Seit ich das erste Mal in Victor Klemperers großartiges Büchlein LTI (Lingua Tertii Imperii) hineingelesen habe, ist mir die Ideologiekritik durch Sprache wichtig. Ich kann nicht mehr sprechen oder schreiben, ohne mir über die Konnotationen von Wörtern Gedanken zu machen. Vor etwa zwei Jahren hatte ich dazu schon mal geschrieben, damals anhand des Beispiels der neurechten Kampfbegriffe Gutmensch und Wutbürger.
Etwas, das mich immer sehr ärgert, weil es meiner Meinung nach intellektuell unredlich ist, sind Behauptungen wie "das habe ich nicht so gemeint" oder "also das ist nicht die Ecke in die ich damit gestellt werden will", wenn jemand Worte oder auch nur Wörter verwendet, die als Argumentationsersatz dienen. Weil in ihnen ein Wertesystem mitschwingt, das eine Autorin nicht "abstellen" kann, wenn sie diese Wörter verwendet. Dieses zu bestreiten, halte ich entweder für naiv. Oder für ideologisch. Perfiderweise, so meine Erfahrung, findet dieses Bestreiten (oder das Verwenden von ideologischen Argumentationsersatzwörtern) dann oft in Kontexten statt, die von sich selbst behaupten, Ideologie überwinden zu wollen.
Perfiderweise - aber nicht überraschenderweise. Denn so wie es zur klassischen deutschen Festrede rhetorisch dazu gehört, zu betonen, keine klassische deutsche Festrede zu halten, so schrillen bei mir alle Alarmglocken, wenn jemand die Behauptung aufstellt, sie wolle jetzt einmal versuchen, eine ideologische Debatte zu versachlichen o.ä. Denn das Problem an diesem - auch wieder - Argumentationsersatz ist, dass zunächst einmal bei anderen eine Ideologie behauptet wird, sie aber nicht benannt oder mit den Methoden der Ideologiekritik entlarvt wird. Was oft daran liegt, dass bei den Gegnerinnen zwar eine Ideologie behauptet wird, es aber zweifelhaft ist, ob es die wirklich gibt.
Mein Eindruck ist eher, dass - ähnlich wie bei Kristina Schröder oder bei radikalen Christinnen - anstelle einer intellektuell anspruchsvollen Auseinandersetzung eine Gegnerin zu einem Popanz aufgebaut werden muss, um sich davon abheben zu können. Allerschönstes "Bild"-Niveau: "Klartext", "man wird ja wohl noch mal sagen dürfen" etc.
Wichtigste Kennzeichen einer solchen ideologisierten Scheinargumentation sind nach meiner Erfahrung vor allem Formulierungen wie eben dieses "man wird ja wohl noch mal sagen dürfen" oder "wer dagegen spricht, wird sofort mundtot gemacht" oder die Erwähnung von "politischer Korrektheit". Ich kann nachvollziehen, wenn jemand so in einer (mündlichen) politischen Auseinandersetzung spricht - denn es funktioniert und appelliert erfolgreich an die niederen Instinkte einer Menge rechts von der Mitte. Aber damit endet auch schon der Sinn solcher Formulierungen: mit der Selbstvergewisserung und Selbstverortung im "rechten Mainstream".
"Rechts" hier in Ermangelung eines besseren Wortes verwendet als veralteter Gattungsbegriff neoliberaler, konservativer, reaktionärer und neurechter Ansätze, die sich untereinander selbstverständlich sehr unterscheiden. Durch das Wort "Mainstream" versuche ich die Abgrenzung dieser Gattung vom Rechtsextremismus.
