Tatsächlich bin ich sehr froh, dass Robert Habeck zum Abschied aus dem Bundestag dann noch mal ein typisches Interview (diesmal mit der taz) gegeben hat. Denn sein Abschied macht mir nochmal deutlich, wo er mich verloren hat und wieso ich mich innerlich verabschiedet habe. Obwohl mich sein Stil kulturell und intellektuell elektrisiert. Da war es wieder, was mich so anzieht. So sehr, wie seit Björn Engholm niemand mehr in der Politik. Und zugleich stößt mich fast jeder politische Schluss, den er dabei heute zieht, zurück. Finde ich fast alles, was er politisch nach vorne formuliert, falsch. Was übrigens nicht ein Jota wegnimmt von seinen Leistungen oder davon, dass er meines Erachtens wirklich sehr viel und sehr Gutes als Minister bewirkt hat. Teil der Tragik ist, dass er ein großartiger Minister war, der dieses Land sehr positiv verändert hat - und zugleich aus meiner Sicht im Wahlkampf und in dem, was er als Ausrichtung der Partei vererbt hat, wirklich sehr falsch lag.
25.8.25
24.7.25
Das, was unsere Flüsse vergiftet, vergiftet auch unsere Seelen
Eine Grüne Partei, die nicht auch die Systemfrage stellt, ist keine grüne Partei. Es geht nicht ums Bäumestreicheln. Es geht nicht um Umweltschutz. Es geht um Naturschutz. Und auch um den Schutz der Natur der Menschen.
11.7.25
Et tu, Felix
Als die Sache mit dem Pulli damals aktuell war, wollte ich noch nicht drüber schreiben. Vielleicht, weil ich mich so unglaublich geärgert habe. Vielleicht, weil ich fand, dass Jette Nietzard in dem Moment nicht noch mehr Aufmerksamkeit brauchte, die Solidarisierung auf Bluesky musste reichen.
Klar, unser Grüner Gerhard Schröder, der es nicht mal schafft, seinem designierten Nachfolger als Ministerpräsident eine Rampe zu bauen, den habe ich schon lange aufgegeben. Aber Felix, du?
10.6.24
Ach Europa, ach, ach, ach
Vorweg: Das Ergebnis der Europawahl in Deutschland ist aus meiner Sicht ein Desaster. Und das der Grünen ist wirklich schlecht und eine Niederlage und Hypothek. Da gibt es nichts schönzureden. Mich persönlich hat es auch ein bisschen überrascht, weil ich den Eindruck hatte, dass die Hass- und Hetzkampagne und die überproportional viel zerstörten Grünen-Plakate eine gewisse Solidarisierung ausgelöst hatten. Wenn es die gab (wo ich mir nicht mehr sicher bin), hat sie nicht zu Stimmen geführt. Sondern wahrscheinlich ist dies, also die rund 12%, die Baseline. Die übrigens vor wenigen Jahren noch bei 6-7% lag, das aber nur am Rande und als Pfeifen im Walde.
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Jetzt aber erstmal ein paar erste Gedanken zum Ergebnis und zur Perspektive, die sich daraus ergibt. Zum einen, indem ich das Ergebnis anders einordne. Zum anderen, wenn ich ganz lokal auf die genauen Stimmen gucke. Und zum dritten mit ein paar ersten Schlussfolgerungen.
6.9.23
Das ist purer Rassismus
Mein Landkreis ist gerade sehr unrühmlich in den Schlagzeilen. Und nun kommt noch ein Landrat dazu, der sich rassistisch äußert. Dazu gleich. Erstmal ganz grob, worum es geht: Kinder sind letztes Jahr Augenzeug*innen eines extrem brutalen Femizids geworden, als ein schon vorher als gewalttätig aufgefallener Mann seine Frau so stark vor den Kindern im Laden der Familie verprügelte, dass sie an den inneren Verletzungen starb. Die Kinder sind in Pflegefamilien und versuchen, mit denen gemeinsam zurück in das Leben zu finden. Sie haben hier und anderswo in Deutschland keine weiteren Verwandten. Jetzt sollen sie in das Land abgeschoben werden, aus dem ihre Eltern ursprünglich eingewandert sind nach Deutschland. Das älteste Kind hat dort bis zum Tod der Großmutter, bei der es aufwuchs, gelebt, die anderen sind hier geboren, wenn ich das richtig verstanden habe.
28.6.23
Der Feind
Wenn CDU-Chef Franz von Merz* die Grünen als Hauptgegner ausmacht, kann er das haben. Denn dann wissen Grüne immerhin, auf wen sie nicht werden zählen können, wenn in Sachsen oder Mecklenburg ihre Wahlkämpfer*innen zusammengeschlagen oder von Dorffesten ausgesperrt oder im Supermarkt an der Fleischtheke ignoriert werden. Wie es überall da passiert, wo die Nazis sehr präsent sind und die Menschen, die Nazis wählen, völlig indifferent zu Gewalt und Terror stehen. Wo Jungs mit langen Haaren in der Grundschule auf dem Boden getreten und von Lehrer*innen für ihre Frisur kritisiert werden, weshalb ihre Eltern sie auf evangelische Privatschulen schicken. Wo Menschen mit bunten Haaren und zerrissenen Lederjacken sich nicht unbewaffnet hintrauen.
27.6.23
Risse
Es ist irgendwie schade, dass die beste aller aktuellen Landesregierungen so Risse bekommt gerade. Ich meine natürlich unsere hier in Schläfrig-Holstein.
Zum einen sind, ich sagte es neulich, unsere lokalen Grünen sehr klar in ihrer Haltung zu Demokratie und Menschenrechten. Zum anderen wird die CDU nach dem erstaunlich schlechten Abschneiden bei der Kommunalwahl sichtbar nervös. Die Reaktionen beider Parteien auf die groteske Episode mit dem NDR und Karin Prien waren ebenfalls von rissiger Erregtheit geprägt.
