. Hier Verbindlichkeiten und Verlässlichkeit zu entwickeln, wird nur möglich sein, wenn sich diese Gemeinden in digitalen Netzen bilden können.

Wie in den vergangenen Medienrevolutionen wird es auch bei der Digitalisierung der Gesellschaft darauf ankommen, christliches Leben und kirchliche Praxis so zu interpretieren und beispielhaft zu zeigen, dass Freiheit in Gemeinschaft möglich wird.

Bildung als kirchliches Thema

Lesen und Schreiben hat Menschen ermöglicht, sich mehr Teilhabe zu erobern. Die Kirchen der Reformation haben das immer unterstützt. Medienethische Bildung und Wissen über Wirkung und Wirkweisen von Bildern und Texten helfen Menschen, Manipulation zu erkennen. Und heute hilft ein besseres Verständnis von Digitalisierung, Daten und Netzwerken, Freiheit und Teilhabe zu erlangen. Dies ist eine Aufgabe für eine Kirche der Freiheit.

Die evangelische Kirche hat die Alphabetisierung unterstützt und fördert alle Bildungsoffensiven, die zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe führen. Dazu gehört heute, dass in immer mehr Ländern beispielsweise Algorithmen und Programmiersprachen zum Curriculum der Schulen gehören. Jede Entmystifizierung von Daten und Prozessen ist ein Schritt zu freier Entfaltung. Die Gesellschaft darf nicht in "user" und "loser" zerfallen. Teilhabe in der digitalen Gesellschaft darf nicht abhängig sein von Bildung und Einkommen.

Wissen und Rationalisierung sind Voraussetzungen für Freiheit im Umgang mit Technologien und Medien. Darum setzt die evangelische Kirche digitale Bildung im Sinne von "digital literacy" auf die Agenda ihrer eigenen Bildungsangebote und fördert und unterstützt alle Initiativen, digitale Bildung im gesellschaftlichen Bildungskanon zu verankern..

Und Datenschutz? 

Teilhabe in der digitalen Gesellschaft hat unmittelbare Implikationen auf Datenschutz und Datensicherheit. Für die evangelische Kirche stehen dabei der Mensch und seine Freiheit und Autonomie im Mittelpunkt. Die Vorstellung einer naturgesetzliche Eigendynamik digitaler Prozesse widerspricht evangelischer Sicht auf die Gesellschaft. Dennoch sieht und anerkennt die evangelische Kirche, dass sich Vorstellungen von Datenschutz und Privatsphäre im Verlauf der Geschichte immer wieder geändert haben und weiter ändern. Es widerspricht evangelischem Verständnis, den Status Quo per se für besser zu halten als eine Veränderung.

Die eigenen Regeln zum Umgang mit Daten müssen dem Ziel dienen, das Evangelium in digitalen Räumen und Netzen zu kommunizieren. Datenschutz ist kein Wert an sich und kein Selbstzweck, sondern dient dem Schutz der Menschen vor staatlicher Überwachung. Heute muss dieser Schutz gegenüber Unternehmen und nicht-staatliche Organisationen ausgeweitet werden.

Datenschutz kann und darf aber nicht zum Rückzug aus der Welt und der digitalen Gesellschaft führen. Wo kirchliche Richtlinien eine aktive Kommunikation des Evangeliums in digitalen Räumen und Netzen verhindern oder Mitarbeitende von Kirchen in ihrer Arbeit in diesen Räumen und Netzen behindern, bedürfen sie einer Revision.

18.12.13

Netzwerk-Reset

Vielleicht liegt es ja doch am Jahresende. Oder daran, dass ich dabei bin, die Ausblicke auf 2014 zu schreiben. Oder den Jahresbrief der Familie. Dass ich also gerade gucke, was mir gefallen hat, was mich nervte, was sich änderte. Und gestern schrieb Nico etwas, das mir zwar anders geht, aber vom Prinzip her ähnlich. Wo Nicos Twitterblase kaputt ist, ist es meine bei Facebook, merke ich immer wieder und immer mehr. Dauernd schreiben Vollspacken irgendwelchen merkbefreiten Kram, auf den  dann andere Schwachköpfe antworten. Sorry for being so rude. Ist doch aber so.

