Entsetzen über rund sieben Prozent für Faschisten an der Ostsee - das kann ich verstehen. Aufgescheuchte Überraschung heucheln - das kann ich nicht verstehen. Denn dieses Ergebnis ist ja weder in der Höhe noch vom Zeitpunkt her überraschend. Und wer es jetzt flugs mit dem Versagen der Koalitionen begründet, hat sich entweder noch nie mit dem neuen Faschismus und seinen Strukturen und seiner Strategie beschäftigt, oder argumentiert wider besseres Wissen, weil es ja so schön bequem ist.
Immer wieder, auch jetzt, weise ich deshalb auf die Artikel von Toralf Staud hin, der nicht nur ein intimer Kenner der Materie ist, sondern seit Jahren auch leicht verständlich dieses Wissen aufbereitet - beispielsweise vorletzte Woche in der Zeit wieder einmal plastisch und eindrücklich. Wer jenseits der hirntoten Dummparolen etwas über die Hintergründe des enormen kulturellen und strukturellen Erfolgs der Faschisten im Nordosten wissen will, sollte das unbedingt lesen. Ebenso wie alles andere, was Staud in den letzten Jahren geschrieben hat.
Das, was da passiert, lässt sich mit den klassischen Mitteln bürgerlicher Politik weder beschreiben noch bekämpfen. Denn das, was wir, die wir in den 80ern in der Antifa-Arbeit steckten, damals schon gesehen haben, wurde von den Kadern (die in der zweiten Hälfte der 80er in den Ballungsräumen des Westens gearbeitet haben) unmittelbar nach 89 im Nordosten und in Teilen Sachsens umgesetzt: Das Gramschische Konzept der kulturellen Hegemonie. Während die Linke in diesem Land immer nur davon schwadroniert hat, aber durch ihre sektenähnliche Struktur nicht in der Lage (und wohl auch nicht willens) war, es umzusetzen - und während die Grünen zwar faktisch in ihrem Kernthema Ökologie eine kulturelle Hegemonie erreicht haben, sie aber politisch nicht nachhaltig kapitalisieren konnten -, ist es den Faschisten gelungen, Gramschis Konzept umzusetzen.
Wenn heute in diesen Gegenden oft die Wortführer bei Elternabenden, die Engagierten in Jugendhäusern oder die Handwerker, die sich um Ausbildung kümmern, fest in den faschistischen Strukturen verwurzelt sind und zugleich ein effizientes Netzwerk aus Hilfe, Agitation und Sympathie (!) schaffen, dann ist mit den ewig gleichen Parolen aus dem Politikbetrieb nichts auszurichten.
Im Kern braucht der neue Faschismus dort, wo er faktisch die Lufthoheit hat (und bei über 20% in manchen Gegenden kann man davon sprechen), nicht einmal mehr das Versagen der Regierungen als Folie. Es ist nur noch der willkommene Verstärker. Aber selbst wenn Hartz IV oder ähnliche Sach- und Wortungetüme (als PR-Mensch dreht sich mir jedes Mal der Magen um, wenn ich davon lese) nicht wären, würde das an ihren Erfolgen nichts ändern.
Ohne fatalistisch sein zu wollen: Wir werden in den Gegenden, die sie zu ihren Experimentierbuden auserkoren haben, noch lange und stabil mit Faschisten und weiter steigender Zustimmung zu ihnen leben müssen. Die Hoffnung, sie ließen sich entzaubern, ist ungefähr genauso dumm wie die Erklärungsversuche mit Hartz IV. Die rund 15 Jahre, die sie gebraucht haben, um ihre Strukturen krisensicher aufzubauen, lassen sich nicht mal eben wegwischen...
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