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9.10.23

Verzweifelter Mut

Das letzte Mal, habe ich den Eindruck, ging es mir so, als ich noch ein Jugendlicher war, vor 35 Jahren oder 40. Diese merkwürdige nagende Gleichzeitigkeit von freudiger, die Zukunft liebender Erregung und gleichzeitiger tiefer Verzweiflung angesichts der Welt und der Menschen um mich herum. 

Damals waren es auf der Habenseite eher so Sachen wie Verliebtsein oder Musik oder Lesen. Und auf der Sollseite die entstehende Festung Europa, die Ignoranz der Erwachsenen für Frieden und Umwelt, die immer dreisteren Nazis. Als mir das bewusst wurde, machte mich das in der letzten Woche sehr, sehr traurig. Weil es sich so anfühlte, als wären wir wieder an der gleichen Stelle. Nur irgendwie krasser. 

17.7.23

Dreißig

10.957 Tage sind wir nun verheiratet. Und 10.018 Tage davon haben wir mit Kindern gelebt. Ein Drittel eines Lebens. Das wurde uns mit einem etwas komischen Gefühl in der Magengrube bewusst, als wir vor ein paar Tagen diesen Tag für uns planten. Denn dieser Tag ist schon immer unser Tag. Auch, weil ich dich so liebe.

Dieses Gefühl da unten war wohl ein doppeltes oder dreifaches. Die Freude über die vielen Jahre. Die Wehmut über die Veränderung, die irgendwie so plötzlich passiert, wenn auch nicht überraschend. Der Stolz, die vier Kinder ziehen lassen zu können. 

16.7.23

Neue Rituale

Jetzt sind alle Kinder aus dem Haus. Nach über siebenundzwanzig Jahren werden wir von Familie wieder zu einem Paar. Etwas älter als letztes Mal. Und mit der wunderbaren Aussicht, dass die vier Kinder immer wieder und gern nach Hause kommen. Aber eben auch wieder gehen. 

Und wir machen uns daran, neue Rituale für die neue Zeit zu zweit zu entwickeln. Sauna war schon eines, das auch in der Familienphase unseres alleine war. Gestern haben wir ein weiteres ausprobiert. Wir sind zusammen auf den Markt gegangen und haben in einem der Orte am Marktplatz, die es dafür gibt, gefrühstückt. Das ist insofern neu, als in den letzten Jahren immer ich sehr früh auf den Markt bin, zwischen Familienfrühstück und die Morgenschicht auf dem Hof gequetscht. 

Ich bin gespannt, was wir darüber hinaus für uns zu zweit entwickeln an neuen Ritualen. 

10.7.23

Kollateralschaden

Letzte Woche bin ich sehr wenig zum Schreiben gekommen. Arbeit vor allem. Und dann auch noch das Abi der Jüngsten. Und die Einrichtung der Wohnung, in die sie zieht, wenn sie zur Ausbildung geht. Und dann noch Abiball und 80er Party bei Freund*innen. Und das Wetter sowieso. Also ist das Tagebuch etwas ins Stocken geraten. Dabei wollte ich doch noch unbedingt über den großen politischen Aufreger der letzten Woche geschrieben haben, also die Frage, wo ich das Problem sehe bei der Diskussion rund um die Kappung des Elterngeldes für hohe Einkommen.

1.7.23

Tochter

Es ist einer dieser mega albernen kalenderspruchartigen Allgemeinplätze, dass du nicht deinen Sohn verlierst sondern eine Tochter gewinnst, wenn er heiratet. Und dennoch stimmt es. Für euch getestet. 

Wobei wir sie ja vorher schon in die Familiengruppe im Messenger aufgenommen hatten. Und es auch sonst etwas altbacken ist, so zu fühlen. Macht aber nix. Und die richtige Hochzeit kommt auch erst im Herbst. 

30.3.23

Schulaus

Nach über zwanzig Jahren geht für uns das Thema Schule zu Ende. In dieser Woche beginnen in Schleswig-Holstein die Abiturprüfungen. Quartas in der Minute, in der ich auf den Knopf für Veröffentlichen gedrückt habe. Sieben Uhr Vierzig.

Ich erinnere mich noch gut an meine, vor allem an Musik. Da war ich so extrem ärgerlich über die Aufgabenstellung, dass ich die Arbeit im Stil einer Musikkritik des 19. Jahrhunderts schrieb. Denn ich hatte mich auf Bergs Wozzeck und auf Bartoks Streichquartette vorbereitet – und dann kam ausgerechnet fast die gleiche Aufgabe zum 5. Streichquartett dran, die wir schon in der Oberstufe hatten. Ja, ich liebe das fünfte, sehr sogar, aber wieso habe ich dann das alles gelernt?

Jedenfalls. Abitur. Heute Chemie, dann erstmal Ferien. Und dann war es das mit Schule weitgehend. Quartas Pech ist, dass sie als Jüngste die ist, mit der all diese Dinge, die uns jahrelang begleitet haben, ein letztes Mal passieren. Ihr Glück, dass wir schon Erfahrung damit haben. Es ist trotzdem aufregend.

Und dann wird Schule auf einmal aus sein. 

26.3.23

Nach Hause

Als Veteran der Eltern-Bubble mit vier erwachsenen Kindern sage ich ja immer mehr oder weniger im Scherz zu jungen Eltern: „Es wird nicht besser, nur anders.“ Aber heute muss ich mal zugeben: das ist gelogen.

Denn es ist inzwischen richtig toll. Wenn die Kinder gerne (nein, nicht zu oft) nach Hause kommen. Wenn sie ihre Partner*innen und Freund*innen gerne mitbringen und die gerne kommen. Wenn wir mit denen zusammen essen, trinken und – ganz retro – spielen. Wenn wir alte Fotos ansehen und Hochzeiten planen. Wenn sie um Rat nachsuchen und Rat geben. 

Ich merke, wie gesegnet und glücklich ich bin. 

17.2.22

Die Flut

Wer in Hamburg geboren oder aufgewachsen ist, hat mindestens geliehene Erinnerungen an DIE FLUT. Diese Nacht 1962. Vielleicht ist es deshalb so gruselig-faszinierend, die quasi-live Nacherzählung auf Twitter mitzuverfolgen, während um mich herum der heftige Wind geht, ich Sorge habe, dass diese Esche da, bei der das Eschentriebsterben schon etwas weiter ist, auf unser Haus stürzen könnte, und es auf unser Blechdach trommelt. 

Die Verehrung für Helmut Schmidt, die meine vier Großeltern empfanden unabhängig von ihrem Wahlverhalten, kommt aus dieser Nacht. Das war sehr tiefe und echte Dankbarkeit. Und seit ich zur Freiwilligen Feuerwehr gehöre, verstehe ich es noch mehr, weil ich Krisenstäbe und Entscheidungen „von unten“ erlebe. 

Aufgewachsen bin ich in einem Stadtteil, in dem es eine Siedlung gab, die für Menschen in aller Schnelle hochgezogen worden war, die in DER FLUT alles verloren hatten. Das Altenpflegeheim in der Mitte dieser Siedlung war von der Flutopferhinterbliebenensiftung. Was und warum das so heißt, war mir lange nicht klar. 

Hamburg Sturmflut 1962, überflutete Siedlung in Wilhelmsburg
Gerhard Pietsch, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Jedes Kind kannte diese tatsächlich recht eleganten 1962-Unterstrich-Dingens aus dunklem Metall, die überall an den Häusern und Wegen unten an der Elbe angebracht waren, wo wir am Sonntag spazieren gingen und meine Schwester und ich auf dem Mäuerchen balancierten und in diesen einen Baum kletterten, der vom „Strand“ über die Mauer ragte. 