12.6.23
Nicht aufgeben
Ist der grauenhafte europäische Beschluss, das Asylrecht abzuschaffen, das 1992 der Grünen? Das habe ich mich die letzten Tage immer wieder gefragt. 1992 war, als die SPD vor den Rechten eingeknickt ist und das deutsche Asylrecht abzuschaffen zustimmte. Danach trat ich aus der Partei aus. Es war meine rote Linie. Das Thema ist es bis heute, es ist eine der mir wichtigsten ethischen Gewissensfragen.
Was ist dieses Mal anders, dass ich nicht austrete? Vor allem, was ich aus meiner Partei, den Grünen, dazu höre. Schon vor dem Beschluss gab es sichtbaren Protest, unter anderem getragen von der Hamburger Senatorin Anna Gallina, mit der ich schon viele gute Dinge zusammen gemacht hab. Und nach dem unsäglichen Beschluss der Innenminister*innen der EU bin ich dankbar für viele laute Wortmeldungen.
17.5.23
Beobachtungen (Kommunalwahl)
Mit zwei Tagen Abstand doch noch ein paar Überlegungen zur Kommunalwahl in Schleswig-Holstein und ganz konkret bei mir auf dem Land. Denn ich finde es fast etwas schade, dass diese Wahl so wenig im medialen Fokus ist außerhalb unserer Lokalmedien – lassen sich doch einige Dinge daraus lernen für die aktuellen Debatten und Strategien auch über die kommunale Ebene hinaus.
20.4.23
Solidarität
Ich gehöre ja noch zu einer Generation, in der Solidarität wichtig war. Politisch heißt das, auch solidarisch zu sein, wenn ich persönlich beispielsweise eine Protestform nicht richtig finde oder – weit häufiger – nicht selbst machen würde. So wird es von mir keine "Distanzierungen" von robusteren Gruppen in solchen widerständigen Demonstrationen geben, deren Anliegen ich teile. Oder aktuell von der Letzten Generation.
Wobei das sogar ein Grenzfall für diese Haltung ist, weil ich etliche der Protestformen dieser Gruppe für sinnvoll und zielführend halte, aber darum soll es jetzt gerade einmal nicht gehen von mir aus. Sondern darum, dass ich dadurch sehr schlecht beurteilen kann, ob sie in dem, wie sie erklären, was sie tun, gut sind oder nicht.
So ging es mir gestern früh mit dem Interview mit Clara Hinrichs im Deutschlandfunk (ich wollte das hier einbetten, aber entweder da geht nicht mehr beim DLF oder ich bin zu blöd, den Einbettcode zu finden, müsst ihr also dem Link folgen, falls ihr es hören wollt). Mich haben das, wie Hinrichs da argumentiert, und die Emotionalität bei den persönlichen Fragen beeindruckt. Das fand ich überzeugend, und da waren auch für mich gute Argumente für kommende Diskussionen über die Letzte Generation.
Aber was ich mich frage: Geht das auch Menschen so, dass die Aktionsformen der Letzten Generation deutlich kritischer sehen oder ablehnen? Ich erlebe ja durchaus, wie Menschen, die auch politisch für Klimapolitik einstehen, auch für "richtige" Klimapolitik, dennoch mehr als irritiert sind von der Letzten Generation. Also nicht die, die aggressiv werden oder mit Tritten und Schlägen und Knast drohen, sondern "unsere" Leute, die das ablehnen. Überzeugt euch das Interview? Oder findet ihr es zumindest bedenkenswert? Oder abstrus?
Politisch bin ich in dieser Frage ja eher bei Friedemann Karig und seiner Einschätzung, dass es kommunikativ hilfreich ist, wie und was die Letzte Generation macht. Und darum auch überproportional offen für ihre Argumente. Und ohnehin solidarisch. Wie geht euch das?
18.4.23
Grünes Bosau (Kommunalwahl)
Bisher habe ich mich ja vor allem in Eutin, also in der Kleinstadt, in deren Nähe ich wohne, politisch engagiert und dort bin ich auch Mitglied der Grünen vor Ort. Vor allem, weil mir die Offenheit gefällt und wie wir dort gemeinsam Politik und Wahlkämpfe gestalten. Den erfolgreichen Wahlkampf für den tollen grünen Bürgermeister Sven Radestock im letzten Sommer zu entwickeln und zu gestalten, hat irre Spaß gemacht.
Bei der Kommunalwahl am 14. Mai 2023 kandidiere ich aber in meiner Heimatgemeinde Bosau, zu der das Dorf gehört, in dem wir leben, auch, wenn es viel dichter an Eutin ist als an den anderen Dörfern der Gemeinde. Es sind einige "neue" dabei, so wie ich auch, vor allem unsere Spitzenkandidatin ist mega.
Wir sind angetreten, in unserer Partei echt was zu ändern hier vor Ort, so dass es wieder Spaß macht, dabei zu sein. Und wir können auch in den Dörfern unserer Gemeinde was bewegen. Weil endlich Menschen mitmachen, die was bewegen wollen. Darum habe ich auch am Wahlprogramm für unsere Gemeinde mitgeschrieben und mache in meinen Dörfern Wahlkampf. Das hier ist das Programm:
Kommunalwahl in Schleswig-Holstein funktioniert so, dass es zwar Listen der Parteien gibt, aber zu wählen eigentlich Personen in den Wahlkreisen sind. Für uns kleinere Parteien (bisher war nur die CDU eine große Partei) heißt das dennoch, dass die Plätze in der Gemeindevertretung vor allem über die Liste vergeben werden. Aber in "meinem" Wahlkreis will ich es dennoch versuchen, eines der Direktmandate zu bekommen. Dafür legen wir in dem, was wir an den Haustüren verteilen werden, ein Extrablatt bei (in den anderen Wahlkreisen auch, wenn die Kandidat*innen das wollen). Das hier:
29.3.23
I feel you, SPD
Damals, ja, damals hab ich nur den Kopf geschüttelt und mich gefragt, wieso sie sich das immer weiter antun, diejenigen in der SPD, die mehr (inhaltliche, politische) Ambitionen hatten als einfach nur zu regieren, egal wie. Die knirschten und litten wie die Hunde in der so genannten Großen Koalition. Seit dem merkwürdigen Koalitionsausschuss diese Woche verstehe ich, glaube ich, etwas besser, wie es euch damals, ja, damals ging.
