18.10.14

Bleibt alles anders

Stalking, Aufforderung zur Lynchjustiz, Mobbing durch Identitätsklau, illegales Kopieren von Filmen und Musik – die Digitalisierung unserer Lebenswelten hat bei weitem nicht nur positive Auswirkungen. Immer wieder begegnet mir daher bei Eltern und Menschen, die sich mit ethischen Fragen beschäftigen, eine große Unsicherheit: Wie sollen wir damit umgehen? Mit all den völlig neuen Fragestellungen, die uns überrollen?

Als jemand, der aktiv die Digitalisierung seiner Lebens- und Kommunikationsumgebung vorantreibt und gestaltet, habe ich zunächst ebenfalls vermutet, dass die Veränderungen so radikal sind, dass auch neue ethische Fragen entstehen (müssen). Und war dann überrascht, dass das nicht der Fall ist.

Sowenig das Internet ein „rechtsfreier Raum“ ist, so wenig sind Prozesse, die sich durch die Digitalisierung verändert haben und verändern, „ethikfrei“. Bei den meisten Themen helfen die Fragen und sogar die Antworten, die die (evangelische) Ethik sich erarbeitet hat, weiter. Sinnfällig wird das schon daran, dass die großen Fragen rund um die Digitalisierung exakt die gleichen sind, die immer die großen Fragen der Ethik waren: die vom Verhältnis von Freiheit und Verantwortung; von Recht und Rücksicht; von Eigentum und Verpflichtung; von Egoismus und Altruismus. Um nur einige zu nennen.

Wie bei jeder Technologie, die Wissen − was auch Daten meint − und Kommunikation besser verfügbar macht, ergeben sich auf einmal für mehr Menschen Fragen, die vorher eine Minderheit oder Elite berührten. So wie die Digitalisierung „Skalierungseffekte“ in fast allen Bereichen bringt, bringt sie auch „Skalierungseffekte“ in der Ethik – also die Herausforderung, dass mehr ethische Fragestellungen in kürzerem Abstand für immer mehr Menschen aktuell und relevant werden.

Es ist auffällig, dass Platons Polemik gegen das Schreiben und Erasmus’ Polemik gegen das Drucken fast wörtlich die Vorbehalte gegen die Veröffentlichungen im Internet wiedergeben. Und zugleich beide das, was sie kritisierten, sehr fleißig und erfolgreich für sich selbst nutzten. Sie hatten einfach große Probleme mit der Vorstellung, dass weniger Gebildete als sie dies auch tun könnten. Auch ihre Anfragen an Wahrheit, Nachvollziehbarkeit, Wahrhaftigkeit, Medienkompetenz – alles ethische Fragestellungen – sind faszinierenderweise fast wörtlich die gleichen, die sich heute, bei der dritten großen Medienrevolution, stellen. Vor allem die Frage, welcher Information, welchen Daten wir trauen können, ist heute ähnlich wie damals hochaktuell.

Was neu ist, auch in den ethischen Fragestellungen, ist der Personenkreis, der für sich diese Fragen beantworten muss. Medienethik ist nicht mehr ausschließlich Thema professioneller Medienschaffender. Umgang mit Persönlichkeitsrechten betrifft jede Person, die ein Smartphone, also einen Fotoapparat mit Internetanschluss, besitzt. Ethische Fragen rund um die Vervielfältigung von Inhalten sind für alle relevant geworden. Und so geht es weiter.

Haben sich durch die Erfindung und die Etablierung des Buchdrucks neue ethische Fragen ergeben? Nur wer das mit Ja beantworten kann, wird auch gute Argumente auf seiner Seite haben für die These, dass die Digitalisierung neue ethische Fragen aufwirft. Und nicht „nur“ ein neues Nachdenken über die Antworten erfordert.

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Diesen Text habe ich zuerst für das Lesebuch zur diesjährigen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland geschrieben, das die Synodalen (Abgeordneten) auf das Schwerpunkttheme vorbereiten soll: Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft. Dieses Thema inhaltlich mit vorzubereiten und auch den Entwurf der Kundgebung der Synode mitzuverfassen, hatte ich ja in diesem Jahr auf Einladung der Präses der Synode die Freude. 

Übrigens merke ich, dass ich mit dieser Mitarbeit sehr viel mehr am gesellschaftlichen Diskurs bewegen kann als mit fast allen netzpolitischen Aktivitäten, die denkbar wären. Allein, dass der Begriff "geistiges Eigentum" im Kundgebungsentwurf nicht vorkommt, ist ein wunderbares Zeichen...

4 Kommentare:

  1. So, 3. Versuch.

    Ich hab vor Jahren mal eine Art 'Digitalen Imperativ' formuliert, den ich hier etwas ergänze:

    "Gehe mit den Daten von andren um und sprich mit andren immer so, wie du wünschen würdest, dass mit deinen Daten umgegangen und mit dir gesprochen werden sollte."

    Sofern man keinen Digitalmasochisten vor sich hat, sollte das gehen....

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  2. QED wegen der Spammer oder QED im Konjunktiv (was zu beweisen wäre) oder ... (das war mir jetzt zu lakonisch ;) )

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    1. Naja, mit deinem Imperativ bestätigst du meine These. Gehst sogar noch weiter, indem du eine uralte Antwort anwendest....

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