Posts mit dem Label Islam werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Islam werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

15.1.16

Alle Christen hassen Homos

Seit vielen Jahren setze ich mich sehr kritisch mit "dem Islam" auseinander. Mindestens seit 2010 auch hier im Blog (auf die Schnelle fand ich keinen älteren Beleg hier). Wahrscheinlich stört es mich deshalb so sehr, wenn ich in den letzten Tagen und Wochen immer wieder von Leuten auf Interviews mit "Islamkritikerinnen" aufmerksam gemacht werden, deren Tenor in etwa ist: Ich weiß das, denn ich komme aus einer islamischen Familie. Und alle muslimischen Männer verachten Frauen und alle muslimischen Mütter erziehen ihre Söhne zu Frauenhassern. Und so weiter und so ähnlich.
Wie die meisten, die mich schon länger als zwei, drei Tage lesen, wissen, bin ich mehr als nur skeptisch, was den organisierten Islam, auch und vor allem den in Deutschland angeht. Und ja, wer sich ein bisschen mit Geschichte auskennt, weiß, dass das organisierte Christentum auch nicht direkt aus seinen Institutionen heraus die ersten Schritte gemacht hat, um im Zuge der Aufklärung und vor allem dann im Zuge der Modernisierung nach der Katastrophe des ersten Weltkriegs (die für die Kirchen theologisch noch weit prägender und verändernder war als das Versagen der nicht-lutherischen Kirchen während des Nationalsozialismus) ein auf Freiheit und Menschenfreundlichkeit ausgerichtetes Selbstverständnis zu entwickeln. Und ja, Teilen des organisierten Christentum (glücklicherweise nur in einer sehr verschwindenden, wenn auch lauten Minderheit) ist das bis heute nicht gelungen. Und ja, die unterschiedlichen Erfolgsgeschichten von Islam und Christentum hängen auch damit zusammen, dass sie - nach meiner Auffassung - in unterschiedlich starkem Maße den Keim zur Aufklärung und zum Selbstdenken in sich tragen. So weit dazu.

Aber: So wenig, wie wir aus einem durchgeknallten Erzbischof in Spanien [Edit: auch die Meldung in dieser Quelle und nicht nur in der gewohnt unseriösen, die ich nicht verlinke, die runter und rauf gereicht wurde die Tage, ist falsch und basiert auf einer Lüge. Ist sozusagen das QED der These dieses Posts hier, was fast schon skurril ist. Also: der Bischof mag durchgeknallt sein, was ich nicht weiß, aber er hat ausdrücklich das Gegenteil dessen gesagt, was ihm vorgeworfen wird. Paradoxerweise ist das schon ohne Spanischkenntnisse in dem auch bei der HuffPo verlinkten Originaltext seiner Predigt sofort zu erkennen. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich den Link nicht vorher aufgerufen habe. Unten im Kommentar von Martin Recke ist ein Link auf eine deutsche Übersetzung der Predigt.] auf alle Christinnen schließen ("wir" sind hier, tschuldigung, alle, die nicht aus ideologischen Gründen genau so argumentieren wie die aus dem Islam Konvertierten), können wir behaupten, alle Moslems, männlich wie weiblich, seien so oder so.

Selbstverständlich ist es Alltagswissen und auch die privatempirische Erfahrung von allen, die mit Jugendlichen arbeiten, dass es unter jungen Männern, die aus muslimischen Familien kommen, überproportional viele gibt, die eine Haltung zu Frauen haben, die sie ausschließlich als Objekt sieht. Nur gibt es auch ganz andere und in unserem Teil von Hamburg beispielsweise leben sehr, sehr viele Familien, in denen das ganz anders ist. Und, erschreckend: diese abstruse Haltung nimmt unter biodeutschen und anderen Jugendlichen aus nicht-muslimischen Umfeldern in den letzten Jahren ebenfalls wieder massiv zu. Was nicht ausschließlich der Einwanderung zuzuschreiben ist, weil es auch in Gegenden so ist, in denen nicht die Kinder der Einwanderinnen milieuprägend sind. Es ist im Gegenteil erschreckend zu beobachten, wie in Milieus und Stadtteilen, in denen eher Mittelschicht und obere Mittelschicht zu Hause ist, "Mackerverhalten" massiv zunimmt. Was übrigens überwiegend aus nicht mehr christlich geprägten Familien heraus passiert.

