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20.6.23

Realität

Manchmal frage ich mich, ob ich der einzige bin, der manchmal denkt, wenn er Nachrichten aus der US-Politik hört, dass es um President Dalton geht. Wobei mit der inzwischen sechsten Staffel langsam die Trauerphase einsetzt, darüber, dass es fast vorbei ist.

Jedenfalls ist Madame Secretary für mich ein ziemlich immersives Erlebnis. Das geht mit nicht immer so mit intensiven Geschichten, aber doch immer wieder. Es ist irgendwie so haarscharf an der Realität, wie es sich ein Mensch, der sich für Politik doll interessiert, vorstellen kann. Und als jemand mit erwachsen werdenden Kindern, der dazu noch Theologe ist, habe ich so viele weitere Anknüpfungspunkte. Vielleicht liebe ich es darum so. 

Nur, dass ich ein bisschen aufpassen muss, es nicht mit der echten Realität zu verwechseln. 

14.6.17

Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen

Vorweg

Im Grunde bin ich Arte und dem WDR ja dankbar. Denn sie hätten die unliebige Dokumentation über den alltäglichen Judenhass und Antisemitismus in Europa auch irgendwann um 1.30 Uhr senden können. Aber da sie den Streisand-Effekt offenbar nicht kannten, haben nun viele diesen Film gesehen, der immer wieder auf YouTube auftaucht und den einige, ich auch, auf ihrer Festplatte haben. Und das ist gut so, weil so die Chance besteht, den Stand der Antisemitismus-Diskussion mehr Menschen zugänglich zu machen. Vor allem solchen, die weit von sich weisen, Antisemiten zu sein, obwohl sie es sind.

Es gibt eine Form des Antisemitismus, die ich gut kenne – weil ich in ihr aufgewachsen bin und sie in meinem Umfeld auch heute noch weit verbreitet ist. Darum schreibe ich hier über diese Form.

[Was nicht heißt, dass der klassische rechte oder islamische Antisemitismus weniger schlimm wäre. Ich kenne ihn nur nicht so gut aus eigenem Erleben, denn ich kenne nur wenige Nazis und ebenfalls nur wenige gläubige Moslems.]

Und zusätzlich verweise ich mit großer Zustimmung auf eine Rezension und kurze erste Einschätzung der Doku und ihrer Stärken und Schwächen bei meinem Lieblingskonservativen Philipp Kurowski, Pfarrer an der Küste (wir haben gleichzeitig Theologie studiert, kommen aus diametral entgegengesetzten Ecken der evangelischen Kirche und oft zu theologisch und politisch sehr gegenteiligen Schlüssen, beschäftigen uns aber seit vielen Jahren mit den gleichen Themen und für mich ist Philipp eine sehr wichtige und mehr als nur geschätzte Stimme).

Das ist doch nicht antisemitisch

Es ist beim linken, linksliberalen und evangelischen Antisemitismus total faszinierend, dass er so auffallend blind ist dafür, dass er eben dieses ist: Antisemitismus. Während es im emanzipatorischen Diskurs normalerweise als selbstverständlich gilt, dass Rassismus oder Sexismus auch da existieren, wo sich Menschen dessen nicht bewusst sind, soll das ausgerechnet beim Antisemitismus anders sein? Oder wie soll ich die wütende Empörung interpretieren, wenn ich ihre Vertreterinnen darauf hinweise, dass sie antisemitisch reden (oder handeln)?

Bei allen Schwächen der Dokumentation (vor allem, darauf weist ja Philipp auch richtig hin, die Skandalisieren und Pauschalisierung, ohne die, denen Vorwürfe gemacht werden, zu Wort kommen zu lassen) ist eine ihrer größten Stärken aus meiner Sicht, dass sie solide durchargumentiert, wieso obsessive Israelkritik sich komplett in antisemitischen Mustern und Denkformen bewegt.

Der Schlüssel ist dabei hier das Adjektiv: obsessiv. Denn anders kann nicht beschrieben werden, mit welcher Vehemenz und in welcher Menge Israel für seine Kritikerinnen Thema ist. Objektiv betrachtet ist das Palästina-Problem etwa mit dem Kosovo-Problem vergleichbar. Die Aufmerksamkeit aber für Palästina und Israel ist so übersteigert, dass sie einer Sucht gleicht. Diese Obsession ist meines Erachtens die moderne Spielart des "ewigen Juden" und der ewigen Schuldfrage. Sobald die Judenfrage gelöst ist, ist der Terror, der Kapitalismus, der Nahostkonflikt, *setze ein beliebiges Problem ein* gelöst.

Die Projektion

Der linke, linksliberale und evangelische Antisemitismus kommt aus einer Haltung der Solidarität mit den Unterdrückten. Und äußert sich in dem Entsetzen, dass doch "gerade die Juden", an denen ja der Holocaust verübt wurde, es besser wissen müssten. Auch hier haben wir es wieder mit einer Obsession zu tun – mit der absurden Vorstellung, dass das Feuer des Holocaust aus seinen Opfern bessere und beste Menschen gemacht haben muss. Im Kern geht es dann eben doch um das bittere, zynische Wort, dass die Linke den Juden den Holocaust einfach nicht verzeihen kann (so eben zynisch und falsch dieser Satz ist).

Am Ende ist es eine obsessive Projektion und eine Opfer-Täter-Umkehr, aus dem unendlichen Leid, das dem jüdischen Volk zugefügt wurde, zu schließen, dass der Zufluchtsstaat eben dieses Volkes eine besondere moralische Verantwortung habe und unter besondere Beobachtung gestellt gehöre, ob er dieser besonderen Verantwortung auch gerecht werde. Und aus dieser obsessiven Projektion heraus wird einem einzigen Staat auf der Welt das verweigert, was für alle anderen Staaten als selbstverständlich gilt: dass er sich verteidigen darf, wenn er angegriffen wird. Wo dieses aus radikalen pazifistischen Gründen so ist, ist die Situation etwas anders – denn eine Pazifistin kann und wird auch den Krieg der Nachbarn und die militärische Instrumentalisierung der Palästinenserinnen genau so heftig kritisieren. Oh, das passiert nicht? Also doch Antisemitismus?

Seht welch ein Mensch

Die Wurzel des linken, linksliberalen und evangelischen Antisemitismus, die ich biografisch am besten kenne, kommt aus der Anti-Apartheitsbewegung. Schon zur Hochphase der Solidarität mit dem ANC und mit Mandela in Deutschland, beispielsweise beim Kirchentag 1987 in Frankfurt, war Israel für die Gruppen, in denen ich als Kind und Jugendlicher sozialisiert wurde, und war Israel sehr explizit für meine Eltern immer auf der gleichen Stufe wie Südafrika. Der Südafrika-Boykott wurde schon damals von weiten Teilen der kirchlichen Dritte-Welt-Arbeit (so hieß das damals noch) mit einem Israel-Boykott verbunden. 
Darum bin ich auch ein bisschen skeptisch ob der oben verlinkten Stellungnahme von "Brot für die Welt" zur Dokumentation – mein Erleben spricht nicht dafür, dass evangelische Eine-Welt-Arbeit und die aktuelle Antisemitismus-Diskussion sich auf der gleichen Wellenlänge befinden.

In diesem als Israelkritik getarnten Antisemitismus evangelischer Prägung lebt der alte Urmythos des christlichen Antisemitismus weiter, dass "die Juden" unseren Christus umgebracht haben. Was im Mittelalter zu den regelmäßigen Karfreitagspogromen führte, angestiftet von den liturgischen Improperien, die in meiner Heimatgemeinde mit all ihrem Judenhass weiterhin jeden Karfreitag gesungen werden (und wo der ehemalige Pfarrer, der heute persönlicher Referent des Landesbischofs ist, auch nachdem ich mit ihm drüber sprach, jeden Antisemitismus in diesen Texten zurückwies. Kann ja nicht sein. Er ist schließlich selbst Minderheit und mit Opfern solidarisch. QED).

