Denn es ist ja schon irgendwie ärgerlich, wenn der Pastor nicht nur den selbst für seine Verhältnisse (und hey, wir hatten wirklich nur sehr, sehr geringe Erwartungen, aus Gründen) langweiligst-denkbaren Ostergottesdienst abliefert, im Beipackzettel auffordert, das "Nizzänische Glaubensbekenntnis" zu beten, statt einer Predigt das mittelgut passende Buch, das er offenbar gerade ausgelesen hatte, paraphrasiert, eine Taufe im Stil eines "rapid baptism" runterreißt - und sich dann von der erwartbaren Kritik am Kirchenausgang dispensiert mit der Entschuldigung, er müsse eine Fähre erwischen, denn er habe sozusagen ab sofort Urlaub, er also sehr deutlich macht, wo seine Prioritäten so liegen in der Vorbereitung seiner beiden persönlichen Hauptereignisse des vergangenen Sonntags.
Und dann überzieht er auch noch eine gute Viertelstunde, so dass meine Großeltern warten mussten.
Und wie war euer Ostern so?
26.4.11
24.4.11
Wendepunkt
Der HERR ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.
Das Lamm ist im Ofen. Und Ostern war in meiner Kindheit immer das Fest, das am schönsten war. Familiengottesdienst im Gemeindesaal an langen Tischen mit gemeinsamem Frühstück, wir Kinder des Kinderchores immer dabei. Später, mit der eigenen Familie, dann gemeinsam mit Freunden und unseren Kindern in die Kirche und hinterher ausführlich frühstücken. Aber trotzdem ist mir schon sehr lange der Karfreitag wichtiger gewesen. Und schöner.
Theologisch ist es immer umstritten gewesen, welches dieser beiden "Feste" wichtiger sei. Für mich war es der Karfreitag, für andere Ostern. Mich hat nachhaltig beeindruckt und auch geprägt wahrscheinlich, wie die frommen Liberalen des 19. Jahrhundert (ja, das gab es, zumindest bei uns im Norden und ein bisschen in Baden und Württemberg) darauf bestanden, dass das Erlösungswerk unseres Herrn auch ohne Ostern komplett ist - gerade weil er bis in den Tod gegangen ist, damit wir leben können. Es war die Verteidigung gegen die Wissenschaftsjünger, damals, als man Wissenschaft noch ideologisch verstanden hat, wie es heute ja nur noch die Pseudowissenschaft tut, also gegen das Argument gerichtet, dass die Auferstehung nicht möglich sei.
Karfreitag ist meiner Überzeugung nach der eigentliche Wendepunkt im Leben. Und das eigentlich unerhörteste an meiner Religion. Denn dass der Heiland aufersteht, geboren wird, heilt und so weiter - das ist religiös sozusagen "normal". Dass er aber bewusst und dennoch klagend in den Tod geht, ist etwas besonderes. Alle Religionen kennen so etwas wie ein Opfer - aber dass sich Gott selbst opfert, und sei es in Menschengestalt, dass Gott das tiefste menschliche Leiden, das möglich ist - Folter, die zum Tode führt - kennt und erlebt hat, ist unglaublich und irrwitzig und unfassbar. Für mich tatsächlich viel unerhörter und unfassbarer als der Sieg von Ostern.
Oder, wie es im Lied von 1659 von Ernst Christoph Homburg heißt:
Und weil in diesen Gottesdienst mitten am Tag nur die Menschen kommen, denen diese Stunde etwas bedeutet und wichtig ist, herrscht eine besondere Stimmung und Andacht. Wer zur Sterbestunde in die Kirche kommt, weiß, was ihn oder sie erwartet. Gerade an Osterwochenenden wie diesem, mit 25° und strahlendem Himmel.
Die schönsten Gottesdienste zur Sterbestunde habe ich damals erlebt, als ich in der Kantorei Bramfeld war. Ein Jahr nur mit den Männerstimmen, das eine oder andere Jahr mit einer kompletten Passion von Heinrich Schütz, a capella selbstverständlich, so "inszeniert", dass die Sterbeszene der Passion genau um 15 Uhr endet, dann Stille herrschte, die Totenglocke klingt - und der Gottesdienst mit dem Schlusschoral schließt.
Aber auch ganz einfache Gemeindegottesdienste wie in diesem Jahr bei uns im Dorf. Wenn die überraschend große Gemeinde ohne Instrumente die alten Passionschoräle singt. Und wir schweigend den Wendepunkt des Lebens erleben.
Die Feiern des Lebens, die Ostern, auch Pfingsten, und - mit Abstrichen - sogar Weihnachten sind, bleiben mir wichtig. Die Tiefe des Erlösungswerkes meines Gottes und die Befreiung, die auch politische Ermächtigung, die sein Wirken auf der Erde und für die Menschen bedeutet, ist für mich nie tiefer zu spüren und zu erleben als zur Sterbestunde am Karfreitag.
Das Lamm ist im Ofen. Und Ostern war in meiner Kindheit immer das Fest, das am schönsten war. Familiengottesdienst im Gemeindesaal an langen Tischen mit gemeinsamem Frühstück, wir Kinder des Kinderchores immer dabei. Später, mit der eigenen Familie, dann gemeinsam mit Freunden und unseren Kindern in die Kirche und hinterher ausführlich frühstücken. Aber trotzdem ist mir schon sehr lange der Karfreitag wichtiger gewesen. Und schöner.
Theologisch ist es immer umstritten gewesen, welches dieser beiden "Feste" wichtiger sei. Für mich war es der Karfreitag, für andere Ostern. Mich hat nachhaltig beeindruckt und auch geprägt wahrscheinlich, wie die frommen Liberalen des 19. Jahrhundert (ja, das gab es, zumindest bei uns im Norden und ein bisschen in Baden und Württemberg) darauf bestanden, dass das Erlösungswerk unseres Herrn auch ohne Ostern komplett ist - gerade weil er bis in den Tod gegangen ist, damit wir leben können. Es war die Verteidigung gegen die Wissenschaftsjünger, damals, als man Wissenschaft noch ideologisch verstanden hat, wie es heute ja nur noch die Pseudowissenschaft tut, also gegen das Argument gerichtet, dass die Auferstehung nicht möglich sei.