Ich finde es schräg - und das, obwohl ich religiös und politisch zu den Gegnerinnen des organisierten Islam gehöre - wie bereitwillig und unwidersprochen eine Beschreibung des Islam als so ist dann dann wohl akzeptiert wird, die exakt so ist wie die Beschreibung des Christentums von den religiösen Atheistinnen (so aggressive Lobbygruppen wie die Humanistische Union und andere) - obwohl mit denen nur sehr wenige andere der Meinung sind, dass ihr Zerrbild der christlichen Wirklichkeit in diesem Land entspreche.

Selbstverständlich kann man der Meinung sein, dass Religion an sich das Problem ist. Dass alles Übel aus der Religion kommt. Ungefähr so, wie man auch der Meinung sein kann, dass Vegetarismus an sich das Problem ist, weil der einzige europäische Staatsführer im 20. Jahrhundert, der Vegetarier war, Deutschland in singuläre Verbrechen geführt hat. Merkt ihr, ne?

Als Faustregel setze ich ja bei so was an, dass diejenigen, die sich im Streit von einer Gruppe, zu der sie gehörten, getrennt haben, nicht die idealen Zeugen sind, wenn ich ein sachlich-kritisches Bild von dieser Gruppe haben will. Sei es eine Religion, eine Partei, eine Familie.


12.10.10

Keine Gleichstellung des Islam

Im Nachgang zu Wulffs Feiertagsrede ist einiges in dieser komischen Integrationsdebatte durcheinander gekommen (auch wenn es vorher nicht viel besser war). Die Solidaritätsbekundungen und Staatsverträge für "den" Islam sprießen aus dem Boden. Zeit für ein bisschen Sortierung. Das beste, was ich zu dem Thema bisher gehört (ich konsumiere die "Zeit" ja seit ein paar Jahren als Audiomagazin) oder gelesen habe, stand in der "Zeit" vom letzten Donnerstag. Ulrich Greiner schreibt profund über die Unterschiede zwischen Juden- und Christentum einerseits und Islam andererseits im Hinblick auf personale Freiheit (die der Islam theologisch so nicht kennt) und Säkularismus - politisch vor allem wichtig wegen des Primats der Politik gegenüber der Religion und wegen der Gewaltenteilung. Und Greiner hat Recht, wenn er schreibt:
Diese Gewaltenteilung geht zurück auf das Alte Testament, in dem die Propheten als Sprecher Gottes den weltlichen jüdischen Herrschern oftmals in den Arm fallen. Sie gipfelt in dem Satz von Jesus: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Sie findet ihre Ausarbeitung bei Augustinus und seiner Lehre von den zwei Reichen. Es war der Augustinermönch Luther, der diesen Gedanken gegen eine Kirche stark machte, die ihn vergessen und die politische Gewalt usurpiert hatte.
(Integration: Unser Islam? | Politik | ZEIT ONLINE)
Das Problem geht aber noch tiefer. Und das hängt mit diesem Punkt dann doch auch zusammen. Während die Gründungsurkunden von Judentum und Christentum selbst in der orthodoxesten Auslegung (und hey, ich bin selbst theologisch nahe an der lutherischen Orthodoxie) eben gerade kein über dem säkularen Staat stehendes religiös begründetes Rechtssystem kennen, ist es beim Islam anders. Die Scharia ist für den Islam ewig und unverhandelbar, wie beispielsweise sogar der liberale Vorzeigereformer Großmufti Ceric aus Bosnien betont. Und die Scharia steht immer über jedem anderen (weltlichen) Gesetz. Darum bin ich skeptisch, was die Hoffnung oder Forderung nach einer "islamischen Aufklärung" angeht. Ein Säkularismus hat im Islam keinen theologischen Anker - anders als die Aufklärung, die historisch den modernen Säkularismus in Europa begründet und die aus der Mitte der spätmittelalterlichen jüdischen und christlichen Theologie stammte. Meine Befürchtung ist, dass der Islam an einer Aufklärung zerbräche, die er bräuchte, um "zu Deutschland" (oder zu Europa) zu gehören. Vor allem, wenn man sich ansieht, wie sehr die (europäische) Aufklärung selbst das Christentum zerlegt hat.

