9.9.24

Wohlwollen

Als wir uns auf die Beerdigung und den Trauergottesdienst meines Schwiegervaters vorbereiteten, war das, was schön war, auch wenn eigentlich nichts schön war, die Erinnerung an Geschichten und das gemeinsame Erleben. Gerade als jemand, der erst als junger Erwachsener in die Familie kam und aufgenommen wurde, ist mir da noch einmal viel bewusst geworden. Vor allem das hermeneutische Wohlwollen, das die beiden auszeichnete und meine Schwiegermutter immer noch auszeichnet.

25.6.24

Gen X

Offenbar, wenn ich das richtig gehört habe, gibt es einen lustigen Streit zwischen Millennials und Gen Z auf TikTok oder so. Mir egal, ich verstehe beide nicht. Abgesehen davon, dass meine Kinder dazugehören, die einen so, die anderen so. 

Aber vielleicht kommt so dieser Faden zustande, den ich gestern las. 

12.6.24

Wie ihre Eltern

In meiner Umgebung hat das Wahlverhalten der jungen Menschen die größte Erschütterung ausgelöst. Mir macht das auch Angst, obwohl es mich weder überrascht noch erschüttert. Aber die Angst kommt von ganz anderen Beobachtungen. Und bezieht sich dann auch wiederum fast mehr auf deren Eltern als auf sie selbst.

Beobachtungen ist dabei das Stichwort. Euphemistisch nenne ich diese anekdotische Evidenz ja gerne Privatempirie. Und ich überschätze sie nicht. Allerdings habe ich in den letzten Jahren gemerkt, dass mich genau dieses Beobachten, diese Privatempirie, nicht so selten schon früher etwas hat erkennen lassen, das dann deutlich später auch echt empirisch gemessen werden konnte oder sich in (Wahl-) Ergebnissen niederschlug. Seitdem bin ich da etwas hellhöriger und lasse mich auch nicht mehr vom Vorwurf, ich würde das alles zu schwarz sehen, irritieren. War bei der US-Wahl 2016 und beim Brexit ja auch nicht zu schwarz sondern leider richtig.

10.6.24

Ach Europa, ach, ach, ach

Vorweg: Das Ergebnis der Europawahl in Deutschland ist aus meiner Sicht ein Desaster. Und das der Grünen ist wirklich schlecht und eine Niederlage und Hypothek. Da gibt es nichts schönzureden. Mich persönlich hat es auch ein bisschen überrascht, weil ich den Eindruck hatte, dass die Hass- und Hetzkampagne und die überproportional viel zerstörten Grünen-Plakate eine gewisse Solidarisierung ausgelöst hatten. Wenn es die gab (wo ich mir nicht mehr sicher bin), hat sie nicht zu Stimmen geführt. Sondern wahrscheinlich ist dies, also die rund 12%, die Baseline. Die übrigens vor wenigen Jahren noch bei 6-7% lag, das aber nur am Rande und als Pfeifen im Walde.

Zerbrochene güne Glasflasche
Foto von CHUTTERSNAP auf Unsplash

Jetzt aber erstmal ein paar erste Gedanken zum Ergebnis und zur Perspektive, die sich daraus ergibt. Zum einen, indem ich das Ergebnis anders einordne. Zum anderen, wenn ich ganz lokal auf die genauen Stimmen gucke. Und zum dritten mit ein paar ersten Schlussfolgerungen.

6.6.24

Fatique

Mein ganzes Leben (naja, mein ganzes Leben seit ich ein älterer Jugendlicher war) habe ich morgens Deutschlandfunk gehört. Es gehörte für mich einfach dazu. Halbstündliche Nachrichten, eine Presseschau, einige von den Interviews und einige Berichte, gerne auch die Kurzberichte als Zusammenfassung des Morgens, die Ausschnitte aus den Interviews und Berichten, gegen Ende der Morgensendung.

Dann merkte ich vor einiger Zeit (interessanterweise ungefähr zur gleichen Zeit zu der mein jahrelanger Heimatraum Twitter kaputt gemacht wurde), dass ich sehr schlechte Laune bekomme und – zunächst bei der Presseschau und nach und nach auch bei anderen Dingen – es immer schwerer zu ertragen war. Einerseits genoss ich, bei einigen Redakteur*innen im Studio zumindest, wie sie versuchten, bei den schlimmsten Lügen gegenzuhalten, aber ich hatte den Eindruck, dass ich eher schlechter informiert in den Tag ging.

7.3.24

2028

Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht grün
 
Als sie der Bürgermeisterin die Scheibe einwarfen
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht in der Kommunalpolitik

Als sie die Arbeitslosen in Zwangsarbeit schickten
Hast du geschwiegen
Du warst ja nicht arbeitslos

22.2.24

Gurren

Auf einmal hatte ich, als ich von den Weiden zurückkam, auf denen unsere Jungpferde stehen, so ein wohliges Gefühl im Magen. So ein Vertrauten, eine tiefe Erinnerung an die Kindheit. Obwohl ich hier ja nicht aufgewachsen bin und an mir Autos vorbeifuhren. Es verwirrte mich zuerst. Bis mir klar wurde, woher es kam.