Zeit, sich das einmal genauer anzusehen und erste Konsequenzen zu ziehen. Zumal ich es auch zukunftsfähig halten will und die massiven Veränderungen in Nutzung und bei den Nutzerinnen der letzten Monate in allen Netzwerken mich ohnehin zu Veränderungen zwingen. Privat und beruflich. Zu letzterem mehr, wenn die Ausblicke oder Trends für 2014 kommen, die ich sehe.

Das, was private und berufliche (professionell-kommunikative) Nutzung speziell von Facebook aber gemeinsam haben, hängt damit zusammen, dass das Netzwerk zunehmend dysfuktional geworden ist - wenn wir es als Ort für Gespräche betrachten wollen.

Naja.

Meine These, dass das Silo Facebook von einer Vielzahl von sinnvollen Netzwerken und Plattformen abgelöst wird, ist ja auch nicht nur so daher gesagt. Wo immer ich mit anderen Menschen spreche, erzählen sie es auch: dass sich die Nutzung verändert (hat).

Für mich ist im ablaufenden Jahr beispielsweise Instagram immer wichtiger geworden und ein Ort, an dem ich Kontakte und Inspiration finde. Und Twitter hat wieder an Bedeutung zugenommen. Facebook war nett, um Geburtstagsgrüße zu bekommen. Und treibt einigen Traffic hier ins Blog. Aber das war es auch schon.

Mein "Netzwerk-Setup" ändert sich darum:

  • Wichtigster Ort für Gespräche, Blödeleien, Links und Inspiration bleibt Twitter. Es ist und bleibt mein wichtigster digitaler Raum, in dem ich mich wohlfühle, in dem ich die für mich richtigen Leute kenne, die mir helfen, das Wichtige und Relevante zu finden.
  • Instagram ist mein wichtigster privater Raum. Privat im Sinne von "Wolfgang die Privatperson", nicht im Sinne von "nicht öffentlich". Immer häufiger ist der erste Griff morgens der zur Instagram-App.
  • Für berufliche Kontakte werde ich ab sofort nur noch LinkedIn nutzen. Ich merke, dass ich einfach keine Lust habe auf die völlig unbrauchbare und dazu auch noch völlig an der Struktur meiner Kontakte vorbei ausgerichteten "Weiterentwicklung" von Xing. Erster Schritt war die Kündigung meiner Premiummitgliedschaft, im Laufe der nächsten Monate werde ich meinen Account dort löschen.
  • Ich werde Facebook anders nutzen als bisher. Abmelden kann und will ich mich nicht, weil ich dort einige interessante Gruppen habe und es beruflich brauche. Aber ich werde bei den Kontakten aufräumen (sprich: massiv reduzieren), ich habe die Inhalte unsichtbarer gemacht, ich werde dort nur noch posten, um Traffic zu holen und meine Ideen unters Volk zu bringen. Facebook ist aus meiner Sicht kein Raum für Gespräche und kein Social Media.
  • Weiterhin werde ich hin und wieder auf Medium schreiben. Nur auf Englisch. Und nur sporadisch, wenn es um Nachdenken geht. Aber ich liebe dieses Netzwerk sehr und finde es extrem gut und spannend. Einer der Entwürfe, wie ich mir das Internet vorstelle.
Anderes wird sich ändern, wird weiter gehen, wird aufhören. Auf meiner Homepage werde ich weiterhin das zusammenführen, was ich teilenswert finde. Aber grob gesagt scheint mir dies ein sinnvolles Reset meiner Netzwerknutzung zu sein. Ich bin gespannt, ob damit der Nervfaktor zurückgeht und die Inspiration bleibt. Mitsamt den Gesprächen.

10.12.13

Das Schweinesystem

Die einzige mögliche Antwort auf die absolut richtige Analyse von Sascha Lobo ist der Widerstand.

