25.2.20

Die Mitte

Wenn die Mitte der Gesellschaft woanders ist,
als die Partei glaubt, die sich "die Mitte" nennt.
In Hamburg ist die CDU ja mit dem denkbar liberalsten Spitzenkandidaten angetreten, der auffindbar war. Und trotzdem hat sie ganz erheblich an die Grünen und recht stark an die SPD verloren. Quasi nichts mehr aber an die Faschisten. Das ist gerade angesichts des Kandidatenschaulaufens für die Parteivorsitz, das heute so richtig losging, einsichtsvoll.

Ja, Hamburg ist ein bisschen besonders, weil es eben auch "nur" eine Stadt ist. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Hamburg auch das erste Bundesland war, in dem Rechtsextreme 20% geholt haben - und dann sogar mit FDP und CDU zusammen regieren durften. Zugleich zeigt sich aber hier in einem echten Wahlergebnis, was sich in Umfragen und Trends auch in NRW oder Schleswig-Holstein zeigt: Das "Sortieren" am rechten Rand es politischen Spektrums ist fertig. Die AfD hat den autoritär-radikalen Teil der ehemaligen Wählerinnen der CDU (und auch der SPD übrigens) abgeholt, selbst eine weitere Radikalisierung ändert daran nichts, im Gegenteil.

Sicher war Hamburg auch deshalb eine besondere Situation, als zum ersten Mal der Verdacht, den die Mitte und das linke Spektrum hatte, nämlich, dass die CDU vielleicht nicht ganz fest und sicher als Schutz gegen die Faschisten stünde, als also dieser Verdacht sich bestätigt hat in Thüringen und durch die Werteunion.

In unserem Land ist die Erfahrung der meisten Menschen in der Politik, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Das Problem für Parteien ist dabei allerdings immer gewesen, rauszufinden, wo denn genau diese Mitte liege. Denn die ist ja nicht statisch oder dadurch "definiert", wo Parteien, die sich "die Mitte" nennen, behaupten, dass die Mitte sei.

Hamburg gibt nun einen ganz guten Hinweis darauf, dass die CDU – und hier vor allem der Teil in der CDU, der sich "konservativ" nennt (was noch mal ein ganz anderes Problem ist, aber dazu gleich) – offenbar nicht mehr wirklich die Mitte abbildet. Denn weiterhin werden Wahlen in der Mitte gewonnen. Dort, wo die Menschen, die wählen, die Mitte sehen. Also dort, wo die Wählerinnen hingewandert sind von der CDU.

Wenn man sich politische Überzeugungen und Programme anschaut, ist es ja gerade nicht so, dass die CDU, wie ihr rechter Flügel behauptet, nach links gerutscht sei - sondern dass SPD und CDU gemeinsam seit der Schöderregierung nach rechts gerutscht sind, während die Mitte der Gesellschaft sich in den letzten Jahren (offenbar unbemerkt von SPD und CDU) etwas nach links verschoben hat. Und so kommt es dann offenbar, dass sich Menschen, die sich als Mitte empfinden und Mitte sind, von der CDU zu den Grünen wenden.

Dass die CDU sich gleichzeitig eben nicht nach links sondern auch rechts entwickelt hat, sieht man meines Erachtens auch sehr gut daran, dass Menschen in der CDU sich konservativ nennen, die man früher als reaktionär bezeichnet hätte (die Gruppe um Dregger galt in der Kohl-Zeit nicht als konservativ sondern als reaktionär, auch innerhalb der Partei). Und die, die früher konservativ geheißen hätten, auf einmal innerhalb der Partei als liberal gelten.

Wenn also jetzt die reaktionären Kräfte gemeinsam mit libertären versuchen, die Partei weiter nach rechts zu verschieben – und die desaströse Kandidatur-Pressekonferenz von Merz heute spricht ja dafür, dass seine Leute das wollen –, dann bewegt sie sich immer weiter weg aus der Mitte. Die Mitte der Gesellschaft aber wird sich immer eine Partei suchen, die ihre Überzeugungen abbildet. Das hatte Schröder erkannt. Das hat Merkel umgesetzt. Das wird Baerbock zu nutzen wissen.

24.2.20

Warum es ein gutes Zeichen ist, dass die Prognose bei der AfD so daneben lag

Nun sind die Faschisten doch drin geblieben in Hamburg bei der Bürgerschaftswahl. Und das, obwohl beide 18-Uhr-Prognosen sich ziemlich sicher waren, dass Hamburg sie rausgewählt hat. Das ist doof, denn das Signal, dass der Spuk zu Ende gehen könnte, wäre schon schön gewesen. Aber es ist auch nicht dramatisch, denn sie haben verloren. Und über 70% der Hamburgerinnen haben Parteien gewählt, die stabil und ohne zu zucken gegen Faschisten stehen und standen.

Dennoch finde ich es bemerkenswert, wie stark die Prognose daneben lag – ganz anders als bei den anderen Parteien. Zur ersten Prognose waren sich die Forscherinnen recht sicher, dass es nicht reichen wird. Um zu verstehen, wieso das ein gutes Zeichen ist, genügt ein Blick auf das Instrument Prognose:

Die 18-Uhr-Prognosen entsteht ja aus so genannten Nachwahlbefragungen. Da werden also noch keine ersten Stimmzettel angeguckt – sondern es werden Wählerinnen in einigen Wahllokalen nach ihrer Wahl befragt, wen sie gewählt haben. Als ich noch in Hamburg wohnte, war das beispielsweise in einem Wahlbezirk in unserem Wahllokal am Stadtrand der Fall. Mit den Ergebnissen dieser Befragung schätzen die Forscherinnen dann das Ergebnis. Und diese Schätzung ist traditionell recht gut. Bei den letzten Wahlen (im Osten vor allem) auch bei den Faschisten.