Dann kam 1976 ein zweites Pegelstanderinnerungszeichen dazu. An 76 kann ich mich erinnern, weil wir unten waren, bevor da alles aufgeräumt war. Mein Vater war beim Aufräumen dabei, weil er seinen Ersatzdienst bei so einer ulkigen Einheit machte, die irgendwie zur Feuerwehr gehörte, aber eigentlich nur den Atombunker in Langenhorn bewachte oder so. Darum jedenfalls war er „in der Heide“, damals als die brannte. Und eben beim Aufräumen. Ich war froh, als Kind, dass er erst dann hin musste. Denn als er in der Nacht alarmiert wurde und sozusagen Reserve war, hatte ich Angst. Denn ich kannte die Geschichten von 62. Meine Kahlbohm-Großeltern und meine Mutter wohnten ja oben auf dem Geestrücken in Horn, wo sie runter gehen konnten zum Hafen und nach Billbrook. 

Ich wusste im Grunde nichts über DIE FLUT. Und kann mich nicht mal daran erinnern, ob wir es in der Schule hatten. Wahrscheinlich ja, spätestens, bevor wir nach Neuwerk fuhren auf Klassenreise. Vielleicht auch schon, als wir in Moorwerder auf Klassenreise waren? Das war ja 1977. 

Aber die Erinnerung war trotzdem als geliehene da. Tief unter der Oberfläche. Osmotisch. 

1.12.21

Kahlbohm

Kahlbohm ist der Mädchenname meiner Mutter, die 2008 nach langer Alzheimer-Erkrankung gestorben ist. Und der Name meiner Großeltern, die inzwischen auch beide gestorben sind, beide Mitte Neunzig, beide nach einem langen Leben voller Veränderungen, obwohl sie beide Veränderungen nicht so sehr mochten. Sie konnten sich immer gut darauf einstellen, aber mögen taten sie sie nicht.

Kahlbohm steht aber für mich nicht nur für meine Wurzeln und für Menschen, die ich sehr liebte und nicht mehr um mich habe. Sondern die Familie hat auch eine Geschichte, die mit Transformation zu tun hat. Und mit einem dicken Kopf. Und mit einer Tradition, die einer meiner Söhne fortsetzt, indem er ein Metallhandwerk lernte.

Auf beiden Seiten meiner Kahlbohm-Wurzeln waren die Männer nämlich Schlosser gewesen. Einer auf dem Land, an der Westküste, einer in der Stadt, in Hamburg-Barmbek. Einer war dann auch Fuhrmann. Da war Schlosser sehr praktisch, weil er die Wagen reparieren konnte und die Pferde beschlagen. Metaller zu sein, war quasi die Voraussetzung, halbwegs als Fuhrmann über die Runden zu kommen. Der andere hat alles gemacht, was ein Schlosser in der Scheune so machen kann. Wagen repariert. Beschläge gebaut. Pferde beschlagen. Maschinen. 

Beide haben den Sprung in die neue Zeit geschafft. Denn beide haben angefangen, Automobile zu reparieren, noch bevor es die ersten Autos in ihrem Dorf und in ihrem Stadtteil gab. Und der Fuhrmann hat sogar eines angeschafft. Sehr früh. Und sehr zur Erleichterung seiner zahlreichen Söhne, die froh waren, als die Pferde nach und nach weg konnten und nicht mehr ausgemistet werden mussten.

Autowerkstatt ca. 1920

Damit haben sie zu ihrer Zeit etwas gemacht, das ich meine gesamte Berufstätigkeit ebenfalls versucht habe: Wach hinzusehen und aus der Antizipation dessen, was der Markt, die Kundinnen, brauchen werden, abzuleiten, was wir heute anbieten müssen. Was wir schon können, was wir noch brauchen dafür, wie es aussehen muss. Das ist das, was ich Transformation nenne. 

Für mich sind meine Wurzeln immer Inspiration gewesen und sind es bis heute. Auch da, wo ich mich kritisch und in Abgrenzung mit ihnen auseinandergesetzt habe. Aber Wurzeln zu haben, hat mir immer geholfen, mit den Spitzen der Äste nach dem Himmel zu tasten. 

Mit Kahlbohm & Sons, Transformation wächst aus diesen Wurzeln jetzt noch einmal etwas Neues. Und darauf freue ich mich sehr. Die Knospen sind, wie es sich gehört, jetzt im Winter angesetzt. Im Frühjahr wird es dann richtig wild.

10.8.20

Da sein

Wenn ein Leben sich dem Ende zuneigt, geht es nicht darum, sich zu verabschieden. Das dachte ich irgendwie immer, aber das stimmt nicht. In der einen Woche, die meine Großmutter zum Sterben gebraucht hat, ging es viel mehr darum, da zu sein. Für sie da zu sein. Ihr Hand zu halten. Ihr in ihrer Angst und beim Loslassen Sicherheit und Ruhe zu geben.

Als meine Mutter vor zwölf Jahren starb, war es Nacht, sie ist nicht mehr aufgewacht und war vorher viele Jahre lang nicht mehr da. Zwei Jahr vor ihrem Tod schrieb ich was darüber. Als mein Großvater vor eineinhalb Jahr starb, habe ich ihn ins Krankenhaus begleitet und mit ihm gemeinsam die Entscheidung getroffen, dass er die Operation wagt, die er nicht überstanden hat. So dass er im Grunde starb, wie er lebte – abrupt, im Wissen, dass er sterben will und wird, allein.

Und so war es für mich und auch für die Meinen das erste Mal, dass wir jemanden intensiv in den Tod begleitet haben. 


Das war eine harte Woche, vor allem emotional, aber eine, die für sie und für uns wichtig war. Und ich bin dankbar, dass wir es gemacht haben und uns nicht einfach nur verabschiedeten. Wir haben sie ja auch die letzten Jahre, die sie nicht mehr selbstständig leben konnte, begleitet. Vor Corona zwei- bis dreimal wöchentlich, oft auch so, dass wir sie zu uns geholt haben, dass sie ein bisschen am Leben teilhaben konnte. Glücklicherweise in den letzten Wochen wieder ein bisschen, einmal war sie sogar noch wieder bei uns zu Hause.

Da sein. Am Ende war es vor allem das. Mit ihr singen und beten und ihr versichern, dass hier alles abgeschlossen ist und wir sie gehen lassen. Ihr helfen, den Ausgang zu finden. Sie erinnern, dass sie auf ihre Tochter und ihren Mann nicht hier warten muss und kann – sondern dass sie auf sie warten, drüben.

Meine Großmutter. Die immer selbstbestimmt sterben wollte, die in den 70ern und 80ern klare Vorstellungen davon hatte, wie sie ihrem Leben zur Not selbst ein Ende setzen könnte. Und die am Ende nicht loslassen konnte. Die noch nicht sterben wollte, als klar war, dass ihr Körper und ihr Geist nicht mehr können. Aber doch Gott vertraute, dass er sie holen werde, wenn es sein soll.

Da sein war wichtig in dieser Zeit, das war deutlich zu spüren. Und das war Lohn genug, wenn es denn welchen braucht. Und dass sie sich Zeit gelassen hat, hat den anderen ermöglicht, sich von ihr zu verabschieden. 

Und als der letzte Urenkel, der die Woche über außerhalb arbeiten musste, schließlich da gewesen war, konnte sie gehen. Und hat es auch sofort gemacht. Sie hatte auf ihn gewartet, der eine Zeit lang bei den Urgroßeltern gewohnt und sich um sie gekümmert hatte, bevor sie ins betreute Wohnen gehen konnten und mochten. 