Wacht auf, Verdammte dieser Erde
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht, wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger
alles zu werden, strömt zuhauf. 
Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.

Es rettet uns kein hö´hres Wesen,
kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte!
Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte,
duldet die Schmach nun länger nicht! 
Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
Völker, hört die Signale!
Auf, zum letzten Gefecht!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.

29.11.13

Demut

Kinder und Pferde machen demütig. Mich jedenfalls. Anderen wird es vielleicht mit anderem so gehen. Aber Kinder und Pferde erinnern mich immer wieder daran, wie zufällig so vieles ist, wie wenig binär, eindeutig, plan- und beherrschbar.

Manchmal frage ich mich dann, ob all die Leute, die beispielsweise technikpositivistisch sind oder technokratisch, keine Kinder haben oder keine Zeit mit ihnen verbringen. Oder woher sonst die Vorstellung kommen mag, das Leben, die Gesellschaft, das Netz, die Politik oder was auch immer durchplanen zu können. Ob es wirklich und ernsthaft Menschen geben kann, die sich nicht nur einzureden versuchen (ob aus Schwäche und Unsicherheit oder aus Kalkül), sie könnten die Zukunft vertraglich regeln oder die Funktionsweise von irgendwas mit Menschen oder der Natur mithilfe von Gesetzmäßigkeiten erklären und vorhersagen.

Witzigerweise habe ich noch nie eine Naturwissenschaftlerin getroffen, die das Konzept "Naturgesetz" für ihren Expertisebereich für existent gehalten hätte. Sondern allenfalls für eine Näherung, die so lange plausibel ist, bis sie widerlegt wird. Nur die Vulgärvariante von Wissenschaft in der Schule scheint dieses immer noch zu vertreten, wenn ich das richtig mitbekomme bei meinen Kindern.

Wildes, unbändiges Leben ist das, was wir jeden Tag erleben, erdulden, uns daran erfreuen, wenn wir mit Kindern unser Leben verbringen. Oder mit Pferden. Nur Wesen, die wir gebrochen haben, ergeben sich in die Beherrschbarkeit, auch das aber immer sozusagen auf Abruf. Denn irgendwann werden sie aufgrund ihrer seelischen oder emotionalen Deformation und eben der Tatsache, dass wir sie zerstört haben, doch wieder ausbrechen.

Menschen, die von Gesetzmäßigkeiten reden oder die Zukunft für planbar halten, sind mir suspekt. Und solche, die von "Alternativlosigkeit" faseln, machen mir Angst. Denn beide sind gefährliche Technokratinnen. Und beide können nicht mit der Gegenwart und der Zukunft umgehen. Oder haben es noch nie versucht. Und werden scheitern, wenn sie mit dem Leben konfrontiert werden.

Denn wenn du dann mit dem wilden, unbändigen Leben zu tun hast, wirst du leise und demütig. Mir geht das immer wieder so. Und wenn es gut läuft, ist es eine Demut, die mich frei zum Handeln macht. Im Sinne Luthers großem Satz aus seiner größten Schrift (de servo arbitrio) pecca fortiter sed fortius crede. Oder Karl Barths wunderbarer Übersetzung dieses Gedankens, die über meinem häuslichen Schreibtisch hängt: Die einzig mögliche Antwort auf die wirklich gewonnene Einsicht in die Vergeblichkeit alles menschlichen Werkes ist, sich frisch an die Arbeit zu machen.

26.9.13

Wir leben gern. Überlegungen für neue Grüne.

Was ich mich immer noch frage, ist, wie es eigentlich passieren konnte, dass die politischen Gegnerinnen die Geschichte erzählen konnten (und ihnen das jemand aus gutem Grund glaubte), dass die Grünen die Dagegen-Partei seien und immer mehr Verbote und Gesetze fordern. Lange habe ich das nicht Ernst genommen, denn ich fand es absurd. Es entsprach so gar nicht meinem Erleben von Grün.

