31.7.15

Die Würde des Menschen ist eingeschränkt unantastbar

Dass ich kein übertrieben großer Fan von Ex-Ministerin Kristina Schröder bin, ist für euch sicher nicht so überraschend. Dass sie kein übertrieben großer Fan des Grundgesetzes zu sein scheint, ist für mich dann schon eher überraschend*.

Das Positive vorweg
Die ersten Reaktionen aus Regierungsfraktionen auf den staatlichen Anschlag auf die Pressefreiheit gestehen immerhin zu, dass es ein Anschlag auf die Pressefreiheit sei - dass die halt einfach nicht uneingeschränkt gelte (was stimmt, siehe Grundgesetz Art 5 II). Damit sind die Linien klar. Und es ist von denen, die für diesen Anschlag sind, auch klar gemacht, dass es um Pressefreiheit geht und darum, wie sehr wir sie einschränken wollen. Das ist ein lohnender Kampf.

Das Erschütternde dann aber auch
Für eine Ex-Ministerin und MdB gibt es keine Grundrechte, die schrankenlos gelten:
Während ich gerne und hart mit Reaktionärinnen über die Pressefreiheit #ups streite, mache ich das nicht mit Verfassungsfeindinnen. Die Vorstellung, Art. 1 und 3 (die beide explizit KEINEN Gesetzes- also Einschränkungsvorbehalt haben) gälten nicht schrankenlos, ist nicht nur absurd und gefährlich - sondern ein Grund, sich mit den eigenen Aktionen auf Art. 20 (4) zu berufen.

Was für eine - sorry - perverse Vorstellung von ihrer Macht als Parlamentarierin oder vorher Ministerin hat denn Frau Schröder bitte, wenn sie meint, auch die elementaren Grundrechte würden nicht schrankenlos gelten - sondern seien durch ihr (gesetzgeberisches) Handeln einschränkbar? Ja, das Parlament kann die Pressefreiheit einschränken, die Pressefreiheit hat sogar eine explizite Einschränkung in ihrem eigenen Grundrechtsartikel (auch wenn diese Ehre-Einschränkung irgendwie schräg ist an dieser Stelle). Aber auch Frau Schröder kann Art. 1 und 3 (Würde des Menschen und Gleichheit vor dem Gesetz) nicht mit Schranken belegen.

Es ist ein Skandal
Und es zeigt, wie weit wir in diesem Land tatsächlich schon wieder sind, dass hochrangige Politikerinnen auf eine der größten Demokratiekrisen seit der Spiegel-Affäre 1962 mit einer Verhöhnung des Grundgesetzes reagieren. Und ihr wundert euch, dass der Ton rau wird?

Und noch zur Pressefreiheit
Ich trage ja Verantwortung für eine PR-Agentur. Und für uns PR-Leute ist Pressefreiheit nicht nur irgendein einschränkbares Dingens. Sondern eine wesentliche Voraussetzung für unsere Arbeit. Darum reagiere ich so empfindlich auf den Anschlag (also nicht nur darum, aber eben auch darum). Darum müssen wir führenden PR-Köpfe uns so klar und eindeutig und laut und deutlich gegen diesen Anschlag auf die Pressefreiheit positionieren. Funktionierende, freie, mutige Medien und Publikationen sind die Basis dafür, dass wir unseren Job für unsere Kundinnen machen können. Denn sie sind ein wesentlicher Teil des "Public" in Public Relations. Der staatliche Angriff und die indifferente Haltung der Regierungsfraktionen zu diesem Angriff gefährden mein Geschäft. Schaden der Firma, für die ich Verantwortung habe.

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* doch, echt, ist es. Ich gehöre nicht zu denen, die gleich allen, mit denen sie politisch über Kreuz sind, Bosheit oder Dummheit unterstellen (echt nicht). Und obwohl ich Frau Schröder für reaktionär halte, dachte ich, dass sie einen klaren, christlich geprägten Wertehaushalt hat und voll aufs Grundgesetzt steht.

30.7.15

Um den Schlaf gebracht

Seit Jahren gab es die Terrorwarnungen. Und dann plötzlich brach der Terror im ganzen Land los. Seit Anfang des Jahres gibt es jeden einzelnen Tag einen islamistisch motivierten Terroranschlag. Vor allem auf Wohnhäuser von Deutschen. Teilweise auch auf fast fertig gestellte neue Wohnblocks, die in den letzten Jahren wieder verstärkt gebaut und gefördert wurden. In Hamburg beispielsweise mit dem ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm, das die SPD bei Regierungsübernahme vor mehr als vier Jahren angeschoben hat.