Spätestens seit dieser Zeit, der Südafrika-Aktivisten-Zeit, sind im links-evangelischen Spektrum erstaunlich viele mehr oder weniger engagierte Leute wie beispielsweise mein Vater offene Antisemiten – und würden es doch weit von sich weisen. Gefestigt durch solidarische Reisen in palästinensische Partnergemeinden. Und selbst nicht-interpretationsfähige Sätze sah mein Vater nie als antisemitisch (beispielsweise als er mich raunend warnte, damals, als ich 2006 bei Edelman anheuerte, dass ja die Unternehmenskultur "bei den New Yorker Juden" ein bisschen besonders sei).

Diese Muster finden sich rauf und runter in den Szenen, in denen ich mich mein Leben lang bewegt habe - bei Sozialdemokratinnen, Grünen, Linken, links-evangelischen Christinnen. Nicht bei allen, wahrscheinlich nicht mal bei der Mehrheit. Aber doch bis in viele Gremien und Medien hinein stilbildend. Gemeinsam haben sie, dass sie Antisemitismus schrecklich finden und verdammenswert. Und dass sie nicht sehen, dass ihre Solidaritäts- und Boykottmuster eben dieses sind: Antisemitismus.

Die Dokumentation

Das macht für mich auch verständlich, warum die Judenhass-Dokumentation so irritiert und nicht gesendet wird: weil sie die eigenen Gewissheiten einer sich auf der richtigen Seite (der guten, der Seite der Unterdrückten) wähnenden Haltung in Frage stellt. Weil es in den letzten Jahren nicht gelungen ist, die Ergebnisse der Antisemitismus-Forschung und -Diskussion bis zu ihnen zu tragen.

Bei allen berechtigten Kritikpunkten an der Dokumentation ist das aber eine Leistung, die sie erbringt: den Stand der Forschung und Diskussion zusammenzufassen und solide durchzuargumentieren. Sagte ich ja oben bereits beim Thema Obsession. Gilt aber auch für andere Bereiche.

Mich hinterlässt das, obwohl für mich persönlich nur wenig inhaltlich Neues dabei war (außer die Musikdinge und einiges zu Frankreich), traurig und auch ein bisschen verstört. Was für eine Doku ja nicht das Schlechteste ist.

28.4.17

Rossballett

Das Requiem gehört (neben den Streichquartetten aber die auch nur vom Alban-Berg-Quartett gespielt) zu den wenigen Werken von Mozart, die ich immer und uneingeschränkt liebte. Und es bleibt für mich ein unvergessenes Erlebnis, als wir das mit unserer Kantorei damals sangen.

Als Rossballett ist es noch etwas besondererer, oder? Irre. Love it.

26.7.13

Das Ende der Mangelmedien

Diese Woche wird uns später als die Woche in Erinnerung bleiben, in der das Ende der Medien offensichtlich wurde, deren Modell darauf beruhte, dass Raum oder Zeit knapp und ein Mangel war. Offensichtlich auch für die, die sich bisher nicht so intensiv damit beschäftigt haben.

Erst stellt Google ein USB-Stick-großes Dingens vor. Und dann verkaufte (oder präzise: versucht zu verkaufen) Axel Springer fast alle seine Print-Titel. Letzteres mit enormem Echo in meinem mediennahen Resonanzraum und initialer Schockstarre bei fast allen Journalistinnen oder Ex-Journalistinnen in meinem Umfeld. Ersteres, so scheint mir, noch fast unter dem Radar.

Warum soll dies das Ende der alten Medien sein?
Mehr noch als den Abschied Springers von Print (dazu gleich) stellt meines Erachtens das kleine, billige Gerätchen, das an den HDMI-Anschluss des großen wohnzimmerdominierenden Bildschirms gedongelt werden kann, den größten Schritt zur Veränderung der Mediennutzung dar seit der massenweisen Einführung von Kameras, die dauernd online sind (Smartphones). Denn damit wird nun endlich für viele Menschen dieser große Bildschirm von seiner Abhängigkeit vom Zeitmangel befreit.

Lineares TV (also bewegte Bilder, die an einem vom Sender definierten Zeitpunkt übermittelt werden, we called this früher "Fernsehen". Früher, als man fett noch mit o geschrieben hat*) überlebte die letzten Jahre trotz seiner eigentlich absurden Eigenschaften vor allem deshalb, weil die allermeisten Leute nicht in der Lage waren, die Inhalte auf den zentralen Bildschirm ihrer Wohnung zu bekommen, die sie wirklich interessieren. Einige von uns experimentierten mit Apple-TV, aber eigentlich ist das doof - denn es geht nur mit Apple. Und nur mit iTunes. Und iTunes ist inzwischen doof, weil es nicht mehr wirklich mit Medienservern zusammenarbeitet und so weiter. Technikgedöns. Am Ende hat bisher nur die Bequemlichkeit ein an sich kaputtes Medienkonzept gerettet. Denn logisch ist es schon lange nicht mehr.

Wenn dieses HDMI-Dongel von Google tatsächlich kann, was sie behaupten, wäre dies der Einstieg darein, dass der große Bildschirm nicht mehr von Mangel bestimmt wird (dem herausragenden Merkmal linearen TVs - limitierte Sendezeit, limitierte Sender, limitierte DVD-Sammlung) sondern von der Fülle des prinzipiell unendlich großen Speicherraumes Internet.

Für Deutschland heißt das schon in sehr naher Zukunft (also noch dieses Jahr) aus meiner Sicht, dass die ohnehin schon gigantische Reichweite der neuen Sender, die aus dem Zusammenschluss von Künstlerinnen auf YouTube entstanden sind (Ponk, Magnolia etc), weiter explodieren - und vor allem den zentralen Bildschirm der Wohnung erobern wird. Heute schon haben diese neuen Sender eine höhere Reichweite als die klassischen TV-Sender-Familien. Und das bisher noch ohne den großen Bildschirm.

Die linearen TV-Anbieter haben sich ja darauf schon lange eingestellt, indem sie sich auf die einzige Systemstärke ihres Modells zurück besonnen haben: Dass es auf elegante Weise ermöglicht, "fern" zu "sehen". Event-Fernsehen (Livesport, Liveshows etc) sehe ich als einzige echte Chance und Nische dieser Sender.

Und was ist mit Tee?
Einen Tag später dann verabschiedet sich Springer von Print. Und behält nur die Print-Titel, die sie mehr oder weniger erfolgreich zu multimedialen Marken ausgebaut haben. Der Kaufpreis, der dem zehnfachen Gewinn dieses Bereichs entspricht, legt nahe, dass Springer Print keine zehn Jahre mehr gibt.

Nun ist Print an sich nicht tot. Im Gegenteil. Aber der Teil von Print, der sein Modell auf Mangel (an Zeit, an Papier etc) aufbaute, ist irrelevant geworden. Warum eine Auswahl alter Nachrichten auf Papier? Wofür sollen wir mittelfristig noch Zeitschriften brauchen, die durch lineares TV navigieren (siehe oben)? Was soll eine veraltete Auswahl statischer Abbildungen von Entertrainment-Inhalten, die von den Stars vor mehreren Tagen selbst via Tumblr, Instagram, Facebook und Co veröffentlicht worden sind?

Man muss Springer nicht mögen, um anzuerkennen, dass sie dort nicht dumm sind. Ich bin unsicher, ob sie erfolgreich sein können mit dem, was sie da versuchen - aber sie haben erkannt, dass sie jetzt die Reißleine ziehen müssen. Und allen anderen deutlich gemacht, dass Medien in Zukunft nicht auf dem Modell "Mangel" werden basieren können.


tl;dr
Lineares TV und Print haben weitere Sargnägel verpasst bekommen. Und Springer weiß das.