Obwohl ich in einem grünen Milieu aufgewachsen bin, habe ich die Grünen zuerst aus der Entfernung betrachtet. Denn ich war als Marxist in die SPD eingetreten. Während wir über die Verstaatlichung der Banken sprachen, haben die Grünen gefeiert und Sonnenblumen in den Bundestag getragen. Wir wollten die Welt mit Gewalt und Gesetzen verändern. Die Grünen mit Lebensfreude und einem anderen Leben. Theologisch gesprochen standen sie immer für die Fülle des Lebens, für ein neues Leben im alten.

Dann kam Bündnis 90 dazu. Ganz anders sozialisiert. Mit nur einer Klammer, die beide Gruppen hatten: ihren jeweiligen Kirchenflügel. Fast alle meine Freundinnen aus der kirchlichen Friedens- und Eine-Welt-Bewegung waren Grüne. Oder wählten sie und ihre Vorläufer seit Ende der 70er. Und das Bündnis 90 brachte ein weiteres Erbe mit ein in die gesamtdeutsche Partei: den unbedingten Wunsch nach Freiheit. Die große Skepsis gegenüber allen, die uns vorschreiben wollen, wie wir leben sollen. Das zog mich an. Das ließ mich grün wählen, als ich noch in der SPD war. So ging es vielen Weggefährtinnen damals, bis heute kenne ich Leute, die sogar Funktionen in Kreisverbänden der SPD haben, die häufiger grün als rot wählen. Als niemand von den Linken in der SPD gegen Schröder um den Bundesvorsitz der Partei kandidierte, bin ich zum zweiten Mal ausgetreten. Und nach dem Himmelfahrtsparteitag und dem Jugoslawienbeschluss bei den Grünen eingetreten. Obwohl ich gegen diesen Beschluss war. Weil ich die BDK im Fernsehen verfolgte und beeindruckt war von Niveau und Ernst der Diskussion. Von der Freiheit, die diese Partei atmete.

Nur was ist dann passiert? Und warum haben wir es nicht gemerkt? Wie konnte aus einer Partei der Lebensfreude, des Feierns, des Strickens, einer Partei, zu deren Veranstaltungen Eltern ihre Kinder mitbrachten, auf denen sie Tipps für gutes Leben austauschten – wie konnte aus so einer Partei eine werden, die hinter einem sauertöpfischen, ungeduldigen Intellektuellen herlief und es duldete, dass er die Steuerpolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellte?

Oder anders gesagt: Der Unterschied zwischen Robert Habeck und Jürgen Trittin ist ja schon deutlich, oder? Hier in Hamburg zwischen Anna Gallina und Katja Husen einerseits und Christa Goetsch andererseits. Im zurückgetretenen Bundesvorstand zwischen Malte Spitz und Cem Özdemir.

Mir geht es nicht um Personen, aber Personen machen den Narrativ, die Geschichte, die wir und andere erzählen (können). Die Grünen standen in den Zeiten, in denen sie junge Leute erreichten und sehr weit ins sogenannte bürgerliche Milieu ausstrahlten, eher für ein Lebensgefühl als für eine konkrete Politik. Das ging, solange sie keine Politik gestalten mussten oder durften. Und führte die Generation vor meiner in die realpolitische Sackgasse, aus der herauszufinden sie nicht die Kraft oder Weitsicht hatte. Und das unabhängig von dem, was früher einmal die Flügel waren.
(Kleine Randnotiz: Darum ist auch die Flügeldebatte nach der Wahlniederlage so absurd. Außer dem ehemaligen „Realoflügel“ der Grünen würde wohl niemand ernsthaft auf die Idee kommen, Trittin als „Linken“ zu bezeichnen.)

Genug Rückblick. Wie kann es weiter gehen?

Die Grünen sind in einer einmaligen Situation. Wir haben erkannt, dass tatsächlich irre viel schief gelaufen ist. Wir haben bei einem Teil der Generation, die uns in die Regierungsverantwortung in den Ländern und im Bund geführt hatte, die Einsicht, dass der Neuaufbau und die neue Erzählung andere als sie braucht. Sie haben unser Land zum besseren verändert. Sie haben ihre Mission erfüllt und sie werden mir immer in Erinnerung bleiben als die, die das gesellschaftliche Klima und vieles an realer, politisch gestalteter Lebenswirklichkeit geschaffen haben, was heute besser ist als in den 80er Jahren. Dafür sage ich danke. Und meine das auch so.

