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11.12.14

Internetz und Schule und so

Anfang des Jahres hatte ich allen, die nicht bei drei auf den Bäumen waren, das wunderbare Buch von Tanja und Johnny Haeusler mit auf den Weg gegeben. In der Hoffnung, dass sich die Sicht anderer Eltern und von Lehrerinnen auf das Thema “Internet und unsere Kinder” etwas ändern möge. Denn es ist meine Empfehlung dieses Jahr gewesen als Kontrastprogramm zu den üblichen Elternfortbildungen rund um das Internet, die überwiegend mit der Angst spielten.

Womit wir bei der Medienkompetenz wären. Der Ausschnitt, den ich selbst beobachten konnte, ist begrenzt, aber doch nicht zu sehr - von Grundschule über Förderschulen und mittlere Schulformen (die in Hamburg Stadtteilschulen heißen und Gesamtschulen mit Oberstufen sind) bis hin zu Gymnasium und einem Abiturjahrgang reicht es dann doch. Dazu kommen die Gespräche mit anderen Eltern und Lehrerinnen. Und die gute Nachricht ist, dass die Medienkompetenz in den letzten Jahren an den Schulen und bei den Lehrerinnen massiv zugenommen hat. Internetbasierte Arbeitsweisen gehören zum Methodencurriculum aller Schulformen, auch schon der Grundschulen.

Computerraum in einer Schule 2005
Symbolbild "Schule und Internet"

Und ich bin froh, dass “das Netz” vor allem dort zu Hause ist. Methodencurriculum (das jede Schule für sich entwickelt haben muss) heißt ja, dass es verbindliche Aussagen darüber gibt, welche Methoden in der Schule wann und wie gelernt und angewendet werden. Und “das Internet” gehört da flächendeckend dazu, inzwischen nach meiner Beobachtung auch in einer Art und Weise, die ich oft als angemessen empfinde.

Das geht von selbstbestimmten Lernkontrollen in der Grundschule, die über Internetseiten stattfinden, so dass meine Tochter sowohl in der Schule als auch zu Hause auf den gleichen Stand zurück greifen kann, ihre Aufzeichungen und Fragen zu Büchern in der Freiarbeit in der Schule oder in der Hausarbeit am Küchentisch erledigen kann. Und es endet nicht bei Recherchen zu internationalen Diskussionen im Politikunterricht der Oberstufe.

Und wenn das Internet eher unter den Methoden abgehandelt wird, ist das auch ein gutes Zeichen dafür, dass es in der Mitte der Schule angekommen ist. Wie sehr, hängt dann noch etwas zu sehr vom eigenen Geschmack der jeweiligen Lehrerin ab, aber selbst die hartnäckigsten Anhängerinnen von baumbasierten Nachschlagewerken kommen nicht mehr umhin, Recherchen und Quellenarbeit auch anders anzuleiten und zuzulassen.

Symbolbild "Wände in Schulgebäuden"
Inzwischen sind wir in den Schulen schon so weit, dass wir nicht mehr jede Grundsätzlichkeit diskutieren - sondern uns eher damit auseinandersetzen, dass es kein Netz gibt, weil mobiles Internet in den Betonklötzen nicht funktioniert und das schuleigene Netz, ob über Kabel oder WLAN wieder einmal down ist. Weil es niemanden gibt, der oder die sich damit auskennt und die Firma, die beauftragt ist, den Server und die Computer wieder flott zu machen, über die die Smartboards angesteuert werden, erst in vier Wochen vorbei kommt. Das Service Level Agreement und das Geld, das die Schulbehörde dafür investiert, reicht nicht zu mehr. Weshalb ja auch die Lehrerinnen die Zeugnisse zu Hause schreiben, weil sie nicht ins Netzwerk kommen. Oder ihr privates Handy nutzen, um einen Hotspot für die Schülerinnen zu bauen, wenn ihr Klassenraum weit genug an der Außenwand liegt, um zumindest eine EDGE-Verbindung zuzulassen.

Wer hätte gedacht, dass 2014 die technische Ausstattung das größere Problem ist als die Bereitschaft oder Kompetenz der Lehrerinnen. Der Generationswechsel macht sich inzwischen eben doch bemerkbar.

Also bringen die Schülerinnen ihre eigene IT mit. Smartphones und Tablets vor allem, auch ihr eigenes Internet, wenn es denn funktioniert, siehe oben. Weshalb nach Stricken und Rauchen nun also die Nutzung von mobilen Internetzugangsgeräten kontrovers zwischen Eltern, Schülerinnen und Lehrkörpern diskutiert wird.

An allen Schulen, an denen ich als Vater mehr oder weniger nicht aktiv bin, haben wir in diesem Jahr diese Frage verhandelt. Und sind an jeder Schule zu einem anderen Ergebnis gekommen. Spannend war dabei, dass der Riss immer einmal quer durch Kollegien und Elternschaft ging. Nur die Schülerinnen waren sich immer recht einig.

Von Handy- und Tablet-Verbot auf dem Schulgelände über gescheitere Regelungsversuche bis hin zu spannenden Kompromissen, die sehr differenziert zwischen Unterricht, Freiarbeitszeiten und Pausen unterschieden und Handy-Zonen auf dem Schulhof schufen, habe ich alles miterlebt.

Traurig macht mich, dass wir 2014 kaum einen Schritt damit weiter gekommen sind, Informatik als Pflichtfach für alle einzuführen. Dass die Sensibilität dafür immer noch kaum vorhanden ist -  und es uns kaum gelungen ist, neue Verbündete zu finden -, dass es eine wichtige Zukunftsfrage für unsere Kinder ist, ob sie die Grundprinzipien von Programmen verstehen, ob sie in Ansätzen Code lesen können, ob sie eine Vorstellung davon haben, wie mächtig Algorithmen sind und wie viel Macht es verleihen kann, sie zu kennen und ändern zu können. Vielleicht sogar eine wichtigere Frage als die nach der Position von Brom im Periodensystem.

Belustigt stand ich vor den Diskussionen anderer Eltern und einiger Lehrerinnen über Facebook. Während unsere Kinder schon längst Freshtorge auf Youtube folgten und sich via Instagram die nächste große Liebe andeutete. Während sich die einen darüber beklagten, dass ihre Kinder die Lokalzeitung nicht mehr lesen (oder die Zeitungsverleger gar nach dem Schutzzollgesetz auch noch das Pflichtfach Medienarchäologie an den Schulen forderten), war ich überrascht, was mein 12-Jähriger alles über die Welt und die Politik weiß - bis ich rausfand, dass er natürlich Le Floid auf Youtube abonniert hat. Ganz ehrlich: mir ist das Medienverhalten meiner Kinder auch fremd. Aber ich finde es faszinierend.

Und seit in der Schule im sozialen Brennpunkt die Kommunikation zwischen der Klassenlehrerin und den Schülerinnen über Whats App läuft, vergessen die auch ihren Turnbeutel nicht mehr. Eine kurze Nachricht morgens - und alles ist geritzt.