* komplett ohne einen tieferen Sinn. Ich liebe diesen Spruch, den meine Schwiegermutter von ihrer Großmutter, Pfarrfrau in Hessen, hat.

22.3.13

Polarisierung

Mir scheint, dass zunehmende Polarisierungen ein Zeichen für Zeiten des Umbruchs sind. Vor allem, wenn Polarisierungen nicht mehr entlang der erwartbaren Linien verlaufen, sondern ich heute laut und stark mit welchen auf einer Seite der Linie stehe - und morgen mit anderen zusammen auf einer Seite einer anderen Linie.

Jahrelang habe ich mich geweigert, in die radikale Rhetorik vieler Beraterinnen, die Social Media für sich entdeckten, einzustimmen. Denn die ersten zehn Jahre haben neue (und eigentlich sehr alte, geradezu retroartige) Plattformen und Netzwerke keinen wirklichen Umbruch in der Kommunikation oder gar der Gesellschaft bedeutet.

Denn ich bin vollkommen beim großartigen Clay Shirky, der sagt: "Revolution doesn't happen when society adopts new tools. It happens when society adopts new behaviors". Und genau das passiert jetzt.


An zwei kleinen Geschichten wurde mir deutlich, wie sehr auch im Kommunikations- und Medienzirkus auf einmal alte Linien zerreißen und alte Reihen durcheinander gewirbelt werden. Niveas Stresstest. Und Katja Riemanns TV-Auftritt.

Beide Geschichten haben in meinem Umfeld massiv polarisiert. In beiden Fällen gab es wenige, die ruhig blieben. Und in beiden Fällen verlief die Polarisierung quer zu den üblichen Seilschaften, Freundschaften, Übereinstimmungen.

Die einen fanden den Nivea Stresstest großartig und genial und super passend für die Marke.
Die anderen peinlich und übergriffig und vollkommen unpassend für die Marke.
Und sagten das jeweils sehr laut und bestimmt.



Die einen fanden die Riemann unmöglich, peinlich und zickig.
Die anderen den Moderator überfordert, unmöglich.
Und sagten das jeweils sehr laut und bestimmt.



Und in beiden Fällen fanden sich in beiden "Lagern" Leute, die ich sehr schätze und für professionell, schlau, geschmackvoll, kreativ und so weiter halte.

Vielleicht gab es und gibt es das auch schon vorher immer wieder, vielleicht bin ich in meiner Resonanzblase gefangen - aber so extrem ist es mir lange nicht aufgefallen. Dass ich nicht vorhersagen konnte, wie geschätzte Kolleginnen etwas sehen, zu dem auch ich eine starke und polarisierende Meinung und Haltung entwickelte.

Wenn alte Lager sich auflösen und noch keine neuen entstehen, dann ist eine Zeit des Umbruchs.

7.11.12

Was haben wir gelacht

Nein, ich verlinke das nicht. Aber in Wellen geistern immer wieder mehr oder weniger sehr peinliche, meistens mit Sprechgesang schlechterer Ausprägung, fast immer mit hölzernen selbstgemachten Texten versehene Videos durch das Internetz, in denen meist junge Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten, zeigen, wie geil es da ist, wo sie arbeiten.

Sei es der legendäre Praktikumsrap eines Münchner Autoschraubers, seien es Trainees einer lokalen Bank in einem von vielen eh als mittelpeinlich eingeschätzten Bundesland, seien es irgendwelche Klöpsebrater.

Ja, ich gebe zu: einige dieser Videos konnte ich nicht länger als - sagen wir mal - fünfzehn Sekunden ansehen, bevor ich es nicht mehr ertrug. Und ja, über das eine oder andere habe ich (schadenfroh) gelacht. Und manche bekommen auch Preise der Onliner für besonders unterirdische Performance.

Die Fachwelt ist sich fast immer sofort einig: Das geht gar nicht, das ist schlimm, das schadet den Unternehmen. Ich bin da nicht (mehr) so sicher.

Denn was wir Onliner gerne vergessen, ist, dass wir mit diesen Videos gar nicht adressiert werden, dass es nicht um uns geht (huch, obwohl die online sind!). Sicher gibt es unter den unterirdischen Ergüssen solche, die wirklich schlecht sind - aber nicht jedes Video, das wir lächerlich finden, ist schlecht. Zumindest schlecht in dem Sinne, dass es seine Ziele verfehlt.

Eines der berühmteren Videos beispielsweise hat - obwohl verlacht und beschimpft und oberpeinlich - tatsächlich in der Zielgruppe, um die es ging, eine ganz andere Reaktion hervorgerufen: Die Anzahl der Bewerbungen junger Leute, vor allem der passenden und qualifizierten, ging in den Wochen nach dem Erscheinen des Videos deutlich nach oben. Und bei jeder Welle, die das Video seitdem wieder auslöst (denn dauernd entdecken es neue Experten), ist es das gleiche: Bewerbungen nehmen zu.

Dieses Video ist also extrem erfolgreich und - anders als wir dachten - ein "best case", allen Negativpreisen zum Trotz.

Mein Eindruck ist, dass die "Erwachsenen", die über grauenvolle Videos beispielsweise von Azubis zu Recruitingzwecken anderer Azubis lachen, eigentlich eine erstaunlich mangelnde Medienkompetenz an den Tag legen. Und das Format Video und wie es bei der nächsten Generation funktioniert, tatsächlich nicht verstehen. YouTube vielleicht sogar vor allem für eine Plattform halten, auf der man als Unternehmen oder Marke Videos einstellen kann. Und nicht für einen Videokommunikationsraum einer anderen Generation, für die lineare Fernsehen zu einem Nebenbeimedium geworden ist. Die Acta-Mobilisierung lässt grüßen.

Was ich mir manchmal wünsche (und - das muss ich fairerweise sagen - vornehme), ist etwas mehr Demut in der Aburteilung von Kommunikation, die uns alten Leuten nicht gefällt und absurd vorkommt. Und etwas mehr Staunen vor dem, was unsere Kinder machen, wie sie reden, was sie lustig finden - und wie ihre Aufmerksamkeit funktioniert, wie sie ihre Sympathien verteilen und was sie dazu bringt, aktiv zu werden. Und sei es, sich für ein Praktikum zu bewerben.

12.10.12

Kinderschutz im Internet

Nicht nur ich bekomme heute Alarm von anderen Eltern, denke ich. Nach der - übrigens, wie ich finde, sehr, sehr guten und gerade nicht alarmistischen - Doku im ZDF über die Verbrechen an Kindern, die von Perversen über Chatportale angebahnt werden.
Bevor ihr auf den Link klickt: Eine Warnung davor, dass das wirklich harter Stoff ist. Ich finde es richtig so, aber wer Kinder hat, wird mehr als nur einmal schlucken und Angst und Ekel empfinden. Ausdrücklich also keine Anschauempfehlung!
Im Kern geht es darum, dass gerade in so genannten "Chatrooms" und gerade in denen, die explizit für Kinder angeboten werden, tatsächlich in eher hoher Zahl Erwachsene gezielt sexuelle Kontakte zu Kindern und Jugendlichen suchen und Verbrechen begehen. Meine Kinder davor zu schützen, ist mir wichtiger als nahezu alle anderen Dinge rund um Medienerziehung und Internet.

Das erste Problem, das ich sehe, wenn ich mir anhöre, wie (andere) Eltern auf solche Dokus und auf die eine oder andere alarmistische Aufklärung reagieren, ist jedoch, dass viele in eine Art Angststarre fallen. Oder - wie auch in einem Beispiel in der Doku, das dramatisch ist - aus Verzweiflung und Unwissenheit das Kind mit dem Bad ausschütten. Und das zweite Problem ist aus meiner Sicht, dass viele Eltern - und in der Doku ein Polizist in einer Schülerinnenfortbildung - Dinge zusammen mengen, die nicht zusammen gehören.