Und wir sind in der einmaligen Situation, dass sich die Partei, die mit uns am schärfsten um gut situierte Menschen mit Lebensfreude konkurrierte, über die letzten zehn Jahre so demontiert hat, dass selbst ein sympathischer und brillanter Intellektueller wie Christian Lindner sie nicht so schnell wird wiederbeleben können. Erinnert ihr euch noch, dass für die meisten von uns seit etwa 2000 die FDP der eigentliche „Gegner“ war? Und das stimmte ja auch. Anders als unsere Mitglieder kamen sehr viele unserer Wählerinnen aus den Milieus und Schichten, die in den 70ern FDP gewählt hätten und hatten. Und es ist auch kein Zufall, dass wir besonders stark wurden in dem Bundesland, in dem die FDP ihre besten Wurzeln hat. Baden war seit Mitte des 19. Jahrhunderts die deutsche Hochburg des weltoffenen, bürgerlichen Liberalismus. Und nicht umsonst wurde der liberale Aufbruch in Freiburg beschlossen.

Menschen mit Lebensfreude haben sich lange zwischen uns und der FDP entschieden. Während die FDP mehr und mehr die Hedonistinnen anzog, waren wir für Menschen attraktiv, die Lebensfreue damit verbanden, ein gutes Leben auch für andere zu wollen. Der Unterschied zwischen Egoismus und Freiheit. Zwischen der angelsächsischen (heute oft als neoliberal bezeichneten) „Freiheit von“ und der deutschen „Freiheit zu“. Zwischen Utilitarimus und Werteethik.

Ob Grüne links sind oder zum „linken Lager“ gehören – wohin uns alle Spitzenleute und alle BDK-Delegierten für den Wahlkampf geführt haben – war eigentlich nie wichtig. Wenn Freiheit und Lebensfreude mit Verantwortungsübernahme links sind, dann sind wir links, ja. Aber wenn autoritäre Beglückungsphantasien oder eine Politik des Mitleids, wie Jakob Augstein jüngst in der „Zeit“ links definiert hat, links sind, dann sind wir nicht links.

Aufbruch wagen.

Ironischerweise verkörpert ausgerechnet Claudia Roth, die als erste Verantwortung für die Niederlage übernahm und Konsequenzen zog, obwohl sie mit Abstand am wenigsten damit zu tun hatte, in der Generation, die jetzt in die zweite Reihe treten wird, den Aufbruch und das Lebensgefühl noch am besten. Mit ihrer Biografie, mit ihrer – äh – kontroversen Wahrnehmung im Land, mit ihrem Lachen und ihrem unbändigen Freiheitswunsch.

Aus der realpolitischen (links wie nichtlinks) Sackgasse kann uns aus meiner Sicht vor allem führen, dass wir uns auf zwei Kernbereiche besinnen, auf eine Haltung und auf eine Zuversicht:
  1. Umwelt und Zukunft der Kohlenstoffwelt
    Da kommen wir her, das ist das Kernthema und der Grund unseres Engagements. Das ist die Basis unserer Lebensfreude und unserer Sorge für morgen. Dabei geht es weniger um das EEG oder die Mineralölsteuer, sondern um ein besseres Leben. Vegetarische Rezepte vor Veggieday.
  2. Freiheit und Bürgerinnenrechte
    Die FDP hat ihr bürgerrechtliches Erbe verschleudert. Wir haben es nicht aufgehoben, weil es vielen der letzten Generation so fremd war. Freiheit und Bürgerinnenrechte sind für meine Generation und die meiner jugendlichen Kinder das, was für euch der Umweltschutz war. So wie der saure Regen und die Atomkraftwerke eure Lebenswelt zu zerstören drohten (und so wie ihr auszogt, eure Lebenswelt zu retten), so bedroht die Totalisierung von Sicherheit unsere Lebenswelt. Bürgerinnenrechte sind der Umweltschutz für unseren Heimat- und Lebensraum.
An diesen beiden Kernbereichen muss sich alle messen lassen, was wir fordern und wollen und beschließen. Mehr Freiheit. Und mehr Zukunft auf diesem Planeten. Klingt trivial? Mag sein – aber kann ein neues Verbotsgesetz, ein Führerschein für Haustiere oder eine Steuererhöhung für 80% unserer Wählerinnen sich wirklich auf diese beiden Punkte zurückführen lassen, ohne in der Sackgasse zu landen?

