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21.7.25

Faschismus ist toll

Während meines Studiums hatte die große Freude, zweimal an Sommerakademien der Studienstiftung teilzunehmen. Von beiden Themen und dem Arbeiten mit absoluten Top-Leuten profitiere ich noch heute, was sicher auch daran liegt, dass es jeweils ein Thema war, das sich zwanzig Studierende aller möglichen Fachrichtungen für die Ferien selbst ausgesucht hatten. Bei mir war es einmal meine allererste Beschäftigung mit Wirtschaftsethik. Und ein anderes Mal ging es um Visionen für Städte, Architektur und so weiter. Beim Leiter der damals aktuellen IBA und bei einem der tollsten Architekturhistoriker überhaupt. Neben meiner sehr kontroversen Liebe für Architektur und Städtebau der 50er habe ich von ihm vor allem gelernt, warum so irre viele Architekten (ich glaube, da gab es quasi keine Frauen in der Gruppe Speer, oder) Faschismus großartig fanden und finden. 

Und das ist ja auch logisch und der gleiche Grund, wieso so viele Milliardäre und Großunternehmen dieses Jahr innerhalb von weniger als sechs Monaten vollständig auf Faschismus gesetzt haben. Warum so viele von ihnen finden, dass Faschismus toll sei.

23.2.25

Von sich auf andere

Schon vormittags ist er wählen gewesen. Fragte nach, wann denn das Auszählen sei. Um mit drohendem Unterton anzukündigen, dass er dann als Wahlbeobachter dabei sein werde. Er war so gar nicht der typische Demokratieaktivist. Am Ende waren vier Menschen als Wahlbeobachter*innen da, wobei sie das wohl so nicht sagen würden, weil sie Gendern ablehnen. Das eine Paar hatte auch sein Kind mitgebracht. 

Ich bin gerne Wahlhelfer. Da sehen wir viele unserer Nachbar*innen. Immerhin 341 Menschen aus den vier Dörfern unseres Wahlbezirks waren vor Ort und haben gewählt, nur eine Stimme war ganz ungültig. Und ich kann vor allem das Auszählen wirklich allen empfehlen. Ich sag mal so: wer einmal beim Auszählen in einem Wahllokal dabei war, wird nie wieder annehmen, dass die Wahl nicht mit rechten Dingen zugehe. Es ist kompliziert, sicher, akribisch.

16.2.25

Wehrt euch

Zwischendurch hatte ich sehr viel Angst, so viel wie noch nie vor der Zukunft. Dann hat meine Liebste mir den Kopf gewaschen und mir fiel ein, dass ich so was immer mal wieder hatte und es immer irgendwie richtig und falsch zugleich war. Und nichts nützt. Was aber irgendwie anders war, zumindest gefühlt anders, war, dass sich der Ring der Menschenfeinde enger um uns zog und um uns zieht.

Wenn liberale CDU-Mitglieder bei mir vor Ort, mit denen ich im richtigen Leben gut zurecht komme, die ich teilweise sogar mag, auf einmal fanden, es wäre eigentlich ganz gut, dass die Radikalen an ihrer Parteispitze, denen sie bisher im Gespräch eher leicht kritisch gegenüberstanden, dass diese Radikalen die Partei in eine Zusammenarbeit mit den Nazis getrieben haben. "Immerhin passiert jetzt mal was", sagten sie. Also ungefähr das, was viele indifferente Amerikaner*innen gerade sagen angesichts der Staatsstreichs, der da passiert. Ich fand, dass ich schon berechtigt Angst hatte. Zumal in meinen Dörfern und in der Kleinstadt hier alle großen Wahlplakate der Grünen zerstört oder beschmiert worden waren und auch sonst ungefähr dreimal so viele Plakate abgerissen wie sonst bei Wahlkämpfen. 

12.6.24

Wie ihre Eltern

In meiner Umgebung hat das Wahlverhalten der jungen Menschen die größte Erschütterung ausgelöst. Mir macht das auch Angst, obwohl es mich weder überrascht noch erschüttert. Aber die Angst kommt von ganz anderen Beobachtungen. Und bezieht sich dann auch wiederum fast mehr auf deren Eltern als auf sie selbst.

Beobachtungen ist dabei das Stichwort. Euphemistisch nenne ich diese anekdotische Evidenz ja gerne Privatempirie. Und ich überschätze sie nicht. Allerdings habe ich in den letzten Jahren gemerkt, dass mich genau dieses Beobachten, diese Privatempirie, nicht so selten schon früher etwas hat erkennen lassen, das dann deutlich später auch echt empirisch gemessen werden konnte oder sich in (Wahl-) Ergebnissen niederschlug. Seitdem bin ich da etwas hellhöriger und lasse mich auch nicht mehr vom Vorwurf, ich würde das alles zu schwarz sehen, irritieren. War bei der US-Wahl 2016 und beim Brexit ja auch nicht zu schwarz sondern leider richtig.