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Etwas bearbeitet ist dieser Text auch im Jahresrückblickbuch von iRights  media erschienen. 
Hier kann man ihn online lesen.

13.11.14

Der Mensch, die Welt, der digitale Wandel

Meine Kirche hat nun also etwas gesagt zur Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft. Eigentlich sogar noch zu anderen Dingen, vor allem dazu, was aus evangelischer Sicht Teil einer gelingenden digitalen Gesellschaft sein müsste.

Mir waren ein paar Dinge wichtig, weshalb ich aktiv mitgearbeitet habe und dafür gekämpft, Menschen und ihre Haltung zum Thema zu "drehen", teilweise auch in vielen vielen vielen einzelnen Gesprächen:

  • Dass meine Kirche mit einer Haltung der Zuversicht und Freude mit dem digitalen Wandel der Gesellschaft umgeht. Und dass sie auf die Chancen blickt.
  • Dass die Synode, das Bundesparlament sozusagen, ein Zeichen der Ermutigung und der Unterstützung an die sendet, die bereits in der digitalen Gesellschaft angekommen sind. Denn bisher werden einige von ihnen in unserer Kirche noch etwas schräg und misstrauisch beäugt.
  • Dass meine Kirche sich nicht auf die Seite der Diskussion schlägt, auf der der Untergang der Kultur vermutet wird. Und nicht auf die Seite der Verwertungsmafia.

Ich selbst durfte ja an der Vorbereitung des Themas mitwirken, insofern bin ich vielleicht etwas parteiisch. Aber ich freue mich, dass diese Ziele weitgehend erreicht sind - auch wenn die Jugenddelegierten der Synode, die das Thema auf die Tagesordnung gebracht haben, zwischendurch etwas frustriert waren (siehe da hinter dem Link auch meinen Kommentar unter dem Text) und mehr wollten und mit einigen konkreten Anträgen durchgefallen sind.

Die drei Punkte, die mir am wichtigsten sind bei der Bewertung dessen, was die Synode da beschlossen hat, habe ich noch am Abend in aller Kürze zu sagen versucht.
Hier ein bisschen Kontext und Fleisch dazu.


Diese Frage ist theologisch nicht trivial und für Kirche und Kirchenverständnis hoch relevant, wenn auch wahrscheinlich nur für Theologinnen wirklich in ihrer Brisanz spannend. Aber dass die Synode explizit den Antrag des badischen Altbischofs ablehnte, das Wort Gemeinde zu streichen, wenn es um nichtkohlenstoffliche Zusammenkünfte geht, ist ein sehr großer Schritt.

Theologisch geht der Disput um die Frage, ob "zusammen sein" eine physische Anwesenheit erfordert. Ob also Gemeinschaft auch nicht-körperlich möglich ist. Das ist übrigens eine uralte Frage in den Kirchen, zu der sich die orthodoxen Kirchen schon vor dem Mittelalter anders als die "Westkirchen" positionierten, aber das nur am Rande. Wichtigstes Argument für die Position, die die Synode jetzt gefunden hat und vertritt, ist, dass zumindest die Lutheraner an die reale Anwesenheit Jesu Christi im Gottesdienst glauben. Der auch eher nicht so direkt körperlich da ist.

Hier öffnet die Synode den Weg dazu, neue Gemeindeformen zu erproben, die eher über eine personale Beziehung als über eine physikalisch-räumliche Nähe konstituiert werden. Sehr spannend, offener Ausgang. Und die Gegenposition zu dem, was Justizminister Maas auf dem Empfang der SPD am Rande der Synode sagte. Fein.


Bei aller Euphorie über die Medienrevolution und bei aller in der Geschichte unserer Kirche begründeten Begeisterung für neue Medienformen (immerhin gäbe es die evangelischen Kirchen nicht ohne die letzte große Medienrevolution - Buchdruck - , gäbe es überhaupt keine Kirchen ohne die davor - Schrift und Briefe), vergisst die Position, die die Synode bezieht, nicht, dass die christliche Vorstellung vom Menschen immer auch mit seiner Heiligkeit, mit Unverfügbarkeit, mit Geheimnissen zu tun hat.

Zwar konnte sich die Synode nicht dazu durchringen, eine klare und eindeutige (politische) Position zum Handeln der Bundesregierung und der Geheimdienste zu beziehen - aber an vielen Stellen im Text und in den Bitten an den Rat der EKD (sozusagen die Bundesregierung der Kirchen) ist die Position dennoch klar formuliert. Die Realvision der Post-Privacy-Aktivistinnen und das Konzept im Roman The Circle lehnt die Synode sehr klar und eindeutig ab.

Entlang der Frage des Menschenbildes und der Verfügbarkeit und Öffentlichkeit des Menschen, entlang der Frage, was denn der Mensch sei, wird - davon bin ich überzeugt - eine der großen gesellschaftlichen Debatten des digitalen Wandels geführt werden in den nächsten Jahren. Und hier scheint jetzt endlich eine evangelische Stimme in dieser Debatte auf. Das ist der Anfang einer wichtigen theologischen und ethischen Arbeit. Darauf freue ich mich.


Das freut mich ganz besonders. Denn dass so viele Menschen die Diskussion um den digitalen Wandel und die digitale Gesellschaft als eine um Facebook und Social Media führen, nervt mich gewaltig. Die Gefahr bestand auch auf der Synode, denn die Diskussionen und Gespräche drehten sich oft nur um die Frage der Nutzung von Social Media - und sie wählte ja auch den "Facebook-Bischof" zum Chef der EKD. Und Social Media ist ja auch das, was wir erst einmal am besten verstehen, weil es so wunderbar sichtbar ist, weil wir hier sehen, was passiert.

Ich finde es großartig, dass das größere Thema digitale Gesellschaft immer wieder im Mittelpunkt steht, nicht die Äußerungsform Social Media. Weiter so.

Wie geht es weiter?
Es sind einige konkrete Bitten an den Rat der EKD und andere Adressatinnen in der Kirche gerichtet. Aus meiner Sicht ermöglicht die Erklärung der Synode aber vor allem denen, die an der Basis in digitalen Räumen arbeiten und arbeiten wollen, sich auf die Kundgebung zu beziehen. Wenn im Pfarrkonvent Kritik oder Unverständnis laut wird, haben die Leute etwas in der Hand, das wie ein Schutzschild funktioniert.

Bildung und Ausbildung wird ein Schwerpunkt sein, auch mit Geld ausgestattet werden. Internetbeauftragte von Landeskirchen und Kirchenkreisen werden Servicestellen für Praktikerinnen sein können.

