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30.1.24

Was ist was

Als ich gestern Abend darüber las, dass der Verlag in einer irre schnellen Hauruck-Aktion eine Kurzversion eines Was-is-was-Buches über die Demokratie geschaffen und zunächst zum Download zur Verfügung gestellt hat und auch druckt und ausliefert, war ich sehr begeistert. Nicht nur, weil sie dies gemacht haben, so schnell, so gut, so engagiert, so richtig. Sondern auch, weil ich die Was ist was liebe. Seit ich ein Kind war, liebe. 

Viele viele Jahre habe ich jeden Geburtstag und jedes Weihnachten und ganz selten auch mal zu Ostern einen Band bekommen. Und mir zig andere aus der Bücherhalle ausgeliehen. Sie verschlungen und immer wieder gelesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Bücher den Grundstein für das höchste Lob gelegt haben, das ich später von meinem Deutschlehrer als Tadel bekam, der mich zu anstrengend fand, obwohl ich gut in seinen Fächern war. Der jedenfalls in mein Zeugnis schreiben ließ: "Wolfgang interessiert sich manchmal allzu sehr für am Rande liegende Spitzfindigkeiten". 

28.8.23

Dummerjunge

Was mich besonders ankotzt, excuse my French, sind die Leute, die heute oder damals radikal böses Verhalten von jungen Männern mit Dummerjungenstreich oder Sosindjungsnunmal entschuldklären. Da bin ich schon auf Elternabenden aus der Rolle gefallen, wenn das Teilen von übergriffigen Bildern in der Klassenwhatsappgruppe mehr oder weniger mit Achselzucken beantwortet wurde, sowohl von der Lehrerin als auch von den Eltern der Jungs, anstatt es zur Anzeige zu bringen, um einmal sehr klar zu machen, dass es eben kein Streich ist. Streiche sind nämlich wunderbar.

Antifa tidyman
Und als jemand, der ebenfalls in den späten 80ern in der Oberstufe war, wird es mir so gehen wie allen, die in den späten 80ern in der Oberstufe waren und die politisch nicht völlig verblödet sind. In jeder Klasse oder zumindest in jeder Stufe gab es diese ein oder zwei, die nicht nur wie viele andere hin und wieder miese "Witze" machten und das Kriterium Dummerjunge erfüllten, sondern eben Nazis waren. Die meisten von uns wussten, wer das ist, denke ich. Denn in den 80ern in Westdeutschland, auch in Bayern, ich war da über die politische Antifa-Arbeit halbwegs vernetzt hin, gehörte ein Bodensatz in dieser Größenordnung in die Normalverteilung damals. In der Schule haben sie sich auch nicht immer versteckt. Und sie hatten eine Meinung. 

26.4.23

Ein Ende nach über zwanzig Jahren

Quarta bei der Einschulung

Gestern war der letzte richtige Schultag, den ich als Vater miterlebt habe. Nach über zwanzig Jahren geht Schule zu Ende. Quarta hat das Pech, dass es immer sie trifft. Das Ende der Kindergartenzeit. Das Ende der Grundschule für alle. Und jetzt das Ende der Schule (also der Schule, die mich als Eltern betrifft, denn die Berufsschule war bei Secundus und Primus irgendwie anders und wird bei Quarta auch anders sein).

Fast jeden Schultag die letzten über zwanzig Jahre habe ich Schulbrote geschmiert, das war nicht nur meine Aufgabe, sondern das habe ich auch wirklich gerne gemacht. Ja, ich habe immer wieder mit den retournierten Pausenbroten gehadert (wo ist eigentlich das Tumblr-Blog hin??), aber ich habe es treu gemacht. Und seit jenem Blogtext, ich glaube von Frau Antonmann, als es das Blog noch gab, seit jenem Blogtext auch gerne, in dem sie davon erzählte, dass sie sich noch immer gerne daran erinnert, wie ihr Vater ihr jeden Tag stoisch das Pausenbrot gemacht hat und es sie darum heute mit ebensolcher Stoik macht. So wie ich seit dem Tag. Was haben wir experimentiert, damit häufiger mal was gegessen wird davon. Oft hat das auch geklappt, irgendwie.

Jedenfalls eine absurde Situation. Heute die zweite schriftliche Prüfung, dann eine Woche später noch eine, dann nur noch einmal die Woche zwei Stunden im Fach der mündlichen Prüfung, es trudelt irgendwie so aus, komischerweise. Aber es ist vorbei. In diesen Minuten beginnt Quarta, die Prüfung zu schreiben. Drücken wir ihr die Daumen.

Wahrscheinlich bin ich jetzt offiziell alt. Und ein bisschen wehmütig bin ich auch. Tatsächlich. Denn es hat den Tagesanfang so schön strukturiert. Und es hat dem Leben und dem Jahr einen Rhythmus gegeben. Und nun haben wir alle vier Kinder durch die Schule gebracht, die haben es überlebt, mehr oder weniger gut, wir haben es überlebt, ziemlich gut. Kein Elternabend mehr für mich. Wie soll ich Twitter jetzt ertragen?

30.3.23

Schulaus

Nach über zwanzig Jahren geht für uns das Thema Schule zu Ende. In dieser Woche beginnen in Schleswig-Holstein die Abiturprüfungen. Quartas in der Minute, in der ich auf den Knopf für Veröffentlichen gedrückt habe. Sieben Uhr Vierzig.

Ich erinnere mich noch gut an meine, vor allem an Musik. Da war ich so extrem ärgerlich über die Aufgabenstellung, dass ich die Arbeit im Stil einer Musikkritik des 19. Jahrhunderts schrieb. Denn ich hatte mich auf Bergs Wozzeck und auf Bartoks Streichquartette vorbereitet – und dann kam ausgerechnet fast die gleiche Aufgabe zum 5. Streichquartett dran, die wir schon in der Oberstufe hatten. Ja, ich liebe das fünfte, sehr sogar, aber wieso habe ich dann das alles gelernt?

Jedenfalls. Abitur. Heute Chemie, dann erstmal Ferien. Und dann war es das mit Schule weitgehend. Quartas Pech ist, dass sie als Jüngste die ist, mit der all diese Dinge, die uns jahrelang begleitet haben, ein letztes Mal passieren. Ihr Glück, dass wir schon Erfahrung damit haben. Es ist trotzdem aufregend.

Und dann wird Schule auf einmal aus sein. 

10.4.15

Nein. So nicht.

Am Sonntag stimmen wir Grünen in Hamburg darüber ab, ob wir mit der SPD die nächsten fünf Jahre zusammen regieren wollen. Wir hatten eine überwiegend gute Verhandlungskommission losgeschickt und die empfiehlt uns ihr Ergebnis und ein nicht quotiertes Personaltableau.

Ich werde beidem nicht zustimmen. 
Ob ich mich enthalte, mit Nein stimme oder nicht komme, weiß ich noch nicht genau. Aber dies sind die beiden Gründe und sie hängen miteinander zusammen.

1.
Sowohl inhaltlich als auch in den Ressorts, die wir "bekommen" sollen, rächt sich, dass wir Schwerpunkte gelegt haben, die ich nicht richtig finde. Zumindest nicht alle. Sehr gut ist aus meiner Sicht, wieder die Justizbehörde zu übernehmen. Da sind unter schwarz-grün gute Erfolge erzielt worden, auch wenn die medial nicht spektakulär waren. Ein wichtiges Ressort, das oft unterschätzt wird. 

Bei Umwelt aber waren wir schon weiter. Mindestens Verkehr, besser Infrastruktur muss dazu gehören. Oder - wie in Hessen und Rheinland-Pfalz - eben zusätzlich Wirtschaft (zumal die SPD da eh blank ist in Hamburg und seit Jahren stattdessen einen konservativen old-economy-Lobbyisten als "unabhängigen" Senator beschäftigt) oder wie in Schläfrig-Holstein Landwirtschaft. So ist es doch verschenkt. 

Dass wir aber einen unserer größten Schwerpunkte und auch das Ressort, das die stellvertretende Bürgermeisterin bekommt (Wissenschaft), am Befinden der Vorsitzenden ausrichten, obwohl sie auch anderes könnte, finde ich falsch und fand ich schon am Wahlkampf falsch. Die beiden Spitzenkandidatinnen ziehen sich, etwas leicht böse überspitzt in meiner Enttäuschung, in Wohlfühlbehörden zurück. Und der unterlegene dritte darf dann harte Politik machen.

Innen, Wirtschaft, Infrastruktur
Eines dieser Ressorts muss eine grüne Partei heute besetzen, sonst bekommt eine SPD sie eben nicht (mehr).

2.
Ich schätze, dass die Personal- und Ressortentscheidungen so unbefriedigend sind, hat auch damit zu tun, dass der Vertrag insgesamt nicht in einem Zustand ist, der mir die Zustimmung ermöglicht. Wir haben in einigen Bereichen gute Fortschritte gemacht - vor allem im Hafen, das ist sehr gut. Vor allem dieser Teil des Vertrages hat mich lange überlegen lassen, ob er allein nicht Wert wäre, alle anderen Punkte hintan zu stellen. Und es allein für die Ökologisierung des Hafens zu tun.

Aber ich kann nicht.
Schule und Olympia trage ich nicht mit.

Die unglaubliche Euphorie vor allem unserer Vorsitzenden Katharina Fegebank für Olympia teile ich nicht. Ich lehne ab, große Teile der inneren Stadt zu einem demokratiefreien Raum zu machen und öffentliche Sicherheit komplett zu privatisieren. Ich halte olympische Spiele für zurzeit nicht in einer Demokratie durchführbar. Und ich hatte den Diskussionsstand bei den Grünen auch deutlich differenzierter in Erinnerung. Eine ökologisch und sozial verträgliche Ausgestaltung kann nicht alles sein, wenn die Demokratie und die Freiheitsrechte auf der Strecke bleiben und weite Teile des öffentlichen Raumes (und nicht etwa nur der Sportstätten, was ich ok fände) faktisch privatisiert werden für diese Zeit.

Mein Hop-oder-Top-Thema aber ist Schule.
Schulpolitik ist mehr noch als Digitalisierung und Bürgerinnenrechte das, bei dem ich bei Menschen im Wort bin und das ich aus der Nähe beurteilen kann. Das ich für ein entscheidendes, wenn nicht das entscheidende Zukunftsthema für diese Stadt halte. Und da ist der Vertrag - dabei bleibe ich auch nach intensiven Diskussionen mit der Verhandlungskommission - eine Mogelpackung.

