Ich kann als Deutscher nicht davon absehen, dass ich in ein Volk hineingeboren wurde, das einen singulären industriellen Massenmord organisiert hat und damit als Kollateralnutzen den "Kleinen Mann" groß machte und pamperte. Ich kann als Autofahrer nicht davon absehen, dass ich eine Waffe nutze, um von A nach B zu kommen, die andere, schwächere Verkehrsteilnehmerinnen allein durch ihre Benutzung gefährdet. Und ich kann als Mann nicht davon absehen, dass mein Geschlecht gewaltsam die Regeln gesetzt hat und weiter setzt und zugleich sehr viele Männer, wenn nicht sogar die meisten, ganz sicher auch ich immer wieder, im Alltag übergriffig sind gegenüber Frauen und Kindern.
Das heißt nicht, dass ich persönliche Schuld für den Holocaust habe, dass ich mit meinem Straßenpanzer Leute umbringe oder dass ich Frauen in Parks vergewaltige. Aber es heißt, dass ich damit leben muss, dass dies der reale Bezugsrahmen ist, in dem ich lebe und handele.
Nun gibt es Geschlechtsgenossen und sogar Frauen, die von einer "
umgekehrten Diskriminierung" faseln. Aber das ist selbstverständlich Quatsch. Denn es kann nur Diskriminierung geben, nicht aber ihre Umkehrung. Und um bestehende Herrschaftsverhältnisse zu ändern, muss es ggf. eben eine Diskriminierung von zurzeit Privilegierten geben (siehe die
Quotendiskussion). Sozusagen mein Pech. Womit ich leben kann. Und - siehe oben - eben auch muss, weil ich ja von der Realität nicht absehen kann. Aber das nur am Rande.
Nun bin ich selbst ja sozusagen in den Feminismus der 80er hinein aufgewachsen: meine Mutter war sehr aktiv in der feministischen evangelischen Frauenarbeit (so hieß das damals, Frauenarbeit), die zweite Welle feministischer Theologie gehörte zu meiner Lektüre und meinen Studien und meinen Gesprächen und Arbeitsgruppen an der Uni, ich habe eine Frau geheiratet, für die die Themen und Errungenschaften der 80er-Jahre-Feministinnen normal und selbstverständlich waren und sind. Vielleicht stand ich deshalb in der Vergangenheit oft so erstaunt davor, wenn junge Leute all diese Errungenschaften mit einer "hoppla, jetzt komm ich"-Attitüde einfach so über Bord werfen (wollten). Das begann (für mich sichtbar, keine Ahnung, ob es das vorher auch schon gab) mit dieser "Meedchen"-Popkultur in den 90ern (Zöpfchen, Röckchen, Weibchen etc), hat eine mich bestürzende Blüte in der jugendlichen Pornoikonografie getrieben und endet sicher nicht beim Kokettieren mit der Mischung aus Hilflosigkeit und Verführbarkeit und Prüderie (siehe Twilight, Panem etc). Muss ich nicht verstehen, betrifft mich persönlich allerdings auch eher weniger. Mit solchen Frauen (und Männern, die das toll finden oder ausnutzen) will ich zwar nichts zu tun haben, muss ich aber auch nicht, ich kenne genug andere.
Für mich als Führungskraft und als Vater (insbesondere auch als Vater jugendlicher Jungs) stellen sich aber dann doch Fragen. Und Aufgaben. Und ich denke, dass ich als Mann (bin ich nun mal) dabei den Bezugsrahmen Täter habe, wie oben angedeutet. Egal ob es mir gefällt oder nicht - ich kann nicht reden oder handeln, ohne zu bedenken, dass ich in einer historisch, körperlich oder organisatorisch privilegierten Situation bin, die ich aufbrechen oder auflösen muss. Ja, muss - wenn ich nicht der Meinung bin, dass alles super ist, wie es ist - mit all den Übergriffen.