Eine intensive Woche. Mitzuerleben, wie sie wartete, wie das Leben weniger wurde, mühsam. Wie ihre herzensgute Fröhlichkeit immer weniger zu sehen war, auch wenn fast bis zum Schluss noch etwas durchschien. Danke, liebe Großi, dass du mehr als 50 Jahre für mich da warst. Danke, dass du alle Irrungen und Wirrungen unserer Leben immer mit Liebe und Bestätigung begleitet hast. Bis zum letzten Tag fragtest du, ob es allen gut geht, ob wir glücklich sind. Und ja, wir sind es. Wir sind traurig, dass du tot bist. Aber wir sind glücklich, dass wir dich auf diesem Weg begleiten durften. Und werden da sein, wenn du später in dieser Woche deine allerletzte Reise antrittst, die dich zurück an die Seite deines Mannes führt, mit dem du weit über 70 Jahre jeden Abend Hand in Hand eingeschlafen bist.

Und ich bin unendlich dankbar, dass ich eine so wundervolle Frau an meiner Seite habe, die diesen Weg mit mir gegangen ist. Und Kinder, die ihn mitgegangen sind. Wie bin ich gesegnet. Du hast das gewusst und es mir jedes Mal gesagt, wenn wir uns sahen.

17.7.18

25

Wir haben Freundinnen, die auch die 25 geschafft haben. Auf ganz andere Weise. Die nie streiten und die wir mit unserer Art wahnsinnig machen. Es gibt also mehr als einen Weg. Denn dies haben wir ja gemeinsam: 25 Jahre und kein Ende in Sicht.

Meistens sprechen Menschen von Höhen und Tiefen. Und wir hatten auch welche. Aber wenn ich darüber nachdenke, keine als Paar. Sondern nur einzeln. Und die Tiefen waren darum einfacher durchzustehen. Denn wir waren jeweils nicht allein.

Dass wir ein wir sind, das, was viele Menschen an Partnerschaften so nervt, ist vielleicht das Schönste daran. Neben allem anderen. Allem anderen.



Vier Kinder, vier Häuser und eine Pferdeherde später bin ich immer noch sehr, sehr froh, dass wir damals, am 17. Juli 1993, noch mitten im Studium, als erste aus dem Kreis unserer Freundinnen, sehr zur Überraschung fast aller Menschen um uns herum, geheiratet haben.

In weiß und in schwarz, aber ohne das ganze Getüdel, dass später üblich wurde. Mit einem wunderschönen Fest, das wir uns von unseren Eltern gewünscht hatten. Mit zwei Trauzeuginnen, die uns bis dahin begleitet hatten und uns bis heute begleiten, Paten zweier unserer Kinder wurden, selbst heirateten, da waren.


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25 Jähre sind keine Selbstverständlichkeit.


Für 25 Jahre bin ich sehr, sehr dankbar.



25 Jahre sind erst der Anfang.




31.12.16

Und dann auch noch Knut Kiesewetter...

Was war das für ein Jahr. Im ersten Moment geht es wahrscheinlich nicht nur mir so, dass ich es geballt empfunden habe. Vieles, was Angst macht. Mir zumindest. Vieles, was traurig macht. Mich zumindest. Ein nicht mehr zu verdrängender langanhaltender Teil des Weltkriegs, der seit einiger Zeit herrscht. Beängstigende autoritäre Bewegungen und Führer, die ihre Macht autokratisch umbauen oder demokratisch an die Macht kommen. Viele Idole meiner Jugend oder zumindest solche, mit denen ich aufwuchs, starben. Und das alles nur die Vorhut für ein Jahr, das zumindest in meinem Land noch viel schlimmer werden wird und die Gesellschaft zu zerreißen oder zu zerstören droht.

Und dann kam die Weihnachtspost. Und mit ihr etwas, das eine Tradition in unseren Familien ist: die Jahresbriefe. So wie wir auch den unseren kurz vor Weihnachten verschickt hatten. Und in diesen Briefen war von einem ganz anderen Jahr die Rede. Einem, das gut war, in dem viel geklappt hat, Kinder groß wurden, konfirmiert, Abitur machten, geboren wurden. Reisen, die Familien unternommen haben. Neuanfänge und Veränderungen. Neue Beziehungen. Beförderungen. Neue Berufe. Berufseinstiege. Engagement. Hoffnung.

2016 war für sehr viele Menschen in meinem Umfeld, mich eingeschlossen, ein wirklich gutes Jahr. Eines, in dem viel richtig lief in all dem Chaos, das um uns herum herrschte.

Ich will dies nie vergessen. Mich immer wieder daran erinnern, wenn die Verzweiflung oder die Trauer oder die Angst überhand zu nehmen droht. Und die Briefe, die bei uns an einer Wäscheleine hängen, die einmal quer durch die Wohnküche geht, wieder und wieder zur Hand nehmen. Als Zeugnis eines Lebens in Fülle und einer Hoffnung auf einen Sonnenaufgang am Ende der Nacht.

Wie passend, dass die Tage wieder länger werden.

Ein gesegnetes Jahr 2017 wünsche ich euch, eines, in dem ihr immer wieder Hoffnung und Gelingen sehen könnt. In dem wir gemeinsam stark sind in allen Anfechtungen, die kommen und schon zu sehen sind. Erinnert mich daran, wenn es besonders schlimm ist, bitte.

Und dann ist da die Hoffnung und die Sonne geht wieder auf

17.11.16

Dankbar

Es gehört zu den schönen Dingen am Älterwerden, dass deine Kinder keine Kinder mehr sind sondern Erwachsene werden. Zumindest die älteren deiner Kinder. Die jüngeren werden Jugendliche. Das ist anders schön. Ja wirklich, irgendwie, so im Nachhinein, wenn ich an die jetzt erwachsenen denke, als sie jugendlich waren.
Symbolbild: gelingende Erziehung
Und nach und nach zeigen sich die Früchte dessen, was du versucht hast all die Jahre. Obwohl alle mit erzogen haben an deinen Kindern.

Nach und nach zeigt sich, ob die Herzensbildung zumindest in Ansätzen erfolgreich war, die du versucht hast. Oder die Liebe zur Bildung, zum Lesen, zu Wesen.

Nach und nach zeigt sich, ob hinter der Rebellin auch dein Sohn, deine Tochter schlummerte und nun doch noch erwacht.

Es ist merkwürdig, deine Kinder groß werden zu sehen. Meistens fällt dir gar nicht auf, wie merkwürdig es ist, denn es passiert ja nicht, es mäandert so vor sich hin. Es ist nicht plötzlich da. Selbst wenn du dir irgendwann die Augen reibst und dich fragt, wann sich dieser Mensch so verändert hat, dass du auf einmal stolz bist. Und dankbar.

Obwohl – dankbar war ich eigentlich immer. Oder zumindest immer wieder. Denn nichts lässt einen so lebendig sein und so unanfällig für die Blasen, in denen einige deiner Freundinnen zappelt, wie Kinder. Und Jugendliche. Und Erwachsene. Die du begleitet hast.

Du hast immer gedacht, dass du versagst. Du hast Nächte durchgeweint vor Zorn und Verzweiflung. Und andere durchgewacht vor Sorge. Du hast geschlafen wie ein Stein vor Erschöpfung. Du bist hochgeschreckt beim kleinsten Geräusch. Die ersten Monate bist du aufgestanden, um nachzugucken, ob das Kind noch lebt, mitten in der Nacht. Später war es anders und doch immer auch gleich.

Und dann zieht dein erwachsenes Kind bei deinen Großeltern, seinen Urgroßeltern ein. Um sich um sie zu kümmern und für sie da zu sein. Und du merkst, dass alles wunderbar geworden ist.

(Zwei unserer vier Kinder sind nun erwachsen. Und ungefähr so geworden. Wirklich. Ich kann da nicht viel für. Aber es ist toll und ich bin so dankbar, dass ich manchmal Tränen in den Augen habe, wenn ich davon erzähle. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als viele Kinder zu haben, die so unterschiedlich sind wie es nur geht. Und doch alle auch ähnlich und Teil von uns. Ich liebe euch.)