Wofür sie nicht taugen, ist der Diskurs. Gerade weil mir Ideologiekritik so wichtig ist, habe ich keine Lust mehr, mich mit ideologischem Argumentationsersatz zu beschäftigen. Das mag arrogant sein und dazu führen, dass ich mich aus einem Teil der Diskursversuche unserer Zeit verabschieden muss. Aber ich bin es einfach müde, seit rund 30 Jahren immer und immer wieder die gleichen Diskussionen zu führen (na, kommt das irgendwem bekannt vor? Ja, das ist das gleiche Argument, mit dem ich mich aus der Auseinandersetzung um Feminismus und Sexismus verabschiedet habe).
Vielleicht muss jede Generation erneut ihre Kämpfe führen. Aber ich bin dafür zurzeit zu müde. Und ich kenne und schätze genügend Menschen, mit denen ich leben und sprechen und (politisch) arbeiten kann, mit denen ich das nicht jedes Mal neu auskämpfen muss. Es ist für einen Christen vielleicht allzu resignativ. Aber so ist es nun mal. Ich habe genug damit zu tun, meine Kinder und die Menschen, die mir wichtig sind, zu begleiten und mit ihnen gemeinsam ein lebenswerte Welt zu gestalten.
Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass ich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts so viele glückliche Menschen kennen lernen durfte, die irgendwann aus den ideologischen Kämpfen ausgestiegen sind und praktisch gezeigt haben, dass sie eine lebenswerte Welt gestalten können. Dass sie die Welt verändern durch Handeln und Reden. Oft sogar mehr, als es den Anschein hat. Von denen werde ich mehr erzählen. Von denen werde ich mich mehr inspirieren lassen.
Und aus jedes Diskussion mit Argumentationsersatz aussteigen. Und die Lektüre von Texten abbrechen, wenn sie in sprachlichen Anschluss an die Ideologie des rechten Mainstream suchen. Dadurch wird mir etwas entgehen, mit Sicherheit. Und ich gebe vielleicht ein bisschen auf, zumindest gebe ich einige Menschen auf. Das schmerzt mich. Aber ich kann nicht die ganze Welt bauen.
25.6.13
18.6.13
Haltungsturnen
Steinbrück ist als Kanzler nicht geeignet. Das ist ein Dilemma, weil meine Partei (die Grünen) damit zwischen Pest und Cholera entscheiden müsste. Andererseits ist ja die "Strategie 2017" von Sigmar Gabriel genial (also die Strategie, in diesem Jahr einen populären Kandidaten zu verbrennen, so dass er ihm 2017 nicht im Weg steht, wenn er selbst Kanzler werden kann) und ist dabei aufzugehen. Dass sie zynisch ist, weil sie dem Land vier weitere Jahre eine falsche Regierung bescheren wird, ist halt Gabriel. Aber genug an der Herzenspartei SPD abgearbeitet.
Neben den Screenshots von Rolf Kleines Facebook-Profil, die ihn als Alltagsrassisten outen, ist es vor allem seine Rolle als Kampagnenmacher und Hetzer in der Anti-Griechenlandkampagne der "Bild", die zeigen, was für ein Mensch er ist. Dazu hat unter großen Schmerzen der Ex-Sozi Michalis Pantelouris etwas beeindruckendes geschrieben.
Mir kann niemand erzählen, dass Steinbrück das nicht gewusst hat (was im Übrigen seine Kanzlerqualifikation noch nachhaltiger ruinierte). Dass er ohne Not und unter im Vergleich zu einer Kanzlerschaft nur minimalem Druck die Entscheidung trifft, so einen als Berater zu wählen, offenbart bestenfalls seine Haltungslosigkeit, schlimmstenfalls seine Haltung. Egal was - weder ein Kanzler mit einer menschenverachtenden Haltung noch einer, der in einer wirklichen Krise gar keine Haltung, gar keinen Kompass hat, an dem er sich orientieren kann, ist dem Amt gewachsen. Das war ja schon das Problem bei Schröder. Und das hebt Merkel trotz all ihrer schlechten Politik aus der Masse heraus.