Mit Inklusion beschäftige ich mich lange und intensiv. Und obwohl der Vertrag dieses wie einen Schwerpunkt behandelt, ist das Ergebnis exakt das, was bereits vor der Wahl angeschoben wurde, was dem aktuellen Verwaltungshandeln entspricht - und womit bereits in dieser Woche, also vor der Koalition, begonnen wird. Mit anderen Worten: es ist die Fortschreibung dessen, was ich für ein Totalversagen des bisherigen Senats halte.

Obwohl der Vertrag formuliert, es würden für die Inklusion "120 zusätzliche Vollzeitstellen" zur Verfügung gestellt, meinen die Verhandlerinnen damit eine Umschichtung bestehender Stellen in die Inklusion - vor allem aus Effizienzreserven durch zurzeit teilweise zu kleine Klassen. Die Vorschläge zur Schulbegleitung von Kindern mit Förderbedarf klingen auf dem Papier auch ganz gut - meinen aber in der Realität vor allem 19-jährige, jährlich wechselnde, ohne jede Qualifikation (aber billig) bereitgestellte Kräfte.

SPD pur in der Schulpolitik kann ich nicht mittragen.
Das hatten wir die letzten Jahre.
Das zu ändern, habe ich Menschen motiviert, grün zu wählen.

***

Keiner meiner Schmerzpunkte wäre ohne die Grünen in der Regierung besser.
Es gibt Punkte (vor allem der Hafen), die wären ohne sie schlechter. Das muss ich abwägen. Ich weiß. Aber die Kombination aus zwei Themen, die mitzutragen ich nicht verantwortbar finde, und einem inhaltlich (Ressorts) und personell (Quote) nicht befriedigenden Senatsvorschlag verhindert, dass ich zustimmen kann. Was ich schade finde. Aber vielleicht geht es nicht anders angesichts einer SPD, die sich über Jahre hinweg hart erarbeitet hat, einen Scholz als Landes- und einen Gabriel als Bundesvorsitzenden verdient zu haben.



27.1.15

Lauf, Junge, lauf

Er wollte eigentlich dringend die Schule wechseln. Zwar würde er in einer größeren Klasse nicht zwingend den Ersten Schulabschluss schaffen, aber alle anderen, die sich jetzt, als Jugendliche, ihrer Religion zuwenden, gehen rüber an eine der Schulen in Lohbrügge. Sein Cousin würde da auf ihn aufpassen und ihm helfen.

Auch, wenn er in den letzten beiden Jahren, seit er erwacht ist, wie er es wahrscheinlich nennen würde, von seiner Klassenlehrerin immer direkte und sehr klare Ansagen bekommt (und er sie mag und respektiert, ja wirklich, Respekt kommt ihm dabei über die Lippen, verwunderlich genug, sie ist ja eine Frau), weiß er doch, wer an allem Schuld ist. Auch wenn er es (wohl eher aus Rücksicht auf die Lehrerin als aus Überzeugung) seltener und nur noch sehr selten ungefragt und zu jeder Gelegenheit in die Klasse ruft. Schuld daran, dass seine Familie Afghanistan verließ. Daran, dass der Islam überall unterdrückt wird. Weshalb es sein Weltbild bereits leicht ins Wanken brachte, sozusagen einen winzigen Haarriss zeitigte, als es kein Problem darstellte, dass er in der Mittagspause in der Schule im Gruppenraum der Klasse beten wollte. Was er seitdem machte.

Die Juden sind Schuld. Und Israel sowieso, diese Eroberer und Unterdrücker. Davon ist er fest überzeugt.

***

Im letzten halben Jahr war in Geschichte das Thema ein Thema, das so viele nervt. Von dem ich immer wieder höre, dass es zu viel, zu oft, zu pädagogisch behandelt werde. Dass alle Schülerinnen dauernd darüber reden müssten würden. Seine Geschichte aber zeigt, dass wir nicht oft genug über den Holocaust und die deutsche Vernichtungsmaschine reden können.

Im letzten Halbjahr sind viele Schulklassen in Lauf, Junge, lauf gegangen. In Hamburg haben die (kleineren) Kinos den Film an den Schulfilmtagen gezeigt. Und obwohl seine Lehrerin den Film mit der Klasse vorbereitet hat und das Thema schon länger im Unterricht dran war, traf ihn der Film völlig unvorbereitet. Und hat ihn erschüttert.



Ausgerechnet ein Jude. Es war völlig verstörend, dass ausgerechnet ein jüdischer Junge etwas erlebt, das er fast für seine Geschichte halten könnte. Sein Zorn und auch wirklich sein Mitgefühl galten dem Jungen.

Er hatte noch nie darüber nachgedacht und noch nie davon gehört. Noch nie, obwohl er ja nun auch schon sechzehn ist, hier geboren wurde und in dieses Land gehört. Obwohl angeblich dauernd und viel zu viel davon in der Schule und in Medien die Rede sei.

***

Er wurde stiller. Seit dem Vormittag im Passagekino, damals, im Spätherbst, hat er nicht ein einziges Mal in der Klasse über die Juden, die an allem Schuld seien, schwadroniert. Nicht noch einmal den Schulwechsel angesprochen. 103 Minuten, die sein Leben verändert haben.

***

Ich denke, wir können nicht oft genug vom Holocaust reden und von den Verbrechen, die die Deutschen in ganz Europa begangen haben, dem Preis für den Aufstieg des "kleinen Mannes" in der deutschen Gesellschaft.

In meiner Kindheit war es Ein Stück Himmel, für die Generation meiner Kinder ist es Lauf, Junge, lauf. Immer wieder ein eindringliches Stück aus der Opferperspektive, das einen Perspektivwechsel ermöglicht.

Bundesarchiv Bild 146-1993-020-26A, Lidice, Ort nach Zerstörung Für mich persönlich waren es die Reise nach Lidice und das Bild Guernica, die mich so tief erschüttert und beeindruckt haben. Für den Jungen war es der Vormittag im Kino. Aber ein auch emotional erschütternder Moment, davon bin ich überzeugt, muss sein und kann sein und kann allen zugemutet werden.

Denn allein die Fakten, allein die Wahrheit, bewegt jemanden wie diesen Jungen nicht. Andere schon, die es zornig macht, beides ist wichtig. Beides ist gut. Wichtig ist nur, dass es zu einer Veränderung führt.

Ich bin überzeugt, dass allein die tiefe Fassungslosigkeit oder Scham die Monstrosität des Holocaust erahnen lässt. Denn er ist mit Worten und Bekenntnissen und Schilderungen nicht zu erfassen. Und es kann und darf niemals einen Schlusstrich geben.

Was mir die kleine Episode mit dem Jungen vor allem zeigt, ist, dass es richtig ist, den Holocaust auch in der Schule, abseits der Pfade der eigenen Familie und des eigenen direkten Umfeldes, immer und immer wieder und immer wieder neu und anders zu behandeln. Denn Kinder, junge Jugendliche und ältere Jugendliche haben verschiedene und sich verändernde (emotionale) Zugänge zu diesem Thema. Es ist nie zu früh für die Fassungslosigkeit. Und nie zu spät.

Und wenn nur ein Judenhasser in seiner Haltung und Überzeugung erschüttert wird, hat es sich gelohnt.

13.1.15

Bildungsfernes Schichten

Jugendliche müssen so was sagen. Wirklich. Sonst liefe was falsch. Keine Kritik also, kein Erheben, kein mildes Lächeln von meiner Seite. Wirklich nicht.
Komisch und verquer wird es, wenn das aber Erwachsene begeistert aufnehmen und wenn deren "Medien" das zum Tweet des Tages erklären.

Es erinnert mich an so ziemlich jede Diskussion über Bildung und Schule, die ich mein Leben lang geführt habe. Bereits ganz großartig während der Schulkämpfe in den 80ern in Hamburg - gipfelnd im legendären Streitgespräch unseres stramm Stamokap geprägten Vorsitzenden der SchülerInnenkammer (so hieß die damals) mit Gerhard Meyer-Vorfelder ("MV"), dem damaligen Schulminister in Baden-Württemberg, der sich im Fernsehen zu der Aussage verstieg, die Masse der jungen Leute brauche nur führerscheinähnliche Kenntnisse, wenn sie die Schule verlasse.

Steuern, Miete, Führerschein - klassisches rechtskonservatives Schulziel für die Masse - während die Gedichtsanalyse den wenigen Kindern der Professoren und Ärzte vorbehalten sind, denn wer braucht so was schon.

Call me Bildungsbürger, aber ich finde es großartig, dass wir da heute weiter sind. Mich hat, zumal ich eben gerade nicht aus Arbeiterinnenfamilien stamme sondern aus einer Mischung von Akademikerinnen und Kleinbürgerinnen, die emphatische Kritik am reaktionären Antiintellektualismus heutiger Pseudoeliten sehr berührt, die Georg Seeßlen im Oktober in der Konkret schrieb. Lest die mal, wirklich.

Wo wenn nicht in der Schule, wenn sie nicht aus falsch verstandenem ökonomischen Druck gehetzt und nur auf Anwendungswissen getrimmt ist, kann ich so zweckfrei und nur aus intellektueller Maniriertheit etwas wie Gedichtsanalysen machen? Wo kann ich, nachdem das akademische Studium durch den Bolognaprozess kastriert und auf Linie gebracht wurde, noch denken lernen.

Das macht vielen Jugendlichen keinen Spaß. Aber selbst wenn ich jetzt wie der alte Sack klinge, der ich bin: Selbst die, die sich darüber mokieren, während sie sich aus schicker Langeweile oder tatsächlichem Desinteresse in der Nase popeln oder ihre Haare durch den Mund ziehen, profitieren langfristig davon.

Steuern, Miete, Versicherungen. Lineare Algebra sogar (obwohl ich erst entsetzt war, dass das ins Studium ausgelagert wurde). Das Leben, die Berufsschule oder der Vorkurs an der Uni sind auch noch da.

Mich gruselt es vor Leuten, die die Schule von ihrem Bildungsauftrag befreien und ihr einen Ausbildungsauftrag verpassen wollen. Denn sie verfolgen eine Agenda. Und die ist bestenfalls reaktionär.

11.12.14

Internetz und Schule und so

Anfang des Jahres hatte ich allen, die nicht bei drei auf den Bäumen waren, das wunderbare Buch von Tanja und Johnny Haeusler mit auf den Weg gegeben. In der Hoffnung, dass sich die Sicht anderer Eltern und von Lehrerinnen auf das Thema “Internet und unsere Kinder” etwas ändern möge. Denn es ist meine Empfehlung dieses Jahr gewesen als Kontrastprogramm zu den üblichen Elternfortbildungen rund um das Internet, die überwiegend mit der Angst spielten.