Die Sympathie und Unterstützung dafür, dass immer mehr Moslems sich trauen, der Scharia und ihrer Überzeugung zu folgen und nicht den ohnehin aus ihrer Sicht versagenden Gesetzen dieses Landes, wächst seit Monaten massiv. Zunächst unter Muslimen, die eingewandert sind, jetzt aber vor allem unter den hier geborenen, die sich zunehmend als Verlierer der großen Veränderungen fühlen, die dieses Land seit einigen Jahren erfassen. Ihre eher diffuse Wut darauf, nicht gehört zu werden und von den Medien und der Politik links liegen gelassen worden zu sein, entlud sich an einigen Orten in Massenkundgebungen und der Bildung von Bürgerwehren.

Bürgerwehr
Obwohl die Politik seit einigen Jahren den Aus- und Umbau von Polizei und Sicherheitsgesetzen vor allem mit der Terrorgefahr begründet hat, traf es sie unvorbereitet, als der islamistische Terror dann tatsächlich losging. Wahrscheinlich, weil es schleichend begann - hier mal ein Brandanschlag, dort mal eine Demonstration - und sich eine gewisse Gewöhnung einstellte. Vor allem CDU und SPD waren schnell dabei, Verständnis für die Ängste der Moslems zu bekunden. Mit einer recht eleganten Rollenverteilung: Während die Kanzlerin weiterregierte, als ob es den Terror nicht gäbe, versuchte sich der Vorsitzende der SPD und Vizekanzler in einer Umarmungsstrategie. Er begann einen Dialog mit den islamistischen Kämpfern und erklärte die Ideen ihrer Unterstützer rund um die Einführung der Scharia für diskussionswürdig. Medien begannen, die Terrorbewegung als "Aufklärungskritiker" zu bezeichnen.

Gated Community
Der Trend, dass sich Angehörige der deutschen Mittelschicht in so genannte "Gated Community" zurück ziehen, hatte schon deutlich vor dem Aufflammen des Terrors begonnen. Inzwischen bekommen diese Siedlungen deutliche Unterstützung von Landesregierungen gleich welcher Farbe - ob CSU, Grüne oder SPD.

Auffällig ist, dass die Hardliner unter den Innenpolitikern seltsam verstummt sind. Haben sie in den letzten Jahren für die volle Härte des Gesetzes plädiert, äußern sie sich fast gar nicht zum islamistischen Terror. Auch der Bundespräsident schweigt, ebenso der Großteil der Künstler und Medien.


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Wenn gar nichts anderes hilft, kannst du immer noch die Boxen aufdrehen. Denn das laute Schweigen der sonst so lauten Künstlerinnen ist bedrückend und irritierend. Wieso ist Farin einer von nur dreien oder so, die sprechen? Und wo ist eigentlich der Bundeshorst, wenn man ihn mal braucht?

16.7.15

YouTube ist doch was für Kinder

Was regen sie sich alle auf. Die Journalistinnen darüber, dass +LeFloid irgendwie angeblich nicht kritisch nachgefragt habe. Die PR-lerinnen (mich eingeschlossen in meiner ersten Reaktion), dass +LeFloid PR für Merkel macht. Die linken Bloggerinnen (mich eingeschlossen in meiner ersten Reaktion), dass Merkel ihre normale Merkelisierungsnummer abzieht.

Und dann rede ich mit Lehrerinnen, die 16-jährige unterrichten, die gerade ihren Ersten Schulabschluss gemacht haben (früher: Hauptschulabschluss). Und fast unisono erleben sie, dass die Jugendlichen das Video sehen wollten. Teilweise zwangen sie ihre Lehrerinnen, am letzten Schultag (!), noch kurz bevor sie sich zum Abschlussfrühstück hinsetzten, das Video auf das Smartboard zu werfen. Und sahen zu einem großen Teil ruhig (ungewöhnlich) und interessiert (seeehr ungewöhnlich) zu. Und fanden es mega. Heißt: interessant, sympathisch - und von +LeFloid cool.

Dazu zwei Anmerkungen vorweg:
Ich nehme mir vor, bei so Dingen, die so gar nicht für mich gemacht sind, wieder erstmal mit Leuten zu sprechen, für die sie gemacht sind. Und: Dass es funktioniert und von der Zielgruppe für gut befunden wird, sagt dennoch nichts über Qualität oder Sinn.

