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29.3.23

Dorfklatsch

Seit ich mich endlich für eine Friseurin des Vertrauens entschieden habe, zum ersten Mal seit Ende meiner Kindheit witzigerweise, vielleicht liegt es daran, dass meine Haare so deutlich weniger werden, dass es wichtiger ist, was damit passiert, vielleicht aber auch daran, dass einer meiner Söhne Handwerker geworden ist, jedenfalls habe ich eine Friseurin, seitdem also ist unser Gespräch fast wie Social Media.

Es geht einfach weiter, wenn ich nach einigen Wochen wieder da bin. Da Tochter und Liebste auch zu ihr gehen (sie hat sich mitten in der Pandemie selbstständig gemacht, so wie ich, zusammen mit zwei anderen Frauen, eine mit Fußpflege und eine mit Kosmetik, sozusagen eine Bürogemeinschaft), ist es sogar ein irgendwie verteiltes Gespräch. Jedenfalls knüpften wir genau da an, wo wir letztes Mal aufhörten, ein kleiner Schlenker zum Gespräch mit der Liebsten, und los ging es. 

Und da sie im Nachbardorf wohnt, ist es zugleich das, was das Vorurteil des Friseurinnensalons immer schon war: wir reden über das, was hier so los ist. Aber interessanterweise ohne zu lästern oder Indirektionen. Auch dabei musste ich, vielleicht, weil ich gerade mit retroartigem Tagebuchbloggen experimentiere, an das alte Social Media denken, als wir noch alle bloggten und es noch Webzweinull hieß (oder Webzwonull, wie ich im Funklehrgang lernte). Alles, was wir bereden, ist zwar persönlich aber eben nicht privat. 

Wie schön, dass ich diesen Zwischenraum, den ich online so schätze, auch offline gefunden habe. 

28.3.23

Liebes Arschloch

Während ich es nie geschafft habe, aus der Idee eines Newsletters etwas regelmäßiges zu machen, auch wenn ich ihn hier rechts zumindest in der Desktopbrowservariante des Blogs bewerbe, lese ich anderer Menschen Newsletter gerne. Besonders, wenn auf einmal etwas Überraschendes herauspurzelt. Wie neulich bei Franziska Bluhm, die ja auch irgendwie meine Bloggeneration war damals.

Und so habe ich mich neulich nicht um die Weitergabe des Buches „Liebes Arschloch“ von Virginie Despentes beworben – sondern mir das Hörbuch gekauft und bingegehört. Was für ein Buch. Ein aktueller Briefroman. Mit allen Themen, die mich interessieren. Und allen Zwischentönen, die mich anregen. Einfach nur wow.

Und wie schon bei Lady Susan merke ich, wie mich das Format fasziniert. Weil so viel zwischendurch passiert. Passiert sein muss. Weil es Raum lässt für Denken und Fühlen und Fantasie. Und weil es mich immer und immer noch überrascht. 

18.1.21

Ich liebe Radio

Radio

Ich wollte nie zum Fernsehen. Weil ich immer Radio liebte. Nur mit der Stimme, sehr direkt, sehr intim – und trotzdem für alle zu hören, die zufällig oder bewusst einschalten. Die Zeit als Kirchenfunker im Privatradio war sehr cool, bis hin zu den Experimenten, on air zu beten.

Radio ist aber vor allem auch flüchtig. Weshalb ich noch die Generation Mix-Tapes bin, die Lieder aus dem Radio auf Kassette aufgenommen hat und am Doppelkassettendeck neu zusammenstellte.

Ich mag auch Podcasts und Hörbücher, sehr sogar. Die höre ich beispielsweise bei der Hofarbeit, beim Pferdescheißeschaufeln, beim Zäunebauen, beim Kochen.

Ephemeral Media

Und ich mochte schon immer Ephemeral Media. Damit habe ich mich damals, vor sechs Jahren, als es losging mit Ephemeral Media, intensiv beschäftigt und viel drüber geschrieben und Vorträge gehalten. Das Flüchtige als Antwort auf die unangenehme Erfahrung, dass "das Web nicht vergisst", hat mich die gesamte Zeit fasziniert. Ebenso übrigens, wie dann dieses Flüchtige für uns doch permanent sein sollte - wie die Highlights auf Insta, die eigentlich ephemere Storys haltbar machen.

Radio ist eigentlich auch Ephemeral Media, immer schon. Sogar noch radikaler, weil es eben nur im Moment funktioniert und nicht mal die sonst üblichen 24 Stunden.

Clubhouse

Und nun also Clubhouse. Dieses Wochenende ist es so richtig offiziell in Deutschland angekommen, es sieht so aus, als ob es tatsächlich für fast alle, die ein iPhone haben, geöffnet wird. Clubhouse machte seit rund einem Jahr ein bisschen Furore, vor allem in Nordamerika, weil es zunächst nur für kleine exklusive Zirkel zugänglich war, um auszuprobieren, was da geht und was nicht. 

In aller Kürze: Nur Audio, kein Video, kein Text, keine Bilder. Nur live, nur im Moment. Wer einen Raum öffnet, kann sprechen und entscheiden, wer mit sprechen darf, andere können zuhören und darum bitten, mitsprechen zu dürfen. Also im Grunde eine Mischung aus Talkradio und Open Mic.

Hype oder nachhaltig?

Im Grund ist es egal, ob es "nur" ein Hype ist oder ob da ein neues, nachhaltiges Netzwerk entsteht. Für Hype spricht, dass ich von Freund:innen, die es vor Monaten anfingen zu nutzen und anfangs hell begeistert waren, höre, dass das schnell wieder abflaute und sie noch ein, zwei Mal in der Woche oder sogar nur im Monat die App öffnen. Das scheinen auch andere zu hören. Und es ist auch allzu sehr männlich und weiß und teilweise offenbar auch echt kakke.

Aber: es ist, gerade für einen alten Radiomenschen wie mich, auch irgendwie super aufregend, wie dort eine Community versucht, im Grunde die Brecht'sche Vision vom Radio zum Leben zu erwecken. Und da steckt etwas drin. Ich denke, dass da auch die Nachhaltigkeit liegt.

Erste Überlegungen eines Kommunikationsmenschen 

1. Ask Me Anything
Gerade für Top-Executives kann es eine Umgebung sein (und ist es bisher, als es noch kuschelig war, auch gewesen), in der sie live und "intim", flüchtig, erzählen und Fragen beantworten können. Das haben wir von Leuten aus der Start-Up-Szene gesehen, von einigen wenigen Politiker:innen, das könnten wir auch für andere sehen.

2. Formatierung
Eines der wichtigsten Erfolgsrezepte von Radio ist die Formatierung. Dass ich also weiß, was mich wann erwartet: Von 18 Uhr bis 18.40 Uhr beispielsweise die abendliche Aktuell-Sendung, und dann von 18.40 Uhr bis 19.00 Uhr ein ausführlicher Hintergrund (im Beispiel Deutschlandfunk). Flüchtige Live-Medien werden Formate brauchen. Erste gibt es schon auf Clubhouse. Und hier sehe ich tatsächlich große Chancen. Sowohl für Profis als auch für Marken.

3. Talkradio
In Deutschland gibt es wenig bis kein echtes Talkradio. Anders als in vielen anderen Ländern. Clubhouse könnte diese Lücke schließen. Es könnte sich zu einem Talkradio entwickeln. Und damit wäre auch alles, was in Talkradios, vor allem live, denkbar ist, hier denkbar. Da lohnt es sich wahrscheinlich, kreativ zu werden. Muss ja nicht alles wie Domian sein.

Erste Erfahrungen
Was mir auffällt: anders als die meisten anderen Formen von Ephemeral Media muss zumindest ich mich auf die Gespräche in den Räumen von Clubhouse konzentrieren. Das geht nicht einfach so nebenbei oder aus dem Augenwinkel. Und während ich Twitter wunderbar neben Filmen, TV-Events oder Wahlberichterstattung nutzen kann und nutze, kann ich das mit diesem Talkradio nicht. Also ich zumindest kann das nicht. Ich muss mir also bewusst und echt Zeit nehmen, um eine Sendung auf Clubhouse zu hören oder an einer Diskussion teilzunehmen. Zumal es eben nicht asynchron ist, was ich beispielsweise an Twitter oder an Messengern sehr mag. Auch das spricht übrigens für Formate, denn dann kann ich mich darauf einstellen.

Kleiner Nebeneffekt – aber ich glaube, das ist super wichtig und kann einer der Treiber sein, dass Clubhouse (oder so was) bleibt – sind darüberhinaus die Zufallsbegegnungen. Menschen, die sich in Gespräche einklinken und die mich begeistern. Andere, die ich nicht kannte, lerne ich kennen, folge ihnen, sehe mehr von ihnen. 

Weil ich Radio so liebe, gebe ich Clubhouse eine Chance. Und habe ihm trotzdem nicht Zugriff auf mein Adressbuch gegeben. Es funktioniert dennoch, übrigens.

[Und auf LinkedIn habe ich noch einen englischen Artikel über Clubhouse geschrieben, etwas anderer Schwerpunkt, aber die Gedanken hier weiterführend.]

26.11.15

Vor die Wand

Das Olympiareferendum in Hamburg endet erst am Sonntag. Insofern ist es zu früh, zu spekulieren, ob die Menschen in meiner Stadt mehrheitlich dafür oder dagegen sind, dass sich die Stadt um die Spiele bewirbt. Andererseits wäre eine Grundsatzkritik an der PR-Strategie der Bewerbung wohlfeil, brachte ich sie erst vor, falls die Bewerbung in der Bevölkerung schon gescheitert sein sollte. Insofern - ich weiß nicht, ob es die mindestens 60% Zustimmung geben wird, deren Unterschreitung in der Politik als Katastrophe beschworen wird. Falls es gelingt, diese Zustimmung zu erreichen, lag es nicht an der Kampagne. Und mein Risiko mit diesem Text ist halt, dass es sein kann, dass es trotzdem eine überwältigende Zustimmung zur Bewerbung geben wird.

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Senat, Bürgerschaft, Institutionen, Verbände - dass olympische Spiele 2024 (oder 2028) nach Hamburg müssen, ist unter den offiziellen Meinungshabenden dieser Stadt unumstritten. Dass es eine Kampagne gibt, um die Menschen in dieser Stadt dazu zu bewegen, bis Sonntag mit Ja zu stimmen, ist normal und ok. Über die Werbekampagne will ich nicht sagen, die spricht mich zwar nicht an, aber das ist Geschmacksache. Aber falls es eine Strategie für eine PR-Kampagne gibt (das weiß ich nicht wirklich) und diese erfolgreich sein sollte (also sich in dem niederschlägt, was in Medien und öffentlichen Diskussionen passiert), dann wäre die auf vielen Ebenen falsch. Zumindest ist das, was medial und in der Öffentlichkeit passiert, dem Ziel eher abträglich.

