8.7.15

Scharlatane kann ich nicht mit Dünnsinn vertreiben

Ich habe mich sehr über Thomas Armbrüsters Gastbeitrag im Pressesprecher geärgert, in dem er gegen Authentizität in der Führung wettert. Er ist ja fast genau mein Alter und ebenfalls Norddeutscher, also in einer ähnlichen ideologischen Großwetterlage aufgewachsen wie ich (allerdings legt sein Lebensweg nahe, dass er am exakt anderen Ende des Spektrums akzeptabler eigener Interpretationen dieser Wetterlage lag als ich), was deshalb wichtig ist, weil ich prinzipisch nachvollziehen kann, wogegen er wettert, weil ich ungefähr die gleichen Trends und Deformationen miterlebte und sah.

Das vorweg geschickt also.
Was es nicht besser macht.

Armbrüster konstatiert gleich zu Anfang:
Überall hört man den Ruf nach Authentizität. ... Er ist ein Irrweg der Personal- und Führungskräfteentwicklung und kann zu einem Mangel an Professionalität und Integrität führen.
Und das ist im Kern das, was er dann länglich ausführt.
Und das halte ich für totalen Unsinn.

Im Grunde könnte ich auf meinen Blogpost vom Februar 2009 verweisen, in dem das meiste zum Missverständnis rund um Authentizität bereits gesagt ist. Kernsatz damals war - und stimmt meines Erachtens bis heute:
Ich denke, dass oft Authentizität mit Unmittelbarkeit verwechselt wird.
Was Armbrüster im Verlauf seines komplett polemischen Textes fast glossenartig ausführt, beruht auf einer mich bei ihm wirklich sehr überraschenden Fehleinschätzung, was denn authentisch, was denn Authentizität sei.

Ich teile seine Polemik gegen die Scharlatane der Beratungsbranche,
die mit eben derselben Verwechslung sehr viel Schaden bei unbedarften Menschen anrichten, die führen wollen/sollen/müssen und ihre Hilfe suchen. Nur: "sei authentisch" heißt eben nicht "sag immer direkt, was du denkst". Es heißt nicht einmal "sei ganz du selbst" oder referenzierte gar auf einen (ja, da hat Armbrüster Recht, absurden) "inneren Wesenskern". Das ist Vulgärbiologismus, ja.

Ich kann es nur noch einmal betonen: Authentizität hat sehr viel mit Kultur und sehr wenig mit Natur zu tun. So wie Professionalität und Integrität. Wikipedia ist sicher in einer kulturphilosophischen Debatte nicht die seligmachende Quelle, aber dennoch lohnt ein Blick auf den Artikel zur Authentizität, um deutlich zu machen, wie sehr und wie ideologisch Armbrüster den Begriff für seine Bedürfnisse verbiegt und manipuliert.

Ich halte das, was und wie Armbrüster argumentiert, für unredlich, wirklich - und darum ärgert es mich so. Er zeichnet ein Zerrbild von Authentizität, das, wäre es richtig, ja auch tatsächlich grauenvoll wäre. Und begründet damit, warum es aus dem Vokabular von Führung getilgt gehörte. Dabei gehörte nur das Zerrbild, nur die Scharlatanie getilgt, denke ich.

Vielleicht bin ich deshalb so emotional in dieser Frage, weil ich in den letzten Jahren eher die angelsächsische Diskussion verfolgt und mitgestaltet habe. Als wir Edelman Digital aufbauten, nannten wir unser Blog Authenticities (gibt es nicht mehr). Bei Cohn & Wolfe, deren Geschäft ich in Deutschland führe, haben wir eine groß angelegte Untersuchung und Position zu Authentic Brands. Interessanterweise habe ich wenige der Verzerrungen, die Armbrüster einerseits kritisiert und andererseits fortschreibt, in der englischen Diskussion gesehen bisher.

Mir ist Authentizität gerade in der Führung wichtig.
Wiederum ebenso wie Professionalität und Integrität - ich kann da, wenn Authentizität richtig verstanden wird und nicht mit Unmittelbarkeit verwechselt, keinen Widerspruch sehen. Sicher - ich kenne auch authentische Führungskräfte, die nicht professionell sind (oh ja) oder/und nicht integer. Allerdings sind selbst die besser zu ertragen, wenn sie wenigstens authentisch sind.

Im Bereich Führung - anders vielleicht als im Bereich Marketing/Kommunikation - scheint mir Authentizität einer der Schlüssel für Berechenbarkeit zu sein und dafür, dass ich als Führungskraft von denen, die ich führe, "gelesen" werden kann. Was beispielsweise nicht geht, wenn ich unmittelbar bin, weil das oft  - logischerweise - erratisch ist. Wenn bei einer Führungskraft eine Linie zu erkennen ist, hängt das nach meiner Erfahrung sehr oft damit zusammen, dass sie authentisch handelt.