Ich habe kein Problem mit Alphatieren. Ich habe nicht einmal ein Problem mit Zynikern. Aber mir wird Angst und Bange vor einem Mann, der in der ersten kleinen Bewährungsprobe dafür, ob er von einem Wertekompass geleitet ist oder angstvoll rumschlingert, nur Zeichen von letzterem zeigt.
Das ist mir nicht egal.
Hier geht es eigentlich um Haltung.
Und das ist seit über zehn Jahren das bleibende Thema dieses Blogs. Und sein Geburtshelfer. Denn schon bevor ich dieses Blog 2003 startete, hatte ich den Gedanken vom "Haltungsturnen" entwickelt, sogar ein "Haltungsturner-Manifest" geschrieben. Und überlegt, ob das etwas sein könnte, wohin ich mich auch beruflich entwickeln will (was ja immer noch kommen kann).
In den 90ern des letzten Jahrhunderts habe ich vor allem zu Ethik gearbeitet, während des Studiums und in meiner Zeit in der evangelischen Publizistik. Haltung ist in diesem Zusammenhang für mich der alltagstaugliche Begriff eines operationalisierbaren Wertekanons. Ich komme aus einer Ethikecke, die werteorientiert ist (im Gegensatz zur liberalen und zur utilitaristischen angelsächsischen Tradition, die eher zielorientiert ist, um es einmal etwas holzschnittartig zu formulieren). Die genaue Verortung und genaue Definition würde jetzt hier zu weit führen, aber eine Anekdote, die mich, als ich sie 2002 erstmal hörte, sehr beeindruckt hat, hat dazu geführt, das, was mir wichtig ist, als "Haltungsturnen" zu bezeichnen: das Einüben von Haltung, also das Treffen von Entscheidungen aufgrund von Werten und Werturteilen. Was wichtig ist, damit ich diese Werte und diese Haltung kenne, wenn es hart auf hart kommt. Diese Geschichte ging so:
Dieter Gorny war Vorstandsvorsitzender der Viva Media AG, die u.a. den Musikender "Viva" betrieb, als am 11.9.2001 jener grauenvolle Anschlag in New York verübt wurde. Fast alle TV-Sender haben ab mittags den live gesendeten Flug in den zweiten Turm in Endlosschleife gespielt. Falls ihr alt genug seid, werdet ihr euch daran erinnern. Gorny soll, so geht die Geschichte, die selbstverständlich auch eine Legende sein kann, das kann ich nicht beurteilen, gegen viele Widerstände persönlich entschieden haben (und die Konsequenzen auf seine Kappe zu nehmen bereit gewesen sein), da nicht mitzumachen - und stattdessen einen schwarzen Bildschirm zu senden. Er war unter Druck und in einer Extremsituation in der Lage, eine starke und (wie sich herausstellte) richtige Entscheidung zu treffen. Das war, so hieß es damals, nur möglich, weil er sich immer wieder seiner Werte versichert habe, weil er wusste, wo er steht.
Zurück zu Steinbrück. Und dazu, dass er Rolf Kleine zum Sprecher und Berater gemacht hat.
Und das ist seit über zehn Jahren das bleibende Thema dieses Blogs. Und sein Geburtshelfer. Denn schon bevor ich dieses Blog 2003 startete, hatte ich den Gedanken vom "Haltungsturnen" entwickelt, sogar ein "Haltungsturner-Manifest" geschrieben. Und überlegt, ob das etwas sein könnte, wohin ich mich auch beruflich entwickeln will (was ja immer noch kommen kann).