Tatsächlich bin ich ratlos. Ob und wann es Zeit für Widerstand ist, durchzieht als Frage ja seit zwanzig Jahren dieses Blog. Und ich würde mich ja weder kommunalpolitisch engagieren noch bei den Grünen Mitglied bleiben, wenn ich nicht irgendwie die Hoffnung habe, dass ich (im Kleinen, im Mittleren) etwas dazu beitragen könnte, dass es morgen besser ist als heute.
Zugleich denke ich immer wieder und seit Jahren – hier beispielsweise etwas aus dem September 2016 – darüber nach, wie wir es ertragen mögen, wenn viele Menschen einfach den Kopf in den Sand stecken. Oder den Sand in den Kopf. Je nachdem. Zusammen machen die dann ja die Mehrheit aus. Sozusagen die Dauerfrage, die Jochen Wegner im Podcast Alles Gesagt mit allen diskutieren will, also ob Demokratie wirklich taugt angesichts der Situation der Welt. Das ist ja auch die Frage der Letzten Generation. Und die Frage schon immer all derer, die in den aktiven Widerstand gingen. Wobei die diese Frage für sich ja beantwortet haben, was ich für mich nicht kann.
Wo ich heute die SPD von damals fühle, ist diese Wut und diese Ohnmacht angesichts der winzigen Schritte, die gar nichts nützen aber besser sind als gar keine Schritte, also besser als es wäre, wenn Grüne nicht mit dabei wären, wenn wir aussteigen aus der Regierung, was wir eigentlich müssten, wenn wir auch nur einen Funken Selbstachtung hätten, es aber nicht tun, weil dann alles noch schlimmer wäre, was dann wirklich schlimm wäre, obwohl es auch so ziemlich schlimm, aber vielleicht nicht wirklich schlimm ist. Oder so.
27.9.21
Das kann ja niemand wollen
Ganz ehrlich, es ist furchtbar. Ja, fast 15% für Grüne ist einerseits toll. Aber dass es nur die Möglichkeit gibt, entweder die bestehende Koalition fortzusetzen oder zusammen mit der FDP eine Regierung zu bilden, ist irgendwie keine besonders erfreulich Aussicht.
Die ersten Reaktionen fast aller Menschen in meiner direkten Umgebung waren Entsetzen – und der apodiktische Wunsch, auf keinen Fall irgendwas zu machen, was die CDU an der Regierung hält. Und mein erster Impuls war das auch. Zumal die Vorstellung, Armin Laschet könnte Kanzlerin werden, wirklich absolut absurd ist. Ja.

Meine Schwierigkeit ist nur, dass ich Olaf Scholz aus meiner Zeit in Hamburg ganz gut kenne und auch schon direkt mit ihm arbeiten musste. Weshalb die Vorstellung, er könnte Kanzlerin werden, auch ziemlich absurd ist.
Nachdem die CDU nun langsam in der Wirklichkeit ankommt und davon ausgeht, dass sie nicht regieren wird, ist die Lage für Grüne und für die, die Politik ändern wollen, eher schwieriger geworden. Denn alle Erfahrungen aus Koalitionsverhandlungen zeigen, dass sich grüne Kernanliegen im Bereich Ökologie vor allem mit der CDU einfacher aushandeln lassen als mit der SPD, die fälschlicherweise immer davon ausgeht, dass sich Grüne und SPD im Prinzip einig seien. Das ist ja nur leider nicht so.
Was FDP und CDU erfolgreich gemacht haben gestern und heute, ist, das Verhandlungsfeld für Grüne zu verkleinern. Denn in einer SPD-Ampel positioniert sich die FDP so, dass sie besonders viel rausholen müsste – während in einer CDU-Ampel die Grünen besonders viel rausholen müssten –, um jeweils bei Wähler:innen und Basis zu bestehen. Das ist besonders dramatisch, weil die Kernanliegen ja von CDU und SPD ohnehin schon eingepreist sind (früherer Kohleausstieg wird nicht mal verhandelt werden müssen beispielsweise).
Zugleich öffnet die CDU ironischerweise heute mit ihrer Vorstandssitzung die Tür wieder für eine Regierungsbeteiligung/-führung – indem sie Laschet de facto absägt und ihm lediglich noch ein paar Tage lässt, um seine verheerende Niederlage emotional zu begreifen (auch darin grotesk ähnlich mit Trump übrigens). Laschet wird mit grüner Beteiligung nicht Kanzlerin werden. Das scheint mir heute klar. Aber auf Scholz wird ebenfalls niemand Lust haben, die Hamburger Grünen werden da genug zu erzählen haben.
Eine Regierung, die Grüne mit einschließt, wird nicht zustande kommen, ohne dass sie das Kohlenstoff-Budget so behandelt wie das Geld-Budget. Welche der 25%-Parteien dazu bereit ist, wird die Kanzlerin stellen können. Welche also ein Klimaschutzministerium baut, das mit den gleichen Vollmachten ausgestattet ist wie das Finanzministerium. Darauf werden sich Grüne auch mit der FDP einigen können, denke ich.
Und da Laschet nun weg ist (jaja, das dauert noch ein paar Tage aus Pietätsgründen), ist aber der Weg frei für mehrere Optionen. Ein Angebot der CDU wird und muss auch ein Personalangebot an die Grünen einschließen. Röttgen, Günther, Hans – da geht bestimmt was. Mit Laschet wird Merz untergehen, die Ostfürsten haben ohnehin nichts mehr zu melden nach deren Ergebnis. Eine erneuerte CDU kann eine Chance sein. Und hätte wahrscheinlich mehr Charme als die konservative SPD. Aber vielleicht springt ja auch die über ihren Schatten und überrascht uns alle. Ich wünsche es mir. Sehr. Denn dann könnten wir nicht nur gute Politik machen sondern damit auch emotional zurecht kommen...