(und ansonsten könnte man auch dieses lesen – über Kindererziehung in diesen Zeiten. Irgendwie bin ich froh, dass es andere Zeiten waren, als wir unsere groß machten.)

13.7.16

Führung und Leben

Nach dem (ja, finde ich) unsäglichen kress.de-Text über die mögliche Unmöglichkeit von Teilzeitführung in einer Redaktion (und der Bestätigung dieser an sich meines Erachtens abstrusen These durch den Verlag selbst, um den es ging) gibt es jetzt zwei hilfreiche Texte, die etwas Sachlichkeit in die Debatte bringen. Von der geschätzten Kollegin Nicola Wessinghage ebenfalls auf kress.de; und vom einzigen anderen bekennenden feministischen Unternehmensführer, Robert Franken, in seinem Blog.  Tatsächlich haben Nicola und Robert die Perspektive gerade gerückt – hin zum wie, weg vom ob.

Oder, wie ich letzte Woche sagte,
Womit wir bei Agenturen, Jobs, Führung und meiner eigenen Erfahrung wären.

Alles ist in Teilzeit möglich
Als ich in den 90ern ins Parlament meiner Kirche gewählt worden war, habe ich einmal versucht, eine Leitungsstelle (eine Pröpstin in dem Fall) mit einem Tandem zu besetzen. Wir haben mit einer Gruppe Feministinnen ein Tandem für eine Kandidatur zusammen zu stellen versucht und zugleich die Lücke im Gesetz ausfindig gemacht, die dieses ermöglichen würde. Seit dem, noch bevor ich selbst in die Berufstätigkeit startete, bin ich überzeugt, dass jede Aufgabe auch über Teilung des Jobs erledigt werden kann. Und in Teilzeit.

Seit ich an Stellen angekommen bin, an denen ich das aktiv gestalten und mitbestimmen kann, versuche ich zu zeigen, dass das stimmt. Und bisher merke ich, dass es (1) im Prinzip tatsächlich stimmt und (2) trotzdem nicht klappt, ohne dass wir zerrissen werden zwischen Anspruch, Wirklichkeit und den verschiedenen Verantwortungen, die wir im Leben so übernehmen.

Planung und Bereitschaft
Es ist ja eben kein Zufall, dass auf einer meiner Stationen die einzige Führungskraft jener Firma, die nach Mutterschutz und Elternzeit wieder in ihren bisherigen Job zurück kehren konnte, eine meiner Mitarbeiterinnen war – und wir es nicht nur vorher sehr genau besprochen und geplant hatten; sondern uns auch genau die Frage gestellt hatten, die Robert als zentral formuliert (wo ich ihm exakt zustimme):
Wie stellst Du, lieber Arbeitgeber, sicher, dass ich meinen Job auch während meiner Zeit mit Baby so ausüben kann, dass meine Bedürfnisse nicht hinter den Deinen zurückstecken müssen?
Wir haben damals die Aufgaben genau auf die zehn Stunden zugeschnitten, die meine Mitarbeiterin während der Elternzeit weiterarbeiten wollte. Und nach und nach die Stunden erhöht, wie es die Familiensituation zuließ. Das einzige, was sich nie änderte: sie blieb für genau die Menschen Vorgesetzte, für die sie es vorher war. Und war ihre Chefin, auch wenn sie wenig vor Ort war. Ging gut. Sehr gut sogar.

Verantwortung und Teilzeit
Ich bin inzwischen ja, wie ihr wisst, verantwortlich für die Geschäftsführung einer Agentur in Deutschland, Cohn & Wolfe. Und mein Führungsteam hat neben mir zurzeit fünf Direktorinnen. Von denen arbeiten zwei in Vollzeit bei Cohn & Wolfe, eine hat mehrere Aufgaben in unseren Firmen und steht uns in Teilzeit zur Verfügung – und zwei arbeiten in Teilzeit, mit unterschiedlich vielen Stunden. Beide haben in Teilzeit Karriere gemacht übrigens. Und für ihre letzte Beförderung auf dieses Führungslevel, das Budget-, Kundinnen-, Profit- und Mitarbeiterinnenverantwortung umfasst, haben sie auch nicht ihre Stunden erhöht.

Es wäre gelogen, zu sagen, bei uns liefe es optimal. Und es wäre ebenso gelogen, zu sagen, dass sie nur die Stunden arbeiten, für die sie bezahlt werden (das ist bei niemandem so, der oder die in einer Agentur Verantwortung trägt, aber das wissen wir Agenturleute). Aber was funktioniert, ist, dass wir es schaffen, unseren Teil dazu beizutragen, die Balance zwischen den verschiedenen Rollen, die (nicht nur, aber vor allem) Führungskräfte in Teilzeit in ihrem Leben haben, immer wieder herzustellen.

Organisation und Erfolg
Ich bin fest davon überzeugt, dass der Erfolg, den meine Agentur gerade hat – immerhin haben wir Honorarvolumen und Anzahl der Mitarbeiterinnen im letzten Jahr verdreifacht und eine sehr, sehr unheimliche Pitch-Gewinn-Quote –, vor allem damit zusammen hängt, dass wir genau dies ermöglichen. Dass wirklich gute Leute wirklich an der Stelle Verantwortung übernehmen können, an der sie besonders wertvoll sind, unabhängig von der Anzahl der Stunden, die sie uns zur Verfügung stellen (können und wollen). Dass wir gelernt haben, uns zu organisieren und Verantwortung so weit wie möglich zu delegieren, so dass wir schnelle Entscheidungswege haben. Dass wir die Selbstorganisation im Team durch Scrum-Methoden stärken.

Und dass wir die Frage stellen
Wie stelle ich als Arbeitgeber sicher, dass ihr euren Job auch während eurer Zeit mit Kindern so ausüben könnt, dass eure Bedürfnisse nicht hinter meinen zurückstecken müssen?
Nämlich.

24.5.16

Väter! Ihr seid gefragt!

Mir gehen die Versteherinnen und Versteher der Leute, die überall auf der Welt autoritäre Bewegungen unterstützen, ohnehin auf die Nerven. Ob wir die – der Einfachheit wegen – Nazis nennen oder Idioten oder eben Autoritäre, das ist mir fast egal. Nicht egal ist mir, dass sie den Handlungsspielraum massiv einschränken, den eine Demokratie hat, weil es auf einmal keinen Wettstreit der Ideen unter nicht-autoritären Politikansätzen mehr gibt. Aber, an dem Rumreiten auf dem Wort "Autoritäre" merkt ihr es, diese Beschreibung dessen, was politisch nicht nur bei uns sondern eben auch in fast allen anderen Ländern mit ehemals bürgerlichen Demokratien passiert, leuchtet mir ein.

Die Idee, das, was politisch gerade passiert, über eine autoritäre Haltung zu beschreiben, begegnete mir erstmals im Januar in einem sehr spannenden Artikel über Trump und den amerikanischen Wahlkampf. Dieser Link lohnt sich sehr, auch weil er sehr einfach beschreibt, wie ein autoritäres Weltbild, eine autoritäre Haltung erforscht und festgestellt werden kann. Das Spannende ist, dass in diesem Fall über vier Fragen, die alle mit Erziehung der eigenen Kinder zu tun haben, zwischen autoritär und weniger autoritär unterschieden wird. Dazu gleich mehr, weil ich denke, dass das richtig ist, so lange wir die Verantwortung für die Entwicklungen nicht komplett privatisieren.