10.6.24

Ach Europa, ach, ach, ach

Vorweg: Das Ergebnis der Europawahl in Deutschland ist aus meiner Sicht ein Desaster. Und das der Grünen ist wirklich schlecht und eine Niederlage und Hypothek. Da gibt es nichts schönzureden. Mich persönlich hat es auch ein bisschen überrascht, weil ich den Eindruck hatte, dass die Hass- und Hetzkampagne und die überproportional viel zerstörten Grünen-Plakate eine gewisse Solidarisierung ausgelöst hatten. Wenn es die gab (wo ich mir nicht mehr sicher bin), hat sie nicht zu Stimmen geführt. Sondern wahrscheinlich ist dies, also die rund 12%, die Baseline. Die übrigens vor wenigen Jahren noch bei 6-7% lag, das aber nur am Rande und als Pfeifen im Walde.

Zerbrochene güne Glasflasche
Foto von CHUTTERSNAP auf Unsplash

Jetzt aber erstmal ein paar erste Gedanken zum Ergebnis und zur Perspektive, die sich daraus ergibt. Zum einen, indem ich das Ergebnis anders einordne. Zum anderen, wenn ich ganz lokal auf die genauen Stimmen gucke. Und zum dritten mit ein paar ersten Schlussfolgerungen.

7.3.24

2028

Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht grün
 
Als sie der Bürgermeisterin die Scheibe einwarfen
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht in der Kommunalpolitik

Als sie die Arbeitslosen in Zwangsarbeit schickten
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht arbeitslos

4.2.24

Herzlich Willkommen

Ich freue mich irre doll, dass so viele Menschen in den Widerstand gegen den Faschismus eingestiegen sind. Für viele, mit denen ich in den letzten Wochen sprach, ist es das erste Mal, dass sie bei diesem Thema aktiv werden. Dass dieser Widerstand, der die letzten 35 Jahre eher ein Nischendasein fristete, jetzt Massen erreicht, ist wunderbar. Und ich habe den Eindruck, dass die allermeisten, die seit vielen Jahren hier arbeiten und sich engagieren, mir zustimmen, wenn ich den neuen Mitstreiter*innen ein herzliches Willkommen zurufe. 

In den ersten Wochen dieses massenhaften Widerstands war es auch so, wie erwartet: Menschen, die neu zur Bewegung kamen, schlossen sich an. Und waren mit ihren Plakaten und Schildern dabei. Trugen ihre Wünsche und Themen mit auf die Demos. Die waren dadurch bunt, fröhlich, engagiert, vielfältig. 

14.1.24

Mut nach einer grauenvollen Woche

Die Woche geht so zu Ende, dass ich wieder Mut fasse. Sie war eine Achterbahnfahrt, emotional und auch in vieler anderer Hinsicht: Ein Pferd, das (vorerst) dem sicheren Tod von der Schippe gesprungen ist; das Entsetzen über das, was vor Ort und im Land politisch passiert; die große Freude am Ende über die vielen, vielen Menschen, die heute, am Sonntag, aufgestanden sind und sich in die Innenstädte begeben haben.

11.1.24

Ab jetzt ist es nur noch ein Umsturzversuch

Ja, liebe Landwirtschaft-Kolleg*innen, wir, die wir nicht eurer Meinung sind oder vorher waren, haben verstanden, was euch umtreibt und was ihr wollt. Darum ist es gut, dass ihr demonstriert habt und einige Tage lang quasi alle Seiten der Lokalzeitungen hier auf dem Land gefüllt habt mit euren Positionen und Aktionen. Und ich finde einige Protestformen richtig toll. Beispielsweise die Gummistiefel, die ihr an die gelben Ortseingangsschilder hier auf den Dörfern gehängt habt. Das finde ich kreativ, das bringt mich zum Lächeln, das macht euer Anliegen deutlich wie kaum etwas anderes.

Ja, ich kann verstehen, dass ihr eine Sternfahrt mit euren Maschinen gemacht habt. Etwas weniger verstehen kann ich, dass ihr froh wart, dass viele Fuhrunternehmen und Handwerksbetriebe mit euch gefahren sind – vor allem, weil die meisten unappetitlichen Fahnen und Aufkleber die letzten Tage nicht an euren Treckern waren sondern an deren Autos. Aber am Ende müsst ihr ja selbst wissen, mit wem ihr euch verbünden wollt.

Und damit sind wir bei dem, was mich gerade umtreibt. Denn es sind vor allem zwei Dinge, die mich bestürzen. Zum Einen, dass ihr immer und immer weitermacht und wie ihr das macht. Und zum Anderen, was der Tonfall und der Zungenschlag inzwischen sind. 

12.9.23

Niederlage

Einer der grauenvollsten Tage war der, den ich in Lidice verbrachte. Ich habe sehr geweint. Noch nie vorher war mir das Grauen des faschistischen Vernichtungskrieges so nah. 

Peter Stehlik 2009.05.12 Lidice 002aa

28.8.23

Dummerjunge

Was mich besonders ankotzt, excuse my French, sind die Leute, die heute oder damals radikal böses Verhalten von jungen Männern mit Dummerjungenstreich oder Sosindjungsnunmal entschuldklären. Da bin ich schon auf Elternabenden aus der Rolle gefallen, wenn das Teilen von übergriffigen Bildern in der Klassenwhatsappgruppe mehr oder weniger mit Achselzucken beantwortet wurde, sowohl von der Lehrerin als auch von den Eltern der Jungs, anstatt es zur Anzeige zu bringen, um einmal sehr klar zu machen, dass es eben kein Streich ist. Streiche sind nämlich wunderbar.