Welche Empfehlung kann ich anderen Eltern geben - basierend unter anderem auf dem, womit ich auch selbst gute Erfahrungen gemacht habe?

1. Unterscheidet zwischen Chatprogrammen und Chatportalen
In der Panik und Diskussion wird immer wieder leichtfertig von "Chat" geredet. Oder von Sozialen Netzwerken. Aber das ist so falsch. Programme wie Windows Live (in der Doku als MSN bezeichnet) oder Skype kann ich so einstellen, dass mich dort niemand finden kann. Ich habe mit meinen Kindern die Verabredung, dass sie dort die Menschen zufügen, die sie aus der Kohlenstoffwelt kennen. Aus einem Spiel o.ä. dürfen sie nicht in diese Programme wechseln, wenn sie die Gesprächspartner nicht aus der Kohlenstoffwelt kennen. Das haben sie auch verstanden, nachdem einem meiner Jungs mal von einem Betrüger, den er auf Skype zugelassen hatte, sein Account bei einem Online-Rollenspiel leergeräumt worden war. Glücklicherweise nur ein Eigentumsdelikt und nicht mehr - so haben sie es auf die nur halb harte Tour gelernt.

Die Gefahr ist immer dann am größten, wenn von einem Kanal auf den anderen gewechselt wird - also wie in der Doku beschrieben beispielsweise von knuddels.de in Skype oder Windows Live. Nur, wenn wir Eltern uns mit all dem beschäftigen, können wir unseren Kindern helfen, dies zu verstehen und zu vermeiden. Nur, wenn wir ihnen erlaubte Wege aufzeigen, mit ihren Freundinnen aus der Kohlenstoffwelt auch online zu sprechen, werden wir hier die Spielregeln und Grenzen mitgestalten können.

Chatportale verbiete ich meinen Kindern. Punkt. Es gibt für Kinder und Jugendliche unter 14 keinen Grund, warum sie dort sein müssten. Mit den Kindern in ihren Klassen können sie andere Kanäle nutzen, in Hamburg auch ein schulinternes System. Zugleich erlaube ich ihnen, auch dem Zehnjährigen, Skype, WhatsApp und Windows Live. An ICQ haben sie kein Interesse, das ist bei uns in der Gegend out.

2. Unterscheidet zwischen (anonymen) Chatportalen und (pseudonymen) Netzwerken
Ich sehe sehr vieles sehr kritisch, wenn es um Facebook geht - aber es wie in der Doku, und das ist meine einzige kleine Kritik an ihr, in einem Atemzug mit Chatcommunitys zu nennen, ist unfair und sachlich falsch und gefährlich. Das Besondere an Facebook und vergleichbaren Netzwerken, wenn es irgendwann mal wieder welche geben sollte, ist, dass die Chatkommunikation eingebettet ist in Profile und öffentliche oder halböffentliche Kommunikation.

Ja, auch dort gibt es Perverse, auch dort gibt es Fake-Profile. Aber die soziale Kontrolle ist größer. Alle Freundinnen meiner Kinder können sehen, mit wem sie noch so befreundet sind, chatten kann mit ihnen nur, mit wem sie befreundet sind, ich kann sehen, mit wem sie befreundet sind - und ich kontrolliere das auch. Alle Handlungen auf Facebook sind mit einem Profil verknüpft. Was immer ich - auch, wenn ich pseudonym unterwegs bin - dort mache, bekommen meine Kontakte mit oder können sie mitbekommen. In Facebook gibt es, anders als die angststarren Menschen, die es nicht kennen, behaupten, keine Anonymität. Zu unterscheiden zwischen Anonymität und Pseudonymität, ist wichtig. Und wird in der Diskussion und beim Schutz unserer Kinder immer noch massiv unterschätzt.

Wichtig ist es, die Kinder bei der Anmeldung bei Facebook zu begleiten - und mit ihnen durchzugehen, wie die Einstellungen der Privatsphäre aussehen, wer einen über die Suche finden darf, wer einem Nachrichten schicken darf, wer chatten darf und so weiter. Eltern, die dieses nicht mit ihren Kindern machen, verletzen ihre Aufsichtspflicht. Punkt. Wer also sein Kind nicht aktiv bei der ersten Nutzung von Facebook unterstützt, macht sich mitschuldig an den Verbrechen und Übergriffen.

3. Seid da und ansprechbar
Nicht alle Eltern haben die Chance, so viel online zu sein wie ich. Aber wer seine Kinder schützen will und auf eine Erziehung in diesem Bereich Wert legt, kann nicht sagen, er oder sie habe keine Lust dazu. Bedingung dafür, dass meine Kinder mit 13 auf Facebook "dürfen", ist, dass sie mich als Kontakt haben. Meine Zusage ist, dass ich sie dort öffentlich in Ruhe lasse, also nicht kommentiere oder like oder so. Sie nicht "peinlich mache".

Aber so bin ich immer einen Klick von ihnen entfernt. So können sie mich jederzeit anchatten, wenn ihnen etwas komisch vorkommt - also schon bevor es so weit gegangen ist, dass sie sich in irgendwas verstrickt haben. Sowohl auf Windows Live als auch auf Facebook haben sie dieses Angebot auch schon mehrfach angenommen. Und das, obwohl unsere Beziehung oft auch sehr angespannt ist, wie es zwischen pubertierenden Jungs und ihren Vätern so ist. Ich habe auf dem Smartphone den "Facebook Messenger" installiert, bin also auch für sie da, wenn ich nicht stationär online bin. Und da ich weiß, dass sie mich nur anchatten, wenn es wirklich brennt, haben sie auch Priorität.

Nur, wenn wir Eltern uns öffnen für die Kommunikationsbedürfnisse und Unterhaltungsbedürfnisse unserer Kinder und Jugendlichen, werden wir sie unterstützen können, wenn sie in schwierige oder bedrohliche Situationen kommen. Das ist so wie in der Kohlenstoffwelt. Und Thomas Pfeiffer, der ich ohnehin sehr schätze, hat in der Doku vollkommen Recht, wenn er zu einem vernünftigen Umgang mit dem Thema aufruft. Das Beispiel Bahnfahren trifft es: So, wie ich meinen Zehnjährigen nicht alleine zu seinen Verwandten an den Niederrhein mit der Bahn fahren lasse, so lasse ich ihn auch nicht alleine ins Internet. So wie meine Großen in der Lage sind, alleine an den Niederrhein zu fahren und anzurufen, wenn sie da ankommen, mich aber bitten, ihnen bei der Reiseplanung zu helfen, so begleite ich sie in Netzwerke und Programme hinein und gebe ihnen Hilfestellung, wenn sie es wollen und brauchen - aber lasse sie allein "fahren".

Allerdings habe ich - das muss als Einschränkung dazu gesagt werden - bisher nur mit Jungs Erfahrungen gesammelt, dass dies so funktioniert. Quarta ist noch zu jung. Sie ist gar nicht online ohne physische Aufsicht. Ob es mit Mädchen, die ungleich häufiger Opfer von Attacken Perverser sind als Jungs, genau so funktioniert, kann ich nur annehmen - aber nicht aus eigener Erfahrung bestätigen.

Wie macht ihr das? Oder an die, die unsicher sind: Überzeugt euch das? Hilft es euch?

Update 19.10.
Habe ich dann auch noch mal eine Vortragspräsentation zu gebastelt. Halte ich auch mal, wenn ihr wollt.