Was wir seit einigen Wochen in Hamburg erleben, fasste die Süddeutsche die Tage als "Werbeblätter für die Spiele" zusammen. So ist es tatsächlich, bis runter auf die Ebene der Wochenblätter und anderen Gratiszeitungen, die in den Briefkästen landen. Nur dem letzten Absatz kann ich nicht zustimmen:
Großer Seufzer. Hanseatische Bescheidenheit ist wohl doch ein Mythos; und das Abendblatt versteht was von PR.
Nein, das Abendblatt versteht nichts von PR. Es versteht nicht mal etwas davon, wie Medien heute funktionieren, offenbar.

Zu glauben, dass heute ein medialer Gleichklang, eine Berichterstattung ohne Nuancen von Kritik, wirklich ein sinnvolles Ziel einer PR-Strategie sein kann, ist dumm. So einfach ist das. In einer Zeit, in der Misstrauen gegenüber dem, was in Medien zu finden ist, nicht mehr nur ein Thema für Expertinnen ist (das war es schon immer, denn wer sich mit einem Thema wirklich auskennt, merkt ja immer gleich, dass in Medien dieses Thema eher - positiv formuliert - oberflächlich behandelt wird), sondern Allgemeingut - in so einer Zeit gibt es nur eines, das schädlicher ist als eine einhellig jubelnde "Berichterstattung", die automatisch dem Verdacht, es sei eigentlich Propaganda, ausgesetzt ist. Und dem auch nicht viel entgegenzusetzen hat. Schädlicher ist nur noch eine einhellig negative Berichterstattung.

Es wird ja viel diskutiert über Verschwörungen und Hass, die in sozialen Medien fröhlich Urständ feiern. Kann man machen. Was übersieht, wer so argumentiert, ist die Mechanik dahinter, wieso Menschen mit Meinungen sichtbar werden, die die meisten von uns für abseitig gehalten hätten. Das, was da passiert, nenne ich gerne die "Synchronisation von Meinungen". Und das ist - zunächst ganz neutral - das Phänomen, dass durch neue Medientechnik Menschen, die eine von der vermuteten Normalität abweichende Meinung haben, merken, dass sie nicht die einzigen sind - und darum mutiger werden, diese Meinung auch offen zu vertreten. Das war so beispielsweise während der Reformation, als daraus, dass Luthers Schriften immer überall ausverkauft waren, von seinen Anhängerinnen geschlossen werden konnte, dass sie viele seien. Das ist so heute mit Facebook, wo noch die abseitigste originellste Meinung auf andere trifft, die es auch so sehen.

In so einer Zeit, in der es einfach ist, schnell Meinungen zu synchronisieren, zu glauben, dass eine einheitliche mediale Tonalität einer Sache helfen kann, ist im besten Fall unüberlegt.

Jede Kampagne rund um eine monothematische Befragung muss und wird sich an die Unentschlossenen richten. Denn wer klar für Ja ist oder klar für Nein, ist ohnehin nicht wirklich zu überzeugen, diese Haltung zu ändern. Und in Vor-Internet-Zeiten haben Kampagnen mit einheitlicher Medientonalität auch durchaus funktioniert. Denn zu zeigen, dass eigentlich alle dafür sind, dass eine Außenseiterin ist, wer davon abweicht, ist rational und emotional richtig gewesen. So wurde damals die Synchronisierung von Meinungen simuliert, die es in Zeiten der Mangelmedien, der Massenmedien so nicht wirklich gab.

Heute aber funktioniert diese Mechanik der 60er bis 80er Jahre nicht mehr. Gerade die Unentschlossenen werden durch diese PR-Strategie vor den Kopf gestoßen und verloren. Ich bin mir sehr sicher, dass die Zustimmung zur Bewerbung Hamburgs vor Beginn der Kampagne größer war als jetzt an ihrem Ende.

Das Problem ist ja, dass im Grunde alle Gruppen unter den Unentschlossenen verprellt werden: Die Intellektuellen, weil sie durchschauen, dass hier nur eine Position dargestellt wird. Die Verschwörungsfans, weil sie hier den Beweis für die Verschwörung sehen, wenn ja doch alle nur eine Position veröffentlichen. Die Skeptischen, weil sie hinter der Massivität der Kampagne vermuten, dass jemand etwas zu verbergen oder Angst habe. Die Rebellischen, weil sie gegen die Mehrheit sind. Und so fort.

Moderne Kampagnen agieren komplett anders als die Hamburger Bewerbung. Zum einen bestärken sie mit Werbung die Überzeugten (was ja auch die Funktion der viel belächelten Plakate in politischen Kampagnen ist). Und zum anderen adressieren sie mit PR die Unentschlossenen. Diskursiv. Und wenn es darum geht, positive Stimmung und positive Meinungen zu synchronisieren, wird eine moderne Kampagne dies da machen, wo diese Synchronisierung heute stattfindet - online, vor allem in sozialen Medien.

So aber fährt die PR-Strategie der Hamburger Bewerbung das gesamte Projekt vor die Wand. Wahrscheinlich kann die Kampagnen-Macherinnen dabei nur trösten, dass die Gegnerinnen von Olympia in Hamburg genauso beknackt agieren.

2.3.15

Grenzkosten

Ich gehöre nicht zu denen, die quaken, wenn irgendwer die Nutzungsbedingungen ändert. Und ich verstehe wahrscheinlich mehr als die durchschnittliche Nutzerin von Modellen, wie ein Internetservice monetarisiert werden kann und muss. Und auch von Onlinemarketing, Targeting, Data Mining.

Genug jedenfalls, um zu wissen, dass ich dann Teil des Produktes bin, das jemand anbietet, wenn ich deren Service kostenfrei nutze. Ich zahle anders. Das, was ich für mich und für andere, die ich mit meiner Nutzung mit reinziehe, regelmäßig neu überprüfen muss, ist, ob die Kosten in einem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen stehen.


Der Deal ist eigentlich ganz einfach 
Facebook stellt mir (formal kostenfrei) seine Services zur Verfügung. Dafür erstellt es Profile über mich, teilweise summarisch, teilweise persönlich, teilweise nach Art eines Microzensus. Diese Daten vermarktet Facebook, so verdient es Geld. Ok, jetzt etwas holzschnittartig, aber im Prinzip ist es so.

Das Problem ist, dass Facebook in den letzten Monaten sowohl an der Kostenschraube als auch an der Nutzenschraube gedreht hat - leider in entgegengesetzte Richtungen. Ich habe kein prinzipielles Problem damit, dass sie immer mehr wollen von mir und meinen Daten. Ok, die Grenze dessen, was ich unter demokratischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten für maximal erträglich halte, ist inzwischen so gut wie erreicht. Wenn allerdings ein Wert, ein Nutzen dagegen steht, halte ich es noch so eben gerade für legitim, was sie tun.

Nur, dass der Nutzen nicht mehr stimmt. Das muss nicht für alle so sein, ich rede hier erst einmal nur von mir. Aber die Veränderungen, die sich durch Facebooks Pushen von Video für mich als Nutzer ergeben, führen dazu, dass die Kosten, die gleichzeitig stiegen, zu hoch werden. Dass die Kosten höher werden als der Nutzen, war schon einmal fast so, als das, was mir von denen, mit denen ich auf Facebook Kontakt hatte, angezeigt wird, nicht mehr dem entsprach, was ich erwartete oder wollte.


Der Deal ist aufgekündigt
Dass mir in der App seit Beginn dieses Jahres quasi nur noch Videocontent gezeigt wird (kombiniert mit der Tatsache, dass die wenigsten, die mich interessieren, Videocontent veröffentlichen), hat zusammen mit der relativ radikalen Ausweitung der Nutzungs- und Kombinationsrechte, die ich Facebook an meinen Daten einräume (ohne explizit den Nutzungsbedingungen zuzustimmen, was ja aber gerade politisch und juristisch geklärt wird, was aber auf jeden Fall ein besonders krasses Beispiel dafür ist, dass Facebook inzwischen tatsächlich totalitär ist aus meiner Sicht), die Kosten höher steigen lassen als den Nutzen. Facebook hat unseren Deal aufgekündigt.

Andererseits geht Facebook, die Firma, einen interessanten Weg, indem sie Services zwar von der Datenhaltung zusammen führt, von der Nutzung aber trennt. Beispielsweise nutze ich sehr gerne Instagram und den Messenger (den allerdings eher wenig), auch Whatsapp relativ gerne. Und einige Gruppen auf Facebook, dem Netzwerk. Für alle diese Dinge habe ich eigene Apps auf dem mobilen Internetzugangsgerät meiner Wahl. Die eigentliche Facebook-App nicht mehr.

Das ist nicht konsequent, ich weiß. Aber ich bin auch nicht so ein besonders konsequenter Mensch. Meinen Account gibt es noch. Die Browserdaten zu Facebook habe ich gelöscht.

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Wer etwas tiefer einsteigen will in die Kosten-Nutzen-Überlegungen, sei auf Salim Viranis Blogpost verwiesen. Er bereitet das ganz gut auf, dokumentiert es auch gut. Und hat den einen oder die andere aus meinem direkten Umfeld dazu gebracht, komplett die Reißleine zu ziehen.

5.1.15

Ephemeral Media


Rund um die Frage, was denn jenseits von Facebook noch so existiert, beschäftige ich mich schon lange mit Ephemeral Media. Inzwischen sind die so weit, dass sie ein eigenes Ökosystem bilden und eine große Rolle im Alltag vieler Menschen spielen.
Kurz vielleicht zum Begriff und so: ephemeral meint so etwas wie flüchtig, vergänglich. Unter Ephemeral Media verstehen wir also solche Netzwerke und medialen Äußerungen, die eben dies sind - flüchtig und vergänglich. Lustigerweise in der Regel nicht TV oder Radio (obwohl die zumindest in Deutschland ja auch oft vergänglich sind) - sondern eher digitale Medien, die nicht auf Dauer gedacht sind. Snapchat (nur kurz sichtbare Medieninhalte) oder Yo (nur kurze Lebensäußerungen) sind Beispiele von Apps, die in diesem Bereich aktiv sind.
In den ersten Jahren sind Ephemeral Media unterhalb des Radars geflogen. Wie so viele Dinge erst einmal als Experiment in eher jugendlichen Kontexten. Snapchat beispielsweise war relativ früh unter vielen Jugendlichen populär, die ich in unseren Speckgürteln traf. Erst bei Mädchen, dann bei Jungen, wie oft bei Dingen, die mit Technologie und Kommunikation zu tun haben.