Womit wir bei der Medienkompetenz wären. Der Ausschnitt, den ich selbst beobachten konnte, ist begrenzt, aber doch nicht zu sehr - von Grundschule über Förderschulen und mittlere Schulformen (die in Hamburg Stadtteilschulen heißen und Gesamtschulen mit Oberstufen sind) bis hin zu Gymnasium und einem Abiturjahrgang reicht es dann doch. Dazu kommen die Gespräche mit anderen Eltern und Lehrerinnen. Und die gute Nachricht ist, dass die Medienkompetenz in den letzten Jahren an den Schulen und bei den Lehrerinnen massiv zugenommen hat. Internetbasierte Arbeitsweisen gehören zum Methodencurriculum aller Schulformen, auch schon der Grundschulen.

Computerraum in einer Schule 2005
Symbolbild "Schule und Internet"

Und ich bin froh, dass “das Netz” vor allem dort zu Hause ist. Methodencurriculum (das jede Schule für sich entwickelt haben muss) heißt ja, dass es verbindliche Aussagen darüber gibt, welche Methoden in der Schule wann und wie gelernt und angewendet werden. Und “das Internet” gehört da flächendeckend dazu, inzwischen nach meiner Beobachtung auch in einer Art und Weise, die ich oft als angemessen empfinde.

Das geht von selbstbestimmten Lernkontrollen in der Grundschule, die über Internetseiten stattfinden, so dass meine Tochter sowohl in der Schule als auch zu Hause auf den gleichen Stand zurück greifen kann, ihre Aufzeichungen und Fragen zu Büchern in der Freiarbeit in der Schule oder in der Hausarbeit am Küchentisch erledigen kann. Und es endet nicht bei Recherchen zu internationalen Diskussionen im Politikunterricht der Oberstufe.

Und wenn das Internet eher unter den Methoden abgehandelt wird, ist das auch ein gutes Zeichen dafür, dass es in der Mitte der Schule angekommen ist. Wie sehr, hängt dann noch etwas zu sehr vom eigenen Geschmack der jeweiligen Lehrerin ab, aber selbst die hartnäckigsten Anhängerinnen von baumbasierten Nachschlagewerken kommen nicht mehr umhin, Recherchen und Quellenarbeit auch anders anzuleiten und zuzulassen.

Symbolbild "Wände in Schulgebäuden"
Inzwischen sind wir in den Schulen schon so weit, dass wir nicht mehr jede Grundsätzlichkeit diskutieren - sondern uns eher damit auseinandersetzen, dass es kein Netz gibt, weil mobiles Internet in den Betonklötzen nicht funktioniert und das schuleigene Netz, ob über Kabel oder WLAN wieder einmal down ist. Weil es niemanden gibt, der oder die sich damit auskennt und die Firma, die beauftragt ist, den Server und die Computer wieder flott zu machen, über die die Smartboards angesteuert werden, erst in vier Wochen vorbei kommt. Das Service Level Agreement und das Geld, das die Schulbehörde dafür investiert, reicht nicht zu mehr. Weshalb ja auch die Lehrerinnen die Zeugnisse zu Hause schreiben, weil sie nicht ins Netzwerk kommen. Oder ihr privates Handy nutzen, um einen Hotspot für die Schülerinnen zu bauen, wenn ihr Klassenraum weit genug an der Außenwand liegt, um zumindest eine EDGE-Verbindung zuzulassen.

Wer hätte gedacht, dass 2014 die technische Ausstattung das größere Problem ist als die Bereitschaft oder Kompetenz der Lehrerinnen. Der Generationswechsel macht sich inzwischen eben doch bemerkbar.

Also bringen die Schülerinnen ihre eigene IT mit. Smartphones und Tablets vor allem, auch ihr eigenes Internet, wenn es denn funktioniert, siehe oben. Weshalb nach Stricken und Rauchen nun also die Nutzung von mobilen Internetzugangsgeräten kontrovers zwischen Eltern, Schülerinnen und Lehrkörpern diskutiert wird.

An allen Schulen, an denen ich als Vater mehr oder weniger nicht aktiv bin, haben wir in diesem Jahr diese Frage verhandelt. Und sind an jeder Schule zu einem anderen Ergebnis gekommen. Spannend war dabei, dass der Riss immer einmal quer durch Kollegien und Elternschaft ging. Nur die Schülerinnen waren sich immer recht einig.

Von Handy- und Tablet-Verbot auf dem Schulgelände über gescheitere Regelungsversuche bis hin zu spannenden Kompromissen, die sehr differenziert zwischen Unterricht, Freiarbeitszeiten und Pausen unterschieden und Handy-Zonen auf dem Schulhof schufen, habe ich alles miterlebt.

Traurig macht mich, dass wir 2014 kaum einen Schritt damit weiter gekommen sind, Informatik als Pflichtfach für alle einzuführen. Dass die Sensibilität dafür immer noch kaum vorhanden ist -  und es uns kaum gelungen ist, neue Verbündete zu finden -, dass es eine wichtige Zukunftsfrage für unsere Kinder ist, ob sie die Grundprinzipien von Programmen verstehen, ob sie in Ansätzen Code lesen können, ob sie eine Vorstellung davon haben, wie mächtig Algorithmen sind und wie viel Macht es verleihen kann, sie zu kennen und ändern zu können. Vielleicht sogar eine wichtigere Frage als die nach der Position von Brom im Periodensystem.

Belustigt stand ich vor den Diskussionen anderer Eltern und einiger Lehrerinnen über Facebook. Während unsere Kinder schon längst Freshtorge auf Youtube folgten und sich via Instagram die nächste große Liebe andeutete. Während sich die einen darüber beklagten, dass ihre Kinder die Lokalzeitung nicht mehr lesen (oder die Zeitungsverleger gar nach dem Schutzzollgesetz auch noch das Pflichtfach Medienarchäologie an den Schulen forderten), war ich überrascht, was mein 12-Jähriger alles über die Welt und die Politik weiß - bis ich rausfand, dass er natürlich Le Floid auf Youtube abonniert hat. Ganz ehrlich: mir ist das Medienverhalten meiner Kinder auch fremd. Aber ich finde es faszinierend.

Und seit in der Schule im sozialen Brennpunkt die Kommunikation zwischen der Klassenlehrerin und den Schülerinnen über Whats App läuft, vergessen die auch ihren Turnbeutel nicht mehr. Eine kurze Nachricht morgens - und alles ist geritzt.

______

Etwas bearbeitet ist dieser Text auch im Jahresrückblickbuch von iRights  media erschienen. 
Hier kann man ihn online lesen.

12.12.13

Medienerziehung

Früher hätten wir einen Brief oder eine Postkarte an die Plattenfirma geschrieben und einige Wochen später wäre etwa die gleiche Antwort mitsamt drei Autogrammkarten gekommen, wenn wir Glück hatten. Heute fragen wir mal eben nach.

Und so kommt es, dass Chris de Burgh mit Tertius einen netten Dialog hatte. Denn dessen Musiklehrer hatte die (wie ich finde: sehr gute) Idee, dass die Kinder Referate über die Lieblingssängerin oder die Lieblingsband ihrer Eltern halten. Und weil Sigur Rós ihm zu schräg und anstrengend war (dabei, hey, wäre er damit echt voll cool gewesen), nahm er meinen Lieblingssänger seit ewigen Zeiten (seit ich zur Konfirmation meine erste Platte von ihm geschenkt bekam). Positiver Nebeneffekt: Ich höre seit Tagen wieder diese Musik, die mir gute Laune und mich vor allem, wie ich immer wieder verwundert feststelle, glücklich macht.
Vor allem aber dachten wir irgendwann, dass er ja mal neben Wikipedia, YouTube und dem Plattenschrank noch weitere Quellen konsultieren könnte. Und Chris hat auch zügig geantwortet.

Chris de Burgh sent a tweet to my son for his school presentation about him

Verwundert rieb ich mir erst die Augen heute früh. Und auch Tertius freute sich sehr. Und erst später wurde mir bewusst, dass dies ja recht eigentlich Medienerziehung für mein Kind war. Embedded sozusagen.

Mich fasziniert, wie einfach das Einüben neuer Kommunikation im Alltag sein kann. Und wie bereitwillig die Kinder etwas mit mir ausprobieren. Da muss ich ihnen gar nichts überstülpen.

Und ich merke, wie anders ich sie begleiten kann in ihre Wissenswelt, wenn ich selbst ihre Netzwerke nutze. Denn auf Twitter war Tertius ja schon etwas länger...

23.9.13

Oh Captain My Captain

Ich habe, was sich merkwürdig anhört, nie den Werther gelesen. Und die Reifeprüfung fand ich sehr weit aus der Zeit gefallen. Für mich und für viele, mit denen in damals zu tun hatte und befreundet war, war Dead Poets Society (Der Club der toten Dichter) so etwas. Der Film zum Erwachsenwerden. Er kam in die Kinos in dem Jahr, in dem ich Abitur machte und zu studieren begann. Und er hat mich und viele andere sehr berührt und aufgewühlt. Und in einer Mischung aus Erinnerung an die Gefühlswelt damals und aus einer immer noch großartigen Geschichte und Schlussszene (die viel kürzer ist, als ich in Erinnerung hatte) wühlt mich dieser Film immer noch auf.

Es ist sicher auch kein Zufall, dass Ethan Hawke die Hauptfigur Todd spielt. Wie kaum ein anderer verkörperte er ja unsere Coupland'sche Generation X im Kino. "Meine" Figur war zwar immer mehr Overstreet, aber ich schätze, jede von uns in dieser Generation kennt alle die, die da vorkommen. Inklusive einem Cameron. Wenn ich heute den Film sehe, habe ich sie alle vor mir, mit denen ich zur Schule ging und auf den Sommerakademien war.

Überhaupt waren die der Ort, an dem diese Schule irgendwie lebendig wurde für einige von uns. Wahrscheinlich weil sie das gleiche Elitegehabe hatten. Und weil es Zeiten der Fülle und der Inspiration waren. Zeiten, in denen wir uns intellektuell angeregt wussten. Ein Ort, an dem wir, also die Unangepassten unter den Stipendiatinnen der Studienstiftung des deutschen Volkes, mit anderen Überfliegerinnen den Widerstand gegen die Spießer übten. In meinem Fall vor allem in der Sommerakademie, in der ich "In welchen Städten wollen wir leben" bei drei linken Architektur- und Städtebauprofs belegt hatte.