Aber: Die Erfahrung im Zielgruppen-Umfeld ist, dass es +LeFloid selbst mit diesem langsamen und leicht unbeholfenen Format gelingt, für Politik zu interessieren. Was ich mega finde. Und wie ich immer und überall ungefragt anmerke: Ich bin saufroh, dass meine Kinder und überhaupt die nächste Generation ihre politische Bildung und ihre bevorzugten politischen Kommentare von +LeFloid bekommt und nicht von irgendwelchen Spinnerinnen und krakeelenden Rechten oder so. Ich bin dir dankbar. Und zwar sehr.

Und dann sprach ich gestern Abend mit meinen Kindern über dieses Interview. Das ist jetzt nicht repräsentativ, gar nicht. Obere Mittelschicht, auf dem Weg zum Abi, medienaffines Elternhaus including Tageszeitung zum Frühstück, u know. Aber die Reaktionen waren interessant:
  • Der 18-jährige, sehr politisch, latent linksradikal (also völlig normaler Oberstufenschüler einer Stadtteilschule), fragte: "Wer?" Und als ich ihm erklärte, was +LeFloid macht, erinnerte er sich, das irgendwann schon mal gesehen zu haben, ja. Aber Merkel? Och nö.
  • Der 13-jährige, der vor einem Jahr noch alles, was er über Politik wusste von +LeFloid hatte (wofür ich, sagte ich das schon?, echt dankbar bin), bemerkte, dass er es nicht gesehen habe.
Er sagte stattdessen:
Ich sehe kein YouTube mehr.
Das sei doch eher was für Kinder. 

Sein (Video-, Entertainment-) Setup sieht heute so aus:
  • Er produziert (vor allem Let's Play) Videos für YouTube.
  • Er sieht Videos vor allem bei Twitch (ich habe auch den Verdacht, dass er da die eine oder andere Paysafecard für einsetzt, in die er sein Taschengeld umwandelt - disclosure: Ich habe für Paysafecard gearbeitet in meinem letzten Job).
  • Serien und "TV" sieht er bei Netflix über unseren Familienaccount, aber auf seinem PC oder Smartphone.
  • Und sonst nutzt er für Entertainment und Kommunikation vor allem Snapchat und Insta (neben WhatsApp, aber das hat ja eine komplett andere Funktion).
  • Seit kurzem investiert er eigenes Geld in eine mobile Datenflat.
Wie gesagt - das ist das konkrete Verhalten eines konkreten 13-jährigen, keine Marktforschung, keine Verallgemeinerung. Aber das ist ungefähr auch das, was wir in fast allen Familien in unserer Umgebung mit leichten Nuancen erleben.

Meine Beobachtung ist dabei, dass sehr viel der Interaktion, des Folgens ihrer Vorbilder, Stars, Tipp-Geberinnen (ob beim Gaming oder beim Schminken und Stylen) gerade in den letzten Monaten nach Snapchat abgewandert ist. Dass beispielsweise die Mädchen Bibi oder Joana intensiver bei Snapchat folgen und zusehen als in ihren YouTube-Kanälen und Blogs. Was auch irgendwie logisch ist, hier kommen sie so dicht an sie heran, wie es vorher kaum möglich schien. Auf 10cm. Und das fast in Echtzeit, mit maximal einer (Schul-) Stunde Zeitverzug.

Was für spannende Zeiten.

(übrigens könnt ihr meinen Storys auf Snapchat folgen, wenn ihr das Bild da an der Seite snapt. Ganz einfach)

8.7.15

Scharlatane kann ich nicht mit Dünnsinn vertreiben

Ich habe mich sehr über Thomas Armbrüsters Gastbeitrag im Pressesprecher geärgert, in dem er gegen Authentizität in der Führung wettert. Er ist ja fast genau mein Alter und ebenfalls Norddeutscher, also in einer ähnlichen ideologischen Großwetterlage aufgewachsen wie ich (allerdings legt sein Lebensweg nahe, dass er am exakt anderen Ende des Spektrums akzeptabler eigener Interpretationen dieser Wetterlage lag als ich), was deshalb wichtig ist, weil ich prinzipisch nachvollziehen kann, wogegen er wettert, weil ich ungefähr die gleichen Trends und Deformationen miterlebte und sah.

Das vorweg geschickt also.
Was es nicht besser macht.

Armbrüster konstatiert gleich zu Anfang:
Überall hört man den Ruf nach Authentizität. ... Er ist ein Irrweg der Personal- und Führungskräfteentwicklung und kann zu einem Mangel an Professionalität und Integrität führen.
Und das ist im Kern das, was er dann länglich ausführt.
Und das halte ich für totalen Unsinn.