Die Flüchtigkeit der eigenen Äußerungen und auch der der anderen spiegeln ein Bedürfnis wider, das nicht nur Jugendliche haben sondern das auch in den Medien und bei Erwachsenen in den letzten Jahren viel diskutiert wurde: Das Bedürfnis nach so etwas wie einem digitalen Radiergummi. Nach Kommunikation, die nicht für alle anderen auffindbar ist und auch für die, mit denen ich rede, nicht durchsucht, nicht nachgehalten werden kann.

Dabei spielt weniger eine Rolle, dass die Bilder und Links und Texte und Videos technisch sehr wohl permanent sind. Das, so ist mein Eindruck, ist den meisten Nutzerinnen dieser neueren Netzwerke bekannt. Sondern die Erfahrung spielt eine Rolle, dass es Gespräche, Medien, Äußerungen geben kann und eben tatsächlich im Leben gibt, die nicht durchsuchbar sein sollen.

Ich gebe zu, dass ich einige Zeit auch etwas ratlos vor dem Phänomen stand. Dass ich länger brauchte, um zu verstehen, was denn tatsächlich anders und neu an diesen Netzwerken ist. Wieso eigentlich Yo und Snapchat so viel Geld einsammeln können, immer wieder. Wieso hier etwas entsteht, entstanden ist, das über eine nette Spielerei hinaus geht. (Und auf das ich beruflich als Kommunikator reagieren muss.)

Das dritte Web
Es lohnt sich, einmal darauf zu gucken, wie sich Menschen Inhalte im Web erschließen. Bisher - also in den letzten Jahren - gab es vor allem zwei Formen des Web:

  • Zum einen das "Google-Web", also den Teil des Web, der über Suche und - zumindest in Deutschland und den meisten Teilen Europas - damit über Google angesteuert wurde. Rund 90% der Aktivitäten in diesem Teil des www beginnen mit Suche. Die eigene Webadresse ist für sehr viele Seiten nach wie vor der Suchbegriff, über den sehr viel Traffic aus der Suchmaschine kommt beispielsweise.
  • Und zum anderen das "Facebook-Web" (für einige auch das Twitter-Web, für mich beispielsweise, aber von der Struktur her ist es das gleiche), also den Teil des Web, der über soziale Signale innerhalb eines Netzwerks angesteuert wird. Facebook wird für immer mehr Inhalte und Inhaltsangebote zu einer wichtigen Quelle für Traffic.

Beide haben nur wenig mit einander zu tun. Und die Signale, die über Facebook/Twitter und über Suche kommen, sind auch sehr unterschiedlich. (Weshalb wir in der Kommunikationsbranche ja auch immer beides brauchen - Signale für Google und Signale für Facebook.)

Beide Wege - Suche und Facebook - haben aber gemeinsam, dass sie dauerhaft sind. Zwar ist Facebook von der Reichweite einschränkbar (Privatsphäre, you know), aber im Prinzip sind beides dauerhafte Äußerungen und Signale.

Mit Ephemeral Media werden diesen beiden Webs jetzt um ein drittes, eben ein flüchtiges, nicht durchsuchbares Web ergänzt. Signale, die entweder nur jetzt oder nur für einen kurzen Zeitpunkt gelten, sichtbar sind, etwas erschließen. Mit Ephemeral Media haben wir jetzt drei verschiedene Webs, die in der Praxis oft nur wenige Überschneidungen haben.

Tatsächlich ist aus meiner Sicht das wichtigste und auch das besondere, das mit Snapchat, Yo und Co entsteht, eine nicht-durchsuchbare, flüchtige Onlinekommunikation, die sowohl chatähnlich (1-zu-1) als auch newsletterähnlich (1-zu-n) möglich ist. Gruppenfunktionen und Werbeideen auf Snapchat, Services auf Yo - das ist nur der Anfang eines neuen Ökosystems, davon bin ich überzeugt.

Das nächste große Ding
Und damit sind Ephemeral Media aus meiner Sicht das nächste große Ding im Internetz. Und wundert mich nicht mehr, dass sie so große Euphorie bei Investorinnen hervorrufen. Eine neue Kategorie entsteht, eine der neuen Apps kann im Prinzip eine neue Infrastruktur werden - so wie Google faktisch die Infrastruktur des Such-Web ist. Und Facebook die Infrastruktur des Facebook-Web.

Meine wichtigsten Fragen sind dabei zurzeit, was eigentlich die Flüchtigkeit der Medien für die Kommunikation bedeutet - sowohl die Kommunikation untereinander als auch von uns Unternehmen und Marken mit den Menschen. Und ob (oder eher wie, denn das ob sehe ich nicht mehr so sehr als Frage) sich die Bedürfnisse nach Kommunikation auf die drei Webs aufteilen werden, neu verteilen werden.

13.6.14

Die offene Tür

Dies ist die Geschichte von einem, der ein so genannter distanzierter Christ ist. Und dem sein ehemaliger Pastor eine Tür geöffnet hat. Die Geschichte von mir und Pastor Fahr aus Hamburg-Duvenstedt.

Denn schon bevor wir aus Duvenstedt wegzogen, war mein Kontakt zum Pfarrer etwas abgerissen, als wir uns so über einen Kindergarten stritten, aber das ist eine andere Geschichte. Immer wieder suchte ich einen Anfang mit meiner Kirche, aber ich fand keinen. Ich saß zwischen allen Stühlen, irgendwo zwischen Gemeinden in geistlicher Armut und in evangelikalem Verfolgungswahn. Mir lag meine Kirche, die lutherische, immer irgendwie am Herzen, aber ich distanzierte mich lebensweltlich immer mehr von ihr.

Es war nicht so, dass ich meinen Glauben verlor, gar nicht. Zu Hause blieben die Rituale, die Gebete, die Erziehung, die Konfirmation der beiden Großen. Und mir blieben beispielsweise die Losungen ein Wegbegleiter, auch die Bibel. Witzigerweise würde ich mich als fromm bezeichnen, theologisch ohnehin eher sehr als wenig lutherisch. Nur zu der Kirche und ihren Veranstaltungen fand ich kaum noch Zugänge, allen neuen Versuchen zum Trotz.

Doch dann war es genau andersrum. Dann fand die Kirche einen Zugang zu mir. Ich glaube, als erstes war es Pfarrer Pohl.
Der nicht von irgendwelchen Dingen schwafelte oder mit frommen Sprüchen um sich warf. Sondern jeden Morgen treu alle die Menschen persönlich begrüßte, die er schon in seiner Timeline auf Twitter gesehen hatte. Sozusagen per Handschlag an der Kirchentür.
Und schließlich kam mein "alter" Pastor in meine Heimat. Wie es seine Art ist, auch in der Kohlenstoffwelt seine Art ist, etwas lauter, ein bisschen mit Poltern sozusagen. Aber mit Neugier und mit geraden Worten. Mit einer Sprache, die wir hier verstehen. Nicht verschwurbelt, wie die, die meine Kirche heute die Hochverbundenen nennt (was für ein beknacktes Wort übrigens), es verstehen würden oder die Esoterikerinnen, an deren Sprach- und Erlebnisraum meine Kirche so oft anknüpft (was ironischerweise dazu führt, dass kirchlich hochverbundene Gruppen im Wortsinne auch esoterisch sind, also eingeweiht in die - in diesem Fall - sprachlichen Mysterien).

Wie niemand anders in den letzten Jahren hat Peter Fahr mir so tatsächlich wieder eine Tür geöffnet. Und mich eingeladen, zu ihm zu kommen, wenn ich möchte. Ohne mir einen Vorwurf zu machen, wenn ich es nicht tue. Höchstens mal mit einer sanft-strengen Mahnung, dass ich jederzeit willkommen sei.

Er interveniert auf Twitter oder Facebook, wenn er findet, dass ich zu streng mit Menschen bin. Er fragt nach, wenn ich in Szenejargon verfalle, vielleicht weil er sensibel für den Jargon seiner eigenen Szene ist und den vermeidet. Er widerspricht und begründet. Er mischt sich ungefragt ein, ohne übergriffig zu werden. Auch wenn ich mir am Ende seines Sabbaticals hin und wieder gewünscht hätte, dass er endlich wieder zurück in die Gemeinde geht und weniger Zeit für uns in diesem Lebensraum hier hat.

Ihr seht: Ich mag ihn. Und das macht mich vielleicht ein bisschen offener. Aber noch mehr mag ich, wie er im digitalen Teil meiner Heimat umsetzt, was eine gelingende missionarische Volkskirche heute überall versucht: da zu sein, die Tür sichtbar zu öffnen, einzuladen, aber nicht in meinen Tanzbereich einzudringen, bevor ich sie dazu auffordere. Angebote zu machen, die niedrigschwellig sind aber nicht übergriffig.

So wie er früher im Dorf sichtbar war und mich ein-, zweimal in der Woche, wenn ich ihm bei Rewe oder im Eiscafé begegnete, allein durch die Begegnung daran erinnerte, dass ich jederzeit zu ihm kommen kann, zumal er mich - wie alle, denen er je vorgestellt worden war - jedes Mal mit Namen begrüßen konnte. So ist er heute in meinem Heimatraum sichtbar und erinnert mich, wenn ich ihn aus dem Augenwinkel sehe, daran, dass ich jederzeit zu ihm kommen kann.

In einschlägigen Untersuchungen über Spiritualität oder Frömmigkeit oder Glaubensthemen in Social Media wird er wie Pfarrer Pohl und viele andere nicht auftauchen. Weil er nicht die von den Kaspern, die zurzeit solche Studien anfertigen, ausgesuchten Stichworte benutzt. Weil er nicht mit Bäffchen rumläuft sondern mit Fliege. Weil er das Gespräch sucht und nicht die Verkündigung. Weil er mit uns lebt in dieser Welt und zu uns kommt. Und nicht nur hofft, dass wir zu ihm kommen und ihn verstehen.

Und doch ist da viel Frömmigkeit und viel geistliche Nahrung für mich und für andere. Dafür bin ich dankbar. Und dafür, dass er die Möglichkeiten, die mein digitaler Lebensraum bietet, erkundet.

Und nennt es Eitelkeit, aber zugleich zeigt dies ja doch auch, dass meine Überlegungen für eine Social-Media-Strategie der evangelischen Kirchen nicht völlig doof sind.

29.4.14

Instagram ist das neue Leitmedium

Jede Generation hat ihr bestimmendes Medium, heute ihr bestimmendes Social Network. Wir haben als Kinder und junge Jugendliche noch Festnetznummern ausgetauscht.

Manchmal sind die Übergänge zwischen den Generationen dabei fließend. Manchmal radikal. Und machmal echt überraschend. Ohne dass ich Privatempirie überbewerten will, finde ich sehr interessant zu beobachten, wie sehr das Medienverhalten zwischen meinen beiden Großen und meinen beiden Kleinen abweicht. Irgendwo zwischen jetzt 16-Jährigen und 12-Jährigen hat sich etwas verändert.