Wenn nun beispielsweise in Hamburg ein Staatsvertrag mit "den Moslems" geschlossen werden soll nach dem Vorbild der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde (obwohl auch diese Verträge gerade in Hamburg erst kürzlich zustande kamen), dann wird das die Nagelprobe für beide Seiten sein: Denn ein halbwegs freiheitlicher Staat, der mit Organisationen Verträge schließt, die sich nicht vorbehaltlos und innerlich zu Gewaltenteilung und dem Primat der staatlichen Gewalt und Organe gegenüber den religiösen bekennt, gibt sich auf. Und ein Islam, der sich zu genau diesem Primat bekennt, beerdigt die Scharia - und läuft Gefahr, sich damit selbst zu verlieren.

Der Islam ist - egal wie groß die Zahl der Menschen in einem Land ist, die sich zu ihm als Religion zählen - in Europa nicht Juden- und Christentum gleichzustellen. Das heißt nicht, dass Moslems nicht "gute Europäer" sein können und überwiegend sind. Das heißt auch nicht, dass Wulff nicht auch ihr Präsident ist, wenn sie denn Deutsche sind (obwohl, ist er mein Präsident? In mehr als einem formalen Sinne?). Das heißt nur, dass ein freiheitliches Rechtssystem, in dem ich leben mag, eben aus den Wurzeln unserer antiken und jüdischen und christlichen Geschichte kommt, die eng miteinander verwoben sind, und nicht aus den Wurzeln des Islam. Denn auch, wenn ich persönlich mein Leben überwiegend an meinem Glauben orientiere, bin ich heilfroh, dass der Staat das nicht tut, sondern positive und negative Religionsfreiheit garantiert. Damit kann ein Islam nicht leben, der sich selbst ernst nimmt. Und darum kann es keine Gleichstellung des Islam in diesem Land geben.


Update 13.10.
Weil Djure fragt, was denn meine Schlussfolgerung wäre, hier noch ein, zwei Sätze dazu.

Auf individueller Ebene halte ich es für gut möglich, dass Moslems sich zum Primat des Staates bekennen können. Auf institutioneller Ebene bin ich da sehr skeptisch. Und mich ärgert sehr, wie in Hamburg der Stand der Verhandlungen zum Staatsvertrag ist: Der Staat billigt dem Islam jede Menge Dinge zu, ohne auch nur eine Gegenleistung zu verlangen. Inzwischen ist es so weit, dass ein führender Vertreter des Islam in Hamburg öffentlich jubilieren kann, Deutschland sei das islamischste Land, das er kenne, er könne hier seine Religion freier ausüben als in der Türkei. Hier ein Videodokument einer entsprechenden Verhandlungstaktik aus dem Sender Phönix.

26.2.09

Es gibt keine Entschuldigung für Antijudaismus und Antisemitismus

In meinem politischen und religiösen Umfeld gibt es - wie neulich schon beschrieben - die unselige Tendenz, aus falsch verstandener Toleranz* bei Einwanderern oder Anhängern anderer Religionen etwas zuzulassen, was im eigenen (soziologischen, kulturellen, religiösen) Milieu nicht geduldet würde. Krassestes Beispiel dafür ist und bleibt für mich der Antijudaismus unter muslimischen oder muslimisch geprägten Einwanderern. Ich hätte vor Zorn heulen können, als ich diese Woche den sehr berührenden Zeit-Artikel las hörte, der das soziale Jahr einer Berlinerin mit familiären Wurzeln in Palästina beschrieb, das sie in Israel verbringt. Bevor Lora nach Israel fuhr, hatte sie mit viel Unverständnis zu kämpfen (was an sich noch nicht zornig macht, denn die Angst, in ein von Terror und Krieg bedrohtes Land zu gehen, kann ich verstehen). Aber:
Lora musste den Satz sagen: »Juden sind doch ganz normale Menschen – mit denen du normal reden kannst.« Sie kennt dieses israelfeindliche Klima in den Straßen von Neukölln. Sie selbst hörte, wie sich Jugendliche auf Arabisch über die Israelis lustig machten, als sie in einem Gefangenenaustausch an der Grenze zum Libanon vier Hisbollah-Kämpfer freiließen und dafür zwei tote Soldaten zurückbekamen. »Du Jude!«, sagt Lora, sei in Neukölln ein gängiges Schimpfwort. Und das arabische Satellitenfernsehen hetzt auch in Loras Fernseher in Berlin gegen Israel.