Diese Woche dann zwei weitere sehr lesenswerte Texte
Anlass war jeweils Österreich, wo ja spannenderweise das Konzept auch von SPD und CDU, mit der autoritären Herausforderung umzugehen, so krachend gescheitert ist.
Wer weiß, ob Olaf Scholz, den ich ja ohnehin für sehr problematisch halte, heute seinen meiner Meinung nach gefährlichen Text zum Umgang mit den deutschen Autoritären (naja, ist er ja selbst auch einer, also Autoritärer, darum wahrscheinlich auch dieses Problem) noch immer schreiben würde.

Zum einen der erste Text, den ich in deutschen Medien wahrgenommen habe, der die Erfolge der rechten Bewegungen über das Thema der Autoritären beschreibt, Bernd Ulrich in der Zeit. Zum anderen ein interessantes Interview auf jetzt.de über das, was nun der Anlass für diesen Text hier bei mir im Blog ist – dass es so einen auffälligen Unterschied im Wahlverhalten von (jungen) Frauen und Männern gibt.
Auch hier eine Anmerkung im Kleingedruckten: Den letzten Absatz, die letzte Antwort im Interview, sehe ich sehr anders. Denn die Hoffnung, dass sich autoritär-faschistische Parteien, einmal an der Macht, zivilisieren würden, halte ich für historisch widerlegt. Das war auch die Hoffnung des autoritären Bürgertums in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Was hat das mit uns zu tun?
Alles. Denn ob unsere Jungs auf ihre Verunsicherung mit einer autoritären Haltung reagieren oder nicht, darauf haben wir die ersten zwanzig Jahre Einfluss. Und zwar ganz besonders wir Väter.
Es ist ja nicht zu bestreiten, dass die Vorstellung, wie Leben und Zusammenleben sein soll, die in Schule und Kindergarten, in einem großen Teil der Medien, in der Rechtsprechung und Gesetzgebung transportiert wird, von der gesellschaftlichen Realität sehr stark abweicht. Interessanterweise sind wir in diesem Land in der Theorie ja sehr viel weiter auf dem Weg in eine gerechte und nicht-patriarchale Gesellschaft als in der Praxis. Und das gilt noch mehr in den Ländern, in denen die autoritären Bewegungen schon länger als bei uns sehr wirkmächtig sind und massive Zustimmung bei Wahlen erfahren, beispielsweise in Skandinavien, den Niederlanden und den USA.

Mir leuchtet das Erklärungsmuster sehr ein, dass die autoritären Bewegungen ein gewaltsames Aufbäumen der Verlierer dieser Entwicklung sind. Derer, die sich (wenn sie älter als sagen wir mal 35 Jahre sind) nicht auf die Veränderungen einlassen wollen. Und derer, die – sicher auch zu einem guten Teil berechtigterweise – davon ausgehen, dass sie sich ändern müssten, wenn sie bestehen wollen, das aber nicht wollen. Möglicherweise befinden wir uns im letzten Abwehrkampf des gewalttätigen misogynen Mackertums.

Auf Dauer ist es nicht denkbar, wahrscheinlich nicht einmal möglich, dass die autoritären Macker diesen Kampf gewinnen. Aber er wird noch ein oder zwei Generationen andauern. Und unsere Söhne werden die sein, auf deren Rücken dieser Kampf aufgetragen wird. Sie sind es teilweise schon.

Wenn es tatsächlich so ist, dass die Frage, ob jemand eher autoritär "tickt", einen großen Einfluss darauf hat, ob sie sich gesellschaftlich und politisch bei autoritären Bewegungen verortet oder sogar engagiert, müssen wir, finde ich, unser Augenmerk sehr auf die Jungs, unser Söhne und Schüler, legen. Und ihnen helfen, vor allem durch unser Beispiel helfen, den Verlust einer autoritären Perspektive nicht als schlimm zu empfinden.

Eine autoritäre Haltung identifiziert Matthew MacWilliams im oben schon erwähnten Text auf politico anhand der Antworten auf vier Fragen zur Erziehung von Kindern:
Ist Ihnen bei Ihrem Kind wichtiger, dass es Respekt hat oder dass es unabhängig ist? Ist Ihnen wichtiger, dass es gehorcht oder dass es selbstständig ist? Wichtiger, dass es sich gut benimmt oder dass es rücksichtsvoll ist?  Dass es gute Manieren hat oder dass es neugierig ist?
Ich finde diese Fragen so interessant und überzeugend, weil die Alternativen ja keine reinen Alternativen sind – aber tatsächlich, wenn ich mich jeweils entscheiden muss ("wichtiger"), eine aussagekräftige Haltung erkennbar ist.

Als Vater von Söhnen muss ich Feminist sein
Sage ich vielleicht auch, weil mir das wichtig ist, ja. Aber selbst wenn es mir persönlich egal wäre – schon aus Fürsorge meinen Söhnen gegenüber müsste ich es werden. Damit ich ihnen helfen kann, nicht zu den Verlierern dieses Kampfes zu werden, mit dem die Autoritären versuchen, eine mir lebenswert erscheinende Gesellschaft zugrunde zu richten. Daran werden sie scheitern, langfristig. Aber unsere Söhne werden dann am Ende zu den Opfern dieses Kampfes gehören (nach den Menschen, die von der Norm abweichen, die die Autoritären für sich definiert haben, die jetzt schon Opfer dieses Kampfes sind, so dass sich die Autoritären erstmal als Sieger fühlen), wenn sie es nicht schaffen, sich von den billigen Verlockungen eines autoritären Weltbildes, einer autoritären Haltung zu lösen.

Es ist fast ironisch
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die in den letzten 20 Jahren so verlachten Antiautoritären einmal die sind, von denen wir das Überleben dieser Gesellschaft in Freiheit lernen können. Wer hätte gedacht, dass der anti-antiautoritäre, anti-68er Impetus der neoliberalen Revolution der 90er uns einmal in diesen Kampf um unsere Gesellschaft führen würde. Dass das historische Versagen von New Labour und Schröder nicht einfach das Zerschlagen der Sozialdemokratie ist – sondern die Tatsache, dass sie den Grundstein für die autoritären Bewegungen heute gelegt haben, indem sie das dahinterstehende Weltbild zurück in die Mitte der Gesellschaft bugsierten.

Was mir Mut macht, ist, dass wir etwas tun können, jede von uns. Was mich verzagen lässt, ist, dass ich so viele Väter darin versagen sehe, ihren Söhnen die Grundlagen von Zivilisation vorzuleben. Väter, ihr seid echt gefragt gerade.

****
Update (24.5.)
Ich hatte den Text von Robert Franken, einem der wenigen sichtbaren Feministen in meinem Teil von Beruf und Internet, zum gleichen Thema noch nicht gelesen, als ich dieses schrieb. Er denkt über das gleiche nach, mit etwas anderem Schwerpunkt, stellt aber auch die Frage:
Sind Männer das prekäre Geschlecht?
Noch interessanter aber sein Hinweis beispielsweise auf ostdeutsche Männerüberschüsse etc. Lesen, da.

26.2.16

Wie Twitter unseren Hund rettete

Dramatik, Tiere, Kinder, Wildnis, ein Happy End. Alles, was eine gute Geschichte braucht. Passiert im Sommer 2014 im Kattegat. Die Geschichte zur Abschlussgala der Social Media Week Hamburg heute Abend: #140Geschichte – und der Abend selbst ist ja auch mitgeschnitten worden, unten ist das Video eingebunden...

Ein Tweet und seine Geschichte
Wir waren im Heidegebiet zwischen Dünen und Wald mit den Kindern und dem Hund wandern. Oder spazieren gehen wohl eher. Schönes Wetter, hin und wieder war das Meer zu sehen. Wir spielten mit dem Hund, der vor uns her auf dem Pfad durch die Heide und die dichter werdenden Büsche lief.

Monty geht mit uns spazieren
Wir haben einen tollen Hund. Ein kleiner Mini Australian Shepherd, gerade für einen Rüden wirklich sehr klein. Er bleibt bei uns, weil er ein Hütehund ist – und weil er auch ein bisschen ängstlich ist, ehrlich gesagt...

