Wir leben ja an einer der Landstraßen, die heute (und wenn ich es richtig verstehe, auch in den kommenden Tagen) dafür genutzt werden, dass die Dieselschleudern derer, die heute demonstrieren, und derer, die heute ihren Aufstand beginnen, den gesamten Tag auf und ab fahren. Immer zwischen Stockelsdorf (oder Ahrensbök? Weiß ich nicht genau) und Eutin hin und her. Nun ja. Die Straße ist ja auch vor kurzem auf der kompletten Länge neu gemacht worden, da lohnt es sich wenigstens.
Das, was ich von anderen Orten höre, sehe ich hier auch, wenn ich aus dem Fenster gucke, während ich am Schreibtisch sitze, denn das geht auf die Landstraße raus: etwa zwei Drittel der Fahrzeuge sind LKW und Transporter, ein Drittel Traktoren. Rund 20% mit Transparenten, nur einige wenige mit Flaggen (meist schwarz-rot-gold, einige mit Reichsadler drauf). Teilweise sind es ganze Fuhrparks.
Besonders unangenehm fällt der gesamte Fuhrpark des Stockelsdorfer Recycling-Unternehmens Wentorp auf, der etliche Male in Kolonne an unseren Weiden vorbei fuhr und dabei so intensiv hupte, dass unsere Pferde völlig durchdrehten. Soviel zum Bauernprotest. Gerade bei diesem Wetter, wo sie versuchen, weniger Energie zu verbrauchen, ist es echt nicht lustig, sie alle paar halbe Stunden massiv aufzuregen.
Die meisten sitzen nur in ihren Traktoren oder anderen Dieselschleudern und fahren. Und ja, mir ist eher fremd, dass sie immer hin und her fahren, aber dass dies eine Form des Protests sein kann, sehe ich schon irgendwie ein. Auf der Landstraße fahren sie immerhin nicht die Gemeindestraßen kaputt, für die ich als Mitglied im Bau-, Verkehrs- und Umweltausschuss mit zuständig bin.
Schwierig sind die mit den Plakaten. Die meisten, die bei uns rumgefahren werden, sind Teil des Aufstands und nicht der Demonstration. Das ist vor allem deshalb übel, weil die anderen, die ohne Plakate, ja mit ihren Anliegen nicht in der gleichen Weise sichtbar sind. Auffällig ist also wieder einmal, dass die Trittbretfahrer*innen (ja, meistens im Trecker unterwegs interessanterweise hier bei uns), die die Proteste zum Aufstand gegen die Regierung und gegen den Staat nutzen wollen, eben die lauteren, die sichtbareren sind. Es gelingt den anderen nicht, sich hinreichend von denen abzugrenzen – und sei es mit eigenen Plakaten, die ihren eigentlichen Anliegen Aufdruck verleihen.
Was zu sehen ist, sind überwiegend Sprüche wie "Die Ampel muss weg, damit wir leben können" oder einfach nur "Die Ampel muss weg" oder "Rot Gelb Grün". Da geht es nicht mehr um Inhalte, da geht es darum, die demokratisch legitimierte Mehrheit weghaben zu wollen. Es ist nicht so krass wie in Berlin auf Fotos zu sehen ist, aber es ist der Beginn eines Aufstands gegen die Demokratie. Gegen die Ergebnisse von Wahlen. Vor allem, wenn behauptet wird, dass die Mehrheit in dieser Demokratie für den eigenen Tod verantwortlich sei. Das ist wirklich dünnes Eis.
Um es klar zu sagen: ich teile einiges an der Kritik an der aktuellen Landwirtschafts-, Subventions- und Finanzpolitik. Die Probleme, die sich durch die Jahre der CSU- und CDU-Minister*innen aufgetürmt haben, sind gewaltig, Frau Büüsker hat dazu wie immer verständlich und kompetent und erschöpfend etwas gesagt (unbedingte Leseempfehlung, weil sachlich und nicht politisch). Daraus aber einen Aufstand gegen eine Regierung abzuleiten, ist perfide und will eine andere Gesellschaft. Dass die Kolleg*innen hier bei uns im Landkreis und in unseren Dörfern das nicht sehen oder nicht sehen wollen, macht mich ratlos, traurig und verzagt.
UPDATE 9.1.: Heute sind deutlich weniger Trecker und Trucker unterwegs. Sie fahren immer noch hin und her, teilweise sind es auch andere. Vorweg heute ein Trecker mit dem großen Vorderlader-Plakat der m.E. rechtsradikalen, mindestens aber rechtsoffenen Vereinigung "Land schafft Verbindung", dahinter einige andere Trecker. Es gibt keine Distanzierung von dieser radikalen Gruppe.
UPDATE 9.1., abends: Ergebnis von zwei Tagen Aufstände der Bäuer*innen auf unserer Landstraße mit Hupen, Lärm und Blinklichtern an der Weide: ein Pferd mit Kolik, eines mit Durchfall, beides wegen massivem Stress und Unruhe in der Aufzuchtherde. Danke für nichts.
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