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Instagram-Logo schwarz-weiß
Instagram-Logo
Damals, als Facebook Instagram kaufte, habe ich in meinen Vorträgen sofort gesagt, dass es ein Schnäppchen gewesen sei. Heute wissen wir, dass es tatsächlich so war und die eine Milliarde eher günstig war für das, was das Unternehmen Facebook davon hat. Denn sie haben auf das richtige Netzwerk gewettet.

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Die Handball-D- und C-Jugend des Walddörfer SV war, wie jedes Jahr, über Ostern beim Holstebro Cup. Mehrere hundert Kinder und junge Jugendliche, Jungs und Mädchen, zwischen knapp 12 und gut 14. Aus vielen verschiedenen Ländern von Norwegen bis Frankreich, überall, wo Handball gespielt wird und von wo aus die Mitte Dänemarks gerade noch so erreichbar ist.

Wenn sie sich kennen lernten und unterhielten - Tertius' Mannschaft hatte das Glück, dass ihr einer Torwart dänisch spricht, so dass sie zu all den tollen Mädchenmannschaften aus Dänemark Kontakt aufnehmen konnten - war die Frage nicht mehr die nach der Mobilnummer (wg. WhatsApp) oder dem Facebook-Account. Sondern danach, wie die jeweils andere auf Instagram heiße. Die meisten Kinder kamen mit mehr als doppelt so vielen Followern nach Hause.

Für die Kinder bei uns, für die 12- und 13-jähringen Jungs im Speckgürtel von Hamburg, ist Instagram das Leitmedium geworden.

Das hat mich überrascht, zumindest in der Radikalität. Darum habe ich in den letzten beiden Wochen rumgefragt bei anderen Familien mit jungen Jugendlichen. Und überall das gleiche Bild: Rund die Hälfte der Kinder in den Klassen ist auf Instagram - und für die, die dabei sind, ist es der wichtigste Kanal für das geworden, was ich gerne "affirmative Kommunikation" nenne. Also für Selbstdarstellung und Bestätigung und zwischenmenschliche Kommunikation. War Facebook für meine heute 16- und 18-jährigen Jungs damals die Möglichkeit, gefahrlos mit Mädchen ins Gespräch zu kommen, ist dies heute über Instagram der Fall.

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Die Kinder und Jugendlichen, die ich auf Instagram kenne (über meine Kinder, die Kinder von Freundinnen und über mein Hobby, das auch viele Jugendliche haben, das Reiten und die Islandpferde), wissen alle, dass Instagram zu Facebook gehört. Aber es hat für sie keine Bedeutung. Keine tiefere.

Ich habe einen Heidenrespekt vor Facebook (der Firma), dass sie dieses Potenzial damals bereits erkannten. Und dass sie es schaffen, die nächste Generation über ein anderes Netzwerk an sich zu binden. Der Versuch, WhatsApp zu kaufen, gehört ja auch da mit hinein, auch wenn das etwas verzweifelter ist und nicht halb so hellsichtig. Aber wenn es klappen sollte, dass sie diese Plattform auch kaufen (das steht ja nun noch nicht wirklich fest), haben sie die Kinder und Jugendlichen in ihr Ökosystem hineingeführt.

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Dass Instagram das Leitmedium der jungen Jugendlichen und der Kinder wird, finde ich gut. Vor allem deshalb vielleicht, weil ich es selbst so mag. Aber auch, weil Instagram zwei Eigenschaften hat, die ich für junge Menschen gut und wichtig finde:

Zum einen ist es ein durchweg positives Netzwerk. Sowohl die Bestätigung über ein Herzchen als auch die Art der Kommentare zeigen, dass es vor allem um Zustimmung und Freundlichkeit geht. Menschen zeigen sich - und andere sagen, dass sie sie hübsch finden. Es wird auch hier Mobbing geben wie überall, wo Kinder zusammen kommen. Aber die Grundkonstruktion ist so, dass jeder Mensch hübsch sein kann. Und sei es durch die Retrofilter.

Zum anderen ist es wirklich und tatsächlich international. Weil Sprache keine tragende Rolle spielt, ist eine Verständigung über Sprachgrenzen hinweg einfach und möglich. Und dass die Kinder schon mit 11 Jahren automatisch englisch schreiben, wenn sie Bilder posten, spiegelt genau diese Erfahrung wider - dass sie eben nicht auf ihre Umgebung und ihre Sprache beschränkt sind bei denen, mit denen sie dort zusammen kommen. Stichworte in verschiedenen Sprachen - bei uns in Norddeutschland oft auch in skandinavischen Sprachen - und für verschiedene Signaturen helfen, sich zu sortieren und zu finden. Vielleicht ist es ein bisschen übertrieben und zu optimistisch, aber vielleicht entsteht hier unter Kindern und jungen Jugendlichen auch wirklich der Kern einer europäischen Öffentlichkeit.

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Dass Instagram Facebook als Leitmedium ablöst, halte ich für eine gute Entwicklung. Rein subjektiv, weil ich Facebook nie wirklich mochte. Und darüber hinaus, weil Instagram das beste, was Twitter geschaffen hat, so nutzt, dass Menschen Lust haben, dabei zu sein: die asynchrone und asymmetrische Kommunikation, das Prinzip des Folgens, das auch einseitig sein kann und darf. Das nicht Beziehung oder gar Freundschaft vorgaukelt, wo nur Interesse an den Lebensäußerungen der anderen da ist.

Instagram hat seine größte Zeit noch vor sich, wenn unsere Kinder damit größer werden. Wenn sie lernen, sich auszudrücken, wenn sie ihre eigenen Codes entwickeln. Und das Leben wird bunter und schöner sein, wenn sie es mit Bildern versehen. Darüber freue ich mich in meinem Leben. Und darauf freue ich mich für meine Kinder.

7.6.13

Das Arschloch ist die arme Sau

Es gibt zwei Arten von Arschlöchern. Die, die arrogante Einzelgängerinnen sind. Und die, die sich als mainstreaminges Mobbing-Arschloch gefallen. Gegen letztere wettert Thomas Gigold.
Arschloch sein hat in meinen Augen nichts damit zu tun, kaltherzig auf Menschen herum zu trampeln. Ihr beiden macht aber gerade genau diesen Eindruck. Prima, wirklich. (Ihr Arschlöcher)
Er richtet sich (und um das gleich zu sagen: ich stimme ihm aber so was von zu) gegen zwei Leute, die ich in ihrer rotzfrechen und arroganten Art eigentlich sehr schätze. Und die ich ja nun auch schon seit rund zehn Jahren online und offline kenne. Und auch als Typen tatsächlich schätze, weshalb ich Thomas' Irritation auch teile. Felix Schwenzel und Robert Basic.

Warum ich Thomas dankbar bin für seinen Artikel: Weil er genauer hingelesen hat als ich. Weil ihm auffiel, dass es zwar launig klang und harmlos, dass es das aber nicht ist. Und weil es eben nicht um eine raue Schale mit einem weichen Kern geht - sondern weil die beiden zwar mehr oder weniger sagen, dass sie so nicht mehr sind (so verstehe ich Felix' Kommentar in Thomas' Blog), aber eben weitgehend unkritisch davon berichten, dass sie als junge Leute echt arme Säue waren mit sehr wenig Selbstwertgefühl.

Denn zum Mobbing wird Arschlochsein ja erst, wenn sich die Arschlöcher in der Gruppe verstecken. Wenn sie nicht arrogant-einsam sind sondern armselig-angepasst. Und genau da setzt das ein, was meine Großmutter "Herzensbildung" nennt. Was nach meiner Erfahrung aber weniger mit Bildung als mit Charakter zu tun hat. Und sich schon früh ausbildet. Zumal ein arme-Sau-Sein keine Entschuldigung ist für irgendwas.

Ich weiß, dass es ein schmaler Grat ist. Sozusagen auch aus eigener Erfahrung. Vielleicht hat mich vor der arme-Sau-Variante des Arschlochs nur geschützt, dass ich immer Außenseiter war, wer weiß. Vielleicht aber auch, dass ich meine Arschlochanfälle eher auf die Mainstreamanführerinnen gerichtet habe. Und richte.

Kritik, auch harte Kritik, auch unsachliche Kritik, auch Kritik, die persönlich wird, ist das eine. Ein lapidares mehr oder weniger unbeteiligtes Reden darüber, dass ich jemanden von der Schule gemobbt habe, etwas anderes.

***

Wie schmal der Grat ist, habe ich selbst vor etwa zwei Jahren erlebt. Ich hatte mich längere Zeit schon mehr oder weniger offen, aber immer öffentlich und mit offenem Visier über einen Mainstreamanführer lustig gemacht, den ich für schlecht hielt in dem, was er tat. Also qualitativ und intellektuell schlecht, als Menschen konnte ich ihn nicht beurteilen. Und mich mit Lust und Freude in sinnlose Diskussionen, teilweise über Bande, geworfen.

Irgendwann hörte ich, dass er sich von mir verfolgt fühle und glaube, ich hätte mich mit zwei anderen gegen ihn verschworen. Das hat mich tatsächlich erschreckt, denn das war weder mein Ziel noch mein Wunsch. Und das macht mich auch nicht stolz, vor allem nicht, dass ich das nicht merkte. Ich denke, dies war tatsächlich hart an der Grenze zum Mobbing, vielleicht auch über die Grenze hinüber. Jedenfalls habe ich in dem Moment alle Kommunikation mit ihm eingestellt, ihn aus allen Strömen herausgenommen, auf denen er mir begegnen könnte, ihn blockiert, so dass er nichts von mir in den falschen Hals bekommen kann oder auf sich beziehen kann, was nicht auf ihn bezogen ist, und so weiter.

Das Thema beschäftigte mich weiter. Und zeigte mir, dass auch eine eigene große Reichweite (seine ist sehr viel größer als meine) nicht immunisiert.

Warum ich dies jetzt, zwei Jahre später, schreibe? Weil ich zwar empört und entsetzt bin aber nicht selbstgerecht sein will. Weil es einen Unterschied macht, ob ich aus eigener Bosheit oder Freude oder Arschlochigkeit schreibe/handele oder weil ich mich damit in einer Gruppe positioniere. Und weil ich sicher bin, dass ein Aufhören schwerer ist, wenn ich eine arme Sau bin, die ihr Selbstbewusstsein aus der Anerkennung in der Gruppe und auf Kosten anderer zieht.

27.2.13

Stopp!

Um es vorweg zu sagen: Dies war ein guter Kongress mit spannenden Beispielen und guten Teilnehmerinnen. Hervorragend organisiert, Spaß gemacht. Und dass ich gemeinsam mit eBay was vorstellen konnte, hat ihn ja auch nicht gerade abgewertet. Handel ist außerdem eine sehr interessante Branche.

