8.2.19

Mitgemeint

Ich führe seit einigen Jahren ein Experiment durch: Ich benutze in Texten ein generisches Femininum, nachdem ich schon lange, im Grunde seit Ende der 80er Jahres des letzten Jahrhunderts, in mündlicher Sprache fast immer und automatisch männliche und weibliche Formen benutze.

Und nach der Zeit, die inzwischen vergangen ist, würde ich sagen, dass die meisten Indizien dafür sprechen, dass das Experiment erfolgreich ist. Der Sprechfluss leidet nicht, wenn ich geschlechtergerechte Sprache verwende. Und die Verständlichkeit leidet nicht, wenn ich auf das generische Maskulinum verzichte. Zumal ich quasi keine Kunstneutrumworte verwende. Doch seit etwa einem halben Jahr erlebe ich eine Art Backlash.

Vor einiger Zeit habe ich ein Interview gegeben, Reporterinnen waren zwei junge Frauen. Wir sprachen rund eine Stunde - und weil ich es immer und automatisch mache (siehe oben), habe ich auch hier immer von "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" oder "Kundinnen und Kunden" und so weiter geredet. Das war auch nicht zu überhören; das interview wurde mitgeschnitten. Als ich die Ausarbeitung des Interviews bekam, war in meinen Antworten ganz konsequent nur von "Mitarbeiter" und "Kunden" die Rede. Das passierte mir ganz am Anfang meines Experiments häufiger. Manchmal wurde auch das große Binnen-I geschrieben. Was aber tatsächlich vorher noch nie passiert ist: Dass die Redaktion mit relativ großem Unverständnis reagiert hat. Ich schlug dann vor, dass entweder nur die weibliche Form verwendet wird (also ein generisches Femininum, wenn ihnen das andere zu umständlich oder zu lang sei) oder beide Formen, wie auch gesprochen. Und ich musste sehr lachen, als der Text dann zurück kam mit recht vielen relativ unbeholfenen Neutrumformulierungen. Mitarbeitende. Sie haben es nicht über sich gebracht.

Und in den letzten Monaten begegnet mir häufiger, dass insbesondere recht junge Männer irritiert sind, wenn ich generisches Femininum benutze. Dass sie sich mehr oder weniger aktiv fragen, ob sie mitgemeint seien. Dass sie sich in ihrer männlichen Ehre gekränkt fühlen (echt!), weil sie offensichtlich ja mitgemeint sein müssen, obwohl ich formal nur Frauen anzusprechen scheine.

Das wiederum finde ich total interessant. Denn zum einen ist es ja im Grunde eine Bestätigung meines Experiments – und der implizite Beweis, dass ein generisches Genus nicht eigentlich existiert. Und zum anderen ist für mich sehr erschreckend, dass sich diese Männer zwar angefasst fühlen – aber den Transfer nicht hinbekommen, dass es möglicherweise einigen Frauen ebenso gehen könnte, wenn sie ganz "natürlich" normalerweise ein generisches Maskulinum verwenden. Auch wiederum interessant. Und ein Zeichen, dass sie offenbar nicht erwachsen sind, sondern noch in der egozentrischen Phase eines jungen Jugendlichen stecken geblieben.

Bei noch wiederum anderen löst mein Schreiben Achselzucken aus. Und sie nehmen es als eine Schrulle hin. Das finde ich zwar etwas schade, aber gebe die Hoffnung nicht auf, dass es zumindest hinter meinem Rücken zu Gesprächen führt. Über Geschlechtergerechtigkeit; über richtige und falsche Wege, damit umzugehen; über Sprache als Konstruktionselement von Wirklichkeit. Und andererseits, um es mal ganz und gar smartassmäßig zu sagen: Ist das nicht das Tolle daran, Chef zu sein? Dass mir niemand eine Vorschrift machen kann, wie ich Sprache benutze, um Wirklichkeit zu verändern?