Karfreitag ist meiner Überzeugung nach der eigentliche Wendepunkt im Leben. Und das eigentlich unerhörteste an meiner Religion. Denn dass der Heiland aufersteht, geboren wird, heilt und so weiter - das ist religiös sozusagen "normal". Dass er aber bewusst und dennoch klagend in den Tod geht, ist etwas besonderes. Alle Religionen kennen so etwas wie ein Opfer - aber dass sich Gott selbst opfert, und sei es in Menschengestalt, dass Gott das tiefste menschliche Leiden, das möglich ist - Folter, die zum Tode führt - kennt und erlebt hat, ist unglaublich und irrwitzig und unfassbar. Für mich tatsächlich viel unerhörter und unfassbarer als der Sieg von Ostern.
Oder, wie es im Lied von 1659 von Ernst Christoph Homburg heißt:
Nun, ich danke dir von Herzen,Der wunderbarste, tiefste, "religiöseste", ja auch schönste Gottesdienst des Jahres ist darum für mich seit Jahrzehnten schon der zur Sterbestunde Jesu. Mit dem Läuten der einen Glocke (Totenläuten) um 15 Uhr beginnt er, die Orgel schweigt zu diesem Zeitpunkt bereits. Der Gottesdienst ist geprägt von tiefer Stille. Im Zentrum steht das Evangelium. Und es endet mit den Worten, dass Jesus stirbt. Der Altar wird abgeräumt, ein Moment der Stille, Musik, die nur von den Stimmen der Menschen kommt, die im Gottesdienst sind.
Herr, für alle deine Not:
für die Wunden, für die Schmerzen,
für den herben, bittern Tod;
für dein Zittern, für dein Zagen,
für dein tausendfaches Plagen,
für dein Angst und tiefe Pein
will ich ewig dankbar sein.
(EG 86,8)
Und weil in diesen Gottesdienst mitten am Tag nur die Menschen kommen, denen diese Stunde etwas bedeutet und wichtig ist, herrscht eine besondere Stimmung und Andacht. Wer zur Sterbestunde in die Kirche kommt, weiß, was ihn oder sie erwartet. Gerade an Osterwochenenden wie diesem, mit 25° und strahlendem Himmel.
Die schönsten Gottesdienste zur Sterbestunde habe ich damals erlebt, als ich in der Kantorei Bramfeld war. Ein Jahr nur mit den Männerstimmen, das eine oder andere Jahr mit einer kompletten Passion von Heinrich Schütz, a capella selbstverständlich, so "inszeniert", dass die Sterbeszene der Passion genau um 15 Uhr endet, dann Stille herrschte, die Totenglocke klingt - und der Gottesdienst mit dem Schlusschoral schließt.
Aber auch ganz einfache Gemeindegottesdienste wie in diesem Jahr bei uns im Dorf. Wenn die überraschend große Gemeinde ohne Instrumente die alten Passionschoräle singt. Und wir schweigend den Wendepunkt des Lebens erleben.
Die Feiern des Lebens, die Ostern, auch Pfingsten, und - mit Abstrichen - sogar Weihnachten sind, bleiben mir wichtig. Die Tiefe des Erlösungswerkes meines Gottes und die Befreiung, die auch politische Ermächtigung, die sein Wirken auf der Erde und für die Menschen bedeutet, ist für mich nie tiefer zu spüren und zu erleben als zur Sterbestunde am Karfreitag.
19.4.11
Verachtung von politischem Streit ist reaktionär
Eine der (modernen damals) Errungenschaften Luthers war die (gedankliche und praktische) Trennung von Sünde und Sünder. Das war inspiriert von der Aufklärung, errungen auch in der derben und harten und polemischen Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam, die die großartigste theologische Schrift aller Zeiten hervorgebracht hat (De Servo Arbitrio), und zusammengefasst in jenem Satz, den er an Melanchthon schrieb, der es einfach nicht begreifen wollte: "pecca fortiter sed fortius crede". Oder, wie Karl Barth (wiewohl Calvinist) es genau 400 Jahre später witzigerweise so brillant formulierte (exakten Wortlaut muss ich nachgucken, sorry): "Die einzig mögliche Antwort auf Unzulänglichkeit allen menschlichen Wirkens ist, sich frisch an die Arbeit zu machen".
Daran musste ich denken, als ich bei Robert Basic las, den ich seit ewigen Zeiten, so von vor dem Krieg und so, sehr schätze:
Warum reaktionär? Reaktionär ist eine Position, die einen Zustand von früher wieder herstellen, also eine (geschichtliche, politische) Entwicklung wieder zurück drehen will. Die Verächtlichmachung von Streit und Diskussionen um den richtigen Weg, auch wenn sie hart und teilweise derbe daherkommt, führte dazu, wenn sie sich durchsetzte, dass die Entwicklung, dass sich Menschen in die Politik einmischen und über Petitionen, Bürgerinitiativen, Volksbegehren etc Einfluss zu nehmen suchen, zurück gedreht würde. Denn, davon bin ich überzeugt, nur durch die harte und unsachliche Auseinandersetzung werden sich mehrheitsfähige Positionen rausschälen (wobei man da sicher auch anderer Meinung sein kann, meine Erfahrung spricht nur dafür). Klassischerweise haben vor allem diejenigen ein Interesse daran, dass engagierte Menschen verächtlich gemacht werden, die alles genau so richtig finden, wie es ist. Es ist also eine explizit politische Aussage - nämlich eine mindestens konservative, oft auch reaktionäre.