Ein Thema zog sich beide Tage durch diesen Kongress: Zoschil Midia. Das macht (auch) im Handel inzwischen einen signifikanten Teil der PR aus, auch wenn es teilweise schön wäre, wenn Marketing und PR enger zusammen arbeiten würden oder gar ihre Grenzen aufgeben, aber das ist eine andere Geschichte.

Nur eines hat mich wirklich sehr irritiert. Und nach sehr kurzer Zeit habe ich darum eine Strichliste begonnen, wie oft das Wort Shitstorm vorkam, wie oft es also jemand erwähnt hat. MIt Bleistift, auf kariertem Hotelpapier:

Strichliste auf dem PR-Kongress des EHI

Grob gesagt verhielt sich die Menge der Erwähnungen des Wortes exakt umgekehrt proportional zu Erfahrung mit und positiver Haltung zu Social Media bei den Erwähnenden. Das mit den Kartoffeln und Bauern, u know. Und ulkigerweise war es nicht mal überwiegend aus Angst geboren oder zur Abwehr gebraucht. Nur eben zigmal erwähnt. Nur: Warum? Wir haben uns durchaus mit einigen Krisen und Herausforderungen beschäftigt diese Tage - aber mit keiner Massenentrüstung.

Vorschlag zur Güte und Bitte an alle, die sich schon etwas länger mit Social Media in der Kommunikation beschäftigen, und an alle, die über so etwas journalistisch berichten: Lasst uns ein Moratorium machen.

Lasst uns das Wort nicht mehr nutzen. Denn zum einen werden wir daran dann unterscheiden können, wer ein bisschen Ahnung hat und wer nicht. Und zum anderen sind wir für andere (hoffentlich) manchmal auch Rollenmodelle - und können helfen, diesen absurden, falschen, doofen Begriff wieder in der denglischen Subkultur verschwinden zu lassen, wo er hingehören könnte. Wenn überhaupt.

Vorschlag zur Güte für alle Unternehmen und Marken, die Unterstützung und Beratung bei Agenturen und Beraterinnen einkaufen: Setzt das Wort auf euren Bad Word Filter und alle, die es weiterhin benutzen, auf die Blacklist (ich weiß, dass es die bei vielen von euch gibt) derer, mit denen ihn nicht arbeiten wollt.

An der Verwendung des Wortes werden wir uns in Zukunft differenzieren können - so wie vor ein paar Jahren an der Revolutionsrhetorik. Und dabei fasse ich mich auch an die eigene Nase, immerhin führt unser ruhender Brouhaha-Podcast aus SEO-Gründen zurzeit auch noch dieses Wort im Titel.

10.2.13

It's strategy, stupid

Strategische Beratung. Ein Traum für viele jüngere Kolleginnen, mit denen ich zu tun habe im Berufsalltag. Und das zu Recht: denn Kommunikationsstrategien oder Strategien für Social Media zu entwickeln, gehört zu den schönen Dingen im Kommunikationsberuf. Um so überraschter bin ich, was oft als "Strategie" durchgeht. Sowohl, wenn ich beispielsweise von Unternehmen dazu geholt werde, um eine bestehende Strategie zu überarbeiten oder weiterzuentwickeln. Als auch, wenn ich höre oder erlebe, was hin und wieder die eine oder andere unter Strategie versteht.

Etwas holzschnittartig und leicht angeschärft (denn das hier soll anonymisiert sein, denn mir geht es nicht darum, ob und wie ich Arbeit von anderen kritisiere, sondern darum, einmal wieder darauf hinzuweisen, was Strategie wäre und was eher nicht), erlebe ich sehr oft, dass Leute etwas als "Strategie" bezeichnen oder als "strategisch", das eher einem bunten Strauß mehr oder weniger kreativer Ideen gepaart mit ein paar lehrbuchartigen Allgemeinplätzen entspricht.

Besonders absurd wird es, wenn - beispielsweise in einem Strategiepitch - jemand als quasi ersten Input zu einem strategischen Prozess ein Ergebnis vorstellt oder Maßnahmen oder Kreationen. (Und glaubt mal nicht, dass das so selten vorkommt.)

Auch, wenn dies ebenfalls selbst ein Allgemeinplatz ist: Strategie hat sehr viel mit Analyse und sehr wenig von vorgefertigten Positionen zu tun. It's strategy, stupid.

Rund um die Entwicklung von Kommunikation habe ich vor Jahren schon (und ja, das ist auch nur mitteloriginell, ich weiß, das postulieren manche und ja, alle, die mit Software zu tun haben, kennen das Modell zur Genüge, aber ihr glaubt nicht, wie oft es trotzdem immer noch und immer wieder Menschen überrascht und neu für sie ist, weil sie bisher überwiegend mit Kommunkatorinnen zu tun hatten, die nicht so arbeiten, darum verzeiht bitte, dass ich es noch mal vorzeige hier) das Modell des "agile development" übertragen, das in etwa so funktioniert:


Nun lässt sich Kommunikation auch anders entwickeln. Strategie aber nur sehr selten, das ist meine Erfahrung zumindest aus den letzten acht Jahren Strategieentwicklung für Social Media. Kommunikation und noch mehr Strategieentwicklung ist ein agiler iterativer Prozess, den ich als Berater, als Agentur steuere - aber nicht alleine gestalte.

Weshalb - auch wieder etwas holzschnittartig - strategische Empfehlungen auch nie ohne eine gemeinsame Arbeit mit der Kundin an einem konkreten Thema ausgesprochen werden können. Vielleicht ist das sogar der eigentliche Test, ob etwas strategisch ist oder nur taktisch oder gar komplette Scharlatanie: Ist es aus der Arbeit, aus dem Gespräch mit der Kundin entstanden? Oder nur aufgrund eigenen Nachdenkens? Kommt jemand "aus dem Off" mit einer Strategie? Oder leitet sie die Kundin durch einen Prozess, in dem diese zu einem guten Teil selbst entdeckt, was die Strategie sein mag, flankiert mit etwas "outside in", also mit der Erfahrung aus anderen Strategieprojekten?

Das irre ist: strategische Beratung ist von allen Beratungsjobs der mit dem meisten Kontakt zu Menschen. Nur wer Menschen mag und gerne direkt mit ihnen arbeitet, kann strategisch beraten. Autistinnen mit einem Faible für die Schriftform haben nicht mal die Chance, gute strategische Beraterinnen zu werden, denke ich. Strategie ist Erotik.

Aus der Kritik des Ist-Zustandes zu "strategischen Empfehlungen" zu kommen, ist nahezu nie möglich. Außer ich arbeite seit Jahren mit der Kundin und bin ohnehin in einem ständigen Arbeitsaustausch. Stattdessen führt nach meiner Erfahrung ein agiler Prozess sehr effizient (und damit auch zeiteffizient) zu guten und operationalisierbaren Strategien.

Was heißt das konkret, beispielsweise für eine Social-Media-Strategie?
  • Analyse und Briefing: Alles anlesen, was geht. Von der Kommunikationsstrategie über die Unternehmensstrategie (wo möglich), die Mediastrategie, die Zielgruppenanalyse bis zu den Erfahrungen und Ergebnissen der bisherigen Arbeit.
  • Workshop: Nicht nur einmal. Und teilweise in großer Besetzung, mit Teilnehmerinnen aus allen auch nur entfernt relevanten Bereichen, am besten zusammen mit denen, die das gesamte Thema irgendwann stoppen könnten. Ziele, die in solchen Runden entwickelt werden, sind aller Erfahrung nach robust genug, um die Basis einer Strategie zu werden. Und auch die Vision und die Haltung lassen sich aus den Workshops meistens gut extrahieren.
  • Gemeinsame Arbeit: Im Kämmerlein (jetzt erstmals!), mit Feedbackschleifen, mit Input von außen und von innen. Das ist anstrengend. Echt. Aber das lohnt sich.
So kommen wir in den allermeisten Fällen zu einer tragfähigen Strategie übrigens. Und das macht Spaß. Da kann ich jede verstehen, die das als Traumjob empfindet. 

12.1.13

Erläuterungen zu den Facebook-Reichweitenverlusten

Am Freitag habe ich auf der Seite von achtung!, wo ich ja den Bereich Digitale Kommunikations leite, einen Artikel veröffentlicht, der eine große Resonanz hatte - zu den Beobachtungen, die mein Team bei sehr vielen Facebook-Seiten gemacht hat, die wir für unsere Kundinnen führen oder zu denen wir über Partnerinnen Zugang haben, weil wir daran mitarbeiten.

Grob zusammengefasst ging es in diesem Artikel darum, dass seit dem 19. Dezember 2012 die so genannte "organische Reichweite" von Beiträgen der Facebook-Seiten sehr zurück gegangen ist, teilweise auch sehr massiv, teilweise auf nur noch 20% der Reichweite im Oktober und November (der Dezember fällt hier als Vergleich raus, dazu gleich). Unsere Erklärung dafür ist, dass wir annehmen, Facebook habe zu diesem Zeitpunkt endlich geschafft, die angekündigten Änderungen am Edgerank einzuführen. Explizit sind wir (also mein Team und ich) der Meinung, dass dies gut ist. Das sage ich auch mehrfach im Artikel.

Die Reaktionen waren gemischt. Von einer großen Zahl Community Manager, vor allem solcher mittelgroßer Seiten (mittelgroß nenne ich Seiten zwischen 100.000 und 1 Mio Fans), haben wir bestätigt bekommen, dass sie die gleichen Beobachtungen machen und es sich ähnlich erklären. Von einer Reihe von so genannten Facebook-Experten haben wir Gegenwind bekommen, exemplarisch sei der Blogpost von Johannes Lenz genannt, der einige von ihnen zitiert. Interessant ist dabei, dass - mit der Ausnahme Thomas Hutter, der unsere Beobachtungen und Erklärungsversuche auf allen Kanälen "Bockmist" nannte - selten und bei Johannes im Blog sogar gar nicht auf die Punkte eingegangen wurde, die uns dabei wichtig sind.

Die seien hier noch einmal etwas erläutert.

(1) Unsere Beobachtungen
Zuerst sind uns die Veränderungen an der Reichweite der einzelnen Posts bei den mittelgroßen Seiten aufgefallen, die wir betreuen. Dies sind Seiten zwischen 100.000 und 1 Mio Fans. Das Interessante ist, dass der Zusammenhang zuerst unseren Data Analysts auffiel, nicht den Kolleginnen im Community Management. Hier zahlte sich also aus, dass Community Management, Datenanalyse und Facebook Media bei uns so eng zusammen arbeiten.