Antifa tidyman
Und als jemand, der ebenfalls in den späten 80ern in der Oberstufe war, wird es mir so gehen wie allen, die in den späten 80ern in der Oberstufe waren und die politisch nicht völlig verblödet sind. In jeder Klasse oder zumindest in jeder Stufe gab es diese ein oder zwei, die nicht nur wie viele andere hin und wieder miese "Witze" machten und das Kriterium Dummerjunge erfüllten, sondern eben Nazis waren. Die meisten von uns wussten, wer das ist, denke ich. Denn in den 80ern in Westdeutschland, auch in Bayern, ich war da über die politische Antifa-Arbeit halbwegs vernetzt hin, gehörte ein Bodensatz in dieser Größenordnung in die Normalverteilung damals. In der Schule haben sie sich auch nicht immer versteckt. Und sie hatten eine Meinung. 

28.6.23

Der Feind

Wenn CDU-Chef Franz von Merz* die Grünen als Hauptgegner ausmacht, kann er das haben. Denn dann wissen Grüne immerhin, auf wen sie nicht werden zählen können, wenn in Sachsen oder Mecklenburg ihre Wahlkämpfer*innen zusammengeschlagen oder von Dorffesten ausgesperrt oder im Supermarkt an der Fleischtheke ignoriert werden. Wie es überall da passiert, wo die Nazis sehr präsent sind und die Menschen, die Nazis wählen, völlig indifferent zu Gewalt und Terror stehen. Wo Jungs mit langen Haaren in der Grundschule auf dem Boden getreten und von Lehrer*innen für ihre Frisur kritisiert werden, weshalb ihre Eltern sie auf evangelische Privatschulen schicken. Wo Menschen mit bunten Haaren und zerrissenen Lederjacken sich nicht unbewaffnet hintrauen.

21.6.23

Scham

Ich wollte darüber schon lange schreiben. Vor allem, weil mir einfach nicht in den Kopf will, wie Konservative seit Jahren immer wieder den gleichen Fehler machen, also den strategischen Fehler. Konservative hier im weiteren Sinne, aber dazu gleich mehr. Jedenfalls sind die begeisterten Reaktionen und die Tontaubheit von führenden CDU-Leuten nach dem grotesken Auftritt von Claudia Pechstein auf dem CDU-Konvent, oder wie der heißt, jetzt der Anlass. Denn dass Merz ("brillant") und Co nicht mal merken, was sie da tun, wenn sie reaktionäre, alltagsrassistische Bemerkungen bejubeln, halte ich auf der einen Seite für wenig überraschend. Auf der anderen Seite für ein Problem. Beides hat allerdings mit meinen Erfahrungen in einer Vorort-SPD in Hamburg in den Achtzigern zu tun.

6.6.23

Kotzen

Tatsächlich bin ich sehr traurig und sehr wütend. Meine Reaktion auf die Ohnmacht, die dieses Video auslöst, zumindest bei mir.

Und bitte: Seht dieses Video nur, wenn ihr sicher seid, es ertragen zu können. Weil von Vergewaltigung die Rede ist und davon, wie Menschen unter Drogen gesetzt werden, manipuliert (Social Engineering) werden, misshandelt werden. 

17.5.23

Beobachtungen (Kommunalwahl)

 Mit zwei Tagen Abstand doch noch ein paar Überlegungen zur Kommunalwahl in Schleswig-Holstein und ganz konkret bei mir auf dem Land. Denn ich finde es fast etwas schade, dass diese Wahl so wenig im medialen Fokus ist außerhalb unserer Lokalmedien – lassen sich doch einige Dinge daraus lernen für die aktuellen Debatten und Strategien auch über die kommunale Ebene hinaus.

13.4.23

Ratten

Also eigentlich ist der Titel dieses Textes brutal falsch und mies und ich distanziere mich ausdrücklich von ihm. Darum habe ich ihn gewählt. Denn es war ein wichtiger Teil dessen, wie die Nazis in den späten 20ern und den frühen 30ern die Zustimmung der konservativen Mehrheit der Deutschen organisierten. Indem sie von Ratten und Läusen und Asozialen und Arbeitsscheuen fabulierten. Also unter anderem. 

Diese Woche war ich in unserem Dorf in einem Vortrag in unserem Kulturverein, in dem der Leiter der Gedenkstätte Ahrensbök über die frühen Jahre der "Zustimmungsdiktatur" hier im Landkreis erzählte. Denn was ich nicht wusste: Hier, im Landesteil Lübeck des Fürstentums Oldenburg (was unsere Gegend bis zum Großhamburggesetz 1937 war), hatte die NSDAP die absolute Mehrheit in Wahlen gewonnen, lange bevor die Konservativen sie in die Reichsregierung brachten. Hier wurde mit dem ersten Nazi-Regierungspräsidenten, der aus meinem Dorf stammte, schon mal die kommende Diktatur eingeübt, schon 1932 die SA zu Hilfspolizisten gemacht, ausgetestet, wie weit sie gehen konnten, ohne die Zustimmung der Menschen zu verlieren. Ergebnis: sehr weit. 