Auch wenn Der Club der toten Dichter in einer anderen Zeit spielte als der Gegenwart - das ist mir übrigens erst sehr viel später bewusst geworden -, war er für uns irgendwie jetzt. Die Emotionalität, das Aufgehen in der Romantik der großen Lyrik, das Ausprobieren. Es war, wie es in der späten Pubertät wahrscheinlich sein muss, eben auch eine Zeit, in der ich viel Musik schrieb (in meinem Fall moderne E-Musik, was damals was anderes hieß als heute, nämlich das, was mit klassischen Instrumenten in Konzertsälen lief. Ligeti war mein Held), Gedichte, auch ein Theaterstück. So wie die Jungs im Club der toten Dichter.

Keating verkörperte alles, was mir an Lehrerinnen wichtig war. Und auch viel von dem, wie ich bis heute Erziehen und auch Führen verstehe. Das hat mich so in seinen Bann gezogen, weil ich auf der Suche war nach eben diesem. Dem eigene Weg. Dem eigenen Denken. Dem tiefen Fühlen. Meine bis heute andauernde Liebe für Mahler und für Thomas Manns Doktor Faustus stammt aus dieser Zeit. Und meine bis heute andauernde Liebe für meine Frau.

Bis heute ist es für mich die vielleicht aufwühlendste Szene in einem Film überhaupt, wenn Todd, Ethan Hawke, auf sein Pult steigt und "Captain my Captain" sagt. Voller Angst, Zweifel, mit Tränen und trotzdem mutig.


30.5.13

Bildung oder Untertanen

Als ich meine Überlegungen zum Informatikunterricht schrieb, war mir gar nicht klar, dass das aktuell ist. Dass bei der Zerschlagung des Naturwissenschaftsunterrichts an Hamburger Stadtteilschulen die Informatik für alle dran glauben muss. Es schloss sich dann gestern und heute unter Leuten, die sich in Hamburg mit Bildungspolitik beschäftigen, eine teilweise interessante, teilweise abstruse Diskussion an. Wie so oft mit einem unbestreitbaren Highlight: Herrn Walter Scheuerl (für Nichthamburgerinnen: der Anwalt, der die Elbvorortemuttis gegen die Primarschule mobilisierte und mit dem sich jetzt die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft rumärgern muss, zugleich Vorsitzender des Schulausschusses des Parlaments).
Dieser Tweet ist nur einer von vielen, die zwar wirken, als wäre da schon eine von mir auch oft bevorzugt Flüssigkeitsaufnahme vorher erfolgt, aber nach Auskunft einer sicheren Quelle nüchtern aus der Bürgerschaft heraus erfolgten. Andere Höhepunkte waren Hinweise darauf, dass Informatik nur was für Experten und dass das gesamte Thema eh seit 2000 gescheitert sei. Lest einfach mal Scheuerls Tweets, wenn ihr stark genug seid. Mir geht es an sich nicht um diesen Mann und seine Groupies, denn die Argumente sind bis in meine Partei populär und werden heute auch vom Sprecher des Schulsenators im Abendblatt benutzt, der wiederum bis vor kurzem oberster Elternvertreter der Stadt war.
Was mich an der Diskussion so ärgert, ist, dass zum einen so viele Dinge vermischt werden, dazu mein Beitrag neulich. Medienerziehung, Medienkritik etc. und Informatik sind zwei paar Schuhe, wiederhole ich auch gerne noch mal.

Und dass es bei Informatik zum anderen um etwas anderes geht. Es geht darum, dass wir Rüstzeug bekommen, einige der wichtigsten und mächtigsten Ordnungssysteme unserer Welt nachvollziehen zu können. Nicht um mehr. Im Sinne des exemplarischen Lernens (ok, das werden ideologisch vernagelte Leute, die sich mit Bildung beschäftigen, auch nicht wollen oder verstehen) kann dabei helfen, eine oder mehrere Programmiersprachen zu lernen, einen aktiven und - vor allem - passiven Wortschatz zu entwickeln, um Code zu lesen und sich nicht von Expertinnen abspeisen zu lassen, wenn ich Fragen habe.

Wer nicht wenigstens rudimentäre Kenntnisse darin hat, Code zu lesen (nicht zwingend zu programmieren), ist künftig diesen so genannten Expertinnen genau so ausgeliefert, wie jemand, die nicht die Grundzüge des Zinsrechnens gelernt hat oder (beispielsweise anhand von Sprachunterricht) Quellen- und Kulturzusammenhänge. Was also offenbar will, wer so vehement wie Scheuerl und andere (auch in anderen Parteien, auch in meiner) gegen einen flächendeckenden Informatikunterricht agitiert, sind Untertanen.

Also das Gegenteil von Bildung. Bildung hat immer das Ziel, Menschen mündig und unabhängig zu machen. Das unterscheidet Bildung von Ausbildung. Anders als die Forderung von Handelskammer und Unternehmen nach Informatik- und Wirtschaftsunterricht vermuten ließen, geht es am Ende bei diesen Fächern gar nicht um Ausbildung, um Berufsfähigkeit. Sondern um ein im Kern humanistisches Bildungsideal.

Darum, die Welt zu verstehen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Darum, die Chance zu bekommen, die Einlassungen so genannter Expertinnen zu überprüfen. Ihren Code lesen zu können, ihre Rechnung nachvollziehen zu können, ihre Prognosen mit der Vergangenheit zu vergleichen.

tl;dr
Zu einer Bildung im klassischen Sinne, die für die heutige Welt ihre Aufgabe erfüllen kann, gehört neben Latein und Englisch und Mathe und Lesen eben auch Informatik.

28.5.13

Or Be Programmed

Informatikunterricht. Gab es schon in den 80ern an meiner Schule, hatte ich nicht, denn, ihr erinnert euch, meine Eltern führten auf meinem Rücken und mit meiner Unterstützung damals den Kulturkampf gegen Computer, obwohl wir später sogar zu den ersten gehörten, die BTX zu Hause hatten, aber das ist eine andere Geschichte.

Tablets, Smartboards. Ein Thema, das Eltern erregt und elektrisiert. Aktuell mal wieder aufgrund eines Schulmodells in Hamburg. Was haben wir im Elternrat auch um die weitere Einführung von Smartboards gerungen, wie fehlgenutzt auch immer die in der Praxis teilweise werden.

Was mich ärgert (ich kam darauf aufgrund einer Diskussion mit Hansjörg Schmidt, den ich nicht nur aber auch als Netz- und Medienpolitiker in Hamburg schätze und der nicht die Ursache des Ärgers ist), ist aber, wenn die beiden Dinge miteinander verknüpft werden. Oder gar in einem Atemzug genannt. Und das hängt mit einem Thema zusammen, zu dem Nico Lumma neulich was schrieb, das ich nicht wiederfinde, weil die Suche in seinem Blog für mich unbrauchbar ist. Der Idee, dass alle Schülerinnen eine Programmiersprache lernen sollten, dass es wie Fremdsprachen zum Basiscurriculum einer höheren Schule gehöre. Update: Hier beispielsweise, sagt Nico, habe er das geschrieben, wie sonst auch überall immer. Danke. Lesen.

***

Mit dem ersten meiner vier Kinder bin ich ja nun fast einmal durch das Schulsystem hindurch. Ok, in Hamburg. Und die anderen drei durchlaufen es. Und nun wechseln wir nach Schläfrig-Holstein in die Schulen, wenn alles klappt.

In keinem Fall meiner Kinder ist eine aus meiner Sicht auch nur rudimentär angemessene Mediennutzung Teil ihres Unterrichts gewesen. Aktueller Höhepunkt war, dass Tertius auf meine Anregung hin sein Baumtagebuch, das er im Nawi-Unterricht anfertigen muss, als Blog führt (was ihn, wie überraschend, tatsächlich motiviert, was eine handschriftliche Papiervariante nicht gekonnt hätte) - aber es keine Lösung dafür gab, wie er dieses Tagebuch dann in der Schule vorführt (außer es auszudrucken, was ja auch keine Lösung sein kann), obwohl der Lehrer die Idee mit dem Blog gut fand. Der Computer im Bioraum ist irgendwie nicht online oder so. Bereits vorher erlebte ich bei einem der beiden Großen so himmlische Dinge wie eine Lehrerin, die für die Bebilderung eines Referats empfahl, diese Bilder doch "von Google" zu nehmen.

Kopf -> Tisch.

Meine Befürchtung ist - und die ist sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn ich beteilige mich ja nun schon seit mehr als zehn Jahren an der Elternmitarbeit in Schulen und mache noch länger mit bei Schulpolitik -, dass es zwar total wichtig ist, schon diese rudimentären Dinge glattzuziehen im Unterricht, aber der Fokus auf Smartboards und Tablets dazu führt, das weit wichtigere und dringendere Thema Informatik, Programmieren, Verständnis für Programme und Sprachen vollständig zu verdrängen. Dass die Frage der technischen Ausstattung der Schule sozusagen Symbolpädagogik für alles ist, was mit "dem Computer" (und das heißt für die Generation der aktuellen Eltern und Lehrerinnen allzu oft auch noch "dem Internet") zu tun hat. Smartboards da - alles ist gut.

Nix ist gut. An den Schulen meiner Kinder gibt es recht viele Smartboards. Aber keinen qualifizierten oder qualifizierenden Informatikunterricht. Geparkt im Wahlpflichtbereich in der Mittelstufe (Klasse 9 und 10) finden einige wenige uninspirierte und nicht inspirierende Einheiten statt, in denen einfache Spiele programmiert werden. Eine privatempirische Stichprobe in einer zehnten Klasse eines Gymnasiums ergab, dass keiner der Schüler (Mädchen wählten das Fach nicht) sich erinnern konnte, welche Sprache sie benutzt hatten oder warum. Oder für sich hätte behaupten wollen, er hätte was gelernt. Mag Pech sein, das glaube ich aber nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass dann die naturwissenschaftlichen Profile in den Oberstufen es so schwer haben, genug Schülerinnen zusammenzubekommen. Naja.

