22.5.12

Mein Klout-Score ist 356. Ich bin ein toller Hecht

Wer Klout & Co für ein sinnvolles Instrument dafür hält, Einfluss oder Reputation zu messen, verschickt auch Pressemitteilungen mit der Gießkanne. Und wer bei Einstellungen oder Vorstellungen nach dem Klout-Score fragt oder ihn gar ungefragt erwähnt, sollte sich was schämen.
(Sozusagen das tl;dr mal vorweg)

Im Prinzip sind Indizes eine super Sache. Sie vereinfachen das Leben, schaffen Übersichtlichkeit, lassen uns elegant Posterioritäten von Prioritäten unterscheiden. Das Problem entsteht immer dann, wenn aus der Vereinfachung ein Erklärungsmodell wird, das nur noch wenig mit der Realität zu tun hat.

Wenn dann (zunächst noch aus den USA, aber als Diskussionspunkt mehr und mehr auch in Europa) Meldungen durch die Fachmedien schwappen, dass Unternehmen bei der Einstellung ihrer Mitarbeiter auf deren Klout-Score achten, wenn Menschen mit hohem Klout-Score direkt in den Second-Level-Support umgeleitet werden, wenn die ersten Leute anfangen, ihre Onlineaktivitäten auf einen „guten“ Klout-Score auszurichten – wenn so etwas passiert, dann ist es Zeit, einmal die Relationen richtig zu stellen.

Klout misst Resonanz in der eigenen Echokammer und bildet ab, wie ich relativ zu meinen Kumpels online ankomme. Nicht einmal das stimmt, aber lassen wir es der Einfachheit halber einmal bei dieser holzschnittartigen Beschreibung. Und als Ersteindruck ist das auch nicht absurd. Seit 2006 habe ich selbst immer wieder an solchen Projekten mitgearbeitet – seien es Bloggerinnenlisten zusammen mit Technorati, sei es damals der „Tweetlevel“ gewesen, alles Versuche, einen chaotischen Resonanzraum von Kommunikation übersichtlicher zu machen. Auch Klout habe ich darum von Anfang an verfolgt und sehe durchaus den Sinn und das Bedürfnis. Selbst wenn ich heute weiß, dass es nicht funktioniert.

Mein bevorzugter Monitoringdienst für Social Media nutzt Klout, um aus den Treffern die voraussichtlich wichtigsten herauszufiltern. Das finde ich gut. Nur: Mehr als dieses kann Klout nicht. Klout und ein Klout-Score sagt nichts (und damit meine ich tatsächlich: nichts) darüber aus, ob jemand für das, was ich zu sagen habe, wichtig ist. Für die Marke, für das Unternehmen, für die Gruppe von Menschen. Dafür muss ich tiefer graben.

Klout & Co sind wie Massen-E-Mails: Sie scheinen zu funktionieren für die, die darauf ihr Geschäftsmodell aufbauen, dass sie es schaffen, gefälschte Viagra an 0,001‱ der Empfänger zu verkaufen. Aber im Grunde nerven sie nur und sind sinnbefreit und zeugen von einem erschreckenden Mangel sowohl an Intelligenz als auch Phantasie. Klout ist für manche moderne Fließband-Agentur das, was ots* damals für Andreas Dripke und sein Team war.

So wenig wie die Ausschüttungen der VG Wort über die Relevanz einer Journalistin für mein Thema aussagen, so wenig relevant ist Klout für die Frage, welche Onlinemultiplikatorinnen mir helfen, meine Ziel zu erreichen. Denn oft ist es diese eine nur Insiderinnen bekannte Person, die dazu noch alle ihre Daten vor Klout versteckt hat und gar nicht von Klout vermessen werden kann, die aber alle Großmultiplikatorinnen und Meinungsmacherinnen lesen und zitieren. Das finde ich aber nur heraus, wenn ich mich auskenne, wenn ich mich mit meinem Thema beschäftige. Klout ist die Ausrede der Ahnungslosen für ihre Faulheit.

Und wer berät oder Kommunikation macht, sollte gar keinen Klout-Score haben, jedenfalls bin ich immer sehr peinlich berührt, wenn ich eine entdecke, die über ihren redet oder ihren kennt. Denn unsere Aufgabe ist es, unsere Unternehmen und Marken nach vorne zu stellen – und nicht uns. Wenn dieses Thema überhaupt eines sein soll, dann wohl eher so: wer einen zu hohen Klout-Score hat, ist nicht geeignet für die Kommunikationsberufe. Weil sie sich kommuniziert. Und nicht die groß macht, um die es geht.