Was, wie wir heute recht genau wissen, zu der großen Zustimmung geführt hat und dazu, dass die ersten frühen Konzentrationslager mitten in den Kleinstädten unter den Augen der Menschen eingerichtet werden konnten, von denen alle wussten, war, dass die Nazis eben an die Mehrheitsmeinung ("das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen") mit ihren Ängsten und Hoffnungen anknüpfen konnten. Und weil es quasi keine organisierte Arbeiter*innen-Bewegung gab hier im bäuerlich und handwerklich geprägten Land, gab es auch keine Widerstände. Der örtliche Frauenarzt war der Chef der NSDAP, die Kirche hart antisemitisch und chauvinistisch, die Intellektuellen für die harte Hand gegen – eben – die Ratten, Läuse, Arbeitsscheuen, Asozialen. Hier bei uns brauchten die Nazis die Konservativen nicht als Koalitionspartner*innen. Hier wählten die Konservativen die Nazis direkt. Und stimmte die überwiegende Mehrheit der Menschen dem Kurs von "Latten-Böhmcker" zu und war von ihm begeistert.

Daran musste ich heute denken, als ich über die in der "Zeit" dokumentierten politischen Positionen von Springer-Chef und -Mitbesitzer Matthias Döpfner las (Text hinter der Paywall. Auszüge hat der Spiegel abgeschrieben und ebenfalls hinter seine Paywall gestellt, was schon ein ziemlich rattiges Verhalten ist, weshalb ich es nicht verlinke). Nichts davon überrascht jemanden, die sich mit der Zustimmung der konservativen Mehrheit zu den Nazis beschäftigt haben. Weshalb die Forschung ja von den 30ern als Zustimmungsdiktatur in Deutschland spricht.

Wer einmal mit Menschen aus der Schicht von Döpfner in einer Form zusammen war, in der sie dachten, unter sich zu sein, wird nie wieder überrascht sein, nur entsetzt und verängstigt, wenn mal wieder so was wie die wirkliche Überzeugung dokumentiert wird. So ging es mir mehrfach seit 2015. Seid nicht so naiv, zu glauben, dass ein signifikanter Teil der akademisch gebildeten ökonomischen Führungselite dieses Landes bereit wäre, die liberale Demokratie zu verteidigen, wenn ein autoritäres System ihren Interessen dient. Denn darum findet Döpfner ja den Klimawandel prima. Er nutzt ihm.

13.1.21

Brutalismus

Das Kloster Sainte-Marie de la Tourette, gebaut von Le Corbusier


Vielleicht bin ich in Bezug auf Brutalismus etwas sensibler, weil ich ihn zum einen in der Architektur mag (jaja, ich weiß, da bin ich einer der ganz wenigen, ich mag ja auch Beton wirklich gerne, neben Holz, aber das ist eine andere Geschichte) und zum anderen immer wieder eine heißkalte Faszination für die theologische, philosophischen und politische Bewegung hatte, die ich einem Brutalismus zuordnen würde: die Konservative Revolution (auch wenn mir bewusst ist, dass der Begriff nach 1945 von dem Faschisten Armin Mohler gebildet wurde, um bürgerliche Rechtsextreme nachträglich vom Nationalsozialismus zu trennen und anschlussfähig für die neue Zeit zu machen). 

Die Beschäftigung damit kommt vor allem aus dem etwas intensiveren Studium Friedrich Gogartens, der für mich vor allem so faszinierend war, weil er einerseits vielleicht der einzige seiner Generation war, der meines Erachtens Luther verstanden hatte (so wie sein Schüler, mein Lehrer Matthias Kroeger dann eine Generation später) und andererseits irre hart an der konservativen Revolution dran war. 

Kirche Johannes XXIII., Katholische Hochschulgemeinde Köln
Vielleicht machen mir darum Beobachtungen eines Extremismus der Mitte und eines libertären Brutalismus aber auch nur mehr Sorge. Zumal dazu kommt, dass ich über die Begegnung mit dem Christianismus auch die andere Quelle der Brutalismus-Bewegung gut kenne. Dass libertär und christianistisch so famos zusammen gehen, ist uns aus den USA bekannt, aber hier bei uns in Europa und in Deutschland wenig beschrieben. Über Christianismus werde ich noch mal gesondert schreiben. Der macht mir tatsächlich noch mehr Angst als alles andere, vielleicht, weil ich ihm lebensweltlich näher bin, ihn eben besser kenne.

Mir geht es nicht um eine Alarmstimmung. Ich beobachte, dass sich sowohl Christianismus als auch libertärer Brutalismus weiter radikalisieren und die Mitteextremist:innen beides zugleich immer stärker normalisieren. Aber andererseits – und das finde ich unglaublich ermutigend – ist es in den USA gerade (möglicherweise erstmals!) gelungen, den Faschismus in Wahlen zu besiegen. Knapp, weil er es geschafft hatte, neben dem harten Kern eine Koalition an sich zu binden, in der Libertäre, Christianist:innen und Mitteextremist:innen waren (darin übrigens ja nicht unähnlich den meisten faschistischen Regimen des 20. Jahrhunderts).
Was mir Sorge macht, ist, wie Libertäre, vor allem libertäre Brutalist:innen, und Mitteextremist:innen, die jeweils an sich mit dem, wie sie sich Gesellschaft vorstellen (jetzt einmal vereinfacht gesagt, denn für Libertäre ist das an sich ja schon so nicht ganz richtig), vom Faschismus eher weiter weg sind (anders als Christianist:innen), wie diese also durch Koalitionen, Normalisierungen oder Zentrismus Gesellschaften kontinuierlich und nachhaltig immer weiter nach Rechts verschieben. Libertärer Brutalismus und Mitteextremismus können eine freie Gesellschaft nicht gegen die faschistische Herausforderung verteidigen, weil sie die entweder nicht sehen oder nur für eine von mehreren halten.

