29.4.14

Instagram ist das neue Leitmedium

Jede Generation hat ihr bestimmendes Medium, heute ihr bestimmendes Social Network. Wir haben als Kinder und junge Jugendliche noch Festnetznummern ausgetauscht.

Manchmal sind die Übergänge zwischen den Generationen dabei fließend. Manchmal radikal. Und machmal echt überraschend. Ohne dass ich Privatempirie überbewerten will, finde ich sehr interessant zu beobachten, wie sehr das Medienverhalten zwischen meinen beiden Großen und meinen beiden Kleinen abweicht. Irgendwo zwischen jetzt 16-Jährigen und 12-Jährigen hat sich etwas verändert.

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Instagram-Logo schwarz-weiß
Instagram-Logo
Damals, als Facebook Instagram kaufte, habe ich in meinen Vorträgen sofort gesagt, dass es ein Schnäppchen gewesen sei. Heute wissen wir, dass es tatsächlich so war und die eine Milliarde eher günstig war für das, was das Unternehmen Facebook davon hat. Denn sie haben auf das richtige Netzwerk gewettet.

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Die Handball-D- und C-Jugend des Walddörfer SV war, wie jedes Jahr, über Ostern beim Holstebro Cup. Mehrere hundert Kinder und junge Jugendliche, Jungs und Mädchen, zwischen knapp 12 und gut 14. Aus vielen verschiedenen Ländern von Norwegen bis Frankreich, überall, wo Handball gespielt wird und von wo aus die Mitte Dänemarks gerade noch so erreichbar ist.

Wenn sie sich kennen lernten und unterhielten - Tertius' Mannschaft hatte das Glück, dass ihr einer Torwart dänisch spricht, so dass sie zu all den tollen Mädchenmannschaften aus Dänemark Kontakt aufnehmen konnten - war die Frage nicht mehr die nach der Mobilnummer (wg. WhatsApp) oder dem Facebook-Account. Sondern danach, wie die jeweils andere auf Instagram heiße. Die meisten Kinder kamen mit mehr als doppelt so vielen Followern nach Hause.

Für die Kinder bei uns, für die 12- und 13-jähringen Jungs im Speckgürtel von Hamburg, ist Instagram das Leitmedium geworden.

Das hat mich überrascht, zumindest in der Radikalität. Darum habe ich in den letzten beiden Wochen rumgefragt bei anderen Familien mit jungen Jugendlichen. Und überall das gleiche Bild: Rund die Hälfte der Kinder in den Klassen ist auf Instagram - und für die, die dabei sind, ist es der wichtigste Kanal für das geworden, was ich gerne "affirmative Kommunikation" nenne. Also für Selbstdarstellung und Bestätigung und zwischenmenschliche Kommunikation. War Facebook für meine heute 16- und 18-jährigen Jungs damals die Möglichkeit, gefahrlos mit Mädchen ins Gespräch zu kommen, ist dies heute über Instagram der Fall.

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Die Kinder und Jugendlichen, die ich auf Instagram kenne (über meine Kinder, die Kinder von Freundinnen und über mein Hobby, das auch viele Jugendliche haben, das Reiten und die Islandpferde), wissen alle, dass Instagram zu Facebook gehört. Aber es hat für sie keine Bedeutung. Keine tiefere.

Ich habe einen Heidenrespekt vor Facebook (der Firma), dass sie dieses Potenzial damals bereits erkannten. Und dass sie es schaffen, die nächste Generation über ein anderes Netzwerk an sich zu binden. Der Versuch, WhatsApp zu kaufen, gehört ja auch da mit hinein, auch wenn das etwas verzweifelter ist und nicht halb so hellsichtig. Aber wenn es klappen sollte, dass sie diese Plattform auch kaufen (das steht ja nun noch nicht wirklich fest), haben sie die Kinder und Jugendlichen in ihr Ökosystem hineingeführt.

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Dass Instagram das Leitmedium der jungen Jugendlichen und der Kinder wird, finde ich gut. Vor allem deshalb vielleicht, weil ich es selbst so mag. Aber auch, weil Instagram zwei Eigenschaften hat, die ich für junge Menschen gut und wichtig finde:

Zum einen ist es ein durchweg positives Netzwerk. Sowohl die Bestätigung über ein Herzchen als auch die Art der Kommentare zeigen, dass es vor allem um Zustimmung und Freundlichkeit geht. Menschen zeigen sich - und andere sagen, dass sie sie hübsch finden. Es wird auch hier Mobbing geben wie überall, wo Kinder zusammen kommen. Aber die Grundkonstruktion ist so, dass jeder Mensch hübsch sein kann. Und sei es durch die Retrofilter.