Update
* Ich lege Wert auf die Feststellung (und der Kommentar meines früheren Kollegen kp, mit dem ich auch befreundet bin, macht das noch mal deutlich), dass damit nicht gemeint ist, dass ots wie Viagra-Spam sei. Sondern dass ots als sozusagen industrieller Prozess bestimmte Geschäftsmodelle der Pressearbeit damals erst möglich machte - wie heute Klout & Co bestimmte Geschäftsmodelle der Social-Media-Arbeit. Sollte das missverständlich gewesen sein, tut mir das leid und ich gelobe Besserung. Ich liebe euch.

11.5.12

Vom naturalistischen Fehlschluss. Oder: Warum die Piraten eine gefährliche totalitäre Partei sind

Für jede, die sich mit Denken, Philosophie, Ethik oder Politik beschäftigt, kommt irgendwann der Schritt aus einer (nenne ich mal so, erkläre ich gleich) pubertären Phase in eine erwachsene. Spannend ist zu sehen, dass sehr viele einzelne Menschen dabei den Schritt nachvollziehen, den auch die europäische Denktradition in der Moderne vollzogen hat: von einer totalitären, simplifizierenden, positivistischen Erklärungsweise der Welt hin zu einer, die anerkennt, dass es (subjektive) ethische Prämissen gibt.

Typisches Kennzeichen vormodernen und totalitären Denkens (nicht zu verwechseln bitte im ersten Schritt mit totalitärer Politik) ist dabei der so genannte "naturalistische Fehlschluss"*. Dies meint: Ich beobachte etwas, beschreibe dieses "Sein" - und schließe daraus (das ist der Fehlschluss), dass es (deshalb) auch so sein soll. Oder postuliere, dass etwas sein soll (also: gut ist), weil es ist.

Dieses Denken ist pubertär oder sogar vorpubertär, weil mit Abschluss der Pubertät in der Regel die Fähigkeit zu transzendentem Denken einsetzt, also die Fähigkeit, vom aktuellen "Sein" abzusehen, wenn es darum geht, gut und böse zu bestimmen. Erst die im Zuge der Pubertät in der Regel einsetzende Auflehnung gegen die Realität/das "Sein", philosophisch gesprochen, ermöglicht ja die Erkenntnis, dass dieses "Sein" in gewisser Weise kontingent ist, also vor allem geändert werden kann - oder zumindest, dass ein anderer Zustand des "Seins" gedacht werden kann.

Naturalistische Fehlschlüsse sind vor allem deshalb totalitär, weil sie Objektivität postulieren, wo es keine Objektivität gibt. Sie leugnen ethische Prämissen, indem sie ihre Sollens-Behauptungen aus der Beobachtung der vorhandenen Realität ableiten. Ein Denken, das aber dieses tut, nennt man - so ist es quasi definiert - totalitär.

Die moderne Spielart totalitären Denkens ist der Technikpositivismus, wie er bis heute teilweise in trivialwissenschaftlichen Zusammenhängen vorkommt (also bereits da, wo Menschen "Naturgesetz" sagen und annehmen, dass damit objektive, ewige Gesetzmäßigkeiten gemeint seien, obwohl es weitgehend unumstritten ist, dass das Wort "Naturgesetz" eigentlich falsch und irreführend ist). Alles, was geht, ist gut? Eigentlich eine Position, die wir in Europa seit den 1970er Jahren für überwunden hielten. Das hat zwar teilweise zu so konservativen bis reaktionären Philosophien wie der von Hans Jonas geführt, aber der reine Positivismus (und mit ihm glücklicherweise der Utilitarimus) war weitgehend tot unter denkenden Menschen auf diesem Kontinent.

Was mich erschreckt, ist, wie er sich nun unter Menschen, die ich für denkende Menschen hielt, wieder Bahn bricht. Und selbst wenn ich Christoph Lauer für nicht immer in dieser Kategorie richtig angesiedelt hielte, kommt es mir so vor, als ob es symptomatisch für die totalitäre, technikpositivistische und vor allem von naturalistischen Fehlschlüssen irregeleitete Piratenpartei steht, wenn er im Spiegelinterview von den Gesetzen des Internet faselt, die "wie Naturgesetze stehen". Und aus denen seine Partei viele Forderungen ableite.