16.2.24

... und es wird so viel besser, jeden Tag

Gestern schrieb ich darüber, wie mir dauernd das Herz in die Hose rutscht gerade. Und das ist ja auch oft so. Und dann sehe ich doch, wie viel besser so vieles wird, tatsächlich jeden Tag. Wie wir immer noch mehr sind, dauerhaft. Wenn ich lese und wiederlese und höre und erlebe, wie und wo überall Hoffnung und Veränderung ist, wie sich eine Zukunft Bahn bricht, die die, derentwegen mir mulmig ist, nicht werden aufhalten können. Sie werden viele Menschen zu quälen versuchen, etliche töten, andere einsperren, schlagen, versuchen zu zerstören. Für die muss ich, will ich, werde ich kämpfen und für die werde ich diese bösen Menschen, die alles hassen, was ich liebe, hassen, worin ich eine Zukunft sehe, diese werde ich mit allem, was ich kann, bekämpfen. Denn sie werden nicht siegen. Niemals wieder.

15.2.24

Mulmig

Als mich vor ein paar Tagen ein Freund fragte, wohin wir auswandern, war das nicht wirklich lustig gemeint. In seinem Bezirk hatten gerade einige tausend Menschen eine Reichsbürgerin gewählt. Einige Tage vorher quoll zum ersten Mal der blanke Hass auf alles, was grün ist, aus dem Mund zweier Stammtischbrüder. Und wieder einige Tage später schäumten die WhatsApp-Gruppen der Berufskolleg*innen hier auf dem Land vor Wut, weil im NDR eine Expertin, die, wie sie meinten, noch nie eine Schaufel in der Hand hatte, sagte, dass ihr geliebter Anführer in der Vergangenheit schon mal rechtspopulistische Dinge gesagt hätte, was aber nicht stimme, weil er nämlich nicht rechts sei. Damit meinten sie so was offenbar, das nicht rechts sei.

4.2.24

Herzlich Willkommen

Ich freue mich irre doll, dass so viele Menschen in den Widerstand gegen den Faschismus eingestiegen sind. Für viele, mit denen ich in den letzten Wochen sprach, ist es das erste Mal, dass sie bei diesem Thema aktiv werden. Dass dieser Widerstand, der die letzten 35 Jahre eher ein Nischendasein fristete, jetzt Massen erreicht, ist wunderbar. Und ich habe den Eindruck, dass die allermeisten, die seit vielen Jahren hier arbeiten und sich engagieren, mir zustimmen, wenn ich den neuen Mitstreiter*innen ein herzliches Willkommen zurufe. 

In den ersten Wochen dieses massenhaften Widerstands war es auch so, wie erwartet: Menschen, die neu zur Bewegung kamen, schlossen sich an. Und waren mit ihren Plakaten und Schildern dabei. Trugen ihre Wünsche und Themen mit auf die Demos. Die waren dadurch bunt, fröhlich, engagiert, vielfältig. 

31.1.24

Reif

Schon lange interessiere ich mich nicht mehr für Fußball. Irgendwann kurz nach 2006 war das bei mir vorbei. So lange mein Großer noch spielte, war ich hin und wieder mal mit ihm irgendwo. Und so lange mein Opa noch lebte, habe ich das eine oder andere aus dem Augenwinkel verfolgt, weil ich mich darüber mit ihm, dem Fußballspieler, dem "Bomber von Barmbek", dem so sehr unter dem Niedergang des HSV leidenden, unterhalten können wollte. Dann hörte ich noch den 11-Leben-Podcast, aber da ging es ja nicht wirklich um Fußball.

Aber ich bin ja mit Marcel Reif aufgewachsen. Beckmann später habe ich ja wirklich gehasst als Kommentator, aber Marcel Reif war immer da. Zumindest fühlt es sich so an. Ich weiß ja nicht wirklich irgendwas darüber. Könnte nicht mal sagen, ob ich ihn als Kommentator gut fand, das waren ja damals keine Kategorien, in denen ich fernsah.

30.1.24

Was ist was

Als ich gestern Abend darüber las, dass der Verlag in einer irre schnellen Hauruck-Aktion eine Kurzversion eines Was-is-was-Buches über die Demokratie geschaffen und zunächst zum Download zur Verfügung gestellt hat und auch druckt und ausliefert, war ich sehr begeistert. Nicht nur, weil sie dies gemacht haben, so schnell, so gut, so engagiert, so richtig. Sondern auch, weil ich die Was ist was liebe. Seit ich ein Kind war, liebe. 

Viele viele Jahre habe ich jeden Geburtstag und jedes Weihnachten und ganz selten auch mal zu Ostern einen Band bekommen. Und mir zig andere aus der Bücherhalle ausgeliehen. Sie verschlungen und immer wieder gelesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Bücher den Grundstein für das höchste Lob gelegt haben, das ich später von meinem Deutschlehrer als Tadel bekam, der mich zu anstrengend fand, obwohl ich gut in seinen Fächern war. Der jedenfalls in mein Zeugnis schreiben ließ: "Wolfgang interessiert sich manchmal allzu sehr für am Rande liegende Spitzfindigkeiten". 

