31.12.18

Wie rauchen

Als ich ein Kind war, gab es "Brot statt Böller". Das wurde ganz in der Nähe von unserem Zuhause erfunden, in Bargteheide, 1981. Fand ich gut, denn schon als ich vier war, habe ich, als meine Eltern mich weckten, damit ich das Feuerwerk sehen konnte, nur gemurmelt, "will kein Feuer sehen".

Ich mag Feuerwerk. Sehr sogar. Wenn jemand eines choreographiert, das elegant ist und eine Geschichte erzählt. Was ich noch nie mochte, war mir sinnlos erscheinendes Werfen von lauten Dingen, die explodieren. Ebenfalls als ich Kind war, haben wir Silvester immer mit einer Familie gefeiert, die in der Stadt wohnte. Auf dem Weg wurden wir schon damals von Jugendlichen mit Donnerschlägen beworfen, die am Auto explodierten oder vor unsere Füße kullerten.  Nicht so direkt witzig.

Neulich, als wir uns fragten, ob wir zu intolerant sind inzwischen, weil wir tatsächlich gar kein Verständnis mehr haben für Menschen, die Böller oder Raketen kaufen und ballern, fiel mir die Analogie zum Rauchen ein – die mir passender vorkommt, je näher Silvester rückt. Denn im Grund ist Böllern ja wie Rauchen. Und meine Haltung zu Leuten, die böllern, ähnlich verständnislos wie zu Leuten, die rauchen.

Absurd wird es, wenn Menschen, die Tiere halten oder mit Tieren leben, böllern. Denn die könnten, wenn sie auch nur mit geringen Mengen Empathie ausgestattet wären, sehen, was es bei denen anrichtet. Wer einmal eine Pferdeherde in Panik im Kreis hat laufen sehen, weil um sie herum kriegsähnliche Zustände herrschen, ist wahrscheinlich für alle Zeit kuriert. Wer einmal demente alte Menschen erlebt, die sich in die Bombennächte in Hamburg zurück versetzt fühlen und vor Angst schreien, weil alles wieder hochkommt, verliert jedes Verständnis vor denen, die daran Spaß haben.

Dieses Jahr habe ich mal drauf geachtet, wer da an den Grabbeltischen stand und Böller in den Einkaufswagen lud. Und selbst das eine oder andere Vorurteil ein bisschen weglassend, war der Vergleich mit Rauchen wieder passend. Es ist geradezu beruhigend, dass Böllern wie Rauchen mehr und mehr etwas ist, das nur noch in bildungsfernen und unterbürgerlichen Schichten unreflektiert verbreitet ist. Zumindest bei uns.

Und dass dieses Jahr der Terror der Idioten erst heute, am Silvestertag, begann und nicht wie in den letzten Jahren am 28.12., macht mich optimistisch. Dass es irgendwann, zu einem Zeitpunkt, den ich noch erlebe, nur noch zentrale, wunderschöne Feuerwerke geben wird. Und sich dumm vorkommt, wer der Zeit hinterhertrauert, in der sie Feuerwerk im Supermarkt kaufen konnte.

16.12.18

#schnippschnapp

Ich war ein bisschen überrascht, dass ich so viel Resonanz bekam, als ich neulich auf Twitter fragte, wieso eigentlich so wenige Männer eine Vasektomie machen lassen – und wieso noch wenige darüber sprechen. Mir war gar nicht klar, wie viele merkwürdige "Argumente" es teilweise gibt, die aus Sicht von Jungs dagegen sprechen könnten. Denn in meinem Umfeld ist eine Vasektomie normal. Und etwas, worüber wir auch sprechen. Und, um das gleich vorweg zu sagen, bei niemandem, den ich kenne, mit Einschränkungen oder Problemen verbunden.

Schere. Autor: Richard Huber, Lizenz: cc-by 3.0
Ganz ehrlich – ich kann noch nicht einmal nachvollziehen, wieso es rund um eine Vasektomie überhaupt zu Diskussionen kommen kann. Für mich war es klar, als Quarta geboren wurde, dass dieses unser letztes Kind sein soll (und aus gesundheitlichen Gründen auch sein musste). Und es gibt de facto nur eine wirklich sichere Verhütungsmethode, die mit keinen Nebenwirkungen und einem minimalen Eingriff verbunden ist: das Durchtrennen der Samenleiter beim Mann. 

Weil es dazu so viele Mythen gibt, hier mal das, was da wirklich passiert: Ein Vorgespräch, eine Beratung (in unserem Fall aus gemeinsam als Paar). Und dann ein Termin zur ambulanten Operation in der Praxis des Urologen meines Vertrauens. Konnte ich zu Fuß hingehen. Und konnte ich zu Fuß wieder nach Hause nach einer Stunde. Zweimal zur Wundkontrolle, einmal Ejakulat abgeben zur Erfolgskontrolle. Und Ende Gelände. Schnippschnapp. Fertig. Weitere Folgen: keine. Wirklich nicht. Und auch bei niemandem sonst in Familie und Freundeskreis.

Warum schreibe ich darüber?

Weil ich es absurd finde, dass so wenige Männer eine Vasektomie machen lassen. Und weil mich die "Argumente", die ich höre, wenn welche sagen, warum sie es nicht machen, erschrecken. Sicher, ich bin in der besonderen Situation, dass meine Beziehung schon aus religiösen Gründen auf dieses ganze Leben angelegt ist und sich mir die Frage, ob ich vielleicht im Zuge meiner Midlifecrisis noch mal eine neue Familie zu brauchen glaube, nicht stellt. 

Aber was für ein Menschen- und Männerbild spricht denn aus der Angst, ich könnte im Alter nicht mehr Kinder zeugen? Aus der Vorstellung, dass nur das aktive Verstreuen meines Samens mich zum richtigen Mann macht? Das ist mir zu dicht an der Vorstellung, Männer seien Tiere, seien "nun mal so", was ja auch als Entschuldigung bei anderem absurden und übergriffen Verhalten angeführt wird. Wobei ja lustigerweise Tiere sehr oft an der Fortpflanzung gehindert werden.

Wer zu einem Zeitpunkt, zu dem die Familienplanung abgeschlossen ist (und nur darum geht es hier ja), die Verhütung der Partnerin aufbürdet, obwohl es eine einfache, preiswerte und sichere Methode gibt, die ich selbst anwenden kann, zeigt am Ende doch nur, dass das Gerede von der Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit doch eben nur leer war. Die Frage, ob über eine Vasektomie in dieser Situation auch nur nachgedacht werden muss, ist doch am Ende der "ground truth check" in der Gleichberechtigungsdebatte, wie es ein Freund neulich formulierte. Und dem stimme ich zu.

Toll fand ich andererseits die Geschichte von dem großen Handwerksbetrieb, in dem als Schwächling gilt und als unmännlich, wer die Sterilisation seiner Frau zumutet anstatt selbst unters Messer zu gehen. Weil diese Geschichte zeigt, wie durch Vorbilder und durch Framing Verhalten geändert werden kann.

Ich denke, je mehr wir, die wir es gemacht haben, darüber reden – und auch darüber, wie unproblematisch das war und ist und dass es keine Einfluss auf unsere Sexualität hat –, desto eher wird es auch für andere so normal.