14.4.21
Was für ein Ausblick!
Stell dir mal vor, du bist in einer Partei, in der Olaf Scholz als einzige kanzleramtstaugliche Option gilt. Oder in einer, die die Wahl hat zwischen einem hemmungslosen Populisten und einem netten Tor, der von einem religiös/theologisch rechtsradikalen Katholiken gesteuert wird. Das ist kein Spaß, glaube ich.
Daran musste ich in den letzten Tagen oft denken, wenn ich deren Situation mit der in meiner Partei verglich. Ok, ich bin ein winziges bisschen voreingenommen – aber tatsächlich bin ich extrem dankbar, dass meine beiden Bundesvorsitzenden einen gemeinsamen Vorschlag machen werden, wer von ihnen Kanzlerkandidat:in werden soll. Und dass ich mich dazu nicht entscheiden muss. Denn ich freue mich auf einen Wahlkampf, egal wer von den beiden es wird. Ich kann mir beide super gut vorstellen. Wie toll ist bitte, dass wir Grünen zwei Spitzenleute haben, die gut für das Amt wären? Und damit mehr geeignete Leute als alle anderen Parteien zusammen?
Und sie sind ja sehr unterschiedlich.
Baerbock
Für Baerbock spricht ja gerade, dass sie noch nie regiert hat - und zugleich, wie sie sich innerhalb kürzester Zeit ganz nach vorne durchgesetzt hat. Gerade angesichts des Totalversagens von Regierenden in Ländern und Bund ist „keine Regierungserfahrung“ gerade jetzt fast schon eine Adelung. Und: Sie ist klar, schlau und durchsetzungsstark, hat kleine Kinder. Wäre also eine aufregend neue Kandidatin und Kanzlerin. Sie wäre der Kontrapunkt zu einer erschlafften Koalition, gerade auch zu Scholz, den hölzernen.
Habeck
Und Habeck finde ich schon seit vielen Jahren sehr aufregend. Seit Engholm hat mich kein Spitzenpolitiker mehr so sehr intellektuell und habituell angesprochen und angeregt. Gerade in der jetzigen Situation finde ich die Vorstellung eines Philosophen im Kanzleramt inspirierend. Zumal sein letztes Buch wirklich toll war, sehr viel besser, als ich es erwartet hätte. Das Wahlprogramm atmet, vor allen in den Randkapiteln, seine Sprache, was ich toll finde. Und sein Konzept der Bündnispartei, das ich schon länger propagiere als er selbst, überzeugt – gerade im Vergleich zum absurden Schauspiel, das die Union gerade abliefert, gerade auch im Gegensatz zum Mackertum eines Söders.
Ausblick
Dass ich mir aus vielen Gründen Baerbock als Kanzlerin und als Kandidatin wünsche, sage ich ja sehr oft in letzter Zeit. Genau so oft, wie ich in den letzten Jahren das gleiche über Habeck gesagt habe. Beide wären super, denke ich. Was für ein Luxus!
Beide haben die Bündnisfähigkeit und die Mehrheitsfähigkeit der Grünen in den letzten Jahren gemeinsam geprägt und hergestellt. Wie sehr die Ideen einer Partei, die für ein politisches Lebensgefühl steht, die Politik als Prozess versteht, die Bündnisse sucht und identitätspolitische Koalitionen – wie sehr alle diese Ideen, die viele von uns seit zehn Jahren in Analysen und Strategiepapieren aufgeschrieben haben (auch ich, auch hier im Blog seit 2010 in etwa), inzwischen die politische Realität der Grünen prägen, ist auch und gerade das Verdienst der beiden. Weil sie gerade in ihrer Gegensätzlichkeit und mit ihren unterschiedlichen, auch kommunikativ unterschiedlichen Ansätzen erst im Zusammenspiel diese Kraft entfalten konnten.
Der Luxus, den wir als Partei und auch als Land haben, ist, dass es in dieser Situation fast egal ist, wer von beiden die nächsten Jahre die Regierung anführt. Und darum auch erstmal den Wahlkampf. Weil etwas in Bewegung geraten ist.
Für jede von ihnen spricht einiges. Ich bin super gespannt, wie es gelingt, dieses auszutarieren. Und welche Wette auf die Zukunft wir machen. Sagte ich schon, dass ich mich (trotz, vielleicht auch wegen all der Scheiße, in der wir gerade stecken) auf den Wahlkampf freue?
23.11.20
Pastorale
Schon im Studium war "pastoral" latent ein Schimpfwort. Sozusagen das, was wir unbedingt zu vermeiden suchen würden, wenn wir denn predigen. Was in gewisser Weise schräg war, denn der Beruf, den wir damals fast alle anstrebten, nannte sich "Pastorin". Heute heißt er auch in meiner Kirche "Pfarrerin". Pastorin kommt aus dem Lateinischen und meint Hirtin. Was ja wiederum etwas mit dem Beruf zu tun hat. Und in dem Sinne wäre pastoral eigentlich auch ganz ok, denn dann meinte es ja so was wie fürsorglich, aufpassend, achtsam und so.
Aber wenn wir reden, dann ist pastoral nicht gut. Meistens meint meine Blase damit etwas, das ich als leicht gesungen, überakzentuiert, fast etwas affektiert in der selbstreferenziellen Emotionalität bezeichnen würde. Im Grunde wisst ihr wahrscheinlich, was ich meine.