In den 90ern des letzten Jahrhunderts habe ich vor allem zu Ethik gearbeitet, während des Studiums und in meiner Zeit in der evangelischen Publizistik. Haltung ist in diesem Zusammenhang für mich der alltagstaugliche Begriff eines operationalisierbaren Wertekanons. Ich komme aus einer Ethikecke, die werteorientiert ist (im Gegensatz zur liberalen und zur utilitaristischen angelsächsischen Tradition, die eher zielorientiert ist, um es einmal etwas holzschnittartig zu formulieren). Die genaue Verortung und genaue Definition würde jetzt hier zu weit führen, aber eine Anekdote, die mich, als ich sie 2002 erstmal hörte, sehr beeindruckt hat, hat dazu geführt, das, was mir wichtig ist, als "Haltungsturnen" zu bezeichnen: das Einüben von Haltung, also das Treffen von Entscheidungen aufgrund von Werten und Werturteilen. Was wichtig ist, damit ich diese Werte und diese Haltung kenne, wenn es hart auf hart kommt. Diese Geschichte ging so:
Dieter Gorny war Vorstandsvorsitzender der Viva Media AG, die u.a. den Musikender "Viva" betrieb, als am 11.9.2001 jener grauenvolle Anschlag in New York verübt wurde. Fast alle TV-Sender haben ab mittags den live gesendeten Flug in den zweiten Turm in Endlosschleife gespielt. Falls ihr alt genug seid, werdet ihr euch daran erinnern. Gorny soll, so geht die Geschichte, die selbstverständlich auch eine Legende sein kann, das kann ich nicht beurteilen, gegen viele Widerstände persönlich entschieden haben (und die Konsequenzen auf seine Kappe zu nehmen bereit gewesen sein), da nicht mitzumachen - und stattdessen einen schwarzen Bildschirm zu senden. Er war unter Druck und in einer Extremsituation in der Lage, eine starke und (wie sich herausstellte) richtige Entscheidung zu treffen. Das war, so hieß es damals, nur möglich, weil er sich immer wieder seiner Werte versichert habe, weil er wusste, wo er steht.
Zurück zu Steinbrück. Und dazu, dass er Rolf Kleine zum Sprecher und Berater gemacht hat.
. @luebue Berater beraten, Kanzler entscheiden. Die Kleine-Diskussion ist für mich der Prototyp einer missratenen Diskussion.
— Christoph Kappes (@ChristophKappes) June 18, 2013
Neben den Screenshots von Rolf Kleines Facebook-Profil, die ihn als Alltagsrassisten outen, ist es vor allem seine Rolle als Kampagnenmacher und Hetzer in der Anti-Griechenlandkampagne der "Bild", die zeigen, was für ein Mensch er ist. Dazu hat unter großen Schmerzen der Ex-Sozi Michalis Pantelouris etwas beeindruckendes geschrieben.
Mir kann niemand erzählen, dass Steinbrück das nicht gewusst hat (was im Übrigen seine Kanzlerqualifikation noch nachhaltiger ruinierte). Dass er ohne Not und unter im Vergleich zu einer Kanzlerschaft nur minimalem Druck die Entscheidung trifft, so einen als Berater zu wählen, offenbart bestenfalls seine Haltungslosigkeit, schlimmstenfalls seine Haltung. Egal was - weder ein Kanzler mit einer menschenverachtenden Haltung noch einer, der in einer wirklichen Krise gar keine Haltung, gar keinen Kompass hat, an dem er sich orientieren kann, ist dem Amt gewachsen. Das war ja schon das Problem bei Schröder. Und das hebt Merkel trotz all ihrer schlechten Politik aus der Masse heraus.
Ich habe kein Problem mit Alphatieren. Ich habe nicht einmal ein Problem mit Zynikern. Aber mir wird Angst und Bange vor einem Mann, der in der ersten kleinen Bewährungsprobe dafür, ob er von einem Wertekompass geleitet ist oder angstvoll rumschlingert, nur Zeichen von letzterem zeigt.
Das ist mir nicht egal.
Das nächste große Ding
Das, was nach Facebook kommt, wisst ihr, das kenne ich auch nicht. Aber das macht nichts. Denn ich bin überzeugt, dass es gar nicht "das nächste große Ding" geben wird. Jedenfalls nicht so bald. Sondern dass sich Menschen in ihrer Nutzung der Onlinedingsens ausdifferenzieren werden.
