7.11.12

Was haben wir gelacht

Nein, ich verlinke das nicht. Aber in Wellen geistern immer wieder mehr oder weniger sehr peinliche, meistens mit Sprechgesang schlechterer Ausprägung, fast immer mit hölzernen selbstgemachten Texten versehene Videos durch das Internetz, in denen meist junge Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten, zeigen, wie geil es da ist, wo sie arbeiten.

Sei es der legendäre Praktikumsrap eines Münchner Autoschraubers, seien es Trainees einer lokalen Bank in einem von vielen eh als mittelpeinlich eingeschätzten Bundesland, seien es irgendwelche Klöpsebrater.

Ja, ich gebe zu: einige dieser Videos konnte ich nicht länger als - sagen wir mal - fünfzehn Sekunden ansehen, bevor ich es nicht mehr ertrug. Und ja, über das eine oder andere habe ich (schadenfroh) gelacht. Und manche bekommen auch Preise der Onliner für besonders unterirdische Performance.

Die Fachwelt ist sich fast immer sofort einig: Das geht gar nicht, das ist schlimm, das schadet den Unternehmen. Ich bin da nicht (mehr) so sicher.

Denn was wir Onliner gerne vergessen, ist, dass wir mit diesen Videos gar nicht adressiert werden, dass es nicht um uns geht (huch, obwohl die online sind!). Sicher gibt es unter den unterirdischen Ergüssen solche, die wirklich schlecht sind - aber nicht jedes Video, das wir lächerlich finden, ist schlecht. Zumindest schlecht in dem Sinne, dass es seine Ziele verfehlt.

Eines der berühmteren Videos beispielsweise hat - obwohl verlacht und beschimpft und oberpeinlich - tatsächlich in der Zielgruppe, um die es ging, eine ganz andere Reaktion hervorgerufen: Die Anzahl der Bewerbungen junger Leute, vor allem der passenden und qualifizierten, ging in den Wochen nach dem Erscheinen des Videos deutlich nach oben. Und bei jeder Welle, die das Video seitdem wieder auslöst (denn dauernd entdecken es neue Experten), ist es das gleiche: Bewerbungen nehmen zu.

Dieses Video ist also extrem erfolgreich und - anders als wir dachten - ein "best case", allen Negativpreisen zum Trotz.

Mein Eindruck ist, dass die "Erwachsenen", die über grauenvolle Videos beispielsweise von Azubis zu Recruitingzwecken anderer Azubis lachen, eigentlich eine erstaunlich mangelnde Medienkompetenz an den Tag legen. Und das Format Video und wie es bei der nächsten Generation funktioniert, tatsächlich nicht verstehen. YouTube vielleicht sogar vor allem für eine Plattform halten, auf der man als Unternehmen oder Marke Videos einstellen kann. Und nicht für einen Videokommunikationsraum einer anderen Generation, für die lineare Fernsehen zu einem Nebenbeimedium geworden ist. Die Acta-Mobilisierung lässt grüßen.

Was ich mir manchmal wünsche (und - das muss ich fairerweise sagen - vornehme), ist etwas mehr Demut in der Aburteilung von Kommunikation, die uns alten Leuten nicht gefällt und absurd vorkommt. Und etwas mehr Staunen vor dem, was unsere Kinder machen, wie sie reden, was sie lustig finden - und wie ihre Aufmerksamkeit funktioniert, wie sie ihre Sympathien verteilen und was sie dazu bringt, aktiv zu werden. Und sei es, sich für ein Praktikum zu bewerben.

3 Kommentare:

  1. Oh mein Feld, mein Feld! :)
    Ja du hast recht, die Zielgruppe könnte das teilweise mögen. Schade das du nicht verlinkst, du kannst aber eigentlich nur das Mc Donalds Video meinen, was anderes passt gerade nicht. Auch die Zahlen würden mich interessieren, ist ja quasi ein Staatsgeheimnis mit den wirklichen Bewerberzahlen. Der einzige vernünftig dokumentierte Case im Social Media Recruiting ist der von UPS, erstens amerikanisch, zweitens von 2010.

    Aber ich muss sagen über die Tage habe ich ein wenig mehr darüber nachgedacht, schließlich habe ich mit der in Comoderation gehalten Barcamp-Session auch genau das Thema adressiert (wer mag, hier eine Zusammenfassung: http://bit.ly/VqjpK3).

    Auch Joachim Dierks bloggte bereits über das Thema (http://bit.ly/SAtJKc) und der Personalerzirkel diskutierte bereits in geschlossenen Facebookgruppen, durchaus bipolar.

    Ich glaube ganz einfach das die Incentives eines Webvideos für die jungen Mitarbeiter, in dem Fall von Mc Donalds sogar mit ausführlichem Choreo-Training (was im übrigen ein besseres Video abgibt als das Endprodukt) mehr nach innen wirken. Aufmerksamkeit hin oder her, es stimmt einfach nicht das man bei Mc Donalds tanzt., Mozi trifft und nur Spaß hat. Solche Videos sollten vernünftig darauf eingehen wie der Job, die Ausbildung aussieht und keine Märchenwelten eröffnen die auch noch enorm peinlich sind.

    Hier übrigens ein kurzer Beweis dafür, dass das Video nicht nur von uns "Alten" kritisch gesehen wird: http://bit.ly/U8BFlg

    Immerhin tut Mc Donald's also etwas für den höheren Bildungsweg! :)

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  2. Timo Lommatzsch9.11.12

    Mein meistgesagter Satz (nicht nur) in diesem Zusammenhang dieses Jahr:"Du bist nicht die Zielgruppe!"
    ;)

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  3. Der McDonalds Ausbildungstag 2012 hat es ja schon bis zum "Grantler" beim Bayerischen Rundfunk geschafft ;-)

    Es geht auch anders. Ohne Rap, Hip-Hop und Tanzmäuschen ... z.B. so: http://goo.gl/FLfA2

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