28.9.12

Spitzers Flurschaden

Meine Weigerung, mich über Herrn Spitzer zu äußern, weiche ich jetzt auf. Dass ich mich über den massiven Flurschaden, den er unter Eltern anrichtet mit seinen TV-Auftritten (von denen ich keinen bisher in längerer als homöopathischer Dosierung online gesehen habe), entsetzt bin, ist der wesentliche Grund. Dabei geht es mir nicht um sein Buch. Das kenne ich nicht, ich habe nur die eine oder andere vernichtende Rezension darüber gelesen.

Zugleich sprach ich mit Menschen, die Herrn Spitzer als Redner auf Konferenzen zu anderen Themen erleben und ihn großartig finden. Und auch in diesem kurzen Backstage-Gespräch vor einem Doppelauftritt zweiter Professoren ist er mir sympathisch und hat er mit sehr vielem Recht.



Er mag sogar, alle Polemik einmal beiseite gelassen, mit vielen in seinem Buch Recht haben. Und - und hier beginnt dann der Übergang zum Flurschaden - er adressiert eine reale Angst meiner "Peergroup", also akademisch geprägter Eltern der oberen Mittelschicht.

Ich nehme ihm und anderen ab, dass es ihnen Ernst ist mit den Warnungen. Und anzunehmen, es wäre für die Entwicklung von Kindern (und für das Leben von Erwachsenen) nicht schädlich, wenn sie auf Sinneseindrücke wie Lesen (mit Bildern, die im Kopf entstehen und der unendlichen Langsamkeit der Geschichten, wenn ich sie lesen muss), Hören (ohne Bilder), Atmen (die Düfte der Stadt und des Landes), Laufen (Untergründe, Atemnot, Schweißgeruch), Verkriechen (Enge, Dunkelheit) verzichten, ist so grotesk wie eben ja eindeutig falsch. In all dem hat Recht, wer kritisiert, dass Kinder, Jugendliche, Erwachsene stundenlang "vor dem Computer sitzen".

Und ich verstehe sogar den volksgesundheitlichen Ansatz, eine (geringe) Mediennutzungszeit als allein gesund zu bezeichnen - jene berühmten "30 Minuten", mit denen wir Eltern immer wieder unbelegt als "gutes Maß" konfrontiert werden. Denn wenn dies hilft, dass Menschen, die ihre Kinder  - wie schon in meiner Kindheit übrigens teilweise - vor dem Fernseher parken, über ihr Verhalten nachdenken oder - und sei es durch ein schlechte Gewissen - deshalb einmal im Monat mit ihnen auf den Spielplatz gehen, ist viel erreicht. Und fast möchte ich sagen, dass der Kollateralschaden unter naiven Akademikerinnen  mir dann auch egal sein kann - wenn da nicht ihre Kinder wären, die darunter zu leiden haben. Und die durch ihre Eltern die Erfahrung eingeimpft bekommen, dass Erwachsene eben dies sind: naive Schwachköpfe, die angelogen werden wollen und zu doof sind, ihre Regeln (a) selbst zu befolgen - denn sie sind selbstverständlich immer online - oder (b) durchzusetzen oder technisch zu kontrollieren.

Ich bin der letzte, der für laissez-faire in der (Medien-) Erziehung plädiert. Aber ich bin der allerletzte, der absurde und sozial in ihrer Umgebung absonderliche Mediennutzungen gegen seine Kinder durchzusetzen versucht.

Vielleicht bin ich in einer privilegierten Situation (nein, nicht vielleicht - ganz bestimmt sogar). Denn alle meine vier Kinder und Jugendlichen haben Freundinnen, ein Fahrrad, das sie nutzen, einen (Leistungs-) Sport, ein Instrument und aktiven Zugang zu Büchern, den sie nutzen.

Aber ich lasse mir von anderen Akademikerinnen mit Kindern mit Freizeitstress doch kein schlechtes Gewissen machen, wenn meine Kinder in der Zeit, in der ihre fernsehen, ein MMORG spielen und dabei mit ihren Cousins sprechen, die es auch spielen.

Ich glaube, dass die Thesen von Spitzer und seine TV-Auftritte (Wobei ich es erschreckend finde, wie viele meiner Bekannten den im TV gesehen haben - was für absurden Medienkonsum die also haben müssen, um die Zeit jedenfalls bin ich in der Sauna und rede mit meiner Frau. Oder ich bin noch auf dem Hof nach dem Reiten. Aber das nur am Rande.) Menschen beunruhigen, die es besser wissen könnten. Die nicht gemeint sind oder sein müssten, falls das stimmt, was Spitzer da oben im Gespräch sagt.

Der Flurschaden, den er anrichtet, ist der, dass Menschen, die bisher eher mit schlechtem Gewissen wie ein Ochs vorm Berg vor der Internet- und Computernutzung ihrer (jugendlichen) Kinder standen, nun dieses schlechte Gewissen ablegen und entlastet werden. Dass der Fehler der letzten Elterngeneration mit den "Videospielen" sich wiederholt. Zumal diese Eltern, bei denen Spitzer auf offene Ohren stößt, zugleich nicht willens oder in der Lage sind, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen, um das durchzusetzen, von dem sie bei Stammtischen, Elternabenden und Grillfesten tönen, dass sie es richtig fänden.

Ich denke, dass ich gar nicht weit weg bin von Spitzer. Und auch nicht von den anderen Eltern in unserem Speckgürtel. Nur dass ich von der anderen Seite auf das Thema gucke, ähnlich wie auch im beruflichen Kontext.

Meine Frage ist, ob wir tatsächlich das Thema Medien- und Internetznutzung von den 2-15% pathologischen Fällen betrachten sollen - oder ob wir diese pathologischen Fälle sehr, sehr ernst nehmen müssen, ohne gleich alle zu betrafen oder allen zu unterstellen, dass sie schon halb auf dieser pathologischen Bahn seien.  Ob wir nicht lieber Koinzidenz und Begründung auseinander halten sollten.

Es gibt Studien, habe ich gehört, die zeigen, dass Menschen, die sehr aktiv auf Facebook sind, sich häufiger mit Freundinnen treffen als andere. Toll. Aber im Grunde sagt diese Studie doch nur, dass gesellige Menschen häufiger (auch) auf Facebook sind.

Es gibt mit Sicherheit Studien, dass unter Menschen mit suchtartigem Umgang mit dem Internet sozialer Abstieg und Vereinsamung und ein Nachlassen der Hirntätigkeit häufiger ist als unter anderen. Ja, Aber im Grunde sagt so eine Studie doch nur, dass Menschen mit Problemen häufiger Zuflucht in virtuellen Welten suchen. (Und ja, Spitzer hat Recht, dass dann dieses Symptom kuriert werden muss. Aber das sagt dennoch nichts - und zwar wirklich gar nichts - darüber aus, ob das eine aus dem anderen folgt. Oder gar was aus welchem.)

Ich bin nicht naiv und nicht euphorisiert. Aber ich gucke auf die Chancen und nicht (nur) auf die Risiken. Ich rede mit meinen Kindern über ihre Mediennutzung und auch über ihre Internet- und Spielgewohnheiten. Aber ich entscheide nicht allein und nicht einmal hauptsächlich, was für sie "Qualitätszeit" zu sein hat. Chillen? Lesen? Tanzen? Reiten? - Mir im Prinzip alles Recht. Solange es nicht heimlich passiert. Und sie hin und wieder schlafen, essen und sich bewegen.