Darum habe ich drüben bei Robert kommentiert, was ich hier in meinem Blog leicht abgewandelt noch einmal reinschreibe:
Ich bin, wie Robert, ein Freund des Hinlangens. Schade finde ich nur, wenn jemand im gleichen Atemzug behauptet, er fände dieses Hinlangen doof, in dem er massiv hinlangt. Genau das aber macht Robert in seinem Rant. Aber ok, das ist die Kunstfigur des Rants. Dass dafür in den ersten Kommentaren (später wurde es dann ja differenzierter) vor allem Applaus von Leuten kommt, die sich in der Opferrolle offenbar gefallen oder an anderen Stellen im Netz teilweise (jaja, nicht alle von denen) Leute mit einer Meinung als “Wutbürger” diffamieren oder gar fein rechtsaußen als “Gutmenschen” beschimpfen, macht mich nachdenklich.
Das Problem, das ich sehe, ich dies: Ohne apodiktische Äußerungen, die die Unterschiede überspitzen, können sich Positionen, die dann abgeschliffen irgendwann zur Wahl gestellt werden können, nicht rausbilden. Das war ja auch mal historisch die Funktion von “Flügeln” in Parteien beispielsweise: dass sich Positionen miteinander (auch hart) diskutierend auf ihre Tragfähigkeit abklopfen lassen. Ohne diese Art wäre die Reformation nicht passiert und wären die Grünen nicht da, wo sie heute sind (und ich bin überzeugt, dass die SPD heute nicht solche Probleme hätte, wenn sie dies nicht unter Schröder massiv verlernt hätte).
Politik muss niemandem Spaß machen. Was ich aber wirklich (und das meine ich so hart) bedenklich und gefährlich finde, ist, diejenigen, die stellvertretend, weil sie beispielsweise Spaß an dieser Form von Meinungsbildung haben (und nichts anderes sind diese von Robert und anderen so verachteten Diskussionen – ich bin noch nie aus einer Diskussion, in die ich mit einer massiven Meinung reingegangen bin, rausgekommen, ohne dass meine Meinung/Haltung sich nicht mindestens leicht geändert hätte), den Streit um den richtigen Weg in Sach- oder Grundsatzfragen führen, pauschal als Nervnasen zu beschimpfen.
Ich selbst bin politisch lange nicht so aktiv wie ich Lust hätte, weil meine Prioritäten (Familie, Job) zurzeit etwas anders liegen. Aber ich bin saufroh um die, die es mit mehr Zeit und Herzblut gerade tun, und verfolge die Themen, die mich bewegen.
Gut leben kann ich damit, dass Robert (und nicht nur er sicherlich) diese Leute und sicher auch mich für einen bekloppten Nerver hält. Nicht so gut leben kann ich damit, wenn er die Arbeit, die diese für diese Gesellschaft leisten, verächtlich macht.
(Und dass es immer und überall pathologische Fälle gibt, ist klar und ändert nichts an meiner Kritik. Nervnasen und Bekloppte allüberall, ja. Aber nicht so pauschal, doo)
Daran musste ich denken, als ich bei Robert Basic las, den ich seit ewigen Zeiten, so von vor dem Krieg und so, sehr schätze:
Man wird nicht mit einem Schreihals zu tun haben, man bekommt die ganze Horde ins Haus. Ich kann die Daniel Cohn-Bendits, Franz Josef Strausses und Joschka Fischers im Netz gar nicht mehr zählen. Als ob man in feindliche statt freundlich gesinnte Gefilde eintaucht, sobald man sich politisch im Netz umschaut und gar zu Wort meldet. Das ist keine Einladung zum Gespräch und Gedankenaustausch, sondern eine Schießbefehl-Party, was wir im Netz beobachten können. warum ich die digitalen Politik-Quatschköppe nicht magBesonders apart finde ich dabei den Namen der URL, also die Adresse, unter der Roberts Rant auffindbar ist: "politische Nervnasen". Ich denke: Damit schlägt er in die gleiche Kerbe, in die jene schlagen, die politisches Engagement verächtlich machen. Indem sie diffamierende Worte wie "Wutbürger" oder "Gutmenschen" erfinden. Robert ist kein Reaktionär, das weiß ich, dafür kenne ich ihn lange genug. Aber umso ärgerlicher finde ich, dass er sich eines Argumentationsmodells bedient, dass meiner Meinung nach faktisch reaktionär ist.
Warum reaktionär? Reaktionär ist eine Position, die einen Zustand von früher wieder herstellen, also eine (geschichtliche, politische) Entwicklung wieder zurück drehen will. Die Verächtlichmachung von Streit und Diskussionen um den richtigen Weg, auch wenn sie hart und teilweise derbe daherkommt, führte dazu, wenn sie sich durchsetzte, dass die Entwicklung, dass sich Menschen in die Politik einmischen und über Petitionen, Bürgerinitiativen, Volksbegehren etc Einfluss zu nehmen suchen, zurück gedreht würde. Denn, davon bin ich überzeugt, nur durch die harte und unsachliche Auseinandersetzung werden sich mehrheitsfähige Positionen rausschälen (wobei man da sicher auch anderer Meinung sein kann, meine Erfahrung spricht nur dafür). Klassischerweise haben vor allem diejenigen ein Interesse daran, dass engagierte Menschen verächtlich gemacht werden, die alles genau so richtig finden, wie es ist. Es ist also eine explizit politische Aussage - nämlich eine mindestens konservative, oft auch reaktionäre.
Darum habe ich drüben bei Robert kommentiert, was ich hier in meinem Blog leicht abgewandelt noch einmal reinschreibe:
Ich bin, wie Robert, ein Freund des Hinlangens. Schade finde ich nur, wenn jemand im gleichen Atemzug behauptet, er fände dieses Hinlangen doof, in dem er massiv hinlangt. Genau das aber macht Robert in seinem Rant. Aber ok, das ist die Kunstfigur des Rants. Dass dafür in den ersten Kommentaren (später wurde es dann ja differenzierter) vor allem Applaus von Leuten kommt, die sich in der Opferrolle offenbar gefallen oder an anderen Stellen im Netz teilweise (jaja, nicht alle von denen) Leute mit einer Meinung als “Wutbürger” diffamieren oder gar fein rechtsaußen als “Gutmenschen” beschimpfen, macht mich nachdenklich.