Soziales Jahr: Ein Jahr in der Heimat | Bildung | Nachrichten auf ZEIT ONLINE
Das ist etwas, das nicht toleriert werden darf. Rassismus und Antijudaismus gehören zu den Dingen, die bei uns nicht nur gesellschaftlich geächtet sind, sondern von denen ich denke, dass wir sie auch aktiv bekämpfen müssen. Ein erster Schritt muss eine klare und auch klar benannte Null-Toleranz-Haltung sein, wenn solche Sprüche öffentlich fallen. Und dazu gehört auch, dass es keine Toleranz für eine politische Verharmlosung des Problems geben darf, zu der in Sachen Menschenrechte und Einwanderung engagierte Menschen hin und wieder neigen.

In dem Zusammenhang ist auch die - sehr lange, sehr ausführliche - Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung sehr instruktiv, die das Problem des Antujudaismus unter muslimischen Jugendlichen in Deutschland von vielen Seiten und mit genua so wenig künstlicher Aufgeregtheit wie Bagatellisierung analysiert:
"Die Juden sind schuld" - Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisie...
Die Angst vor Beifall von der falschen Seite darf nicht dazu führen, blind zu werden. Niemals.

* denn wie meine Süße immer sagt: "Toleranz endet mit Z". Oder wie ich immer sage: "Toleranz an sich ist keine christliche Tugend". Ich mag das Konzept von Toleranz nicht so sehr, weil es ein indifferentes Desinteresse inkludiert, denke ich, wenn man es konsequent betrachtet. Was ganz und gar nicht gegen die historische Errungenschaft der (religiösen und politischen) Toleranz spricht, die aber in einen bestimmten historischen Kontext gehört imho.

19.1.09

Ich finde Peter Scholl-Latour gefährlich

Das, was Peter Scholl-Latour seit Jahren zum Thema Islam sagt, halte ich für falsch, auch und gerade inhaltlich. Und dass er wesentlich das Islambild in diesem Land mitgeprägt hat, finde ich doof - aber da kann man nicht mehr viel dran ändern, so omnipräsent wie er in deutschen Medien ist.

Insofern ist es zwar nicht überraschend, aber dennoch beängstigend, wie sein peinlicher Ausraster am vergangenen Freitag in der Talkshow 3 nach 9 von Radio Bremen bisher aufgenommen wurde. Ich habe es nicht live gesehen - und ehrlich gesagt auch erst heute über meedia.de davon erfahren. Das, was Georg Altrogge dann da schrieb, hat mich allerdings so irritiert, dass ich mir den Ausschnitt angeguckt habe, Radio Bremen hat ihn glücklicherweise online.

Und danach wusste ich, warum ich irritiert war: Das, was Altrogge schreibt (und noch grotesker beispielsweise bei Reader's Edition, die keinen Link bekommen, so unterirdisch ist der Beitrag und sind die Kommentare), ist meines Erachtens einfach falsch. Dass Scholl-Latour mit seinem Gejammer ("in die Falle gelockt") auch noch die Interpretation seines Auftritts bestimmt, finde ich schlimm.

