23.2.25

Von sich auf andere

Schon vormittags ist er wählen gewesen. Fragte nach, wann denn das Auszählen sei. Um mit drohendem Unterton anzukündigen, dass er dann als Wahlbeobachter dabei sein werde. Er war so gar nicht der typische Demokratieaktivist. Am Ende waren vier Menschen als Wahlbeobachter*innen da, wobei sie das wohl so nicht sagen würden, weil sie Gendern ablehnen. Das eine Paar hatte auch sein Kind mitgebracht. 

Ich bin gerne Wahlhelfer. Da sehen wir viele unserer Nachbar*innen. Immerhin 341 Menschen aus den vier Dörfern unseres Wahlbezirks waren vor Ort und haben gewählt, nur eine Stimme war ganz ungültig. Und ich kann vor allem das Auszählen wirklich allen empfehlen. Ich sag mal so: wer einmal beim Auszählen in einem Wahllokal dabei war, wird nie wieder annehmen, dass die Wahl nicht mit rechten Dingen zugehe. Es ist kompliziert, sicher, akribisch.

Und unser Wahlvorstand wurde beim Auszählen immer stiller. Niemand hat sich etwas anmerken lassen, als der Stapel mit den Stimmen der Nazis immer größer wurde. Die eine oder andere guckte ein paar Mal zu mir rüber, denn ich hatte schon am Vormittag gesagt, dass ich wirklich und echt fürchte, dass die Nazis bei uns deutlich mehr Stimmen bekommen als im Schnitt in unserer Gegend und im Bundesland. Dass sie die stärkste Partei wurden, habe aber sogar ich nicht gedacht.

Die letzten Wahlen gab es immer wieder die Ankündigung der Nazis, dass sie Wahlbeobachter in alle Wahllokale schicken würden. Es tauchte nie einer auf. Bis heute.

Sie waren still und ganz die guten Nachbarn. Nur, dass sie - was bei Menschen, die zur Auszählung kommen, die ja öffentlich ist, eher ungewöhnlich ist - keine Ahnung hatten, wie so was geht und was wir da machen. Über einen Satz aber habe ich lange nachgedacht.

"Jetzt sind die Stimmen versiegelt, jetzt können wir gehen", sagte der eine zu dem anderen. Es dauerte etwas, bis es bei mir eingesickert war. Aber wir hatten nicht davon gesprochen, dass sie versiegelt werden. Werden sie auch nicht übrigens, sondern nur zugeklebt. Also die Stimmzettel. Erst später, als ich zu Hause war, wurde mir klar, was das war und bedeutete. Sie waren geschult oder von den Fake-Videos über Wahlbetrug aufgehetzt. Und sie haben von sich auf uns geschlossen.

Was mir klar wurde: sobald diese Leute an der Macht sein werden, machen sie Ernst. Und sie gingen davon aus, dass wir so handeln wie sie handeln würden. Dass wir die Wahl manipulieren. Dass wir Stimmen nach dem Zählen austauschen, so wie sie es machen würden - denn sonst würden sie ja nicht annehmen, dass wir es täten. Nur weil sie da waren, haben die Nazis die Wahl bei uns gewonnen. Denken sie sich wahrscheinlich. Denn darum waren sie da. Und darum werden sie uns in ein paar Jahren nicht dabei haben wollen. Wenn sie es machen werden.

Es ist wie immer: böse Menschen denken, dass sie die Normalen sind und alle anderen ebenfalls böse. Und können nicht nachvollziehen, dass andere anders handeln. Niemand von uns Wahlvorständen hat irgendetwas zur Wahl gesagt, bis die Amtshandlung offiziell und formal beendet war. Dann erst guckten wir uns entsetzt an und fragten uns, wie es sein kann, dass fast jeder dritte Mensch, der heute bei uns im Wahllokal war, Nazis gewählt hat.

Übrigens ist das Ergebnis in unserem Wahllokal in unserer 15-Dörfer-Gemeinde etwas anders bei dieser Wahl als in den anderen drei. Interessanterweise sind alle Parteien bis auf CDU und AfD in allen vier Wahllokalen der Gemeinde etwas gleich. Nur dass bei uns die CDU deutlich schwächer war als in den anderen. Und die AfD deutlich stärker. Bei allen anderen Wahlen waren wir der Stimmbezirk, in dem die CDU selbst für unsere schwarze Gemeinde am stärksten war. Über 50%. 

8 Kommentare:

  1. Mir wird davon übel - obwohl ich das schon immer im Grund weiß. Und vermutlich würden auch die Nazis Beobachter:innen zulassen und dann genau wissen, dass nichts versiegelt ist, sondern alles darauf beruht, dass wir einander demokratisch vertrauen. Und würden dieses Vertrauen missbrauchen.
    Das macht es natürlich gar nicht besser und gleichzeitig macht es alles doch besser, weil es dieses wichtige Vertrauen in der Welt gibt.
    Ich weiß allerdings nicht, ob ich in so einem Dorf wohnen könnte wie du.

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  2. Anonym24.2.25

    Das, was du anderen zutraust, ist in Wirklichkeit das, was du dir selbst zutraust. Positiv, wie negativ.

    Es wird deutsch in Kaltland.

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  3. Anonym24.2.25

    Leute nehmen ihr Recht wahr. Einer hat irgendwas dahergesagt, was Schlüsse auf alles Mögliche zulassen kann. Der Rest ist Storytelling. Dass sie die stärkste Partei wurden, ist schwer zu ertragen, keine Frage.

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    1. Anonym25.2.25

      Zustimmung.

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    2. Da ich mich seit bald 40 Jahren mit Nazis auseinandersetze und in der Antifa-Arbeit aktiv bin, sind mir die Schulungen, Verschwörungsvideos und Codes bekannt. Naivität muss man sich auch leisten können. Schön für die, die es können. Seid dankbar dafür.

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  4. Mich hat die Größe des AfD-Stapels auch geschockt. Wir haben uns immer wieder Blicke zugeworfen. Am Ende waren es sehr städtischen Wahlbezirk deutlich mehr als 10 Prozent. Und ich hatte das Gefühl bei einigen der Wählenden die Grundaggressivität zu spüren, diesen Hass auf das System. Kein gutes Gefühl.

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    1. Ja, ich fand auch besonders bemerkenswert, wie viele Menschen laut sagten, dass es dieses Mal so besonders wichtig sei zu wählen. Ich glaube, ich habe das, was sie damit meinten, falsch interpretiert.

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  5. Anonym25.2.25

    Das war das erste Mal bei einer Briefwahlauszählung, wo ich als stellvertretende Wahlvorständin einen der Wahlhelfer daran erinnern musste, während des Auszählungsvorgangs parteipolitische Äußerungen zu unterlassen. Rumgepoltere, dass sich jetzt ja endlich was ändern werde und müsse - von einem Wahlhelfer. Das hinterlässt kein gutes Gefühl.

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