Als ich in einige Reden auf dem digitalen Parteitag meiner Partei (der Grünen) reinhörte, fiel mir auf, dass ich – selbst wenn ich die Inhalte gut fand und den Rednerinnen normalerweise gerne zuhöre – viele Reden als pastoral empfand. Das hat mich gewundert. Ich weiß, dass viele, anders als ich, mit dem gefühligen, unscharfen Ton von Robert Habeck beispielsweise nicht viel anfangen können. Ich dagegen schon. Emotional und intellektuell spricht er mich auf eine Weise an, wie es bis dahin nur Björn Engholm damals vermochte, der interessanterweise einen ähnlichen Tonfall hatte. Aber auf dem Parteitag war es ja nicht nur er, der so sprach.
Merkwürdigerweise war selbst Annalena Baerbock, die sonst einen ganz anderen, zupackenden Ton hat, ähnlich. Zuerst hatte ich den Verdacht, dass sie die gleiche Sprechtrainerin hatten, die sie auf den Parteitag vorbereitete. Kann auch gut sein – erklärt es aber nicht. Und erklärt vor allem nicht, wieso sie beide so pastoral klingen.
Predigen ohne Publikum
Vor allem aber: ohne irgendeine sichtbare Reaktion, kein Jubel, kein Klatschen, kein sichtbares Mitgehen. In den Kirchen, in denen ich zu Hause bin, wird Predigten gelauscht. Punkt. Und vielleicht beim Rausgehen noch ein lobendes Wort hinterlassen. Wenn es hoch kommt, gucken wir interessiert hoch auf die Kanzel. Oder lächeln mal ganz schwach. Aber eigentlich zeigen wir keine Reaktion. Wie bei einer Rede in einem Webinar oder einer virtuellen Konferenz.
Ich habe mich schon oft gefragt, wieso Predigten meistens so anders, so viel künstlicher in ihrer Emotionalität und Intensität sind als "normale" Reden. Es ist mir vorher nie in den Sinn gekommen, aber ich glaube inzwischen wirklich, es liegt am Publikum. Oder eben daran, dass es still ist oder fehlt.
Selbst merke ich es ja auch. Ich denke, dass ich als Redner ganz ok bin, zumindest oft, zumindest bekomme ich hin und wieder dieses Feedback. Und ich merke, dass mir das Reden ohne (sichtbares, reagierendes, körperlich spürbares) Publikum schwerer fällt. Dass es mich verunsichert und ich dazu neige, mehr abzulesen und – ja tatsächlich wie beim pastoralen Stil – dazu neige, überzuakzentuieren. Wenn das ein Wort ist, das als benutzbar gelten kann. Ihr wisst, was ich meine.
Menschen, die wie Annalena und Robert oft wirklich gute Rednerinnen sind, und bei denen ich merke, dass sie mit dem Publikum in eine Beziehung treten, werden etwas blutleer, wenn sie in den leeren Raum sprechen. Und sehen aus, als ob die den Teleprompter nutzen, also ihre Rede ablesen – wo sie sonst oft stundenlang frei reden (können). Sie werden pastoral.
Lustigerweise habe ich durch den digitalen Parteitag der Grünen mehr über das Predigen gelernt als über digitale Parteitage. Oder, wie ein geschätzter Kollege und Mit-Christ antwortete, als ich diesen Gedanken teilte: Ich glaube, ich werde in Gottesdiensten künftig mehr klatschen.
25.2.20
Die Mitte
Wenn die Mitte der Gesellschaft woanders ist, als die Partei glaubt, die sich "die Mitte" nennt. |
Ja, Hamburg ist ein bisschen besonders, weil es eben auch "nur" eine Stadt ist. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Hamburg auch das erste Bundesland war, in dem Rechtsextreme 20% geholt haben - und dann sogar mit FDP und CDU zusammen regieren durften. Zugleich zeigt sich aber hier in einem echten Wahlergebnis, was sich in Umfragen und Trends auch in NRW oder Schleswig-Holstein zeigt: Das "Sortieren" am rechten Rand es politischen Spektrums ist fertig. Die AfD hat den autoritär-radikalen Teil der ehemaligen Wählerinnen der CDU (und auch der SPD übrigens) abgeholt, selbst eine weitere Radikalisierung ändert daran nichts, im Gegenteil.
Sicher war Hamburg auch deshalb eine besondere Situation, als zum ersten Mal der Verdacht, den die Mitte und das linke Spektrum hatte, nämlich, dass die CDU vielleicht nicht ganz fest und sicher als Schutz gegen die Faschisten stünde, als also dieser Verdacht sich bestätigt hat in Thüringen und durch die Werteunion.
In unserem Land ist die Erfahrung der meisten Menschen in der Politik, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Das Problem für Parteien ist dabei allerdings immer gewesen, rauszufinden, wo denn genau diese Mitte liege. Denn die ist ja nicht statisch oder dadurch "definiert", wo Parteien, die sich "die Mitte" nennen, behaupten, dass die Mitte sei.
Hamburg gibt nun einen ganz guten Hinweis darauf, dass die CDU – und hier vor allem der Teil in der CDU, der sich "konservativ" nennt (was noch mal ein ganz anderes Problem ist, aber dazu gleich) – offenbar nicht mehr wirklich die Mitte abbildet. Denn weiterhin werden Wahlen in der Mitte gewonnen. Dort, wo die Menschen, die wählen, die Mitte sehen. Also dort, wo die Wählerinnen hingewandert sind von der CDU.
Wenn man sich politische Überzeugungen und Programme anschaut, ist es ja gerade nicht so, dass die CDU, wie ihr rechter Flügel behauptet, nach links gerutscht sei - sondern dass SPD und CDU gemeinsam seit der Schöderregierung nach rechts gerutscht sind, während die Mitte der Gesellschaft sich in den letzten Jahren (offenbar unbemerkt von SPD und CDU) etwas nach links verschoben hat. Und so kommt es dann offenbar, dass sich Menschen, die sich als Mitte empfinden und Mitte sind, von der CDU zu den Grünen wenden.