Als wir um eine Ecke bogen, lief er etwas vor uns her und steckte seine Nase ins Unterholz, als er irre laut aufjaulte und einen Riesensatz nach hinten sprang. Er klemmte den Schwanz ein und versteckte sich zitternd hinter uns. Zwar ist er ängstlich, aber so was hatten wir wirklich noch nie erlebt.

Was dann passierte, veränderte unser Leben
Wir dachten an einen spitzen Stein oder so was. Ich ging ein paar Schritte vor und guckte auf die Stelle, von der er weggesprungen war. Und hörte nicht nur ein (wenn man es aus heutiger Sicht betrachtet wirklich unerhört) lautes Zischen. Sondern sah auch eine sich hoch aufrichtenden Schlange. So was hatte ich noch nie gesehen, die liegen sonst immer träge in der Sonne, wenn man sie mal zu sehen bekommt. Diese hatte den Kopf erhoben, das Maul leicht geöffnet, die Zunge rausgestreckt. Sehr aufgeregt.

unsere Kreuzotter
Die Frau wusste sofort was es war (ich übrigens nicht, denn ich kenne mich mit so was nicht aus). Vorsichtshalber machte ich ein Foto, weil ich ihr nicht glaubte. Und später, als wir wieder richtiges Internet hatten, kontrollierte ich, misstrauisch wie ich bin, auf Wikipedia, ob es stimmt. Was es selbstverständlich tat, was mir auch klar war, irgendwie.

Ja, es war eine Kreuzotter. Und das einzige, was wir sicher wussten, war, dass die echt giftig sind. Wie giftig, wussten wir nicht. Klein war sie ja, diese Kreuzotter. Unser Hund allerdings auch.

Was wir empfanden, alle vier – Tertius und Quarta waren dabei, die beiden großen Kinder waren nicht mitgekommen in diesen Ferien – war schlicht und einfach Panik. Zumal wir weit weg vom Parkplatz waren, wo unser Auto stand. Was auf Læsø, der Insel im Kattegat, auf der wir Urlaub machten, auch hieß, dass wir quasi keinen Telefon- und quasi keinen Internetempfang hatten. Zum Googlen reichte es nicht jedenfalls. Und während die Frau versuchte, unseren Tierarzt daheim anzurufen (wo gerade Mittagspause war), kam ich auf die Idee, auszuprobieren, ob zumindest Tweets durchgehen, wenn schon keine Websites aufgerufen werden können und sich WhatsApp nicht verband. Und er ging durch:
Damals nutzte ich noch Facebook, so dass ich dieses #fb einfügte, damit es auch auf Facebook erscheint. Aber die Antworten kamen auf Twitter. Und die Hilfe auch.

Klar gab es die üblichen Schlauberger, die mir vorwarfen, zu twittern anstatt zu helfen oder einen Tierarzt zu rufen (für wie blöd hielten die mich eigentlich?). Die anderen aber sagten es weiter und Menschen, die ich kannte, ebenso wie Menschen, die ich nicht kannte, antworteten und recherchierten und – sogar das, und das rührte mich besonders – riefen ihre Tierärztin an, um sich zu erkundigen.

Und viele dieser Antworten kamen auch durch zu mir, in Schwüngen, wie das so ist mit zwei Balken wackeligem Edge. Die Frau erreichte Primus, der es weiter in unserer Tierarztpraxis versuchte. Und erreichte ihre Schwägerin, die auf dem Land lebt und ihre Landtierärztin zu erreichen versuchte. Primus verfolgte die Antworten auf Twitter, um auf dem Laufenden zu sein – und um Ideen und Hinweise an unseren Tierarzt weiterzugeben, der noch nie einen Kreuzotterbiss hatte.

Was wir durch die vielen Menschen, die sich mit wirklichen Tipps äußerten, schnell raushatten, war, was wir als erstes tun müssen: den Hund tragen, damit er sich nicht anstrengt. Denn, auch das bekamen wir recht schnell raus, für einen so kleinen Hund ist eine Kreuzotter tatsächlich lebensgefährlich. Es ist faszinierend, was wir so nach und nach über Kreuzottern lernten in diesem Zusammenhang. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das zweite war: Zu versuchen, das Gift aus der Nase des Hundes, in der der Biss der Otter war, zu saugen. An einer Hundenase zu saugen, ist nun alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Aber ich fand es notwendig. Und das im Laufen, denn wir wollten schnell zum Auto, vielleicht hätte wenigstens die Menschenpraxis noch auf, wo es schon keine Tierärztin auf der Insel gibt.

Was wir unter anderem lernten durch die Menschen, die an besserem Internet saßen, während wir durch die Heide eilten: Dass Kreuzottern meistens gar kein Gift spritzen, wenn sie beißen. Weil sie dann tendenziell verhungern, wenn kein Gift mehr für ihr Essen da ist. Und dass der Hund innerhalb kurzer Zeit apathisch würde, wenn er vergiftet wäre. Wodurch wir zwischen Hoffen und Bangen schwebten, während wir – wie gesagt – durch die Heide eilten.

Auf dem Parkplatz trafen wir ein Paar mit zwei Hunden, das gut deutsch sprach. Er Luxemburger, die aus Læsø, die den Sommer wie immer auf der Insel verbrachten. Und die, weil sie ja alle hier kennen, versuchten, den pensionierten Tierarzt zu erreichen (der nur dänisch spricht). Dem Hund ging es nicht schlechter. Er war nur immer noch sehr verängstigt, was durch das Tragen und Laufen auch nicht besser geworden war.

Das Paar war mit Freunden auf der Insel von denen einer ein Arzt war. Die einzige Praxis der Insel, auf die wir unsere Hoffnung gerichtet hatten, war für heute, wie wir von ihnen erfuhren, selbstverständlich schon geschlossen. Und der diensthabende Arzt wahrscheinlich aufs Festland rüber gefahren. Wir fuhren gemeinsam zu ihrem Haus, unten in Vesterø, am Meer. Der Arzt hatte schon recherchiert und die von unserer allerdings auch unerfahrenen Tierärztin empfohlene Kortison-Therapie als veraltet entlarvt. Stattdessen bekam unser Hund ein Antihistamin. Und ihm ging es zum Glück auch immer noch nicht schlechter.

Am Ende hatten wir Glück. Sehr viel Glück. Der kleine Hund war offenbar für die Kreuzotter nicht so bedrohlich, dass sie ihm das Gift spritzte. Wir sind alle zusammen mit dem Schrecken davon gekommen. Vor allem aber habe ich wieder einmal festgestellt:

Und hier die gesamte Gala, meine Geschichte kommt fast am Ende:

8.2.16

Vater sein dagegen sehr

Ich reibe mir verwundert die Augen. Dinge, über die ich nicht mal reden würde, sind auf einmal "feministische Vaterschaft" (unbedingt die Kommentare ansehen, das ist sehr, sehr traurig). Witzigerweise habe ich mir tatsächlich noch nie Gedanken über so etwas wie feministische Vaterschaft gemacht. Und auch noch nie über die Dinge, die in dem verlinkten Artikel beschrieben werden. Darum war ich zuerst auch so perplex und habe den Text angesichts der Überschrift als "blöd" bezeichnet.
Das ist aber eigentlich ja unfair. Denn der Text ist, wenn man es genau betrachtet, nicht blöd, er hat nur die falsche Überschrift. Was Jochen König beschreibt, sind Selbstverständlichkeiten, die offenbar nicht selbstverständlich sind. So wie es auch immer noch die Arschlöcher unter den Vätern gibt, die sich als "neue Väter" feiern, weil sie die zwei Monate Elternzeit für eine Weltreise mit Frau und Kleinkind nutzen oder weil sie hin und wieder ihr Kind vom Kindergarten abholen, wenn die böse Mutter sie lässt (alles fein, aber "neue Väter"? Haaalllloooo?). Ich übertreibe unfair, ja, aber ihr glaubt gar nicht, was man so alles erlebt, wenn man mit Leuten zusammen trifft, die sich "neue Väter" nennen oder welche sein wollen oder so. Aber hin und wieder liest man ja auch mal gutes zu dem Thema und nicht nur so einen Blödsinn wie neulich in diesem Spiegeldingens.