14.1.24

Mut nach einer grauenvollen Woche

Die Woche geht so zu Ende, dass ich wieder Mut fasse. Sie war eine Achterbahnfahrt, emotional und auch in vieler anderer Hinsicht: Ein Pferd, das (vorerst) dem sicheren Tod von der Schippe gesprungen ist; das Entsetzen über das, was vor Ort und im Land politisch passiert; die große Freude am Ende über die vielen, vielen Menschen, die heute, am Sonntag, aufgestanden sind und sich in die Innenstädte begeben haben.

11.1.24

Ab jetzt ist es nur noch ein Umsturzversuch

Ja, liebe Landwirtschaft-Kolleg*innen, wir, die wir nicht eurer Meinung sind oder vorher waren, haben verstanden, was euch umtreibt und was ihr wollt. Darum ist es gut, dass ihr demonstriert habt und einige Tage lang quasi alle Seiten der Lokalzeitungen hier auf dem Land gefüllt habt mit euren Positionen und Aktionen. Und ich finde einige Protestformen richtig toll. Beispielsweise die Gummistiefel, die ihr an die gelben Ortseingangsschilder hier auf den Dörfern gehängt habt. Das finde ich kreativ, das bringt mich zum Lächeln, das macht euer Anliegen deutlich wie kaum etwas anderes.

Ja, ich kann verstehen, dass ihr eine Sternfahrt mit euren Maschinen gemacht habt. Etwas weniger verstehen kann ich, dass ihr froh wart, dass viele Fuhrunternehmen und Handwerksbetriebe mit euch gefahren sind – vor allem, weil die meisten unappetitlichen Fahnen und Aufkleber die letzten Tage nicht an euren Treckern waren sondern an deren Autos. Aber am Ende müsst ihr ja selbst wissen, mit wem ihr euch verbünden wollt.

Und damit sind wir bei dem, was mich gerade umtreibt. Denn es sind vor allem zwei Dinge, die mich bestürzen. Zum Einen, dass ihr immer und immer weitermacht und wie ihr das macht. Und zum Anderen, was der Tonfall und der Zungenschlag inzwischen sind. 

8.1.24

Aufstand

Wir leben ja an einer der Landstraßen, die heute (und wenn ich es richtig verstehe, auch in den kommenden Tagen) dafür genutzt werden, dass die Dieselschleudern derer, die heute demonstrieren, und derer, die heute ihren Aufstand beginnen, den gesamten Tag auf und ab fahren. Immer zwischen Stockelsdorf (oder Ahrensbök? Weiß ich nicht genau) und Eutin hin und her. Nun ja. Die Straße ist ja auch vor kurzem auf der kompletten Länge neu gemacht worden, da lohnt es sich wenigstens.

Das, was ich von anderen Orten höre, sehe ich hier auch, wenn ich aus dem Fenster gucke, während ich am Schreibtisch sitze, denn das geht auf die Landstraße raus: etwa zwei Drittel der Fahrzeuge sind LKW und Transporter, ein Drittel Traktoren. Rund 20% mit Transparenten, nur einige wenige mit Flaggen (meist schwarz-rot-gold, einige mit Reichsadler drauf). Teilweise sind es ganze Fuhrparks. 

5.1.24

Schlüttsiel

Das, was gestern Nacht hier bei uns in Schleswig-Holstein, in Schlüttsiel an der Nordsee, passiert ist, kann zu einem Wendepunkt werden und zu einen defining moment für Teile unserer Generation, zumindest für die linksliberalen Teile, denke ich. Denn am Umgang des Staates mit dem Anschlag radikalisierter Landwirt*innen auf einen Bundesminister kann sich entscheiden, ob nach den Autoritären auch viele Linksliberale für den demokratischen Meinungsstreit verloren werden.

4.1.24

Im Regen

Ja, ich weiß, dass diese Form von Regen und Überschwemmungen nicht überraschend oder unvorhergesehen kommt. Alles, was es zum Wasser in Norddeutschland zu wissen gibt, hat Lars Fischer ja aufgeschrieben. Wir haben auch auf zwei unserer Weiden jedes Jahr jeweils einen See. Die nutzen wir darum im Winter nicht.

Aber so ein irrer Tag im strammen Dauerregen ist dennoch selten bei uns. Vor allem nach einer Phase, in der ohnehin schon sehr viel Wasser da war. Interessanterweise war es gar nicht so übertrieben viel Regen, "nur" 33mm in 24 Stunden. Klingt mittelviel, wobei der letzte, nasse Monat auch nur insgesamt knapp 50mm gebracht hatte. Aber das Wasser fließt nicht ab. Und das, obwohl weiter unten ein gutes Stück des Flusses, zu dem der Bach, der durch unsere Weiden fließt, der Quellfluss ist, mit neuen alten Auen versehen und renaturiert wurde. Wir sind also relativ gesehen gut dran.