Eine Haltung. Ja ich weiß, mein Lieblingsthema. Aber wichtiger als alles andere ist es aus meiner Sicht, dass wir aus einer gemeinsamen Haltung heraus Politik machen. Sozialromantikerinnen und Ökoterroristen (wie es ein Freund und grüner Lokalpolitiker neulich formulierte) können wir aushalten – wenn sie sich mit uns auf eine gemeinsame Haltung einigen.

Aus meiner Sicht muss dieses eine Haltung des Optimismus in Bezug auf Menschen sein. Grüne Politik wird sich von einer Politik der Linken (und auch der SPD und der CDU) immer mindestens daran unterscheiden, dass wir kein autoritäres Politikverständnis haben. Also unsere Ziele nicht mit Gesetzen durchsetzen wollen – sondern überzeugen. Etwas holzschnittartig formuliert.

Ja, wir werden auch Gesetze machen (wollen und müssen). Aber die erste Frage, die Faustregel muss sein: Geht es ohne ein Gesetz? Welches Gesetz können wir abschaffen? Was bringt mehr Freiheit?

Ich kann nachvollziehen, wie das Image der Verbots- und Regelwut entstand: Aus Ungeduld. Weil eine Generation ihre letzte Chance sah, jetzt noch mal schnell durchzusetzen, was sie als richtig empfand. Nur: das wollen die Leute nicht. Vielleicht ist das eine gute Faustregel für künftige Führungswechsel bei uns – sobald jemand ungeduldig wird, ist es Zeit, den Platz frei zu machen für jemanden, die noch einen langen Atem hat. Ihr habt es ja selbst vorgemacht mit der Atomkraft.

Und damit sind wir bei der Zuversicht. Wir sind, und das unterscheidet uns von der klassischen Linken, nicht verzagt und nicht verzweifelt. Ja, der Zustand der Freiheit und auch der Zustand des Planeten sind zum Verzweifeln, wenn wir es genau ansehen. Aber wenn wir das als Haltung kultivieren, erreichen wir die Emos. Und nur die. Wir sollten schon der Tatsache ins Auge sehen, dass es unseren Wählerinnen gut geht. Dass sie optimistisch sind. Dass ihnen aber nicht egal ist, wie es anderen, wie es der Freiheit, wie es dem Planeten geht. Das unterscheidet sie von denen, die CDU oder links wählen. Mit Jammern und dagegen-Sein erreichen wir die nicht. Mit Zuversicht und Optimismus schon. Vor allem mit dem Optimismus, dass Menschen nicht doof sind. Was wir in dem, wie wir Politik formulieren, noch allzu oft unterstellen. Oder es zumindest so aussehen lassen, als dächten wir es.

Vielleicht bin ich blauäugig, weil es mir gut geht und ich optimistisch bin. Aber wenn ich mich umgucke, sind fast alle, denen ich begegne (und die bereit sind zu wählen und dann auch uns zu wählen) auch so. Optimismus und Freiheit führen zu einem Politikansatz der Ermächtigung und der Teilhabe. Und nicht zu einem des Paternalismus und des Mitleids. Denn Mitleid ist immer peinlich. Und das Gegenteil von Solidarität (die auch immer asymmetrisch ist, aber das ist eine andere Geschichte).