Der eine oder die andere mag das für pubertäres Gequatsche halten, was es vielleicht sogar sein mag. Aber es offenbart eben eine totalitäre Haltung, die auch aus anderen Äußerungen atmet: Eine im Denken digital geprägte Gruppe von Menschen nimmt an, dass sich das, was sein soll, objektiv feststellen lässt. Weshalb es auch logisch ist, dass die Führungsleute es ernst meinen und nicht etwa lächerlich finden, wenn sie zu Fragen, zu denen das digitale Denksystem (also das in Nullen und Einsen sortierte Denken) noch keine letztgültige Position hochgespült hat, nichts sagen können. Wo es nur richtig und falsch gibt, kann es zwar individuelle Meinungen geben, aber die Partei kann nur die objektiv richtige Position vertreten.

Das aber ist zutiefst totalitär. Und naiv. Und - das meine ich so, wie ich es sage, auch wenn ich intelligente und denkende Piratinnen kenne - gefährlich.

Es ist noch nie möglich gewesen, aus dem, was ist, abzuleiten, was sein soll. Außer du bist die katholische Kirche. Oder Lukatschenko. Oder die Piratenpartei.


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* Ob der Sein-Sollen-Fehlschluss als naturalistischer Fehlschluss oder als Humes Gesetz bezeichnet werden soll, ist umstritten, ebenso, ob das zwei verschiedene Dinge sind. In der Denktradition liberaler evangelischer Theologie, in der ich groß geworden bin (Stichworte: Rawls, Niebuhr, Tillich) wird dieser Begriff so verwendet, wie ich es hier tue. Und ich mag ihn sehr.

7.5.12

Raus aus dem Interweb. Rein in die Häuser. Und rauf auf die Podien.

Dies ist kein Fanboyartikel. Obwohl ich schon der Überzeugung bin, dass Sascha Lobo tatsächlich sehr viel dafür tut, dass Menschen, die nicht wie du und ich im Internet zu Hause sind, eine Chance haben, zu verstehen, wie unser Lebensstil ist und warum. Und ich ihm dafür sehr dankbar bin, zumal ich in sehr vielen Fällen mit ihm einer Meinung bin. Nicht nur beim Thema Blogs oder in der Frage, ob Apple Twitter kaufen wird. Und er sehr viel schlauer ist, als er tut.

Viel wichtiger aber als die Tatsache, dass Sascha vieles aus meiner Sicht richtig sieht, ist, dass er eben vor allem nach "draußen" spricht. Dass er eine Bühne hat in klassischen Medien und im TV. Und dass er einer ist, der diese Internetdinge durchdacht hat, lebt und trotzdem noch daneben ein Leben hat. Der mit den Leuten da draußen so reden kann, dass sie ein bisschen was verstehen. Im Grunde ist das wichtigste an ihm, dass er eben nicht bloggt. Sondern redet, hier übrigens die re:publica-Dings-Rede.

Ein großer Teil auch meiner Arbeit und meines Lebens findet so statt. Nicht im TV, aber in Runden mit Menschen, die Verantwortung für Unternehmen und Marken haben - aber nicht online leben. Höchstens teilweise online arbeiten oder einkaufen. Zu den großen Komplimenten, die ich mag und immer wieder bekomme, gehört der Satz von Gleichaltrigen, die fühlten sich nun richtig alt nach unserem Workshop, nach meinem Vortrag, nach der Diskussion.

Was ich erst lernen musste und was mir inzwischen mehr und mehr gelingt: Dass ich von meiner Heimat Internet und meinem Leben mit der "default public" Einstellung und meiner Haltung, die ich offen formuliere, so rede, dass sie anderen, die es anders machen und anders sehen, keine Angst macht. Dass ich erkläre, was sich hier verändert hat - und nicht, was sich verändern muss. Dass ich Leute dafür gewinne, sich ihren Blick auf diese Welt da nicht davon verstellen zu lassen, dass sie ihnen fremd und unheimlich ist und sie vieles an ihr für sich persönlich ablehnen.

Und ich denke, das ist es, was wirklich wichtig ist gerade jetzt. Dass wir raus gehen und mit unseren Nachbarinnen reden. Mit unseren alten Freundinnen, die diesen Weg (noch) nicht mitgegangen sind. Mit unseren Chefinnen. Mit unseren Kundinnen. Dass wir deutlich machen, dass es kein "richtig" oder "falsch" in den Fragen gibt, die uns (jetzt sage ich schon uns, seufz) umtreiben. Sondern dass es Wirklichkeiten gibt, die anders sind als das, was wir selbst tun.

