5.1.15

Ephemeral Media


Rund um die Frage, was denn jenseits von Facebook noch so existiert, beschäftige ich mich schon lange mit Ephemeral Media. Inzwischen sind die so weit, dass sie ein eigenes Ökosystem bilden und eine große Rolle im Alltag vieler Menschen spielen.
Kurz vielleicht zum Begriff und so: ephemeral meint so etwas wie flüchtig, vergänglich. Unter Ephemeral Media verstehen wir also solche Netzwerke und medialen Äußerungen, die eben dies sind - flüchtig und vergänglich. Lustigerweise in der Regel nicht TV oder Radio (obwohl die zumindest in Deutschland ja auch oft vergänglich sind) - sondern eher digitale Medien, die nicht auf Dauer gedacht sind. Snapchat (nur kurz sichtbare Medieninhalte) oder Yo (nur kurze Lebensäußerungen) sind Beispiele von Apps, die in diesem Bereich aktiv sind.
In den ersten Jahren sind Ephemeral Media unterhalb des Radars geflogen. Wie so viele Dinge erst einmal als Experiment in eher jugendlichen Kontexten. Snapchat beispielsweise war relativ früh unter vielen Jugendlichen populär, die ich in unseren Speckgürteln traf. Erst bei Mädchen, dann bei Jungen, wie oft bei Dingen, die mit Technologie und Kommunikation zu tun haben.

Die Flüchtigkeit der eigenen Äußerungen und auch der der anderen spiegeln ein Bedürfnis wider, das nicht nur Jugendliche haben sondern das auch in den Medien und bei Erwachsenen in den letzten Jahren viel diskutiert wurde: Das Bedürfnis nach so etwas wie einem digitalen Radiergummi. Nach Kommunikation, die nicht für alle anderen auffindbar ist und auch für die, mit denen ich rede, nicht durchsucht, nicht nachgehalten werden kann.

Dabei spielt weniger eine Rolle, dass die Bilder und Links und Texte und Videos technisch sehr wohl permanent sind. Das, so ist mein Eindruck, ist den meisten Nutzerinnen dieser neueren Netzwerke bekannt. Sondern die Erfahrung spielt eine Rolle, dass es Gespräche, Medien, Äußerungen geben kann und eben tatsächlich im Leben gibt, die nicht durchsuchbar sein sollen.

Ich gebe zu, dass ich einige Zeit auch etwas ratlos vor dem Phänomen stand. Dass ich länger brauchte, um zu verstehen, was denn tatsächlich anders und neu an diesen Netzwerken ist. Wieso eigentlich Yo und Snapchat so viel Geld einsammeln können, immer wieder. Wieso hier etwas entsteht, entstanden ist, das über eine nette Spielerei hinaus geht. (Und auf das ich beruflich als Kommunikator reagieren muss.)

Das dritte Web
Es lohnt sich, einmal darauf zu gucken, wie sich Menschen Inhalte im Web erschließen. Bisher - also in den letzten Jahren - gab es vor allem zwei Formen des Web:

  • Zum einen das "Google-Web", also den Teil des Web, der über Suche und - zumindest in Deutschland und den meisten Teilen Europas - damit über Google angesteuert wurde. Rund 90% der Aktivitäten in diesem Teil des www beginnen mit Suche. Die eigene Webadresse ist für sehr viele Seiten nach wie vor der Suchbegriff, über den sehr viel Traffic aus der Suchmaschine kommt beispielsweise.
  • Und zum anderen das "Facebook-Web" (für einige auch das Twitter-Web, für mich beispielsweise, aber von der Struktur her ist es das gleiche), also den Teil des Web, der über soziale Signale innerhalb eines Netzwerks angesteuert wird. Facebook wird für immer mehr Inhalte und Inhaltsangebote zu einer wichtigen Quelle für Traffic.

Beide haben nur wenig mit einander zu tun. Und die Signale, die über Facebook/Twitter und über Suche kommen, sind auch sehr unterschiedlich. (Weshalb wir in der Kommunikationsbranche ja auch immer beides brauchen - Signale für Google und Signale für Facebook.)

Beide Wege - Suche und Facebook - haben aber gemeinsam, dass sie dauerhaft sind. Zwar ist Facebook von der Reichweite einschränkbar (Privatsphäre, you know), aber im Prinzip sind beides dauerhafte Äußerungen und Signale.