Dass die CDU sich gleichzeitig eben nicht nach links sondern auch rechts entwickelt hat, sieht man meines Erachtens auch sehr gut daran, dass Menschen in der CDU sich konservativ nennen, die man früher als reaktionär bezeichnet hätte (die Gruppe um Dregger galt in der Kohl-Zeit nicht als konservativ sondern als reaktionär, auch innerhalb der Partei). Und die, die früher konservativ geheißen hätten, auf einmal innerhalb der Partei als liberal gelten.
Wenn also jetzt die reaktionären Kräfte gemeinsam mit libertären versuchen, die Partei weiter nach rechts zu verschieben – und die desaströse Kandidatur-Pressekonferenz von Merz heute spricht ja dafür, dass seine Leute das wollen –, dann bewegt sie sich immer weiter weg aus der Mitte. Die Mitte der Gesellschaft aber wird sich immer eine Partei suchen, die ihre Überzeugungen abbildet. Das hatte Schröder erkannt. Das hat Merkel umgesetzt. Das wird Baerbock zu nutzen wissen.
27.5.19
Paralleluniversum
Einige unvollständige kurze Gedanken am Tag nach der Europawahl.
***
Ich lebe ja in einem kleinen Dorf am Rande einer Kleinstadt. Unser Wahllokal (rund 500 Wahlberechtigte) umfasst drei Dörfer und eine Siedlung. Zusammen mit den Briefwahlen haben davon gut über 60% auch gewählt. Bei den Stimmen vor Ort haben CDU und Grüne ungefähr gleich viele Stimmen bekommen. Spannend war, bei der Auszählung die CDU-Bauern (Dorfvorsteher und Fraktionschef im Gemeinderat und so) zu erleben, die immer blasser wurden. Das war für die ein echter Schock und ganz ehrlich nicht erwartet. "Kein Wunder bei der Wahlmanipulation diese Woche", war – ganz ohne Schaum und ganz ohne bösen Hintergedanken ausgesprochen – der Satz eines dieser Funktionäre, der mich gestern lange beschäftigt hat. Denn in was für einem Paralleluniversum muss jemand leben, der eine (ok, vorher unerlebte) Meinungsäußerung eines Einzelnen als Manipulation einer Wahl empfindet? Wobei das ja kein Bauern- oder CDU-Ding ist. In der Nacht vor der Wahl twitterte ein Agenturgeschäftsführer aus meinem Landkreis (Ostholstein) aus einer erhitzten Situation heraus die Frage, ob Rezos Video von den Grünen bezahlt sei. Der Mann ist in der SPD übrigens. Auch so ein Paralleluniversum offenbar.
[Tweet inzwischen gelöscht, ebenso der Tweet mit dem Link auf ein rechtes Verschwörungsblog.]
Interessanterweise unterhielten sich ein jüngerer und ein älterer Bauer dann noch darüber, ob sie lieber auch auf Bio umstellen sollten. Und philosophierten über Kretschmann als Kanzler. Habeck hassen sie ja.
***
Zur fantasievollen Idee, die Grünen würden halt eine Welle reiten, hatte ich ja gestern kurz was geschrieben, wollte ich extra vor der Wahl machen, nicht, dass es wie Nachtreten aussieht. Wie sehr aber viele überrascht hat, wenn ich den Ausschnitt von Armin Laschet in einer Talkshow richtig verstehe, dass Klimapolitik das Killerthema der Wahl wurde, klingt irgendwie auch nach Paralleluniversum.
Warum hat die @CDU bei der #Europawahl2019 in Deutschland so stark eingebüßt? "Themen wie Klimaschutz sind jetzt plötzlich hochgekommen", sagt Parteivize @ArminLaschet.https://t.co/7DPgtUr7ZJ#ep2019 #europawahl pic.twitter.com/OcNbJTq8gX— WDR Aktuelle Stunde (@aktuelle_stunde) May 26, 2019
***
Mit Mecklenburg muss ich mich noch mal beschäftigen, denn während die erste Nazi-Siedlungswelle direkt ab 1990 besonders in Mecklenburg stattfand, sieht es so aus, als ob das Bundesland sich nicht dem ostdeutschen Paralleluniversum anschließt, in dem eine radikale Partei mit Naziverhalten mal wieder stärkste Partei wird.
Bei aller Freude über das bundesweite Ergebnis der Wahl (nur gut 10% Nazis, Grüne bei allen unter 60 stärkste Partei) - wie sähe es aus, wenn dieses Paralleluniversum nicht existierte? Wie viel schneller ginge alles?
Und: Was können die Konsequenzen aus so einer Entwicklung sein? So was wie für Ungarn vorgeschlagen ist - also dass Fördergelder nicht mehr in die Regie des Landes gegeben werden sondern vom Bund direkt verteilt? Oder dass die Bundesländer als gescheitert betrachtet und zwangsverwaltet werden? Oder hat "Die Partei" mit ihrer alten Forderung doch Recht? Es ist zum Verzweifeln, man braucht schon einen guten Magen, um die Sammlung der Ergebnisse ostdeutscher Kreise anzusehen.
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Leute aus der Union weisen ja immer wieder darauf hin, dass die JU die weitaus größte politische Jugendorganisation sei. Dass also die Union durchaus mit jungen Leuten könne. Schade nur, wenn alle, die die Union in dieser Gruppe auch wählen würden, diese Mitglieder sind. Oder so ähnlich. Und sich in einem Paralleluniversum bewegen. Alles also wie immer. Erinnert ihr euch noch an die JU-Mitglieder in eurer Schulzeit? Ja, eben, genau.
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In Kiel sind die Grünen stärker als CDU und SPD zusammen. In Kiel! Nicht nur in Freiburg oder in Altona.
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Immer wieder freue ich mich über Reisende zwischen den Paralleluniversen. Heute morgen beispielsweise Hansjörg Schmidt, mit dem ich nur selten wirklich inhaltlich übereinstimme, aber der schon lange zu denen gehört, die sich wirklich um den Dialog und die Sprechfähigkeit verdient machen, denke ich. Und weil ich ja emotional irgendwie an der SPD hänge und irgendwie auch an Hamburg, wäre es so toll, wenn die Partei ihn weiter nach vorne stellen würde...