Meine Beziehung zu Frauen, zu Kindern, zu "Untergebenen" ist - außerhalb des intimen Raumes beispielsweise meiner Ehe oder einer ähnlichen langfristig auf Vertrauen aufgebauten intimen Beziehung - immer notwendig eine asymmetrische. Also, materialistisch gesprochen, eine von Herrschaft geprägte, weil ich objektiv Teil der herrschenden Gruppe bin. Egal wie ich das persönlich sehe, ist es objektiv ein asymmetrischer Kontext, so lange wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben, ich erwachsen bin und Chef. Und in einer asymmetrischen Beziehung muss immer der stärkere Teil mehr Verantwortung übernehmen, mindestens auf der Beziehungsebene. Ich muss - immer mit der Gefahr, dass dieses paternalistisch wahrgenommen wird - für den anderen Teil mitdenken, mitfühlen und achtsam mit ihm sein.
Das ist, wenn es ganz praktisch wird, nicht so einfach.
Darum ist mir so wichtig, meinen Jungs zu vermitteln, dass beispielsweise in einer sexuellen Beziehung zu Mädchen nicht nur ein "nein" ein Nein ist - sondern auch das Ausbleiben eines "ja" als Nein zu interpretieren ist. Denn wir sind immer nur einen Schritt von einem Übergriff entfernt. Wenn sie das von einer Pornoikonografie geprägte Verhalten unter Jugendlichen aufbrechen wollen, müssen sie besonders achtsam, besonders explizit sein, die in so einer Kultur Schwächeren (Mädchen) stärken. Das ist aus meiner Sicht ihre Verantwortung, wenn sie keine Arschlöcher sein wollen (was ich einfach mal hoffe).
Darum finde ich beispielsweise Knotentänze von Führungskräften mit Mitarbeiterinnen auf Firmenfeiern so schlimm (und das ist die positivste Formulierung, zu der ich mich schweren Herzens durchringen kann). Wer kokettes Meedchengehabe (siehe oben) bei seinen Mitarbeiterinnen "ausnutzt", verstößt eklatant gegen jede Form von achtsamer Führung, ist sich offenbar der Asymmetrie in der Beziehung nicht bewusst (oder verstößt zumindest gegen jedes "gute Benehmen"). Vielleicht empfindet nicht jede einzelne Frau, mit der sich ein solcher Mann tanzend verknotet, dieses schon als übergriffig. Aber genug tun das. Und andere, die zuschauen, auch. Wenn ich - so ist zumindest auch mein Wunsch an meine Rolle als Führungskraft - organisationale Macht nicht als Beziehungsmacht ausleben und ausnutzen will, werde ich versuchen, die Sachebene von der Beziehungsebene zu trennen (so schwer das ist), werde ich auf der Beziehungsebene besonders achtsam sein müssen. Werde ich also jede Form von Macht auf dieser Ebene nicht nur vermeiden sondern aktiv verändern. Und angesichts der immer noch notwendig asymmetrischen Beziehung für uns beide dafür Verantwortung übernehmen. Weil ich kein Arschloch sein will.
Als Deutscher bin ich besonders - und auch weit mehr als der eine oder die andere angenehm findet - achtsam gegenüber nationaler Aufwallung und Chauvinismus. Als Autofahrer bin ich über das vom Gesetz für alle Verkehrsteilnehmerinnen vorgesehene Maß achtsam gegenüber anderen. Und als Mann versuche ich, die strukturell asymmetrische Beziehung zu Frauen und Kindern aktiv zu verändern - auch wenn ich dazu über das einigen erträgliche Maß hinaus zurückstecken muss, was mir längst nicht immer gelingt.
Und dass ich trotzdem oder vielleicht auch deswegen das Leben genieße, in diesem Land, mit diesen Menschen um mich herum, gerne Auto fahre (sorry to say), viel lache, trinke, tanze - das könnt ihr mir gerne glauben, selbst wenn euch das schwer fallen sollte.
Update 25.1.2013
Endlich kommt durch die Brüderle-Geschichte die Diskussion über dieses Themas breiter in Gang. Dazu habe ich
auch was gebloggt und auch vier konkrete Punkte formuliert, was wir als Männer tun können.
Hier lang bitte.