Darum hab ich die wichtigsten Passagen und seine wichtigsten und schlimmsten Aussagen einmal zusammen getragen (die Zeiten beziehen sich dabei auf den oben verlinkten Film, den ich hier leider nicht einbinden kann):
8:40 Scholl-Latour bemerkt, die Offensive Israels sei "ein Krieg gegen eine Bevölkerung, die praktisch doch keine Waffen hat." (Man hört quasi das Atemholen im Studio und Moderator di Lorenzo hakt nach: "Hamas hat keine Waffen, das haben Sie gerade gesagt?" - S.-L.: "was die haben sind n paar Katjuschas") BITTE?? Wie zynisch ist das denn?
9:20 spricht er von "israelischen Kolonisten", was immer er mit diesem Wort meint - dass es einen negativen Unterton hat, macht ja auch seine positive Bewertung der Schlussphase der Kolonialherrschaft in Afrika nicht besser, die er zu Beginn der Sendung vornimmt.
9:50 S.-L. kommt auf die Ursachen des Konflikts zu sprechen und bemerkt: "Wir haben grad über das Eingesperrt sein gesprochen in der DDR - und die Leute sind in Gaza ja auch eingesperrt wie in einer Sardinenbüchse, und das ist im Grunde eines der Probleme." Ah. Ja.
Krass wird es allerdings, wenn Scholl-Latour auf die Hamas zu sprechen kommt. Und erst da übrigens eskaliert ja auch das, was vorher beinahe noch ein Gespräch war. Schon ganz am Anfang hatte er voller Stolz erwähnt, dass in seinem jüngsten Buch, um das es eigentlich in diesem Auftritt hätte gehen sollen, ein Foto von ihm mit dem Hamas-Gründer abgebildet sei. Und dann legt er los:
ca. 11:40 ist es, als er dann noch mal darauf zu sprechen kommt, was die Hamas aus seiner Sicht sei: "Natürlich", meint er, "sind da auch (holperige? Ich kann das Wort auch beim wiederholten Anhören nicht verstehen, sorry) Burschen da - aber es gibt auch den Ausdruck Widerstandskämpfer, die französische Resistance wurde auch als Terroristen bezeichnet."
Erst hiernach geht der Sturm los. Und nicht etwa nur die junge Münchnerin, die zurzeit in Israel lebt und diese TV-Show gewonnen hatte, sondern auch Cem Özdemir und andere greifen ein und versuchen, das Gespräch wieder in seriöse Bahnen zu führen.
12:35 Aber Scholl-Latour hat daran kein Interesse. Denn auf den Einwand, die Hamas wolle schließlich die Auslöschung Israels, blafft er: "Ach, Auslöschung Israels, das ham sie doch alle gesagt..." So reden Verharmloser des Terrors, tut mir leid.
Und dann geht es rund. Interessanterweise versuchen die Moderatoren, die in so vielen Beiträgen und Kommentaren, die ich heute gelesen habe, so hart kritisiert werden (wie ich finde: völlig zu Unrecht!), Scholl-Latour immer wieder im Gespräch zu halten. Aber als die junge "Botschafterin" (jaja, das ist albern) dann von der realen Situation und den Ängsten und Gefühlen der Menschen spricht - was ich extrem wichtig finde (und weshalb ich auch immer und immer wieder Lilas großartiges Blog als Primärquelle empfehle) - verweigert sich der große "Welterklärer" der weiteren Diskussion. Die Realität ist offenbar, so scheint es mir, nichts, was seinem jahrzehntelang kultiviertem Weltbild auf die Pelle rücken darf. Nicht umsonst betont er immer wieder, dass er den Konflikt seit 1951 ganz genau kenne. Als er dann allerdings behauptet, die Grenzen von 1967 seien in diesem Konflikt das Ziel der Hamas, wird es dem Rest der Runde zu bunt. Zumal das auch einfach nicht wahr ist, da kann er sich auf den Kopf stellen und lachen. Die Charta der Hamas sagt ja ganz klar, dass es um die Auslöschung Israels gehe und darum, den Islam in die Weltherrschaft zu bringen, weil erst dann ein friedliches Zusammenleben der Religionen möglich würde.

Auch einem Mann wie Scholl-Latour muss zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass er sich selbst in eine Falle manöviert hat, dass er allzu offen seine geschichtsklitternden Weisheiten im falschen Forum verbreitet hat - und so verweigert er sich nun der weiteren Diskussion. Das ist erschütternd unsouverän und einem, der so austeilen kann wie er, unwürdig, finde ich. Aber es ist entlarvend.

Meine Meinung dazu ist, dass jemand wie Scholl-Latour mehr als nur mit dem Feuer spielt. Da kann er noch so sehr beklagen, er werde in eine radikale Ecke gedrängt - wer den Terrorismus verniedlicht ("kaum Waffen", "Widerstandskämpfer"), Israel mit den Sowjetmachthabern in der DDR gleichsetzt ("eingesperrt wie in der DDR") und die expliziten Ziele der Terroristen wegwischt ("Grenzen von 67"), ist brandgefährlich. Und sollte eigentlich das Bild dieses grauenvollen Krieges in der Öffentlichkeit nicht prägen dürfen.

Dass er es dennoch tut und weiterhin tun wird, macht mich wütend und traurig. Ebenso wie die Unterstützung, die er jetzt bekommt - und in die sich teilweise sogar antijüdische Ressentiments mischen (Fried habe ja einen jüdischen Vater, di Lorenzo sei schließlich Chef einer von Juden geführten Zeitung etc, einfach zu finden bei Reader's Digest, ich verlinke diesen Dreck nicht).