Feministische Vaterschaft?
Was sollte das eigentlich sein? Und: worauf sollte Mann da stolz sein? Ich selbst habe auch erst in der allerletzten Zeit angefangen, mich als Feministen zu bezeichnen. Das kam mir vorher immer eher albern vor. Mein eigenes Aufwachsen, das ich teilweise immer mal wieder hier im Blog beschrieb, war so selbstverständlich feministisch geprägt, dass ich auch wirklich erst auf die Idee kam, ich sei Feminist, als ich die feministische Subkultur verließ, in der ich aufwuchs. Das war ein Schock.

Lustigerweise kam er zeitlich ungefähr zu der Zeit, als ich das erste Mal Vater wurde (eigentlich sogar noch später, aber im Erleben dessen, wie ich Vater war, und dem, wie andere Vater waren, entstanden die ersten Risse). Ich habe beispielsweise nie ein Gewese um das gemacht, wie wir als Paar Eltern waren und wie wir gemeinsam anfingen, eine Familie zu sein, darum findet sich auch in meinen Texten und meinem Blog so wenig darüber. Erst später lernte ich, das Erstaunen (und bei den Freundinnen der Frau die Begeisterung) anderer einzuschätzen, wenn wir über unser Leben und unsere Familienarbeit sprachen.

Dies hat übrigens nichts, aber auch gar nichts mit der Frage zu tun, wer wie viel der Familienarbeit verrichtet. Das mag einige überraschen - aber auch die Beispiele, die Jochen König anführt, haben nichts zu tun mit der Aufteilung der Arbeiten zwischen den Eltern (also der Verteilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit). Jochen schreibt - und nennt dies Fragen auf dem Weg zu einer feministischen Vaterschaft:
Wer bleibt zuhause, wenn das Kind krank ist? Wer wird vom Kindergarten angerufen, wenn es dem Kind nicht gut geht? Wer hat im Blick, wann die nächste Impfung oder Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin ansteht und ob sich noch genügend passende Klamotten im Kinderkleiderschrank befinden? Wer geht mit dem Kind neue Schuhe (auch Hausschuhe für die Kita) kaufen? Wer besorgt das Geburtstagsgeschenk für den Kindergeburtstag? Und wer fordert immer wieder Gespräche darüber ein, wie das Ganze aufzuteilen ist?
Ich könnte alle diese Fragen für mich beantworten, wahrscheinlich überwiegend so, dass der Eindruck entstünde, ich kümmerte mich um die Familienarbeit - und trotzdem mache ich viel weniger konkrete Familienarbeit als die Frau, die dafür weniger Zeit mit Erwerbsarbeit zubringt als ich. Woraus ich schließe, dass dies nur sehr wenig mit Feminismus zu tun hat - sondern eher damit, kein Arschloch zu sein. Oder zumindest halbwegs achtsam. Denn was Jochen hier als "unsichtbare Arbeit" beschreibt, ist doch eigentlich "nur" eine Frage der Achtsamkeit, nicht aber der Haltung zur Machtfrage in dieser Welt (was Feminismus meiner Meinung nach immer auch ist).

Wo sich Feminismus eher zeigt
Ich denke, dass die Themen, die Jochen König anspricht, alle wichtig sind. Aber nicht feministisch. Sondern wichtige Fragen von Herzensbildung, Achtsamkeit und Gerechtigkeit. Ich weiß, dass auch in diesen Fragen bei uns in der Familie keine "Gleichverteilung" herrscht, aber dass die Richtung stimmt. Ich bin überzeugt, dass es in einer feministischen Familie nicht entscheidend ist, wer welche Arbeit macht - sondern wer das entscheidet und wieso es so ist. Wie also die Machtfrage gestellt und beantwortet wird.

Während für Feministinnen im Patriarchat so etwas wie ein Fuck Off Fund eine wichtige und gute Idee ist und darum die Frage, wie das Geldverdienen in einer Beziehung, in einer Familie geregelt wird, tatsächlich entscheidend ist, muss eine ungleiche Verteilung des Familieneinkommens nicht zwingend ein Problem sein - wenn, ja wenn die Familie ein feministisches Modell ist [zu einer weiteren wichtigen Voraussetzung, dass das bei uns klappt, zwei Absätze weiter]. Wenn wir eine feministische Gemeinschaft bilden, die - wiederum ähnlich wie das, was unsere Eltern exemplarisch in den 70ern und 80ern gemacht haben - die Utopie praktisch werden lässt.

Ich mag die Idee einer "feministischen Vaterschaft" nicht. Aber wenn, dann äußert sie sich nach meiner Überzeugung eher in einem inklusiven und feministischen Lebensmodell der Familie. In der es biologisch Mama und Papa gibt, aber keine Rollenzuschreibungen und keine Mama- oder Papa-Aufgaben. In der Männer weinen und Frauen brüllen, um es mal ganz plastisch am Familienalltag entlang auszudrücken. In der beispielsweise nicht für immer klar ist, wer zu Hause bleibt, wenn das Kind krank ist, sondern dieses jedes Mal anhand der jeweils konkreten Situation in der Erwerbsarbeit abgestimmt wird.

Dass die Frau, unsere Kinder und ich diese Utopie zu leben versuchen können, hängt allerdings mit einem Punkt zusammen, den wir nicht bei anderen voraussetzen können und den die eine oder andere wahrscheinlich auch schräg oder inakzeptabel findet. Für uns ist klar (aus verschiedenen Gründen), dass unser Familienmodell nur funktioniert, wenn es für immer ist. Wenn es kein Sicherheitsnetz, eben keinen Fuck Off Fund gibt. Wenn Scheitern keine Option ist. Vielleicht spreche ich auch deshalb von gelebter Utopie. Aber tatsächlich ist dieses Fehlen von Angst an dieser einen Stelle etwas, das uns die Machtfrage aktiv angehen lässt. Das uns ermöglicht, die ungleiche Verteilung des Einkommens nicht zu einer Machtfrage werden zu lassen - sondern die Einkommensteile aus Erwerbsarbeit zusammen zu betrachten, ebenso wie die Gesamtheit der Arbeit und der Freude und der Liebe und des Stresses.

Die feministische Familie strahlt aus
Die ersten unserer Kinder sind gerade an der Schwelle zum Erwachsensein. Und es macht mich glücklich, dass sie unser feministisches Modell von Familie teilen und leben. Da beginnt es schon auszustrahlen.

Der andere Punkt ist in der Erwerbsarbeit tatsächlich sichtbar. Und hier sehe ich den wesentlichen Unterschied zu Jochen König (vielleicht jedenfalls, er spricht ja faktisch über diesen Teil nicht in seinem kurzen Text, der nur über die Basics redet). Denn was die Frau und ich jeweils beruflich machen, wie wir uns da organisieren, welche Gespräche wir mit unseren (potenziellen) Arbeitgeberinnen führen, hängt wesentlich mit unserem Familienmodell zusammen.

Als Feminist bin ich im Beruf viel eher zu sehen als in der Familie. Weil ich voraussetze, dass ich mit den Kindern zu Lernentwicklungsgesprächen mitten am Tag in ihre Schule gehe(n darf). Weil ich auch im Büro als Vater sichtbar bin. Weil ich zeigen kann, dass ein feministischer Lebensentwurf trotzdem zu einer Karriere führen kann, die bis in die Geschäftsführung führt.