Was ich tragisch finde, ist, dass beide Ideologien sich selbst aus möglichen Bündnissen gegen den Faschismus herausnehmen, wenn auch aus unterschiedlichen Motivationen und Überlegungen. Gemeinsam ist ihnen nach meiner Wahrnehmung nur, dass sie – wie historisch in bisher jeder Gesellschaft, in der Faschist:innen die Macht übernommen haben – dem Faschismus nie entgegentreten. Zumindest nie aktiv. Ich denke, dass das auch damit zusammenhängt, dass sie den Status Quo, gegen den der Faschismus sich erhebt, nicht intensiv genug verteidigungswürdig finden. Weil er angeblich linksgrün versifft sei. Oder weil er dazu führt, dass angeblich nicht mehr alles gesagt werden dürfe. Oder weil er die Privilegien ihrer Protagonist:innen nicht genug schützt. Oder oder oder.

Ich persönlich finde Mitteextremist:innen dabei graduell unangenehmer, weil ihr Beitrag zur Normalisierung des Faschismus subjektiv "gute" Motive hat – indem sie eine Spaltung der Gesellschaft diagnostizieren, die es zu überwinden und versöhnen gelte. Ihr Apriori ist dabei, dass es "auf beiden Seiten" Gute und Böse gebe und "beide Seiten" irgendwie (gleich) falsch seien. Ihr Extremismus ist dabei vor allem, dass sie ihre Privilegien nicht reflektieren, zu denen gehört, dass sie Faschist:innen umarmen und versöhnen können, weil sie von ihnen nicht unmittelbar angegriffen werden. Eine Versöhnung mit den Feind:innen muss ich mir erstmal leisten können. 
Darüber, die wichtig es ist, sich auf Unterstützung verlassen zu können, habe ich ja schon mal geschrieben. Wichtig vor allem für die, die von Faschist:innen angegriffen werden. Wichtig aber auch für die Gesellschaft, die sie gerade mürbe zu machen versuchen, indem sie sie als Diktatur diffamieren, Anstand ablehnen ("politisch korrekt") oder von der Gesellschaft einfordern, dass niemand ihnen widersprechen darf ("cancel culture"). Es sind nur Beispiele – aber hier wird bereits das Problem mit Libertären und Mitteextremist:innen deutlich: dass beide Gruppen es nicht schaffen, sich hier konsequent und durchgängig auf der Seite der freien, liberalen Gesellschaft zu positionieren. Dass sich eben nicht auf sie verlassen kann, wer für diese Gesellschaft aufsteht.

Wer nicht zwischen Gegner:innen und Feind:innen unterscheidet und sie sehr unterschiedlich behandelt, betreibt das Geschäft der Feind:innen. Wer Streit und Hass nicht unterscheidet, wer statt für Zusammenhalt auch unter Gegner:innen für Versöhnung mit den Feind:innen plädiert, kann die offene Gesellschaft nicht verteidigen. Sondern ist Extremist:in.

10.6.20

Alerta

Ich lebe am Rande einer Kleinstadt. Diese Kleinstadt ist sehr lebenswert und interessanterweise sehr divers. Sie hat eine der letzten größeren Militär-Kasernen und eine Polizei-Kaserne. Sie hat mehrere Wohnanlagen für Alte. Etliche Schulen jeder Geschmacksrichtung für eine ganze Region. Etliche lokale Handwerksbetriebe und Geschäfte haben sich zu einer "Faire-Welt"-Initiative zusammen geschlossen. 14- und 15-jährige Mädchen organisieren eine der großen Fridays-for-Future-Gruppen in der Region. Ein Volksentscheid gegen ein Inklusionshotel in bester Lage ist sang- und klanglos gescheitert.

Das alles ist noch nicht immer so. Es gab eine Zeit, in der Nazi-Aufkleber an Laternenpfählen überhand nahmen. In der sich Nazis im Straßenbild breit machten. In dieser Zeit lebte ich nicht hier, ich war nie in dieser Kleinstadt. Ich kenne diese Zeit nur aus Erzählungen. Und aus anderen Gegenden. Mitte der 80er war ich kurze Zeit Antifa-Koordinator im letzten Juso-Kreisvorstand, den es in meinem Hamburger Bezirk gab.

***

Als vor ein paar Jahren die Rechten eine Kampagne gegen Antifaschistinnen fuhren und sich die meisten so genannten "Bürgerlichen" nicht schnell genug von ihnen distanzieren konnten – was sie ja bis heute machen –, ist einer Freundin, die damals schon in jener Kleinstadt lebte, der Kragen geplatzt.

