11.2.05

Kotzen

Sie sind alle drei inzwischen Mitte Zwanzig. Jedesmal, wenn sie aus der Beratung kommen, werden sie zur S-Bahn gebracht, damit sie sich nicht zwischendurch auf die Gleise stürzen. Außer ihrer Therapeutin und ein, zwei weiteren Profis haben sie nur sich selbst. Jede Unterstützung aus der Familie fehlt. Wenn sie Glück haben, sehen sie keinen von denen.

Sie waren nicht gleich alt, aber es war bei allen drei die gleiche Geschichte: Irgendwann reichten dem Vater die Frau und die Nutten nicht mehr aus, und es musste die Tochter sein. Immer und immer wieder. Ruhe war nur, wenn er mal für eine Woche auf Dienstreise war. Oder als die kleine Schwester zur Welt kam, für ein paar Wochen. Sie hat geheult, als sie hörte, dass es wieder ein Mädchen ist.

Irgendwann ging es nicht mehr. Für eine erst viele Jahre später. Die anderen etwas eher. Sie alle waren völlig zerstört. Als sie anfingen, über ihre Qual und den Täter zu sprechen, war es die Hölle. Keine der Mütter hat es geglaubt, sie wurden von den Familien beschimpft. So ist es so oft. Viel zu oft. Erst merkt es keiner oder will es nicht merken. Dann glaubt es keiner oder will es nicht glauben. Es ist verrückt und so grausam. Bei den dreien nahezu identisch.

Die Täter haben sich umgebracht. Und so haben sich die drei kennen gelernt. Fast gleichzeitig kamen sie in das Büro und sind zusammen geblieben. Gerade dachten sie, das Schlimmste wäre vorbei und ein kleines Stück Normalität würde beginnen. Peng. Und sie sind schuld. Das glauben sie nicht nur selbst, sondern vor allem ihre Familien. Die Großeltern sind am schlimmsten. Was immer der Vater getan hat, ist nicht so schlimm. Sie haben ihn umgebracht.

Sie haben keine Chance auf eine irgendwie beinahe normale Beziehung zu gleichaltrigen Männern. Sie haben Albträume und schütteln sich unter Tränen. Jeder Gang auf die Straße kann tödlich enden. Je weniger sie ihre Familien sehen, die sie eigentlich so brauchten, desto bessere Chancen werden sie haben. Es ist zum Kotzen.
Der Beratungsstelle werden seit der neuen Sozial(?)politik in Hamburg jedes Jahr mehr Gelder gestrichen. So wie allen, die sich nur um Frauen kümmern.

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