6.6.24

Fatique

Mein ganzes Leben (naja, mein ganzes Leben seit ich ein älterer Jugendlicher war) habe ich morgens Deutschlandfunk gehört. Es gehörte für mich einfach dazu. Halbstündliche Nachrichten, eine Presseschau, einige von den Interviews und einige Berichte, gerne auch die Kurzberichte als Zusammenfassung des Morgens, die Ausschnitte aus den Interviews und Berichten, gegen Ende der Morgensendung.

Dann merkte ich vor einiger Zeit (interessanterweise ungefähr zur gleichen Zeit zu der mein jahrelanger Heimatraum Twitter kaputt gemacht wurde), dass ich sehr schlechte Laune bekomme und – zunächst bei der Presseschau und nach und nach auch bei anderen Dingen – es immer schwerer zu ertragen war. Einerseits genoss ich, bei einigen Redakteur*innen im Studio zumindest, wie sie versuchten, bei den schlimmsten Lügen gegenzuhalten, aber ich hatte den Eindruck, dass ich eher schlechter informiert in den Tag ging.

Da machte ich dann eine Pause und hörte morgens, zwischen sechs und acht, wenn ich die ersten beiden Stunden auf dem Hof arbeitete, einen Podcast oder genoss sogar die Ruhe und die Geräusche, die unsere Tiere und die Natur machten. Es ging mir damit besser. Zugleich nahm ich mehr lokale Nachrichten wahr, wir abonnierten eine zweite Regionalzeitung im digitalen Abo, in dem ich vor allem die App nutze.

Es ging mir wirklich besser, ich fühlte mich wieder gesünder.

Ende letzter Woche habe ich dann den Versuch unternommen, wieder Deutschlandfunk zu hören morgens. Es fühlte sich auch nicht schlimm an. Es waren interessante Themen, teilweise gute Interviews, selbst die Presseschau war nicht so schlimm, schien mir. Und dann setzte auf einmal eine Art Fatique ein (bitte nicht als Diagnose verstehen oder medizinisch, sondern als Beschreibung, wie es mir ging).

Es an einem Punkt festzumachen, gelingt mir nicht. Aber im Laufe dieser Woche rutschte ich in etwas wie eine Verstimmung, die mich erschöpft, traurig und resigniert werden ließ. Ja, wir hatten ein anstrengendes Wochenende mit Feuerwehrfest und einer sehr schweren und dramatischen Fohlengeburt mit Sorge und Erleichterung hinter uns. Ja, ich habe gerade viel (aber nur tolle Dinge) hauptberuflich zu tun. Aber das erklärte es nicht. 

Als ich dann vorgestern ein Interview mit Jens Spahn hörte, in dem er kackendreist log und sich nicht mal vom gut informierten Moderator irritieren ließ, wurde mir bewusst, was mir nicht gut tut. Als ich dann gestern die Berichterstattung über die demokratiefeindlichen Einlassungen eines schon seit den 80ern notorisch rechten Berufsverbandes von Lehrer*innen hörte, wurde mir klar, dass mich diese Sendung eher dümmer als schlauer macht.

Heute habe ich darum wieder auf einen Podcast gewechselt. Und es geht mir sofort besser. 

Mich macht das irgendwie trotzdem wahnsinnig traurig. Im Grunde bin ich ein Newsjunkie. Mich interessiert, was in der Welt passiert, auch in Mexiko und Indien und Südafrika. An sich bin ich auch immer irgendwie ein Optimist gewesen.

Zugleich merke ich, dass ich damit nicht allein bin. Hier beschreibe ich mein eigenes Erleben, am Wochenende hat Thomas Knüwer es als Trend von der re:publica eingeordnet. Er schreibt dort:

Eine solche Stimmung hat mich diesmal kalt erwischt: die überall offen geäußerte Kritik an Journalismus und Medien. [...] Diesmal waren die Kritiker weitreichender, wütender und vor allem kam auch außerhalb der Bühnen schnell die Rede auf Fehlleistungen des Journalismus. [...] Sehr viele Menschen wenden sich vom Journalismus ab, weil sie das Gefühl haben, er liefere nicht mehr das, was sie benötigen.

Auch die positiven Beispiele, die er auf der Bühne erlebt hat, gehören zu dem, was mir Nahrung gibt. Auch wende ich mich nicht komplett vom Journalismus ab, wohl aber vom Betrieb des Journalismus außerhalb der lokalen Berichterstattung. Stattdessen helfen mir – interessanterweise ähnlich wie vor langer Zeit einmal die Wochenzeitung Die Zeit, als ich eine Phase hatte, in der ich (außer eben morgens Deutschlandfunk) keine tagesaktuellen Berichte mehr las oder sah, weil sie mich wahnsinnig machten – ruhige, längere Formate. Die Newsletter von Herrn Minkmar und Frau Büüsker beispielsweise.

Es geht mir heute wieder besser. Darüber bin ich froh. Über das meiste andere eher nicht.


Me Screaming

6 Kommentare:

  1. Ich habe vor einigen das Gegenmittel gegen dieses Gefühl entdeckt: ein Abo beim Economist.

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  2. Anonym7.6.24

    Mir geht es ähnlich. News-Junkie. Die Welt ist so spannend. Alles ist interessant. Ich möchte das verstehen. Zwischen 6 und 7 Uhr läuft Deutschlandfunk. Gleichzeitig setzt sich immer stärker der Eindruck durch, dass wir den Kampf gegen die Lügner, Dummverkäufer und Hetzer verlieren - krachend verlieren. So viele in meinem Umfeld plappern den Unsinn nach, den Bild, Merz, Lindner, AfD und Konsorten pausenlos absondern. Und das mit Überzeugung. Die sind überzeugt, dass wir Atomkraft brauchen, eFuels- oder Wasserstoffautos die Zukunft sind, Bürgergeld gekürzt werden muss, usw. Das macht mich depressiv. Einen (meinen) Weg, wie ich damit umgehen soll, habe ich noch nicht gefunden. Podcasts sind nicht mein Format. Alles ausblenden, ignorieren löst auch kein Problem.

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  3. Ich habe zwar meine Motive nie so hinterfragt wie du es tust, höre aber schon seit Jahren nur noch Podcasts und bin sehr happy damit. Auch Radiosendungen, auch Deutschlandfunk, aber halt sehr selektiv, Infos, die mich weiterbringen. Die Selektion ist bestimmt auch ein Problem, aber es geht mir gut damit.

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  4. Anonym7.6.24

    Auch mir geht's ähnlich

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  5. Ich kann Christian nur zustimmen: Aussuchen und die richtigen Sendungen/Themen als Podcast hören. Ich wünschte mir von den überregionalen Medien mehr gut begründeten Widerspruch, wenn Spitzenpolitiker mal wieder populistisches Blubberblasen von sich geben. Und ich freue mich, dass unsere regionale Berichterstattung bei Dir, Wolfgang, besser weggekommen ist.

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