Authentisch kann nur sein, wer ein Werte- und Haltungssystem für sich entwickelt hat, wer eine Linie gefunden hat. Siehe im oben verlinkten Blogpost meine These, dass Kinder nicht authentisch sind sondern eben nur unmittelbar. Authentisch sein, heißt nicht, alles rauszulassen, was mir in den Kopf kommt oder auf der Leber liegt, sondern ein konsistentes Bild von mir zu schaffen, das mit meinen Werten und meiner Haltung zu tun hat. Darum können auch Arschlöcher authentisch sein. Auch, wenn das dann nicht professionell ist. Und darum gehört zu professionellem Führungsverhalten immer auch Authentizität. Im Gegensatz zu Armbrüster formuliere ich also (und in Anlehnung an seine Polemik auch etwas polemisch) -

Wer glaubt, ohne Authentizität und ohne Arbeit an authentischem Handeln 
professionell führen zu können, irrt. 
Und scheitert als Führungskraft. 
Total.




(Allerdings ich bin ja auch nur Praktiker und nicht Theoretiker oder Berater in diesen Fragen...)

3 Kommentare:

  1. Anonym8.7.15

    "sehr viel Schaden bei unbedarften Menschen anrichten, die führen wollen/sollen/müssen"
    Das haben Sie wieder sehr schön formuliert. Das macht nachdenklich.
    Warum?
    Anonymin wird in allen Lebensbereichen zum Führen genötigt und wollte doch im Leben immer wieder nichts weniger als führen, wollte mehr "Hilfe" sein (im biblischen Sinne). Ist Authentizität beim Führen überhaupt möglich und echt, wenn man überhaupt nie führen wollte es aber muss?
    Antworten Sie nicht. Sie haben ja Recht (aber ich auch ein wenig!).

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    1. Aber ich darf doch antworten, oder? :)
      Denn ja, das finde ich eine sehr spannend Frage. Mal so ganz im Ernst.
      Vor allem in akademisch geprägten Berufen gibt es ja zunehmend so etwas wie Karrierezwang inklusive Führenmüssen. Was ich nicht verstehe. Mir persönlich macht es Spaß. Aber ich bin tatsächlich schon lange der Meinung, dass es auch berufliche "Seitwärtsbewegungen" geben können muss, dass nicht jede führen müssen muss (ohne gleich als Versagerin zu gelten).
      Andererseits erlebe ich auch die Schizofrenie, dass dann jemand zwar nicht mehr Juniorin sein will, aber auch nicht die Führunganteile einer seniorigeren Position haben möchte.
      Oder, um beim Tippen nachzudenken - vielleicht nicht (also zu der Frage am Ende). Weshalb dann vielleicht auch die eine oder andere mit erzwungener Führungsaufgabe eher scheitert? Weiß nicht.

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    2. Anonym8.7.15

      Meine Antwort auf die Frage ob Sie antworten dürfen: "Na gut". :-)
      Allerdings haben wir jetzt ein Problem bzw. ich. Wenn Sie gerne antworten wollen, dann sollten Ihre Antworten zu meinen Gedanken passen. Ich komm sonst durcheinander. Wir haben jetzt ein klassisches Strickmuster bei dem jeder einzelne Faden Demokratie feiert und einfach macht was er will. Das geht so nicht. Also, mir macht es keinen Spaß. Aber vielleicht liegt es am Abschluss (zweiter Bildungsweg da Abitur verboten). Ich hätte aber vielleicht doch eher Krankenschwester werden sollen oder Seelsorger (Ihnen zuliebe Seelsorgerin) oder Hebamme nicht Betriebswirt (Ihnen zuliebe Betriebswirtin). Was Junior und Senior angeht, so habe ich als Christenmensch eh das Problem, dass ich mich weder hier noch dort gern einordnen lasse, weil wir doch "Kinder" im Haus des Herrn sind. Auf Arbeit freilich, wird das schwierig. Warum ich nicht gern führe? Im Anbetracht der wirtschaftlichen Probleme zweifele ich zeitweise an der Sinnhaftigkeit mancher Gesetze und Vorschriften, füge mich ein, obwohl alles immer restriktiver und unbeweglicher zu werden scheint. Wenn ich führe, sollte ich vertreten können wozu ich andere Menschen anleite, sollte weitergeben können warum eine Norm Sinn macht, warum wir dies oder jenes jetzt umsetzen. Im Privaten ist eine Führungsaufgabe ja noch einmal was ganz anderes und viiiieeel schwieriger, fast unlösbar. Hach.
      Also wenn Sie gern wieder antworten wollen, ich verbiete es Ihnen nicht, bitte aber darum wenigstens einen Gedanken an das Strickmuster zu verschwenden. Es soll doch alles gut werden. Oder etwa nicht?

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