***

Gestern Abend sprach ich mit meinem zehnjährigen Tertius ganz lange über Kunst und Stile. Er mochte den Kunstunterricht in der Grundschule nie, denn da sollten sie malen, was er weder mag noch kann, findet er. Aber gestern redeten wir bestimmt eine Stunde lang voller Begeisterung. Er liebt den Kunstunterricht, vor allem die aktuelle Aufgabe für die Studienzeit. Er erzählte, wie sehr ihn der "Schrei" von Munch mitnimmt, wie sehr der ihm Angst macht, je länger er ihn ansieht, wie sehr er reingezogen wird und wie die Details sich zu einem Monster verdichten. Und dann sprachen wir über Picasso. Ich erzählte ihm von meinem Erlebnis vor dem Guernica-Bild. Und er kannte es, aus dem Internet, denn er hatte zu Picasso in Büchern und online recherchiert. Am meisten beeindruckte mich, wie er mir den Kubismus erklärte, ich saß mit offenem Mund in seinem Zimmer auf dem Boden. "Das ist", sagte er, "wie ein Puzzle, wo die Puzzleteile nebeneinander gelegt werden und nicht so rund herum." Das stimmt genau, hätte ich nicht so beschrieben, aber es stimmt. Und die Frage, wie oft Picasso verheiratet war, konnte ihm keines der Bücher in der Schulbibliothek enthüllen. Er hat es aber rausgefunden.

Digitale Demenz sieht anders aus. Tertius verbringt täglich mehrere Stunden mit dem Internet. In der Schule, auf dem iPod und an seinem Computer.

23.3.12

Der Ekel vor dem s

Jede hat ihren blinden Fleck. Etwas, das, gegen alle vermeintliche Vernunft, den Kragen platzen lässt und wo, wie meine Frau es formulieren würde, Toleranz eben mit z endet. Bei mir sind es drei Kleinigkeiten, über die ich schwer bis nicht hinwegsehen kann: falsche Kommata, der falsche Gebrauch von Fremdwörtern - und das Lispeln.

Es ist nicht so, dass ich froh darüber bin, denn es ist schmerzhaft, weil es dir überall begegnet. Aber mich ekelt Lispeln, es löst bei mir tatsächlich körperliche Schmerzen aus. Vielleicht, weil ich mein Leben lang gesungen habe und eine Sprechausbildung genießen durfte, vielleicht, weil ich mit Dagmar Ponto eine wirklich sehr, sehr gute Sprechtrainerin hatte (deren größter beruflicher Erfolg wohl diese eine bauernschlaue lispelnde Ikone der 90er ist, die sie bildschirmtauglich gemacht hat). Vielleicht, weil meine Frau Sprachheilpädagogin ist und ich schon früh wusste, dass kaum ein Sprechfehler so einfach und erfolgreich therapierbar ist wie eben das Lispeln. Ich kann schon Ulrich Wickert nicht zuhören, bei dem viele andere noch nicht mal hören, dass er lispelt.

Meine These ist, dass es eine Zumutung ist, jemanden mit diesem mit etwas persönlicher Anstrengung so gut behebbaren Sprechfehler ins Fernsehen zu lassen. Dass selbst eine mögliche thematische oder gar intellektuelle Brillanz nicht rechtfertigt, jemanden Lispelndes auf ein Podium zu holen oder einen Vortrag halten zu lassen. Sollen die schreiben oder eben eine Sprechtherapie oder Sprechausbildung machen, wenn sie unbedingt öffentlich reden wollen.

Ein weiteres Problem ist entstanden mit Tonabspielgeräten mittlerer Qualität, bei denen s-Laute, die noch nicht gelispelt sind aber unsauber und mit mehr Zischen als üblich versehen, zu einem Lispeln werden in den Ohren der Zuhörerin. Das werde ich wohl ertragen müssen, auch wenn es mich quält.

Heute morgen begann ich voller Vorfreude das Audiomagazin der aktuellen Ausgabe der "Zeit" - unter anderem, weil die "Zeit", ganz anders als die "brand eins" in der Audioversion, die grausame Pausen in den Sprechfluss geschnitten hat, normalerweise wirklich gut gesprochen und gut produziert ist. Und dann wird schon das Inhaltsverzeichnis von einer neuen, recht jungen Stimme gesprochen, die unerträglich lispelt. Der Schock war körperlich. Und das hektische Wechseln der Kopfhörer und der Einstellungen des im iPhone eingebauten Equalizers (jaja, ich weiß) halfen nichts.

Und selbst bei Kindern ist lispeln nicht niedlich. Übrigens.

1.2.11

Zwei kurze Anmerkungen zu #jan25

I. Profilneurotiker unter sich

Ich war mir nicht sicher, wie ich die Idee von Richard Gutjahr finde, nach Kairo zu reisen, als ich darüber erstmals las. Aber je länger er da ist und es in seinem Blog dokumentiert, desto mehr sehe ich, warum er es getan hat. Thomas Knüwer hat dazu das Nötige gesagt.

Was aber gar nicht geht, sind die Profilneurotiker, die die Frage diskutieren, ob er ein "richtiger" Journalist sei. Hallo? Das sind die gleichen, die sonst immer sagen, wie toll Blogs und Blogger sind und wie wichtig und wie sehr Journalisten und klassische Medien versagen. Wisst ihr, wie egal mir ist, ob er "richtiger" (was immer das sein mag und wer immer das entscheiden können dürfen soll) Journalist ist oder nicht? Er schreibt eine Livereportage. Und zwar, bisher, eine gute. Besser als das meiste, was ich neben groben Überblicken bisher gelesen habe.

Mein erster Weg, als es in Tunesien losging, war zu meinem tunesichen Reittrainer. Mein erster Blick, wenn mich Israel aktuell interessiert, ist Lilas Blog. Und mein Augenmerk gilt jetzt dieser Livereportage. Neben den dürren Überblicken, ich bin ja nicht doof.

Legt euch mal wieder hin, ihr Bedeutungsdeuter. Pah.

***

II. Es macht mir auch Angst

Ich bin froh, dass Menschen ihr Leben in die Hand nehmen und für Demokratie, Freiheit und eine Reformation (wenn das denn so ist) streiten. Ich bin froh über jeden Despoten, der abtreten muss. Ich denke, dass hier das nordafrikanische 1989 passiert, dazu später bestimmt mal mehr.

Aber so, wie 1989 in Europa zu tollen Dingen führte und zu schrecklichen, so wird es auch "dort" sein. Ich habe Angst vor dem, was da passiert. Nicht zu viel, aber doch auch Angst. Weil die Festung Europa und die Szenarien, über die wir schon in den frühen 80ern, als die Mauern am Mittelmeer errichtet wurden, geredet haben, auf einmal da sind. Weil ich nicht weiß, was das für Israel bedeutet, was da passiert. Weil sich in die Freude die Sorge mischt.

Noch ist es diffus. Darum nur kurz notiert.

Update 3.2., 10:30 Uhr
Noch zwei Bemerkungen nachgeschoben. Zum einen bin ich froh, dass Richard Gutjahr rechtzeitig wieder ausgereist ist aus Kairo und nicht den Helden spielt - und damit all denen, die ihm genau das unterstellten und darauf hinwiesen, dass das der Unterschied zu "klassischen" Journalisten sei, Lügen straft. Darum auch hier seine Bilder vom Mobilgerät der letzten drei Tage:



Und zum anderen bin ich traurig, dass meine Angst begründet war. Das auch noch kurz erläutert: Ich meine nicht nur die Sorge, ob die Machthaber den europäischen oder den chinesischen 1989er Weg gehen, das ist in vielen Ländern noch völlig unklar. Sondern auch die Sorge, dass auch in Europa 1989 ja nicht alles superfriedlich und in die Demokratie führte. Rumänien, Jugoslawien, Belorus, Ungarn, Polen, Tschechien - die Wege waren sehr, sehr unterschiedlich und nicht überall so, wie man sich das in einer idealen Welt vorgestellt hätte. So wird es auch in Nordafrika und im vorderen Orient sein (und das hat nichts mit dem Raunen zu tun, das die öffentlich-rechtlichen TV-Sender so oberpeinlich den ein oder anderen bekannten Spinner gerade verbreiten lassen. Darum hier noch mal der Appell: Stoppt Peter Scholl-Latour und gönnt ihm seinen Ruhestand.)

