13.4.23

Ratten

Also eigentlich ist der Titel dieses Textes brutal falsch und mies und ich distanziere mich ausdrücklich von ihm. Darum habe ich ihn gewählt. Denn es war ein wichtiger Teil dessen, wie die Nazis in den späten 20ern und den frühen 30ern die Zustimmung der konservativen Mehrheit der Deutschen organisierten. Indem sie von Ratten und Läusen und Asozialen und Arbeitsscheuen fabulierten. Also unter anderem. 

Diese Woche war ich in unserem Dorf in einem Vortrag in unserem Kulturverein, in dem der Leiter der Gedenkstätte Ahrensbök über die frühen Jahre der "Zustimmungsdiktatur" hier im Landkreis erzählte. Denn was ich nicht wusste: Hier, im Landesteil Lübeck des Fürstentums Oldenburg (was unsere Gegend bis zum Großhamburggesetz 1937 war), hatte die NSDAP die absolute Mehrheit in Wahlen gewonnen, lange bevor die Konservativen sie in die Reichsregierung brachten. Hier wurde mit dem ersten Nazi-Regierungspräsidenten, der aus meinem Dorf stammte, schon mal die kommende Diktatur eingeübt, schon 1932 die SA zu Hilfspolizisten gemacht, ausgetestet, wie weit sie gehen konnten, ohne die Zustimmung der Menschen zu verlieren. Ergebnis: sehr weit. 

Was, wie wir heute recht genau wissen, zu der großen Zustimmung geführt hat und dazu, dass die ersten frühen Konzentrationslager mitten in den Kleinstädten unter den Augen der Menschen eingerichtet werden konnten, von denen alle wussten, war, dass die Nazis eben an die Mehrheitsmeinung ("das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen") mit ihren Ängsten und Hoffnungen anknüpfen konnten. Und weil es quasi keine organisierte Arbeiter*innen-Bewegung gab hier im bäuerlich und handwerklich geprägten Land, gab es auch keine Widerstände. Der örtliche Frauenarzt war der Chef der NSDAP, die Kirche hart antisemitisch und chauvinistisch, die Intellektuellen für die harte Hand gegen – eben – die Ratten, Läuse, Arbeitsscheuen, Asozialen. Hier bei uns brauchten die Nazis die Konservativen nicht als Koalitionspartner*innen. Hier wählten die Konservativen die Nazis direkt. Und stimmte die überwiegende Mehrheit der Menschen dem Kurs von "Latten-Böhmcker" zu und war von ihm begeistert.

Daran musste ich heute denken, als ich über die in der "Zeit" dokumentierten politischen Positionen von Springer-Chef und -Mitbesitzer Matthias Döpfner las (Text hinter der Paywall. Auszüge hat der Spiegel abgeschrieben und ebenfalls hinter seine Paywall gestellt, was schon ein ziemlich rattiges Verhalten ist, weshalb ich es nicht verlinke). Nichts davon überrascht jemanden, die sich mit der Zustimmung der konservativen Mehrheit zu den Nazis beschäftigt haben. Weshalb die Forschung ja von den 30ern als Zustimmungsdiktatur in Deutschland spricht.

Wer einmal mit Menschen aus der Schicht von Döpfner in einer Form zusammen war, in der sie dachten, unter sich zu sein, wird nie wieder überrascht sein, nur entsetzt und verängstigt, wenn mal wieder so was wie die wirkliche Überzeugung dokumentiert wird. So ging es mir mehrfach seit 2015. Seid nicht so naiv, zu glauben, dass ein signifikanter Teil der akademisch gebildeten ökonomischen Führungselite dieses Landes bereit wäre, die liberale Demokratie zu verteidigen, wenn ein autoritäres System ihren Interessen dient. Denn darum findet Döpfner ja den Klimawandel prima. Er nutzt ihm.

3 Kommentare:

  1. Thomas S.14.4.23

    Neben einer organisierten Arbeiterschaft hätte konservativer Katholizismus damals wohl auch geholfen (was mich als Protestant durchaus schmerzt zuzugeben).
    Und ja, es gibt heute wieder eine Bourgeoisie, vor deren Überzeugungen man sich nur ekeln kann. Gut, wenn das so mal aufgedeckt wird.

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    1. Ja das stimmt, das habe ich vergessen in dem Text. In der Tat ist das hier bei uns damals eines der belegten Probleme gewesen, dass es keine Katholik*innen gab. Es ist schon erstaunlich, wie viel stabiler die waren.

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    2. Matthias Koeffler18.4.23

      Naja, es gab eine widerständige Kirche auch auf evangelischer Seite, allerdings von den Kirchenleitungen her nur in Hannover, Württemberg und Bayern. Dafür steht die Barmer Theologische Erklärung, ein Meilenstein in der evangelischen Kirchengeschichte. Aber sie drang leider nicht flächendeckend bis in die dörflichen Pastorenstuben durch, aber einzelne Pastoren gingen durchaus in den Widerstand. Die Freiheit der evangelischen Pastoren ist höher geschätzt als die der katholischen Pfarrer. Diese hatten in Rom durch den - heute vielgescholtenen Vatikan - einen größeren Rückhalt und Eigenständigkeit, während die evangelische Kirche sich leider zu früh (schon mit Martin Luther, der eine Schutzmacht brauchte) unter die weltliche Obrigkeit (Landesfürsten) stellte. Schlimm waren die viel größere Gruppe der Deutschen Christen, die sich von Hitler ganz einfach einfingen ließen, indem er einen Reichsbischof installierte, und damit unter seine Obrigkeit stellte.

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