Ohne bisher Erfahrungen damit gemacht zu haben, finde ich den Weg, den die beiden Oberstufen in Eutin gehen, ganz interessant. In dieser kleinen "Stadt" in Ostholstein werden meine Kinder ab dem Sommer wohl zur Schule gehen. Dort gibt es jeweils naturwissenschaftliche Profile in der Oberstufe, die als eines der beiden profilgebenden Fächer Informatik haben. Ob Informatik eine Naturwissenschaft sei, will ich hier mal nicht diskutieren - aber die Profile werden sehr gut angewählt. Informatik wird hier in der so genannten Eingangsstufe (früher: Klasse 11, heute: Klasse 10) neu aufgenommen, gleich auf einem Niveau, das für Jugendliche interessant ist, gleich mit fünf Wochenstunden, gleich so, dass es auch in die Abiturprüfung läuft. Einer meiner Jungs wird das wählen, dann werde ich es beobachten können. Primus hätte auch Lust dazu, aber da ihm das erste Jahr fehlt, kann er das nicht mehr aufholen, weil sein Informatikunterricht in der Mittelstufe im Vergleich dazu nur Killefitz war.

Fazit, vorläufig: Meine Kinder brauchen keine Computerräume in der Schule und kein iPad oder so einen Kram. Meine Kinder brauchen Lehrerinnen, die selbst wissen, was mit internetbasierten Medien im Unterricht möglich ist. Und meine Kinder brauchen das Angebot eines qualifizierten Informatikunterrichts, der keine Medienerziehung ist sondern eher Fremdsprachenunterricht. Mit den gleichen Abstufungen und Zielen wie anderer Fremdsprachenunterricht - denn nicht alle meine Kinder werden fließend eine andere Sprache sprechen oder gar Bücher schreiben in dieser Sprache. Aber alle sollen Code lesen können und wissen, wie sie rausfinden, wie man da was rausfindet.

Update 30.5.2013
Ich habe den Gedanken noch einmal weitergeführt und in die Bildungsdebatte eingeordnet. Hier entlang, wenn ich bitten darf.

tl;dr
Program or be programmed (Rushkoff)

22.11.12

Warum ich Sascha Lobo dankbar bin

Es gibt Bücher, die müssen einfach geschrieben werden, damit es sie gibt. Und damit möglichst alle, die es angeht, sie lesen können. Zumal ich Bücher liebe. Und dringend mal meine Leseliste im Blog aktualisieren muss, denn die ist im letzten Frühjahr stehen geblieben.

Und dann gibt es Bücher, die endlich geschrieben werden. So dass ich sie nicht mehr schreiben muss, wozu ich mich irgendwie verpflichtet gefühlt hatte bis dahin.

Und dann - und damit sind wir bei der Überschrift - gibt es die Leute, die den Leuten, die diese Bücher schreiben können, damit ich sie nicht schreiben muss, den letzten Tritt geben, es auch zu tun. In diesem Fall war das Sascha Lobo, der von den meisten Internetzverachterinnen und interessanterweise Marketingverantwortlichen irgendwie meistunterschätzte Kerl mit der Frisur. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden muss.

Jedenfalls hat er Tanja und Johnny Haeusler ihrer eigenen Aussage auf der letzten Seite ihres Buches Netzgemüse nach eben jenen Tritt verpasst, so dass sie das Buch geschrieben haben, das ich nun ab sofort als das meine ausgeben werde. Also als dieses eine, das ich nun glücklicherweise nicht mehr schreiben muss, weil ich alle Leute, die mich bitten, ihnen das mit den Kindern und dem Internetz zu erklären und mit der Erziehung und dem, was da so kommt und beachtet werden muss und und und - also alle anderen Eltern, mit denen ich jemals über unsere Kinder spreche, einfach darauf hinweisen werde, dass sie dieses kleine Buch lesen sollen, weil da (1) alles das drinsteht, was ich ihnen sonst in endlosen Monologen erzählen würde, und es (2) so geschrieben ist, dass es (2a) Spaß macht, es zu lesen, und es (2b) sprachlich und sachlich für alle Menschen, die ich kenne, sinnentnehmend zu erlesen ist.



Ich selbst hatte das Buch am Montag Abend in der Post (disclosure: ich habe es nicht gekauft, sondern vom Verlag geschenkt bekommen, ohne dass ich versprochen hätte, darüber zu schreiben, obwohl ich nach all den Gesprächen, die ich mit Johnny über dieses Thema in den letzten Jahren geführt habe, durchaus annahm, dass ich darüber schreiben werde, weil ich davon ausging, dass es so gut sei, wie es jetzt tatsächlich ist, weshalb ich es auch bereits vorher in Elternfortbildungen empfohlen habe). Dienstag auf der Reise ins und aus dem Büro und Mittwoch auf zwei langen Flügen von und nach München habe ich es dann verschlungen. Genickt. Gelacht. Tränen des Zorns verdrückt und noch mehr der Rührung (ihr wisst ja, als Meedchenfilmfan bin ich nah am Wasser gebaut). Und habe mir eine Liste gemacht der Menschen, die von mir ungefragt diese Buch geschenkt bekommen werden. Allen voran meine Schwester (falls du dies liest: kannst dich schon drauf freuen, ehrlich!).

Zwei Abschnitte haben mich besonders beeindruckt. Zum einen das Kapitel über "Schutzräume und Schmutzträume", in denen Tanja und Johnny ganz unaufgeregt und keineswegs aus einer "Oh, ist das Netz toll und ihr Angsthasen könnt uns mal"-Position heraus, die ich immer mal wieder bei Netzaktivistinnen höre, die Diskussion um die Gefahren und anderen schlimmen Dinge des Internets erden und einordnen und in Beziehung setzen zum Rest unseres Lebens.

Dies ist übrigens der rote Faden des Buches - und wer eine Bedienungsanleitung für Eltern erwartet, wird darum enttäuscht werden: Immer wieder ist dies Buch autobiografisch und berichtet von den eigenen Erfahrungen - und vergleicht die mit den Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen. Mit Wasser. Oder Bielefeld. Oder dem Straßenverkehr. In meiner Lebensgeschichte wäre es das Fernsehen gewesen, denn das habe ich als Kind und Jugendlicher so erlebt, wie einige der Freundinnen meiner Kinder das Internet, denn meine Eltern haben mich davon extrem und mit viel Aufwand ferngehalten, teilweise sicher auch, weil sie es selbst als Kinder und junge Erwachsene nicht kannten, unser erster Farbfernseher war weit in den 80ern, aber auch das ist wieder eine andere Geschichte.

Der andere Abschnitt, der mich besonders fesselte, ist der über Spiele (Konsole oder online). Denn dieses Kapitel hätte ich nicht selbst schreiben können, hier bin ich wohl wie die normale Leserin des Buches, dies ist eine Welt, die mir fremd ist, die mir in Teilen auch immer noch Angst macht und mich verunsichert. Und in der mich zurechtzufinden mir dieses Buch auch ganz konkret geholfen hat. Habe mich mit meinen Söhnen direkt am Abend noch über Minecraft unterhalten.

Und nun?

Liebe Tanja, lieber Johnny,
danke für euer Buch. Ich liebe es, so wie ich euch liebe. Und ich schätzte euch ja schon sehr, bevor ihr dieses Buch geschrieben habt, wie ihr wisst. Und danke, dass ihr so viel von euch und euren Söhnen erzählt habt. Ist es nicht verrückt, dass wir alle, die wir uns da ein bisschen auskennen, auf Elternabenden für Freaks gehalten und misstrauisch beäugt werden - obwohl unsere Kinder, eure und meine, klarere Grenzen und Regeln und Sicherheitszäune haben in diesem Internet als die Kinder die anderen Eltern, vor allem die von denen, die besonders gegen das Internet wettern?

Liebe Eltern von Kindern zwischen sagen wir mal sechs und sechzehn,
kauft das Buch, lest das Buch, lasst euch einmal auf diese Buch und seine Geschichte und seine Menschen ein. Ihr werdet vielleicht nicht alles teilen. Vielleicht auch nicht jedes Detail verstehen oder mögen. Aber ich bin mir sicher: Ihr kommt als andere aus der Lektüre heraus als ihr hinein gegangen seid. Und das, da bin ich mir ebenso sicher, ist für euch und eure Kinder ein Gewinn.

Liebe Lehrerinnen,
bitte, bitte, bitte lest dieses Buch. Im Nachwort sind ein paar Hinweise, warum das wichtig sein könnte, vielleicht fangt ihr damit an, oder lest dieses Nachwort einmal kurz in der Buchhandlung, heimlich. Dann werdet ihr es ohnehin kaufen. Also das Buch.

Lieber Sascha,
danke, dass du gegen unsere Freundinnen körperliche Gewalt angewendet hast, auch wenn wir sicher gemeinsam der Meinung sind, dass Gewalt keine Lösung ist. Fast immer. Aber solche Tritte brauchen wir. Vielleicht auch noch mehr davon.




Sagte ich schon, dass ich dieses Buch ("Netzgemüse" von Tanja und Johnny Haeusler) nur empfehlen kann?

28.9.12

Spitzers Flurschaden

Meine Weigerung, mich über Herrn Spitzer zu äußern, weiche ich jetzt auf. Dass ich mich über den massiven Flurschaden, den er unter Eltern anrichtet mit seinen TV-Auftritten (von denen ich keinen bisher in längerer als homöopathischer Dosierung online gesehen habe), entsetzt bin, ist der wesentliche Grund. Dabei geht es mir nicht um sein Buch. Das kenne ich nicht, ich habe nur die eine oder andere vernichtende Rezension darüber gelesen.

Zugleich sprach ich mit Menschen, die Herrn Spitzer als Redner auf Konferenzen zu anderen Themen erleben und ihn großartig finden. Und auch in diesem kurzen Backstage-Gespräch vor einem Doppelauftritt zweiter Professoren ist er mir sympathisch und hat er mit sehr vielem Recht.



Er mag sogar, alle Polemik einmal beiseite gelassen, mit vielen in seinem Buch Recht haben. Und - und hier beginnt dann der Übergang zum Flurschaden - er adressiert eine reale Angst meiner "Peergroup", also akademisch geprägter Eltern der oberen Mittelschicht.

Ich nehme ihm und anderen ab, dass es ihnen Ernst ist mit den Warnungen. Und anzunehmen, es wäre für die Entwicklung von Kindern (und für das Leben von Erwachsenen) nicht schädlich, wenn sie auf Sinneseindrücke wie Lesen (mit Bildern, die im Kopf entstehen und der unendlichen Langsamkeit der Geschichten, wenn ich sie lesen muss), Hören (ohne Bilder), Atmen (die Düfte der Stadt und des Landes), Laufen (Untergründe, Atemnot, Schweißgeruch), Verkriechen (Enge, Dunkelheit) verzichten, ist so grotesk wie eben ja eindeutig falsch. In all dem hat Recht, wer kritisiert, dass Kinder, Jugendliche, Erwachsene stundenlang "vor dem Computer sitzen".