Das Problem, das ich sehe, ich dies: Ohne apodiktische Äußerungen, die die Unterschiede überspitzen, können sich Positionen, die dann abgeschliffen irgendwann zur Wahl gestellt werden können, nicht rausbilden. Das war ja auch mal historisch die Funktion von “Flügeln” in Parteien beispielsweise: dass sich Positionen miteinander (auch hart) diskutierend auf ihre Tragfähigkeit abklopfen lassen. Ohne diese Art wäre die Reformation nicht passiert und wären die Grünen nicht da, wo sie heute sind (und ich bin überzeugt, dass die SPD heute nicht solche Probleme hätte, wenn sie dies nicht unter Schröder massiv verlernt hätte).
Politik muss niemandem Spaß machen. Was ich aber wirklich (und das meine ich so hart) bedenklich und gefährlich finde, ist, diejenigen, die stellvertretend, weil sie beispielsweise Spaß an dieser Form von Meinungsbildung haben (und nichts anderes sind diese von Robert und anderen so verachteten Diskussionen – ich bin noch nie aus einer Diskussion, in die ich mit einer massiven Meinung reingegangen bin, rausgekommen, ohne dass meine Meinung/Haltung sich nicht mindestens leicht geändert hätte), den Streit um den richtigen Weg in Sach- oder Grundsatzfragen führen, pauschal als Nervnasen zu beschimpfen.
Ich selbst bin politisch lange nicht so aktiv wie ich Lust hätte, weil meine Prioritäten (Familie, Job) zurzeit etwas anders liegen. Aber ich bin saufroh um die, die es mit mehr Zeit und Herzblut gerade tun, und verfolge die Themen, die mich bewegen.
Gut leben kann ich damit, dass Robert (und nicht nur er sicherlich) diese Leute und sicher auch mich für einen bekloppten Nerver hält. Nicht so gut leben kann ich damit, wenn er die Arbeit, die diese für diese Gesellschaft leisten, verächtlich macht.
(Und dass es immer und überall pathologische Fälle gibt, ist klar und ändert nichts an meiner Kritik. Nervnasen und Bekloppte allüberall, ja. Aber nicht so pauschal, doo)
15.4.11
Die hinkende Trennung
Karfreitag. Tanzen. Jedes Jahr die selbe Diskussion. Und jedes Jahr der selbe bigotte Eifer der gleichen Leute, die zwar eigentlich nie Tanzen gehen, es aber genau einmal im Jahr machen wollen.
Witzigerweise war es ja ein Liberaler, Friedrich Naumann, der die so genannte "hinkende Trennung" von Kirche und Staat 1919 erdacht hat. Und damit sind die meisten gut gefahren. Denn das Schutzgebot für Feiertage - um mal das aktuelle Beispiel zu nehmen - hätte auch nur so gefasst werden können, wie es heute für alle religiösen Feiertage gilt, die keine gesetzlichen Feiertage sind: Dass die Ausübung der Religion ermöglicht werden muss. Aber ohne Arbeitsfreiheit für alle. Die Diskussion hatten wir ja neulich in den 90ern noch mal bei der Einführung der Pflegeversicherung. Auch damals war die Diskussion ähnlich bigott. Denn der durchaus ernst gemeinte Vorschlag, den Pfingstmontag statt des Novembermittwochs zu nehmen oder besser noch die beiden (religiös überflüssigen) Weihnachtsfeiertage, erntete nur Entsetzen.
Ich persönlich bin ja dafür, alle kirchlichen und religiösen Feiertage aus den gesetzlichen zu streichen. DANN bin ich auch bereit, über die Anwendung dieser religiösen Feiertage im Alltag zu streiten. Also beispielsweise darüber, ob am höchsten christlichen Feiertag - dem Karfreitag - Alltag sein soll.
Nicht bereit, auch nur drüber zu reden bin ich aber, solange die gleichen, die Karfreitag laute Musik hören und feiern wollen, aber die vier freien Tage im wunderbaren Frühling nutzen und wollen und mögen.
Ihr könnt nicht das eine ohne das andere haben: wenn ihr eure Vorteile aus der Tatsache ziehen wollt, dass unsere Religion mal die Kultur dieses Landes prägte und darum immer noch Feiertagsprivilegien hat, dann müsst ihr auch in Kauf nehmen, dass ein, zwei dieser Tage mit Regeln verbunden sind, die ihr doof findet.
Ich hindere euch schließlich nicht daran, sonntags zu Shoppen oder eure Wäsche aufzuhängen. Selbst wenn ich das doof finde und es mich stört.
Witzigerweise war es ja ein Liberaler, Friedrich Naumann, der die so genannte "hinkende Trennung" von Kirche und Staat 1919 erdacht hat. Und damit sind die meisten gut gefahren. Denn das Schutzgebot für Feiertage - um mal das aktuelle Beispiel zu nehmen - hätte auch nur so gefasst werden können, wie es heute für alle religiösen Feiertage gilt, die keine gesetzlichen Feiertage sind: Dass die Ausübung der Religion ermöglicht werden muss. Aber ohne Arbeitsfreiheit für alle. Die Diskussion hatten wir ja neulich in den 90ern noch mal bei der Einführung der Pflegeversicherung. Auch damals war die Diskussion ähnlich bigott. Denn der durchaus ernst gemeinte Vorschlag, den Pfingstmontag statt des Novembermittwochs zu nehmen oder besser noch die beiden (religiös überflüssigen) Weihnachtsfeiertage, erntete nur Entsetzen.
Ich persönlich bin ja dafür, alle kirchlichen und religiösen Feiertage aus den gesetzlichen zu streichen. DANN bin ich auch bereit, über die Anwendung dieser religiösen Feiertage im Alltag zu streiten. Also beispielsweise darüber, ob am höchsten christlichen Feiertag - dem Karfreitag - Alltag sein soll.
Nicht bereit, auch nur drüber zu reden bin ich aber, solange die gleichen, die Karfreitag laute Musik hören und feiern wollen, aber die vier freien Tage im wunderbaren Frühling nutzen und wollen und mögen.