Zum anderen ist es wirklich und tatsächlich international. Weil Sprache keine tragende Rolle spielt, ist eine Verständigung über Sprachgrenzen hinweg einfach und möglich. Und dass die Kinder schon mit 11 Jahren automatisch englisch schreiben, wenn sie Bilder posten, spiegelt genau diese Erfahrung wider - dass sie eben nicht auf ihre Umgebung und ihre Sprache beschränkt sind bei denen, mit denen sie dort zusammen kommen. Stichworte in verschiedenen Sprachen - bei uns in Norddeutschland oft auch in skandinavischen Sprachen - und für verschiedene Signaturen helfen, sich zu sortieren und zu finden. Vielleicht ist es ein bisschen übertrieben und zu optimistisch, aber vielleicht entsteht hier unter Kindern und jungen Jugendlichen auch wirklich der Kern einer europäischen Öffentlichkeit.

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Dass Instagram Facebook als Leitmedium ablöst, halte ich für eine gute Entwicklung. Rein subjektiv, weil ich Facebook nie wirklich mochte. Und darüber hinaus, weil Instagram das beste, was Twitter geschaffen hat, so nutzt, dass Menschen Lust haben, dabei zu sein: die asynchrone und asymmetrische Kommunikation, das Prinzip des Folgens, das auch einseitig sein kann und darf. Das nicht Beziehung oder gar Freundschaft vorgaukelt, wo nur Interesse an den Lebensäußerungen der anderen da ist.

Instagram hat seine größte Zeit noch vor sich, wenn unsere Kinder damit größer werden. Wenn sie lernen, sich auszudrücken, wenn sie ihre eigenen Codes entwickeln. Und das Leben wird bunter und schöner sein, wenn sie es mit Bildern versehen. Darüber freue ich mich in meinem Leben. Und darauf freue ich mich für meine Kinder.

9.4.14

Richtiges Leben

These für hier-stehe ich.de
Eines der Dauerthemen, mit denen ich in meinem Leben und meiner (sozialen) Umgebung konfrontiert bin, ist die Frage nach dem "richtigen Leben". Sei es durch die Sorge, das richtige Leben zu verpassen, sei es durch die Frage, was denn Qualitätszeit sei. In der politischen und kirchlichen Arbeit kommen dann noch die Fragen von Gemeinschaft und von Verbindlichkeit als weitere Dimensionen hinzu.

Seit langer Zeit schon spreche ich darum ganz konsequent und auch in beiläufigen Zusammenhängen von der Kohlenstoffwelt (oder von kohlenstofflichen Begegnungen), wenn ich vom dem rede, was mein Umfeld das "richtige Leben" nennt. Ich mache das so wie mit inklusiver Sprache - ich thematisiere es nicht, ich tue es einfach.

Interessanterweise führt das immer wieder zu guten Gesprächen und zu Nachdenklichkeit. Der große Vorteil des Sprechens von der Kohlenstoffwelt ist ja, dass dieses Wort auch für diejenigen unmittelbar verständlich ist, die an sich sehr weit weg sind von meiner Art zu leben und zu arbeiten.

So oder so geht es um Menschen. Ich bin davon überzeugt: Technologie ist nur dann relevant, wenn sie entweder Dinge in der Kohlenstoffwelt einfacher macht. Oder wenn sie mich mit anderen Menschen verbindet. Und genau das - und zwar witzigerweise beides zugleich - macht mein digitaler Lebensraum.

Das Projekt der Evangelischen Akademie im Rheinland Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Identitätssuche im digitalen Zeitalter finde ich spannend. Und es fordert mich heraus. Teil des Projektes ist, als Vorbereitung auf eine Tagung in der Akademie Thesen zusammenzutragen. Thesen von Menschen über Identität in dieser Welt. Und das Team bringt die dann auf Plakate und ins Blog.

Die ersten Einsendungen, die ich online sah, waren mir viel zu pessimistisch. Von der Hoffnung geprägt, dass etwas nicht verloren gehen möge durch die Digitalisierung. Das ist eine Haltung, die mir fremd ist und auch nicht meiner Erfahrung entspricht. Ich wollte etwas zur Heimat Internet schreiben. Weil mir das wichtig ist. Und dann wurde es etwas zum Thema Beziehungen. Über richtiges Leben. Und über die doppelte Bedeutung des Wortes "Netz", die mir immer wichtiger wird.

Ich bin ja eigentlich ein Distanzmensch und introvertiert. Aber je älter ich werde, desto wichtiger werden mir Menschen. Und ihr Netzwerk, das mich trägt und auffängt. Und für einen Distanzmenschen ist eine digital vermittelte Nähe wunderbar. Darum bin ich so dankbar dafür. Und gibt es mir Sicherheit und Heimat.

Richtiges Leben ist, wo Menschen sind. 
Ihr Netz gibt mir Sicherheit und fängt mich auf. 
Ob digital oder in CO2.