Erst als wir hier bei diesen Seiten eine Spur hatten und wussten, wonach wir suchen müssen, konnten wir den gleichen Effekt auch bei den kleinen Facbeookseiten (also denen mit weniger als 100.000 Fans) nachweisen. Nach Rücksprache mit Data Analysts in UK und Frankreich, die unsere Beobachtungen bestätigten, haben wir nach Erklärungen gesucht.

Die zweite wichtige Beobachtung war, dass die Kommentare und das andere Engagement nicht zurück gingen. Das wird auch der Grund sein, denke ich, warum einige Experten so reflexhaft von Bockmist reden. Auch Johannes Lenz geht in seinem kritischen Blogpost gerade nicht auf unsere Beobachtungen ein - sondern behauptet, uns zu widersprechen, wenn er sagt:
Ich konnte bisher ein nennenswertes Abfallen von Engagement und Interaktion bei Facebook-Seiten nicht bemerken, sei es nun extern oder auch bei Kunden von AKOM360. (Johannes im AKOM360-Blog)
Nur: das sagen wir auch nicht. Im Gegenteil - das Phänomen ist ja gerade, dass nur die organische Reichweite zurück geht, nicht aber die Interaktion. Dass also die Interaktion im Grunde sogar extrem steigt, da ein höherer Prozentanteil derjenigen, die einen Post gesehen haben, mit ihm interagiert. Darum sagen wir auch, dass Facebook alles richtig macht in diesem Fall: es ist ihnen endlich gelungen, das konsequent umzusetzen, was sie schon lange versuchen und angekündigt haben.

Ich glaube denen, die kleine Seiten betreuen, sogar, dass sie keinen Rückgang der Reichweite bemerken. Wenn man nicht sehr genaue Datenanalyse macht und die Daten, die Facebook spitz liefert, auch selbst noch einmal speichert und auswertet, dürfte das oft kaum auffallen - und bei kleine Seiten lohnt sich eine wissenschaftliche Datenanalyse offenbar nicht immer (zumindest erleben wir, dass es viele noch nicht machen, obwohl sich das bald wird ändern müssen, wenn sie nicht vom Markt verschwinden wollen, aber das ist noch mal ein aderes Thema).

Beispielhaft sei hier eine Grafik aus einer Analyse einer deutschen mittelgroßen Seite gezeigt, ganz leicht anonymisiert und nicht bemaßt, bei Klick auf das Bild wird sie auch lesbar...

Entwicklung von organischer Reichweite, Kommentaren und Interaktion vom 8.10.12 bis zum 4.1.13

Was man gut erkennen kann, ist, dass die organische Reichweite der einzelnen Beiträge zunächst relativ stabil ist und die Interaktion an den Beiträgen nur geringe Auswirkung auf die organische Reichweite hat. Bei viraler Reichweite sieht es etwas anders aus, logisch, die ist hier nicht abgebildet, ebensowenig die bezahlte Reichweite. Ende November läuft die von Facebook ausgewiesene Reichweite dann aus dem Ruder - wir gehen hier, wie leider so oft, von fehlerhaften Zahlen von Facebook aus, das ist übrigens in der Vergangenheit meistens so gewesen, unmittelbar bevor eine größere (unsichtbare) Veränderung von Facebook produktiv gesetzt wurde.

Ab dem 19. Dezember sieht die Kurve der Reichweite anders aus als vorher. Sie variiert stärker und ist offenbar vor allem von einem Wert zusätzlich abhängig: von den Kommentaren. Mehr Kommentare führen zu mehr Reichweite führen zu mehr Likes etc. Wenn wir die Daten noch detaillierter auswerten, sehen wir dieses auch im Zeitverlauf.

(2) Unsere Interpretation
Dass diese Beobachtung sich in mehreren Ländern und für sehr viele Seiten so zeigen lässt, lässt für uns nur den Schluss zu, dass es eine Änderung bei Facebook gegeben hat. Anders ist es kaum zu erklären. Da die Situation jetzt sehr viel besser für die Menschen ist, die Facebook nutzen, und bei oberflächlicher Betrachtung sich gleichzeitig für die Seiten nicht viel zu ändern scheint, gehen wir davon aus, dass es genau so gewollt ist. Es passt auch zu den Ankündigungen rund um den Edgerank, die Facebook das gesamte Jahr 2012 immer wieder gemacht hat, die aber bis zum 19. Dezember keine konsistenten Änderungen nach sich zogen - vielleicht sind sich darum manche wie Thomas Hutter auch so sicher, dass es faktisch keine gibt. Ein Fehlschluss, wie die Analyse zeigt.

(3) Reichweite, ist die wirklich wichtig?
In den ersten Reaktionen auf unsere Entdeckung wurden wir von der einen oder anderen gefragt, warum uns Reichweite so wichtig sei - es sei für sie kein Wert, an dem sie gemessen werden. Das hat uns überrascht. Denn für Dialoge auf Augenhöhe, das alte Mantra der Social-Media-Gurus, ist Facebook ja eher nicht der Ort der ersten Wahl. Überhaupt ist Facebook für wenig substantielle Kommunikation der ideale Ort - aber hat eine potenziell große Reichweite im Massenmarkt. Zugespitzt würde ich so weit gehen zu sagen, dass Reichweite eigentlich der einzige valide Grund für die meisten Marken und Unternehmen ist, sich mit Facebook näher zu beschäftigen. Denn alles andere kann ich an anderen Orten besser.

(4) Und was ist mit diesem Nebensatz über Apps?
Es ist mein Fehler, dass ich von der eigentlichen Aussage in meinem Artikel - dass wertvoller, kommentierbarer und von den Menschen erwünschter Content wichtiger wird - ablenke mit dem Verweis auf den bevorstehenden Relaunch und meine Prognose, dass das neue Layout der Seiten sich wie in bisher jedem Relaunch an dem neuen Layout der Profile, das wir schon kennen und gesehen haben, orientieren wird. Und dass in dem die Apps und Co sehr viel unauffälliger platziert sein werden.

Dieses Thema spielt aber für die Aussage meines Artikels keine Rolle - weshalb ich auch tatsächlich nicht nachvollziehen kann, wie Johannes Lenz und AKOM360 sich in ihren Anmerkungen vor allem darauf stürzen. Schade, denn über die eigentlichen Aussagen würde ich gerne diskutieren - habe aber außer Hutters unbelegtem Anwurf, unsere Beobachtungen und Interpretationen seien Bockmist, bisher leider keine inhaltliche Kritik gesehen.

Dass Apps weniger wichtig werden, ist schon seit einem Dreivierteljahr etwas, das viele Agenturen beobachten und sehen - und ist auch logisch, denn Kosten und Ertrag stehen dabei meistens in einem nicht sehr günstigen Verhältnis, vor allem verglichen mit Content in Kombination mit Media.

(5) Ende des Kindergartencontents?
Ist das nicht eher Wunschdenken? Vielleicht teilweise. Aber wir beobachten in den letzten Wochen verstärkt, dass die Reichweite gerade bei Kindergartencontent und lustigen Bildern am stärksten zurück geht. Und dass im Gegenteil zu dem, was noch im November Hutter und der Chef von AKOM in ihrer Keynote auf der Konferenz von allfacebook postulierten, Posts mit Bildern sogar anfangen, von der Interaktion hinter vergleichbare Posts ohne Bilder zurückzufallen. Unsere ersten Erklärungsversuche hängen mit der zunehmenden mobilen Nutzung zusammen, aber das müssen wir weiter beobachten.

Seit dem 19. Dezember ist jedenfalls auffällig, dass Infocontent, der beispielsweise über Öffnungszeiten, konkrete Änderungen etc informiert, ungewöhnlich gute Reichweiten erzielt. Das freut uns, das können wir bisher nur beobachten und noch nicht abschließend erklären - aber das zeigt wiederum, dass es hier Änderungen gab, die für alle Seiten sinnvoll sind.

***

Ich danke jedenfalls meinem Team und den Kundinnen, mit denen wir gemeinsam diese Dinge entdeckt haben. Und ich bin froh, dass wir nun schon einige Zeit diesen neuen Weg gehen, die drei wichtigen Fachdisziplinen Community Management, Facebook Media und Data Analysis so eng zu verzahnen, dass wir relativ schnell mit einer sehr hohen Sicherheit solche Änderungen bei Facebook (und anderswo) erkennen können. Ihr seid die besten, ich bin stolz, dass wir zusammen arbeiten dürfen.

4.1.13

Willkommen 2013

Dass ich keine Prognosen für 2013 schreiben werde, habe ich ja letztes Jahr schon gesagt. Aber das heißt ja nicht, dass ein Jahresanfang nicht ein guter Zeitpunkt ist, um einmal darüber nachzudenken, was wir bedenken sollten, wenn wir über Kommunikation und Onlinedingens nachdenken.

Darum war "Lead Digital" so freundlich, schon vor Weihnachten einen kleinen Essay von mir zu den Megatrends und den Onlinetrends zu veröffentlichen, die zwar nicht speziell für 2013 gelten, aber eben aus meiner Sicht da sind und zu denen wir uns verhalten müssen.

Seitdem habe ich die fünf Onlinetrends noch um einen erweitert, den ich im Eifer des Endjahresdings damals, letztes Jahr, nicht mit aufgenommen hatte. Und habe die drei Megatrends und die sechs Onlinetrends in eine schnuckelige zweisprachige Präsentation eingebaut. Hier:



Kann ich auch mal was zu erzählen, gerne.

21.12.12

Mein Weihnachtsgeschenk für euch

Nachdem heute wie versprochen kein Ausblick auf 2013 von mir erschienen ist sondern was anderes drüben bei LEAD digital, trage ich noch den Teil nach, den ich aus dem Text wieder rausgekürzt hatte, weil er da irgendwie nicht reingehörte. Nämlich dies:

Immer wieder habe ich in den letzten Jahren recht unspezifisch vor den Scharlatanen der Social-Media-Beratungs-Branche gewarnt und dabei gehofft, dass klar ist, wer gut ist im Gegensatz dazu. Trotzdem werde ich immer wieder gefragt, wen ich denn empfehlen könne. Da zierte ich mich. Denn zum einen ist das unfair den guten Leuten gegenüber, die ich nicht kenne oder nicht erwähne – und zum anderen wird dadurch ja noch deutlicher, von wem ich eher nicht so viel halte. Und ich will – das stimmt tatsächlich – niemandem von letzteren schaden.

Teilweise bewundere ich sogar den einen oder die andere für das Geschick, aus den Ängsten potenzieller Kundinnen Kapital zu schlagen und sich selbst ins Gespräch zu bringen und zu vermarkten. Nicht so schön ist, wenn wir anderen dann hinter ihnen aufräumen müssen, aber das ist eine andere Geschichte.

