Mein erster Reflex war: So what. Geht mich nichts an. Soll er doch eine 16-jährige Freundin haben.
Mein zweiter Reflex war: Die CDU ist gewohnt bigott - macht erst einen Ehebrecher zum Bundespräsidenten und schmeißt dann einen raus, der eine von der Normalität abweichende Beziehung führte.
Das hab ich auch gesagt, beispielsweise auf Twitter und so. Und bei aller persönlichen Sattelfestigkeit in moralischen Fragen rund um Beziehungen und Sexualität, die ich mir selbst bescheinigen würde, wäre die Tatsache, dass Boetticher das anders sieht, kein Grund, ihn abzulehnen. Ja, mir sind Schröder und Fischer mit ihrem nicht ausschließlich serienmonogamen Frauenverschleiß mehr als suspekt (und ich bin sogar davon überzeugt, dass ein großer Teil dessen, was ich weder politisch noch inhaltlich noch menschlich an ihnen ausstehen kann, mit ihrem skurrilen moralischen Kompass zusammen hängt). Aber ich trenne das irgendwie trotzdem.
Und dann dachte ich nach und las das eine oder andere (nein, nicht in Medien, da war nur abstrus von "Affäre" die Rede, was ich immer für eine Umschreibung von Bigamie hielt). Und hörte dies und das von Leuten, die in Schläfrig-Holstein besser vernetzt sind als ich, was mich erschaudern ließ. Und dann war ich erstmal still.
Aber dann las ich d
iesen abstrusen Beitrag von Richard Herzinger auf Welt Online, der von der üblichen betroffenheitsbesoffenen Clique weiter gereicht wurde, bis er auch bei mir ankam. Und da ist mir der Kragen geplatzt.
Denn trotz allem geht es hier nicht um Moral. Dachte ich auch erst, stimmt aber nicht. Es geht um Reife und um Persönlichkeit und um Haltung. Leider weiß ich nicht mehr, wer es war, der mich (auf Facebook) auf den Gedanken brachte, aber er stimmt. Ich habe ihn offline ausgetestet, er stimmt. Und darum schreibe ich ihn auf:
Ich habe jugendliche Söhne. Ich kenne 16-jährige Mädchen, weil die Jungs mit solchen rumhängen. Ich bin ungefähr so alt wie von Boetticher. Und ja, es kann passieren, dass da Mädchen sind, die flirten, sogar mit mir. Die sind 16, Hallo! Es wäre sogar denkbar, dass sie denken würden, sie wären in mich verliebt (ist mir nicht passiert, so weit ich weiß, aber das wäre rein theoretisch denkbar, wenn man mal von meinem Übergewicht absieht und davon, dass ich komisch bin).
Wie verquer müsste ich sein, wenn ich darin etwas anderes vermuten würde als jugendliche Experiementierlust und Schwärmerei?
Wie weit müssten mein Selbst- und mein Fremdbild auseinanderklaffen? Wie verantwortungslos müsste ich sein? Wie bekloppt sind die, die behaupten, ein Mann in meinem Alter und ein Mädchen im Alter meiner Kinder würden eine gleichberechtigte, symmetrische Beziehung führen können (denn das wäre sie, wenn es Liebe ist, Liebe geht nicht asymmetrisch)?
Meine Frage an von Boetticher ist keine moralische. Es ist eine nach seiner Reife. Und seiner Eignung zu einer Führungsaufgabe. Darum geht die Parallele mit Müntefering oder Kohl oder Seehofer oder sogar Wulff auch fehl. Ja, der eine oder andere mag viel älter sein oder moralisch viel verkommener. Aber außer Ole von Beust ist mir kein Fall bekannt (was nicht viel heißen soll), in der eine derart asymmetrische sexuelle Beziehung öffentlich wurde.
Und asymmetrisch meint hier: Der Erwachsene muss in einer Beziehung zu einem Kind oder Jugendlichen (und zwar in jeder Beziehung, ob wie hier in einer sexuellen oder unter normalen Umständen in einer lehrenden, erziehenden, arbeitenden) immer mehr Verantwortung für die Beziehung übernehmen als das Kind oder die Jugendliche. Selbst in einer auf Partnerschaftlichkeit angelegten Beziehung übernehme ich als (im Idealfall reiferer) Erwachsener ein Mehr an Verantwortung. Alles andere wäre unreif und schädlich.
Und darum bin ich nach einer knappen Woche nun doch der Meinung, dass es mehr als richtig ist, dass von Boetticher keine Führungsaufgabe mehr übernimmt. Weil sein Verhalten uns zeigt, dass er unreif ist, keine Verantwortung übernimmt, sich nicht von außen betrachten kann. Alles Eigenschaften, die mir persönlich wichtig sind bei einem, der das Amt anstrebt, das er anstrebte. Bei aller Leichtigkeit des Seins ist ein bisschen Ernsthaftigkeit nie schädlich. Und ein Kompass auch.
Sonst wird es so wie bei Schröder, Fischer oder von Beust. Das aber wäre eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden könnte...