Sehr spannend wird sein, ob und wie eine theologische und ethische Weiterarbeit an dem Thema gelingen kann. Die Referate von zwei Professorinnen der praktischen Theologie auf den Synoden sind da ermutigend (Christian Grethlein und Ilona Nord/PDF). Ich persönlich würde mir ja wünschen, dass der Rat der EKD eine Kammer für digitalen Wandel einrichtet, die an dem Thema wissenschaftlich und politisch arbeitet. Mal sehen.

18.10.14

Bleibt alles anders

Stalking, Aufforderung zur Lynchjustiz, Mobbing durch Identitätsklau, illegales Kopieren von Filmen und Musik – die Digitalisierung unserer Lebenswelten hat bei weitem nicht nur positive Auswirkungen. Immer wieder begegnet mir daher bei Eltern und Menschen, die sich mit ethischen Fragen beschäftigen, eine große Unsicherheit: Wie sollen wir damit umgehen? Mit all den völlig neuen Fragestellungen, die uns überrollen?

Als jemand, der aktiv die Digitalisierung seiner Lebens- und Kommunikationsumgebung vorantreibt und gestaltet, habe ich zunächst ebenfalls vermutet, dass die Veränderungen so radikal sind, dass auch neue ethische Fragen entstehen (müssen). Und war dann überrascht, dass das nicht der Fall ist.

Sowenig das Internet ein „rechtsfreier Raum“ ist, so wenig sind Prozesse, die sich durch die Digitalisierung verändert haben und verändern, „ethikfrei“. Bei den meisten Themen helfen die Fragen und sogar die Antworten, die die (evangelische) Ethik sich erarbeitet hat, weiter. Sinnfällig wird das schon daran, dass die großen Fragen rund um die Digitalisierung exakt die gleichen sind, die immer die großen Fragen der Ethik waren: die vom Verhältnis von Freiheit und Verantwortung; von Recht und Rücksicht; von Eigentum und Verpflichtung; von Egoismus und Altruismus. Um nur einige zu nennen.

Wie bei jeder Technologie, die Wissen − was auch Daten meint − und Kommunikation besser verfügbar macht, ergeben sich auf einmal für mehr Menschen Fragen, die vorher eine Minderheit oder Elite berührten. So wie die Digitalisierung „Skalierungseffekte“ in fast allen Bereichen bringt, bringt sie auch „Skalierungseffekte“ in der Ethik – also die Herausforderung, dass mehr ethische Fragestellungen in kürzerem Abstand für immer mehr Menschen aktuell und relevant werden.

Es ist auffällig, dass Platons Polemik gegen das Schreiben und Erasmus’ Polemik gegen das Drucken fast wörtlich die Vorbehalte gegen die Veröffentlichungen im Internet wiedergeben. Und zugleich beide das, was sie kritisierten, sehr fleißig und erfolgreich für sich selbst nutzten. Sie hatten einfach große Probleme mit der Vorstellung, dass weniger Gebildete als sie dies auch tun könnten. Auch ihre Anfragen an Wahrheit, Nachvollziehbarkeit, Wahrhaftigkeit, Medienkompetenz – alles ethische Fragestellungen – sind faszinierenderweise fast wörtlich die gleichen, die sich heute, bei der dritten großen Medienrevolution, stellen. Vor allem die Frage, welcher Information, welchen Daten wir trauen können, ist heute ähnlich wie damals hochaktuell.

Was neu ist, auch in den ethischen Fragestellungen, ist der Personenkreis, der für sich diese Fragen beantworten muss. Medienethik ist nicht mehr ausschließlich Thema professioneller Medienschaffender. Umgang mit Persönlichkeitsrechten betrifft jede Person, die ein Smartphone, also einen Fotoapparat mit Internetanschluss, besitzt. Ethische Fragen rund um die Vervielfältigung von Inhalten sind für alle relevant geworden. Und so geht es weiter.

Haben sich durch die Erfindung und die Etablierung des Buchdrucks neue ethische Fragen ergeben? Nur wer das mit Ja beantworten kann, wird auch gute Argumente auf seiner Seite haben für die These, dass die Digitalisierung neue ethische Fragen aufwirft. Und nicht „nur“ ein neues Nachdenken über die Antworten erfordert.

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Diesen Text habe ich zuerst für das Lesebuch zur diesjährigen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland geschrieben, das die Synodalen (Abgeordneten) auf das Schwerpunkttheme vorbereiten soll: Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft. Dieses Thema inhaltlich mit vorzubereiten und auch den Entwurf der Kundgebung der Synode mitzuverfassen, hatte ich ja in diesem Jahr auf Einladung der Präses der Synode die Freude. 

Übrigens merke ich, dass ich mit dieser Mitarbeit sehr viel mehr am gesellschaftlichen Diskurs bewegen kann als mit fast allen netzpolitischen Aktivitäten, die denkbar wären. Allein, dass der Begriff "geistiges Eigentum" im Kundgebungsentwurf nicht vorkommt, ist ein wunderbares Zeichen...

7.5.14

Kontinuität und Widerstand

Ich interessiere mich schon lange mehr für die Kontinuitäten als für die vermeintlichen Brüche in der Geschichte. Gerade die (biografischen) Linien über Umbrüche hinweg sind mir spannende Forschungsfelder gewesen. Als ich 1991 bei Werner Durth eine unglaublich dichte und inspirierende Sommerakademie zu Städtbau besuchte, habe ich erstmals einen Historiker kennen gelernt, der dieses methodisch so machte. Sein Buch Deutsche Architekten (Leseempfehlung!) habe ich verschlungen und mehrfach gelesen.

Kontinuität
Ähnlich ging mir das mit dem für mich inspirierendsten Buch der letzten Monate: Writing on the Wall von Tom Standage. Kernthese des Buchs, der ich zustimme übrigens: Social Media ist uralt und die "Normalform" von Mediennutzung über die letzten zwei Jahrtausende gewesen - von der zeitlich fast zu vernachlässigenden kleinen Unterbrechung der letzten 150 Jahre seit der Gründung der ersten Massenzeitung 1843 einmal abgesehen, in der das "Broadcast-Modell" kurz einmal vorherrschte.

Was ich so unglaublich erleichternd und erhellend an Standages Buch finde, ist eben dieser Blick in größeren Zusammenhängen und Linien auf ein Phänomen, das Teilen meiner Generation immer noch Angst macht. Und auf die Komik, mit der sich bei jeder (medientechnischen) Weiterentwicklung die selben Argumente wiederholen. So wie Plato schon gegen Schriften wetterte, weil sie das Denken und Argumentieren schädigten. So wie Erasmus gegen die Druckerpresse wetterte, weil es die Leute dazu verleite, zeitgenössische Schriften und nicht die Klassiker zu lesen. So wie im 17. Jahrhundert gegen die Kaffeehäuser gewettert wurde (aus denen die meisten Erfindungen, Erkenntnisse inklusive Newtons Durchbruch, und bis heute wichtigen Firmen wie die Londoner Börse oder Lloyd's of London stammen), weil die die Studenten und Kaufleute zu Müßigang und mangelnde Produktivität verführten und so weiter. Kennt ihr ja alle, die Argumente.

