19.9.16

Die Deplorablen*

Das, was Menschen in meinem Umfeld zurzeit massiv umtreibt, ist die Frage, wie die Gesellschaft politisch gerade auseinander fällt. Mit der Landtagswahl in Mecklenburg und der Stadtwahl in Berlin ist die Ratlosigkeit bei fast allen, die ich kenne und schätze, groß: Ja, dass die Autoritären den Menschen ein Gehör verschaffen, die sich zuletzt (oder schon immer) aus dem politischen Diskurs raushielten oder verabschiedet hatten, ist das eine. Dass sie faktisch den gesamten Diskurs bestimmen, das andere. Dabei mal gar nicht auf die massive Dummheit der CSU geschielt, das überall in Europa gescheiterte Nachlaufspiel nachzuspielen.

Das, was die Diskussion unter denen, die Anhängerinnen der Demokratie sind, so kurios macht, ist, dass jede aus ihrem eigenen Betätigungsfeld heraus eine vordergründig richtige Analyse anbieten kann. Letzte Woche saß ich mit Menschen aus Kirche, Diakonie, Politik und Medien zusammen beim Bischofsdinner – und fand es faszinierend, wie sicher sich die Chefs der Diakonie waren, dass der Aufstieg der autoritären Partei AfD in Deutschland seine Ursache im sozialen Auseinanderfallen der Gesellschaft und in der neoliberalen Wirtschaftspolitik hat. Und die Zahlen – dass Menschen, die AfD wählen, größtenteils eine niedrige formale Bildung haben und aus dem stammen, was man früher Arbeiterschicht genannt hat – sprechen an der einen Stelle auch dafür.
(Weshalb, aber das nur am Rande, meines Erachtens Sahra Wagenknecht auch taktisch richtig liegt, wenn sie den Wettbewerb auch inhaltlich zwischen ihrer Partei und der AfD sucht. Selbst wenn ich sie dafür verachte: sie hat aus Sicht der Linken Recht. Was m.E. wiederum Teil des Problems ist, aber das ist eine andere Geschichte.)

Ich habe mich in jener Veranstaltung dann dahingehend geäußert, wie ich auch hier schon das eine oder andere Mal schrieb - dass ich den Aufstieg der AfD eben eher unter dem Stichwort "autoritär" als unter dem "populistisch" sehe. Und dass einiges an den Zahlen, besonders krass in Österreich und den USA, wo ja ebenfalls autoritäre Nationalisten sehr erfolgreich sind gerade, dafür spricht, dass sie vor allem Männer ansprechen, die nicht klarkommen damit, dass die Welt sich zu ihren Ungunsten verändert: weil sie weiblicher und bunter geworden ist. Weil, verkürzt ausgedrückt, in diesem Land das biodeutsche Patriarchat sein Rückzugsgefecht führt.

Und war überrascht, mit welcher Massivität mich mein Parteifreund und Präsident meiner Landessynode, Andreas Tietze, hinterher anging. Er scheint auch ein Anhänger der "Sozialthese" zu sein (so hab ich seine Kritik verstanden), meinte, die Zahlen für Mecklenburg gäben die Männer-Frauen-Analyse nicht her.

Wer hat eigentlich Männern das Wahlrecht gegeben?
Für Mecklenburg und Berlin habe ich mir genau die Frage darum noch einmal angeguckt, welche "Abgehängten" denn nun AfD wählen. Und um meine These und Schlussfolgerung gleich vorweg zu nehmen: Das ist dann eben so.

Die werden "wir" auch nicht zurück gewinnen. Die historische Leistung von SPD und CDU, sie irgendwie mitzuvertreten und "einzuhausen", können (CDU) oder wollen (SPD) die beiden Parteien nicht mehr leisten, nur noch die Linke schafft das teilweise, was ich ihr trotz aller Kritik an ihr hoch anrechne. Politisch denke ich, wir werden damit leben müssen, dass die Deplorablen, also die, bei denen jedes Argument hoffnungslos scheitert und die sich - bewusst oder unbewusst - außerhalb eines demokratischen Konsenses bewegen, für die Zukunft dieser Gesellschaft verloren sind. Was individuell tragisch ist, ja. Aber nicht zu ändern. Wer sich nicht verändern will, wenn die Welt sich weiterdreht, wird eben zurück bleiben (das meine ich nicht sozial, das ist ein anderes Thema; aber politisch und von der Machtverteilung).

Es ist nun mal nicht zu ändern und logisch, dass heterosexuelle, weiße Männer die Verlierer der Veränderungen sind, die unsere Gesellschaften durchmachen. Und das unabhängig von der sozialen Frage (weshalb es auch nicht ungewöhnlich ist, dass auch Professoren und andere Eliten, die nun von ihren Privilegien abgeben müssen, zu den Führern der neuen Autoritären gehören). Denn wenn die systematische Diskriminierung von Frauen, Nichtweißen, Schwulen etc. zurück geht, wenn mehr Frauen, Nichtweiße, Schwule etc. in Führung- und Machtpositionen kommen, dann kommen logischerweise weniger heterosexuelle weiße Männer in diese Positionen als bisher (zwar immer noch weit mehr als ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht – aber eben weniger als bisher).