Mit Ephemeral Media werden diesen beiden Webs jetzt um ein drittes, eben ein flüchtiges, nicht durchsuchbares Web ergänzt. Signale, die entweder nur jetzt oder nur für einen kurzen Zeitpunkt gelten, sichtbar sind, etwas erschließen. Mit Ephemeral Media haben wir jetzt drei verschiedene Webs, die in der Praxis oft nur wenige Überschneidungen haben.

Tatsächlich ist aus meiner Sicht das wichtigste und auch das besondere, das mit Snapchat, Yo und Co entsteht, eine nicht-durchsuchbare, flüchtige Onlinekommunikation, die sowohl chatähnlich (1-zu-1) als auch newsletterähnlich (1-zu-n) möglich ist. Gruppenfunktionen und Werbeideen auf Snapchat, Services auf Yo - das ist nur der Anfang eines neuen Ökosystems, davon bin ich überzeugt.

Das nächste große Ding
Und damit sind Ephemeral Media aus meiner Sicht das nächste große Ding im Internetz. Und wundert mich nicht mehr, dass sie so große Euphorie bei Investorinnen hervorrufen. Eine neue Kategorie entsteht, eine der neuen Apps kann im Prinzip eine neue Infrastruktur werden - so wie Google faktisch die Infrastruktur des Such-Web ist. Und Facebook die Infrastruktur des Facebook-Web.

Meine wichtigsten Fragen sind dabei zurzeit, was eigentlich die Flüchtigkeit der Medien für die Kommunikation bedeutet - sowohl die Kommunikation untereinander als auch von uns Unternehmen und Marken mit den Menschen. Und ob (oder eher wie, denn das ob sehe ich nicht mehr so sehr als Frage) sich die Bedürfnisse nach Kommunikation auf die drei Webs aufteilen werden, neu verteilen werden.

2 Kommentare:

  1. Hallo Wolfgang,

    ich teile Deine Auffassung, wobei ich interessant finde, dass du Yo und Snapchat in den Vordergrund stellst. Mich treibt das Thema Messenger ja auch schon eine Weile um, weil alleine die Nutzerzahlen weltweit brutal hoch sind und nach wie vor steigen und diese Apps eine Dynamik ausstrahlen, die enorm ist.

    Gerade WhatsApp und Facebook Messenger und nicht zu vergessen die Asiaten WeChat und LINE vereinigen ja auf sich bereits über 2,5 Mrd. Nutzer...

    Was Du schreibst mit den Webs, das sehe ich ähnlich, wobei ich Mobile als einen weiteren eigenen Evolutionsschritt betrachten würde.

    Zwei Anmerkungen habe ich noch bzgl. Gründe für die Attraktivität der Ephemeral Media bei (jungen) Nutzern und die Zukunft (Ökosystem etc.). Du schreibst, das es maßgeblich durch die Flüchtigkeit und die zeitlich begrenzte Existenz der Nachrichten (Bilder & Text) kommt, das Yo und Snapchat genutzt werden.

    Ich würde ergänzen die übrigen Messenger miteinschließen und argumentieren: Man ist unter sich bzw. mit einem übersichtlich zu bezeichnenden Gesprächskreis statt offen auf Facebook oder Twitter mit vielen anderen, die dann meine Gespräche auch mitbekommen. Das wird auch durch die Attraktivität der anonymen Apps gespeist, wie etwa Yik Yak in den USA aktuell zeigt.

    Was die zukünftige Entwicklung des Messenger Marktes betrifft: Meiner Meinung nach geht die Reise in Richtung eigene (soziale) Kommunikationsplattform auf dem Mobile, die vielschichtiger als derzeit WhatsApp oder Facebook Messenger ist und eher den Horizont von WeChat oder LINE trifft, die jetzt schon mit Mobile Payment, Gaming Apps, Öffnung für Marken oder eCommerce von Marketingsgesichtspunkten her fast nichts zu wünschen übrig lassen.

    Viele Grüße

    Jo

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    1. Hallo Johannes,

      zunächst: ich freue mich sehr über deine Zustimmung, zumal wir ja nicht immer so dicht beieinander liegen.

      Und dann, in aller Kürze: ich zähle Messenger nicht mit zu Ephemeral Media. Denn die Kommunikation ist zwar nicht öffentlich, aber sehr wohl durchsuchbar. Während Snapchat und Yo und Co zum WWW gehören m.E., gehören Messenger nicht dazu.

      Ich finde dies Thema auch sehr spannend - halte es aber für ein anderes. Ich sehe mir ebenfalls schon länger WeChat an, um für Europa zu lernen.

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