Im Grunde könnte ich auf meinen Blogpost vom Februar 2009 verweisen, in dem das meiste zum Missverständnis rund um Authentizität bereits gesagt ist. Kernsatz damals war - und stimmt meines Erachtens bis heute:
Ich denke, dass oft Authentizität mit Unmittelbarkeit verwechselt wird.
Was Armbrüster im Verlauf seines komplett polemischen Textes fast glossenartig ausführt, beruht auf einer mich bei ihm wirklich sehr überraschenden Fehleinschätzung, was denn authentisch, was denn Authentizität sei.

Ich teile seine Polemik gegen die Scharlatane der Beratungsbranche,
die mit eben derselben Verwechslung sehr viel Schaden bei unbedarften Menschen anrichten, die führen wollen/sollen/müssen und ihre Hilfe suchen. Nur: "sei authentisch" heißt eben nicht "sag immer direkt, was du denkst". Es heißt nicht einmal "sei ganz du selbst" oder referenzierte gar auf einen (ja, da hat Armbrüster Recht, absurden) "inneren Wesenskern". Das ist Vulgärbiologismus, ja.

Ich kann es nur noch einmal betonen: Authentizität hat sehr viel mit Kultur und sehr wenig mit Natur zu tun. So wie Professionalität und Integrität. Wikipedia ist sicher in einer kulturphilosophischen Debatte nicht die seligmachende Quelle, aber dennoch lohnt ein Blick auf den Artikel zur Authentizität, um deutlich zu machen, wie sehr und wie ideologisch Armbrüster den Begriff für seine Bedürfnisse verbiegt und manipuliert.

Ich halte das, was und wie Armbrüster argumentiert, für unredlich, wirklich - und darum ärgert es mich so. Er zeichnet ein Zerrbild von Authentizität, das, wäre es richtig, ja auch tatsächlich grauenvoll wäre. Und begründet damit, warum es aus dem Vokabular von Führung getilgt gehörte. Dabei gehörte nur das Zerrbild, nur die Scharlatanie getilgt, denke ich.

Vielleicht bin ich deshalb so emotional in dieser Frage, weil ich in den letzten Jahren eher die angelsächsische Diskussion verfolgt und mitgestaltet habe. Als wir Edelman Digital aufbauten, nannten wir unser Blog Authenticities (gibt es nicht mehr). Bei Cohn & Wolfe, deren Geschäft ich in Deutschland führe, haben wir eine groß angelegte Untersuchung und Position zu Authentic Brands. Interessanterweise habe ich wenige der Verzerrungen, die Armbrüster einerseits kritisiert und andererseits fortschreibt, in der englischen Diskussion gesehen bisher.

Mir ist Authentizität gerade in der Führung wichtig.
Wiederum ebenso wie Professionalität und Integrität - ich kann da, wenn Authentizität richtig verstanden wird und nicht mit Unmittelbarkeit verwechselt, keinen Widerspruch sehen. Sicher - ich kenne auch authentische Führungskräfte, die nicht professionell sind (oh ja) oder/und nicht integer. Allerdings sind selbst die besser zu ertragen, wenn sie wenigstens authentisch sind.

Im Bereich Führung - anders vielleicht als im Bereich Marketing/Kommunikation - scheint mir Authentizität einer der Schlüssel für Berechenbarkeit zu sein und dafür, dass ich als Führungskraft von denen, die ich führe, "gelesen" werden kann. Was beispielsweise nicht geht, wenn ich unmittelbar bin, weil das oft  - logischerweise - erratisch ist. Wenn bei einer Führungskraft eine Linie zu erkennen ist, hängt das nach meiner Erfahrung sehr oft damit zusammen, dass sie authentisch handelt.

Authentisch kann nur sein, wer ein Werte- und Haltungssystem für sich entwickelt hat, wer eine Linie gefunden hat. Siehe im oben verlinkten Blogpost meine These, dass Kinder nicht authentisch sind sondern eben nur unmittelbar. Authentisch sein, heißt nicht, alles rauszulassen, was mir in den Kopf kommt oder auf der Leber liegt, sondern ein konsistentes Bild von mir zu schaffen, das mit meinen Werten und meiner Haltung zu tun hat. Darum können auch Arschlöcher authentisch sein. Auch, wenn das dann nicht professionell ist. Und darum gehört zu professionellem Führungsverhalten immer auch Authentizität. Im Gegensatz zu Armbrüster formuliere ich also (und in Anlehnung an seine Polemik auch etwas polemisch) -

Wer glaubt, ohne Authentizität und ohne Arbeit an authentischem Handeln 
professionell führen zu können, irrt. 
Und scheitert als Führungskraft. 
Total.




(Allerdings ich bin ja auch nur Praktiker und nicht Theoretiker oder Berater in diesen Fragen...)