16.11.15

Ich habe Angst

Mir geht es ähnlich wie Mathias Richel. Und das auf sehr vielen Ebenen. Danke für diesen Text (lest den mal). Ich war auf dem Rückweg nach Europa und gerade in Kopenhagen gelandet, als ich schrieb:

Ich habe Angst vor denen, die Angst haben.
Und ich habe Angst vor meiner Angst.

Denn Angst lähmt.

Ich stand am 9/11 Memorial, als ich die ersten Meldungen aus Paris sah.
Was so grotesk war. An dem Ort - zum ersten Mal, denn als ich das letzte Mal in New York war, gab es dort nur den Ground Zero -, der der Ort eines defining moment meiner Generation symbolisiert.
Die Angst kroch in mich.
Das wollte ich nicht.

Denn Angst lähmt.

Und Angst entschuldigt nichts. Nicht das Nichtstun, nicht das Aufhören. Nicht den Hass. Ja, ich weiß, heute ist es üblich, die Nazis als "besorgte Bürger" zu beschönigen, weil man ja wohl noch mal Rechtsradikales sagen dürfen muss, ohne als rechtsradikal bezeichnet zu werden. So wie ein Finanzminister ja auch aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer Regierungspartei per definitionem nicht rechtsradikal sein kann, selbst wenn er rechtsradikales Zeug twittern würde, sagten mir "besorgte Bürger" auf Twitter.

Seit diesem Wochenende habe ich Angst um meine Familie.
Denn die Einschläge sind näher gekommen. Es ist nur eine halbbewusste Bedrohung, der wir ausgesetzt sind. Aber es ist eine Bedrohung. Niemand hat konkret angekündigt, uns umzubringen oder unsere Scheiben einzuschlagen. Aber eine kleine Angst macht sich ganz hinten im Bauch breit und frisst sich über den Magen immer höher.

In der letzten Woche bin ich in den Fokus von besorgten Bürgern Nazis aus dem Nachbarstadtteil Jenfeld geraten, weil ich sichtbar in der Flüchtlingshilfe bin. Ich bin nicht der einzige, dessen Facebook-Profil und Blog sie stalken. Das geht einigen so, die bei uns in der Arbeit mit Vertriebenen engagiert sind. Sie teilen Facebook-Posts meiner Kinder und sagen, sie schämen sich, dass solche Individuen in der Nachbarschaft leben. Sie sagen, wir Gutmenschen sind die aller aller schlimmsten. Sie sagen das am Tag nach den antisemitischen Attentaten von Paris.
Ich lese ihre Kommentare in ihrer Facebook-Gruppe.
Und habe Angst.
Ich will aber keine Angst vor ihnen haben.

Denn Angst lähmt.

Und ich will nicht, dass sie die Lufthoheit bekommen. Oder behalten. Dass wir anderen aus Angst, es könne uns was passieren, schweigen.

Darum ist mir wichtig, dass wir über unsere Ängste reden. Mathias, ich, du, wenn du Angst haben solltest. Dass wir auf einander aufpassen. Dass wir Räume haben, in denen wir mit unseren Ängsten nicht allein sind.

Wir sind in die Sauna gegangen und haben unsere Angst ausgeschwitzt. Wir haben andere informiert, was uns passiert ist. Wir wissen, dass das, was sie tun, nicht gegen Facebooks Gemeinschaftsregeln verstößt, denn sie sagen nicht klar, was sie wirklich von uns halten und am liebsten mit uns tun wollen. Aber wir spüren es durch die Buchstaben hindurch.

Die schlimmste Folge des Terrors ist die Angst.
Ist, dass nicht ausgesprochen werden muss, was gemeint ist. Dass alles dies von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, die mir wichtig ist. Denn in der Theorie und von der Haltung her weiß ich, dass sie diese Meinung haben dürfen und sagen dürfen und schreiben dürfen.
Und doch machen sie mir Angst.
Das will ich nicht.

Denn Angst lähmt.





Update 19.30 Uhr
Zwei wunderbare weitere Texte neben dem oben verlinkten kommen von Menschen, die ich sehr schätze - und die ähnlich unsicher, verwirrt, ängstlich sind wie ich:
Tapio Liller
Johnny Haeusler

14.4.15

Ein Dienstag

Dies ist ein ganz normaler Morgen. Und wenn ich ehrlich bin,  genieße ich, wie er ist. Trubelig, chaotisch, immer. Aber da ich voll berufstätig bin, ist die "Morgenschicht" die, die ich machen kann (wenn ich nicht reise).

Die eine oder andere Mitarbeiterin wundert sich, wenn um 6 Uhr schon mal Mails kommen, aber um kurz nach sechs geht es los: Frühstück zubereiten, Kinder motivieren, überhaupt etwas zu essen (oder wenigstens Milch zu trinken), den Engpass vor dem Kinderbad managen, jetzt, wo alle da morgens freiwillig Zeit drin verbringen mögen. Pausenbrote (einmal vegetarisch, einmal nur mit Wurst), Pausenapfel für die Kinder vorbereiten, verpacken, aufdrängen.



Und dann (meistens aber nicht, weil es meistens die Frau macht, wir teilen uns die Morgenpflichten auf) einmal mit dem Hund raus, während die Kinder frühstücken und sich anpflaumen und die anderen Tiere versorgen und - wenn sie gelaufen ist - die Spülmaschine ausräumen, denn das ist bei uns Kinderarbeit. Irgendwas müssen die ja auch tun.


Heute stand dann noch die Reifenkontrolle an, denn an Tertius' Fahrrad war der Hinterreifen platt. Wie eigentlich einmal die Woche bei einem der Räder. Naja, fast. Nicht ganz. Und auch merkwürdig, wie klein dann auf einmal die Kinder werden, die sonst schon so groß und selbstständig sind, irgendwie muss ich ihnen jedes Mal wieder zeigen, wie man einen Schlauch flickt und kontrolliert und den Reifen wieder aufzieht.

Sobald die Kinder dann vor die Tür gesetzt sind und auf dem Weg in die Schule, hole ich mein Rad und fahre zur U-Bahn. Durch den Volksdorfer Wald.




Überhaupt der Volksdorfer Wald. Einer der schönsten Wälder in der Stadt mit dem höchsten Berg weit und breit. Morgens durch den stillen Wald zu fahren, ist unbezahlbar. Spätestens hier fällt der Morgenstress ab.


Und schließlich: Buch rausholen in der U-Bahn. Freizeit bis Baumwall, etwas mehr als 30 Minuten, die ich mit Lesen (oder einem Hörbuch) verbringe. Wenn ich mich nicht (ungefähr drei Mal im Jahr) in eine Twitter-Diskussion mit irgendwem verstricke...

21.8.14

Wie die Zeit vergeht

2010 waren wir auf Læsø. Damals mit allen vier Kindern. Und auf Højsande, dem höchsten Punkt der Insel, steht ein Baumstumpfdingens, das eine magische Anziehung auf Jugendliche hat.

Primus 2010 auf Højsande
Secundus 2010 auf Højsande

2014 waren wir wieder auf Læsø. Diesmal mit zwei Kindern. Und auf Højsande, dem höchsten Punkt der Insel, steht immer noch ein Baumstumpfdingens, das eine magische Anziehung auf Jugendliche hat.

Quarta 2014 auf Højsande
Tertius 2014 auf Højsande

Und 2008 waren wir ja übrigens auch auf Læsø. Ihr erkennt das Muster. Da hatte Tertius Gott entdeckt im Museumshof. 2014 hat er ihn wieder gesucht.

Tertius entdeckt Gott 2008
Tertius entdeckt Gott 2014