Damals, erzählt sie, gab es ein paar junge Leute in der Stadt mit Lederjacken und bunten Haaren und Springerstiefeln. Die nannten sich Antifa. Und wenn sie und ihre Freundinnen, alle aktiv in der evangelischen Kirchengemeinde der Kleinstadt, loszogen, um unter merkwürdigen Blicken der meisten Einwohnerinnen die Nazi-Aufkleber von den Laternenpfählen abzupulen, waren diese jungen Leute die einzigen, die sich ihnen anschlossen. Und wenn sich auf der anderen Straßenseite ein paar von den Nazis aufbauten, die offen zum Straßenbild der Kleinstadt gehörten, dann waren diese jungen Leute da. Mal einfach nur so. Mal in Bewegung.

Sie war die jüngste der Frauen damals. Und keine der grauhaarigen Freundinnen ließ oder lässt etwas auf die Antifa kommen. Ohne Antifa, sagen sie, wäre diese Kleinstadt heute noch ein gefährliches Pflaster für sie, für Christinnen. Ohne Antifa hätten sich in den Jahren danach nicht die ersten Ladenbesitzerinnen zusammengeschlossen, um eine Initiative für Schutzräume und dann später für Fairen Handel zu bilden. Es waren (meist ältere) Frauen der evangelischen Kirche und die jungen Leute der Antifa, die die einzigen waren, die der beginnenden Dominanz der Nazis im Stadtbild etwas entgegensetzten.


***

Sich von "der Antifa" zu distanzieren, halte ich für dumm, unpolitisch und gefährlich. Und "man" muss es sich auch leisten können. Denn seit den 80ern gab und gibt es nicht viele andere, auf die sich verlassen kann, wer Nazis entgegentritt. Fast überall (im Westen) waren es damals Aktive aus Kirchengemeinden zusammen mit jungen Leuten, die keine Angst davor hatten, dass es vielleicht auch mal wichtig sein könnte, sich (körperlich) zu wehren. Und als 2015 in unserem Stadtteil am Rand von Hamburg die größte Unterkunft für Vertriebene eingerichtet wurde und die Nazis aus den Nachbarstadtteilen ankündigten, das nicht zuzulassen, waren es junge Leute mit Lederjacken und bunten Haaren, die die Nächte im Gewerbegebiet verbrachten. Und das evangelische Gemeindehaus bewachten, das das Basislager der Helferinnen war. Und sonst niemand.



***

Im ersten Kreisvorstand der Jungen Sozialdemokraten, der unseren letzten Juso-Kreisvorstand ablöste, gab es selbstverständlich keinen Koordinator für Antifa-Arbeit mehr. Ich weiß sehr genau, auf wen ich mich verlassen kann, wenn ich von Nazis bedroht werde. Und das ist ganz sicher niemand, der oder die sich von "der Antifa" abgrenzen zu müssen meint.




28.8.18

Rechte und linke Demonstranten

Symbolbild: Linksradikale (laut Medien)
Ein Nazimob rennt durch eine sächsische Kleinstadt. Menschen, die keine Nazis sind, demonstrieren dagegen, dass ein Nazimob durch die sächsische Kleinstadt rennt. Und die deutschen Medien heute so (und zwar bis in die von mir geschätzte liberale Zeit Online hinein): "Proteste rechter und linker Demonstranten". Das ist ein Problem. Oder vielmehr: Das ist der Sieg (zumindest der kulturelle und der Diskurssieg) der Rechtsextremen in diesem Land.

Denn wo Menschen, die keine Nazis sind, als "links" bezeichnet werden, erscheint Nazisein als fast schon normal, nämlich als nicht-links. Und das ist für die meisten Menschen in diesem Land gut und normal. Also nicht-links zu sein. Unter anderem deshalb, weil die Worte rechts und links im öffentlichen Diskurs heute nicht mehr eine grobe und unproblematische Verortung in einem politischen Koordinatensystem meinen, sondern das, was "wir" früher als rechts- oder linksradikal bezeichnet haben. Wie vor einigen Jahren ein damals noch jugendlicher Verwandter formulierte: "Rechts ist, wenn ich Ausländer verhaue, nicht, wenn ich was gegen Ausländer habe". Das hat mich damals unglaublich aufgeregt. Und heute ist es Teil dessen, was die meisten Menschen, die ich erlebe, ungefähr so sagen.

Wenn es in diesem Sinne "links" sein soll, gegen Nazis zu sein, dann ist es wohl noch schlimmer, als ich dachte. Dann richten sich Journalistinnen und Politikerinnen in einer bequemen Äquidistanz ein - Nazis und Nicht-Nazis, irgendwie beide gleich weit weg von mir. Merkt ihr, oder?

Es ist nicht links, gegen Nazis zu sein und aufzustehen, wenn sie marschieren oder rennen. Es ist normal. Und viele Konservative, die ich kenne (und die sich, wenn sie in meinem Alter oder etwas älter sind, selbst eigentlich als "rechts" im alten Sinne bezeichnen würden), finden es überhaupt nicht witzig, dass sie auf einmal als Linke bezeichnet werden, nur weil sie gegen Nazis sind.

Ich glaube, auch nur in diesem Sinne ist verständlich, wieso rechtsextreme ehemalige Konservative einen "Linksruck" der CDU beklagen. Da, wo sich die CDU (also fast nur in Westdeutschland und auch da leider längst nicht überall) klar gegen Nazis positioniert, ist sie in diesem Sinne nämlich "links". Aha. So, auch und gerade mit der gedankenlosen Formulierung "rechte und linke Demonstranten", werden Menschen, die sich nicht selbst als "links" bezeichnen, gegenüber Nazis desensibilisiert.