Ihr könnt nicht das eine ohne das andere haben: wenn ihr eure Vorteile aus der Tatsache ziehen wollt, dass unsere Religion mal die Kultur dieses Landes prägte und darum immer noch Feiertagsprivilegien hat, dann müsst ihr auch in Kauf nehmen, dass ein, zwei dieser Tage mit Regeln verbunden sind, die ihr doof findet.
Ich hindere euch schließlich nicht daran, sonntags zu Shoppen oder eure Wäsche aufzuhängen. Selbst wenn ich das doof finde und es mich stört.
12.4.11
Unter Kerlen
Also war am letzten Wochenende so genannter Kerlekurs auf Vindhólar. Acht Jungs und Männer zwischen 13 und 63 unter sich, die meisten normalerweise sozusagen "Mitreiter" ihrer Frauen. Ich habe nun zum zweiten Mal so einen Männerreitkurs mitgemacht (und auch schon einige andere übrigens) - und war wieder begeistert. Was - muss man wohl zugeben - auch am Wetter lag, denn das erste Quasi-Sommer-Wochenende draußen und *schnüff* auf dem Rücken von Pferden zu verbringen, wäre auch ohne Bier, Grillen, Jägermeister und Lakritzschnaps selbstverständlich wundervoll gewesen...
Denn mal ganz ehrlich: So Männer unter sich, die gehen nicht nur ganz anders mit ihren Pferden um (wer von uns würde schon seinem Pony die Mähne flechten oder auch nur das letzte Staubkorn rausbürsten), die haben auch mehr Spaß dabei. Nehmen das alles nicht so bierernst (haha, toller Männerwitz, oder?). Können sich auch zum Affen machen (vor allem wenn die Mädels nicht dabei sind). Sind einfach gute Reiter (zumal auf unseren Jodhpurhosen ja am Rand auch "Topreiter" draufsteht).
Und wem das nicht genug ist: Neun Männer (inklusive dem gut aussehenden Trainer) ein ganzes Wochenende in diesen schicken engen Hosen zu sehen, sollte Anreiz genug sein. Kein Wunder, dass unsere Frauen und Mütter beim Grillen dabei sein wollten...
Fünf intensive Einheiten an einem Wochenende lassen auch die härtesten Kerle an einigen Stellen Muskeln spüren, an denen es sie überrascht hat. Vor allem die Longenstunde im Roundpen mit Turnen und Pippi Langstrumpf Spielen hat es mir angetan. Und dabei war es dann auch wirklich gut, dass wir unter uns waren.
Spätestens nächstes Jahr wieder, Fathi, ja?
(Klick auf die Bilder macht die jeweils groß übrigens)
Denn mal ganz ehrlich: So Männer unter sich, die gehen nicht nur ganz anders mit ihren Pferden um (wer von uns würde schon seinem Pony die Mähne flechten oder auch nur das letzte Staubkorn rausbürsten), die haben auch mehr Spaß dabei. Nehmen das alles nicht so bierernst (haha, toller Männerwitz, oder?). Können sich auch zum Affen machen (vor allem wenn die Mädels nicht dabei sind). Sind einfach gute Reiter (zumal auf unseren Jodhpurhosen ja am Rand auch "Topreiter" draufsteht).
Und wem das nicht genug ist: Neun Männer (inklusive dem gut aussehenden Trainer) ein ganzes Wochenende in diesen schicken engen Hosen zu sehen, sollte Anreiz genug sein. Kein Wunder, dass unsere Frauen und Mütter beim Grillen dabei sein wollten...
Fünf intensive Einheiten an einem Wochenende lassen auch die härtesten Kerle an einigen Stellen Muskeln spüren, an denen es sie überrascht hat. Vor allem die Longenstunde im Roundpen mit Turnen und Pippi Langstrumpf Spielen hat es mir angetan. Und dabei war es dann auch wirklich gut, dass wir unter uns waren.
Spätestens nächstes Jahr wieder, Fathi, ja?
(Klick auf die Bilder macht die jeweils groß übrigens)
4.4.11
Pferdeweide im Garten
Meine Süße hatte sich schön länger vorgenommen, mal mit ein paar Leute und ihren Isländern quer durch den Höltigbaum zu uns nach Hause zu reiten - denn von der Schranke über die Bahn nach Lübeck aus sind es ja nur noch ein paar Schritte.
Nun war es so weit. Und sieben schicke Isländer haben unseren Garten verwüstet. Und ich weiß nun, warum beim Polo immer so ein lustiges Dingens gemacht wird, um die Löcher im Rasen zu glätten. Muss ich wohl doch mal einen Vertikutierer ausleihen die nächste Woche. Aber immerhin haben wir jetzt genug Pferdeäppel für die Rosen...
Nun war es so weit. Und sieben schicke Isländer haben unseren Garten verwüstet. Und ich weiß nun, warum beim Polo immer so ein lustiges Dingens gemacht wird, um die Löcher im Rasen zu glätten. Muss ich wohl doch mal einen Vertikutierer ausleihen die nächste Woche. Aber immerhin haben wir jetzt genug Pferdeäppel für die Rosen...
2.4.11
Grüne Haltung - Grüne Volkspartei (beta)
Die GAL, der grüne Landesverband in Hamburg, hat einen Prozess der Aufarbeitung der großen Wahlniederlage im Februar gestartet. Meines Erachtens muss Teil dieses Prozesses auch sein, dass wir uns neu vergewissern, wer wir sind und was wir wollen. Klingt doof, aber alle Debatten und Diskussionen in der Partei seit dem Auszug aus der schwarz-grünen Koalition, der von einer kleinen Gruppe Funktionsträger zur Überraschung vieler anderer betrieben wurde, machen deutlich, dass sehr unklar geworden ist, wo Grüne in Hamburg stehen, was sie unter Politik verstehen, wie sie Politik machen wollen.