Zwei Erlebnisse aus den letzten Wochen:
  • Da war dieses Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung, der Stiftung der Arbeitgeberverbände. Am ersten Tag war die Reaktion der Teilnehmer (es waren nur sehr, sehr, sehr, sehr wenige Frauen dabei) noch aggressiv und widerständig, vielleicht auch, weil der damalige Bundesvorsitzende der Piratenpartei, der ja eher wie ein Junge-Union-Funktionär wirkte, sprach (übrigens auch sehr gut und sehr ruhig und sehr gewinnend). Im Laufe der zwei Tage drehte die Stimmung immer mehr. Nach und nach setzte bei den meisten der Versuch ein, zu verstehen, worüber "wir" da vorne redeten. Was eigentlich unser Thema sein könnte. Dass wir tatsächlich ihre Bedeutung für uns und für die Meinungsbildung in Frage stellen. Dass "alte" Eliten Konkurrenz bekommen haben. Dass das eine Veränderung ist, der sich sogar die (überwiegend emeritierten) Top-Professoren dieses Landes, die sich als zu diesen alten Eliten zugehörig fühlen, werden stellen müssen, die da zusammen saßen. Hier übrigens mein Vortrag von diesem Tag.
  • Da war das Treffen von Kommunikatorinnen aus den evangelischen Kirchen. Bei denen zwar ein gewisses Unverständnis, aber auch eine große Offenheit für meinen Lebensstil und meinen Heimatraum da war. Und die am meisten irritiert hat, als ich sagte, dass bei unserem letzten Hausbau die Frage wichtiger war, ob die Datenleitung fertig wird als die Wasserleitung. Hätte ich wissen können und anders formulieren, denn Wasser ist für Menschen, die sich mit Ländern des Südens beschäftigen, extrem wichtig. Ein Ergebnis von Vortrag und Diskussion war dann mein Papier über Social Media und Kirche.
Redet auf den Spielplätzen, in den Schulen, auf dem Ponyhof, bei der Arbeit, nächstes Wochenende, wenn ihr eure Mutter besucht. Redet und erzählt, wie ihr lebt, was für euch Internet ist. Erklärt nicht denen, die es schon wissen, auf Twitter und in euren Blogs, was euch in Details von mir oder von dem oder von der oder von Sascha Lobo unterscheidet. Sondern beschreibt denen, die Sascha aus dem TV kennen, warum er trotz seiner Frisur kein Spinner ist. Sondern was ihr so seht wie er (denn das wird nicht so wenig sein, wenn ihr ehrlich seid und einmal für kurze Zeit vergesst, dass ihr es total ätzend findet, dass er wie der Klassensprecher daher kommt, den ihr ja damals auch schon nicht mochtet).

Denn wenn ihr, die ihr euch da, online, schon lange so sicher bewegt, euch in der Kohlenstoffwelt, in den Häusern, auf den Podien aus der Deckung wagt, werden andere, die zwar nicht bloggen und twittern, aber Facebook nutzen und Bilder hochladen und so, euch beispringen. Das erlebe ich seit einigen Monaten in fast jeder Runde, in der das Thema hoch kommt.

Vielen meiner alten Freundinnen ist dieses Leben fremd. Einige finden es bedrohlich, obwohl sie keine Angst vor mir haben. Andere sorgen sich um die Zukunft von Kulturtechniken, die ihnen wichtig sind (Lesen! von Büchern! in der U-Bahn!). Aber wenn sie nicht verstehen, was uns wichtig ist, jenseits aller (politischen, wirtschaftlichen, kulturellen) Unterschiede, wenn sie nicht begreifen, warum für uns dieses Internetz ein Heimatraum ist, eben auch ein Raum, dann haben wir verloren.

3.5.12

Social Media für evangelische Kirchen? Geht das?

Ja, das geht. Oder ginge zumindest.

Grob gesagt vor allem deshalb, weil der Glaube, der seine Form in der Kirche findet, reden will. Und, immer noch grob gesagt, weil ein weltzugewandter Protestantismus (also seine Volkskirchenvariante) überall Gesprächsangebote machen will, wird und muss, wo Menschen zusammen kommen.

 Etwas weniger grob, in etwas länger, habe ich mal meine Gedanken zu den Bausteinen und Beispielen, die ich mir für eine Social-Media-Strategie meiner Kirche und ihrer Schwesterkirchen in diesem Land vorstellen kann, aufgeschrieben und in die Diskussion gegeben.