Die hoffnungslosen Fälle
Es ist super interessant und auffällig, dass alle anderen Parteien mehr oder weniger gleichmäßig in den verschiedenen Demographien punkten (abgesehen von den Grünen, die auffällig weniger Wählerinnen mit niedriger Formalbildung haben). Nur die AfD hat in zwei Fragen eine Unwucht: bei der "Klasse" und beim Geschlecht. Ersteres, so denke ich, weil SPD und CDU ihre Bindungskraft verloren haben und die Linken nur einen Teil auffangen können. Letzteres wäre aus meiner Sicht ohne die These von den "Modernisierungsverlierern" nicht zu erklären (außer wir würden annehmen, dass Männer an sich im Schnitt dümmer und/oder autoritärer sind).


Es klingt vielleicht der einen oder anderen zu resigniert – aber wenn ich mir diese Statistiken ansehe und wenn ich dem einen oder anderen Mann, der die Autoritären wählt oder mit ihnen liebäugelt, zuhöre, dann denke ich nicht, dass wir diese Männer für das Projekt Gesellschaft und für die Demokratie zurückgewinnen können.

Keine Teilhabe? Das ist gut so!
Bei denen, die den Dialog mit den Feindinnen unserer Gesellschaft und den Verächterinnen der Demokratie suchen, also mit den Autoritären, höre ich immer wieder, dass ein Problem sei, dass eben einige Gruppen von der Teilhabe am öffentlichen Diskurs, am politischen Prozess ausgeschlossen seien – und dass dieses ein Problem sei, das von der Interessenvertretung der Autoritären, der AfD adressiert werde.

Mir kommt es so vor, als ob das zwar einerseits stimmt – aber andererseits eben auch irrelevant ist. Wer kein Interesse hat, die Veränderungen, die sich in der Gesellschaft ergeben (und für die viele Menschen auch aktiv und lange gekämpft und gearbeitet haben), zu gestalten; wer also eigentlich nur zurück will in einer Zeit, in der alle Macht bei weißen heterosexuellen Männern lag, ob in der Familie, im Job oder in der Gesellschaft; wer autoritär und reaktionär ist – wo soll der Sinn darin liegen, diese Leute auch noch aktiv zu beteiligen? Ja, vielleicht ist es gut, dass sie ein Sprachrohr haben, dass ihre Vertretung in den Parlamenten ist. Aber damit ist dann auch genug.

Lieber die Gesellschaft weiter umbauen
Ich kann verstehen, dass CDU und SPD (und mit Abstrichen auch die Linken) nervös werden. Ich kann es nicht verstehen, wenn das – wie beim Parteifreund Tietze – auch Grünen oder FDP-Leuten passiert. Aber muss die Antwort auf die Herausforderung durch die Autoritären, die gerne wollen, dass ein alltagsrassistisch geprägtes Patriarchat aufrecht erhalten wird, nicht sein, den Umbau der Gesellschaft zu beschleunigen und froh und optimistisch in die Zukunft zu schauen? Müssen wir nicht wieder dazu kommen, die zwanzig bis dreißig Prozent Männer, die auf diesem Weg nicht mitgehen wollen, eben einfach zurück zu lassen? Als Gesellschaft werden wir das überleben. Und diese Männer werden es – Sozialstaat, den wir trotz aller Probleme und Einschnitte immer noch haben, sei Dank – ebenfalls überleben.

Blick nach Norden und nicht nach Österreich und Frankreich
Bei allen Problemen, die auch die nordischen Gesellschaften mit den autoritären Modernisierungsverliererinnen haben: Es ist und bleibt doch interessant, dass anders als in Österreich und Frankreich, wo die demokratischen Parteien sich von den autoritären treiben lassen, der Umbau der Gesellschaft weitergeht. Siehe das Grundeinkommenexperiment trotz der starken autoritären Partei in Finnland.

Die hoffnungslosen Fälle werden wir ohnehin nicht mitnehmen können. Die einzige vernünftige Antwort auf die Erfolge der AfD scheint mir zu sein, mehr Feministinnen, mehr offen Homosexuelle, mehr Einwanderinnen in Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu bringen. Weil wir verdammt noch mal 2016 haben. Und mit den Autoritären zu streiten – nicht aber den Dialog zu suchen. Denn verloren haben wir sie ohnehin. Unser Streit mit ihnen zielt auf die andere Hälfte der AfD-Wählerinnen – die Hälfte, die für diese Gesellschaft noch nicht verloren ist.


tl;dr
Wir werden die 20 bis 30% Männer zurück lassen müssen, die nicht mit uns in die Zukunft gehen wollen sondern sich als Verlierer gefallen.