Aber weil Weihnachten naht und alle milde gestimmt sind, will ich endlich ein paar alte und langjährige Weggefährten und eine solche Weggefährtin erwähnen, die ich mehr als nur schätze. Fachlich, menschlich und in manch anderer Weise. Ich erbitte die Verzeihung derer, die aus Versehen nicht genannt sind – und die Nachsicht derer, die bewusst nicht genannt sind.

Da ist zum einen die alte Hamburger Gang von 2004. +KP Frahm+Mark Pohlmann+Björn Ognibeni seien genannt. Wir waren der harte Kern einer Gruppe, die damals kommunikativ mit dem, was wir „Web 2.0“ nannten, arbeitete und es heute noch tut. Und ein paar Leute aus Berlin und München wie +Michael Domsalla+Klaus Eck, die Kaltmamsell oder +Sascha Lobo waren auch damals schon schlau und seriös beim Thema.

Dann war da 2006 unser legendärer Mörfelder Kreis, aus dem +Kai Hattendorf  und Markus Pfeiffer besonders zu nennen sind.

Und in der zweiten Generation haben ein paar von den guten Leuten Agenturen gegründet. +Christoph Bornschein+Tapio Liller+Christian Henne+Lars Brücher.






(Nein, ich weiß auch nicht, warum das bis auf die Kaltmamsell alles Männer sind.)

31.8.12

Bevor Facebook stirbt....

können wir ja doch noch ein bisschen was damit tun. Denn nicht erst die Diskussionen der letzten Wochen machen ja deutlich, dass der anfängliche euphorische Charme von Facebook langsam versiegt. Schon vor einem Jahr und einem Tag schrieb ich ja überaus weitsichtig, wie es kommen wird dermaleinst mit dem Tode Facebooks. Zwischendurch bauen wir noch ein paar Apps, ok?

Was mich an Facebook von Anfang an fasziniert hat, ist die Abbildung von Beziehungen. Vor allem die Cluster aus Gruppen von Menschen, die ich auf Facebook kenne - und die sich untereinander auf Facebook kennen. Neuestes Spielzeug für so etwas ist ganz aktuell Wolfram Alpha, eine Informationsmaschine, die Analyseergebnisse und Suchergebnisse bündelt und visuell aufbereitet und computerable macht. Die Bilder in diesem Post stammen von Wolfram Alpha - ich habe die Seite mit meinem Facebook-Account gefüttert:

die Cluster meiner Bekannten auf Facebook


Witzig, wie sehr sich Menschen, die ich kenne, einander zuordnen lassen. Der große Fleck da ist meine Frau beispielsweise, die anderen rechts davon sind Menschen aus meiner Familie. Ein Kirchencluster, recht unverbunden miteinander in rot, das politische passend in grün.

Und wie ich so bin zeigen dann ja auch tatsächlich die Menschen, die ich kenne. Beispielsweise, welchen Beziehungsstatus sie mir angeben (denn nur das kann Wolfram Alpha auswerten):

Beziehungsstatus meiner Bekannten

Oder auch, wie ich selbst Facebook nutze. Über welche externen Instrumente beispielsweise (oder auch Anwendungen, womit wir wieder bei den Apps wären, aber das ist - sicher nicht untypisch, aber dazu ein anderes Mal mehr - von der Menge her verschwindend gering) ich da was reinschreibe - und wann:

Tools, mit denen ich Facebook füttere

Scary? Ja. Aber eben der Preis für die tollen Möglichkeiten der Kommunikation, die mir so ein Netzwerk bietet.

Mehr noch als jede interne Statistik, die mir Facebook anbietet und die ich beruflich für Seiten, an denen ich beteiligt bin, nutze, helfen solche Visualisierungen und Statistiken, Facebook zu verstehen - und ebenso die Art, wie wir miteinander reden und schreiben. Wen wir kennen und wie das kommen mag. Wenn ich mir meine Statistiken ansehe, merke ich wieder: Ja, Facebook (und wie ich es nutze, was beileibe nicht extrem intensiv ist, denn mein Hauptinstrument ist und bleibt Twitter) bildet mein Leben in der Kohlenstoffwelt recht gut ab. So sind die Menschen, die ich dort kenne, auch. So bilden sie auch da Gruppen und Cluster, so ist der Rhythmus meines Tages.

Und das ist dann nicht mehr so scary. Sondern nur noch faszinierend.

22.5.12

Mein Klout-Score ist 356. Ich bin ein toller Hecht

Wer Klout & Co für ein sinnvolles Instrument dafür hält, Einfluss oder Reputation zu messen, verschickt auch Pressemitteilungen mit der Gießkanne. Und wer bei Einstellungen oder Vorstellungen nach dem Klout-Score fragt oder ihn gar ungefragt erwähnt, sollte sich was schämen.
(Sozusagen das tl;dr mal vorweg)

Im Prinzip sind Indizes eine super Sache. Sie vereinfachen das Leben, schaffen Übersichtlichkeit, lassen uns elegant Posterioritäten von Prioritäten unterscheiden. Das Problem entsteht immer dann, wenn aus der Vereinfachung ein Erklärungsmodell wird, das nur noch wenig mit der Realität zu tun hat.

Wenn dann (zunächst noch aus den USA, aber als Diskussionspunkt mehr und mehr auch in Europa) Meldungen durch die Fachmedien schwappen, dass Unternehmen bei der Einstellung ihrer Mitarbeiter auf deren Klout-Score achten, wenn Menschen mit hohem Klout-Score direkt in den Second-Level-Support umgeleitet werden, wenn die ersten Leute anfangen, ihre Onlineaktivitäten auf einen „guten“ Klout-Score auszurichten – wenn so etwas passiert, dann ist es Zeit, einmal die Relationen richtig zu stellen.

Klout misst Resonanz in der eigenen Echokammer und bildet ab, wie ich relativ zu meinen Kumpels online ankomme. Nicht einmal das stimmt, aber lassen wir es der Einfachheit halber einmal bei dieser holzschnittartigen Beschreibung. Und als Ersteindruck ist das auch nicht absurd. Seit 2006 habe ich selbst immer wieder an solchen Projekten mitgearbeitet – seien es Bloggerinnenlisten zusammen mit Technorati, sei es damals der „Tweetlevel“ gewesen, alles Versuche, einen chaotischen Resonanzraum von Kommunikation übersichtlicher zu machen. Auch Klout habe ich darum von Anfang an verfolgt und sehe durchaus den Sinn und das Bedürfnis. Selbst wenn ich heute weiß, dass es nicht funktioniert.

Mein bevorzugter Monitoringdienst für Social Media nutzt Klout, um aus den Treffern die voraussichtlich wichtigsten herauszufiltern. Das finde ich gut. Nur: Mehr als dieses kann Klout nicht. Klout und ein Klout-Score sagt nichts (und damit meine ich tatsächlich: nichts) darüber aus, ob jemand für das, was ich zu sagen habe, wichtig ist. Für die Marke, für das Unternehmen, für die Gruppe von Menschen. Dafür muss ich tiefer graben.

Klout & Co sind wie Massen-E-Mails: Sie scheinen zu funktionieren für die, die darauf ihr Geschäftsmodell aufbauen, dass sie es schaffen, gefälschte Viagra an 0,001‱ der Empfänger zu verkaufen. Aber im Grunde nerven sie nur und sind sinnbefreit und zeugen von einem erschreckenden Mangel sowohl an Intelligenz als auch Phantasie. Klout ist für manche moderne Fließband-Agentur das, was ots* damals für Andreas Dripke und sein Team war.

So wenig wie die Ausschüttungen der VG Wort über die Relevanz einer Journalistin für mein Thema aussagen, so wenig relevant ist Klout für die Frage, welche Onlinemultiplikatorinnen mir helfen, meine Ziel zu erreichen. Denn oft ist es diese eine nur Insiderinnen bekannte Person, die dazu noch alle ihre Daten vor Klout versteckt hat und gar nicht von Klout vermessen werden kann, die aber alle Großmultiplikatorinnen und Meinungsmacherinnen lesen und zitieren. Das finde ich aber nur heraus, wenn ich mich auskenne, wenn ich mich mit meinem Thema beschäftige. Klout ist die Ausrede der Ahnungslosen für ihre Faulheit.

Und wer berät oder Kommunikation macht, sollte gar keinen Klout-Score haben, jedenfalls bin ich immer sehr peinlich berührt, wenn ich eine entdecke, die über ihren redet oder ihren kennt. Denn unsere Aufgabe ist es, unsere Unternehmen und Marken nach vorne zu stellen – und nicht uns. Wenn dieses Thema überhaupt eines sein soll, dann wohl eher so: wer einen zu hohen Klout-Score hat, ist nicht geeignet für die Kommunikationsberufe. Weil sie sich kommuniziert. Und nicht die groß macht, um die es geht.

Update
* Ich lege Wert auf die Feststellung (und der Kommentar meines früheren Kollegen kp, mit dem ich auch befreundet bin, macht das noch mal deutlich), dass damit nicht gemeint ist, dass ots wie Viagra-Spam sei. Sondern dass ots als sozusagen industrieller Prozess bestimmte Geschäftsmodelle der Pressearbeit damals erst möglich machte - wie heute Klout & Co bestimmte Geschäftsmodelle der Social-Media-Arbeit. Sollte das missverständlich gewesen sein, tut mir das leid und ich gelobe Besserung. Ich liebe euch.

3.5.12

Social Media für evangelische Kirchen? Geht das?

Ja, das geht. Oder ginge zumindest.

Grob gesagt vor allem deshalb, weil der Glaube, der seine Form in der Kirche findet, reden will. Und, immer noch grob gesagt, weil ein weltzugewandter Protestantismus (also seine Volkskirchenvariante) überall Gesprächsangebote machen will, wird und muss, wo Menschen zusammen kommen.

 Etwas weniger grob, in etwas länger, habe ich mal meine Gedanken zu den Bausteinen und Beispielen, die ich mir für eine Social-Media-Strategie meiner Kirche und ihrer Schwesterkirchen in diesem Land vorstellen kann, aufgeschrieben und in die Diskussion gegeben.
 

26.4.12

5555 Hefte text intern. Mein Essay im Jubiläumsheft.

text intern war mein allererster Zugang zu dem, was man einmal "Fachjournalismus" nannte. Es lag schon in den 80ern bei uns zu Hause rum, weil mein Vater in einem Verlag Verantwortung trug. Damals war es noch in Schreibmaschinenoptik und kurzen Artikeln, viel Insiderwissen offenbar. Es stand auch Pate für ein Insider-Newsletter-Dings-Projekt, das ich Ende der 90er für kirchliche Führungskräfte zusammen mit dem Chef des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes, Arnd Brummer, entwickelte und testete.

Mindestens am Rande habe ich text intern immer verfolgt und wahrgenommen. Dass es schon sooo alt ist, hätte ich trotzdem nicht gedacht, bevor ich um ein Essay zu Social Media gebeten wurde. Auf Seite 28 ist es erschienen. Das gesamte Heft steht übrigens als pdf zum Download über die Startseite von text intern zur Verfügung.

