Also werde ich mal etwas deutlicher: Geht's noch?
Mir geht es nicht um das Wort. Mir geht es um darum, dass es Leute gibt, die ein ohnehin nur mäßig komplexes Problem (Leute beschweren sich online) durch eine weitere und überflüssige Komplexitätsreduktion fröhlich weglächeln oder hektisch scheineskalieren. Und das finde ich scheiße. Nicht aber Kundinnenkritik.
Symbolbild: "Scheiße" (CC BY-SA-2.0 dev null) |
Anzunehmen, es ginge bei dieser Entrüstung der Kundinnen um ethische Verfehlungen des Unternehmens? Ums Prinzip? Um eine Welle? Geht's noch?
Oder darum, dass ein Mob anonym drauflos prügelt? Bei 15 Leuten? Mob? Geht's noch? Schon mal im Callcenter des Unternehmens gewesen? Oder schon mal fünf Minuten in der Fußgängerinnenzone in Plön den Leuten zugehört?
Wer Kundinnenkritik scheiße findet, sollte den Job wechseln. Denn nichts anderes als diese Haltung spricht ja aus der Vorstellung, Kritik, und sei es harte und unsachliche Kritik, sei ein Shitstorm. Sagte ich schon, dass es mir nicht um das Wort geht? Sondern um die roten Stressflecken?
Weisere Leute als ich es bin sprechen von einer Kultur des Aushaltens, die ein Unternehmen entwickeln müsse, wolle es in der heutigen Zeit online bestehen. Und nicht von einer Kultur der hektischen Überreaktion und scheineskalierenden Komplexitätsreduktion.
Um es mal klar zu sagen: Leute, die aus Akquisegründen (oder was weiß ich warum) wider besseres Wissen die Wirklichkeit verzerren, um sie so wunderbar plakativ einfach zu haben wie die Kundin sie gerne hätte, finde ich scheiße. Nicht aber Kundinnenkritik.
Wenn ein Unternehmen mit Filialen in jedem Unterzentrum sich von seiner Agentur einen TV-Spot aufschwatzen lässt, der - sagen wir es mal so, wie es ist - scheiße ist. Und wenn dann einige wenige Kundinnen sich beschweren, das Unternehmen würde damit Tierquälerei unterstützen. Und wenn dann einige wenige Aktivistinnen von Tierschutzorganisationen eine kleine und wenig erfolgreiche Onlinekampagne starten. Dann ist das vielleicht doof gelaufen. Dann ist das vielleicht auch echt unangenehm. Aber dann ist das kein Shitstorm. Und auch - zumindest von den Kundinnen - echt nicht scheiße.
Mir ist im Grunde egal, welches Wort ihr benutzt, wenn ihr massive Erregungen, die sich in kurzer Zeit online hochschaukeln, beschreiben wollt. Echt. Aber hört verdammt noch mal auf, mit diesem Wort auch all das zu belegen, was normale Kommunikation von zornigen, enttäuschten oder engagierten Menschen ist. Wer Kundinnenkritik nicht aushalten kann und in die Nähe von Scheiße bringt, hat den falschen Job. Und wer das als Beraterin nicht korrigiert, versagt. Punkt.
Und dann zum Schluss noch eine kleine Anmerkung zu einem mit dem S-Wort verwandten Thema, das immer wieder von den gleichen Leuten in diesen Diskussionen kolportiert wird: zur angeblichen Enthemmung der Menschen und ihrer Kritiktonalität durch Facebook & Co.
Geht's noch??
Wer auf die Idee kommt, dass die - zugegebenermaßen oft etwas derben und unfeinen - Formulierungen von Menschen im Rahmen ihrer online geäußerten Kritik "enthemmt" seien, hat wahrscheinlich in den letzten dreißig Jahren noch nie mit Menschen zu tun gehabt. Menschen sind so. Und reden so. Ja, du auch, wenn niemand zuhört. Siehe oben. Die Sache mit Plön (und nix gegen Plön, einige meiner besten Freunde stammen aus Plön). Fragt mal eine Lokalpolitikerin, die unterm Sonnenschirm in jener Fußgängerinnenzone steht, wie zivilisiert sie die (hier tatsächlich!! anonymen) Kommentare der Vorbeilaufenden findet.
Kinners! Das, worum es geht, ist nicht so komplex, dass ihr dafür ein untaugliches Dings braucht, um es so zusammenzufassen, dass ihr überhaupt nicht mehr sehen könnt, was da passiert und wie ihr damit umgehen könnt (Geheimtipp: hat viel mit Erfahrung, Hirn, Herz und so zu tun). Anstatt "Shitstorm" zu krähen, könnten wir ja einfach mal überlegen, ob es nicht eines von beispielsweise diesen drei Dings sein könnte, was da passiert:
- Eine Kundin/Konsumentin beschwert sich zu recht oder unrecht. Und weil tatsächlich was schief lief, machen das mehrere.
- Kundinnen/Konsumentinnen solidarisieren sich mit einer Kundin/Konsumentin, die sich - zu recht oder zu unrecht - beschwert.
- Aktivistinnen fahren eine Onlinekampagne.
Merkt ihr selbst, nä?