16.9.10

No logo!

Ich dachte, logo! sei eine gute Nachrichtensendung. Meine beiden jüngeren Kinder sehen die Kindernachrichten im Kika um kurz vor acht abends gerne. Vor allem Tertius, dem das auch wichtig ist. Da ich meistens Quarta parallel dazu ins Bett bringe, sehe ich es fast nie (hab jetzt aber mal den Podcast abonniert). Nun wollte Quarta auch mal wieder und ich hab mich daneben gesetzt. Und mich richtig geärgert über die logo!-Sendung gestern abend.

Drei Themen - eines aktuell, eines willkürlich und eines alt, dazu Wetter und was Buntes. Und über alle Teile konnte ich nur den Kopf schütteln.

Haushaltsdebatte
An sich klasse, dass logo versucht, Kindern zu erklären, was im Bundestag passiert. Aber der gesamte Unterton der Moderatorin und des Beitrags aus dem Parlament war von Verachtung geprägt - was am Ende im Tierklamauk noch mal aufgegriffen wurde. Wir lernen: Politiker sind Idioten, die sich streiten um des Streitens willen. Ich mag Politikverachtung nicht, selbst wenn ich persönlich viele aktive Politiker anstrengend finde.
Der Hammer war aber das Erklärstück, was denn der Haushalt sei und warum darum gestritten wird. Neben einem sachlichen Fehler (Regierung statt Parlament beschließe den Haushalt und streite sich - was ich wirklich schlimm finde, weil schon viele Erwachsene nicht wissen, was der Unterschied zwischen Parlament und Regierung ist, das aber in einer und für eine Demokratie echt wichtig wäre) hat mich das wirklichkeitsfremde und patriachale Familienbild wirklich geärgert: Leon (soviel zur Zielgruppe von logo) hat einen Vater, der arbeiten geht, und eine Mutter, die einkauft. Na toll. Quer zu allen Schichten und Klassen ist das ja nun wirklich nicht mehr Realität - und kommt mir nicht mit Vereinfachung. Was lernen meine Kinder? Mama geht nicht arbeiten und Papa nicht einkaufen. Beides stimmt nicht.

Tigersterben
Ok, ein Kinderthema. Etwas banal aufbereitet, etwas erratische Bilder (wieso Jäger in sovjetischen Uniformen?), etwas ziellos am Ende. Aber in Ordnung so weit, finde ich.

Vulkanasche und Flugzeuge
"Ey, das kenn ich schon, das war früher mal bei pur plus", sagte Tertius - und sogar Quarta konnte sich daran erinnern. Ja, gestern war (sagt logo) eine Konferenz auf Island, wo es um das Thema ging, aber so völlig aus dem Off? Mit einem Beitrag, den meine Kinder schon kannten? Finde ich für eine Nachrichtensendung echt schwach. Auch wenn der Beitrag selbst ja gut ist.

Bis gestern dachte ich, logo ist echt gut. Höre das auch von Freunden, deren Kinder es sehen und denen es gefällt. Vielleicht hatte ich Pech, darum werde ich mir die nächsten Tage den Podcast ansehen. Aber diese Sendung hat mich wirklich geärgert, sagte ich das schon?

21.9.09

Was mach ich bloß mit TV?

Und das mir, wo ich doch immer so stolz bin, dass ich quasi nicht mehr fernsehe, außer hin und wieder bei Wahlberichterstattung und bei Sport. Aber ich lebe ja nicht allein, und darum stellt sich nun, da die Detailplanungen zum neuen Haus weit fortgeschritten sind, eine wichtige Infrastrukturfrage: Wie organisieren wir, dass bei uns TV möglich ist?

Mal die Rahmendaten:
  • teilweise sehen drei Leute gleichzeitig in verschiedenen Räumen fern (hey, ich hab zwei jugendliche Kinder und ein Au Pair).
  • parallel sollen mindestens drei Leute breitbandig im Web unterwegs sein können und beispielsweise MMOG spielen.
  • zwei Telefonleitungen und fünf Nummern sind Pflicht.
Und nun? Wen lasse ich die letzten Meter von der Straßenkante in mein Haus ein Kabel verlegen? Nur die Telekom, so dass ich alles drei über IP mache? Oder nur Kabel Deutschland? Oder beide? Oder doch eine Schüssel aufs Dach?

Gefühlt tendiere ich zu IPTV von der Telekom - aber ich weiß darüber zu wenig und im Telekomladen im AEZ war nur ein Nichtsmerker, der mir mit seiner Privatempirie kam, als ich ihn fragte, was denn passiert, wenn drei Leute parallel verschiedene Sendungen gucken, vor allem mit der Internetverbindung. Und was ich denn an Bandbreite real habe bei uns da draußen.

Meine Überlegungen sind zzt so:
  • Kabel für TV hat den Vorteil, dass ich kein Gerät brauche, das ich zwischen den Fernseher und das Kabel schalte - wenn es noch analoges Kabel gibt. Kann man das noch neu kaufen überhaupt? Und dann fallen neben den Installationskosten (mehrere hundert Euro) noch monatliche Kosten an. Internet über Kabel klingt ok, aber Telefon irgendwie nicht.
  • Satellit mag ich nicht, ich weiß auch nicht, wie ich das gestalten muss, so dass in jedem Zimmer eine Buchse wäre aber nur ein Receiver? Oder brauche ich überall einen? Und wie schließe ich die an die Schüssel an? Gibt es da Grenzen? Immerhin hat es keine Folgekosten...
  • IPTV finde ich charmant, ich brauche kein Koaxialkabel im Haus, sondern nur LAN-Kabel, die ich ohnehin verlegen will. Aber ich brauche zu jedem Fernseher einen Decoder. Und frisst das dann meine ganze Bandbreite auf? Gibt es da Grenzen? Kann mir das mal einer so erklären, dass ich es verstehe? Wie finde ich raus, ob das überhaupt geht, ob also die Bandbreite, die die Telekom anliefert bei uns, reicht für das, was ich in der Praxis will? Und wie werden die realen Kosten sein?
Irgendwer eine Idee? Oder eine Meinung?

20.2.09

Stille

Nein, ich hab nicht geheult, aber er ist wunderschön erzählt, wirklich großartig. Und nachdem ich neulich zum ersten Mal seit Ewigkeiten nach einer Folge Gilmore Girls in einen Werbeblock gerutscht war (Super-RTL war noch eingestellt, weil meine Jungs da was gesehen hatten, und nachdem der DVD-Player aus war, sprang dieser Sender an), hatte ich schon jede Hoffnung aufgegeben, dass es Werbung gebe, für dich ich mich nicht fremdschämen müsste.

Sozusagen eine in einem wunder-wunderschönen Mädchenkurzfilm versteckte Markenbotschaft.


schweppes short film festival - signs from mr. cnqt on Vimeo.

10.2.09

60 Jahre DDR, aktuelle Berichterstattung

Gefunden bei Henning Schürig:
60 Jahre DDR - wenn alles anders gekommen wäre, dann hätte es dieser Tage vielleicht folgende Ausgabe der “Aktuellen Kamera” gegeben. Oder ist es tatsächlich anders gekommen?

60 Jahre DDR - Aktuelle Kamera (Video) » henningschuerig.de/blog



Sehr hübsch. Und irgendwie beklemmend zugleich.

19.1.09

Ich finde Peter Scholl-Latour gefährlich

Das, was Peter Scholl-Latour seit Jahren zum Thema Islam sagt, halte ich für falsch, auch und gerade inhaltlich. Und dass er wesentlich das Islambild in diesem Land mitgeprägt hat, finde ich doof - aber da kann man nicht mehr viel dran ändern, so omnipräsent wie er in deutschen Medien ist.