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Was das Social Web verändert hat

Das, was einige von uns „Social Media“ nennen, ist total Retro. Da hatte der zwischenzeitliche Chefredakteur des Spiegels sogar Recht. Und damit sind wir dann auch beim Kern dessen, was sich verändert hat im Web durch dieses Social Media: gar nichts. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Zehn Jahre lang haben wir dieses „Mitmachweb“ der zweiten Generation jetzt etwa, das Wort „Web 2.0“ und gar das Wort „Social Media“ noch nicht ganz, aber vor gut zehn Jahren kamen die ersten modernen Blogs auf. Sozusagen aus der Konkursmasse dessen, was der eine oder die andere eine Blase nannte, die aus dem Internet kam, obwohl sie wohl eher etwas anderes war, aber das ist eine andere Geschichte.

Damals, als einige der ersten Generation der Start-Ups so spektakulär untergingen, als der große Kater 2000 oder 2001 oder so einsetzte, war ja nicht das Web zu Ende. Sondern wurden einige der Schaufenster eingeworfen. Und andere Ladenlokale wurden verlassen und ihre Ruinen gammelten vor sich hin. Aber das Web blieb. Und mit ihm seine Bewohner.

Viele von uns haben sich ein wenig zurück gezogen damals. Und sich auf das konzentriert, was sie auch vorher im Web gemacht hatten, bevor die Medien und die Unternehmen es als ihre Schaufenster entdeckten und falsch verstanden: Vernetzen, reden, austauschen, verlinken. Blogs eben. Und Retro deshalb, weil die allererste neue „Dings“, die Sir Berners-Lee in HTML schrieb, im Grunde ein Blog war: eine kommentierte Linkliste in umgekehrt chronologischer Reihenfolge.

Bis heute fällt es vielen, die damals nicht dabei waren (und dies soll nun nicht eine Opa-erzählt-vom-Krieg-Geschichte werden, aber das muss einmal kurz sein, um auszuholen), schwer zu verstehen, was damals passiert ist und was seitdem passiert. Dass für Menschen, die einen großen Teil ihrer sozialen Interaktion onlinebasiert durchführen, dieses Internet das ist, was Sascha Lobo kürzlich in seiner SpOn-Kolumne so treffend Heimat genannt hat. Nicht einfach nur ein Werkzeug, wie es vielen Medienschaffenden oder Kommunikatoren erscheint, sondern eine Art Lebensraum, ein unstofflicher Ort, den zu bewohnen sie sich entschieden haben und den sie schützen. Schwer zu verstehen – und damit sind wir in der Gegenwart – ist dabei für viele, dass es ein Heimatort ist, der nicht vom Leben in der Kohlenstoffwelt (so nennen „wir Onliner“ das, was ohne Internet stattfindet) geschieden sondern im Gegenteil eng mit ihm verwoben ist. Dass eben keine zwei Welten existieren, von denen die eine gar rechtsfrei wäre oder ganz anders.

Die Entwicklung des Internet und seiner Bewohner ist vor allem dadurch geprägt, dass sich eine leicht veränderte Kultur entwickelt hat. Nicht radikal anders, aber doch so sehr, dass sie für Menschen, die sich nicht die Mühe machen, sie mal anzusehen, unverständlich und teilweise gar bedrohlich bleibt. Weshalb es wohl auch Medienmachern und Kommunikatoren in Unternehmen so oft so unendlich schwer fällt, auf diese Kultur einzusteigen. Weshalb es kaum intelligente Antworten von Medien und Unternehmen auf diese Kultur gibt. Was aber wiederum nur die Medien und Unternehmen stört.

An zwei sehr aktuellen Beispielen lässt sich sehen, wo die Konfliktlinie verläuft – was sich so sehr verändert hat – und wo für die nächsten Jahren die großen Entwicklungen liegen:
(1) Jugendproteste und ACTA

Von „Erwachsenen“, die nicht intensiv in der Heimat Internet leben, weitgehend unbemerkt haben im Januar und Februar die Vorbereitungen für große, europaweite Proteste gegen das Abkommen „ACTA“ begonnen. Ohne ins Detail zu gehen (dazu gibt es im Internet sehr viel, Recherche lohnt), war die Sorge eine Zementierung und Kodifizierung eines Verwertungsrechts anstelle eines Schutzes von Urhebern. Medien und Unternehmen haben daraus gemacht, dass die jungen Protestler gegen das Urheberrecht und für eine Gratiskultur seien. Das erste Missverständnis.

Und sie haben die Mobilisierung nicht mitbekommen. Tausende Jugendliche wurden beispielsweise über YouTube mobilisiert. Von jungen Medienschaffenden, die auf YouTube Woche für Woche ein Millionenpublikum mit ihren Shows erreichen – und zu den Demos aufriefen. Viele Eltern hörten erstmals von dem Thema, als ihre Kinder sie Anfang Februar auf ACTA ansprachen.

(2) Privatsphäre und unsere Daten

Eine der größten Veränderungen, die das Social Web gebacht hat, ist eine neue Sensibilisierung breiter Schichten für ihre Daten und ihre Privatsphäre. Sehr zur Überraschung einiger älterer Multiplikatoren und Medienarbeiter allerdings anders als bisher. Persönliche Daten und die Privatsphäre sind durch Social Media zu einer von den Nutzern (und nicht mehr von Datenhändlern wie den Verlagen und Markenartiklern) nutzbaren Währung geworden. Wenn 80% der jungen Leute, wie eine Studie neulich herausfand, bewusst ihre Privatsphäreeinstellungen in Netzwerken wie Facebook vornimmt, dann ist das ein gutes Zeichen. Sie entscheiden selbst, was öffentlich und was privat ist. Auch wenn sie es oft anders entscheiden als die Generation davor. Privatsphäre und der Einsatz der Daten als Bezahlmittel – was sie immer schon waren – sind bewusster geworden. Und verändern sich, so wie sich Privatsphäre historisch immer geändert hat. Noch vor 300 Jahren war es normal, Sex in der Öffentlichkeit zu haben. Heute ist es normal, eine Onlinechronik öffentlich zu haben.

In dieser Umbruchzeit gibt es beides zugleich – und keines davon ist schlechter als das andere: die Idee, dass die Grundeinstellung „privat“ heißt und ich nur das, was öffentlich sein soll, laut sage. Und die Idee, dass die Grundeinstellung „öffentlich“ heißt und ich nur das, was bewusst privat sein soll, verberge.

21.3.12

Glück gehabt?

Wer immer bereits Social Media in sein Unternehmen eingeführt haben sollte, muss jetzt sehr genau gucken, ob das auch richtig so war. Den das Deutsche Institut für Normung, allseits bekannt für seine Industrie- und Dingsnormen wie DIN A4 oder DIN C6 oder so, hat eine Spezifikation vorgelegt, die sich jede dringend für 48,10 EUR kaufen sollte. Endlich wird darin festgelegt, wie Social Media bombensicher gelingt und optimal und bürokratinnensicher (und Bürokratinnen gibt es in jedem Unternehmen, das ich bisher kennen lernen durfte) eingeführt werden kann. Da heißt es unter anderem (und das zitiere ich zur Sicherheit wörtlich) -
In sieben Schritten ins Web 2.0
Die sieben Phasen der Web 2.0-Einführung beschreibt die DIN SPEC 91253 wie folgt:
1. Sensibilisierung
2. Analyse
3. Strategieentwicklung
4. Konzeption
5. Implementierung
6. Nutzung
7. Controlling
Damit ist nun alles klar für alle und für alle Zeit. Hoffentlich. Und Pech für alle, die es möglicherweise anders gemacht haben. Also vor allem die 66%, die noch keine durch DIN normierte oder spezifizierte Strategie haben. Oh-oh. Wenn das man keinen Ärger gibt. Fliegen sie jetzt aus den IHKn? Oder werden vom ULD abgemahnt?

2.3.12

Erste Gedanken zur Chronik für Marken auf Facebook

Da habe ich nun mal etwas abgewartet und mir erstmal die Seiten von Kundinnen und anderen mit der neuen Chronik angeguckt, bevor ich was dazu sage. Und auch nach ein paar Tagen intensivem Test bin ich bei einigen Dingen noch hin- und hergerissen. Darum nur erste kleine Gedanken:

(1) Facebook wird Brandbook?
Nein. Nicht wirklich. Zwar werden die Einträge der Nutzerinnen aus der Pinnwand raussortiert. Aber: in den meisten anderen Sprachmärkten ist es so, wie auch auf immer mehr deutschen Seiten, dass ohnehin die Beiträge der Besucherinnen erst nach einem Klick auf "alle Beiträge" sichtbar werden. Insofern werden die durch die Chronik faktisch sogar besser auffindbar.

(2) Apps sind am Ende?
Im Gegenteil. Auch wenn Facebook zunächst so klingt, als würde es das so sehen, werden drei (!) Apps pro Seite prominenter als bisher sein und durch ein großes Teaserbild auch attraktiver. Was allerdings nichts daran ändert, dass 90% der Interaktion im Newsstream der Nutzerinnen stattfinden. Also jetzt bereits.

(3) Stärkerer Fokus auf der Kontakten der Fans
Eine Verbesserung sowohl für die Marken als auch für die Privatpersonen ist aus meiner Sicht der starke Fokus auf "meine Freunde" auf Seiten von Marken, die ich aufrufe. Sofort und "überm Bruch", also vor dem Scrollen, sehe ich, wie viele meiner (!) Kontakte die Seite gut finden. Und ein (offenbar wechselnder) Beitrag eines Kontaktes wird mir angezeigt. So wird die mögliche soziale Relevanz der Seite auf einen Blick deutlich.

(4) Facebook wird mich zuspammen mit Werbung?
Noch wissen wir nicht, was die Reichweitensteigerung von 16% auf 75% meint. Denn wir können es noch nicht ausprobieren in Europa. Wenn wir Kommunikatorinnen damit aber unsere Nutzerinnen nerven, ent-folgen sie uns schneller, als wir gucken können. Die Echtzeitstatistiken, die Facebook uns versprochen hat, werden uns helfen, das schnell festzustellen. Im Idealfall werden wir als Seiten also besser und relevanter, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen.

Noch wissen wir über zu viel zu wenig. Vor allem zu wenig aus der Praxis. Aber es spricht alles dafür, dass die Chronik dann gut für beide Seiten sein wird, wenn wir Seitenbetreiberinnen es behutsam, mutig und sinnvoll zu nutzen verstehen, was Facebook uns hier an die Hand gibt. Die ersten Schritte, die mein Team und unsere Kundinnen gegangen sind, finde ich bisher eher ermutigend.