18.6.13

Das nächste große Ding

Das, was nach Facebook kommt, wisst ihr, das kenne ich auch nicht. Aber das macht nichts. Denn ich bin überzeugt, dass es gar nicht "das nächste große Ding" geben wird. Jedenfalls nicht so bald. Sondern dass sich Menschen in ihrer Nutzung der Onlinedingsens ausdifferenzieren werden.

Was ich aber weiß, ist, wie sich das Onlineleben bei Jugendlichen zurzeit verändert. Daraus lassen sich schon einige Rückschlüsse ziehen. Einige erste Gedanken hatte ich letzten Monat schon einmal auf englisch aufgeschrieben und zur Diskussion gestellt. Und letzte Woche spontan daraus einen Vortrag auf der Fachtagung Social Media der depak gehalten. Lustigerweise als Ersatz für einen Facebook-Vortrag. Aber abgesehen davon waren dieses hier die Folien, die ich dafür zusammengestöpselt habe:


Mit Jugendlichen beschäftige ich mich ja sowohl beruflich als auch privat intensiv. Habe selbst drei sehr unterschiedliche zu Hause (plus ein Kind). Und bin in einigen Projekten involviert, bei denen wir Jugendliche kommunikativ erreichen und in einen Dialog, in eine Aktivierung bringen wollen.

Auch wenn ich weiß, dass aus dem Verhalten von Jugendlichen heute nicht auf ihre Verhalten in fünf oder zehn Jahren geschlossen werden kann, sind doch die Dinge, denen sie sich entziehen, die sie nicht machen ,spannend. Ebenso wie die Dinge, die sie für sich anders nutzen oder entdecken.

Twitter beispielsweise. Seit Beginn dieses Jahres mit enormen Zuwachsraten unter Jugendlichen, aber mit einer von meiner Nutzung sehr deutlich abweichenden Verwendung. Die nahbaren Stars dieser Generation, beispielsweise von YouTube, haben Followerzahlen, die "uns" Erwachsene mit den Ohren schlackern lassen. 50.000 junge Leute unter 16 Jahren sind da keine seltene Followschaft.

Oder dass sie vor den Vollhonks und vor dem Mobbing aus Facebook fliehen. Also Facebook anders nutzen als wir. Und sich in Räume zurück ziehen, in denen die Codes gleich sind unter denen, die da sind. In denen sie sich verstehen, ohne jedes Mal erklären zu müssen, was gemeint ist und wie es gemeint ist.

Oder dass sie mit verschiedenen ihrer Gruppen unterschiedliche Chat-Apps nutzen. Oder ganz WhatsApp lassen, weil sie auch gemerkt haben, dass ihre Eltern das schon kennen und sehen, wann sie zuletzt online waren. Beispielsweise Dienstag um 2.34 Uhr, direkt vor dieser wichtigen Matheklausur.

Das nächste große Ding ist aus meiner Sicht dieses Ende des Silos. Und das Zerfallen der Kommunikationsräume. Mehr Text bei Medium. Das ich ohnehin für eines der spannendsten Dings zurzeit halte. Mehr Bilder bei Instagram. Das weiterhin sehr wächst unter Jugendlichen und unter Erwachsenen. Starkes Ausdifferenzieren von Verhaltenweisen auf Twitter. Das damit mehr und mehr wirklich zur Infrastruktur wird und sich wegentwickelt von allem, was daran mal communityartig gewesen wäre.

Meine Drohung: Ich bleibe an diesem Thema dran. Denn ich merke, wie sehr es für viele andere noch neu ist. So wie für den Teilnehmer an der Tagung letzte Woche, der verzweifelt auf mich zu kam, weil einige Tage vorher gerade seine große Jugendkampagne gestartet war. Auf Facebook. Und mit SMS.

Ceterum censeo: Wer glaubt, mit Facebook Jugendliche zu erreichen, schreibt denen wohl auch noch SMS

14.5.13

Nächste Runde der Disruption

Seit Anfang dieser Woche fahren eine Reihe von Onlinenachrichtenseiten, vor allem solche der traditionellen Verlage, eine Onlinekampagne auf ihren eigenen Seiten gegen Browser-Plug-Ins wie "Ad Block" und ähnliche.

