19.10.2011
Es stehen Landesvorstandswahlen an. Und ich kandidiere für den Landesvorsitz. Die Grünen sind in Hamburg und bundesweit in einem Umbruchprozess:
- Eine Partei zwischen 15 und 25% muss sich anders weiter entwickeln als eine, die sich mit 10% der Stimmen zufrieden gibt, und braucht einen Neuanfang.
- Eine Partei, die zwischen Euphorie, Selbstüberschätzung, enttäuschten Erwartungen und großen Erfolgen hin und her gerissen wird, braucht eine Re-Politisierung.
- Eine Partei, die für zunehmende Wählerinnengruppen als etabliert und spießig gilt und von einer neuen, frischen und “menschlichen” Partei in Liberalismus und Politikkultur abgehängt wird, braucht eine Neuerfindung ihrer politischen Kultur.
Für alles drei kann ich den Übergang moderieren und anführen.
Für alles drei bin ich zugleich unabhängig und erfahren genug, um die nach außen sichtbare Symbolfigur zu sein.
Warum bin ich jetzt der richtige Landesvorsitzende?
- Ich bin politisch aktiv, seit ich 15 bin. Erst bei den Jusos (letzter linker Kreisvorstand in Wandsbek) und im Landesvorstand beim Sozialistischen Schülerinnenbund Hamburg, dann u.a. als Bundesvorsitzender des Bundes der religiösen Sozialistinnen und Sozialisten, danach in Kirchenvorständen, Kreis- und Landessynoden der Nordelbischen Kirche - und zuletzt im Elternrat.
- Ich bin weder wirtschaftlich noch emotional von der Politik oder gar diesem Amt abhängig. Denn ich leite den Bereich “digitale Strategie” in einer der großen Kommunikationsagenturen in Hamburg - und habe eine berufstätige Frau, vier Kinder zwischen sechs und sechzehn und vier Islandpferde.
- Ich habe mehr als zehn Jahre Führungserfahrung und auch komplexe virtuelle Teams angeführt, beispielsweise eine europaweite Digitalagentur aufgebaut und geleitet.
- Ich habe wertegebundenen Boulevardjournalismus gemacht und bin dort zu Hause - für mehrere Jahre habe ich für den privaten Hörfunk gearbeitet und auch moderiert.
- Ich kann Kommunikation in klassischen Medien und in der Arena, die wir Social Media nennen, denn das ist mein Beruf. Meinen ersten persönlichen Shitstorm im Internet überlebte ich 2004.
- Ich habe einen klaren persönlichen Wertekompass, der im "richtigen Leben" erprobt und die Basis für mein Engagement bei den Grünen ist.
- Ich habe streitbare, gelebte und formulierbare politische Haltungen. Zu Themen habe ich Meinungen und kann sie verständlich formulieren.
- Ich bin Generalist und Kreativer. Und weil ich - wie jeder Mensch - inhaltliche Lücken habe und nicht alles weiß, brauche ich ein Team. Ich bin ein Teamplayer und stehe zu meinen Lücken und Schwächen (und sage das auch ohne Politjargon).
- Ich war schuld, dass Henning Voscherau 1997 zurücktreten musste und so Rot-Grün unter meinem Nachbarn Ortwin Runde möglich wurde.
- Ich habe seit Anfang 2003 ein Blog, twittere seit Anfang 2007 und sehe für mich keinen Unterschied zwischen Kommunikation, die digital stattfindet, und solcher, die wir in der Kohlenstoffwelt haben.
Alle Infos und meine Profile findet ihr auf meiner Website, Fragen zu mir, zu meiner Haltung, zu meiner Politik und so weiter beantworte ich gerne öffentlich auf Formspring.
Wie ich dem Landesverband vorsitzen werde
Da ich zu den Unterstützern des “Demokratie”-Antrags für die LMV gehöre, sind die dort formulierten Leitlinien und Handlungsprogramme die meinen. Meine Vorstellungen, wie sich die Grünen weiter entwickeln sollten, wenn sie dauerhaft die Größe einer Volkspartei anstreben - was ich will -, habe ich mehrfach hier in meinem Blog dargestellt, es kann hier nachgelesen werden, ebenso in meinem Papieren zum Aufarbeitungsprozess, die vorliegen.
Dennoch geht es dabei nicht um mich und meine Vorstellungen. Sondern es geht darum, die Grünen in Hamburg wieder politikfähig zu machen - und das politische Zentrum zurück in die Partei zu verlegen. Die Fraktion kann das nicht für die Gesamtpartei leisten, denn sie hat eine andere Aufgabe. Die LAGn sind vor allem in der politischen Facharbeit unterwegs.
Der Landesvorstand und vor allem der Landesvorsitzende haben die Aufgabe, den politischen Dialog und die Politikformulierung jenseits der Fachpolitik anzuleiten und zu vertreten. Da ich seit Jahren genau das beruflich mache - als Strategieentwickler und Strategieberater - biete ich euch an, uns dabei anzuführen.
Dafür wiederum gibt es klare Rahmenbedingungen, die ich will und für die ich mich einsetze. Dazu gehört ein achtsamer Umgang mit der Zeit anderer und eine so asynchrone Arbeitsweise wie möglich, weil ich beispielsweise mir sehr viel auf Bahn- und U-Bahnfahrten erarbeiten kann, andere eher auf dem Sofa, wieder andere bei Treffen. Konkret: Kein Meeting ohne Vorbereitung, kein Beschlussvorschlag ohne Dokumentation, keine Änderung ohne dass sie vorher lesbar war. So schaffen effiziente politische Gremien ohne weiteres 20 Tagesordnungspunkte in 20 Minuten - wenn alle sich vorbereiten und nur die großen Themen diskutiert werden müssen. Da gibt es hunderte von kleinen Hilfsmitteln, die alle von uns, die im Beruf stehen, täglich einsetzen.