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Und dann ist da noch Kretschmer. Kopf -> Tisch.
Ja klar. In was für einem Paralleluniversum kann jemand das für eine sinnvolle Aussage halten? pic.twitter.com/Yf59hM4rAO— Wolfgang Lünenbürger (@luebue) May 27, 2019
25.5.19
Ein Lauf? Oder Einlauf?
Zwei Dinge fallen mir auf. Und als jemand, der seit mehr als 20 Jahren überzeugter Grüner ist, freut mich das.
Zum einen, dass immer mehr Menschen, junge vor allem, aber längst nicht nur, sich klar für ein Thema entscheiden (können), das für sie Priorität hat. Das sozusagen das Killerthema ist, das alle anderen überlagert. Ich höre sehr viel – und auch das faszinierende YouTube-Statement von nun wirklich nicht nur linken oder liberalen Stimmen zeigt das –, dass egal wie sehr jemand in anderen Fragen mit einer Partei übereinstimmt, die Frage des radikalen und kurzfristigen Klimaschutzes, der nicht mit anderen Fragen „verrechnet“ oder verhandelt wird, zur klaren Nicht-Wahl führt.
Es ist also nur noch die Frage, ob beispielsweise die Grünen in den anderen Politikfragen akzeptable Antworten haben. Und nicht mehr, ob ich da ziemlich doll zustimme. Das heißt aber eben auch, dass SPD und CDU so viel auf ihre (guten) Konzepte in der Sozial- oder Steuerpolitik oder sonstwo hinweisen können, wie die wollen – ihre praktischen Entscheidungen gegen schnellen Klimaschutz überlagern alles. Das ist kein Gedöns mehr. Sondern, ähnlich wie für Faschisten die Flüchtlingsfrage, die Existenzfrage. Und damit ist es dann eben kein „Lauf“ der Grünen mehr. Sondern ein Einlauf für SPD und CDU.
Und zum anderen erlebe ich bei vielen Konservativen*, wie sie vor allem von Robert Habeck fasziniert und angetan sind. Während für viele Linkere und Grüne Annalena Baerbock immer wichtiger und immer mehr Identifikationsfigur wird, greift Habeck weit über das alte Milieu hinaus. Weil, so kommt es mir vor, eben Stil und sprachliche Schönheit nicht so unwichtig sind, wie es lange schien. Weil er so wirkt, als würde er zuhören. Und wäre fehlbar. Weil er eben nie so selbstgerecht oder dummdreist auf die radikale Kritik reagieren würde wie klassische Vertreterinnen von SPD und CDU. Auf diese Kritik hier:
Dass die Grünen seit etwa 2012 anfingen, kulturell aus ihrer angestammten Szene herauszutreten und anschlussfähig zu werden als Lebensstil-Partei, hat seit damals das Parteiengefüge geöffnet für eine neue Sortierung. Dass sie es dann nach 2015 geschafft haben, sich als einzige Partei eindeutig als Heimat aller zu positionieren, die Nazis und Autoritäre ablehnen, hat das beschleunigt. Dass sie vor 40 Jahren das Thema als Schlüssel- und Killerthema erkannt haben, das nun gerade für immer mehr Menschen zu ebendiesem wird – all das zahlt sich aus. Hoffentlich.
___________
* also SPD- und CDU-Mitgliedern, die (noch) ihre Parteien verteidigen.
** persönlich denke ich ja, dass das in der Breite unfair ist. Aber insofern verdient, als die SPD ja Scholz und Schulze freiwillig nach vorne stellt.
1.4.19
Wut
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C.Suthorn, Frida Eddy Prober 2019 / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org |
Ich bin ganz fasziniert, dass die Kinder lachen, wenn ich die Bilder von Freitagsdemos sehe. Denn eigentlich hätten sie allen Grund sauwütend zu sein. Ich mein, ich bin ja froh, dass sie es nicht sind. Denn Wut und Angst sind anti-politisch. Und wahrscheinlich unterscheidet das die nächste Generation von den ekligen Krakeelbratzen meiner Generation, die vor einigen Jahren anfingen, montags ostdeutsche Städte mit ihrer Wut zu zerstören. Dass sie, also die Kinder, politisch sind. Und dann auch noch weit politischer als die meisten, die Politik als Beruf haben. Wie beispielsweise den Kasper:
Und @c_lindner so: Wenn der Klimawandel meine Definition von Freiheit (reisen, rasen, fressen) bedroht, soll der weggehen.— @luebue ¯\_(ツ)_/¯ (@luebue) March 30, 2019
Abgesehen davon, dass sie ja noch was unterscheidet von den Krakeelbratzen: dass sie nicht Ernst genommen werden. Dass ihre Proteste keine Konsequenzen haben. Vielleicht müssen sie erst wütend werden. Könnte ich auch verstehen. Ebenso wie ich verstehen könnte, wenn sie in den Widerstand gingen und die Zukunft selbst durchzusetzen versuchten.
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Als ich an den letzten Märztagen dann ein bisschen reinguckte in den Kongress, auf dem die Grünen über ihr neues Programm nachdachten, ist mir noch etwas aufgefallen. Von dem ich mir nicht ganz sicher bin, was ich davon halten soll – das aber im Grunde tatsächlich meine Erfahrung der letzten Jahrzehnte widerspiegelt. Ausgangspunkt war die Erkenntnis: Die beiden Vorsitzenden der Grünen haben Kinder.
Denn @ABaerbock so: Um die Freiheit meiner Kinder zu erhalten, müssen wir den Klimawandel aufhalten.— @luebue ¯\_(ツ)_/¯ (@luebue) March 30, 2019
Für mich war das, was Annalena Baerbock von ihrer Zeit in Paris mit dem Säugling erzählte, sehr berührend. Und Augen öffnend. Und kann der Kontrast zu den Handelnden der Regierung und zum Kasper vielleicht wirklich sein, dass sie Kinder hat?