In einer quasi persönlichen Botschaft an Besucherinnen ihrer Seite, die Adblocker installiert haben, bitten sie diese, die Adblocker abzuschalten. Ihre Kernbotschaft: Helft uns, uns zu refinanzieren über Werbung, damit wir weiterhin Nachrichten ins Internet schreiben können.

Was ich spannend fand, war, dass nach meiner Beobachtung die Reaktion darauf fast hälftig zweigeteilt war: Die einen fanden die Botschaft nett und freundlich.

Und die anderen haben sich sehr genau darüber geärgert.

Ich halte die Aktion, nachdem ich sie zunächst charmant fand, für falsch. Einerseits verstehe ich zwar den Punkt, den die Verlage machen (wollen). Und ebenso einerseits arbeite ich ja nun selbst in Kommunikation und "Reklame" (wie einer unserer Kunden Werbung nennt). Andererseits kann aber auch ich die Art der Werbung auf den klassischen Nachrichtenseiten der Verlage nicht ertragen.

Einige Leute, denen ich online zuhöre, haben den Versuch gemacht, ihre Adblocker zu deaktivieren. Für so ungefähr eine Stunde, länger hielten sie es nicht aus - das Geblinke, die grauenhafte Optik, dass sich da was bewegte oder gar Töne von sich gab. Obwohl einige von ihnen und ich ja auch das Argument der Verlage einleuchtend fanden, waren die Erlebnisse mit Werbung dann doch allzu verstörend und eklig,

Insofern scheint mir eher ein (ungewollter?) Nebeneffekt der Kampagne der Verlage spannend zu sein: Dass eine längst überfällig Diskussion über gute und schlechte Onlinewerbung losgeht. Immerhin - was ja auch interessant ist - haben gestern und heute wahrscheinlich eine ganze Menge Onlineprofis (auch aus Kommunikation und Werbung) erstmals seit Jahren Onlinewerbung in freier Wildbahn gesehen. Also das, was Werber vielleicht (hoffentlich nicht, aber ich befürchte, da trügt meine Hoffnung) als State-of-the-art in der Onlinewerbung ansehen. Die meisten Leute, die erfahren mit dem Internet umgehen oder damit ernsthaft arbeiten, haben ja Adblocker (oder, wie ich, Flashblocker) in ihren Browsern. Warum wohl?

Der Schock der grausigen Realität könnte nun zu dieser Diskussion führen: Welche Art von Werbung online ist gut, ist akzeptabel? Jetzt. Oder zukünftig. Immerhin werden die meisten "von uns" ja durchaus im Prinzip wissen, dass Onlinejournalismus und sogar nur bloßes Publizieren online Einnahmen aus Werbung und dergleichen braucht. Denn die einzige Alternative, die Verlagen bisher dazu eingefallen ist, wären Paywalls.

Aber solange wie Verlage und Onlinewerber Ideen und Werbeformen aus der Vergangenheit, also der Zeit, in der Platz knapp war, einfach so auf einen Medienraum übertragen, in dem Platz nicht das Problem ist und in dem ich so schnell weg bin wie ich kam, wenn mir zu viel Geblinke dabei ist. Solange sie sogar noch auf Werbeformen setzen, die sich bewegen, blinken oder Töne spucken, ohne dass ich dafür geklickt hätte. Solange sie also nur nach Gnade rufen ohne darauf zu achten, dass ihre Leserinnen/Zuschauerinnen eine Sehnsucht nach Ruhe und Schönheit haben - solange werden sie unsere Herzen nicht gewinnen.

Immerhin - im Prinzip ist jetzt eine großartige Zeit für Menschen, die kreativ und zukunftsgerichtet über Onlinewerbung nachdenken. Fein, dass diese Diskussion beginnt.

ursprünglich auf Englisch im Text-Blog-Netzwerk Medium veröffentlicht.

Und erst danach gelesen: Tapios Blick auf das Thema von der anderen Seite - eine gute Ergänzung zu diesem Text.