Und so, wie die historischen Linien in der größeren Sicht spannender werden und Menschen, die sich auch nur rudimentär mit Geschichte und Geistergeschichte beschäftigt haben, angesichts vieler "Diskussionen" heute nur resigniert mit den Achseln zucken lassen, so ist auch der Blick auf Analysen und Begründungen von Widerstand interessant, die es vorher einmal gab.

Widerstand
Darum ist - für mich tatsächlich überraschend, auch wenn ich ihm inhaltlich ja fast immer zustimme, schließlich sind wir eigentlich geklonte Geschwister (sagt man das so?) - Sascha Lobos diesjährige re:publica-Rede der zweite Inspirationspunkt dieses Monats. Zumal er sich an einer entscheidenden, wenn nicht der entscheidenden, Stelle auf den aus meiner Sicht größten Gesellschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts bezieht: Herbert Marcuse. Ich bin mir, auch nachdem ich mit ihm kurz darüber sprach, nicht zu 100% sicher, ob er sich wirklich der disruptiven Kraft bewusst ist, die sein Verweis auf Marcuse in der Diskussion bedeuten kann.

Secundus und sein PferdAber es ist wohl kein Zufall, dass Secundus, noch 16 Jahre alt, sich Marcuses aus meiner Sicht wichtigstes Buch Der eindimensionale Mensch (Lesebefehl! Echt jetzt!) am letzten Wochenende aus meinem Bücherschrank nahm und begonnen hat, es mit Genuss zu lesen. Er trägt ja auch eine ähnliche Frisur wie der Herr Lobo, wenn auch aus anderen Gründen.

Marcuse war schon in der Generation meiner Eltern einer der wichtigsten Denker und Argumentierer des Widerstandes. Und ein brillanter Analytiker von Gewalt (die nach seiner Definition immer nur aus einer Machtposition heraus ausgeübt werden kann, weil das, was andere Gewalt nennen oder Terror, wenn er nicht aus der Führungsmacht der Elite heraus kommt, eben keine Gewalt sei sondern Widerstand) und der Macht in den Strukturen und Technologien. Was ja auch der Punkt ist, den Sascha anspricht und von ihm aufgreift.

Manchmal wünsche ich mir, dass die Diskussion über die Sicherheitsesoteriker und Kontrollfanatiker mit mehr historischen Kenntnissen geführt würde. Eine Lektüre von Standages Buch (kommt wohl dieses Jahr noch auf deutsch raus) und das Ansehen von Lobos Rede kann dazu der erste Schritt sein. Und wer richtige Lektüre ertragen und verstehen kann, sollte dringend Marcuse lesen.

Und dann reden wir weiter, ok?




Update 8.5.:
In dem Sinne: Weitermachen
(Hinweis auf das Bild fand ich bei André Vatter, der es anders sieht als ich)

8.1.13

Weg mit der Netzpolitik

Jedes Jahr im Januar, so scheint es, muss ich den Appell wiederholen. Zuletzt im vergangenen Jahr. Als ich diesen alten Beitrag wieder las, wurde ich irgendwie traurig. Weil ich ihn fast wörtlich noch einmal so schreiben könnte. Und das heute. Ein Jahr später.

Oder, um es deutlich zu sagen: So, wie sie jetzt ist, muss die Netzpolitik weg.

Denn es geht nicht um Netzpolitik. Es geht um eine Politik, die den Lebens- und Kommunikationsraum einer neuen Generation ernst nimmt. Es geht also um Ordnungspolitik und um einen (politischen) Modernisierungsschub, ähnlich dem, der durch den politischen Liberalismus im 19. Jahrhundert ausgelöst wurde - übrigens auch verbunden mit einem neuen Lebens- und Kommunikationsraum einer neuen Generation und Klasse (damals). Und ironischerweise mit einem Medium, dessen zurückgehende Relevanz für die oben genannte neue Generation gerade zu ordnungspolitischen Pirouetten seiner Lobbyistinnen führt: der papierenen Zeitung. Aber das nur am Rande.

Die Obrigkeit reagierte mit Zensur. Damals, im 19. Jahrhundert. Und die Kulturpolitik war der Ort, an dem sie sich auslebte.

Die Parallelen sind sicher nicht zufällig. Zumindest in meiner Partei sind es aktuell auch wieder die Kulturpolitikerinnen, die durch massiv medial verstärkte öffentliche Stellungnahmen die an sich guten und zukunftsorientierten Beschlüsse und Positionen der Gesamtpartei systematisch unterlaufen.

Die Netzpolitikerinnen dagegen haben sich im exotischen Gedönsschutzraum der Medienpolitik verschanzt. Und jede weiß ja, dass Medienpolitik nur ein kleiner Teilbereich der wichtigen Kulturpolitik sei.

Was tun? Nina Galla, die ich sehr schätze, auch wenn ich sie (politisch) immer aufziehe und mit ihr (politisch) in fast keinem Thema, das mir wichtig ist, einer Meinung bin, schrieb dazu (und heute hat carta_ es aufgenommen)
Um Netzpolitik den Bürgern nahe zu bringen, muss die Kommunikation dringend vereinfacht werden: Verzicht auf Fachwörter, Beispiele aus dem Alltag, einfache Vergleiche, sprachliche Bilder, Visualisierungen. Die netzpolitische Kommunikation muss so einfach sein, dass wir sie unseren Eltern und Kindern so erklären können, dass sie sie sofort verstehen.
Netzpolitische Damoklesschwerter
Damit hat sie recht. Und damit mache ich tatsächlich auch im privaten und hin und wieder im politischen Umfeld gute Erfahrungen. Immer mal wieder gelingt es mir, meine Großeltern, meine Kinder oder die Eltern von Freundinnen meiner Kinder so mit den Themen meines Kommunikations- und Lebensraumes zu beschäftigen, dass ich den Eindruck habe, sie verstehen, was mir warum wichtig ist. Denn bereits daran scheitert die Debatte ja in der Praxis bisher.

Aber ich denke, Nina geht nicht weit genug. Es ist nicht (nur) ein Kommunikationsproblem. Was ich letztes Jahr Webfehler nannte, lässt sich wahrscheinlich nur beheben, wenn wir die Netzpolitik als Thema und Disziplin abschaffen. Wenn ich mich ganz auf mein anderes Thema konzentriere, die Bildungspolitik. Wenn Lars sich ganz auf Wirtschaftspolitik konzentriert und Jan Philipp auf Innenpolitik. Nur mal beispielsweise.

Vorschlag: Lasst uns die Themen der Netzpolitik für neun Monate lassen. Und in unseren Parteien dafür arbeiten, dass unsere Themen nach der Bundestagswahl stark in der praktischen Politik werden. Und dafür trommeln, dass die besonders absurden Lobbyistinnen nicht wieder aufgestellt werden für die Bundestagswahl (oups, zu spät, Platz 11 in Bayern ist allzu aussichtsreich, schiet). Und in den anderen Politikbereichen unsere Themen massiv vorantreiben.