Was ist meine Vision?
Als jemand, der aus der Eine-Welt-Bewegung (damals sagten wir noch “dritte Welt”) kommt und dem das bürgerinnenrechtliche Erbe von Bündnis 90 wirklich wichtig ist, der familiär und lebensweltlich zum kirchlich-bürgerlichen Teil der grünen Ursuppe gehört, sind die Grünen mehr als nur wichtig. Wir werden gebraucht.
Und über streitbare Positionen einerseits und eine über alles bisher gekannte hinausgehende Partizipation der Mitglieder und der Bürgerinnen andererseits werden wir in der heutigen Zeit das einlösen, was wir seit 30 Jahren tun wollen: einen alternativen Politikstil und eine bürgerinnennahe Politik zu machen. Und genau dieses - Inhalte und Partizipation - macht für mich bis heute das Grüne aus.
So wie wir damals angetreten sind, die Stimme der Bewegungen in den Parlamenten zu sein, müssen wir heute die Politik aus den Parlamenten wieder hinaus in die Stadtteile, Büros, ins Internet und auf die Plätze tragen. Das aber wird uns nur gelingen, wenn wir eine neue Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut für uns entwickeln und zur politischen Kultur erwählen. Da ich genau dafür stehe - und auch lebensweltlich ein Grenzgänger bin zwischen dem wohlhabenden spießigen Vorstadtbürgertum und der vernetzten digitalen Kreativszene, zwischen Prozess und Inhalten und zwischen Leidenschaft für Politik und dem Aufgehen im normalen, richtigen Leben - bin ich bereit, uns auch auf diesem Weg anzuführen.
Das wird mir unter zwei Bedingungen gelingen: Zum einen, wenn viele andere mit voran gehen. Und zum anderen, wenn ihr mir den Freiraum lasst, im Beruf, in der Familie und mit meinen Tieren meinen Mann zu stehen. Denn ich werde nie ein Funktionär sein. Aber ich bin ein Anführer. Und das auch ganz und mit Leidenschaft. Auch mit der nur begrenzen Zeit, die ich dafür habe und einsetzen werde.
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach
Kreisverband Wandsbek
29.9.2011
Update 1
Die Wahl ist noch genau einen Monat hin. Und ich weiß, dass die Ansage mit den vier Stunden Zeitbudget ein Stolperstein sein kann. Darum ist die Kandidatur nicht weniger ernst gemeint, aber ich diskutiere das intern bei den Hamburger Grünen selbstverständlich weiter. Grundsätzlich denke ich, dass es machbar sein muss, wenn wir nicht große Gruppen von Mitgliedern, die in ähnlichen beruflichen und privaten Situationen sind wie ich, von Ämtern ausschließen wollen. Aber - auch wenn das überraschen mag - ich bin hinreichend uneitel, um meine Kandidatur auch zurückzuziehen, wenn sich in den nächsten Wochen herausstellen sollte, dass diese Idee nicht tragfähig ist. Oder dass sie andere zu sehr belasten sollte, beispielsweise die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der Partei oder andere Vorstandsmitglieder. Es ernsthaft zu prüfen und zu versuchen, halte ich jedoch wirklich für wichtig.
Update 2
Es geht tatsächlich hoch her in der Diskussion intern. Und bisher überwiegt die Skepsis, dass das, was ich mir vorstelle, leistbar und zumutbar ist. Es führt aber mindestens bei einigen auch zu einem Nachdenken, was wir eigentlich wollen und wie wir uns als Partei führen und anführen (lassen) wollen. Und dieses Nachdenken wird bleiben. Egal, ob meine Kandidatur bleibt oder erfolgreich ist oder ich sie abblase oder durchziehe.
10.10.
Update 3
Die Diskussion ist in innergrünen Gruppen weiter gegangen. Dabei stellen sich mehr und mehr zwei Knackpunkte heraus: Tatsächlich die Frage, ob meine "vier Stunden synchroner Zeit" machbar sind - und ob die Partei reif dafür ist, also auch andere bereit wären, sich mit zu ändern oder es im Grunde eine Überwältigung der Kultur dieser Partei wäre, zumindest noch. Und - ähnlich ein Kulturproblem - ob meine Vorstellung, wie sich grüne Politik entwickeln sollte, noch zu weit entfernt ist von denen, die auf alt-parteiliche Parlamentsarbeit ausgerichtet sind.
Was ich geschafft habe, und was mich freut: Einige der Kandidatinnen für den Landesvorstand, vor allem meine Gegenkandidatin um den Landesvorsitz, müssen sich etwas mehr anstrengen als geplant, ihre Kandidatur zu begründen und überhaupt mal bekanntzugeben (endlich) - und sie werden von Mitgliedern nach ihrem Zeitbudget für diese Aufgabe befragt.
Ich bin zunehmend unsicher, ob ich meine Kandidatur aufrecht erhalten soll. Einerseits denke ich tatsächlich, dass ich es besser machen werde als Katharina, unsere aktuelle Vorsitzende, die gegen mich kandidiert. Andererseits sehe ich schon ein, dass ich nicht nur inhaltlich noch kontroverser bin als sie sondern auch eine Form vorschlage, die noch unerprobt ist.