12.6.24

Wie ihre Eltern

In meiner Umgebung hat das Wahlverhalten der jungen Menschen die größte Erschütterung ausgelöst. Mir macht das auch Angst, obwohl es mich weder überrascht noch erschüttert. Aber die Angst kommt von ganz anderen Beobachtungen. Und bezieht sich dann auch wiederum fast mehr auf deren Eltern als auf sie selbst.

Beobachtungen ist dabei das Stichwort. Euphemistisch nenne ich diese anekdotische Evidenz ja gerne Privatempirie. Und ich überschätze sie nicht. Allerdings habe ich in den letzten Jahren gemerkt, dass mich genau dieses Beobachten, diese Privatempirie, nicht so selten schon früher etwas hat erkennen lassen, das dann deutlich später auch echt empirisch gemessen werden konnte oder sich in (Wahl-) Ergebnissen niederschlug. Seitdem bin ich da etwas hellhöriger und lasse mich auch nicht mehr vom Vorwurf, ich würde das alles zu schwarz sehen, irritieren. War bei der US-Wahl 2016 und beim Brexit ja auch nicht zu schwarz sondern leider richtig.

Was ich bei jungen Menschen erlebe, ist, dass sie extrem angepasst sind. Nicht an die "Verhältnisse" oder so, sondern an ihre Eltern. Selbst da, wo sie sich in ihrer eigenen Wahrnehmung von ihren Eltern abgrenzen, bleiben sie ihnen ungewöhnlich ähnlich. Dass es eine Herausforderung junger Generationen ist, sich von der Elterngeneration abzugrenzen, wurde ja auch schon relativ lange beschrieben. Meine Beobachtung ist, dass viele dies gar nicht mehr als Herausforderung sehen, sondern sich zu einem guten Teil in den Meinungs- und Wertekontext ihrer Eltern einfügen. Es ist eben eine "typische" Krisengeneration.

Wenn ihr genau hinhört, was eure Freund*innen von ihren (erwachsen werdenden) Kindern berichten, könnt ihr das wahrscheinlich zu einem guten Teil auch sehen. Viele der Fridays For Future Jugendlichen kam aus Elternhäusern, die relativ ökologisch/grün/offen waren. Nicht-queere Jugendliche mit Pride-Flaggen am Rucksack kommen, so mein Eindruck, ganz überwiegend aus Familien mit Eltern, die in dieser Frage mindestens liberal sind. Alle mir bekannten Jungs, die bei der Bundestagswahl FDP darum gewählt haben, weil die gegen ein Tempolimit war (und das war tatsächlich einer der wichtigsten Gründe), haben Eltern, die Elektroautos für gefährliches Teufelszeug halten.

Meine Vermutung ist, dass das Wahlverhalten "der Jungen" bei der Europawahl spiegelt, was in den Familien dieser jungen Menschen gedacht und gesprochen wird. Der einzige Unterschied zwischen den Generationen ist, dass bei den älteren Menschen, also der Elterngeneration, Reden und Wählen (noch) auseinanderfällt. Dass sie (noch) CDU wählen beispielsweise. Oder Linke. Dass der Filter des sozial erwünschten Verhaltens bei der Elterngeneration noch reinkickt, bei ihren Kindern aber nicht (mehr). Dass die Eltern teilweise noch die übergeordneten Themen sehen, die nicht komplett von Affekten überlagert werden. Der Erfolg autoritärer und faschistischer Positionen bei den Kindern hat meines Erachtens also sehr viel weniger mit TikTok und Co zu tun. Was ich ohnehin für eine billige Ausrede halte. Sondern sehr viel mehr damit, wie die Älteren zu Hause reden und was sie wirklich denken.

Wenn das auch nur halbwegs stimmt, hat das relativ dramatische Auswirkungen. Dann lässt sich aus dem Wahlergebnis bei den Jungen relativ gut auf das Potenzial bei den Älteren schließen. Die Frage ist dann eigentlich "nur", wie lange bei denen der Firnis der Scham vor der Wahl faschistischer Parteien, deren Meinung sie eigentlich im tiefsten Inneren sind, hält. 

Auch darum finde ich es super hilfreich, dass das Medienexperiment im wallonischen Belgien so erfolgreich war, rechtsextremen Positionen keinen Raum zu geben in der Berichterstattung, sie nicht in Talkshows etc. einzuladen. Alles andere ist dort ja genau so wie bei uns - TikTok, Reddit, Soziale Medien, das selbstvitkimisierende Geschrei. Und nur diese eine kleine Veränderung führt zu komplett anderen Wahlergebnissen (schon als im flämischen Belgien). 

Jeder Auftritt einer Faschistin in einer Talkshow, jedes Zitat in einer Zeitung, jedes Interview im Deutschlandfunk lässt die Scham, von der ich oben sprach, bröckeln. Jeder dieser Auftritte macht es wahrscheinlicher, dass auch Erwachsene irgendwann so wählen, wie sie reden. Weil ihr sozialer Filter, der sie bisher sehen ließ, dass es im Großen und Ganzen auch noch andere Fragen gibt, die wichtig sind, durch "die Medien" aktiv geschreddert wird.

1 Kommentar:

  1. Anonym27.6.24

    Sehr gerne gelesen und mitgedacht. - Über das "Medienexperiment im wallonischen Belgien" wüsste ich gerne mehr (ganz abgesehen davon, dass ich es gerne in Deutschland adaptiert sähe): Wer hat das aktiv betrieben/entschieden/durchgesetzt? Vielen Dank!

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