31.1.12

Es ist Zeit, Netzpolitik abzuschaffen

Gefährliche Komikerinnen wie #Heveling und mäandernde Politbewegungen wie die Piratinnen haben eines gemeinsam: Sie nehmen "die Netzpolitik" zu wichtig.

(Ja ich weiß, ich kämpfe auch immer noch für eine intelligente Netzpolitik in meiner eigenen Partei, den Grünen. Das ist ein Widerspruch zu dem, was ich jetzt gleich sagen werde. Diesen Widerspruch sehe ich, kann ich auch nicht wirklich auflösen, weil beides stimmt. Ich neige aber mehr und mehr dazu, dass ich "Netzpolitik" als Disziplin für Teil des Problems halte und nicht für einen Teil der Lösung.)

Wer Netzpolitik isoliert betrachtet, läuft immer wieder in das Problem, "das Netz" ebenfalls isoliert zu betrachten. Faktisch wird damit der disruptive Charakter dessen, was durch "das Netz" in den letzten 20 Jahren verändert wurde und sich weiter verändert, kleiner gemacht, eben vom Leben, von Kultur, Bildung, Wirtschaft und so weiter abgekoppelt.

Mein Verdacht ist mehr und mehr, dass es "uns" Netzaktivistinnen so schlecht gelingt, andere Politikbereiche für die (tollen und weniger tollen, hilfreichen und verunsichernden) Veränderungen zu sensibilisieren, weil wir über Netzpolitik reden. Und nicht über Demokratie (ok, manche Piratinnen tun das). Wir verlieren in der Kulturdebatte (rund um Urheberinnenrechte etc). Wir gewinnen keine Priorisierung in der Infrastrukturpolitik.

Warum ist das Internetz genauso wichtig wie das Stromnetz und das Straßennetz? Wieso sind Quellenkritik und Suchstrategie genauso wichtig wie die Analyse von Versformen und die Abgrenzung von Literaturepochen?

"Wir Netzpolitikerinnen" haben darauf im Prinzip Antworten. Aber "wir" reiben uns auf in medienpolitischen Diskussionen oder besaufen uns an einer gefühlten Bedeutung im netzpolitischen Resonanzraum. Die Beheimatung der "Netzpolitik" als Teildisziplin in der Medienpolitik ist ihr Webfehler (was für ein Kalauer).

Wenn es uns ernst ist damit, dass das Netz als Teil unseres Lebens und als etwas, das wir Heimat nennen, einer ganz besonderen Aufmerksamkeit bedarf, dann müssen wir dahin, wo es weh tut und wo wie Entscheidungen getroffen oder vorbereitet werden, die uns betreffen. Dann müssen wir die wirtschaftspolitischen Sprecherinnen unserer Parteien werden. Dann müssen wir die Unternehmensverbände auf unsere Seite ziehen, die Gewerkschaften, die Betriebsrätinnen, die oft noch die Bremserinnen der Entwicklung in den Unternehmen sind.

Wer sich vor allem über die Netzpolitik definiert, ist für die anderen eben nur Gedöns. Und wer das aus dieser meilenweit vorausgehenden Perspektive der DigiGes oder D64 tut, muss sich nicht wundern, wenn die "richtigen" Politikerinnen sie nicht ernst nehmen. Wer (unbeholfenen) Fachpolitikerinnen das Heimatrecht im Netz verwehrt oder sie mit Spott bedeckt, muss sich nicht wundern, wenn sie dann Kasper wie Heveling bekommt, also Netz-Fachpolitikerinnen, die so viel Ahnung vom Netz als Heimat und Teil des Lebens haben wie viele Netzpolitikerinnen von Infrastrukturen oder dem Betriebsverfassungsrecht.

Wenn Heveling jetzt was vom Krieg erzählt, dann ist das ein guter Anlass, zuzugeben, dass der klassische Weg der Netzpolitik gescheitert ist. Denn der Experte Heveling ist das Ergebnis dieser Politik. Ist aber am Ende nicht schlimm, denn überall kommen die Fachressorts aus dem Quark, ohne dass "wir" sie beackern.



P.S.: Heveling ist kein Opfer eines Mobs aus Handelsblatt und Netzdings. Er ist der ranghöchste Netzpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er ist qua Amt Experte für Netzpolitik. Er weiß genau, was er tut, er ist die (konservative) Quintessenz der netzpolitischen Diskussion der letzten Jahre. Und hat darum jeden Spott verdient, den er bekommen kann.

4 Kommentare:

  1. Ich finde, die wenigsten betrachten Netzpolitik isoliert. Vielmehr nehmen die meisten eher einen Blickwinkel aus der Netzpolitik hinein in die Bildungspolitik, Arbeitspolitik, Gesundheitspolitik, etc.. ein. Und dieser Blickwinkel ist wichtig und wird immer wichtiger, warum sollte man ihn dann nicht benennen?

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  2. "Wenn Heveling jetzt was vom Krieg erzählt, dann ist das ein guter Anlass, zuzugeben, dass der klassische Weg der Netzpolitik gescheitert ist. Denn der Experte Heveling ist das Ergebnis dieser Politik. "

    Ich vermisse in dem Umgang mit Heveling auch absolut die Bereitschaft, über seinen Anlass nachzudenken. Wenn er mit seinem Text Kriegsgräben zieht, dann ist es auffällig, wie dankbar sie angenommen werden. Ihn aber als Phänomen einer schlechten Informationspolitik zu betrachten, scheint leider für viele ausgeschlossen.

    Wenn sich "Netzpolitiker" zu "Fachpolitikern" machen, werden Sie hoffentlich auch ihren Horizont erweitern und die Probleme von "Nicht-Netizens" mit ihren Theorien und Idealen verstehen lernen - und somit ihre Kommunikation und ihre Argumente (und in manchen Fällen vielleicht sogar ihre Meinung) anpassen. Mit einer "Wir haben das aus _unserer_ Sicht schon fertig gedacht und schreien es nur noch in die Welt hinaus"-Einstellung kreiert man nur Hevelings und findet sich danach dann wieder unheimlich viel schlauer als den Rest der Welt.

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  3. Annette_M31.1.12

    Wortgleich hätte man den gesamten Artikel auch zum Thema Frauenpolitik schreiben können. Auch hier der Tipp, da hinzugehen, "wo es wehtut"(Wirtschaft, Verteidigung, Justiz, Inneres).

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  4. @neinahh31.1.12

    Du sagt "Mein Verdacht ist mehr und mehr, dass es "uns" Netzaktivistinnen so schlecht gelingt, andere Politikbereiche für die (tollen und weniger tollen, hilfreichen und verunsichernden) Veränderungen zu sensibilisieren, weil wir über Netzpolitik reden." - ja und nein.

    Wenn wir über Netzpolitik reden, dann schließen wir die Überschneidungen, Auswirkungen und Verwandtschaften mit ein. Häufig werden wir dann von den Gesprächspartnern zurück in die Netzpolitik-Ecke verwiesen. Es ist neben der "digitalen Boheme" also auch auch an den Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturpolitikern, uns aktiv mit einzubeziehen und zu Rate zu ziehen.

    So wie in der Agentur: Das Digi-Team ist da und kann helfen, aber die anderen Teams müssen es auch ins Boot holen, damit es funktioniert.

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