10.1.09

Der blinde Fleck

So lange ich denken kann, hat meine latente Außenseiterposition in den meisten politischen Organisationen auch daran gelegen, dass ich blinde Flecke nicht mag (auch wenn ich weiß, dass ich mit Sicherheit auch welche habe). Die Balance zu finden zwischen politischer Solidarität und dem klaren Benennen von solchen blinden Flecken auch bei Menschen, mit denen ich im Prinzip einer Meinung bin, ist nicht einfach.

Was ich an der Diskussionskultur bei den Grünen, bei denen ich Mitglied bin, seit kein Linker in der SPD bereit war, gegen Schröder für den Parteivorsitz zu kandidieren, mag, ist, dass es möglich ist, (halb-) öffentlich hart in der Sache zu reden.

Der Hamburger Parteifreund Kurt Edler hat Ende letzten Jahres rund um den auch aus meiner Sicht nicht überzeugenden Entwurf des Europawahlprogramms einen wichtigen "Streit" begonnen, für den er mehr und mehr Unterstützung in der Partei bekommt. Es geht vor allem um den Punkt, dass bei den Fragen der Menschen- und Frauenrechte aus Gründen der politischen Opportunität klare Aussagen fehlen - und die Grünen mit diesem Entwurf drohen, ihre immer mutige Position in Demokratie- und Menschenrechtsfragen aufzugeben. Und das aus der vielleicht verständlichen aber doch absurden Angst, den islamophoben Idioten in einzelnen Punkte zu nahe zu kommen. Aber lest Kurts wirklich überzeugende Kritik selbst: 

Kurt Edler: Kritik am Programmentwurf der Grünen zur Europawahl

Claudia Roth hat Kurt noch im Dezember auf diesen Text geantwortet - wie ich finde, eher schwach. Besonders deutlich wird das an dieser Passage in ihrer in der Partei zirkulierten Email:
Wir hatten jetzt viele Jahre eine amerikanische Administration, die in Zentrallosungen der sogenannten Bush-Doktrin genau diese Elemente schlagwortartig zusammenband:
- Kampf von Freiheit und Demokratie gegen die Diktatur
- Islamismus als Hauptfeind der Menschheit
- "War on terror"
- Gegensatz von altem und neuem Europa

(....) Willst Du den Grünen jetzt tatsächlich den Rat geben, in der Nähe der Hauptslogans der Bush-Administration zu formulieren? Wenn ja, wie sollte dann die notwendige Abgrenzung aussehen - oder meinst du, so etwas sei nicht nötig?

(Claudia Roth, Bundesvorsitzende, an Kurt Edler in eine Email vom 16.12.2008)
Weitere Dokumente aus dieser Diskussion habe ich ebenfalls bei Scribd abgelegt, sowohl Kurts sehr lesenswerte Entgegnung auf Claudias Antwort als auch einen spannenden offenen Brief der Aleviten, die in einem Kölner Streit den gleichen blinden Fleck im schwarz-grün regierten Köln anprangern.

Meine Meinung in dieser Frage ist:

Ich teile Kurts Kritik und bin sehr enttäuscht, dass die menschen- und frauenverachtenden Radikalen innerhalb des Islam nicht beim Namen genannt werden. Menschenrechte und das freiheitliche Verständnis von Demokratie sind nicht teilbar und müssen, wenn wir politische dafür arbeiten wollen, auch dann gegenüber Menschen und Organisationen fest und deutlich vertreten werden, die das anders sehen, wenn diese zu Minderheiten gehören, die beispielsweise von Islamophoben oder anderen Rechtsradikalen aus anderen Gründen abgelehnt werden. Allein die Angst, dass wir (aus völlig unterschiedlichen Gründen und in völlig anderen Zusammenhängen) in der harten Kritik an den Positionen mancher islamischen Gruppen die gleichen "Gegner" identifizieren wie Neokonservative und Islamophobe - und so verstehe ich Claudias Antwort -, kann doch nicht dazu führen, dass wir es aufgeben, eine Bürgerrechts- und Demokratiepartei zu sein.

Das gleiche blinde-Fleck-Muster finde ich übrigens auch bei einem erklecklichen Teil meiner Kirche vor. Und da kritisiere ich es ebenso.