Das macht mir viel mehr Angst als ein Nazimob, der durch Chemnitz rennt. Und dass die Polizei nichtmal diese Äquidistanz hat. Eigentlich traurig, dass ich schon froh wäre, wenn die Polizei als Institution Nazis ähnlich behandelte wie linken Protest.



19.9.16

Die Deplorablen*

Das, was Menschen in meinem Umfeld zurzeit massiv umtreibt, ist die Frage, wie die Gesellschaft politisch gerade auseinander fällt. Mit der Landtagswahl in Mecklenburg und der Stadtwahl in Berlin ist die Ratlosigkeit bei fast allen, die ich kenne und schätze, groß: Ja, dass die Autoritären den Menschen ein Gehör verschaffen, die sich zuletzt (oder schon immer) aus dem politischen Diskurs raushielten oder verabschiedet hatten, ist das eine. Dass sie faktisch den gesamten Diskurs bestimmen, das andere. Dabei mal gar nicht auf die massive Dummheit der CSU geschielt, das überall in Europa gescheiterte Nachlaufspiel nachzuspielen.

Das, was die Diskussion unter denen, die Anhängerinnen der Demokratie sind, so kurios macht, ist, dass jede aus ihrem eigenen Betätigungsfeld heraus eine vordergründig richtige Analyse anbieten kann. Letzte Woche saß ich mit Menschen aus Kirche, Diakonie, Politik und Medien zusammen beim Bischofsdinner – und fand es faszinierend, wie sicher sich die Chefs der Diakonie waren, dass der Aufstieg der autoritären Partei AfD in Deutschland seine Ursache im sozialen Auseinanderfallen der Gesellschaft und in der neoliberalen Wirtschaftspolitik hat. Und die Zahlen – dass Menschen, die AfD wählen, größtenteils eine niedrige formale Bildung haben und aus dem stammen, was man früher Arbeiterschicht genannt hat – sprechen an der einen Stelle auch dafür.
(Weshalb, aber das nur am Rande, meines Erachtens Sahra Wagenknecht auch taktisch richtig liegt, wenn sie den Wettbewerb auch inhaltlich zwischen ihrer Partei und der AfD sucht. Selbst wenn ich sie dafür verachte: sie hat aus Sicht der Linken Recht. Was m.E. wiederum Teil des Problems ist, aber das ist eine andere Geschichte.)

Ich habe mich in jener Veranstaltung dann dahingehend geäußert, wie ich auch hier schon das eine oder andere Mal schrieb - dass ich den Aufstieg der AfD eben eher unter dem Stichwort "autoritär" als unter dem "populistisch" sehe. Und dass einiges an den Zahlen, besonders krass in Österreich und den USA, wo ja ebenfalls autoritäre Nationalisten sehr erfolgreich sind gerade, dafür spricht, dass sie vor allem Männer ansprechen, die nicht klarkommen damit, dass die Welt sich zu ihren Ungunsten verändert: weil sie weiblicher und bunter geworden ist. Weil, verkürzt ausgedrückt, in diesem Land das biodeutsche Patriarchat sein Rückzugsgefecht führt.

Und war überrascht, mit welcher Massivität mich mein Parteifreund und Präsident meiner Landessynode, Andreas Tietze, hinterher anging. Er scheint auch ein Anhänger der "Sozialthese" zu sein (so hab ich seine Kritik verstanden), meinte, die Zahlen für Mecklenburg gäben die Männer-Frauen-Analyse nicht her.

Wer hat eigentlich Männern das Wahlrecht gegeben?
Für Mecklenburg und Berlin habe ich mir genau die Frage darum noch einmal angeguckt, welche "Abgehängten" denn nun AfD wählen. Und um meine These und Schlussfolgerung gleich vorweg zu nehmen: Das ist dann eben so.

Die werden "wir" auch nicht zurück gewinnen. Die historische Leistung von SPD und CDU, sie irgendwie mitzuvertreten und "einzuhausen", können (CDU) oder wollen (SPD) die beiden Parteien nicht mehr leisten, nur noch die Linke schafft das teilweise, was ich ihr trotz aller Kritik an ihr hoch anrechne. Politisch denke ich, wir werden damit leben müssen, dass die Deplorablen, also die, bei denen jedes Argument hoffnungslos scheitert und die sich - bewusst oder unbewusst - außerhalb eines demokratischen Konsenses bewegen, für die Zukunft dieser Gesellschaft verloren sind. Was individuell tragisch ist, ja. Aber nicht zu ändern. Wer sich nicht verändern will, wenn die Welt sich weiterdreht, wird eben zurück bleiben (das meine ich nicht sozial, das ist ein anderes Thema; aber politisch und von der Machtverteilung).

Es ist nun mal nicht zu ändern und logisch, dass heterosexuelle, weiße Männer die Verlierer der Veränderungen sind, die unsere Gesellschaften durchmachen. Und das unabhängig von der sozialen Frage (weshalb es auch nicht ungewöhnlich ist, dass auch Professoren und andere Eliten, die nun von ihren Privilegien abgeben müssen, zu den Führern der neuen Autoritären gehören). Denn wenn die systematische Diskriminierung von Frauen, Nichtweißen, Schwulen etc. zurück geht, wenn mehr Frauen, Nichtweiße, Schwule etc. in Führung- und Machtpositionen kommen, dann kommen logischerweise weniger heterosexuelle weiße Männer in diese Positionen als bisher (zwar immer noch weit mehr als ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht – aber eben weniger als bisher).