Kurzfristig ist es fast egal, aber in der kommenden Legislaturperiode stehen mit den Theman Datenschutz, Urheberinnenrecht und Privatsphäre drei große ordnungspolitische Themen zur Neuregelung an, die unseren Lebensraum massiv gestalten. Lasst uns uns darauf und auf die anderen Infrastrukturthemen, die ab 2014 anstehen, konzentrieren. Und uns dieses Jahr 2013, das ohnehin politisch tot ist, nicht in Schlachten verschleißen, die wir verlieren werden. Wollen wir am Beginn der großen Reformwelle wirklich wie die Verliererinnen dastehen? Oder es so machen, wie wir es auch unseren Kundinnen empfehlen (würden) - jetzt die Pflöcke im Hintergrund einschlagen, jetzt die Quellen und Hintergrundmaterialien und die Verbündeten zusammen suchen, und dann präsent und fertig sein, wenn es drauf ankommt.

8.10.12

Persönliche Erklärung: Warum ich Petition 35009 nicht mitzeichne

Ich bin gegen das Leistungsschutzrecht, das die Bundesregierung durch den Bundestag bringen will. Darum spreche ich mit Abgeordneten, mit Menschen in Parteien, in Verbänden und teilweise sogar (so masochistisch bin ich veranlagt) mit Menschen aus Verlagen. Darum (ok, nicht nur darum) bin ich politisch aktiv. Darum bin ich froh über die Lobbyarbeit vieler Wirtschaftsverbände und einiger Internetaktivistinnen zu diesem Thema.

Aber ich zeichne die entsprechende Onlinepetition an den Bundestag nicht mit. Lange Zeit war ich hin- und hergerissen, das gebe ich zu. Denn ich teile das Anliegen und stimme dem eigentlichen Petitionstext zu. Ich halte es auch nicht für absurd, die Petition mitzuzeichnen. Aber dieses spricht für mich allzu sehr dagegen:

  1. Der Beginn der Begründung ist hahnebüchen. Darauf wies beispielsweise in einem krude formulierten Artikel bei politik-digital auch schon Matthias Spielkamp hin: Ja, dass hier eine Verfassungswidrigkeit angenommen wird, legt nahe, dass es wohl um Grundgesetzartikel gehen wird - aber die leuchten mir nicht ein. Zumal ich diese Verfassungswidrigkeit nicht so eindeutig sehe, dass ich sie als wichtigste Begründung sähe. Im Gegenteil: Diese Begründung entpolitisiert die Petition auf eine Weise, die ich schlimm finde.
  2. Dass es den Petentinnen nicht um eine politische Auseinandersetzung geht und nicht darum, die Abgeordneten zu überzeugen - was mein Verständnis von Petitionen ist: dass wir Bürgerinnen die Abgeordneten auf Themen und Argumente aufmerksam machen, die ihnen aus unserer Sicht offenbar aus dem Blick geraten sind; denn darum senden wir ja Petitionen und nicht Klagen oder Wahlvorschläge -, wird deutlich, wenn es um die Nutznießer der Gesetzesänderung geht: die (Groß-) Verlage. Die Hälfte der Begründung der Petition beschäftigt sich mit dem Beschimpfen der Verlage. Das hat seine Berechtigung - aber hier nichts zu suchen aus meiner Sicht.
  3. Auch aus Punkt zwei folgt für mich, dass diese Petition der Sache schadet, für die auch ich bin. Der Sache, diese Gesetzesänderung zu verhindern. Auch unter Abgeordneten, die im Prinzip auf "unserer" Seite stehen, wächst in meiner Wahrnehmung die Bereitschaft, der Bundesregierung hier zu folgen - auch und wegen der Formulierungen der Petition. Weil sie keine Argumente bringt sondern nur Parolen. Weil sie sie Gewichte falsch setzt - die Punkte, die Menschen nachdenken lassen, die sich nur am Rande mit dem Thema beschäftigt haben, kommen erst ab etwa der Mitte der Begründung und werden immer wieder durch Allgemeinplätze und halbrichtige Beschimpfungen unterbrochen.
  4. Angesichts der teilweise (aus meiner Sicht) absurden und apokalyptisch überzogenen Formulierungen der Begründung dieser Petition war schnell klar, dass sie nicht eine Schwelle für echte Aufmerksamkeit überspringen wird. Deshalb ist neben allen anderen Punkten diese Petition auch unpolitisch und strategisch dumm. Denn durch ihren Dilettantismus gibt sie den Anhängerinnen dieser Gesetzesänderung leichtfertig das Argument an die Hand, dass es nur sehr wenige seien, die hier ein Problem sehen - und dann auch noch überwiegend Spinner. Das stimmt nicht, wenn wir uns angucken, wie sich beispielsweise Verbände positioniert haben. Aber diesen Eindruck erwecken die Petentinnen. Und das ärgert mich beinahe mehr als ich ertragen kann.
  5. Die armselige Verzweiflung der Tweets einiger Petentinnen in den letzten eineinhalb Wochen zu dem Thema hat schließlich die Waagschale in die Richtung bewegt, in der sie für mich jetzt zum Stillstand gekommen ist. Auch wenn ich einige von euch persönlich und einige sogar intellektuell schätze: Hier kann ich euch nicht folgen.
Das Instrument der Petition hat sich schneller abgenutzt, als einige dachten. Und eine Petition als Guerillaaktion kann auch nur einmal wirklich funktionieren. Das war bei Zensursula der Fall, da war es schlau, politisch überraschend - und erfolgreich. Die grenzenlose Naivität, anzunehmen, dass so etwas auf so schlechte und unausgegorene und lieblose und wenig sorgfältige Weise einfach mal eben wiederholt werden kann, finde ich mehr als nur verblüffend.

Der Missbrauch - und so empfinde ich das hier - des Instruments Petition an den Bundestag für einen politischen Kampf, in dem andere Mittel zur Verfügung stehen (denn in vier der Fraktionen im Bundestag gibt es eine erkleckliche Anzahl von Abgeordneten, die gegen den Gesetzentwurf sind - was die Situation von Zensursula unterscheidet), ärgert mich. Er ist ein Symptom für das Unernsthafte, für das Verspielte an diesem Politikansatz, so wie auch die halbausgegorene Begründung der Petition. 

Nennt mich spießig. Aber mir ist das Thema Leistungsschutzrecht und Weiterentwicklung von Urheberinnen- und Verwertungsrechten von von Schutz- und Nutzungsrechten immaterieller Güter einfach zu wichtig als dass ich mich auf solchen zornigen Kinderkram einlassen mag. Dabei geht es mir, wie die fünf Punkte vielleicht in Ansätzen zeigen, nicht um formale Gründe - sondern um Inhalte und um politische Strategie. 

