21.10.21

Unsortierte Gedanken zum #Fackelgate

Cross Lighting 2005 

Ich mag keine Fackelzüge. Mochte ich noch nie. Auch nicht den zu Weihnachten aus den Rändern des dörflichen Stadtteils zur Kirche. Mich erinnert ein Fackelzug immer an die Prozession am Ende von Inquisitionsprozessen, mit den Fackeln wurde dann der Scheiterhaufen angesteckt. Oder das Holzkreuz, dann im Mittelalter des 19. und 20. Jahrhunderts. Oder die Bücherstapel. Welchen Sinn soll ein Fackelzug haben, an dessen Ende nicht etwas angezündet wird? 

Eine Fackel als Beleuchtung ist was anderes, aber da gehen wir ja nicht in Formation. Wenn unsere Freiwillige Feuerwehr mit Fackeln einen Laternenumzug sichert, gehen wir durcheinander (und die meisten haben gar keine Fackeln sondern beleuchtete Dings in der Hand).

Fackeln zusammen mit Uniformen sind für mich ein Zeichen von Bedrohung. Egal, ob es die Kutten von Mönchen sind, die Kaputzen des KKK, die Hemden der SA oder die Erste Geige der Feuerwehr. Fackeln erzeugen, gerade zusammen mit Uniform und Formation, eine besondere Stimmung. Das ist ja auch gewollt. Und es ist eine Stimmung, die ich grauenvoll finde – weil sie das Gegenteil der Selbstverantwortung und der Aufklärung ist.

Bei Fackelzügen, egal welchen, muss ich immer an ein grauenhaftes Erlebnis aus meiner Jugend denken. Über meine damalige Freundin (und vor allem ihre Familie) war ich in Berührung mit der Geistlichen Gemeindeerneuerung geraten, noch bevor Kopfermann die Kirche verließ. Ein Besuch des großen, hochemotionalen, mit Zungenreden und anderen Pfingstritualen gefeierten Gottesdienstes in der großen Hauptkirche in Hamburg, an dem rund 1.000 Menschen teilnahmen, war verstörend für mich. Er machte mir körperlich Angst – weil ich immer dachte, dass diesen Menschen nur jemand sagen müsste, die Fackeln zu nehmen und die Stadt niederzubrennen, und sie würden es tun. So aufgeheizt war die Stimmung. Und dabei war ich durchaus empfänglich für diese Form der Frömmigkeit und für Gemeinschaftsgefühle.

Bis heute sind es das Ekstatische, das Rauschhafte, das mit dem flackernden Licht in der Dunkelheit einhergeht, und das überaus starke Gemeinschaftsgefühl, das aus dem gemeinsamen Erleben und dem uniformen Auftreten entsteht, was ich nicht ertragen will. Beides ist das Gegenteil von Demokratie. Demokratie und ihr Zwilling Individualität sind nicht kompatibel mit rauschhaften, starken Gefühlen. Gemeinschaft war schon für den antidemokratischen, aggressiven Konservatismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts das Gegen- und Kampfwort, mit dem er sich gegen die Idee von Gesellschaft stellte.

Ich denke bei Fackelzügen in Uniform nicht als erstes an die Fackelzüge der Nationalsozialist*innen. Denn auch diese Fackelzüge stehen ja schon in einer unguten Tradition. Ich denke eher an die (deutsche) Mittelaltersehnsucht, denn was anderes als ein Rückgriff auf die Zeit vor der Moderne soll es sein, wenn die Funktion "Licht", die Fackeln mal hatten, ja überflüssig geworden ist?

***

Mich hat die beleidigende Aggressivität, mit der viele Menschen aus der digitalen Militär-Blase auf das Unwohlsein, auf die Gefühle, auf die Kritik reagiert haben, erst überrascht und dann sehr verstört. Tatsächlich verstört. Denn wie können sie Menschen vorschreiben wollen, was sie empfinden, wenn sie uniforme Fackelzüge sehen? Menschen, die andere Erfahrungen mit Fackelzügen haben, vorzuwerfen, sie seien krank ("falsch verdrahtet" etc), ist pervers, sorry. Und es erinnert mich an die beleidigende Aggressivität von Landwirt*innen, wenn sie von Politik und Gesellschaft kritisiert werden. Das ist erst einmal vielleicht ein schräger Gedanke, aber strukturell ist es die gleiche demokratieverachtende Reaktion.

Ich höre und lese viel über "Parlamentsarmee", über das Selbstverständnis, eine Funktion für die und in der Demokratie zu übernehmen. Und das finde ich gut. Ja, mir ist Militär fremd, ich lehne auch das eine oder andere daran ab, aber ich finde es super, dass der allergrößte Teil derer, die zum Militär in diesem Land gehören, sich genau so verstehen. Die Soldat*innen, die ich kenne, mit denen ich ehrenamtlich zusammen aktiv bin, die zur Familie gehören, sind alle so. Vieles ist mir fremd, aber ihnen ist auch vieles fremd, was ich mache, denke, will. Das macht nichts.

Nur wenn dieses Selbstverständnis tatsächlich zu Ende gedacht wird, dann heißt es auch, dass die Gesellschaft, das Parlament, auch beispielsweise über die Rituale des Militärs mitreden und ihnen Grenzen und Leitplanken geben muss. Denn es ist eben, anders als vor der zweiten Demokratie in diesem Land, kein "Staat im Staat". Und hier ist die Parallele zur Landwirtschaft: wo das Parlament als Repräsentanz der Gesellschaft Auftrag oder Finanzierung herstellt, da hat es auch "das Sagen". So wie Landwirt*innen nicht einen großen Teil ihres Einkommens durch die Gesellschaft bekommen können und gleichzeitig erwarten dürfen, dass die aber keine Leitplanken gibt oder Bedingungen stellt, so kann auch ein Militär sich nicht für eine Parlamentsarmee halten, aber erwarten, dass das Parlament keine Bedingungen und Leitplanken für ihr Agieren und ihre Rituale stellt.

Die Gesellschaft muss, im Gegenteil, darüber diskutieren, ob sie militärische Fackelzüge will. Sie muss darüber diskutieren, wie sie Unterstützung, Solidarität und Sanktionen mit und gegenüber dem Militär und mit und gegenüber den Opfern und Täter*innen von militärischer Praxis zeigt und umsetzt. Wer mit oder ohne Verweis auf Traditionen diese Diskussionen und ihre Ergebnisse und Entscheidungen verhindern will oder unangebracht findet, ist Feind*in der Demokratie.

Ich traue mir zu, zu lernen, die Angst und das Unwohlsein bei uniformen und uniformierten Fackelzügen zu überwinden. Wenn in meinem Parlament und in meiner Gesellschaft eine (ergebnis-) offene Diskussion stattgefunden hat, ob und wie "wir" das wollen. Wie so oft werde ich nicht die gleiche Position wie die Mehrheit haben. Aber ich darf und ich werde meine Position in diese Diskussion einbringen.