Was ich aber weiß, ist, wie sich das Onlineleben bei Jugendlichen zurzeit verändert. Daraus lassen sich schon einige Rückschlüsse ziehen. Einige erste Gedanken hatte ich letzten Monat schon einmal auf englisch aufgeschrieben und zur Diskussion gestellt. Und letzte Woche spontan daraus einen Vortrag auf der Fachtagung Social Media der depak gehalten. Lustigerweise als Ersatz für einen Facebook-Vortrag. Aber abgesehen davon waren dieses hier die Folien, die ich dafür zusammengestöpselt habe:
Mit Jugendlichen beschäftige ich mich ja sowohl beruflich als auch privat intensiv. Habe selbst drei sehr unterschiedliche zu Hause (plus ein Kind). Und bin in einigen Projekten involviert, bei denen wir Jugendliche kommunikativ erreichen und in einen Dialog, in eine Aktivierung bringen wollen.
Auch wenn ich weiß, dass aus dem Verhalten von Jugendlichen heute nicht auf ihre Verhalten in fünf oder zehn Jahren geschlossen werden kann, sind doch die Dinge, denen sie sich entziehen, die sie nicht machen ,spannend. Ebenso wie die Dinge, die sie für sich anders nutzen oder entdecken.
Twitter beispielsweise. Seit Beginn dieses Jahres mit enormen Zuwachsraten unter Jugendlichen, aber mit einer von meiner Nutzung sehr deutlich abweichenden Verwendung. Die nahbaren Stars dieser Generation, beispielsweise von YouTube, haben Followerzahlen, die "uns" Erwachsene mit den Ohren schlackern lassen. 50.000 junge Leute unter 16 Jahren sind da keine seltene Followschaft.
Oder dass sie vor den Vollhonks und vor dem Mobbing aus Facebook fliehen. Also Facebook anders nutzen als wir. Und sich in Räume zurück ziehen, in denen die Codes gleich sind unter denen, die da sind. In denen sie sich verstehen, ohne jedes Mal erklären zu müssen, was gemeint ist und wie es gemeint ist.
Oder dass sie mit verschiedenen ihrer Gruppen unterschiedliche Chat-Apps nutzen. Oder ganz WhatsApp lassen, weil sie auch gemerkt haben, dass ihre Eltern das schon kennen und sehen, wann sie zuletzt online waren. Beispielsweise Dienstag um 2.34 Uhr, direkt vor dieser wichtigen Matheklausur.
Das nächste große Ding ist aus meiner Sicht dieses Ende des Silos. Und das Zerfallen der Kommunikationsräume. Mehr Text bei Medium. Das ich ohnehin für eines der spannendsten Dings zurzeit halte. Mehr Bilder bei Instagram. Das weiterhin sehr wächst unter Jugendlichen und unter Erwachsenen. Starkes Ausdifferenzieren von Verhaltenweisen auf Twitter. Das damit mehr und mehr wirklich zur Infrastruktur wird und sich wegentwickelt von allem, was daran mal communityartig gewesen wäre.
Meine Drohung: Ich bleibe an diesem Thema dran. Denn ich merke, wie sehr es für viele andere noch neu ist. So wie für den Teilnehmer an der Tagung letzte Woche, der verzweifelt auf mich zu kam, weil einige Tage vorher gerade seine große Jugendkampagne gestartet war. Auf Facebook. Und mit SMS.
Ceterum censeo: Wer glaubt, mit Facebook Jugendliche zu erreichen, schreibt denen wohl auch noch SMS
Was ich aber weiß, ist, wie sich das Onlineleben bei Jugendlichen zurzeit verändert. Daraus lassen sich schon einige Rückschlüsse ziehen. Einige erste Gedanken hatte ich letzten Monat schon einmal auf englisch aufgeschrieben und zur Diskussion gestellt. Und letzte Woche spontan daraus einen Vortrag auf der Fachtagung Social Media der depak gehalten. Lustigerweise als Ersatz für einen Facebook-Vortrag. Aber abgesehen davon waren dieses hier die Folien, die ich dafür zusammengestöpselt habe:
Mit Jugendlichen beschäftige ich mich ja sowohl beruflich als auch privat intensiv. Habe selbst drei sehr unterschiedliche zu Hause (plus ein Kind). Und bin in einigen Projekten involviert, bei denen wir Jugendliche kommunikativ erreichen und in einen Dialog, in eine Aktivierung bringen wollen.