Und ich verstehe sogar den volksgesundheitlichen Ansatz, eine (geringe) Mediennutzungszeit als allein gesund zu bezeichnen - jene berühmten "30 Minuten", mit denen wir Eltern immer wieder unbelegt als "gutes Maß" konfrontiert werden. Denn wenn dies hilft, dass Menschen, die ihre Kinder  - wie schon in meiner Kindheit übrigens teilweise - vor dem Fernseher parken, über ihr Verhalten nachdenken oder - und sei es durch ein schlechte Gewissen - deshalb einmal im Monat mit ihnen auf den Spielplatz gehen, ist viel erreicht. Und fast möchte ich sagen, dass der Kollateralschaden unter naiven Akademikerinnen  mir dann auch egal sein kann - wenn da nicht ihre Kinder wären, die darunter zu leiden haben. Und die durch ihre Eltern die Erfahrung eingeimpft bekommen, dass Erwachsene eben dies sind: naive Schwachköpfe, die angelogen werden wollen und zu doof sind, ihre Regeln (a) selbst zu befolgen - denn sie sind selbstverständlich immer online - oder (b) durchzusetzen oder technisch zu kontrollieren.

Ich bin der letzte, der für laissez-faire in der (Medien-) Erziehung plädiert. Aber ich bin der allerletzte, der absurde und sozial in ihrer Umgebung absonderliche Mediennutzungen gegen seine Kinder durchzusetzen versucht.

Vielleicht bin ich in einer privilegierten Situation (nein, nicht vielleicht - ganz bestimmt sogar). Denn alle meine vier Kinder und Jugendlichen haben Freundinnen, ein Fahrrad, das sie nutzen, einen (Leistungs-) Sport, ein Instrument und aktiven Zugang zu Büchern, den sie nutzen.

Aber ich lasse mir von anderen Akademikerinnen mit Kindern mit Freizeitstress doch kein schlechtes Gewissen machen, wenn meine Kinder in der Zeit, in der ihre fernsehen, ein MMORG spielen und dabei mit ihren Cousins sprechen, die es auch spielen.

Ich glaube, dass die Thesen von Spitzer und seine TV-Auftritte (Wobei ich es erschreckend finde, wie viele meiner Bekannten den im TV gesehen haben - was für absurden Medienkonsum die also haben müssen, um die Zeit jedenfalls bin ich in der Sauna und rede mit meiner Frau. Oder ich bin noch auf dem Hof nach dem Reiten. Aber das nur am Rande.) Menschen beunruhigen, die es besser wissen könnten. Die nicht gemeint sind oder sein müssten, falls das stimmt, was Spitzer da oben im Gespräch sagt.

Der Flurschaden, den er anrichtet, ist der, dass Menschen, die bisher eher mit schlechtem Gewissen wie ein Ochs vorm Berg vor der Internet- und Computernutzung ihrer (jugendlichen) Kinder standen, nun dieses schlechte Gewissen ablegen und entlastet werden. Dass der Fehler der letzten Elterngeneration mit den "Videospielen" sich wiederholt. Zumal diese Eltern, bei denen Spitzer auf offene Ohren stößt, zugleich nicht willens oder in der Lage sind, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen, um das durchzusetzen, von dem sie bei Stammtischen, Elternabenden und Grillfesten tönen, dass sie es richtig fänden.

Ich denke, dass ich gar nicht weit weg bin von Spitzer. Und auch nicht von den anderen Eltern in unserem Speckgürtel. Nur dass ich von der anderen Seite auf das Thema gucke, ähnlich wie auch im beruflichen Kontext.

Meine Frage ist, ob wir tatsächlich das Thema Medien- und Internetznutzung von den 2-15% pathologischen Fällen betrachten sollen - oder ob wir diese pathologischen Fälle sehr, sehr ernst nehmen müssen, ohne gleich alle zu betrafen oder allen zu unterstellen, dass sie schon halb auf dieser pathologischen Bahn seien.  Ob wir nicht lieber Koinzidenz und Begründung auseinander halten sollten.

Es gibt Studien, habe ich gehört, die zeigen, dass Menschen, die sehr aktiv auf Facebook sind, sich häufiger mit Freundinnen treffen als andere. Toll. Aber im Grunde sagt diese Studie doch nur, dass gesellige Menschen häufiger (auch) auf Facebook sind.

Es gibt mit Sicherheit Studien, dass unter Menschen mit suchtartigem Umgang mit dem Internet sozialer Abstieg und Vereinsamung und ein Nachlassen der Hirntätigkeit häufiger ist als unter anderen. Ja, Aber im Grunde sagt so eine Studie doch nur, dass Menschen mit Problemen häufiger Zuflucht in virtuellen Welten suchen. (Und ja, Spitzer hat Recht, dass dann dieses Symptom kuriert werden muss. Aber das sagt dennoch nichts - und zwar wirklich gar nichts - darüber aus, ob das eine aus dem anderen folgt. Oder gar was aus welchem.)

Ich bin nicht naiv und nicht euphorisiert. Aber ich gucke auf die Chancen und nicht (nur) auf die Risiken. Ich rede mit meinen Kindern über ihre Mediennutzung und auch über ihre Internet- und Spielgewohnheiten. Aber ich entscheide nicht allein und nicht einmal hauptsächlich, was für sie "Qualitätszeit" zu sein hat. Chillen? Lesen? Tanzen? Reiten? - Mir im Prinzip alles Recht. Solange es nicht heimlich passiert. Und sie hin und wieder schlafen, essen und sich bewegen.

***

Gestern Abend sprach ich mit meinem zehnjährigen Tertius ganz lange über Kunst und Stile. Er mochte den Kunstunterricht in der Grundschule nie, denn da sollten sie malen, was er weder mag noch kann, findet er. Aber gestern redeten wir bestimmt eine Stunde lang voller Begeisterung. Er liebt den Kunstunterricht, vor allem die aktuelle Aufgabe für die Studienzeit. Er erzählte, wie sehr ihn der "Schrei" von Munch mitnimmt, wie sehr der ihm Angst macht, je länger er ihn ansieht, wie sehr er reingezogen wird und wie die Details sich zu einem Monster verdichten. Und dann sprachen wir über Picasso. Ich erzählte ihm von meinem Erlebnis vor dem Guernica-Bild. Und er kannte es, aus dem Internet, denn er hatte zu Picasso in Büchern und online recherchiert. Am meisten beeindruckte mich, wie er mir den Kubismus erklärte, ich saß mit offenem Mund in seinem Zimmer auf dem Boden. "Das ist", sagte er, "wie ein Puzzle, wo die Puzzleteile nebeneinander gelegt werden und nicht so rund herum." Das stimmt genau, hätte ich nicht so beschrieben, aber es stimmt. Und die Frage, wie oft Picasso verheiratet war, konnte ihm keines der Bücher in der Schulbibliothek enthüllen. Er hat es aber rausgefunden.

Digitale Demenz sieht anders aus. Tertius verbringt täglich mehrere Stunden mit dem Internet. In der Schule, auf dem iPod und an seinem Computer.

9.8.12

Ich könnte heulen

Schon wieder über das Thema Schulpolitik. Man sollte sich nicht mit Politikfeldern beschäftigen, die man beurteilen kann oder von denen man betroffen ist, glaube ich manchmal.

Besonders bitter ist für mich, dass ich die Richtung, die Schulen in Hamburg eingeschlagen haben, richtig finde. Und dass vieles, was auch und gerade in grüner Regierungszeit angestoßen wurde, super hätte werden können - wenn sich nicht nach und nach herausstellte, dass es schlecht eingeführt, nicht abgesichert und undurchdacht ist.

Über das ehrgeizige Projekt der "Inklusion" und wie es zurzeit in Hamburg vor die Wand gefahren wird, habe ich ja neulich im Dezember schon geschrieben. Seitdem ist nichts besser geworden sondern fast alles schlimmer. Persönlich kenne ich keine einzige Lehrerin mit Qualifikation für Förderbereiche, die nicht versucht, aus ihrem Einsatz in der Inklusion zurück an die letzten verbliebenen Sonderschulen zu flüchten. Zu dem jetzt begonnen Schuljahr haben mehrere Kinder aus meinem Umfeld von der normalen Grundschule, an der sie inkludiert hätten unterrichtet werden wollen und sollen, an Sonderschulen gewechselt, weil ein Jahr lang faktisch - trotz formal vorhandener Kontingente und Kapazitäten - keine (in Worten: NULL) Förderung ihrer Schwächen stattfand. Was im Bereich Sprache besonders bitter ist. Die jetzt aktuelle Umstellung der Förderstunden von realen Bedarfen auf pauschale Durschschnittsstunden, die den Schulen zur Verfügung gestellt werden, und die faktische Abschaffung des sehr sehr guten und hilfreichen Instruments der "Schulbegleitung" (individuelle Hilfen für Kinder mit Förderbedarfen, beispielsweise bei Autismen oder schweren psychischen Störungen), sind ein Offenbarungseid. Im direkten Gespräch gibt der Schulsenator sogar zu, dass er hier scheitert (oder wie soll seine Äußerung zu verstehen sein, wenn er betroffenen Lehrerinnen bestätigt, dass sie zu Recht stinksauer seien?).

Das an sich großartige Projekt, dass jede Schule zum Abitur führt und ab Klasse sieben keine Kinder mehr sitzenbleiben und nach unten abgeschult werden können, droht nun aktuell auch aus der Bahn zu rutschen, weil sich die populistische Leitung der Schulbehörde nicht traut, die Eltern (und zugegebenermaßen auch ihre von ihnen aufs Gymnasium gezwungenen Kinder) die Konsequenzen ihrer Fehlentscheidung tragen zu lassen - sondern Stadtteilschulen zwingt, über das erträgliche Maß hinaus so genannte Gymnasialrückläuferinnen wohnortnah aufzunehmen. Besser wäre es, ihnen zur Not längere Schulwege zuzumuten, wenn sie dafür dann in normal große oder kleine Klassen gehen könnten. Nur so würde auch der Lernprozess bei den Eltern von Grundschülerinnen beschleunigt, die immer noch vor allem dann ihre Kinder aufs Gymnasium zwingen, wenn sie ein gediegenes Dreier- oder Viererzeugnis nach Hause bringen. Und sich dann wundern, dass nun - wie schon vor Jahren von ehrlichen Gymnasien angekündigt - tatsächlich gesiebt wird vor der siebten Klasse.