Insofern ist es zwar nicht überraschend, aber dennoch beängstigend, wie sein peinlicher Ausraster am vergangenen Freitag in der Talkshow 3 nach 9 von Radio Bremen bisher aufgenommen wurde. Ich habe es nicht live gesehen - und ehrlich gesagt auch erst heute über meedia.de davon erfahren. Das, was Georg Altrogge dann da schrieb, hat mich allerdings so irritiert, dass ich mir den Ausschnitt angeguckt habe, Radio Bremen hat ihn glücklicherweise online.

Und danach wusste ich, warum ich irritiert war: Das, was Altrogge schreibt (und noch grotesker beispielsweise bei Reader's Edition, die keinen Link bekommen, so unterirdisch ist der Beitrag und sind die Kommentare), ist meines Erachtens einfach falsch. Dass Scholl-Latour mit seinem Gejammer ("in die Falle gelockt") auch noch die Interpretation seines Auftritts bestimmt, finde ich schlimm.

Darum hab ich die wichtigsten Passagen und seine wichtigsten und schlimmsten Aussagen einmal zusammen getragen (die Zeiten beziehen sich dabei auf den oben verlinkten Film, den ich hier leider nicht einbinden kann):
8:40 Scholl-Latour bemerkt, die Offensive Israels sei "ein Krieg gegen eine Bevölkerung, die praktisch doch keine Waffen hat." (Man hört quasi das Atemholen im Studio und Moderator di Lorenzo hakt nach: "Hamas hat keine Waffen, das haben Sie gerade gesagt?" - S.-L.: "was die haben sind n paar Katjuschas") BITTE?? Wie zynisch ist das denn?
9:20 spricht er von "israelischen Kolonisten", was immer er mit diesem Wort meint - dass es einen negativen Unterton hat, macht ja auch seine positive Bewertung der Schlussphase der Kolonialherrschaft in Afrika nicht besser, die er zu Beginn der Sendung vornimmt.
9:50 S.-L. kommt auf die Ursachen des Konflikts zu sprechen und bemerkt: "Wir haben grad über das Eingesperrt sein gesprochen in der DDR - und die Leute sind in Gaza ja auch eingesperrt wie in einer Sardinenbüchse, und das ist im Grunde eines der Probleme." Ah. Ja.
Krass wird es allerdings, wenn Scholl-Latour auf die Hamas zu sprechen kommt. Und erst da übrigens eskaliert ja auch das, was vorher beinahe noch ein Gespräch war. Schon ganz am Anfang hatte er voller Stolz erwähnt, dass in seinem jüngsten Buch, um das es eigentlich in diesem Auftritt hätte gehen sollen, ein Foto von ihm mit dem Hamas-Gründer abgebildet sei. Und dann legt er los:
ca. 11:40 ist es, als er dann noch mal darauf zu sprechen kommt, was die Hamas aus seiner Sicht sei: "Natürlich", meint er, "sind da auch (holperige? Ich kann das Wort auch beim wiederholten Anhören nicht verstehen, sorry) Burschen da - aber es gibt auch den Ausdruck Widerstandskämpfer, die französische Resistance wurde auch als Terroristen bezeichnet."
Erst hiernach geht der Sturm los. Und nicht etwa nur die junge Münchnerin, die zurzeit in Israel lebt und diese TV-Show gewonnen hatte, sondern auch Cem Özdemir und andere greifen ein und versuchen, das Gespräch wieder in seriöse Bahnen zu führen.
12:35 Aber Scholl-Latour hat daran kein Interesse. Denn auf den Einwand, die Hamas wolle schließlich die Auslöschung Israels, blafft er: "Ach, Auslöschung Israels, das ham sie doch alle gesagt..." So reden Verharmloser des Terrors, tut mir leid.
Und dann geht es rund. Interessanterweise versuchen die Moderatoren, die in so vielen Beiträgen und Kommentaren, die ich heute gelesen habe, so hart kritisiert werden (wie ich finde: völlig zu Unrecht!), Scholl-Latour immer wieder im Gespräch zu halten. Aber als die junge "Botschafterin" (jaja, das ist albern) dann von der realen Situation und den Ängsten und Gefühlen der Menschen spricht - was ich extrem wichtig finde (und weshalb ich auch immer und immer wieder Lilas großartiges Blog als Primärquelle empfehle) - verweigert sich der große "Welterklärer" der weiteren Diskussion. Die Realität ist offenbar, so scheint es mir, nichts, was seinem jahrzehntelang kultiviertem Weltbild auf die Pelle rücken darf. Nicht umsonst betont er immer wieder, dass er den Konflikt seit 1951 ganz genau kenne. Als er dann allerdings behauptet, die Grenzen von 1967 seien in diesem Konflikt das Ziel der Hamas, wird es dem Rest der Runde zu bunt. Zumal das auch einfach nicht wahr ist, da kann er sich auf den Kopf stellen und lachen. Die Charta der Hamas sagt ja ganz klar, dass es um die Auslöschung Israels gehe und darum, den Islam in die Weltherrschaft zu bringen, weil erst dann ein friedliches Zusammenleben der Religionen möglich würde.

Auch einem Mann wie Scholl-Latour muss zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass er sich selbst in eine Falle manöviert hat, dass er allzu offen seine geschichtsklitternden Weisheiten im falschen Forum verbreitet hat - und so verweigert er sich nun der weiteren Diskussion. Das ist erschütternd unsouverän und einem, der so austeilen kann wie er, unwürdig, finde ich. Aber es ist entlarvend.

Meine Meinung dazu ist, dass jemand wie Scholl-Latour mehr als nur mit dem Feuer spielt. Da kann er noch so sehr beklagen, er werde in eine radikale Ecke gedrängt - wer den Terrorismus verniedlicht ("kaum Waffen", "Widerstandskämpfer"), Israel mit den Sowjetmachthabern in der DDR gleichsetzt ("eingesperrt wie in der DDR") und die expliziten Ziele der Terroristen wegwischt ("Grenzen von 67"), ist brandgefährlich. Und sollte eigentlich das Bild dieses grauenvollen Krieges in der Öffentlichkeit nicht prägen dürfen.

Dass er es dennoch tut und weiterhin tun wird, macht mich wütend und traurig. Ebenso wie die Unterstützung, die er jetzt bekommt - und in die sich teilweise sogar antijüdische Ressentiments mischen (Fried habe ja einen jüdischen Vater, di Lorenzo sei schließlich Chef einer von Juden geführten Zeitung etc, einfach zu finden bei Reader's Digest, ich verlinke diesen Dreck nicht).

20.5.08

Das ist kalter Entzug

Also Jungs - wenn ihr das bis zum Finale des Grand Prix nicht hinbekommt, dass Twitter wieder stabil läuft, dann bin ich bös traurig. Ich mein, wie kann das denn sein? Da fang ich gerade an, es mir mit ein paar anderen Spinnern, die wie ich mehr oder weniger allein vor der Röhre sitzen, mit Twitter gemütlich zu machen - da geht das mal wieder kaputt.

Ich könnte heulen. Zu so absurden Dingen wie Estland, Irland und San Marino.

(wie sagt meine Süße? "Das ist doch krank irgendwie, oder?")

3.9.07

Politik im TV

Eines meiner liebsten Blogs zurzeit ist Prez Vid, das den Vorwahlkampf in den USA dokumentiert mit Videos, die bei YouTube zu sehen sind. Und mich freut der Stil, den ich dort oft sehe. Beispielsweise Clintons Auftritt bei Letterman:



So was wäre bei uns doch in dieser sehr leisen Art von Selbstironie ("We will finally have a president who doesn’t mind pulling over and asking for directions") bisher kaum denkbar. Das Maximum ist bisher der schenkelklopfende Klamauk der Ex-Liberalen gewesen. Aber naja, so wie Ironie ist ja auch das Internetz ist im Wahlkampf unglaublichsehr verbreitet hier.

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