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* Zur Überschrift siehe irgendwas zu Clintons basket of deplorables, beispielsweise eine Einordnung bei Vox.com. Die Überlegung dahinter – dass die Hälfte der Unterstützerinnen Trumps im Grunde hoffnungslose Fälle sind, weil rassistisch, homophpb, islamophb etc. – finde ich wichtig und richtig.

6.9.16

Sehr geehrter Herr Höttges,

ich bin im Prinzip ein großes Fan der Telekom, nachdem ich damals zu den ersten gehörte, die weg gingen - ich komme immer wieder. Das liegt vor allem an zwei Dingen: zum einen an der Stabilität der Services und dem eher konservativen Leistungsversprechen, das die Telekom jeweils gibt. Und zum anderen am Kundenservice.

Tatsächlich habe ich auch in meinen aktuellen Fall am Kundenservice selbst nichts auszusetzen - die vielen, vielen Stunden, mit denen sich der Kundenservice mit großer Geduld mit mir um die Frage gekümmert hat, wie ich halbwegs akzeptables Internet auf dem Land bekomme, finde ich beeindruckend. Gemeinsam mit dem Kundenservice bin ich aber nun an eine Grenze gestoßen, die wahrscheinlich nur von Ihnen und Ihrer Kollegin und Ihren Kollegen im Vorstand gelöst werden kann.

Dieses ist das Problem:
Im Grunde haben Sie eine ganz gute Lösung für den ländlichen Raum entwickelt – das Hybridinternet, bei dem eine (digitale) Leitung mit LTE kombiniert wird zu einem Produkt, das allen Anforderungen an eine normale Internetnutzung genügt (wir wollen gar nichts Besonderes). Einzige Voraussetzung dafür ist, dass eine ganz, ganz kleine DSL-Leitung liegt und dass die mit Annex J ausgestattet ist, also ein IP-Anschluss ist.

Und hier kommt unser Problem: von den beiden Leitungen, die in unseren Hof führen, ist eine kaputt (von einem Baum zerstört, wenn wir den Techniker, der das gemessen hat, richtig verstanden haben). Und die andere noch analog. Und weder die Planungsabteilung noch die Technikabteilung bei uns in Schleswig-Holstein scheinen die digital machen zu wollen. Wobei wir da immer wieder widersprüchliche Aussagen bekommen - mal heißt es, die Leitung sei zu lang (die Dämpfung zu groß - obwohl genau das ja mit Annex J "bekämpft" werden soll), mal heißt es, es sei im Verteiler kein Port mehr frei, um die die Annex J Karte zu stecken. Either way: wir bekommen keinen digitalen Anschluss.

Uns ist dabei bewusst, dass unsere Leitung grenzwertig lang ist, weil die Telekom den letzten Verteiler in unserem Dorf beim intensiven Ausbau in unserer Region (wir sind nahe Eutin) ausgelassen hat und nicht plant, ihn einzubeziehen. Und uns ist bewusst, dass die Telekom zögert, eine lange Leitung IP-fähig zu machen, weil darunter die Verlässlichkeit und Qualität von Telefonie leiden könnte. So weit unser Verständnis.

Nun haben wir aber echt viele Vorschläge gemacht. Von einer Flatrate für LTE (wir probieren gerade mit dem 30GB-LTE-Internet rum, aber das ist echt gar nichts. Nach zwei bis vier Tagen ist das verbraucht, obwohl wir den Kindern Video und 3D-Games gesperrt haben) bis hin zum Angebot, Ihnen rechtssicher zu versichern, dass wir nicht telefonieren werden (denn hey, wir wollen nur Internet, wer braucht heute schon noch Festnetz?). Alles ginge nicht, letzteres nicht, weil sich die Telekom an ihre AGB gebunden sieht.

Wir sind echt keine Exoten, glaube ich. Ich arbeite hin und wieder von zu Hause, leite als Geschäftsführer eine Agentur. Meine Frau ist Lehrerin, nur noch zwei unserer vier Kinder sind zu Hause, die wollen zwar gerne das Internet so nutzen wie ihre Freundinnen und Freunde, sind aber bereit, auf ein normales Leben zu verzichten, wenn wir irgendwie halbwegs normales Internet bekämen. Aber selbst mit diesem Verzicht reicht das maximale LTE-Paket vorne und hinten nicht.

Ja, es ist unsere eigene Entscheidung gewesen, aufs Land zu ziehen. Allerdings haben wir bei Ihnen vor dem Kauf des Hofes nachgefragt, welche Internetoptionen es konkret an dieser Adresse gibt - und uns wurde Hybrid fest zugesagt. Ob wir den Hof sonst gekauft hätten, bin ich mir nicht ganz sicher.

Können Sie uns helfen, ein normales Leben zu führen? Und uns Internet geben, das uns nicht 8 EUR am Tag kostet?

Herzlichen Dank und freundliche Grüße

Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach

(PS: der Versuch, Ihnen dieses per E-Mail zuzuschicken, ist bisher gescheitert, das hätte ich sonst sehr gerne gemacht)