Ich könnte mich zurück lehnen und entspannen, denn so ist das nun mal, so haben es Hamburgerinnen nun mal verdient, wenn sie mit absoluter Mehrheit eine Partei wie die SPD an die Regierung wählen. Zumal ich ja hinreichend informiert bin, meine Kinder vor diesem Desaster halbwegs zu bewahren (nicht aber meine Frau übrigens, die als Lehrerin mit einem Förderschwerpunkt genau diesen Kram gerade ausbaden muss).

Aber ich könnte trotzdem heulen, weil ich mich so sehr darüber ärgere, dass beide großen Probleme (und das sind nur die beiden, die ich direkt erlebe und beurteilen kann) wesentlich durch das Versagen im damaligen Regierungshandeln meiner grünen Schulsenatorin und ihres Schulreformkoordinators erst ermöglicht wurden.

Denn das Thema Inklusion, das an sich ein sehr grünes hätte sein können, da es eben um Inklusion geht, haha, hat sie einfach nicht wirklich bearbeitet im Eifer der Reformversuche. Was mit den Sonderschulen passiert, war nicht im Fokus. Versuche von Experten für Förderunterrichte, und seien es die Schulleiterinnen der damaligen Sonderschulen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, scheiterten damals bereits, wurden damals bereits offenbar - zumindest ist dies so angekommen bei denen, die es versucht haben - als Posteriorität im Vergleich zur Mammutaufgabe Primarschule gesehen. Und genau das rächt sich jetzt, weil jetzt die Austrocknung der Förderung möglich wird - und schon damals die Schulbehörde wider besseres Wissen aller, die sich jemals mit Inklusion beschäftigt haben, der Meinung zu sein schien, Inklusion könne kostenneutral eingeführt werden, ohne dass Kinder auf der Strecke bleiben.

Und für die Konsequenzen der radikalen Reformvorgaben an die Gymnasien (die ich ausdrücklich unterstütze und großartig finde und meine beiden Gymnasialkinder auch bewusst auf einem Gymnasium angemeldet bzw. dahin umgemeldet habe, das hier genau in diese Richtung schon sehr weit gekommen ist, das Walddörfer Gymnasium in Volksdorf) hatten weder die Senatorin noch ihr Koordinator einen Blick. Beispielsweise dass es zu Veränderungen im Anmeldeprozess kommen muss oder eben zu einem signifikanten "Aussieben" nach Klasse sechs. Im Vertrauen darauf, dass sie sechsjährige Primarschule in jedem Fall kommt, ist dieses Thema nicht bearbeitet worden - und hinterher dann erst Recht nicht mehr. Nun fällt es den Stadtteilschulen auf die Füße, was mehr als unfair ist.

Im Nachhinein muss ich meinem alten Lehrer und Schulleiter des Gymnasiums, in dem ich dann im Elternrat mitarbeitete, doch Abbitte leisten, den ich sehr ausschimpfte, als er Christa Goetsch nach den Versuchen, mit ihr zusammen zu arbeiten - und hey, er ist ein alter Linker und Grünen-Freund -, als blind für Fragen der Gymnasien bezeichnete und komplett unfähig, Gymnasien zu verstehen oder sich mit ihnen beschäftigen zu wollen, als aus seiner Schulleitungssicht schlechteste und uninformierteste Senatorin ever. Vielleicht hatte er nicht so unrecht wie ich dachte.

Und so sind die Trümmer eines an sich richtigen und richtungsweisenden Aufbruchs und Modernisierungsschubs an Hamburger Schulen einem populistischen, narzistischen Senator ausgeliefert, der von einem medial unterstützten Faktotum aus dem Elbvororten vor sich hergetrieben wird. Keine der Entscheidungen unserer Regierungszeit wurde durch konsequentes Verwaltungshandeln abgesichert. Und die ermüdende Überkommunikation von für Eltern, Schülerinnen und Lehrerinnen trotzdem auch dann noch weitgehend unverständlichen Ideen und Entscheidungen durch lange und zahlreiche Briefe der Senatorin an alle hat dazu geführt, dass die möglichen Verbündeten von Anfang an verprellt wurden und viele erleichtert waren, als dies vorbei war. Auch viele, die inhaltlich auf "unserer" Seite stehen und standen. Und die jetzt nicht mehr die Kraft haben, sich an der nächsten überforderten und für die Realitäten an der Basis oft blinden Behördenleitung abzuarbeiten.

Ich könnte heulen, dass die guten und wichtigen Aufbrüche durch Dilettantismus und kurzfristiges - und zumindest bei einigen wohl auch ideologisch beengtes - Denken und Handeln nun vor die Hunde gehen. Und ich bin ratlos, weil ich erlebe und sehe und zurück gespiegelt bekomme, dass wir Grünen, auch wenn viele von uns persönlich unbelastet von der Ära Goetsch sind, einfach keine Glaubwürdigkeit haben, wenn wir Veränderungen oder Reformen wollen. Und schon gar kein Vertrauen da ist, wir könnten es das nächste mal handwerklich, inhaltlich und kommunikativ besser machen. 

25.4.12

Wenn so genannte Journalisten Angstkampagnen fahren

Wie mache ich aus einer Null-Information einen reißerischen Angstartikel? Indem ich Formulierungen nutze, die Leserinnen interpretatorisch in die Irre führen. Aktuelles Beispiel von heute:
Jedes dritte europäische Kind geht leichtfertig mit seinen persönlichen Daten um und veröffentlicht den Namen der eigenen Schule im Internet, jedes achte Kind sogar die private Adresse oder Telefonnummer. Sascha Steuer auf "digital-lernen.de"
Das heißt: 2/3 der Kinder (!) passen gut auf ihre Daten auf. Herr Steuer überschreibt den Artikel dann aber sogar:
Kinder veröffentlichen ihre Adressdaten im Internet  ebenda
Und das, obwohl 87,5% aller Kinder in Europa laut seinem eigenen Text genau dieses nicht tun. Weil nämlich "jedes achte Kind" 12,5% entspricht. Und so viele oder so wenige tun das.

Diese Art von angstförderndem Kampagnenjournalismus kennen wir. So wie neulich, als in einer Bitkom-Studie, aus der Feststellung, dass 80% der Jugendlichen bewusst mit ihren Daten in Sozialen Netzwerken umgehen, gemacht wurde, dass jedes fünfte Kind seine Daten nicht schützt (pdf, 4.8MB). Was suggeriert, das sei schlimm. Während mich das Ergebnis positiv überrascht hat (auch wenn es immer und immer und immer besser sein kann).

Das eigentliche Problem an Steuers Artikel aber (und ja, für mich als PRler ist es ein bisschen dies Ding mit dem Glashaus, was jetzt kommt) ist, dass nicht erkennbar ist, auf welche Studie er sich bezieht. Es klingt, als sei es eine neue, eine aktuelle Studie. Stutzig wurde ich, als einen Absatz später aber dieser Satz fiel:
Deutschland unterscheidet sich von den meisten europäischen Ländern durch eine starke Nutzung des Sozialen Netzwerks SchülerVZ ebenda
Äh, ja. OK, soooo aktuell kann die Studie nicht sein, oder zumindest nicht der Erhebungszeitpunkt der Daten dieser Studie.

Glücklicherweise verlinkt Sascha Steuer aber im Seitenbereich seines Artikels eine Studie unter "weiterführende Links". Keine Erklärung, ob das die Studie sei, auf die er sich bezieht.
Falls es also nur ein erratisch gesetzter Link ohne Zusammenhang sein sollte (ich mag bei diesem Artikel so etwas nicht ausschließen), sei vorsorglich darauf hingewiesen, dass der folgende Absatz nicht gelten würde.

Die verlinkte Studie ist allerdings von - 2010. In Worten: aus dem Jahre Zweitausendzehn nach Christi Geburt. Die Daten wurden zwischen April und Oktober 2010 erhoben. Und damit sind sie, selbst wenn die Studie erst 2011 veröffentlicht wurde (was in diesem Internetz ja auch eine kleine Ewigkeit her ist, was den Neuigkeitswert und die Veränderungen angeht), knapp zwei Jahre alt. Mir persönlich drängt sich die Frage auf, ob der Autor sich die Website der Studie angesehen hat, bevor er seine Überschrift schrieb. Oder seinen Artikel. Ob er in den letzten zwei Jahren sich auch nur einmal mit Social Networks beschäftigt hat - denn sonst wäre ihm spätestens beim Satz über SchülerVZ aufgefallen, dass da irgendwas nicht stimmt mit diesem Artikel.

Wenn dann Menschen, die sich mit Medien und Medienpädagogik beschäftigen, auf diesen Artikel stoßen, werden sie die Fehler und die Misstöne auch schnell erkennen. Aber wie viele Menschen werden zunächst nur die Überschrift sehen (auf Twitter, Facebook oder sonstwo)? Wie viele Medien werden daraus eine noch weiter verkürzende Meldung machen für ihre Ausgabe morgen? Was wird also ankommen bei den Menschen draußen im Lande?

Fazit: Aus einer (ur-)alten Studie macht ein Autor mithilfe einer sinnentstellenden Überschrift einen reißerischen Artikel, der ein Problem suggeriert, das so nicht besteht - und damit den Blick verstellt auf die Probleme in dem Bereich, die wir haben.

Ich meine: was dieser Autor hier gemacht hat, ist unverantwortlich und eine Angstkampagne. Hoffentlich wenigstens von seiner Überzeugung getrieben und nicht einfach nur aus Nachlässigkeit passiert.

Update 26.4.
Herr Steuer, der auch der Chefredakteur der Seite ist, hat sich per Mail bei mir gemeldet und hat in seinen Artikel eingefügt, die Studie sei aktuell veröffentlicht worden und stellt es damit sogar noch mehr so dar, als sei es eine neue Studie. Das stimmt allerdings leider nicht. Möglicherweise ist am 23.4. ein Newsletter erschienen, der diese Studie zum Thema hatte. Aber sogar in den neuen Links neben dem Artikel (den alten Link auf die Primärquelle ersetzt Steuer aus einem mir nicht ersichtlichen Grund durch Links auf pdf-Zusammenfassungen der Studie in deutsch und englisch) wird darauf hingewiesen, dass die Studie bereits im November 2011 veröffentlicht wurde und die Daten aus dem Jahr 2010 stammen. Hier ergänzt Steuer also sogar noch eine (vielleicht sogar bewusste) Irreführung seiner Leserinnen. In der Mail bestätigt er übrigens, dass es nicht Nachlässigkeit sondern eine bewusste Entscheidung war, die Angstkarte zu spielen. Er weist darauf hin, dass er diese Frage "dezidiert anders" sehe als ich.