Seit gestern frage ich mich, ob es Zufall ist, dass @OlafScholz @AndreaNahlesSPD @peteraltmaier und Merkel die Nicht-Politik der Nachlässigkeit machen, die sie machen. Oder ob das genau daran liegt.— @luebue ¯\_(ツ)_/¯ (@luebue) March 30, 2019
Die ersten Jahre, die ich Kinder hatte, war mein Eindruck ja immer, dass Kinder pragmatisch machen. Dass auf einmal auch ganz praktische Überlebensfragen in den Mittelpunkt rücken und nicht nur die großen Widersprüche der Welt.
Nur: heute ist radikal das neue pragmatisch. Weil wir nur so Zukunftsoptionen erhalten.— @luebue ¯\_(ツ)_/¯ (@luebue) March 30, 2019
Ich denke, dass zwei Dinge vor allem Menschen mit Kindern am Esstisch unterscheiden von denen, die keinen Alltag mit Kindern und Jugendlichen haben: Zum einen, dass mir klar wurde, wie rasend schnell sich Dinge verändern und verändern lassen. Und zum anderen, wie wichtig die nächsten zehn, zwanzig Jahre sind. Und heute, wo die ersten beiden der vier Kinder ihren Weg gehen und in die Städte gegangen sind oder in der Stadt geblieben sind, wo sie ihr Leben beginnen, noch viel mehr.
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Toleranz endet mit z, sagt meine Liebste immer. Schon immer. Und damit hat sie schon immer Recht, denn sie ist recht weise. Zumal sie es von ihrem Vater hat, der recht weise ist.
Meine Toleranz jedenfalls endet. Ich bin nicht mehr bereit, die Nachlässigkeit oder den Kasperkram zu tolerieren. Im Grunde nicht einmal mehr, darüber mit denen zu diskutieren, die beispielsweise SPD, CDU oder FDP für wählbar halten. Mit ein oder zwei dieser Parteien werden die Grünen koalieren müssen auf absehbare Zeit, das ja. Aber das heißt nicht, dass ihre Politikverweigerung und ihre kinder- und empathielosen Ansätze toleriert werden müssen. Lustigerweise schrieb ich ja schon vor fast zehn Jahren darüber, dass meines Erachtens die beiden Hauptkonkurrentinnen um die Macht Grüne und CDU sein werden.
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Und dann fällt den Leuten vom Fernsehen (das ist dies, was wie kaputtes Netflix ist) nicht mal auf, was sie für ein hübsches Symbol für ihre Verachtung der Kinder geschaffen haben, als sie nach Thunberg die nächste junge Frau mit einem SUV beglücken.
Würde es irgendjemanden wundern, wenn die Kinder doch noch wütend werden?
20.11.17
Auf dem Weg nach Österreich
- Es war schon auffällig, dass in der letzten Woche eigentlich nur Sozialdemokratinnen in meinem Umfeld noch an Jamaika glaubten. Sagt auch sehr viel über Gefühlshaushalt und Politikverständnis da.
- 70% bis 90% der Bevölkerung stimmen mit den Grünen überein, was Klimaschutz und Flüchtlingspolitik angeht - mit der FDP stimmt in der Form, wie sie (bei Klimaschutz sogar auf der gleichen Fake-News-Ebene) argumentiert, nur die AfD überein. Das gibt einem schon zu denken, finde ich.
- Vielleicht war es nur so mittelschlau, den einzigen erfahrenen Verhandler bei der FDP kurz vor dem Ende so stark anzuzählen (Kubicki wegen seiner Cum-Ex-Positionen und -Verstrickungen), denn es stellt sich raus, dass Alter und Erfahrung in schwierigen Situationen eben doch kein Nachteil ist. Außer (was wir heute Nacht ja von etlichen Teilnehmenden an den Verhandlungen hören) Lindner hatte schon seit Wochen (ich höre, seit vier Wochen) genau diese Plan und hoffte nur, dass die Grünen vor ihm die Nerven verlieren.
- Es ist gut, dass es mit diesen Nervenwracks von der FDP, die noch nicht mal verhandeln mögen, keine Regierung gibt.
- Wenn man bedenkt, dass eigentlich nur zwei Parteien richtig Angst vor Neuwahlen haben müssen, wäre es eigentlich logisch, welche Regierung wir bekommen: denn nach Nachwahlen würde es wahrscheinlich ja nicht mal mehr reichen für eine Koalition aus Union und SPD.
- Sofort machbar wäre sicher eine Koalition aus CDU (ohne CSU), SPD und Grünen. Wäre auch eine echte Option.
- Ich schätze Merkels Politikstil, der ja sehr davon geprägt ist, dass sie Wissenschaftlerin ist. Heute Nacht, muss man wohl zugeben, ist der gescheitert. Dieses auf Falsifizierbarkeit ausgelegte Vortasten und Testen, das ihr Stil ist, scheint eben – wie so oft bei Naturwissenschaften – doch allzu unterkomplex zu sein.
- Naheliegend wäre auch eine Regierung aus Union, FDP und Linken. Denn auf die Punkte, die der FDP wichtig sind, könnte sie sich sofort mit der Linken einigen (Anti-Europa, kein echter Klimaschutz, inhumane Flüchtlingspolitik). Schwierig ist nur, dass die Linke als einzige dieser drei Parteien was von Wirtschaft versteht, das würde ja eher schaden.
- Es ist einfach zum Kotzen, dass die FDP lieber nach Österreich will als nach Jamaika. Aber Liberale sind bei den Grünen herzlich willkommen.
Die Grünen sind so geeint wie nie und so gestärkt wie fast nicht denkbar hier rausgekommen. Danke denen, die das so toll und ruhig und professionell gemacht haben.