Die hoffnungslosen Fälle
Es ist super interessant und auffällig, dass alle anderen Parteien mehr oder weniger gleichmäßig in den verschiedenen Demographien punkten (abgesehen von den Grünen, die auffällig weniger Wählerinnen mit niedriger Formalbildung haben). Nur die AfD hat in zwei Fragen eine Unwucht: bei der "Klasse" und beim Geschlecht. Ersteres, so denke ich, weil SPD und CDU ihre Bindungskraft verloren haben und die Linken nur einen Teil auffangen können. Letzteres wäre aus meiner Sicht ohne die These von den "Modernisierungsverlierern" nicht zu erklären (außer wir würden annehmen, dass Männer an sich im Schnitt dümmer und/oder autoritärer sind).


Es klingt vielleicht der einen oder anderen zu resigniert – aber wenn ich mir diese Statistiken ansehe und wenn ich dem einen oder anderen Mann, der die Autoritären wählt oder mit ihnen liebäugelt, zuhöre, dann denke ich nicht, dass wir diese Männer für das Projekt Gesellschaft und für die Demokratie zurückgewinnen können.

Keine Teilhabe? Das ist gut so!
Bei denen, die den Dialog mit den Feindinnen unserer Gesellschaft und den Verächterinnen der Demokratie suchen, also mit den Autoritären, höre ich immer wieder, dass ein Problem sei, dass eben einige Gruppen von der Teilhabe am öffentlichen Diskurs, am politischen Prozess ausgeschlossen seien – und dass dieses ein Problem sei, das von der Interessenvertretung der Autoritären, der AfD adressiert werde.

Mir kommt es so vor, als ob das zwar einerseits stimmt – aber andererseits eben auch irrelevant ist. Wer kein Interesse hat, die Veränderungen, die sich in der Gesellschaft ergeben (und für die viele Menschen auch aktiv und lange gekämpft und gearbeitet haben), zu gestalten; wer also eigentlich nur zurück will in einer Zeit, in der alle Macht bei weißen heterosexuellen Männern lag, ob in der Familie, im Job oder in der Gesellschaft; wer autoritär und reaktionär ist – wo soll der Sinn darin liegen, diese Leute auch noch aktiv zu beteiligen? Ja, vielleicht ist es gut, dass sie ein Sprachrohr haben, dass ihre Vertretung in den Parlamenten ist. Aber damit ist dann auch genug.

Lieber die Gesellschaft weiter umbauen
Ich kann verstehen, dass CDU und SPD (und mit Abstrichen auch die Linken) nervös werden. Ich kann es nicht verstehen, wenn das – wie beim Parteifreund Tietze – auch Grünen oder FDP-Leuten passiert. Aber muss die Antwort auf die Herausforderung durch die Autoritären, die gerne wollen, dass ein alltagsrassistisch geprägtes Patriarchat aufrecht erhalten wird, nicht sein, den Umbau der Gesellschaft zu beschleunigen und froh und optimistisch in die Zukunft zu schauen? Müssen wir nicht wieder dazu kommen, die zwanzig bis dreißig Prozent Männer, die auf diesem Weg nicht mitgehen wollen, eben einfach zurück zu lassen? Als Gesellschaft werden wir das überleben. Und diese Männer werden es – Sozialstaat, den wir trotz aller Probleme und Einschnitte immer noch haben, sei Dank – ebenfalls überleben.

Blick nach Norden und nicht nach Österreich und Frankreich
Bei allen Problemen, die auch die nordischen Gesellschaften mit den autoritären Modernisierungsverliererinnen haben: Es ist und bleibt doch interessant, dass anders als in Österreich und Frankreich, wo die demokratischen Parteien sich von den autoritären treiben lassen, der Umbau der Gesellschaft weitergeht. Siehe das Grundeinkommenexperiment trotz der starken autoritären Partei in Finnland.

Die hoffnungslosen Fälle werden wir ohnehin nicht mitnehmen können. Die einzige vernünftige Antwort auf die Erfolge der AfD scheint mir zu sein, mehr Feministinnen, mehr offen Homosexuelle, mehr Einwanderinnen in Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu bringen. Weil wir verdammt noch mal 2016 haben. Und mit den Autoritären zu streiten – nicht aber den Dialog zu suchen. Denn verloren haben wir sie ohnehin. Unser Streit mit ihnen zielt auf die andere Hälfte der AfD-Wählerinnen – die Hälfte, die für diese Gesellschaft noch nicht verloren ist.


tl;dr
Wir werden die 20 bis 30% Männer zurück lassen müssen, die nicht mit uns in die Zukunft gehen wollen sondern sich als Verlierer gefallen.


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* Zur Überschrift siehe irgendwas zu Clintons basket of deplorables, beispielsweise eine Einordnung bei Vox.com. Die Überlegung dahinter – dass die Hälfte der Unterstützerinnen Trumps im Grunde hoffnungslose Fälle sind, weil rassistisch, homophpb, islamophb etc. – finde ich wichtig und richtig.