Einer der "Vorwürfe" an die Partei- und Fraktionsführung, den ich teile, ist, dass nicht mehr erkennbar ist, aus welcher Haltung heraus hier Politik gemacht wird. Das Wort von den "realpolitischen Exzessen" macht dann die Runde, ich greife es in meinem Entwurf für einen Debattenbeitrag auf, den ich hier poste.
Bei Slideshare habe ich ihn abgelegt, als pdf kann es aus meiner Dropbox runtergeladen werden, hier noch mal als reiner Text.
Mich würde sehr eure Meinung und Einschätzung zu dieser Positionsbestimmung interessieren, es ist bewusst die Version 0.9, also eine Beta-Version.
___
I. Volkspartei? Wieso Volkspartei?
Der Spruch von der “grünen Volkspartei” ist einerseits selbstverständlich irreführend. Zumal die Zeit der klassischen Volksparteien vorbei ist. Andererseits passt es, wenn Grüne ein Viertel der Stimmen bekommen können (und zumindest in Großstädten können sie das), tatsächlich von einer Volkspartei zu sprechen. Das ist auch deshalb wichtig, weil eine Volkspartei eine andere Aufgabe in der Gesellschaft hat als eine Klientel- oder Themenpartei. Eine Volkspartei führt stellvertretende Debatten, die mehr Menschen betreffen und angehen als ihre “angestammte Klientel”. Und eine Volkspartei steht für einen großen Teil ihrer Wählerinnen eher für ein Lebensgefühl und eine Haltung zu Politik und Gesellschaft als für konkrete, detailreich ausformulierte Programmatik.
Das ist vor allem für Grüne tatsächlich erst einmal ungewohnt. Für viele ist es sogar beängstigend, wie die GAL-internen Debatten und Kommentare rund um den taz-Artikel zum Thema Lebensgefühl zeigten.
Aber: Wenn Grüne auf Dauer und nicht nur durch eine zufällige Überspitzung des Zeitgeists über 20% der Wählerinnenstimmen erreichen (und auch wollen), werden wir uns genau darauf einlassen müssen. Über 20% der Wählenden können nicht einmal Grüne über ihre Programme erreichen. Das entscheidende Kriterium wird die glaubwürdig, weil erlebbar, eingelöste Haltung sein, die Grüne von anderen Parteien unterscheidet und von ihren Wählerinnen geteilt wird.
II. Volkspartei neuen Typs
Grüne werden wohl keine “klassische” Volkspartei werden, so wie auch SPD und CDU heute keine mehr sind. Wohl aber haben sie genau jetzt die Chance, einen neuen “Typ” Volkspartei zu entwickeln. Gemeinsam haben sie dann mit den “alten” Volksparteien, dass sie die Gesamtgesellschaft unter einem speziellen Blickwinkel betrachten und den Anspruch erheben, über Partikularinteressen hinaus also das Gesamte zu beachten.
Das unterscheidet sie leicht von ihrer historischen Rolle bisher und sehr von anderen Parteien wie der FDP oder der Linken. Diesen speziellen Blickwinkel gilt es nun zu justieren. Es wird vor allem die Haltung sein, die Grüne zu Politik und zur Gesellschaft einnehmen - und mit der sie Politik gestalten (werden) -, die den Blickwinkel der Neuen Volkspartei bestimmen wird.
Das, was insbesondere der GAL Hamburg bereits den Jahren des Regierungshandelns bis 2001 abhanden gekommen ist - und was die wesentliche Ursache der zwei darauf folgenden Wahlniederlagen war -, ist jedoch genau diese Haltung. Das unterscheidet die GAL auch von den erfolgreichen Landesverbänden der Grünen. Und es führte zu den realpolitischen Exzessen der letzten Regierungszeit gemeinsam mit der CDU.
III. Realpolitische Exzesse
Wenn man sich die realpolitischen Exzesse ansieht, die sich in jenem Mammutprogramm spiegeln, das im Regierungshandeln abgearbeitet werden sollte, dann kommen wir nicht umhin, sie recht eigentlich als Schwester im Geiste des alten Fundamentalismus zu begreifen, den die Grünen eigentlich hinter sich gelassen zu haben glaubten.
Ironischerweise hat - mindestens in Hamburg, aber als Gefahr auch in anderen Bundesländern - gerade der Sieg, mit dem die Realos die Flügelkämpfe beendet haben, zu einer radikalen Refundamentalisierung geführt, die in der Projekt- und Leuchtturmpolitik ihren Ausdruck fand. Die beiden großen politischen Niederlagen der Regierungszeit (Schulstrukturreform und Stadtbahn) sind diesem Fundamentalismus geschuldet, der zwar radikal realpolitisch und umsetzungsorientiert war, aber dabei in einen ähnlichen Beglückungs- und Besserwissermodus verfiel wie viele Ansätze der historischen Fundi-Ära der Grünen.
In Stil und Handwerk der Politik hat sich die GAL damit - auch das im Grunde fast ein historischer Treppenwitz - den alten Volksparteien SPD und CDU angenähert. Dadurch, dass sie aber zugleich die alten Verbündeten im Vorfeld der Politik verloren hat (Bürgerinitiativen, Kirchen, Umweltverbände beispielsweise), konnte - im Nachhinein betrachtet - dieser alte und traditionelle Politikansatz nur scheitern.
IV. Grüne Haltung: Politik nach menschlichem Maß
Um Anschluss an die gesellschaftliche Mitte zu finden, die von anderen Landesverbänden erfolgreich adressiert und mobilisiert werden konnte - und die sich ausweislich der DIW-Studie auf die Grünen zubewegt -, muss die politische Grundhaltung der GAL neu gefunden, formuliert und mit Leben gefüllt werden. Weit wichtiger als Projekte, Visionen oder die Organisationsform der Partei ist in der jetzigen Phase, eine Haltung zu finden, aus der sich Politik in Form, Handwerk, Stil und Inhalten begründen lässt. Diese Haltung bietet dann gesellschaftlichen Gruppen und Wählerinnen Anknüpfungspunkte, die jenen Grund liefern können, grün zu wählen, der vielen in der Wahl im Februar 2011 fehlte.