Meine Befürchtung und mein Vorwurf ist: Durch diese stümperhafte Petition 35009 ist es wahrscheinlicher geworden, dass das Gesetz ohne Schwierigkeiten den Bundestag passiert. Zumindest die Schwierigkeiten hätte es vorher gegeben. 

(Zynismus on)
Aber vielleicht habt ihr ja Recht und ich nicht - und dann ist es ohnehin egal (was ein weiterer Grund sein könnte, nicht mitzuzeichnen). Denn wenn es so eindeutig verfassungswidrig ist dieses Gesetz, wird es ja eh von Karlsruhe kassiert werden.
(Zynismus off)

31.1.12

Es ist Zeit, Netzpolitik abzuschaffen

Gefährliche Komikerinnen wie #Heveling und mäandernde Politbewegungen wie die Piratinnen haben eines gemeinsam: Sie nehmen "die Netzpolitik" zu wichtig.

(Ja ich weiß, ich kämpfe auch immer noch für eine intelligente Netzpolitik in meiner eigenen Partei, den Grünen. Das ist ein Widerspruch zu dem, was ich jetzt gleich sagen werde. Diesen Widerspruch sehe ich, kann ich auch nicht wirklich auflösen, weil beides stimmt. Ich neige aber mehr und mehr dazu, dass ich "Netzpolitik" als Disziplin für Teil des Problems halte und nicht für einen Teil der Lösung.)

Wer Netzpolitik isoliert betrachtet, läuft immer wieder in das Problem, "das Netz" ebenfalls isoliert zu betrachten. Faktisch wird damit der disruptive Charakter dessen, was durch "das Netz" in den letzten 20 Jahren verändert wurde und sich weiter verändert, kleiner gemacht, eben vom Leben, von Kultur, Bildung, Wirtschaft und so weiter abgekoppelt.

Mein Verdacht ist mehr und mehr, dass es "uns" Netzaktivistinnen so schlecht gelingt, andere Politikbereiche für die (tollen und weniger tollen, hilfreichen und verunsichernden) Veränderungen zu sensibilisieren, weil wir über Netzpolitik reden. Und nicht über Demokratie (ok, manche Piratinnen tun das). Wir verlieren in der Kulturdebatte (rund um Urheberinnenrechte etc). Wir gewinnen keine Priorisierung in der Infrastrukturpolitik.

Warum ist das Internetz genauso wichtig wie das Stromnetz und das Straßennetz? Wieso sind Quellenkritik und Suchstrategie genauso wichtig wie die Analyse von Versformen und die Abgrenzung von Literaturepochen?

"Wir Netzpolitikerinnen" haben darauf im Prinzip Antworten. Aber "wir" reiben uns auf in medienpolitischen Diskussionen oder besaufen uns an einer gefühlten Bedeutung im netzpolitischen Resonanzraum. Die Beheimatung der "Netzpolitik" als Teildisziplin in der Medienpolitik ist ihr Webfehler (was für ein Kalauer).

Wenn es uns ernst ist damit, dass das Netz als Teil unseres Lebens und als etwas, das wir Heimat nennen, einer ganz besonderen Aufmerksamkeit bedarf, dann müssen wir dahin, wo es weh tut und wo wie Entscheidungen getroffen oder vorbereitet werden, die uns betreffen. Dann müssen wir die wirtschaftspolitischen Sprecherinnen unserer Parteien werden. Dann müssen wir die Unternehmensverbände auf unsere Seite ziehen, die Gewerkschaften, die Betriebsrätinnen, die oft noch die Bremserinnen der Entwicklung in den Unternehmen sind.

Wer sich vor allem über die Netzpolitik definiert, ist für die anderen eben nur Gedöns. Und wer das aus dieser meilenweit vorausgehenden Perspektive der DigiGes oder D64 tut, muss sich nicht wundern, wenn die "richtigen" Politikerinnen sie nicht ernst nehmen. Wer (unbeholfenen) Fachpolitikerinnen das Heimatrecht im Netz verwehrt oder sie mit Spott bedeckt, muss sich nicht wundern, wenn sie dann Kasper wie Heveling bekommt, also Netz-Fachpolitikerinnen, die so viel Ahnung vom Netz als Heimat und Teil des Lebens haben wie viele Netzpolitikerinnen von Infrastrukturen oder dem Betriebsverfassungsrecht.

Wenn Heveling jetzt was vom Krieg erzählt, dann ist das ein guter Anlass, zuzugeben, dass der klassische Weg der Netzpolitik gescheitert ist. Denn der Experte Heveling ist das Ergebnis dieser Politik. Ist aber am Ende nicht schlimm, denn überall kommen die Fachressorts aus dem Quark, ohne dass "wir" sie beackern.



P.S.: Heveling ist kein Opfer eines Mobs aus Handelsblatt und Netzdings. Er ist der ranghöchste Netzpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er ist qua Amt Experte für Netzpolitik. Er weiß genau, was er tut, er ist die (konservative) Quintessenz der netzpolitischen Diskussion der letzten Jahre. Und hat darum jeden Spott verdient, den er bekommen kann.

14.10.11

So sollte Netzpolitik in Deutschland aussehen, ja.

Hin und wieder verzweifele ich an "meiner Partei". Wenn Bärbel Höhn im TV auftritt. Oder wenn einige der evangelisch-kirchlichen Bundestagsabgeordneten auf von der Leyens brutale (und geschickte) Zensurbegründungen reinfallen. Oder Fraktionsvorsitzende in Zwergbundesländern Blödsinn reden. Oder bei manchen Diskussion rund um asynchrone Beteiligung und Transparenz in meinem Landesverband.

Aber dann bin ich auch immer wieder glücklich, dass ich bei den Grünen aktiv und politisch beheimatet bin (obwohl meine Herzensheimat ja immer die SPD war, bis die Verzweiflung jedes positive Erlebnis überwog). So wie gerade jetzt mit dem Antrag des Bundesvorstandes zur Netzpolitik für den Novemberparteitag. Maßgeblich vorangetrieben von Malte Spitz, bei dem ich ohnehin sehr froh bin, dass wir ihn haben.

Sehe ich einmal von den etwas verschwurbelten Formulierungen und einzelnen Inkonsistenzen ab, die dadurch zustande kommen, dass da verschiedene Steckenpferde offenbar noch nachträglich eingearbeitet werden mussten, ist er sehr, sehr gut geworden und - trotz seiner Länge - das so ziemlich beste netzpolitische Papier, das ich in Deutschland bisher gelesen habe. Vor allem aber macht dieser Antrag, der zumindest meiner Meinung nach sehr gut die grüne Position beschreibt, deutlich, was die wichtigsten Unterschiede zu den Piraten sind - auf der inhaltlichen Ebene (von der ich auch weiß, dass sie für den Erfolg der Piraten nicht wirklich relevant ist, ja, weil es ein Kulturthema ist und kein politisches, wunderbar illustriert durch ein Detail beim Politbarometer).