Auch wenn ich weiß, dass aus dem Verhalten von Jugendlichen heute nicht auf ihre Verhalten in fünf oder zehn Jahren geschlossen werden kann, sind doch die Dinge, denen sie sich entziehen, die sie nicht machen ,spannend. Ebenso wie die Dinge, die sie für sich anders nutzen oder entdecken.
Twitter beispielsweise. Seit Beginn dieses Jahres mit enormen Zuwachsraten unter Jugendlichen, aber mit einer von meiner Nutzung sehr deutlich abweichenden Verwendung. Die nahbaren Stars dieser Generation, beispielsweise von YouTube, haben Followerzahlen, die "uns" Erwachsene mit den Ohren schlackern lassen. 50.000 junge Leute unter 16 Jahren sind da keine seltene Followschaft.
Oder dass sie vor den Vollhonks und vor dem Mobbing aus Facebook fliehen. Also Facebook anders nutzen als wir. Und sich in Räume zurück ziehen, in denen die Codes gleich sind unter denen, die da sind. In denen sie sich verstehen, ohne jedes Mal erklären zu müssen, was gemeint ist und wie es gemeint ist.
Oder dass sie mit verschiedenen ihrer Gruppen unterschiedliche Chat-Apps nutzen. Oder ganz WhatsApp lassen, weil sie auch gemerkt haben, dass ihre Eltern das schon kennen und sehen, wann sie zuletzt online waren. Beispielsweise Dienstag um 2.34 Uhr, direkt vor dieser wichtigen Matheklausur.
Das nächste große Ding ist aus meiner Sicht dieses Ende des Silos. Und das Zerfallen der Kommunikationsräume. Mehr Text bei Medium. Das ich ohnehin für eines der spannendsten Dings zurzeit halte. Mehr Bilder bei Instagram. Das weiterhin sehr wächst unter Jugendlichen und unter Erwachsenen. Starkes Ausdifferenzieren von Verhaltenweisen auf Twitter. Das damit mehr und mehr wirklich zur Infrastruktur wird und sich wegentwickelt von allem, was daran mal communityartig gewesen wäre.
Meine Drohung: Ich bleibe an diesem Thema dran. Denn ich merke, wie sehr es für viele andere noch neu ist. So wie für den Teilnehmer an der Tagung letzte Woche, der verzweifelt auf mich zu kam, weil einige Tage vorher gerade seine große Jugendkampagne gestartet war. Auf Facebook. Und mit SMS.
Ceterum censeo: Wer glaubt, mit Facebook Jugendliche zu erreichen, schreibt denen wohl auch noch SMS
7.6.13
Das Arschloch ist die arme Sau
Es gibt zwei Arten von Arschlöchern. Die, die arrogante Einzelgängerinnen sind. Und die, die sich als mainstreaminges Mobbing-Arschloch gefallen. Gegen letztere wettert Thomas Gigold.
Warum ich Thomas dankbar bin für seinen Artikel: Weil er genauer hingelesen hat als ich. Weil ihm auffiel, dass es zwar launig klang und harmlos, dass es das aber nicht ist. Und weil es eben nicht um eine raue Schale mit einem weichen Kern geht - sondern weil die beiden zwar mehr oder weniger sagen, dass sie so nicht mehr sind (so verstehe ich Felix' Kommentar in Thomas' Blog), aber eben weitgehend unkritisch davon berichten, dass sie als junge Leute echt arme Säue waren mit sehr wenig Selbstwertgefühl.