Die gemeinsame Klammer - und bei genauer Betrachtung sogar die Rückbesinnung auf die grünen Wurzeln - kann dabei die Haltung sein, Politik mit menschlichem Maß zu gestalten. Was zunächst abstrakt klingt, hat die Kraft, die zentralen Themen ebenso zu bündeln wie einen anderen Stil von Politik, der die Mitte der Gesellschaft in ihrer Sehnsucht nach Beteiligung und Demokratie abholt.
"Menschliches Maß" war die gemeinsame Wurzel aller grünen Gruppen, die nicht aus den K-Gruppen kamen. Und es war und ist die Klammer, die Grüne und Bündnis 90 gemeinsam hatten und haben. Die verlorenen Gruppen aus kirchlichen Umfeldern werden sich hier ebenso wiederfinden wie Umweltaktivistinnen, Inklusionsanhängerinnen oder netzpolitisch und bürgerrechtspolitisch Interessierte.
V. Ausrichtung an der Haltung
Aus dieser gemeinsamen, alten, neuen Haltung heraus lassen sich Politik, Personal und Stil entwickeln. An ihr lassen sich Projekte und Prozesse beurteilen und messen. Auf sie lassen wir Grüne uns festlegen und verpflichten.
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass grünes Regierungshandeln, beispielsweise auf kommunaler Ebene, das zu Wahlsiegen und nicht zu Niederlagen führt, diese Haltung glaubwürdig und überprüfbar hat. Dass Beteiligung und ein menschliches Maß in der Umsetzung wichtiger sind, als es Projekte und Leuchttürme je sein könnten. Dass Stil und Inklusion im politischen Prozess wichtiger für die Glaubwürdigkeit politischen Handelns sind als formale Erfolge der vorher versprochenen Programme.
Behutsamkeit, eine wichtige Form eines menschlichen Maßes in der Politik, ist ja nicht nur die wichtigste Leitlinie im Umfang mit der Welt, also unseres grünen Markenkerns, sondern auch die Form des menschlichen Maßes, in die Reformen und Veränderungen gegossen werden müssen, sollen sie gelingen.
VI. Das grüne Projekt kommt ans Ziel
Eine Politik nach menschlichem Maß als Haltung der Grünen wird uns vor realpolitischen Exzessen ebenso bewahren wie vor taktischen Spielereien oder dem Wahn der alten Volksparteien, man müsse seine Beglückungsprogramme nur besser kommunizieren. Denn genau dies ist gescheitert. Und nicht mehr angemessen.
Die Geschichte der Grünen findet ihr Ziel, das "System" von innen zu verändern durch einen neuen Stil und ein Sprachrohr für Bewegungen, in der Entwicklung der Neuen Volkspartei. Mit der Haltung, Politik nach menschlichem Maß zu gestalten, bringen Grüne die Mitte der Gesellschaft, die die alten Volksparteien und ihre Medien als "Wutbürger" diffamiert haben, zurück in die Gestaltung.
Einer der "Vorwürfe" an die Partei- und Fraktionsführung, den ich teile, ist, dass nicht mehr erkennbar ist, aus welcher Haltung heraus hier Politik gemacht wird. Das Wort von den "realpolitischen Exzessen" macht dann die Runde, ich greife es in meinem Entwurf für einen Debattenbeitrag auf, den ich hier poste.
Bei Slideshare habe ich ihn abgelegt, als pdf kann es aus meiner Dropbox runtergeladen werden, hier noch mal als reiner Text.
Mich würde sehr eure Meinung und Einschätzung zu dieser Positionsbestimmung interessieren, es ist bewusst die Version 0.9, also eine Beta-Version.
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I. Volkspartei? Wieso Volkspartei?
Der Spruch von der “grünen Volkspartei” ist einerseits selbstverständlich irreführend. Zumal die Zeit der klassischen Volksparteien vorbei ist. Andererseits passt es, wenn Grüne ein Viertel der Stimmen bekommen können (und zumindest in Großstädten können sie das), tatsächlich von einer Volkspartei zu sprechen. Das ist auch deshalb wichtig, weil eine Volkspartei eine andere Aufgabe in der Gesellschaft hat als eine Klientel- oder Themenpartei. Eine Volkspartei führt stellvertretende Debatten, die mehr Menschen betreffen und angehen als ihre “angestammte Klientel”. Und eine Volkspartei steht für einen großen Teil ihrer Wählerinnen eher für ein Lebensgefühl und eine Haltung zu Politik und Gesellschaft als für konkrete, detailreich ausformulierte Programmatik.
Das ist vor allem für Grüne tatsächlich erst einmal ungewohnt. Für viele ist es sogar beängstigend, wie die GAL-internen Debatten und Kommentare rund um den taz-Artikel zum Thema Lebensgefühl zeigten.
Aber: Wenn Grüne auf Dauer und nicht nur durch eine zufällige Überspitzung des Zeitgeists über 20% der Wählerinnenstimmen erreichen (und auch wollen), werden wir uns genau darauf einlassen müssen. Über 20% der Wählenden können nicht einmal Grüne über ihre Programme erreichen. Das entscheidende Kriterium wird die glaubwürdig, weil erlebbar, eingelöste Haltung sein, die Grüne von anderen Parteien unterscheidet und von ihren Wählerinnen geteilt wird.
II. Volkspartei neuen Typs
Grüne werden wohl keine “klassische” Volkspartei werden, so wie auch SPD und CDU heute keine mehr sind. Wohl aber haben sie genau jetzt die Chance, einen neuen “Typ” Volkspartei zu entwickeln. Gemeinsam haben sie dann mit den “alten” Volksparteien, dass sie die Gesamtgesellschaft unter einem speziellen Blickwinkel betrachten und den Anspruch erheben, über Partikularinteressen hinaus also das Gesamte zu beachten.
