23.3.05

Nazis sind mehr als Holocaust

Obwohl es bedrückend ist, bin ich froh, wenn ich Texte lese, wie jenen von Martin Hufner in seiner Kritischen Masse. Vor allem, weil er auf einen so wichtigen Eintrag hinweist:

Jenes bittere Stück von Hella Streicher über dumme Reflexe von jungen oder naiven Bloggern. Für mich war immer unverständlich, wie es zu Reaktionen kommen kann nach dem Motto geh mich wech mit die Scheiß, is lange her. Martin formuliert im Anschluss an Hella aber genau den Punkt - besser als ich es vermocht hätte:
Denn wenn man Nazizeit und Holocaust gleichsetzt, die Singularität des Holocaust rückwärts gerechnet also als Singularität des anderen nimmt, dann verstellt man den Blick auf die aktuelle Situation. (Martin Hufner)

Nur vom Holocaust aus ist aber ja schon die Nazizeit nicht verständlich. Kleine Blicke auf einzelne Berufsgruppen an den Übergängen der Epochen zeigen das deutlich. Ich selbst habe mich mit Pastoren und mit Architekten beschäftigt und war damals sehr überrascht über die Kontinuitäten und den ungebrochenen Optimismus samt naiver Willfährigkeit bei fast allen Angehörigen beider Berufe. Die Nazizeit war eben auch - und das machte sie für so viele so unglaublich atttraktiv - ein sehr, sehr großer Modernisierungsschub: Die lateinischen Buchstaben wurden eingeführt, modenste Architektur geplant und gebaut und vieles mehr (um mal nicht das ewige Beispiel von den Autobahnen zu bemühen). Eine Modernisierung, die allein eine Diktatur in dieser Geschwindigkeit hinbekommen konnte.
Auch das lohnt sich zu erinnern, wenn so albern von Rucks und schnellen Reformen gefaselt wird.

Der Holocaust war singulär. Das Nazitum war es eben gerade nicht. Das zu vermitteln ist der Generation meiner Eltern (68er) offenbar in der Breite nicht gelungen. Dabei geht es nicht einmal in erste Linie um Schuld (Schuld ist ohnehin eine beknackte Kategorie). Sondern viel eher darum, was Gedankenlosigkeit und Egoismus austragen: Ich habe doch nichts zu verbergen, ist so ein Satz. Es muss ein Ruck durchs Land gehen, ein anderer. Leichtfertige Appelle an den Untertanengeist, der nicht zwangsläufig in den Holocaust führt - der aber die Spur legt für das Faszinosum des Faschismus.
Erinnert sich noch jemand daran, dass Jenninger gehen musste, als er im Grunde genau auf dieses hinwies? Als er sich gegen jenes Rückwärtsrechnen der Singularität wandte? Als er - schon damals fand ich, trotz meiner linksradikalen Phase: richtig - auf das Faszinierende an jenem Ruck hinwies?

1 Kommentar:

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