Denn zum Mobbing wird Arschlochsein ja erst, wenn sich die Arschlöcher in der Gruppe verstecken. Wenn sie nicht arrogant-einsam sind sondern armselig-angepasst. Und genau da setzt das ein, was meine Großmutter "Herzensbildung" nennt. Was nach meiner Erfahrung aber weniger mit Bildung als mit Charakter zu tun hat. Und sich schon früh ausbildet. Zumal ein arme-Sau-Sein keine Entschuldigung ist für irgendwas.
Ich weiß, dass es ein schmaler Grat ist. Sozusagen auch aus eigener Erfahrung. Vielleicht hat mich vor der arme-Sau-Variante des Arschlochs nur geschützt, dass ich immer Außenseiter war, wer weiß. Vielleicht aber auch, dass ich meine Arschlochanfälle eher auf die Mainstreamanführerinnen gerichtet habe. Und richte.
Kritik, auch harte Kritik, auch unsachliche Kritik, auch Kritik, die persönlich wird, ist das eine. Ein lapidares mehr oder weniger unbeteiligtes Reden darüber, dass ich jemanden von der Schule gemobbt habe, etwas anderes.
***
Wie schmal der Grat ist, habe ich selbst vor etwa zwei Jahren erlebt. Ich hatte mich längere Zeit schon mehr oder weniger offen, aber immer öffentlich und mit offenem Visier über einen Mainstreamanführer lustig gemacht, den ich für schlecht hielt in dem, was er tat. Also qualitativ und intellektuell schlecht, als Menschen konnte ich ihn nicht beurteilen. Und mich mit Lust und Freude in sinnlose Diskussionen, teilweise über Bande, geworfen.
Irgendwann hörte ich, dass er sich von mir verfolgt fühle und glaube, ich hätte mich mit zwei anderen gegen ihn verschworen. Das hat mich tatsächlich erschreckt, denn das war weder mein Ziel noch mein Wunsch. Und das macht mich auch nicht stolz, vor allem nicht, dass ich das nicht merkte. Ich denke, dies war tatsächlich hart an der Grenze zum Mobbing, vielleicht auch über die Grenze hinüber. Jedenfalls habe ich in dem Moment alle Kommunikation mit ihm eingestellt, ihn aus allen Strömen herausgenommen, auf denen er mir begegnen könnte, ihn blockiert, so dass er nichts von mir in den falschen Hals bekommen kann oder auf sich beziehen kann, was nicht auf ihn bezogen ist, und so weiter.
Das Thema beschäftigte mich weiter. Und zeigte mir, dass auch eine eigene große Reichweite (seine ist sehr viel größer als meine) nicht immunisiert.
Warum ich dies jetzt, zwei Jahre später, schreibe? Weil ich zwar empört und entsetzt bin aber nicht selbstgerecht sein will. Weil es einen Unterschied macht, ob ich aus eigener Bosheit oder Freude oder Arschlochigkeit schreibe/handele oder weil ich mich damit in einer Gruppe positioniere. Und weil ich sicher bin, dass ein Aufhören schwerer ist, wenn ich eine arme Sau bin, die ihr Selbstbewusstsein aus der Anerkennung in der Gruppe und auf Kosten anderer zieht.
Arschloch sein hat in meinen Augen nichts damit zu tun, kaltherzig auf Menschen herum zu trampeln. Ihr beiden macht aber gerade genau diesen Eindruck. Prima, wirklich. (Ihr Arschlöcher)Er richtet sich (und um das gleich zu sagen: ich stimme ihm aber so was von zu) gegen zwei Leute, die ich in ihrer rotzfrechen und arroganten Art eigentlich sehr schätze. Und die ich ja nun auch schon seit rund zehn Jahren online und offline kenne. Und auch als Typen tatsächlich schätze, weshalb ich Thomas' Irritation auch teile. Felix Schwenzel und Robert Basic.