Wer sich mit Befragungen beschäftigt, weiß, dass es Dinge gibt, die Menschen auch in einer relativ geschützten Umgebung nicht gerne zugeben. Es gibt dann immer welche, die auf so genanntes sozial erwünschtes Verhalten zurückgreifen. Sprich: einfach die Unwahrheit sagen. Die Wahl von Faschisten gehört zu den Dingen, die viele nicht zugeben mögen. Darum werden die Zahlen bei der Prognose eben nicht eins zu eins übernommen – sondern mit Erfahrungswerten modelliert.

Offenbar haben in Hamburg so wenige Leute zugegeben, die Faschisten gewählt zu haben, dass selbst die Korrektur noch nahelegte, dass sie unter 5% bleiben. Heißt also: anders als im Osten und anders als bei den letzten Wahlen in Hamburg haben sie sich deutlich mehr geschämt und wussten deutlich besser, wen und was sie da wählen.

Es waren also zu einem großen Teil eben keine Protestwählenden mehr, sondern echte Rechtsradikale, die wissen, dass rechtsradikal sein nicht als normal und akzeptabel gilt.

Ausgrenzung wirkt! 

Denn nicht zugeben zu mögen, dass ich Faschisten toll finde, ist der erste Schritt. Rechtsradikale Meinungen sind so lange kein "Problem", so lange sie nicht zur Wahl von Faschisten führen (also klar sind sie ein Problem, aber wir können mehr oder weniger damit leben, haben wir ja auch in den 80ern und 90ern, als diese Leute überwiegend nicht wählten oder eben eine der beiden großen Parteien, wofür ich immer dankbar war).

Offenbar ist in Hamburg gelungen, was die AfD ja auch am Abend in jedes Mikrofon klagte: sie auszugrenzen. Und während schon länger klar war, dass "mit Nazis reden" oder "die Sorgen Ernst nehmen" als Konzept gescheitert war, hat Hamburg gezeigt, dass Ausgrenzen funktioniert. Weniger als jemals seit ihrem Aufstieg wurden die Faschisten gewählt. Erstmal haben sie keinen Zuwachs erzielt sondern verloren. Und erstmals haben sich die Menschen geschämt, die sie gewählt haben. Sie sind wahrscheinlich unverbesserlich. Aber alle die, die dazu gehören wollen, denen wichtig ist, dass ihre Nachbarinnen und Familien sie für "noch ok" halten, die sich als Mitte der Gesellschaft erleben - alle diese wählten diesmal keine Faschisten (mehr). Und das ist ein wirklich, wirklich gutes Zeichen.

7.2.20

#unverzeihlich

Bei Angela Merkel sind es oft die kleinen, beiläufigen Dinge, die wirken. Das war bei ihrem vielleicht berühmtesten Nebensatz vom Wir und vom Schaffen so. Und das war so, als sie die eigentliche Dimension des Dammbruchs benannte, den CDU und FDP in Thüringen ausgelöst haben: dass es unverzeihlich ist.

Unverzeihlich. Das ist ein hartes Wort, das so gar nicht zu pragmatischer Politik zu passen scheint. Unverzeihlich heißt, dass selbst dann, wenn jemand um Entschuldigung bittet und einräumt, dass es ein Fehler gewesen sei – dass selbst dann keine Vergebung erfolgen kann. Weil es nicht verziehen werden darf. Weil es unverzeihlich ist.

Was Merkel hier macht, ist größer noch als die schnellen, klaren und unmissverständlichen Worte von Söder und Ziemiak unmittelbar nach der Tat. Worte, für die ich dankbar war und die mir großen Respekt eingeflößt haben. Und zu deren Klarheit sich bis heute beispielsweise Lindner nicht durchringen konnte. Merkel geht einen Schritt weiter. Und das wird kein Zufall sein.

Machen wir es konkret am Beispiel eines Regierungsmitglieds, das viele (auch viele nicht-konservative) Menschen in meinem beruflichen und privaten Umfeld gut finden: Dorothee Bär, mit der ihr euch so gerne fotografiert und die ihr ob ihrer Digital- und Social-Media-Kompetenz bewundert. Sie gratulierte (spontan) freudig zum Dammbruch. Legte auf Nachfrage (nicht mehr so spontan) explizit nach. Löschte das später. Und nannte es einen Fehler. Fehler passieren. Meine Leute wissen, dass ich ihnen bei Fehlern nicht den Kopf abreiße, wenn sie aktiv mit ihren Fehlern umgehen. Es ist gut, um Entschuldigung zu bitten.

Es gibt aber Fehler, die sind unverzeihlich. Und Angela Merkel hat meines Erachtens Recht, wenn sie  den Dammbruch so qualifiziert. Denn es ist unverzeihlich, dieses nicht sofort zu sehen. Es ist eben nicht nur unüberlegt – sondern niemand, die einen funktionierenden Kompass hat, die einen antifaschistischen Autopilot hat, würde selbst unter Fieber oder Drogen feiern, wenn sich jemand von Nazis in ein Amt wählen lässt. Das kann nur passieren, wenn es keine innere Brandmauer gegen Faschisten gibt. Oder wenn jemand Faschisten nicht für Faschisten hält (wie die Funktionärinnen meines Berufsverbandes, die nicht verstehen wollten, wieso ich die Einladung eines Faschisten als Festredner nicht so super finde).

Unverzeihlich heißt, dass einer Bitte um Entschuldigung nicht entsprochen wird. Punkt. Oder, wie es in einem meiner Lieblingsfilme heißt: Im Urlaub kauft man Lederjacken zu weit überhöhten Preisen. Aber man verliebt sich nicht in faschistische Diktatoren.