Die großen und argumentativ ausführlichen Passagen zu Privatsphäre, Urheberrecht und Infrastrukturpolitik dürften zu einem großen Teil eine andere Position widerspiegeln als Piraten sie haben (was ja auch gut ist) - und sind aus meiner Sicht wichtig und richtig.

Die Schlüsselpassage aber findet sich ziemlich weit hinten im netzpolitischen Leitantrag des grünen Bundesvorstandes, auf Seite 15 von 16:
Netzpolitik tangiert nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft und Politikfelder, Wissenschafts- wie Kulturpolitik, Rechts- wie Innenpolitik, Kinder- wie Jugendpolitik, Wirtschafts- und Verbraucher, Umwelt- wie Arbeitsmarktpolitik – die Aufzählung ließe sich für alle Ressorts durchdeklinieren. Die Netzpolitik ist das große Querschnittsthema unserer Zeit. Das Internet selbst ist für uns nicht nur ein technisches Instrument, sondern eine sozialer Ort, den es für mehr demokratische Mitbestimmung zu nutzen gilt. (Netzpolitischer Antrag)
Dies ist mir auch persönlich sehr wichtig. Darum bin ich weiterhin skeptisch, was Netzpolitik als Bereich angeht. Darum ist mir netzpolitisches Engagement bei dem, was wir Grüne "Fachpolitikerin" nennen, so wichtig: Leute, die bei uns für Medienpolitik, Schulpolitik, Wirtschaftspolitik, Kulturpolitik, Rechtspolitik und so weiter stehen, gucke ich mir auch immer unter dem Aspekt ihrer Kenntnisse des Netzes und ihrer Positionen in der Netzpolitik an. Denn mir ist es wichtiger, dass unsere Wirtschaftspolitikerinnen netzpolitisch zuverlässig sind - als dass wir einen tollen Netzhecht im Parlament haben. Mal etwas holzschnittartig (weshalb ich bei meiner Bewerbung auch nicht so sehr auf das Thema Netzpolitik abgehoben habe als auch das Thema Demokratie).

Die sehr konkreten Punkte, auf die wir Grüne uns selbst verpflichten wollen (wenn der Antrag durchgeht in Kiel), sind über den gesamten Antrag hinweg verstreut. Und nicht immer sind sie mit Handlungsempfehlungen versehen, da muss also noch das eine oder andere operationalisiert werden. Aber wenn wir uns darauf schon mal einigen können, sind wir um Jahre weiter als alle anderen Parteien. Inklusive der Piraten übrigens.

27.12.10

Grüne Netzpolitik in Hamburg - Vertrauen zurückgewinnen

Jetzt, wo es in Riesenschritten auf die Neuwahlen in Hamburg zuläuft und an allen Ecken und Ende am grünen Wahlprogramm geschraubt wird, habe ich mich ein bisschen engagiert und auch am Entwurfstext rund um Medien- und Netzpolitik mitgearbeitet. Quasi als Abfallprodukt sind einige Überlegungen entstanden, was grüne Netzpolitik in und für Hamburg heißen kann. Dieses Papier habe ich auch begonnen, in die innerparteiliche Diskussion zu geben. Da ich denke, dass gerade ein Thema wie Netzpolitik - ein Bereich, in dem Grüne in diesem Jahr viel richtig gemacht aber eben auch viel Vertrauen verspielt haben - öffentlich diskutiert werden sollte, schreibe ich es auch mal ins Internetz rein. Den Text habe ich auch bei slideshare öffentlich zugänglich hochgeladen, hier im Volltext.

Idee des Papiers ist, Netzpolitik für Nichtfachleute verständlich zu machen. Darum wird es manchen Fachleuten vielleicht an der einen oder anderen Stelle allzu oberflächlich oder holzschnittartig vorkommen. Aber um Netzpolitik aus der Nische zu holen, in die sie nicht gehört, müssen "wir" uns imho bemühen, die Themen und Punkte, die uns wichtig sind, so aufzubereiten, dass andere sie verstehen. Und uns wohl auch auf einige wenige Punkte beschränken.

Was denkt ihr?


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Vertrauen zurückgewinnen -
ein Zukunftsthema glaubwürdig besetzen.

Strategische und inhaltliche Überlegungen zur Netzpolitik der GAL
von Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach

In den letzten zwei Jahren hat die GAL einiges an Vertrauen bei den so genannten “Netzbewohnern” und der digitalen Elite verspielt. Es ist uns nicht immer gelungen, deutlich zu machen, wo wir stehen und dass (oder ob) unser Handeln in der Netzpolitik von (Fach-) Wissen, Analyse und einer politischen Haltung geprägt ist.

Das ist umso bedauerlicher, als Hamburg das Zentrum der internetbasierten Wirtschaft in Deutschland ist. Nicht nur die wichtigsten Medienunternehmen haben ihren Sitz in Hamburg sondern auch die Deutschlandzentralen beispielsweise von Google und Facebook, die wie kaum andere zurzeit das Bild des Internet für die Menschen prägen. 2010 wurden in Hamburg zwei der wichtigsten kreativen Inkubatoren für junge Internetunternehmen gegründet. Hamburg hat sich zur Hauptstadt der nächsten Generation von Gründern entwickelt.

Hamburger Grüne waren in den Diskussionen um Daten- und Verbraucherschutz im Internet in den letzten zwei Jahren durchaus präsent und haben mit hoher und glaubwürdiger Expertise (Justiz, Datenschutz) Positionen bezogen. Es ist uns als GAL aber nicht hinreichend gelungen, diese Expertisen mit technologischer und netzpolitischer Kompetenz zu verbinden und zu einer konsistenten und glaubwürdigen Position zu kommen. Sowohl beim Daten- und Verbraucherschutz in Sozialen Netzwerken als auch beim “Lex Google” haben wir aus dem Versuch heraus, das richtige zu tun, den Blick auf die besonderen Herausforderungen des Netzes als Infrastruktur verloren.

In keiner der Debatten im Feld der Netzpolitik war die GAL in den letzten zwei Jahren erkennbar, obwohl das Thema aus der Nische in das Zentrum des Interesses gerückt ist. Als Netzpolitikerinnen müssen wir feststellen, dass wir unser Thema und unsere Expertise nicht deutlich genug in die Diskussion und den Meinungsbildungsprozess der GAL und der Bürgerschaftsfraktion eingebracht haben.