Warum ich Thomas dankbar bin für seinen Artikel: Weil er genauer hingelesen hat als ich. Weil ihm auffiel, dass es zwar launig klang und harmlos, dass es das aber nicht ist. Und weil es eben nicht um eine raue Schale mit einem weichen Kern geht - sondern weil die beiden zwar mehr oder weniger sagen, dass sie so nicht mehr sind (so verstehe ich Felix' Kommentar in Thomas' Blog), aber eben weitgehend unkritisch davon berichten, dass sie als junge Leute echt arme Säue waren mit sehr wenig Selbstwertgefühl.
Denn zum Mobbing wird Arschlochsein ja erst, wenn sich die Arschlöcher in der Gruppe verstecken. Wenn sie nicht arrogant-einsam sind sondern armselig-angepasst. Und genau da setzt das ein, was meine Großmutter "Herzensbildung" nennt. Was nach meiner Erfahrung aber weniger mit Bildung als mit Charakter zu tun hat. Und sich schon früh ausbildet. Zumal ein arme-Sau-Sein keine Entschuldigung ist für irgendwas.
Ich weiß, dass es ein schmaler Grat ist. Sozusagen auch aus eigener Erfahrung. Vielleicht hat mich vor der arme-Sau-Variante des Arschlochs nur geschützt, dass ich immer Außenseiter war, wer weiß. Vielleicht aber auch, dass ich meine Arschlochanfälle eher auf die Mainstreamanführerinnen gerichtet habe. Und richte.
Kritik, auch harte Kritik, auch unsachliche Kritik, auch Kritik, die persönlich wird, ist das eine. Ein lapidares mehr oder weniger unbeteiligtes Reden darüber, dass ich jemanden von der Schule gemobbt habe, etwas anderes.
***
Wie schmal der Grat ist, habe ich selbst vor etwa zwei Jahren erlebt. Ich hatte mich längere Zeit schon mehr oder weniger offen, aber immer öffentlich und mit offenem Visier über einen Mainstreamanführer lustig gemacht, den ich für schlecht hielt in dem, was er tat. Also qualitativ und intellektuell schlecht, als Menschen konnte ich ihn nicht beurteilen. Und mich mit Lust und Freude in sinnlose Diskussionen, teilweise über Bande, geworfen.
Irgendwann hörte ich, dass er sich von mir verfolgt fühle und glaube, ich hätte mich mit zwei anderen gegen ihn verschworen. Das hat mich tatsächlich erschreckt, denn das war weder mein Ziel noch mein Wunsch. Und das macht mich auch nicht stolz, vor allem nicht, dass ich das nicht merkte. Ich denke, dies war tatsächlich hart an der Grenze zum Mobbing, vielleicht auch über die Grenze hinüber. Jedenfalls habe ich in dem Moment alle Kommunikation mit ihm eingestellt, ihn aus allen Strömen herausgenommen, auf denen er mir begegnen könnte, ihn blockiert, so dass er nichts von mir in den falschen Hals bekommen kann oder auf sich beziehen kann, was nicht auf ihn bezogen ist, und so weiter.
Das Thema beschäftigte mich weiter. Und zeigte mir, dass auch eine eigene große Reichweite (seine ist sehr viel größer als meine) nicht immunisiert.
Warum ich dies jetzt, zwei Jahre später, schreibe? Weil ich zwar empört und entsetzt bin aber nicht selbstgerecht sein will. Weil es einen Unterschied macht, ob ich aus eigener Bosheit oder Freude oder Arschlochigkeit schreibe/handele oder weil ich mich damit in einer Gruppe positioniere. Und weil ich sicher bin, dass ein Aufhören schwerer ist, wenn ich eine arme Sau bin, die ihr Selbstbewusstsein aus der Anerkennung in der Gruppe und auf Kosten anderer zieht.
Abonnieren
Posts (Atom)