Das unterscheidet sie leicht von ihrer historischen Rolle bisher und sehr von anderen Parteien wie der FDP oder der Linken. Diesen speziellen Blickwinkel gilt es nun zu justieren. Es wird vor allem die Haltung sein, die Grüne zu Politik und zur Gesellschaft einnehmen - und mit der sie Politik gestalten (werden) -, die den Blickwinkel der Neuen Volkspartei bestimmen wird.
Das, was insbesondere der GAL Hamburg bereits den Jahren des Regierungshandelns bis 2001 abhanden gekommen ist - und was die wesentliche Ursache der zwei darauf folgenden Wahlniederlagen war -, ist jedoch genau diese Haltung. Das unterscheidet die GAL auch von den erfolgreichen Landesverbänden der Grünen. Und es führte zu den realpolitischen Exzessen der letzten Regierungszeit gemeinsam mit der CDU.
III. Realpolitische Exzesse
Wenn man sich die realpolitischen Exzesse ansieht, die sich in jenem Mammutprogramm spiegeln, das im Regierungshandeln abgearbeitet werden sollte, dann kommen wir nicht umhin, sie recht eigentlich als Schwester im Geiste des alten Fundamentalismus zu begreifen, den die Grünen eigentlich hinter sich gelassen zu haben glaubten.
Ironischerweise hat - mindestens in Hamburg, aber als Gefahr auch in anderen Bundesländern - gerade der Sieg, mit dem die Realos die Flügelkämpfe beendet haben, zu einer radikalen Refundamentalisierung geführt, die in der Projekt- und Leuchtturmpolitik ihren Ausdruck fand. Die beiden großen politischen Niederlagen der Regierungszeit (Schulstrukturreform und Stadtbahn) sind diesem Fundamentalismus geschuldet, der zwar radikal realpolitisch und umsetzungsorientiert war, aber dabei in einen ähnlichen Beglückungs- und Besserwissermodus verfiel wie viele Ansätze der historischen Fundi-Ära der Grünen.
In Stil und Handwerk der Politik hat sich die GAL damit - auch das im Grunde fast ein historischer Treppenwitz - den alten Volksparteien SPD und CDU angenähert. Dadurch, dass sie aber zugleich die alten Verbündeten im Vorfeld der Politik verloren hat (Bürgerinitiativen, Kirchen, Umweltverbände beispielsweise), konnte - im Nachhinein betrachtet - dieser alte und traditionelle Politikansatz nur scheitern.
IV. Grüne Haltung: Politik nach menschlichem Maß
Um Anschluss an die gesellschaftliche Mitte zu finden, die von anderen Landesverbänden erfolgreich adressiert und mobilisiert werden konnte - und die sich ausweislich der DIW-Studie auf die Grünen zubewegt -, muss die politische Grundhaltung der GAL neu gefunden, formuliert und mit Leben gefüllt werden. Weit wichtiger als Projekte, Visionen oder die Organisationsform der Partei ist in der jetzigen Phase, eine Haltung zu finden, aus der sich Politik in Form, Handwerk, Stil und Inhalten begründen lässt. Diese Haltung bietet dann gesellschaftlichen Gruppen und Wählerinnen Anknüpfungspunkte, die jenen Grund liefern können, grün zu wählen, der vielen in der Wahl im Februar 2011 fehlte.
Die gemeinsame Klammer - und bei genauer Betrachtung sogar die Rückbesinnung auf die grünen Wurzeln - kann dabei die Haltung sein, Politik mit menschlichem Maß zu gestalten. Was zunächst abstrakt klingt, hat die Kraft, die zentralen Themen ebenso zu bündeln wie einen anderen Stil von Politik, der die Mitte der Gesellschaft in ihrer Sehnsucht nach Beteiligung und Demokratie abholt.
"Menschliches Maß" war die gemeinsame Wurzel aller grünen Gruppen, die nicht aus den K-Gruppen kamen. Und es war und ist die Klammer, die Grüne und Bündnis 90 gemeinsam hatten und haben. Die verlorenen Gruppen aus kirchlichen Umfeldern werden sich hier ebenso wiederfinden wie Umweltaktivistinnen, Inklusionsanhängerinnen oder netzpolitisch und bürgerrechtspolitisch Interessierte.
V. Ausrichtung an der Haltung
Aus dieser gemeinsamen, alten, neuen Haltung heraus lassen sich Politik, Personal und Stil entwickeln. An ihr lassen sich Projekte und Prozesse beurteilen und messen. Auf sie lassen wir Grüne uns festlegen und verpflichten.
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass grünes Regierungshandeln, beispielsweise auf kommunaler Ebene, das zu Wahlsiegen und nicht zu Niederlagen führt, diese Haltung glaubwürdig und überprüfbar hat. Dass Beteiligung und ein menschliches Maß in der Umsetzung wichtiger sind, als es Projekte und Leuchttürme je sein könnten. Dass Stil und Inklusion im politischen Prozess wichtiger für die Glaubwürdigkeit politischen Handelns sind als formale Erfolge der vorher versprochenen Programme.
Behutsamkeit, eine wichtige Form eines menschlichen Maßes in der Politik, ist ja nicht nur die wichtigste Leitlinie im Umfang mit der Welt, also unseres grünen Markenkerns, sondern auch die Form des menschlichen Maßes, in die Reformen und Veränderungen gegossen werden müssen, sollen sie gelingen.
VI. Das grüne Projekt kommt ans Ziel
Eine Politik nach menschlichem Maß als Haltung der Grünen wird uns vor realpolitischen Exzessen ebenso bewahren wie vor taktischen Spielereien oder dem Wahn der alten Volksparteien, man müsse seine Beglückungsprogramme nur besser kommunizieren. Denn genau dies ist gescheitert. Und nicht mehr angemessen.
Die Geschichte der Grünen findet ihr Ziel, das "System" von innen zu verändern durch einen neuen Stil und ein Sprachrohr für Bewegungen, in der Entwicklung der Neuen Volkspartei. Mit der Haltung, Politik nach menschlichem Maß zu gestalten, bringen Grüne die Mitte der Gesellschaft, die die alten Volksparteien und ihre Medien als "Wutbürger" diffamiert haben, zurück in die Gestaltung.
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