Insbesondere bei der Verhandlung des Jugendmedienstaatsvertrags (JMStV) durch den Senat und bei der Ratifizierung durch die Bürgerschaft hat unser Kompass versagt. Dass auch wir Netzpolitikerinnen dieses Thema zu spät und zu leise auf die Agenda der GAL zu setzen versucht haben, waren ein Fehler und ein Versäumnis, die uns Vertrauen gekostet haben.
Unser Ziel ist es, das Vertrauen, das die digitale Elite in uns hatte, die uns als Grünen eigentlich nahesteht, zurückzugewinnen. Dafür müssen wir klare Positionen beziehen und uns von der populistischen Placebopolitik der anderen Parteien abgrenzen. Dass die Hamburger Bundestagsabgeordneten in der Frage des Aufbaus einer Zensurinfrastruktur (Zugangserschwerungsgesetz) standhaft waren, erleichtert uns dabei sehr. Ebenso, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, ein Hamburger Grüner, eine ausgewogene Position vertritt.

Netzpolitik wird mehr und mehr zu einer Querschnittsaufgabe, die neben Medienpolitik, Rechtspolitik und Datenschutz auch ordnungs- und wirtschaftspolitische Fragen (fairer Zugang, Infrastruktur) und Fragen der Demokratie (Transparenz, Open Data) berührt. Grüne Netzpolitik unterscheidet sich von monothematischen Ansätzen dadurch, dass sie alle Politikbereiche durchwebt. Dies in der Praxis einzulösen, wird das Versprechen sein, an dem die GAL sich messen lassen muss.
In den kommenden Jahren stehen einige wichtige Weichenstellungen in der Netzpolitik an, die Grüne mitgestalten können, wenn sie an der Regierung beteiligt sind.

Uns als GAL sollte dabei leiten, dass die Veränderungen, die das Internet als Publikations- und Kommunikationsinfrastruktur mit sich bringt, historisch nur mit den Veränderungen durch die Erfindung und Durchsetzung des Druckens mit beweglichen Buchstaben vergleichbar sind. Das heißt auch, dass die herkömmlichen Versuche, mit den Ordnungsinstrumenten der Medienpolitik auf das Internet zu reagieren, fehl gehen. Das Internet ist kein Raum, der der Gestaltung durch die Politik bedarf oder in dem eine solche Gestaltung auch nur möglich wäre, die über die Anwendung bestehender und zu verfeinernder Regeln für das übrige Leben hinausginge. Im Gegenteil: Jeder falsch verstandene Versuch, gestaltend einzugreifen, führt bereits heute dazu, die Gesellschaften, die diese Versuche unternehmen, von der Entwicklung und auch den emanzipatorischen Chancen abzukoppeln.

Aber fünf konkrete Felder der Netzpolitik betreffen auch das gestaltende Handeln in Hamburg:

(1) Netzneutralität
Wenn Internet eine Infrastruktur ist, woran in der Praxis kein Zweifel bestehen kann, ist es Aufgabe staatlichen Handelns, für Fairness und Regeln zu sorgen, wenn die Akteure und Netzbetreiber die Fairness verletzen. Genau dies aber kündigen europaweit und auch in Deutschland zurzeit einige Telekommunikationsunternehmen an. Grüne Netzpolitik sollte sich deshalb für eine Verankerung der Netzneutralität einsetzen, also dafür, dass die Zugangsanbieter Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleichberechtigt übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben.

(2) Zensurinfrastruktur
In den Debatten um Kinderpornographie und andere Verbrechen hat die Politik, getrieben vom Bundeskriminalamt, versucht, Voraussetzungen zu schaffen, Inhalte sperren zu können, sie also für Nutzer aus Deutschland nicht anzeigen zu lassen. Dieses schafft de facto eine Infrastruktur, die Zensur technisch ermöglicht und auch ausüben will. Zensur aber kann und darf niemals die Antwort des Staates und seiner Exekutive auf Probleme und Verbrechen sein. Grüne Überzeugung ist, dass auch im Internet die Gesetze und Regeln gelten, die beispielsweise Kinderpornographie verbieten und Urheberrechte gewährleisten. Grüne plädieren deshalb dafür, diese Regeln und Gesetze anzuwenden, anstatt Zensurinfrastrukturen aufzubauen. Jede Maßnahme, die Zensur möglich macht, wird von Grünen abgelehnt. Das sollte kompromisslos gelten.

(3) Jugendschutz und Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV)
Da der verhandelte JMStV gescheitert ist, weil NRW ihn nicht ratifiziert hat, wird er im kommenden Jahr neu verhandelt werden müssen. Grüne Netzpolitik sollte sich darauf vorbereiten und Grüne sollten dort, wo sie in Regierungsverantwortung sind (oder anstreben wie in Hamburg), darauf bestehen, direkt an den Verhandlungen beteiligt zu werden. Fachleute und so genannte “Netzbewohner” (also erfahrene Internetnutzer) sollten beim neuen Anlauf von Anfang an involviert werden. Die GAL sollte nur dann einen neuen JMStV mittragen, wenn er Maßnahmen des Jugendschutzes enthält, die das Internet als nicht-lineare Distributionsform von Medien ernst nimmt. Bei der nun anstehenden Neuverhandlung des Vertrags zwischen den Bundesländern sollte sich die GAL in einen Dialog mit den Hamburger Bürgern, Netzbewohnern und Medienschaffenden begeben, bevor sie eine Position einnimmt. Dabei sollte eines für grüne Netz- und Medienpolitik klar sein: Nur wenn Jugendschutz als medienpädagogische und gesellschaftliche Aufgabe definiert wird, anstatt durch Zugangsbeschränkungen die Informationsfreiheit zu gefährden, sollten Grüne einem JMStV zustimmen.

(4) Netzpädagogik
Wenn heute 100% der Jugendlichen online sind und rund 80% von ihnen soziale Netzwerke wie Facebook nutzen (ARD/ZDF Onlinestudie 2010), dann ist die Frage der kompetenten und selbstverantworteten Internetnutzung eine Schlüsselfrage für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Grüne Netzpolitik sollte anstelle objektiv untauglicher Regelungsversuche, die sich an anderen Distributionsformen von Kommunikation und Medien orientieren, in netzpädagogische Angebote investieren. Gerade intergenerationelle und mehrsprachige Angebote werden dabei eine Schlüsselrolle spielen. Da diese weit über den Kompetenz- und Kenntnisbereich klassischer Träger medienpädagogischer Angebote hinausgehen, sollte sich die Förderung an der grünen Tradition dezentraler, von unten wachsender und partizipativer Initiativen orientieren.

(5) Transparenz und Demokratie 2.0
Während für die Politik nur wenig Gestaltungsbedarf für das Internet besteht, schafft es andersherum weitere Möglichkeiten der demokratischen Partizipation, Transparenz und Kontrolle. Der prinzipiell unendliche und gut durchsuchbare Speicher, die permanente Präsenz von Bild- und Tonaufnahmen, die online veröffentlicht werden, und die niedrigschwellige Möglichkeit für Menschen, sich zu vernetzen und gegenseitig zu informieren, machen das Internet zur Triebfeder einer weiteren Öffnung der Verwaltung, Politik und Gesellschaft. Grüne Netzpolitik sollte diese Chancen betonen und befördern. Beteiligungsprozesse und Informationspflichten können einfacher realisiert werden.