8.2.12

Basiswissen Social Media im Schnelldurchlauf

Auch wenn ich das Wort Social Media nicht mehr mag, ist das Thema doch weiterhin eines der wichtigen in meinem Beruf. Denn digitale Strategie heißt heute auch immer, sich um die Plattformen Gedanken zu machen, die wir die letzten Jahre unter "Social Media" zusammen gefasst haben.

Workshops und Schulungen sind ein wichtiger Baustein nicht nur der Strategieprozesse sondern auch darüber hinaus. Und "wir" Leute, die sich wie ein Fisch im Netz Wasser auf all diesen Dingens bewegen, vergessen ja leicht, dass es viele, viele, viele, viele andere gibt, denen das nicht so geht.

Eine Basisschulung wird darum immer beides sein und die Teilnehmerinnen in beiden Rollen abholen: als Personen, die den einen oder anderen Service nutzen - und als Kommunikatorinnen, die im oder für das Unternehmen damit umgehen. Diesen Spagat versuche ich in der Regel zu umgehen (weil mein Körperumfang und mein Fitnessgrad Spagat sehr ulkig aussehen lassen, von den Schmerzen ganz abgesehen), indem ich einen Schwerpunkt darauf lege, dass die Teilnehmerinnen als Personen sich besser zurecht finden.

Neben meiner umfangreichen Basis-Prezi, die zwischen drei Stunden und drei Tagen Schulungen und Workshops hält, habe ich darum eine schlanke Präsentation gebastelt, die ohne Medien-Schnicknack wie Videos auskommt und mich nur bei dem unterstützt, was ich am liebsten mache: Unendlich schnell viel zu viel zu reden.

13.1.12

Schulinspektion in Meiendorf

In Hamburg finden seit einiger Zeit Schulinspektionen statt. Dazu kommt ein Inspektionsteam in die Schulen. Zusätzlich werden Lehrerinnen und Eltern auch online befragt, wobei die Beteiligung oft keine repräsentativen Schlüsse zulässt, so dass die Ergebnisse nicht in den Bericht eingehen (oder nicht gewichtet werden oder so was). Am Gymnasium Meiendorf, das Primus besucht und für Tertius eine der Schulen ist, die ab Sommer in Frage kommen, bin ich ja im Elternrat (so heißt in Hamburg das Elternmitwirkungssgremium auf Schulebene). Der Elternrat hat im November einstimmig die Schulleitung gebeten, mindestens die Bereiche "Bildung und Erziehung" des Inspektionsberichts 2011 auf der Homepage der Schule zu veröffentlichen. Mir ist keine Antwort der Schulleitung bekannt, sie hat aber vorher mehrfach gesagt, dass sie das ablehnt.

Morgen ist "Tag der offenen Schule" am Gymnasium Meiendorf. Es werden sich also Familien über die Schule informieren, die überlegen, ihre Kinder da hinzuschicken. Und da es im Stadtteil (wahrscheinlich angesichts der sehr durchwachsenen Ergebnisse der Inspektion, immerhin sind gleich viele Aspekte im Bereich Bildung und Erziehung als "eher schwach" wie als "eher stark" bewerten worden) bereits Gerüchte und andere Rohrpost über das Ergebnis der Inspektion gibt - und da es sicher auch für Nicht-Hamburgerinnen spannend ist, wie so ein Inspektionsbericht aussieht -, binde ich die Teile mal hier ein, die der Elternrat gerne veröffentlich haben wollte.

UPDATE 24.1.2012
Ich habe mich entschlossen, den Bericht zumindest vorübergehend hier runterzunehmen. Heute bekam ich ein Schreiben der Schulleiterin, in der sie mir mit der Begründung "Sie verstoßen damit gegen Datenschutzbestimmungen" rechtliche Schritte androht, sollte ich ihn auf haltungsturnen.de nicht "unverzüglich entfernen". Das tue ich hiermit.

Da es mir aber einzig darum geht, dass sich an der Schule etwas ändert, dass die nun objektiv festgestellte schlechte Unterrichtsqualität sich verbessert, da ich da immerhin ein Kind habe und privatempirisch bestätigen kann, was im Bericht steht, werde ich an dieser Stelle die Schulleiterin nicht unnötig provozieren, denn darum geht es mir nicht. Ggf. werde ich den Bericht wieder einbinden, wenn ich den juristischen Sachverhalt klären konnte. Bis dahin werde ich in den Gremien weiter daran mitarbeiten, dass die Schule sinnvolle und nach vorne blickende Reformen umsetzt. Entschuldigt bitte.

10.12.11

Der Spin von SchülerVZ rund um den Flop-Button

Ich bin wirklich sehr froh, dass SchülerVZ am Ende eingesehen hat, dass ihre Pausenhof-App gar nicht geht. Es ist mir noch nie passiert, dass ich (mit ein oder zwei Ausnahmen und - selbstverständlich - einigen Trollen, die ich überwiegend gelöscht habe dieses Mal) eine so einhellige Zustimmung zu meiner scharfen Interpretation einer Sache, die mich aufregt, bekommen habe. Besonders von Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenleben, aber nicht nur. Wie ein Kollege es so unfein ausdrückte, war die Sachlage hier wohl einfach nur eindeutig: "Der Bauer erkennt seine Schweinchen am Gang."

Vielleicht ganz kurz ein zeitlicher Abriss der letzten zwei Tage:
  • Am 8.12.2011 um 13:06 Uhr habe ich den ersten Tweet zu dem Thema geschrieben, die Resonanz darauf war so groß, dass ich um 13:28 Uhr meinen zornigen Blogpost online gestellt habe. Weil ich mich mit Johnny Haeusler von Spreeblick ohnehin oft über Kinder und Internet unterhalte, habe ich ihn zeitgleich auf das Thema hingewiesen - sein Beitrag hat dann die Geschichte so richtig ins Rollen gebracht. Weit über 10.000 Menschen haben allein bei mir den Beitrag angeguckt, die Erwähnungen bei Twitter, Google+ und Facebook waren Legion.
  • Rund 26 Stunden später (am 9.12.2011 um 15:11 Uhr) hat SchülerVZ dann die Pressemitteilung veröffentlicht, die ich hier dokumentiere - und einen Exit angekündigt. Damit ist das Thema nicht erledigt, es wird noch mehr nachkommen, von Medien, Eltern, Aktivisten. Vor allem aber sieht man an der Dokumentation, dass es nicht wirklich befriedigend ist - und dass SchülerVZ mindestens an einer Stelle in der Mitteilung versucht, einen Spin (so nennen wir PR-Leute den Versuch einer Umdeutung an der Kante zur Wahrheit) auf die Geschichte zu legen, der sogar für einen Spin das, was man landläufig so "Wahrheit" nennen würde, extrem überdehnt.
Darum hier die Pressemitteilung, die Anleitung der Pausenhof-App vom Vortag und ein Screenshot von der Situation in der App gestern Abend. Da ich keinen SchülerVZ-Account mehr in der Familie habe, endet meine Dokumentationsmöglichkeit damit. Die Situation vor dem Eingeständnis von SchülerVZ hatte ich ja schon am 8.12. dokumentiert.



Meine Punkte zu diesen Dokumenten und zur Gesamtsituation sind diese:
  1. Es gab den Flop Button, siehe die Screenshots. Dass man die Flops nicht sah, war erst bei längerer Nutzung zu merken. Mir scheint, die, die das abwiegeln, haben die App nicht getestet. Dass Mobbing nicht möglich gewesen sei, wie SchülerVZ in seiner Pressemitteilung behauptet, ist nicht wahr. Ich konnte es, wenn ich wollte.
  2. Es wurden nicht etwa Profilbilder bewertet sondern Personen. Hier sagt SchülerVZ in seiner Pressemitteilung nicht die Wahrheit. Sie schreiben, es gebe die "Möglichkeit, über Profilbilder von anderen schülerVZ-Mitgliedern ... abzustimmen". Unter 'VI. Top oder Flop' schreibt SchülerVZ jedoch in der Erklärung des Pausenhof-App, es sei möglich, "verschiedene Profile ansehen und diese per 'Daumen hoch' oder 'Daumen runter' bewerten." Könnt ihr oben nachlesen.
  3. SchülerVZ killt den Flop-Button, was ich gut finde. Die PM dazu ist das übliche PR-Geschwurbel, das wissen wir hier alle, kein Grund zur Aufregung. Dass sie durch konkludentes Verhalten anerkennen, dass sie falsch lagen, reicht mir grundsätzlich. Allerdings wünsche ich mir, dass sie zugeben, dass die Aufforderung an Kinder, andere Kinder als Flop zu bezeichnen, ein Überschreiten der Grenze ist. Ein Modell zur Rettung einer untergehenden Plattform (weil sie am Nutzermarkt nicht mehr nachgefragt wird) darauf aufzubauen, dass Kinder nun mal grausam sein können und oft auch grausam sind, halte ich für zynisch und eklig. Und dabei bleibe ich.
  4. Die Tonalität der Pressemitteilung spiegelt die Gesamthaltung der VZ Netzwerke Ltd. wider, die mir seit langem von einer Weigerung geprägt zu sein scheint, die Realität wahrzunehmen. Aber das ist mir ehrlich gesagt egal.
  5. Dass sie auf Druck reagieren, und das recht schnell (rund 26h), ist gut. Ich kann ja nicht nur meckern. Dass sie so reagieren, wie sie reagieren, zeigt aber auch, dass sie offenbar anders zu der Frage stehen, ob man sexualisiert und auf die Grausamkeit von Kindern spekulierend werben sollte, als ich es tue.
  6. Unklar ist mir, wie der Pausenhof funktionieren soll, wenn die zentrale Funktion wegbricht. Etwa so wie auf dem Screenshot von gestern abend? Das könnte ja nun wirklich nicht der Ernst sein, SchülerVZ, oder? Den gesenkten Daumen durch einen Pfeil nach rechts ersetzen? Vielleicht ist es ein Schnellschuss, um etwas zu tun, dann ist es ok. Aber vielleicht lohnt es sich, das weiterzuverfolgen.
Danke für alle Unterstützer. Danke für eure Tweets, Artikel, Anfragen. Es lohnt sich, auf die Barrikaden zu gehen und nicht einfach hinzunehmen, wenn ein Unternehmen die Grenze überschreitet.